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«Trost?» fragte Annelie. «Lassen Sie mal, Fräulein Lux, da gibt es nicht viel zu trösten… Ja, es ist schrecklich, aber mein Mann… Nein, zu einer Sturzgeburt ist es zum Glück nicht gekommen, obwohl – nach dem Schock…! Sicher, das Kind wäre schon lebensfähig gewesen, aber… Da bleiben ja oft Schäden bei solchen Frühgeburten zurück. Ja… Ja… Ich glaube schon, daß Sie das Ganze fürchterlich mitgenommen hat… Ein Rückfall, ja. Wer hätte auch gedacht, daß mein Mann… Bei allem Verständnis für Herrn Ossianowski, bei allem Mitleid: das war zuviel, das war gemein, das war geradezu teuflisch. Nicht nur, daß er Herrn Kuhring… Ja, ja. Ach, machen Sie sich mal keine Sorgen, daß Sie auch noch dran glauben müssen: jetzt hat die Kripo ja seine Aufzeichnungen in den Händen und kann präventive Maßnahmen ergreifen. Was sagen Sie: Owi ruht nicht eher, bis er sie alle erledigt hat – nein, das glaube ich nicht. Die Explosion gestern abend, das war der Schlußpunkt…»

Annelies Stimme machte Brockmüller schläfrig. Dazu die vielen Spritzen, die Tabletten, die Nachwirkungen der Narkose. Lieb von der Lux, daß sie hier im Krankenhaus angerufen hatte, aber nun sollte sie endlich aufhören zu quaddeln.

Nun ist alles überstanden.

Brockmüller fühlte sich wohl, fühlte sich erleichtert, so heiter, als hätte er eben eine halbe Flasche Sekt auf nüchternen Magen getrunken. Und das trotz der Schmerzen im linken Arm, in der linken Hand. Der kleine Finger war weg, zwei Fingerkuppen fehlten.

Du bist dein Leben lang verstümmelt.

Glück ist die Summe allen Unglücks, dem wir entgangen sind – und er lebte noch; es hatte nur die linke Hand erwischt. Beim VfB Stuttgart hatte mal ein Läufer gespielt, der hatte nur einen Arm; daran gemessen ging’s ihm ja noch gold, und er konnte Tennis spielen wie bisher.

Noch mal davongekommen.

Zehntausende lebten vom Krieg her mit solchen Verletzungen, wie er sie hatte, glücklich und in Frieden. Wichtig war nur, daß Annelie ihm alles verziehen hatte. Die Beichte war ihm schwergefallen, aber… Nun war wieder alles im Lot. Er war sicher, daß sie ihn noch nie so geliebt hatte wie jetzt, wo es ihm so dreckig ging.

Du wirst Anna-Lena sehen – oder Alexander. Es wird alles gut werden.

Vorhin hatte ein Freund angerufen – manchmal paßt eben doch alles zusammen: Es gab da in der Nähe von Nürnberg einen schönen Job für ihn; Organisationsleiter in einem Unternehmen, das sich an der linken Vergangenheit seiner Mitarbeiter nicht sonderlich störte.

In zwei Monaten sind Owi und Kuhring, sind Zumpe und die Sondergruppe vollkommen vergessen.

«… jetzt Schluß machen, Fräulein Lux, sonst… Ja, vielen Dank für Ihren Anruf, und alles Gute für Sie. Ja, werd ich ihm bestellen, ja, danke… Ja… Auf Wiederhören! – So!» Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ Annelie den Hörer auf die Gabel fallen. «Das hast du nun davon, daß du 2. Klasse liegst.»

«Eben Zumpe, jetzt die Lux – das wird langsam ‘n bißchen viel.»

«Der Zumpe ist wohl auch am Ende…»

«Kunststück: er ist doch der einzige, der noch ungeschoren ist.»

«Abgesehen von seinen Magengeschwüren.»

«Schön; aber die Angst, nun doch noch… Den letzten beißen die Hunde.»

«Er ist doch dem Tod schon von der Schippe gesprungen, wie’s immer so schön heißt: gleich zu Anfang, als sein Motorboot in die Luft geflogen ist – durch Zufall ohne ihn.»

«Trotzdem. Er sagt sich sicher: bei Kuhring war’s auch erst der Wagen und dann…»

«Nun hör auf!» Sie beugte sich, mühsam balancierend, über ihn und küßte ihn. «Faß mal an, Alexander ballert wieder.»

«Anna-Lena!»

«Alexander!»

Er legte seine linke Wange auf ihr Kleid, lauschte und lächelte. «Tatsächlich… Der wird mal Mittelstürmer bei Hertha.»

«Also doch Alexander.»

«Meinetwegen – wenn er mir ähnlich sieht.»

Sie saßen schweigend beieinander. Das zweite Bett in ihrem Zimmer war leer. Der Mann am Fenster war gestern abend, kurz bevor sie Brockmüller eingeliefert hatten, an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben.

Du hast mehr Glück als Verstand.

Es war schön, hier zu liegen, Annelie an seiner Seite. Da war die Stimmung wieder, aus der heraus sie sich damals verlobt hatten.

Als es klopfte, zum fünftenmal in dieser Stunde, zuckten sie kaum noch zusammen; sicher wieder eine Schwester, die was bringen oder kontrollieren wollte.

Aber in der Tür stand Mannhardt; übernächtigt, unlustig, bärbeißig. Breitschultrig, wie er war, ähnelte er in seinem zerknitterten grauen Anzug eher einem Gangster als einem Polizisten.

Brockmüllers Magen krampfte sich zusammen.

Jetzt bist du fällig!

Ach was! Der konnte ihm gar nichts.

«Morgen allerseits», sagte Mannhardt und fixierte ihn mühsam. «Ich hätte gern mit Ihnen allein gesprochen…» Er hielt Annelie die Tür auf. «Sie warten bitte draußen im Besucherraum – ich melde mich dann bei Ihnen.»

«Was ist denn los?» fragte Annelie.

«Das wissen Sie wohl besser als ich! Bitte…»

Der haut ja ganz schön auf den Putz!

Brockmüller fühlte noch, wie Annelie ihm einen Kuß auf die Stirn drückte, dann war sie verschwunden. Plötzlich saß Mannhardt da, wo sie eben noch gesessen hatte. Wie bei der Vorführung von Dias: Klick – und ein neues Bild war da.

Brockmüllers Stimmungslage wechselte ständig; nach dem ersten Erschrecken eben noch bereit, Mannhardt zu verspotten, merkte er jetzt, daß er zitterte. «Ich hab’s doch nur gut gemeint», sagte er rasch. «Ich wollte Owis Aufzeichnungen finden und sie Ihnen auf dem schnellsten Wege bringen – die Belohnung!»

«Wie nett von Ihnen…» Mannhardt lächelte vielsagend und bekam dann plötzlich einen Wutanfall. «Mensch, für wie dämlich halten Sie mich denn eigentlich? Wenn Sie mir in den nächsten fünf Minuten nicht erzählen, warum Sie gestern abend da draußen im Wald rumgekrochen sind, dann laß ich Sie auf der Stelle ins Polizeikrankenhaus bringen!»

Der macht dich fertig. Der macht dich garantiert fertig…

Brockmüller, durch die horizontale Lage und seine verbundene Hand ohnehin im Nachteil, duckte sich unwillkürlich vor Mannhardt. Am liebsten hätte er sich die Bettdecke über den Kopf gezogen.

«Meine Hand tut mir weh, ich bin doch schon bestraft worden… Denken Sie doch auch mal an meine Frau; sehen Sie denn nicht, daß sie…»

«Ja doch», schnauzte Mannhardt. «Meinen Sie, ich halte das für versetzte Blähungen?»

«Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich…»

«Mensch!» Mannhardt schlug mit der Faust auf den beigestellten Tisch, daß die Tasse mit dem restlichen Kaffee umkippte. «Scheiße!» Er wischte die bräunliche Brühe mit einem seiner Tempotaschentücher auf und schaltete ganz plötzlich auf liebenswürdig. «Also, Herr Doktor: Warum wollten Sie Owis gesammelte Werke unbedingt vor mir lesen? Kommen Sie, reden wir mal Tacheles!»

Der hat dich durchschaut, der ist cleverer als du.

Brockmüllers Widerstand schmolz dahin. Es war ja alles so egal. Annelie wußte es ohnehin schon, und wenn sein Chef von der Sache erfuhr – er kündigte ja ohnehin in den nächsten Tagen. Blieb so etwas wie ein Schamgefühl und die Hemmung, einem Fremden gegenüber ein Geständnis abzulegen.

«Na…?» Mannhardt wurde schon wieder ungeduldig.

«Es sind neun Gründe», sagte Brockmüller, «genau neun…»

Mannhardt zog sein Notizbuch aus der Tasche. «Ich bin ganz Ohr…»

«Erstens», begann Brockmüller, «hatte ich Angst, Owi würde mich als intellektuellen Urheber dieser… dieser Späße bloßstellen, die wir mit ihm getrieben haben. Das hätte mich viele Sympathien gekostet, und meine Frau…»

«Okay – gebont!»

«Zweitens hatte ich Angst, daß sich Hinweise bei ihm finden würden, wie wenig ich für die EUROMAG getan habe.»

Mannhardt nickte. «Drittens?»

«Ich habe eine Menge Nebentätigkeiten ausgeübt, Vorträge gehalten und so, von denen keiner was wußte.»

«Hm…»

«Ich habe die Lux viel mit privaten Schreibarbeiten beschäftigt, was verboten ist. Aufsätze, Teile eines neuen Buches.»

«Fünftens?»

«Ich hatte Angst, daß Owi meine ganzen negativen Eigenschaften aufzählt…»

Mannhardt brummte etwas von Lappalien.

«Meine Frau ist da sehr empfindlich.»

«Nun reden Sie nicht dauernd um den heißen Brei herum!»

Brockmüller hatte nur noch den einen Wunsch: schlafen, immer nur schlafen. Ihm fielen fast die Augen zu.

«Ihr Nickerchen können Sie nachher machen.»

«Ich bin häufig zu spät gekommen; eigentlich ständig…»

Mannhardt blaffte ihn an. «Wenn Sie mich jetzt verscheißern wollen, passiert ein Unglück, das versprech ich Ihnen!»

«Wenn man so was macht, da spielt doch vieles eine Rolle», sagte Brockmüller. Wenn der bloß erst weg wäre! Er raffte sich zu einem Gegenangriff auf: «Wenn ich nicht sofort erfahre, was in Owis Aufzeichnungen steht, sage ich kein Wort mehr!»

Mannhardt sah ihn an. «Mensch, das ist die einzige Chance, die Sie noch haben», sagte er mit Nachdruck. «Wenn Sie wüßten, wie tief Sie in der Tinte stecken, würden Sie reden wie ein Wasserfall.»

Mein Gott, was ist denn?

Brockmüller war schweißgebadet. Was hatte Owi da noch eingefädelt? Er begriff plötzlich, daß da etwas geschehen war, das seine Existenz bedrohte. Noch war alles verdeckt, aber wenn Mannhardt plötzlich den Vorhang zur Seite riß… Er sah eine Falltür, er sah sich in die Tiefe stürzen. Mannhardts Gesicht verschwamm plötzlich.

«Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?»

«Nein, danke…» Brockmüller fing sich wieder. Er erwachte wie vorhin aus der Narkose. Er hatte das Gefühl, seine Gedanken, seine Assoziationen müßten wie feine Eisensplitter in einem chaotischen Durcheinander durch den Hohlraum seines Kopfes schwirren und jeden Augenblick die Schädeldecke durchstoßen, so daß er im wahrsten Sinne des Wortes außer sich zurückbleiben mußte. Ein Geisteskranker. Er stellte sich vor, daß sein Wille der große Magnet war, der die Eisenteilchen wieder einfangen und ordnen konnte.

Du darfst jetzt nicht durchdrehen!

«Mir fehlen noch die Punkte sieben, acht und neun», sagte Mannhardt unerbittlich.

Brockmüller stieß sie hervor; drei heftige Ausbrüche.

«Ich hab mal einen Vetter in die EUROMAG eingeschleust, obwohl ich wußte, daß er eine Niete ist… Ich habe Donnersmarck und den ganzen Vorstand als einen Haufen von Fachidioten und Fachisten beschimpft… Ich habe meine Frau mit Gaby, mit Fräulein Gross betrogen.»

Es war heraus. Gott sei Dank!

Aber Mannhardt klappte sein Notizbuch zu, ohne ein Wort geschrieben zu haben.

«Vielen Dank für Ihre Beichte, und wenn’s nach mir geht: te absolvo. Aber für mich haben Sie aus einem ganz anderen Grunde Ossianowskis Aufzeichnungen unterschlagen wollen – aus einem…»

«Das habe ich gar nicht.»

«… aus einem Grunde, der recht schwerwiegend ist. Ossianowski ist der Ansicht, daß Sie Kuhring ermordet haben – sozusagen die Gunst der Stunde nutzend.»

«Kuhring?» Brockmüller fühlte sich nicht im geringsten getroffen – das war zu lächerlich. «Das ist doch wohl ein Witz! Und warum, bitte schön? Das Motiv?»

Mannhardt blieb kühl. «Das Kind, das Ihre Frau da austrägt, das stammt von Kuhring.»

Brockmüllers Eisenteilchen durchstießen die Schädeldecke. Er begriff nicht viel, er begriff nur, daß dies sein Todesurteil war. Der Sturz in die Bewußtlosigkeit war die Erlösung, die er brauchte. Irgendwie nahm er noch wahr, wie ihm jemand eine Spritze in die Vene jagte.

Ich hab dir ja immer gesagt, daß Annelie und Kuhring

Völliger black-out.

Als er wieder zu sich kam, mühselig und noch im Erwachen qualvoll gurgelnd wie ein Ertrinkender, waren, wie er nach mühsamem Entziffern seiner Armbanduhr erkannte, kaum vierzig Minuten vergangen.

Er war allein im Zimmer.

Wo war Mannhardt? Wo war Annelie? War das noch sein altes Zimmer, oder schon die Zelle?

Das Zimmer.

Du bist für sie ein Mörder und du bleibst für sie ein Mörder.

Jetzt begriff er. Das war Owis Rache; Owi mußte alles gewußt haben, alles ganz genau.

Er hatte sich mit Gaby eingelassen, damals nach der Betriebsfeier, und Annelie hatte alles erfahren. Vielleicht von Owi, wahrscheinlich von Owi. Annelie war dann, um sich zu revanchieren, mit Kuhring ins Bett gegangen, mit Kuhring, der ohnehin immer scharf auf sie war und mit einiger Wahrscheinlichkeit schon vor ihrer Verlobung mit Annelie geschlafen hatte. Es sprach eine Menge dafür, daß das Kind von Kuhring war.

Alexander, Anna-Lena… Aus!

Wenn Kuhring Anna-Lenas Vater war, gab es keinen, der ihn, den Dr. rer. pol. Bodo Brockmüller, nicht für Kuhrings Mörder hielt.

Ob Annelie ihn retten würde?

Und wenn. Was nutzte schon ihre subjektive Aussage, wenn der Vaterschaftsnachweis klipp und klar erbrachte, daß…

Owi hatte gesiegt.

Es war die Spritze, die Brockmüller darin hinderte, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder aus dem Fenster zu springen. Er verfiel wieder in den Zustand, in dem er sich als Objekt ansah, dessen Verhalten und dessen Gedanken von einem Schriftsteller aufgezeichnet wurden: Gottergeben lag er in seinem Bett und wartete auf die Dinge, die da kommen würden. Ob man ihn gleich ins Polizeigefängnis brachte? Oder ob möglicherweise eine geschickte Aussage Annelies die Überführung um einige Zeit verzögerte? Diese Fragen beschäftigten ihn, ohne ihn indes zu quälen, denn…

Wieder das Telefon neben seinem Bett.

«Brockmüller, bitte…?»

«Hier ist Olscha; könnte ich mal Herrn Mannhardt sprechen?»

«Der ist gerade nicht hier.»

«Okay, ich melde mich in fünf Minuten wieder.»

Komisch.

Brockmüller versank in einen wohligen Dämmerzustand und ließ froh getönte Bilder aus seiner Kindheit, aus seiner Jugendzeit an sich vorüberziehen.

Er sieht, wie die erste Eisenbahn, noch mit einem Uhrwerk aufzuziehen, unter dem Weihnachtsbaum fährt und die drei kleinen Loren, mit Dominosteinen beladen, hinter sich herzieht. Er sieht, wie er in seinem ersten Fußballspiel, in rotweißer Kluft, auf das gegnerische Tor zusteuert und den Ball zwischen die Pfosten setzt. Er sieht, wie er unter der Bettdecke, im langsam verglimmenden Licht seiner Taschenlampe, den ersten Liebesbrief liest, von Marianne. Er sieht

Da stand plötzlich, wie in einem Trickfilm herbeigezaubert, Mannhardt an seinem Bett. Annelie hinter ihm. Sie kommt näher, sie küßt ihn.

«Tut mir leid», sagte Mannhardt. «Aus dem Mutterpaß Ihrer Frau kann man mit ziemlicher Sicherheit den Termin der… der Empfängnis…»

«… und da waren wir doch zur Hochzeit in Hamburg», fällt Annelie ein. «Deine Cousine… Fünf Tage davor und fünf Tage danach.»

Brockmüllers Augen leuchteten. Komm, wenn die ihre Hochzeitsnacht haben, können wir unsere mal wiederholen… Richtig!

«… und Herr Ossianowski wußte nichts von unserer Reise, weil er da gerade zur Kur war», fügte Annelie hinzu.

Mannhardt war verblüfft. «Aber wie kommt er denn dann auf die Idee, daß…?»

Brockmüller erinnerte sich plötzlich, lachte auf. «Das war doch ein Scherz von Kuhring und mir. Weil Owi solche Sachen immer so tragisch nahm und langatmige philosophische Vorträge hielt, haben wir ihm beide – getrennt natürlich – erzählt, daß Annelie – na und so weiter… Der war ganz weg. Wenn er schon selber nichts erlebte, dann…»

«Hör auf», sagte Annelie.

«Der hat doch alles geglaubt, was man ihm erzählt hat – wie ein Dreijähriger.»

«Das wäre also vom Tisch», sagte Mannhardt. «Von mir aus – ich glaube Ihnen. Ob der Staatsanwalt einen Vaterschaftsnachweis beantragt, weiß ich natürlich nicht. Ist aber unwahrscheinlich.»

Du bist aus dem Schneider, alles in Butter!

Brockmüller zog Annelie zu sich herab. Jetzt hatten sie ihren Frieden. Alexander war sein Sohn, Anna-Lena war seine Tochter. Zwanzig Jahre hinter Gittern gespart.

Wieder das Telefon.

«Das wird Ihr Kollege Olscha sein», sagte Brockmüller.

«Der?» Mannhardt war erstaunt.

«Der war eben schon mal dran.»

Mannhardt nahm den Hörer ab. «Herr Olscha…? Ja, ich hab schon gehört… Was gibt’s denn?»

Brockmüller hörte deutlich mit, was Olscha sagte.

«… Nachtrag zum Labor-Bericht gekommen – da war einer krank geworden: In zwei Reagenzgläsern aus Owis Keller war mit absoluter Sicherheit Zyannatrium; genau das gleiche Zeug, mit dem Kuhring vergiftet worden ist. Damit ist ganz klar, daß Ossianowski selber Kuhring umgebracht hat.»

«Sehr schön… Das heißt, scheußlich.» Mannhardt legte auf.

Gott sei Dank!

Brockmüller umarmte Annelie.

Mannhardt hatte sich inzwischen auf das leerstehende Bett gesetzt und knipste die Leselampe an und aus. «Sagen Sie mal, Herr Brockmüller, wie kommen eigentlich Ihre Fingerabdrücke auf Kuhrings Wecker?»

Was will er denn jetzt schon wieder? Ist doch alles erledigt.

Brockmüller war verwirrt, brauchte Sekunden, um sich zu erinnern. «Kuhrings Wecker…?» fragte er, um Zeit zu gewinnen.

«Ja, der auf der Kommode im Schlafzimmer. Auf diesem Sideboard… Haben Sie den angefaßt – ja oder nein?»

«Wenn Sie sagen, meine Fingerabdrücke… Ach ja! Das war, als wir bei ihm gefeiert haben. Ich sollte den Whisky… eh, den Whisky, ja den sollte ich aus dem Schlafzimmer holen und…» Brockmüller stockte endgültig.

Das ist eine Falle!

Er sah den Haltegriff im Badezimmer, sah die Bolzen, die durch die Wand ins Schlafzimmer gingen, sah die blanken Kupferlitzen der Verlängerungsschnur.

Mannhardt weiß alles.

Mannhardt steckte sich ein Pfefferminzplättchen in den Mund. «Und Ende Juni waren Sie bei Ossianowski draußen in Kladow?»

«Ja…»

«Das Haus besichtigen?»

«Nein, nur so mal…»

«Da waren Sie auch im Keller – oder?»

Brockmüller schloß die Augen und ließ sich tiefer ins Kissen sinken.

«Auch im Keller?» wiederholte Mannhardt.

«Ja.»