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Die große Halle im Krematorium Wilmersdorf war bis auf den letzten Platz gefüllt, einige der zu spät gekommenen Kollegen standen sogar hinten im Gang. Um den schlichten braunen Sarg häuften sich Berge von Kränzen und Sträußen, und auf den goldgefaßten Schleifen dominierte das Wörtchen unvergessen. In der ersten Reihe saßen, schwarzgekleidet und verweint, die engsten Angehörigen, während sich die ehemals hohen und höchsten Vorgesetzten des teuren Verblichenen bescheiden unter die gewöhnlichen Trauergäste gemischt hatten. Die mächtigen Kerzen auf den monströsen Kandelabern und Leuchtern flackerten wild, und auch der Redner vorn am Pult wußte nicht, woher es zog. Er hatte seine einleitenden Worte verhalten-gefaßt vom Blatt gelesen und ging nun daran, die Vergänglichkeit alles Irdischen in Erinnerung zu rufen, wobei er damit rechnen konnte, daß seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen, denn die getragene Eingangsmusik hatte die Anwesenden in die richtige Stimmung versetzt. Ergriffen lauschten sie nun.
«… und wir wissen nicht, durch welche Macht er in so tragischer Weise mitten aus dem Leben gerissen wurde. Ein Mann, in der Blüte seiner Jahre, der zu so vielen schönen Hoffnungen berechtigte, der von seinen Kollegen und Vorgesetzten geschätzt und geachtet war und der sein Leben dem Dienst an der Allgemeinheit gewidmet hatte. Fassungslos sind wir an seinem Sarge versammelt. Wie konnte es geschehen, warum konnte es geschehen? Die feige Tat eines verabscheuungswürdigen Menschen hat ihm das Leben genommen; zwei Kinder haben ihren Vater verloren – wir alle wissen es, wir alle fragen uns: Warum gerade er? Nun, wir alle leben Tag für Tag mit dem Bewußtsein unserer Vergänglichkeit…»
Mannhardt schaltete ab und dachte: Geschwätz! Er hatte Steinert nie gemocht. Die Stühle waren hart, und der Allerwerteste tat ihm weh. Daß auch noch diese Trauerfeier dazwischenkommen mußte – er hatte weiß Gott genug zu tun!
«… er, der nicht nur Dutzende von Verbrechen aufgeklärt, sondern auch unzählige verhindert hat, ist nun selber Opfer eines Verbrechens und eines Verbrechers geworden – er starb in treuer Pflichterfüllung, als er einen vielfach vorbestraften und in aller Welt gesuchten Gangster in Haft nehmen wollte. Unerschrocken und…»
… dußlig, dachte Mannhardt. Es war Steinerts eigene Schuld, daß es so gekommen war. Läßt den Mann aus den Augen, bevor er ihn nach Waffen abgetastet hat! Nun hatten sie einen Kriminalobermeister weniger und eine Beförderungsstelle mehr.
«… aber das Leben geht weiter, und…»
Mannhardt dachte nun doch das, was er die ganze Zeit über krampfhaft unterdrückt hatte: Eines Tages liegst du auch da vorn, und die Kollegen sitzen hier rum und hören nicht zu und dösen… Mannhardt verdrängte den Gedanken und rutschte unruhig hin und her. Der Armleuchter da vorn seichte und seichte, und er mußte dringend nach Kladow. Dieser Ossianowski. Zu dessen Beisetzung mußte er auch noch, um mal zu sehen, wer sich da alles ein Stelldichein gab.
Wenn wirklich Sprengstoff in dem Päckchen gewesen wäre… Er hatte es unter ein Auto geschoben, und dann waren sie alle auseinandergespritzt, um in sicherer Deckung auf die Explosion zu warten… Nichts. Spezialisten vom Landeskriminalamt hatten das Päckchen dann mit langen Stangen unter dem Wagen hervorgeangelt und unter Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen geöffnet.
Inhalt: ein Stück Eisen und ein kleines Schreiben.
Liebe Kollegen! Ich grüße Euch sehr herzlich aus dem Jenseits. Es gefällt mir hier ausnehmend gut, und ich bedaure zutiefst, daß Ihr noch nicht hier seid. Aber das kann sich ja von Stunde zu Stunde ändern. Bald sind wir alle hier vereint, und ich rufe Euch schon jetzt ein freudiges Willkommen zu. Bis dann. Auf Wiedersehen! Euer Owi.
Der Redner war am Ende, die Musik setzte wieder ein, und unter dem Aufschluchzen von Witwe und Schwester glitt der Sarg in die Tiefe.
Jetzt schluckte auch Mannhardt, denn er stellte sich vor, wie der Sarg nun in den Verbrennungsofen geschoben wurde und… Steinert hatte so strahlend blaue Augen gehabt… Ekel und Schwindel packten Mannhardt, er konnte nur mit Mühe den Brechreiz unterdrücken. Ohne es recht wahrzunehmen, kondolierte er Frau Steinert und vier, fünf nahen Anverwandten, trug sich in die bereitliegende Liste ein, stieß mit Dr. Weber zusammen und stand plötzlich wieder auf dem sonnenüberfluteten Platz vor dem Krematorium.
Euphorie brach wie eine Sturzflut über ihn herein. Er lebte noch, er konnte die Sonne sehen, die Häuser, die Bäume, den Himmel! In diesem Augenblick liebte er alles: Lilo, die Kinder, seinen Beruf, die Stadt.
Aber bald war der Rausch verflogen. Als er mit Koch nach Kladow hinausfuhr, um nun wirklich jede Schublade in Ossianowskis Haus zu durchstöbern, da war der Alltag, da war die Gewöhnlichkeit schon wieder übermächtig.
Sie hatten am Vormittag kurz mit Kuhring, Zumpe, Dr. Brockmüller und der Lux gesprochen, das mußte nun aufgearbeitet werden.
«Sie machen ja alle auf eitel Sonnenschein», sagte Koch. «Immer gut verstanden, nette Stunden miteinander verbracht, nie Krach gehabt – ich möchte direkt den Beruf wechseln.»
«Tja, eine große Familie…» Mannhardt schaute zum Funkturm hinauf. «Fragt sich bloß, warum der Ossianowski dann so zuschlägt.»
«Ich habe mit Kuhring darüber gesprochen und mit Zumpe auch. Die behaupten, der Mann hätte’s gar nicht besser haben können; prima Betriebsklima und so… Und sie schimpfen gewaltig über seine Undankbarkeit.»
«Dieser Doktor Dings – na… Brockmüller hat sicher recht: Da muß irgendein psychischer Defekt vorgelegen haben », meinte Mannhardt.
«Trotzdem – auch wenn er ‘ne Macke hatte…» Koch hatte Mühe, den Theodor-Heuss-Platz zu umrunden und rechts in die Heerstraße einzubiegen. «Da ist doch was faul an der Sache: Warum bringt er sie um, wenn er sich in ihrer Mitte so sauwohl gefühlt hat, wie sie’s behaupten?»
«Eben!» Mannhardt starrte hinter einem verlockenden Minirock her. Ein Fall im Mädchenwohnheim oder im Nuttenmilieu wäre ihm lieber gewesen. Statt dessen ein toter Euromagger und vier auf der Warteliste…
«Man müßte mal hinter die Kulissen sehen», sagte Koch.
«Ich hoffe ja, daß wir bei Ossianowski was finden – ein Tagebuch oder so. Etwas, wo was über das Geschehen in der Sondergruppe drinsteht. Irgendwo muß er doch seinen Seelenmüll abgeladen haben.»
Koch nickte. «Ich glaub auch, dieser Brockmüller könnte uns was erzählen, wenn er nur wollte…»
Mannhardt spielte mit seinem Taschenkamm. Koch war gar nicht so dumm, wie er aussah. Sicherlich war Brockmüller der einzige, der über ein gewisses Reflexionsvermögen verfügte; die anderen beiden Männer waren hochbezahlte Fachidioten, die sich durch ihre Loyalität zur EUROMAG und Beziehungen zur Clique Donnersmarck & Co. hochgearbeitet hatten – in diesem Punkt hatte sich Zumpe ungewollt ein wenig verplappert… Kanalarbeiter aller Organisationen, vereinigt euch! Sondergruppe für Systemplanung – hochtrabender ging’s ja kaum noch. Die hätten sich man selber wegplanen sollen. Aber das wollte ja nun der Kollege Otto-Wilhelm Ossianowski auf recht unkonventionelle Art und Weise besorgen… Wenn das der alte Max Weber noch erlebt hätte, der größte Analytiker jedweder Bürokratie!
«Du schmunzelst ja so», sagte Koch. «Steinerts Tod ist dir wohl schnurzpiepegal…»
«Hm… Wir müssen sehen, daß der Brockmüller den Mund aufmacht. Die anderen begreifen wahrscheinlich gar nicht, was da geschehen ist.» Er holte das tragbare Tonbandgerät vom Rücksitz und spielte sich noch einmal die wichtigsten Passagen aus den Gesprächen mit Kuhring, Zumpe, Dr. Brockmüller und der Lux ab.
«… er hat nie Streit mit einem von uns gehabt.»
«… es gab viel Spaß bei uns – und Owi hat immer mitgemacht; der war kein Kind von Traurigkeiten.»
«… ich versteh das nicht! Er muß plötzlich einen Schub gekriegt haben, eine krankhafte Veränderung im Gehirn – ein Tumor vielleicht? Also, wenn’s nicht so was ist, dann ist er ein Schwein! Ein Lump… Dieser Idiot, dieser verdammt – uns alle ins Unglück stürzen…»
Jetzt kam Brockmüller: «Er war unser Clown, ja, zugegeben; aber er war’s freiwillig. Nicht daß wir ihn zu unserem Fußabtreter gemacht hätten: er hat sich freiwillig angeboten, bei uns den Hofnarren zu spielen. Als Bote hat er angefangen, ganz unten, und jetzt war er nach K 5 besoldet – ein unheimlicher Sprung nach oben. Und warum? Doch nicht etwa, weil er ein Genie gewesen wäre oder ungeheuren Fleiß an den Tag gelegt hätte – nee, gewiß nicht! Der hat das genau durchschaut und begriffen, daß man wunderschön aufsteigen kann, wenn man sich zum Narren der Erfolgreichen macht. Dumm war er nicht, im Gegenteil: hoher Intelligenzquotient und ein ganz schönes Maß an Bauernschläue. Der hat sich gesagt: Tanze ruhig, wenn Kuhring pfeift und Zumpe in die Hände klatscht, da bist du in fünf Jahren totsicher AT – außertariflicher Angestellter. Der Spitzname Owi, ein bißchen Frotzelei – das war der Preis, den er gern gezahlt hat. Wenn er sich jetzt deswegen an uns rächen will, dann ist das einfach absurd!»
Mannhardt drückte die Aus-Taste. Das klang überzeugend, was Brockmüller da sagte, das hatte er vorhin im Trubel auf der Straße gar nicht so recht mitbekommen. Ein guter Mann, dieser Brockmüller; wie der wohl zu diesem Sauhaufen gestoßen war? Mannhardt hatte sich von Zumpe und der Lux einiges von der Tätigkeit der Sondergruppe erzählen lassen und ahnte, daß sie ein totgeborenes Kind war. Er verstand nicht viel von diesen Dingen, aber von Menschen verstand er eine ganze Menge.
Es ging schon auf 16 Uhr, als sie zum zweitenmal vor dem anheimelnden Haus im Gößweinsteiner Gang hielten, nur wurden sie diesmal von einem Beamten der Schutzpolizei begrüßt.
«Guten Tag, Herr Kommissar; ich warte schon auf Sie. Die Kollegen vom Landeskriminalamt sind eben gegangen; ich soll Ihnen ausrichten, daß Sie mit der Durchsuchung der Räume beginnen können: Sprengstoff gibt’s hier keinen mehr.»
Mannhardt bedankte sich. «Sie bleiben aber noch hier…?»
«Ja, man kann ja nie wissen.»
«Komm!» sagte Mannhardt zu Koch.
Sie stießen die beiden Türen auf und traten in die Diele. Beiden war ein wenig mulmig zumute, vielleicht sogar mehr als nur mulmig. Die Sprengstoffexperten im Landeskriminalamt waren gute Leute, und sie hatten das Haus hier sicherlich mit aller Akribie durchsucht; aber dieser Ossianowski war verdammt einfallsreich und in seiner Art – entgegen Brockmüllers Ansicht – eben doch ein kleines Genie. Es sprach schon einiges dafür, daß er etwas unternommen hatte, um sein Haus in die Luft zu sprengen. Bei seiner Philosophie lag das durchaus im Bereich des Möglichen: Wenn ich sterbe, sollen meine Kollegen ebenfalls sterben; wenn ich in meinem Haus nicht mehr wohnen kann, soll auch kein anderer drin wohnen können…
Koch mußte ähnliches gedacht haben. Er spottete zwar: «Ich wünsch uns noch einen schönen Nachmittag auf dem Pulverfaß!» – suchte aber dann verdächtig schnell nach der Toilettentür.
Mannhardt sah, daß man zwar den Revolver zur waffentechnischen Untersuchung mitgenommen hatte und den Schraubstock ebenfalls, die Blumen, in deren Mitte Ossianowski gestorben war, aber noch immer in ihren Vasen und Eimern steckten, nur leicht verwelkt. Er wandte sich ab und ging ins Schlafzimmer hinüber, in dem auch ein Schreibtisch stand.
Der Raum, eng und schmal, glich mit seiner schwarzgrünen Tapete einer moosbewachsenen Grotte. Über dem Bett hing ein Ölgemälde, von dem, so schien es Mannhardt, jeden Augenblick das Blut auf das weiße Laken tropfen mußte, denn es zeigte in schönstem Realismus, wie ein zappelnder Indianer einem alten Inkagott geopfert wurde. Es erinnerte ihn an seine längst vergangenen Schulferien auf Onkel Heinrichs Bauernhof: so stach man dort die Schweine ab. Der Name des Künstlers war nicht zu entziffern – möglicherweise aber ließ sich aus den einzelnen Krakeln Ossianowski herauslesen.
Mannhardt wandte sich dem Schreibtisch zu, den seine Kollegen in einiger Unordnung zurückgelassen hatten. Aber nicht das war verwunderlich, sondern die Tatsache, daß Ossianowski auch hier sein modellbauerisches Talent bewiesen hatte. Von der Schreibtischkante aus, wo eine naturgetreue Talstation aufgebaut war, führte eine Seilbahn zum Kleiderschrank hinauf, der die Bergstation trug. Oben und unten wartete je eine blau-weiße Gondel, die man mit einer kleinen Kurbel an der Seitenwand der Talstation in Bewegung setzen konnte.
Mannhardt drehte vorsichtig an der Kurbel. Ein kurzer Widerstand, dann kam die Gondel I von oben herab, während die Gondel II im selben Tempo aufwärts fuhr. Ganz entzückend!
Doch als die beiden Gondeln in der Mitte der Strecke aneinander vorbeifuhren, passierte es: in beiden Kabinen klappte der Boden nach unten, und die Insassen stürzten in die Tiefe.
Mannhardt zuckte zusammen, sein Magen rebellierte. Vor knapp drei Wochen erst war er von der Zugspitze zum Eibsee hinuntergefahren. Wenn da…
Also doch ein krankes Hirn? Brockmüller glaubte es, und der hatte Ossianowski schließlich gut gekannt. Aber Mannhardt war sich da nicht sicher. Im letzten Winter hatte er an einem Fortbildungslehrgang für Beamte des gehobenen Dienstes teilgenommen – Kriminalität und Gesellschaftsstruktur – und da einiges gehört. Aggressionsstau und so – es war ziemlich kompliziert; Mannhardt hatte eigentlich nur begriffen, wie fließend die Grenzen zwischen Noch-Normal und Schon-Krankhaft sein können.
Er versuchte, sich in Owis Lage zu versetzen. Da war nichts, was seine Aggressionsmenge binden, neutralisieren konnte: kein Mensch, von dem er geliebt wurde. Statt dessen eine Umwelt, mit der er nicht fertig wurde und die ihn nicht verstand, nicht verstehen wollte… Mannhardt ertappte sich bei dem Gedanken: Ja, du hast ja recht – gib’s ihnen! Zeig dieser verfluchten Gesellschaft, die so stolz ist auf ihr Christentum und ihre Humanität – zeig der Bande, wie grausam und unmenschlich sie in Wirklichkeit ist!
Soviel zur Abgrenzung zwischen normal und krankhaft, dachte Mannhardt. Wahrscheinlich bin ich auch bekloppt… Seine Gedanken wanderten weiter:
Wenn Owi diese Gesellschaft haßte, dann mußte er die Polizisten doppelt hassen, die dieses System so wirksam stützten. Da wär’s nur logisch, daß sich seine Aggressionen auch gegen die Kriminalbeamten richteten, die zudem noch alles daransetzten, seine Pläne zu durchkreuzen… Mannhardt war plötzlich sicher, daß hier in diesem Haus noch irgendwo Sprengstoff verborgen war.
Koch kam von der Toilette zurück. Im gleichen Augenblick schrillte das Telefon.
«Ich nehm’s schon…» Koch riß den Hörer hoch. «Koch… Ja – Koch! Mensch, wie der Erfinder des gleichnamigen Topfes… Was gibt’s denn?» Er lauschte. «So… Na fein. Und vielen Dank auch.» Er legte auf und drehte sich zu Mannhardt um. «Einer vom Landeskriminalamt, Bodewig oder so: Auch im Gebäude der Sonderkommission ist kein Sprengstoff mehr gefunden worden.»
Mannhardt schüttelte den Kopf. «Da möcht ich mal wissen, wie der seine Drohungen wahr machen will…»
«Ich auch.»
«Sehen wir mal, ob hier was zu finden ist.»
Sie machten sich daran, Owis Schreibtisch Schublade für Schublade auszuräumen und jedes Stück Papier mit aller Sorgfalt unter die Lupe zu nehmen. Da gab es eine Unmenge Rechnungen, Quittungen, Postscheckabschnitte, Bankauszüge, alte Fahrkarten, wenige Briefe ausschließlich geschäftlichen Inhalts, Zeitungsausschnitte, Organisationspläne und Rundschreiben der EUROMAG, Versicherungspolicen, Einschreibzettel, Steuertabellen und Gleispläne aller möglichen Modellbahnhersteller – aber nirgendwo ein Tagebuch oder irgendwelche Aufzeichnungen, aus denen hervorging, warum Ossianowski so gehandelt hatte und, vor allem, wo etwaige weitere Sprengkörper von ihm versteckt worden waren.
«Wär auch zu schön gewesen, um wahr zu sein», knurrte Mannhardt.
«Ich glaube, der blufft nur», meinte Koch. «Der hat überhaupt nichts weiter getan, um die vier Kollegen ins Jenseits zu befördern; der will ihnen nur Angst einjagen.»
«Möglich, daß er sie nur psychisch fertigmachen will, ja…»
«Sonst müßte doch irgend etwas zu finden sein!»
«Mit den Chemikalien da unten im Keller hätte er ein Dutzend Bomben basteln können…» Mannhardt dachte nur laut.
«Das ist es ja!»
«Ob er nicht doch irgendwo…»
Das Telefon.
Mannhardt zuckte zusammen. Ein kurzer Blick auf die Uhr: Gleich halb sieben… «Wer ruft denn jetzt noch an – da ist doch überall Feierabend?» Er nahm den Hörer ab und meldete sich.
Dr. Weber höchstpersönlich. «Haben Sie was gefunden, Herr Krimmalobermeister Mannhardt?»
Mannhardt schwitzte. «Nein, Herr Doktor, aber…»
«Suchen Sie trotzdem weiter, ich sag nämlich immer: Gelobt sei, was Mannhardt macht! Ach, übrigens: vor etwa zwanzig Minuten ist Zumpes schönes Motorboot, die Snark… Wissen Sie übrigens, woher der Name kommt?»
«Das war doch Jack Londons Schiff…»
«Bravo! Ich werde Sie höherenorts lobend zu erwähnen wissen – das heißt, beim Oberhaupt –, wenn’s um die Frage geht: Ober- oder Haupt-…»
Mannhardt glühte, als er der versteckten Andeutung entnahm, daß der Hauptkommissar nun doch bald fällig war. Und das, obwohl er sich haßte, weil er genauso wie die anderen nach dieser lumpigen Beförderung gierte.
«… zurück zur Snark, zu Zumpes Flaggschiff. Sie ist vor zwanzig Minuten an einem Steg in Picheiswerder in die Luft geflogen.»
Also doch! «Und Zumpe? Ist er… tot?»
«Nein. Das war auch schlecht möglich, weil er gerade zu Hause auf dem Sofa gelegen hat. Ich wollt’s Ihnen auch nur sagen, damit Sie auf dem laufenden bleiben… Bleiben Sie auch ein heiler Mensch!»
Aufgelegt.
Mannhardt ließ den schwarzen Hörer von Ossianowskis altertümlichem Apparat langsam auf die Gabel gleiten. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu sammeln und Koch zu informieren.
«Mein Gott!» rief der. «Wer weiß, wo dieser Blödmann noch was versteckt hat. Offensichtlich arbeitete er ja mit Säurezündern, und die brauchen ihre Zeit…»
Mannhardt wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah Koch an.
Der erriet seine Gedanken. «Sollen wir nicht lieber abhauen, ehe hier…»
Mannhardt kämpfte mit sich. «Noch ein paar Minuten, dann haben wir wenigstens den Schreibtisch durch. Das andere kommt morgen dran.»
«Okay!»
Fieberhaft durchwühlten sie den letzten Berg, der auf dem Schreibtisch lag.
Sie waren fast fertig, da stieß Mannhardt auf Owis Sparbuch und zwei, drei schlecht lesbare Auszahlbelege seiner Bank.
«Mensch, sieh dir das mal an!»
Koch sah die Sachen durch.
Nach zehn Minuten waren sie um einiges klüger. Mannhardt rief Owis Filiale an und erwischte noch die Reinemachefrau, die ihm die Privatnummer des Leiters heraussuchte. Nachdem der informiert war, versprach er, mit seinem Kassierer und dem zuständigen Sachbearbeiter zu telefonieren und dann zurückzurufen.
Schweigend warteten sie. Mannhardt rauchte, was er sonst nie tat, drei Zigaretten hintereinander.
Gegen 19 Uhr kam der Anruf des Bankmenschen, und alles war klar: Owi hatte nicht nur – unter Zinsverlust – seine Sparbücher aufgelöst, sondern auch sein Wertpapierdepot.
«Das müssen an die 60000 Mark gewesen sein», sagte Koch nach einer kurzen Addition.
Mannhardt nickte, wofür hätte Owi auch Geld ausgeben sollen? «Sehen wir mal, ob wir das Geld irgendwo finden.»
Sie suchten vier Stunden lang in Haus und Garten – vergeblich. Und da ein Dutzend Telefongespräche nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür ergaben, daß Ossianowski das Geld irgendeiner Privatperson oder Organisation, dem Roten Kreuz etwa, geschenkt hatte, blieb nur Mannhardts dunkle Ahnung:
«Er wird sich einen gekauft haben, der Kuhring, Zumpe, Brockmüller und die Lux unter Druck setzt…»
«Für 60000 Mark kriegt man schon einen guten Killer», murmelte Koch.
«Aber der spurt doch nicht, wenn er sein Geld hat und der Auftraggeber ist tot!»
«Kaum. Aber weiß er’s? Morgen steht’s in der Zeitung, ja. Aber vielleicht hat er ihn nie gesehen. Kennt den Namen Ossianowski nicht…»
Sie starrten sich an.