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P.S. Nachdem ich Ihnen, sehr verehrter Herr Kommissar, bislang so erschöpfend Auskunft über die Sie interessierenden Fragen gegeben habe, darf ich wohl auf Nachsicht hoffen, wenn ich erst in diesem Nachtrag auf einen strategisch äußerst bedeutsamen Umstand zu sprechen komme. Ich kann mir dieses Versäumnis nur mit meiner verständlichen Erregung erklären, die sich naturgemäß mit jeder verstreichenden Minute multipliziert. Schon immer fasziniert vom Sterben, darf ich es demnächst ganz intensiv erfahren, ja – genießen… Genießen auch, weil meinem Sterben als Konsequenz unausweichlich Tod und Untergang all derer folgt, die mich zum Monstrum machten.
Monstrum?
Ich erschrecke, da ich dieses Wort auf dem Papier sehe, denn es ist falsch. Welches Glück für alle Menschen, daß ich als Owi ende, als Owi Astowitz, und nicht als General und Führer. Aber könnte ich’s doch sein! Diese potenzierten Möglichkeiten…
Doch ich will mich nicht vergessen und weiterhin den kühlen Kopf bewahren – das heißt, ich will auch weiterhin den Blick auf Kuhrings böses Ende lenken. Hellseher bin ich nicht, nur Menschenkenner, und so weiß ich nicht präzis, auf welche Art der Mord geschehen wird… Brockmüller wird es an Einfällen nicht mangeln, dessen können Sie gewiß sein. Mein Wort wird wahr, eh mich der kühle Rasen deckt; und Ihre Pflicht ist es, dem Staatsanwalt Indizien an die Hand zu geben.
Mein Ziel ist nun, wie unschwer zu erraten, Brockmüller für den Rest seiner Tage in einer Zelle gut verwahrt zu wissen – und das kann mir nur gelingen, wenn Ihnen diese Aufzeichnungen, wie auch immer und durch wen auch immer, vor Augen kommen. Andernfalls wären Sie ja überzeugt, ich hätte Kuhring, verflucht sei sein Name, meuchlings ermordet…
Mein Problem besteht nun darin, daß ich Ihnen diese Blätter nicht mit der nächsten Post zugehen lassen kann – denn dann wäre weder Zeit genug für mich, den Zumpe und die Lux mittels der von mir erzeugten Angst um Gesundheit und Verstand zu bringen, noch für Brockmüller, den Kuhring zu töten. Und gerade das Letztere liegt mir am Herzen – weniger mit dem Gedanken an Kuhring, der von Natur aus böse ist, als mit dem Blick auf den promovierten Herrn, der alles wohl durchschaut, doch keine Hilfe schafft, sondern noch Öl ins Feuer gießt: Ihn als den intellektuellen Urheber aller Attacken gegen mich trifft zweifellos die größte Schuld!
So werde ich dieses Manuskript an einem bestimmten Ort verbergen und Ihnen auf höchst originelle Weise Mitteilung von diesem Versteck machen. Mein Zahnarzt, Herr Dr. Johannes Haupt, wohnhaft 1 Berlin 19, Heerstraße 192, weilt derzeit und noch zwei Wochen lang in Spanien, verfügt aber –bei seiner großen Klientel – über einen automatischen Anrufbeantworter, den er, wie ich zuverlässig weiß, erst bei seiner Rückkehr aus dem Süden abhören wird. Auf sein Band werde ich meine Mitteilung sprechen und ihn bitten, sofern er nicht durch die entsprechende Zeitungslektüre ohnehin alarmiert ist, Ihnen, Herr Kommissar, unverzüglich eine bestimmte Notiz zu übermitteln, aus der Sie unschwer das Versteck meiner eng beschriebenen Blätter erkennen werden.
Auf Wiedersehen also!
Ihr Owi
(Die Alkoholflecken auf der oberen Hälfte dieser Seite bitte ich höflichst zu entschuldigen!)