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15 Uhr 21.
Mannhardt hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt, gähnte und wickelte sich seine lang gewordenen Haare um den Zeigefinger. Er hatte keine Lust, zum Friseur zu gehen; immer dies dämliche Gequatsche. Und wenn man kein Trinkgeld gab, dann schnitten sie einem beim nächstenmal hinten Stufen rein… Wer gab denn ihm Trinkgeld?
Vielleicht konnte er sich ein paar Groschen nebenbei verdienen, wenn er ein Buch über das Owi-Prinzip verfaßte. Endlich mal ‘ne Idee, wie man das Parkinsonsche Gesetz widerlegen konnte, demzufolge sich ja die Kissenpuper aller Sparten unaufhaltsam vermehrten. Beim letzten Fortbildungslehrgang hatte er’s vor der abschließenden Klausur auswendig gelernt: 1. Jeder Beamte oder Angestellte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen, zu vergrößern, und 2. Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit. Hm… Wenn jeder Bürohengst, wie Owi das vorhatte, vier seiner Kollegen erledigte, dann schrumpften die Schreibtischarbeiter in Deutschland im Nu auf eine Größe zusammen, von der die Organisationsfachleute nicht mal zu träumen wagten. Andererseits… Er wäre gerade für ihn etwas kurzsichtig gewesen, das Owi-Prinzip zu propagieren – schließlich war er selber Beamter im gehobenen Dienst… Wie gehoben, merkte er, als Dr. Weber ihn anrief.
«Sagen Sie bloß, Sie haben den Mann immer noch nicht, der Brockmüller an die Leitplanke geleitet hat?»
«Nein, aber… Wir… Also, es läuft.»
«Wo?»
«Na, alles…»
«Wie – alles?»
«Die Fahndung!» Mann, o Mann! «Olscha hatte sich noch die Nummer gemerkt, auf der Avus… Der Wagen gehört einem Dr. Wendt, Facharzt für Innereien und so. War aber geklaut.»
«Innereien und so…?»
Mannhardt war nahe daran, eine patzige Antwort zu geben; der Torfkopp konnte auch nur über seine eigenen Witze lachen. «Für Inneres… Stand in der Kantstraße, die Karre. Keine Fingerabdrücke. Jetzt gehen wir alle EUROMAG-Stellen durch, in denen Ossianowski mal gearbeitet hat – vielleicht ergibt sich da eine Verbindung. Koch überprüft noch die Kunden, die… Also, mit denen es Ossianowski zu tun gehabt hat, als er in der Vertriebsabteilung war. Da waren sicher bei den Lagerarbeitern Kriminelle bei und so…» Und so – verdammt!
«Geradezu genial, was ihr da macht… An Ihrer Killer-Theorie könnte schon was dran sein. Klingt zwar ziemlich irrwitzig, aber… Auf alle Fälle müssen wir so tun, als ob was dran sei – der Optik wegen. Ja, dieser Owi! Wie sagte doch schon Kennedy: O schimpfliche Gewalt, die wir erleiden!»
«John F. Kennedy…?»
«Nee, Hanna Kennedy, Amme der Königin von Schottland. Maria Stuart, 1. Aufzug, 1. Auftritt. Mein Sohn nimmt’s gerade in der Schule durch.»
Es entstand eine Pause. Dann sagte Mannhardt verwirrt: «Wir halten Sie auch auf dem laufenden, Herr Doktor.»
«Das ist lieb von euch, wirklich!»
Klick.
«Blödes Schwein!» knurrte Mannhardt. Der kam sich mit seinen zehn Semestern Jura vor wie ‘ne Kreuzung von Einstein und Napoleon. Scheiße! Mannhardt fegte die Akten vom Schreibtisch. Einmal keinen Vorgesetzten haben – einmal nur!
Er zog die Schublade auf, um bei Fontane Trost zu finden, da schellte das Telefon.
Noch mal Weber? Bloß nicht… «Mannhardt; ja?»
«Ich hätte gerne mal Herrn Kriminal Obermeister Koch gesprochen…»
Ein Sachse auch noch, oder einer aus Thüringen… «Der ist zur Zeit leider außer Haus.» Blöder Ausdruck!
«Was ißt er denn?»
«Wie…?» Ein Irrer.
«Oh, pardon, Herr Oberkommissar – mir fällt gerade ein: ich bin ja selber der Koch.»
«Idiot!» Wenn dieser Blödmann doch endlich seine kindischen Scherze lassen würde! «Was gibt’s denn?»
«Ich stecke gerade bei der EUROMAG: Haus- und Grundstücksverwaltung – und zwar beim… beim Sachbearbeiter für firmeneigene Sportstätten und Gärten.»
«Was denn: Reinhard Mey? Der Mörder ist immer der Gärtner?»
Koch lachte. «Mensch, du wirst ja immer scharfsinniger, das ist direkt beängstigend. Vermach dein Gehirn sicherheitshalber gleich der Universitätsklinik.»
«Was ist denn nun?»
«Der Owi hat hier in den Jahren 62 bis 64 gewirkt, und zwar als popliger Sachbearbeiter.»
«Und?»
«Ich hab mir mal die Kollegen angesehen, die seinerzeit mit ihm zusammengearbeitet haben… Fehlanzeige.»
«Was rufst du denn da an!» Simpel!
«Allerdings hatten sie da einen Arbeiter für die Grünflächen auf dem Gelände des Apparatewerkes Lichterfelde, der war damals siebzehn, müßte also heute Ende Zwanzig sein; ein gewisser Volker Schloo… Schule, Ludwig, zwomal Otto – Schloo, ja; Volker… Ich hab in der Kartei nachsehen lassen: neun Vorstrafen – meist Autodiebstähle, aber auch ein Einbruch und ‘ne schwere Körperverletzung. Tendenz: steigend.»
«Hört sich ganz gut an.» Mannhardt rutschte mit seinem Stuhl an den Schreibtisch heran und versenkte Frau Jenny Treibel im Schubfach. «Geht man von der vagen Beschreibung aus, die wir von Brockmüller und von Olscha haben, könnte’s altersmäßig hinkommen. Aber ich hab doch nichts in der Hand, um dem Kerl nachzuweisen, daß er den Wagen geklaut hat…»
«Laß dir was einfallen – tricky sein ist heutzutage alles.»
Mannhardt schnaufte verächtlich. «Soll ich bei ihm in der Wohnung ‘n Kamm mitgehn lassen und dann behaupten, wir hätten ihn im Wagen gefunden?»
«Also, erstens wird er keinen Kamm mit’m Monogramm drauf rumliegen haben – zweitens fällt auf so was doch kein Profi mehr rein.»
«Eben. Und außerdem ist es verdammt riskant, drittens. Und wenn er ‘n Alibi hat, zum Beispiel, dann fallen wir viertens auf den Bauch, daß es knallt.»
«Ja, wenn du was Besseres weißt…» Koch war beleidigt.
«Wart mal…» Mannhardt dachte nach. Er hatte plötzlich eine Idee. Auch ein bißchen außerhalb der Legalität, aber…
Koch hörte aufmerksam zu.
«Na?»
«Okay!»
«Dann sag mir nur noch die Adresse.»
«Kreuzberg, Manteuffelstraße 36 – Volker Schloo…»
«Vergelt’s Gott!» Mannhardt legte auf.
Er verließ sein Büro und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Während der Fahrt erfreute er sich wie jedesmal am Punkt 6c der Aufzugsverordnung vom 8. September 1926: Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, in denen das Mitfahren von Personen verboten ist.
Dann saß er in seinem Kadett und fuhr die Kurfürstenstraße hinunter. Ein neues Hotel neben dem anderen. Und wohl alle voller Gäste, na, jedenfalls zu fünfzig Prozent, schätzte er.
Und Kreuzberg dagegen: Mietskasernen von Siebzigeinundsiebzig, Wracks, ein Hotel ‹Slum› neben dem anderen, extra reserviert für unsere türkischen Freunde, die was fürs deutsche Bruttosozialprodukt tun durften… Die Prospekte hatten schon recht, Berlin war ‘ne Weltstadt; nun gab’s sogar schon ein Harlem an der Spree.
Mannhardt fand in der Naunynstraße einen Parkplatz und stieg aus. Ein paar türkische Kinder, sieben, acht vielleicht, bestaunten ihn. Ganz putzige Kerlchen. Er hätte gern was auf türkisch zu ihnen gesagt, doch er wußte nicht mal, was ‹Guten Tag› hieß. Sicherlich was mit zehn Ü’s drin… Weiter!
Manteuffelstraße 36. Ein gewaltig hoher Hausflur, in dem’s nach Pisse stank. Proletarier aller Länder verunreinigt euch! Auf dem Klingelbrett Namen: Rodriguez, Stromattias, Cebec und Kütschük, letzterer vom Hauswirt wohl schon eingedeutscht, aber auch noch andere, die nach Ostpreußen, Schlesien oder Pommern klangen: Buttgereit, Wieczorek, Sorau. Und tatsächlich, Vorderhaus, III. Stock, rechts: Schloo.
Mannhardt stieg hinauf. Knarrendes, so weit abgetretenes Holz, daß die Stufen konkave Formen angenommen hatten. Von den Wänden blätterte die Farbe, ehemals Schweinfurter Grün. Als Kind hatte er immer Schweinfuttergrün verstanden. Sein Vater hatte seine Zäune damit bepinseln lassen.
Als er oben war, schnaufte er. Das war nichts für ‘n Mann aus’m Einfamilienhaus, der zudem auf dem Weg ins Büro Fahrstuhl fuhr… Er stellte sich vor, wie es wäre, hier eine Wohnung zu haben, Arbeitslosenunterstützung (Stütze) zu beziehen und für den Rest seines Lebens so dahinzugammeln – ohne Vorgesetzte, Leichen, Familienfeiern, Hypotheken und Heuchelei, wenn sein Schwiegervater auftauchte, der SS-Scharführer außer Diensten… Nur noch Träume, ein bißchen Wehmut und ziemlich viel Wermut… Zu seiner Verwunderung fand er die Vorstellung ganz reizvoll.
Er riß sich zusammen.
Schloo wohnte mit den Herren Dieter Spindler und H.-J. Haller zusammen; die drei zerkratzten Briefkästen mit den Namensschildern an den rostbraunen Türen bewiesen es. Sie standen offen, unten gab’s ja, welcher Fortschritt, Hausbriefkästen, und die Kinder hatten allerlei Mist hineingeworfen.
Bei V. Schloo mußte man dreimal klingeln, und Mannhardt tat es.
Der Mann, der wenige Sekunden später in der leicht geöffneten Tür erschien, war der gleiche Typ wie sein Drogist draußen in Hermsdorf. Untersetzt, ein ovales Gesicht, eine Halbglatze mit schwarzem Kräuselhaar ringsum und offenbar unheimlich ölig. Der Sohn konnte’s kaum sein, der Drogist hieß Kindermann und war erst Mitte Dreißig. Ein ekliger Bursche. Der Kindermann. Jeder Hausfrau zwischen zwanzig und vierzig machte er das, was gute Bürger unsittliche Anträge nennen, und vielen gefiele, aber Lilo hatte ein bißchen Angst vor ihm, und so mußte Mannhardt die einschlägigen Einkäufe in seiner kärglichen Freizeit erledigen… Pech für Schloo, daß er diesem Hermsdorfer Drogisten zum Verwechseln ähnlich sah.
Er war im ockerfarbenen Unterhemd und knöpfte seine fliederfarbenen Jeans vollends zu. Offenbar hatte Mannhardt ihn geweckt, und ebenso offenbar hatte er auch einen anderen erwartet.
«Was gibt’s denn?» Ölig. Schleimig. Aalglatt. Mannhardt hätte sich am liebsten geschüttelt.
«Herr Schloo…?»
«Ja…»
«Mannhardt, Kriminalpolizei… Bitte!» Der Dienstausweis.
Schloos bronzefarbene Stirn hatte sekundenlang den Farbton einer eingelegten Olive. Aber schon funktionierte er wieder. «Darf ich bitten…?» Es klang nach Kellner.
Mannhardt kam in einen Flur, wo es roch wie in einer Brikettfabrik. Tatsächlich waren hinten an der Toilettentür Braunkohlen gestapelt. Die drei schwarzen Zähler hingen unverkleidet an der Wand, Kabelstränge verzweigten sich. Ein verrostetes Fahrrad lag auf dem Boden. Wahrscheinlich frisch vom Sperrmüll.
Um so überraschter war Mannhardt, als er Schloos Zimmer zu sehen bekam. Fast wie eine Schaufensterdekoration im KaDeWe, abgesehen von der verblichenen Tapete an der Wand. Aber ‘ne neue Couchgarnitur, Leder, ein Farbfernseher und eine bombastische Schrankwand, Palisander.
«Wollen Sie bitte Platz nehmen…» Jetzt klang es eher nach Massagesalon. Rufen Sie 742 81312 an – und Gaby, Susy und Madeleine erwarten Sie zur Wunschmassage, auch französisch oder streng. Ob der was mit so ‘nem Schuppen zu tun hatte?
«Sie wünschen, Herr Mannhardt?» Schloo zündete sich ein Zigarillo an.
Mannhardt streckte sich aus. Schloos Selbstsicherheit verwirrte ihn. Wenn der wirklich aus solchen Quellen Geld bekam, was brauchte er da Autos zu klauen? Er wußte nicht so recht, wie er anfangen sollte.
«Sie wohnen zwar nicht gerade in Dahlem, Herr Schloo, und ‘ne Villa ist dieser Kasten hier weiß Gott nicht, aber darf man mal fragen, wie Sie zu diesen Dingen hier gekommen sind?» Mannhardt machte mit der rechten Hand eine schwingende Bewegung, wie ein Diskuswerfer, der ausholt.
«Ich habe in der letzten Zeit viel gearbeitet. In Bars, als Statist beim Theater…»
Mannhardt flüchtete sich in Albernheiten. «Schloos Park-Theater wohl?»
«Nicht im Schloßparktheater. Im Schiller-Theater.»
«Tüchtig, tüchtig.» Mannhardt verfluchte sich. Er kam sich vor wie ein Ringer, der schon zweimal wegen Passivität verwarnt worden ist, aber keinen Griff beim Gegner landen kann. Da glitt alles ab. Blieb nur, mit der Tür ins Haus zu fallen.
«Und warum klauen Sie Autos, Herr Schloo?»
«Ich…?» Schloo lachte gurrend. «Ich bitte Sie!»
«Ich meine den Peugeot mit der Nummer B – AV 2941, der einem Dr. Alfred Wendt gehörte und seit kurzem auch wieder gehört. Inzwischen war er mal kurz ausgeliehen und dann in der Kantstraße abgestellt worden. Von Ihnen! Nachdem Sie vorher auf der Avus einen gewissen Dr. Brockmüller und seine Sekretärin an die Leitplanke gedrückt haben.»
Schloo blieb gelassen und lächelte. Er lächelte lieb. «Daß das passiert ist, habe ich in der Zeitung gelesen – natürlich. Der Fall Ossianowski. Aber wie sind Sie da auf mich gekommen – ausgerechnet?»
«Weil Sie vor etwa zehn Jahren mit Herrn Ossianowski bei der EUROMAG zusammengearbeitet haben.»
«Ach – Sie denken wohl, ich bin der sogenannte Killer, den er sich gekauft haben soll?» Schloo prustete los. «Ich bitte Sie, Herr Kommissar!»
«Waren sie Kollegen oder nicht?»
«Klar – war’n wir. Damals habe ich da draußen in Lichterfelde Blätter zusammengeharkt, den Rasen gemäht, die Rosen beschnitten und die Wege gesäubert – und Herr Ossianowski war doch wohl kaufmännischer Angestellter, oder? Die Herren haben sich einen Dreck um uns gekümmert.»
«Sie kennen ihn also nicht?»
«Ich kann mich wirklich nicht erinnern…»
Mannhardt wurde wütend. «Mensch, einen Typ wie Owi vergißt man doch nicht: klein, verwachsen, rothaarig – ein Gesicht wie ein Koala-Bär… So ein Exemplar ist doch unvergeßlich!»
«Tut mir leid – ich hab in den zehn Jahren Tausende von Menschen kennengelernt…»
«In Tegel, was?» bellte Mannhardt.
«Da auch», entgegnete Schloo mit unverminderter Freundlichkeit. Er benahm sich noch immer wie ein Versicherungsvertreter, der jemand eine Police aufschwatzen will. «Aber die Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei. Heute bin ich Geschäftsführer einer Bar, in der ich auch des öfteren Ihre Vorgesetzten begrüßen darf…»
Nun pokert er auch noch! Mannhardt verspürte das Verlangen, ihm rechts und links ein paar runterzuhauen. Es war immer schmerzlich, wenn man für einen Idioten gehalten wurde. Noch dazu von einem solchen Schleimer wie Schloo. Aber, zum Teufel – er hatte nicht den kleinsten Trumpf in der Hand!
Schloo sah auf seine Armbanduhr, ein teures Ding. «Ich erwarte noch Besuch, Herr Mannhardt.»
«Ach ja?»
«Bitte legen Sie Beweise auf den Tisch, oder lassen Sie mich in Ruhe! Was soll das Ganze überhaupt?»
Es klingelte.
«Da ist der Besuch schon», sagte Mannhardt.
Schloo zögerte offenbar zu öffnen. Aber es schrillte weiter.
«Soll ich Ihren Besuch in Empfang nehmen?» fragte Mannhardt lauernd.
«Nein, ich gehe schon.»
Na endlich, dachte Mannhardt.
Kaum war Schloo draußen, da begann er auch schon, die ersten Schubladen herauszuziehen, die ersten Türen an der Schrankwand zu öffnen. Zugleich konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er draußen Kochs Stimme hörte:
«Guten Tag, Herr Schloo. Mein Name ist Bartel – ich bin der neue Hausbesitzer. Hier – der Kaufvertrag, den ich gestern mit Herrn Hambach abgeschlossen habe…»
«Und was wollen Sie hier?»
«Nach Paragraph 15 des Mietvertrages steht mir das Recht zu…»
Mannhardt hörte nicht mehr hin, denn inzwischen hatte er gefunden, was er suchte. Die zurückgeklappte Schreibtischplatte gab den Blick frei auf einen 38er Smith & Wesson, ein Bündel von Hundert-Mark-Scheinen und einen Shell-Atlas, in dem gestempelt stand:
Dr. med. Alfred Wendt Facharzt für Inneres
1 Berlin 31 Babelsberger Straße 10a
Die Hundert-Mark-Scheine waren sämtlich, und das war das Verblüffende daran, in der Diagonalen durchgerissen, mal so, mal so, jedenfalls sehr einfallsreich und in allen möglichen Variationen. Genaugenommen besaß Schloo also nur halbe Hundert-Mark-Scheine, wenn auch haufenweise, aber jede Hälfte war für sich allein so ziemlich wertlos. Ein uralter Trick… Mannhardt drückte die Klappe wieder zu und setzte sich, denn nun kam Schloo mit Koch ins Zimmer zurück.
Koch erzählte etwas von einer Gasheizung, die jede Etage erhalten sollte: «Bis das Haus hier der Sanierung zum Opfer fällt, möchte ich für meine Mieter menschenwürdige Verhältnisse schaffen.»
Wie edel! Mannhardt hätte fast losgelacht. Ausgerechnet Koch, der ansonsten der Prototyp des Unpolitischen war. Aber er spielte die Rolle ausgezeichnet.
«Ich habe gerade einen Sportfreund hier», sagte Schloo und zwinkerte Mannhardt zu. «Herr Müller, unser Kassierer.»
Mannhardt stand auf und reichte Koch die Hand. «Sehr angenehm…»
Das hieß also, daß Schloo dem guten Koch den Hauswirt abnahm und nun Angst hatte, der würde ihn auf die Straße setzen, wenn er erfuhr, daß Mannhardt von der Kripo war.
Sie hatten ein, zwei Sekunden Zeit. Koch sah Mannhardt fragend an. Mannhardt nickte unmerklich und fühlte, daß Koch ihm eine Fotografie zuschob. Er ließ sie in der rechten Jackettasche verschwinden.
Es war ihm so ziemlich klar, was darauf zu sehen war. Schloo schien nichts gemerkt zu haben.
Mannhardt trat ans Fenster – so als wollte er den Dialog zwischen Schloo und seinem Hausbesitzer nicht stören. Mit dem Rücken zu den beiden Männern gewandt, zog er die Fotografie aus der Tasche. Während Koch etwas von baldiger Renovierung und von Thermopenfenstern faselte, erkannte er, daß die Aufnahme bei einem Betriebsausflug entstanden war – die Lieper Bucht offenbar. Keine zwei Meter von Ossianowski entfernt stand Schloo… Er wandte sich um und zeigte Schloo die Fotografie:
«Erinnern Sie sich jetzt?»
Schloo war einen Augenblick lang verwirrt – eben hatte dieser Oberkommissar noch mitgespielt und jetzt… Da zündete es bei ihm.
«Ihr Scheißbullen!»
Er wollte zur Tür sprinten, aber Koch stellte ihm ein Bein. Und dann stand Mannhardt mit entsicherter Waffe über ihm.
«Sie wissen selber am besten, Herr Schloo, was bei Ihnen da im Schreibfach liegt…» Er hatte ein schlechtes Gefühl, als er Schloo jetzt hilflos vor sich liegen sah. Für diesen Dschungelkampf war er nicht geboren… Fair war’s nicht. Ohne den Trick mit Koch als Hauswirt hätten sie Schloo nie gekriegt; kein Untersuchungsrichter hätte da einen Haussuchungsbefehl ausgestellt. Nun hatten sie Schloo, und Dr. Weber würde sie decken.
«Sie sind vorläufig festgenommen, Herr Schloo!»
Schloo stand auf. «Ach, leckt mich doch am Arsch!»