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Der starke Motor heulte auf. Ich sah zur Seite. Der große Kombi kam so schnell auf mich zu, daß es aussah, als stünde er still. Wie ein Raubvogel, der in der Luft stillsteht, bevor er auf die Beute herabstürzt, so schien er über dem Asphalt zu schweben. Eine lange, eisige Sekunde sah ich vage die beiden Gesichter hinter der Windschutzscheibe.

Es war keine Zeit mehr umzukehren. In einer Reflexbewegung warf ich mich nach vorn, und der schwere Wagen strich an mir vorbei, so nah, daß er meine Waden berührte. In dem Moment, als er vorbeifuhr, ertönte ein häßliches Quietschen der Bremsen. Über die Schulter sah ich das breite, weiße Gesicht von einem von Ole Johnnys Pinguinen, als er sich umdrehte, um zu sehen, was mit mir passiert war. Der Mann hinterm Steuer legte den Rückwärtsgang ein und peilte durch den Rückspiegel.

Ich lief, nahm Anlauf und sprang über den flachen Zaun vor mir. Ich lief über die unebene Rasenfläche. Hinter mir sah ich, daß der Wagen gestoppt hatte. Der eine der beiden stieg aus. Ich warf einen suchenden Blick am Hochhaus hinauf, aber es war unmöglich zu sehen, ob dort jemand Zeuge des Geschehens war.

Ich lief auf die Eisenzeitsiedlung zu. Der Abhang ließ mich schneller laufen. Ich warf noch einen Blick zurück. Er war hundert Meter hinter mir. Er lief geduckt und schwerfällig, aber kraftvoll wie ein Büffel. Ich war froh, daß es nicht eine ganze Herde war. Einer war mehr als genug. Ich hörte den Automotor wieder heulen. Der andere wollte offensichtlich versuchen, mir den Weg abzuschneiden.

Ich hatte jetzt die flachen Häuser der Eisenzeitsiedlung erreicht, sprang über eine Steinmauer und war auf der Straße. Der Mann hinter mir war noch immer auf hundert Meter Abstand. Ich lief weiter die Straße entlang. Ganz oben am Berg ertönte ein Motorengeräusch. Ich sah mich um, um zu sehen, ob es der große Kombi war, aber es war ein kleinerer Wagen, ein blaugrüner Mazda.

Der Mann hinter mir war jetzt auch auf der Straße. Der Mazda scherte nach links aus, um ihn zu überholen. Als der kleine Wagen mich fast erreicht hatte, lief ich in die Mitte der Fahrbahn und winkte mit den Armen. Der Fahrer guckte bestürzt drein, stieg auf die Bremse und ließ gleichzeitig den Wagen wieder auf die linke Fahrbahn hinüberschießen. Ich glitt an seiner Kühlerhaube entlang und riß die Tür auf. »Tut mir leid –, aber ich werd verfolgt.«

Ein Mann mit rotbraunem Haar, großer Nase und starker Brille lehnte sich wütend zur Seite und schnauzte mich an: »Was fällt dir ein, Mann? Mensch, ich hätt dich umbringen können!«

Ich atmete schwer. Der Mann hinter uns kam näher und näher. »Laß mich mitfahrn«, keuchte ich. »Es ist – es ist – der KGB!«

Das Gesicht vor mir leuchtete auf. »Mensch, echt? Los, komm!«

Ich sprang hinein. Er trat das Gaspedal durch. Ich sah mich um. Er war jetzt direkt hinter dem Wagen. Er streckte den einen Arm aus, als wolle er den Wagen zurückhalten, und es sah aus, als würde er es schaffen. Aber der Mazda machte einen Satz nach vorn, mit einem häßlichen Gruß aus dem Getriebe. Noch immer sah ich nichts von dem anderen Wagen.

Der Mann hinter dem Steuer beugte sich zur Windschutzscheibe. »Hör zu, wie weit willst du? Ich unterrichte unten an der Distriktshochschule, und ich hab eine Vorlesung, in einer halben Stunde.« Er war Anfang Dreißig, und ich hatte Schwierigkeiten, seinen Dialekt zuzuordnen, bis mir aufging, daß es eine Art Nynorsk mit bergenser Tonfall war.

»Woher kommst du?«

»Hörst du das nicht? Ich bin aus Stend – und aus Bergen. Aber …«

»Fahr einfach, aber nimm ein paar Seitenstraßen, fahr ein bißchen unlogisch. Die, die mich verfolgen, haben auch einen Wagen. Ich muß ins Zentrum, aber wenn du mich zu einem Taxistand fahren könntest, dann …«

»Scheiß drauf! Ich fahr dich hin. Halt dich fest!« Er riß das Steuer herum, und wir schlitterten durch eine Rechtskurve und dann weiter in Richtung Norden hinaus. »Wenn es wirklich der KGB ist, dann …«

»Was sollte ich sagen, in der Eile? Es sind Schläger aus einem Verbrecherlokal in der Stadt, ich bin …«

»Das genügt. Je weniger ich weiß, desto weniger kann mir passieren.«

Ich blickte noch immer zurück. Wir fuhren kreuz und quer in Richtung Stadt. Zum Schluß hatte ich kaum noch eine Ahnung, wo wir waren. Der Kombi war nicht zu sehen. Wir mußten ihn abgeschüttelt haben.

Erst jetzt hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was passiert war. Woher hatten sie gewußt, wo ich war? Hatten sie mich beschattet? Konnte es eine Verbindung geben zwischen Ole Johnny und Elsa?

Ich hatte einen Geschmack von Blut im Mund. Der Schweiß auf meinem Körper trocknete langsam, und ich begann zu frieren.

Es mußte Ole Johnny oder einer von seinen Leuten gewesen sein, der mich am Tag vorher angerufen und mir gedroht hatte. Wußten sie wirklich, wer Arne Samuelsen war? Wußten sie, wer die Frau im Kühlschrank war? Fragen türmten sich auf. Und was war mit Carl B. Jonsson? Oder Vivi Anderson? Hatte sie etwas mit der Sache zu tun?

Ich sollte nichts mehr mit der Sache zu tun haben, aber jemand hatte mich eingeschlossen, jemand hatte mir am Telefon gedroht – und jemand hatte versucht, mich zu überfahren. Es wurde nicht gerade angenehmer. Ich hatte irgend jemandem einige Fragen zu stellen, und die einzige, von der ich mir vorstellen konnte, daß sie vielleicht auf einige davon würde antworten können, gerade jetzt, war – Laura Lüstgen.

Ich wandte mich zum Fahrer, gab ihm Lauras Adresse und fragte, ob er mich in der Nähe davon absetzen könnte. Er nickte. Wir waren jetzt im Zentrum. Wir passierten Rogaland Teater zur Rechten. Der neue große Bühnenturm war wie ein Betonbuckel aus dem Theater gewachsen. Das Gebäude war ein für allemal verschandelt.

Vor uns glitzerte Breiavatnet, und die nackten Baumkronen dahinter griffen mit Geisterhänden nach der berühmten Leuchtreklame: Jesus – Licht der Welt.

»Ich muß zurück zur Schule.«

»Ist in Ordnung. Das letzte Stück schaff ich allein. Und vielen Dank – ich mein das wirklich. Du hast …«

»Ist schon gut.« Er lächelte breit. »Und viel Glück – mit dem KGB.« Er winkte kurz und lenkte den Wagen wieder von der Bordsteinkante auf die Straße.

Ich blieb auf dem Gehsteig stehen, direkt vor einem großen Schulhof. Ich sah mich nervös um. Es schien ein ganz gewöhnlicher Donnerstagmorgen zu sein. Unten auf dem Torg herrschte reges Treiben, und Alexander Kielland stand mit dem Rücken zu mir und hielt vergebens nach den alten Segelschiffen Ausschau. Das einzige, was er sah, war die Statfjord-B-Plattform.

Kein großer Wagen steuerte auf mich zu. Niemand kam mir mit schweren Schritten entgegengelaufen. Der Wind kam kalt und scharf vom Fjord herein und ließ mein Haar flattern. Ich beugte den Nacken und ging über die Straße.

Im Schutz der hohen Blocks im Zentrum erreichte ich die kleine Seitenstraße und das alte Gebäude, in dem Laura Lüstgen wohnte.

Drinnen im Hof hatte noch niemand das alte Lastwagenwrack weggeräumt. Ich starrte es mißtrauisch an, als könnte es plötzlich zu brüllen anfangen oder mir tanzend entgegenkommen. Der letzte Tag hatte mich nervös gemacht. Ich sah mich um und lehnte mich gegen die ungestrichene Eingangstür.

Sie öffnete sich ein kleines Stück. Dann stieß sie gegen etwas. Ich stutzte. Dann stemmte ich die Schulter wieder gegen die Tür und preßte sie nach innen. Sie gab nach, aber nicht viel. Da war etwas, das von der Innenseite dagegendrückte. Etwas, das nicht hart und massiv war, sondern weich und nachgiebig.

Die Öffnung war groß genug, so daß ich die untersten Treppenstufen erkennen konnte.

Noch einmal sah ich mich um. Die gestreifte Katze lag auf ihrem Platz unter dem Lastwagen. Sie folgte meinem Tun mit starrem Blick. Katzen hatten mich schon immer nervös gemacht. Ich kehrte ihr den Rücken zu, schob die Tür noch ein paar Zentimeter weiter auf, preßte die Schulter durch die Öffnung und steckte meinen Kopf ins Treppenhaus.

Laura Lüstgen lag vor der Tür. Sie war spärlich bekleidet, nur mit dem rosa Unterrock, den ich am Tag zuvor an ihr gesehen hatte. Sie lag ganz unten an der Treppe, mit einem unnatürlichen Knick im Nacken. Der Unterrock hatte sich um ihre Taille herum aufgerollt. Das struppige blonde Haar stand in alle Richtungen, und mitten am Hinterkopf hatte sie eine dunkle Krone, fast wie ein Geburtsmal.

Als ich mich hinunterbeugte, um im Nacken nach ihrem Puls zu tasten, spürte ich, daß sie kalt war wie Eis.