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Das Babyphone mit seinen blauen Einfassungen und den säuglingsgerecht abgerundeten Ecken sollte eine beruhigende Wirkung ausüben. Seine roten Lichter – es hatte fünf, wie der Equalizer einer altmodischen Stereoanlage – sollten den gegenteiligen Effekt erzielen. Ein aufglühender Notruf in knalligem Rot, der Farbe, die von Mensch und Natur mit der Bedeutung von Feuer, Gefahr, Blut belegt war.

Das unterste Licht flackerte kurz auf, dann leuchtete es konstant und warf einen dunkelroten Schein über Mikes Gesicht. Eine Leuchte war normalerweise gleichbedeutend mit Funkstörungen. Die Farbe entsprach genau der Farbe der Ziffern auf dem Wecker, der jetzt 3.15 Uhr zeigte. Annabel schlief tief und fest, ihr Atem war nur ein schwaches Pfeifen.

Jetzt gesellte sich die zweite Leuchte zu ihrem Kameraden, ließ die Orgelpfeifen aufsteigen und verlieh dem Alarm ein wenig mehr Gewicht und Bedeutung. Mike drehte die Lautstärke mit dem Daumen hoch, bis er das statische Rauschen hörte. War das die Klimaanlage in Kats Zimmer, die da gerade ansprang? Als er das letzte Mal nach ihr gesehen hatte, hatte sie regungslos unter ihrer Decke gelegen, neben sich den ebenfalls zugedeckten Eisbären, mit dem sie das Kissen teilte.

Ein gedämpfter Lufthauch kam aus dem Babyphone, wie das Ausatmen eines Drachens.

Dann hörte man eine Stimme, schwach wie ein Flüstern: Sie sieht so friedlich aus, wenn sie schläft.

Mike erstarrte. Seine Gedanken drehten sich wie wild im Kreis, suchten irgendeinen festen Halt in der Wirklichkeit. Träumte er das gerade?

Doch dann hörte er es wieder, die wie an den Rändern ausgefranste Stimme: Wie ein Engel.

Er schoss hoch, warf die Decke zurück. Annabel schrie auf. Er rannte den Flur entlang, seine Füße hämmerten auf die Dielen, er hörte noch, wie seine Frau ihm irgendetwas hinterherrief. Er schlidderte durch Kats Tür, spannte jeden Muskel in Kampfbereitschaft an, bemühte sich, trotz der Dunkelheit den Raum mit einem Blick zu erfassen.

Nichts.

Er schlug auf den Lichtschalter.

Kat schlief so friedlich wie vorhin, als er das Zimmer verlassen hatte.

Annabel war ihm nachgelaufen und stand jetzt hinter ihm. Sie keuchte. »Was ist? Was ist los?« Sie flüsterte heiser, was völlig unnötig war, denn wenn Kat so tief schlief, hätte sie nicht mal ein Presslufthammer wecken können.

»Ich dachte, ich hätte eine Stimme gehört.«

»Und was soll die gesagt haben?« Sie drückte mit dem Handballen auf den Lichtschalter und das Zimmer wurde wieder dunkel. »Was hat sie gesagt?«

Er kniff die Augen zusammen. Das Glühen der Deckenlampe hing immer noch in der Dunkelheit. Er hörte die Grillen am Bach zirpen, der hinter ihrem Grundstück verlief. Annabel strich ihm über den Rücken.

»Ich dachte, sie hat gesagt …« Er zitterte jetzt. Nachdem seine Wut verraucht war, blieb nur noch Adrenalin und vages Grauen. Er fühlte jeden einzelnen seiner Muskeln, angespannt und bärenstark.

»Was denn, Schatz?«

»›Sie sieht so friedlich aus, wenn sie schläft.‹« Als er die Worte wiederholte, kehrte die Energie in ihn zurück, und die Sache schien ihm gleich wieder realer.

»Du hattest in letzter Zeit viel Stress.« Annabel legte ihm eine Hand auf die Wange. Auf ihrem Gesicht las er Liebe und – jedenfalls befürchtete er das – Mitleid. Trotz seiner Verlegenheit gehorchte er dem Drang, den Vorhang zurückzuziehen und das Fenster zu kontrollieren. Es war geschlossen.

»Was willst du …«, sagte Annabel.

Er bildete mit den Händen eine Taucherbrille und spähte durch die Scheibe in den dunklen Garten. »Das Fenster rastet von selbst wieder ein, es könnte also durchaus jemand hier rausgeschlüpft sein und es einfach wieder hinter sich runtergezogen haben.« Er fühlte geradezu das Gewicht von Annabels Blick, der auf ihm ruhte. »Ich will damit ja bloß sagen, dass es möglich wäre. Sie hätten hier drin sein und mir durchs Babyphone etwas zuflüstern können.«

»Mike«, sagte sie, »wer sollte denn ein Interesse daran haben, so etwas zu tun?«