Das technische Zeitalter
Ein Messebesuch ist schon an und für sich eine nicht unerhebliche’ Strapaze, denn man hat da so viel zu sehen, daß man nach einer Weile glaubt, man hätte sich bei dieser Anstrengung die Beine gebrochen. Ein Messebesuch mit Carlotta ist jedoch ein schlechthin beängstigendes Unternehmen, und das nicht deshalb, weil sie eines von jenen albernen Kindern ist, die unaufhörlich Getränke und Süßigkeiten haben wollen oder die wimmern, weil sie müde sind. Carlotta trägt ihre wenigen Jahre mit wahrhaft bewundernswerter Würde und verrät vor einer Auslage mit Leckereien keinerlei Erregung. Alkoholika würdigt sie zwar, sie hat sogar eine starke Vorliebe für Branntwein und alten Kognak und weiß sich zu Hause geschickt den Moment zunutze zu machen, wenn man die Gäste zur Tür begleitet, um alle unbewacht gebliebenen Gläser eifrigst hinunterzugießen, aber außer Haus kann sie sich wunderbar beherrschen.
Der Jammer ist, daß Carlotta eine ausgeprägte Leidenschaft für Schwermechanik hat. So konnte ich nicht umhin, mit ihr die Fiat-Sonderschau „Großmotoren“ zu besuchen, und bewarb mich zu diesem Zweck beim Präsidium der Fiat um eine Sonderschaugenehmigung. Kaum sieht Carlotta irgendein metallenes Ding, das höher ist als zwei Meter, bleibt sie stehen und zieht Erkundigungen ein. „Was ist das?“
„Ein Dieselmotor.“
„Warum?“
Da haben wir’s! Das ist der Jammer!
Warum ist ein Dieselmotor ein Dieselmotor?
Kaum hat man aber das furchtbare „Warum“ überwunden, geht es weiter:
„Wie heißt er?“
„Wer ist sein Vater?“
„Wo wohnt er?“
„Ist es schlimm?“
Carlotta will alles über eine Maschine wissen, auch ob sie schreiben und lesen kann, ob sie Geschwister hat. Sie ist noch nicht so weit gekommen, von mir Informationen über den Lebenswandel einer Maschine zu verlangen, aber vor einer Futterpresse erkundigte sie sich: „Ist sie eine Kommunistin?“
Dies veranlaßte Margherita, einzuschreiten und ihr das Wort abzuschneiden: „Genug! Kinder sollen sich nicht mit Politik befassen!“
Da nun die Dinge so stehen, begreift man, daß ein Messebesuch mit Carlotta einen erschauern läßt. Denn sie interessiert sich, wie gesagt, für die unerwartetsten Dinge.
Dann und wann erhebt sich zum Beispiel über das Stimmengewirr der unermeßlichen Menge die Stimme des Lautsprechers: „Die Eltern des Knaben soundso mögen sich in der Wachstube einfinden... Die Eltern des Mädchens soundso mögen sich...“
„Warum sollen die Eltern sich einfinden?“ fragte Carlotta.
Das war leicht zu erklären. „Manchmal verliert sich ein schlimmes Kind, das nicht mit Papa und Mama gehen will, sondern stehenbleibt, um dies und jenes zu sehen. Nun beginnt es zu weinen und zu verzweifeln, und man bringt es in die Wachstube dort hinten und benachrichtigt die Eltern, sie sollen es holen kommen. Und dann laufen die Eltern, um es zu holen.“
„Hauen sie es?“
„Selbstverständlich.“
„Sehr?“
„Ja, sie geben ihm eine Ohrfeige und zwei oder drei hinten drauf.“ Carlotta blieb einige Sekunden nachdenklich, dann behauptete sie: „Das sind Kerle! Man schlägt Kinder nicht.“
Margherita erhob Einspruch: „Aber die Kinder müssen immer bei Papa und Mama bleiben.“
Carlotta schüttelte den Kopf. „Die Kinder sind klein, und die Pappis und Mammis sind groß. Und außerdem sind sie zwei und das Kind ist nur eines. Also müssen sie aufpassen.“
Das war eigentlich nicht von der Hand zu weisen, und ich hielt es für günstig, nicht weiter auf meinem Standpunkt zu beharren. Aber Margherita war anderer Meinung, und so ergab sich eine wenig erfreuliche Diskussion, wie ja Diskussionen zwischen Frauen immer wenig erfreulich sind.
Nun muß ich erwähnen, daß Carlotta schon mehr als einmal erklärt hatte, sie könne nicht mehr länger „neben dieser Frau“ leben, und die Absicht kundgetan hatte, zu den Großeltern zu gehen; es ist daher nicht erstaunlich, daß auch diese Diskussion zwischen Carlotta und Margherita ausartete, daß bald große Worte fielen und daß Carlotta schließlich erklärte: „Wenn du meine Tochter wärst, würde ich dich mit dem da durchhauen!“
„Das da“, worauf Carlotta mit dem Finger zeigte, war die Kurbelwelle eines argentinischen Dampfers mit einem Gewicht von mindestens fünfzehn Tonnen. Anschließend an diesen Wortwechsel nahmen wir die Besichtigung wieder auf; und als wir in die Abteilung für Frauenkleidung kamen, zeigte sich Margherita so interessiert, daß Carlotta mich am Ärmel zupfte und mir mit einer Miene des Mißfallens zuflüsterte: „Schau sie an; vor diesen Weiberdummheiten vergißt sie alles! Bau sie hier an und laufen wir davon, du und ich allein!“
Ich konnte diesen Vorschlag nicht annehmen. Ich konnte meine Verantwortung als Familienvater nicht vernachlässigen. Daher überredete ich Carlotta, sich diesen Fluchtplan aus dem Kopf zu schlagen. Meine Tochter schaute mich sarkastisch an. „Du bist ein Dummkopf wie sie“, sagte sie.
Um eine unerfreuliche Diskussion zu vermeiden, interessierte auch ich mich für die schönen ausgestellten Dinge, und als wir uns allmählich dem Ausgang genähert hatten, kam uns etwas Schreckliches zum Bewußtsein: Carlotta war verschwunden! Nachdem wir gestritten hatten, ob es meine oder Margheritas Schuld sei, beschlossen wir, die Verantwortung zu gleichen Teilen auf uns zu nehmen, und begannen, wie büßende Seelen herumzuwandern. Margherita sprach schluchzend von Leichen, die von Treibriemen zerstückelt werden, und als wir in die Allee kamen, wo man den unvermeidlichen Springbrunnen sieht, der einen anilingefärbten Strahl in die Höhe schleudert, stürzte Margherita an den Rand des Bassins und schrie: „Bestimmt ist sie da drinnen ertrunken!“
Zum Glück ertönte in diesem Moment die Stimme des Lautsprechers: „Achtung, Achtung! Die Großeltern des Mädchens Carlotta mögen sich in die Wachstube begeben, wohin das Kind gebracht worden ist... Achtung: die Großeltern des Mädchens Carlotta...“
Margherita stieß einen Freudenschrei aus. Aber einen Augenblick später blickte sie mich erschrocken an.
„Sie rufen die Großeltern!“
„Aber es ist Carlotta. Das ist die Hauptsache.“
Wir suchten ein Taxi; dann aber wurde uns klar, daß nur zwei Verrückte sich darauf versteifen konnten, innerhalb der Messe ein Taxi zu finden, und wir liefen zu Fuß in die Wachstube. Carlotta saß in einer Ecke und betrachtete mit sichtlichem Mißfallen die fünf oder sechs „verirrten“ Kinder, die weinten wie abgeschnittene Weinstöcke.
„Schau, dein Papa und deine Mammi sind da!“ sagte einer der Wachleute fröhlich, indem er Carlotta auf den Arm nahm, um sie uns zu übergeben.
„Nein“, antwortete Carlotta böse, „ich will den Großvater und die Großmutter! Ich habe gesagt, daß ich den Großvater und die Großmutter will.“
Der Wachmann war perplex.
„Ja, wirklich, das Kind hat gesagt, daß es mit den Großeltern war“, sagte er zu einem anderen Wachmann. „Die hier sind zu jung für Großeltern.“
„Aber wir sind Papa und Mama!“ rief Margherita.
„Nein!“ schrie Carlotta. „Es ist nicht wahr! Ich will die Großeltern!“ Nun’ spielte sich eine beängstigende Szene ab’ wir wiesen Dokumente vor, die uns nichts nützten, da ja Carlotta kein Dokument hatte und keinen Stempel an sich trug, aus dem die Zugehörigkeit zu unserem Verwaltungsbereich hervorgegangen wäre. Die Wachleute begannen, uns scheel anzublicken, und irgendeiner sprach davon, man müsse eine Anzeige erstatten. Es war ein sehr heikler Augenblick. Da hatte ich einen Genieblitz und wandte mich an den Kommandanten der Wachleute.
„Versuchen Sie“, sagte ich leise, „versuchen Sie, das Kind zu fragen, wie die Großeltern heißen.“
Der Kommandant fragte Carlotta, wie ihre Großeltern hießen. Auch der geschickteste Verbrecher hat eine gewisse kindliche Naivität; Carlotta nannte Vor- und Zunamen ihrer Großeltern, die als meine Eltern auf meiner Identitätskarte verzeichnet waren.
„Gehen wir!“ sagte ich triumphierend. Und da machte sich Carlotta auf den Weg; sie hatte begriffen, daß sie nun verloren hatte. Sie war besiegt, aber nicht bezwungen. An der Tür drehte sie sich um und wies auf Margherita: „Die da steigt immer auf das Gras, wo der Zettel ist, daß es verboten ist!“ sagte sie böse zum Kommandanten der Wachleute.
Es war wahr, es ist eine unverzeihliche Schwäche Margheritas, die ich immer getadelt habe.
Glücklicherweise nahm der Kommandant der Wachleute von der Anzeige keine Notiz, da jede Zeugenschaft fehlte; wir konnten also alle nach Hause zurückkehren.
„Wenn du groß bist, werde ich dich in die Erziehungsanstalt für schlimme Mädchen stecken!“ sagte Margherita.
„Wenn ich groß bin, werde ich kein Mädchen mehr sein“, antwortete Carlotta verächtlich.
Darauf erzählte Margherita ernst die Geschichte von dem berüchtigten Franti, der seine Mutter aus Kummer sterben läßt. Carlotta zuckte die Achseln. „Ich bin nicht deine Tochter, ich bin die Tochter meines Vaters.“
So machte sie mich zum Partner ihres grausamen Spiels.
Ich kann das große Plakat neben dem Mechanikpavillon der Messe nicht vergessen: Ein Dieselmotor im Durchschnitt, davor ein alter Arbeiter, der die linke Hand auf die Schulter eines jungen Arbeiters stützt und mit der rechten auf einen gelben Zettel zeigt, auf dem geschrieben steht „Reinach-Schmierung“. Es ist kein besonders poetischer Ausdruck, aber das Bild war so lieblich und heiter, daß man ganz perplex davor stehenblieb.
Ich war mit Margherita auf der Messe, und wir betrachteten lange die kleine Szene.
Schließlich seufzte Margherita tief auf: „Reinach-Schmierung... Was für ein edler Ausdruck! So muß man zu den Arbeitern sprechen, nicht sie vergiften, nicht sie gegen die Fabriksdirektoren aufhetzen!“
Wenn Margherita so etwas sagt, meint sie es ernst. Man muß bedenken, daß die Wörter oft zwei Bedeutungen haben: eine buchstäbliche und eine gefühlsmäßige. Als ich mit Margherita zum erstenmal nach Mailand gekommen war, war es Abend gewesen; und als wir auf den Domplatz gekommen waren, hatten wir uns auf die Treppen des Wahrzeichens gesetzt, um die Lichtreklamen zu betrachten. Und die erste, die vor unseren Augen aufblitzte, war „Schuherzeugung Varese“.
Wir sahen sie lange an, und dann, ich erinnere mich genau, seufzte Margherita: „Schuherzeugung Varese... Die Poesie der Großstadt! Wie man sich da wunderbar allein fühlt inmitten der unermeßlichen lärmenden und stürmischen Menge...“
Margherita hat die köstliche Gabe, die gefühlsmäßige Bedeutung der Wörter zu erfassen; und wenn sie heute irgendwo geschrieben sieht „Schuherzeugung Varese“, seufzt sie: „Schuherzeugung Varese... Es war ein anderes Mailand, Giovannino, es war das erste Mailand unseres Lebens, und wir fühlten uns, obwohl wir zu zweit waren, zahlreicher als heute zu viert.“
Nach der Reinach-Schmierung sahen wir andere Dinge, darunter ein viermotoriges Flugzeug. Carlotta blieb stehen und sagte: „Kauf mir’s!“
Ich mußte nun ziemlich lange reden, aber es gelang mir, Carlotta zu beruhigen, indem ich ihr einen Vergaser für ein 125er Motorrad kaufte.
„Sie hat einen ausgeprägten Sinn für Mechanik“, bemerkte Margherita. „Vielleicht können wir aus ihr eine tüchtige Lokomotivheizerin machen. Manchmal ist es besser, ein Kind wird ein guter Heizer als ein mittelmäßiger Advokat. Und außerdem: auf diese Art reist man, sieht man, lernt man!“
Der Vergaser interessierte Carlotta auch zu Hause noch sehr lebhaft, und sie zog sich zurück, um den Mechanismus zu analysieren. Bevor sie einschlief, rief sie mich und teilte mir ganz diskret das Ergebnis ihrer Nachforschungen über den Vergaser mit: „Er heißt Giacomo, und wenn er groß ist, wird er Doktor werden. Er hat keine Mama mehr, und sein Vater sitzt, weil er ein Brot und eine Wurst gestohlen hat.“
Margherita war durch diesen Umstand sehr betroffen. „Wenn sich hier das soziale Gewissen nicht geltend macht, wird es eine Revolution geben. Es ist nicht gerecht, daß ein armer Teufel in den Kerker gehen soll, weil er aus Hunger ein Brot und Wurst stehlen mußte.“
Ich hielt ihr entgegen, daß es sich hier um den Vater des Vergasers handle.
„Das ist unwesentlich; der Hunger ist für alle gleich, vor dem Hunger gibt es keine Klassenunterschiede.“
Sie legte den Kopf auf das Kissen zurück, aber dann kam ihr ein Zweifel, und sie rief mich.
„Was meinst du — besteht keine Gefahr, daß Saragat darangeht, die Leute nach Sibirien zu deportieren?“
„Das halte ich für ausgeschlossen, Margherita.“
„Das beruhigt mich sehr“, antwortete Margherita, ließ den Kopf wieder zurücksinken und schloß die Augen.
Carlotta blickte sie mit offensichtlichem Mißfallen an, dann schüttelte sie den Kopf.
„Sie ist neidisch, weil du mir Giacomo gekauft hast und ihr nichts“, flüsterte sie.
Dann hob sie mit dem Finger die Oberlippe Margheritas ein wenig auf.
„Siehst du?“ sagte Carlotta. „Sie hat einen Blechzahn, und sie hinkt auch.“
Ich dankte ihr für die wertvollen Informationen und ging fort, nachdem ich noch einen Seufzer über das traurige Los des Vergasers Giacomo ausgestoßen hatte.
Heute habe ich den Feiertag benützt und einen groben Brief an die Sicherheitsglasfirma geschrieben.
Wenn man mich fragt, wieso ich, Giovannino, Vorstand eines winzigen Haushaltes, Beziehungen zu Firmen habe, die Sicherheitsglas erzeugen, antworte ich, indem ich einen Auszug aus einer Unterhaltung zwischen mir und jener ausgezeichneten Frau mitteile, welche den bereits mehrmals erwähnten Albertino zu meinem Sohn gemacht hat.
Frau: Geh zum Tischler und laß meine Schuhe besohlen und zum Schneider, damit er dir deine Sandalen ausbessert.
Giovannino: Wenn du an der Bar vorüberkommst, denke daran, mir Rasierwasser mitzubringen.
Frau: Schon gestern besorgt; es ist im Badezimmerschrank. Auf der Flasche steht „Cognac“.
Ist es da verwunderlich, wenn sich einer, der Verlangen nach einem Ofen hat, an eine Glasfabrik wendet?
Die Geschichte begann im vergangenen Jahr, an dem Tag, da mir die süße Frau, die mich zum Beschützer Albertinos machte, ankündigte: „Es ist ein kleiner Glaswandschirm mit einer Hundeleine angekommen.“
Ich erklärte ihr, daß es sich nicht um einen Wandschirm handle, sondern um einen Ofen, und daß das, was sie für eine Hundeleine hielt, ein Leitungskabel sei. „Es ist ein Elektroofen, eine Art Bügeleisen, nur mit dem Unterschied, daß es nicht aus Eisen, sondern aus Glas ist, und nicht zum Bügeln, sondern zur Raumheizung dient.“ Dann ging ich in die Küche, steckte den Stecker in die Steckdose, und nun begannen unsere wärmetechnischen Abenteuer. Die Tatsache, daß durch das Einführen einer Art Gabel in die zwei Löcher an der Wand das Aufleuchten eines roten Sicherheitslämpchens zwischen den beiden Glasplatten des Heizkörpers bewirkt wurde, machte Eindruck auf einen, der schweigend dastand und seit einiger Zeit den Mechanismus betrachtete.
Als ich bemerkte, wie die beiden Augen Albertinos den Apparat schielend fixierten, intervenierte ich. „Brennt!“ sagte ich, indem ich eine der Unglückshände Albertinos den Platten des Heizgerätes näherte. Und Albertino zog sich erschreckt zurück.
Alarmiert durch ein besorgniserregendes Prasseln, lief ich kurz darauf in die Küche und fand Albertino sehr befriedigt.
„Brennt nicht mehr“, sagte Albertino und zeigte auf das triefende Heizgerät.
Ich erklärte ihm, daß es die tadelnswerteste Sache auf der Welt sei. Töpfe mit Wasser auf einen Ofen zu entleeren. Die Wärme, die die Öfen ausströmen, sei nicht als „Brennen“, sondern als „Erwärmung“ zu bezeichnen. Sprachliche Feinheiten sind jedoch nicht Albertinos Sache; für ihn brannte das Heizgerät. Dinge, die brannten, gehörten mit Wasser behandelt, und wenn dieser Unglückspapa nichts von Wasser hören wollte, konnte man genau so gut den Wein aus der Flasche oder den Essig verwenden: aber eine Flüssigkeit war notwendig, um den Brand zu löschen. Unsere Räume dufteten daher erst nach Wein und dann nach Essig. Hierauf war ein häßlicher Geruch nach Angebranntem zu verspüren.
„Das Öl!“ schluchzte die süße Verfertigerin des kleinen ruchlosen Feuerwehrmannes.
Man mußte kurzen Prozeß machen. Ich nahm daher das Heizgerät vom Boden auf und hob es auf den Küchentisch. Das Ergebnis war bedeutend. Durch einen ungewohnten Lärm herbeigerufen, fanden wir Albertino in der Luft hängend, an die Lampenschnur geklammert. Unten waren die Trümmer der marmornen Tischplatte verstreut, und zwischen den Trümmern fuhr das Heizgerät, da es aus unzerbrechlichem Glas war, fort, unerschrocken den Raum zu erwärmen.
Ich stellte das Heizgerät auf den Schrank. Es ist unvernünftig, einen Heizapparat in die Nähe des Plafonds zu stellen, da die warme Luft ja nach oben strebt; aber man muß in Betracht ziehen, daß Albertino nach unten strebt, und das rechtfertigt alles.
Als drei Stunden vergangen waren, war der Plafond über dem Heizgerät schwarz geworden.
„Der Ofen raucht!“ rief schmerzlich die süße Frau, die mich als Halbwüchsigen gekannt hatte. Und ich hatte nicht Zeit, ihr unwillig zu erklären, daß eine der charakteristischen Eigenschaften der Elektrizität gerade das völlige Fehlen von Rauch sei. Denn es erschien der Bewohner des fünften Stockwerkes.
„Sechs Flaschen Asti“, rief er, „wie Bomben explodiert! Wein in der ganzen Küche! Einrichtung und Vorräte teilweise zerstört!“
Die treffliche Unglückselige, die mich zum „Giovannino, Giovannino“ gemacht hat, breitete die Arme aus und ging auf ihn zu. „Warum stellen Sie aber auch“, sagte sie, „die Weinflaschen gerade über unseren Elektroofen?“
Es gab eine ziemlich lange Diskussion, weil der würdige Mann auf dem Gegenteil beharrte; es sei eine Infamie, einen elektrischen Ofen ausgerechnet unter seine Flaschen zu stellen, wodurch man den darin enthaltenen Wein zum Kochen bringe. Wir einigten uns schließlich, das Heizgerät wurde vom Schrank herabgenommen und kehrte auf den festen Boden zurück. Albertino versuchte noch ein paarmal zu löschen, zuerst mit Bleiweiß, dann mit Kölnischwasser. Als er endlich einsah, daß er den Apparat nicht umbringen konnte, entschloß er sich, ihn als Instrument für seine Untaten zu mißbrauchen. Er lernte schnell, den Stecker hineinzustecken und wieder herauszuziehen und sich geschickt die spezielle Plattform des Mechanismus zunutze zu machen.
Eines Nachts wachte ich schweißtriefend und mit Atembeklemmung auf. „Du hast Fieber“, sagte mir meine holdselige Bettnachbarin: „du glühst, die Matratze glüht; das Kissen und das Kopfende des Bettes glühen. Hohes Fieber!“ Ich versuchte es zuerst mit einem Beruhigungsmittel, aber dann fand ich es praktischer, das Heizgerät unter der Matratze wegzunehmen.
Zwei Tage später machte mich unsere Bedienerin darauf aufmerksam, daß die Wäsche, die zum Einweichen in die Badewanne getan worden war, koche. Sie fragte mich, ob es unsere Absicht sei, sie zu kochen; in diesem Fall wäre es günstig, sie auch zu salzen. Als ich an einem bestimmten Kabel zog, kam natürlich das Heizgerät aus dem Wasser.
Ich hatte zum letztenmal Gelegenheit, mich mit dem Heizgerät zu befassen, als wir das Gepäck für die Abreise fertigmachten und die Erzeugerin des schädlichsten Albertino von Europa mir mitteilte, daß ein Koffer brenne. Das Kabel des Heizgerätes kam aus dem Deckelspalt heraus.
Während des Sommers ging alles gut. Aber nun ist Albertino zurückgekehrt, voll Kraft und Einfallsreichtum, und das Heizgerät ist wieder aufgetaucht.
Heute bin ich mit meiner Familie spazierengegangen, und gegen Abend sind wir sehr hungrig in unser Domizil zurückgekehrt.
„In zwei Minuten brate ich das Huhn am Rost“, erklärte die treffliche Gefährtin meines Appetits und öffnete die Tür des Eisschranks. Wir sahen uns einige Minuten lang in dichten schwarzen Rauch eingehüllt, dann lichtete sich der Nebel, und alles wurde klar. Die Geschichte war von ungeheurer Einfachheit: Im Innern meines elektrischen Eisschrankes befindet sich eine Steckdose, die dazu dient, einen zusätzlichen Widerstand anzuschalten, falls der dem Motor angefügte nicht ausreichen sollte; in diese war der Stecker des Heizgerätes eingeführt, und dann war das Heizgerät sorgfältig in die Eiskammer eingeschlossen worden.
Da auch der Motor in Betrieb gesetzt worden war, mußte während jener zehn Stunden ein edler, wenn auch schrecklicher Wettkampf zwischen der Kälte- und der Wärmemaschine stattgefunden haben. Welche hatte gesiegt?
Nach einigen Minuten drückenden Schweigens seufzte Margherita: „Das Huhn ist gebraten. Es fehlt nur noch ein wenig Salz.“
Ich habe das unglückseligste Huhn meines Lebens verzehrt, dann habe ich den groben Brief geschrieben:
„Werte Firma für Sicherheitsglas,
es gibt vier Möglichkeiten: entweder Sie schicken mir ein Sicherheitsgerät für Ihr Heizgerät, oder Sie schicken mir ein Sicherheitsgerät für unsern Albertino, oder Sie schicken einen Boten, der das Heizgerät abholt, oder Sie schicken einen Trupp Arbeiter, der unsern Albertino abholt. Entscheiden Sie sich!“
Das schrieb ich, dann ließ ich mich in einen Lehnstuhl sinken und fand selbstverständlich das Heizgerät unter mir schon so heiß, daß ich mich veranlaßt sah, stöhnend die wassergefühllte Badewanne aufzusuchen.
Wir besuchten wieder einmal die Mustermesse. Wir blieben mit offenem Mund vor dem jungen Mann im Overall stehen, der mit dem Ding hantierte: Bett, Couch, Fauteuil — Fauteuil, Couch, Bett — zwei Sekunden von einer Verwandlung zur anderen.
Plötzlich seufzte Margherita. „Schau“, sagte sie, „meiner Meinung nach wäre es beispielsweise ein Wahnsinn, neunhunderttausend Lire auszugeben, um den Dieselmotor mit hundertzwanzig PS zu kaufen, den wir im Maschinenpavillon gesehen haben. Aber siebzehntausend auszugeben, um eine Fauteuil-Couch wie diese zu kaufen, erschiene mir keineswegs unvernünftig.“
„Gewiß“, antwortete ich. „Eine Fauteuil-Couch wie diese könnte, abgesehen von der bedeutenden Einsparung, auch viel nützlicher sein als ein Dieselmotor von hundertzwanzig PS.“
So kauften wir die Fauteuil-Couch, und schon nach drei Monaten gelang es uns, dank der Intervention einer einflußreichen Persönlichkeit aus unserem Bekanntenkreis, sie tatsächlich zu bekommen. Und wenn die Geschichte damit zu Ende wäre, hätte sie keineswegs das Recht, sich „Geschichte“ zu nennen, und noch weniger „dramatische Geschichte“. Aber es handelt sich um ein Drama, und es beginnt mit dem Moment, in dem der Fauteuil in unser Haus kam. Margherita betrachtet die Kretonne der Polsterung und bemerkt, daß sie zu schön ist. Sie abzunützen, wäre ein Verbrechen. Man muß daher gewöhnliche Kretonne kaufen, um daraus einen Schutzüberzug zu machen. Da andererseits der Überzug verhindert, daß man den Originalüberzug sieht, ist es nötig, daß der Schutzüberzug im Muster ebensoviel Eindruck macht wie der Originalüberzug.
Der Überzug wäre angebracht, aber Margherita ist verzweifelt; auch dieser ist zu schön, er ist fast noch schöner als der ursprüngliche. Man erwägt, die Originalkretonne abzunehmen, daraus einen Überzug zu machen und andererseits die Originalkretonne durch den Stoff des Schutzüberzuges zu ersetzen. Aber man verwirft diesen Gedanken. Eher scheint die Lösung ratsam, einen gewöhnlichen Stoff zu kaufen, um einen Über-Überzug zu machen.
Mit dem Über-Überzug ist Margherita zufrieden; er ist schön, aber nicht zu schön, und ich bekomme die Erlaubnis, mich auf die Fauteuil-Couch zu setzen.
Aber siehe da, während ich mich hineinschmiege, ringt Margherita ängstlich die Hände. Wozu ist ein Überzug und ein Über-Überzug gut, wenn beim Sitzen auf dem Fauteuil oder, noch schlimmer, bei der Benützung des Fauteuils als Bett, die Polstermatratze unheilbar zerdrückt und zerbeult wird?
„Man muß eine gewöhnlichere Matratze machen“, beschließt Marghrita. „So wird die Originalmatratze geschont. Nicht nur das, man kann auch den Überzug schonen, da der Über-Überzug da ist.“
Als die neue Matratze fertiggestellt ist, wandern die Originalmatratzen und der Überzug in die Garderobe. Während der ganzen für diese Operation nötigen Zeit hatten sich Albertino und Carlotta darauf beschränkt, die Fauteuil-Couch argwöhnisch zu beobachten. Sie sehen an ihr nichts, was sie von anderen Fauteuils unterschiede, doch sie erfassen, daß da etwas dahintersteckt. Und an dem Tag, an dem ich auf Einladung Margheritas der Hausbesorgerin das Funktionieren der Maschine praktisch vorführe, funkelt ein unheilvolles Licht in den Augen der beiden Minderjährigen.
Tatsache ist, daß mich Margherita eine Stunde, nachdem ich fortgegangen war, im Büro anruft und mir erklärt, zwischen Albertino und Carlotta sei ein Streit entbrannt, wer von ihnen auf der Fauteuil-Couch schlafen dürfe.
„Wenn du nicht kommst und der Schlacht ein Ende machst, bin ich gezwungen, das Überfallkommando zu rufen“, schließt sie.
Man erzielt ein Kompromiß: alle beide werden auf der Fauteuil-Couch schlafen. Da aber das Fassungsvermögen des Gegenstandes nicht ausreicht, vergeht die Nacht mit einem Streit der beiden Zusammenschläfer, von denen jeder den anderen fortzujagen versucht. Am Morgen werden beide auf dem Boden schlafend gefunden, der eine rechts und der andere links von der umstrittenen Liegestätte. Nun beginnt der eigentlich tragische Teil, denn Margherita versucht, die Couch in einen Fauteuil umzuwandeln, und ich, durch herzzerreißende Schreie angelockt, eile hinzu und finde Margherita mit beiden Händen in den Gelenken des Mechanismus gefangen. Für mich ist es ein leichtes, den Fauteuil wieder in Ordnung zu bringen, denn ich habe vollkommen verstanden, wie er funktioniert. Ich büße lediglich ein beträchtliches Stück des Hausrockes ein, der sich mit einem Zipfel in der Maschinerie verfangen hat.
Um zehn Uhr muß ich eilends von meiner Arbeit weglaufen und nach Hause zurückkehren, weil man mir mitteilt, Carlotta sitze im Fauteuil wie in einer Falle, und es sei nicht möglich, sie zu befreien. Am Nachmittag sitzt Albertino in der Falle.
Abends ist Margherita sehr betrübt. „Wenn diese Geschichte mit dem Ausziehen und Zusammenschieben so weitergeht, wird es damit enden, daß der Fauteuil kaputtgeht. Es wäre ein Verbrechen, etwas so Schönes abzunützen. Wir können die neue Matratze mit Über-Überzug auf die alte Couch montieren, die in der Dachkammer steht, die Maße sind die gleichen.“
Das ist eine Idee. Die neue Fauteuil-Couch wird ordentlich verpackt und nimmt in der Aufbewahrungskammer Aufenthalt. Dort wärmen sich in Naphthalin auch die Original-Matratze und der Überzug. Ich mache Margherita darauf aufmerksam, daß ich mir von unserer Neuerwerbung viel mehr erwartet hatte; doch Margherita schüttelt den Kopf. „Bedenke: wenn du statt des Fauteuils den Dieselmotor gekauft hättest, wäre es noch schlimmer gewesen.“
Die Weltmeisterin in der Sparsamkeit sieht mich lächelnd an, und ihre großen schwarzen Augen sagen mir: „Giovannino, Giovannino...“