Krieg ist Krieg!

Ich war ins Theater gegangen. Als ich herauskam, hatte sich der dichteste Nebel, den der liebe Gott geschaffen hat, um die moderne Architektur vor den Augen der Sterblichen zu verbergen, herniedergesenkt und die Luftschutzfinsternis undurchdringlich gemacht.

Es gelang mir, mich in ein Taxi zu schwingen; ich teilte dem Chauffeur den Namen meiner Straße und meine Hausnummer mit.

Dann begann ich, mich zu wundern.

Wenn es in dieser ungewöhnlichen Stadt Nebel gibt, dann ist das ein richtiger Nebel; die Fahrzeuge würden einen Schneepflug brauchen, um ihn zu zerteilen. Kommt dazu noch absolute Finsternis, muß man die Sicherheit bewundern, mit der ein Autofahrer durch die völlig unsichtbaren Straßen steuert.

»Ihr seid ja keine Menschen mehr, sondern Phänomene“, bemerkte ich nach einiger Zeit voll Bewunderung.

„Ach, das ist nichts Besonderes“, antwortete der Chauffeur schlicht. „Es ist einfach unsere unerhörte Vertrautheit mit den Straßen! Wundern Sie sich denn über eine Stenotypistin, die mit geschlossenen Augen einen Brief auf der Maschine schreibt?“

„Nein“, gab ich zu, „aber zwischen einer Schreibmaschine und einem Auto besteht doch ein gewisser Unterschied.“

„Wieso?“ fragte der Chauffeur. „Wenn die Schreibmaschine vier Räder und statt der Tasten einen Volant hätte, was wäre dann noch für ein Unterschied gegenüber einem Auto?“

Ich gab zu, daß seine Überlegung von einzigartiger Logik sei, aber ich konnte mich nicht enthalten, meiner Verwunderung weiterhin Ausdruck zu geben. „Wir kennen Mailand, wie Sie Ihre Taschen kennen“, schloß der Chauffeur. „Braucht Ihre Hand denn eine Beleuchtung, um irgend etwas in Ihrer Tasche zu finden? Setzen Sie an die Stelle der Hand den Chauffeur, an die Stelle der Tasche Mailand und an die Stelle der Gegenstände in Ihrer Tasche Straßen. Gassen und Plätze, und Sie werden sehen: es ist kein Unterschied! — Wir sind da, mein Herr!“

Ich stieg aus, zahlte und gab ihm ein fürstliches Trinkgeld.

Das Auto tauchte wieder in den Nebel, ich aber begab mich zur Haustür und steckte den Schlüssel ins Schloß. Kurz darauf setzte ich mich auf die Stufen vor einem Laden, schlug den Mantelkragen hoch und wartete auf das Tageslicht.

Denn wenn man im Zentrum wohnt und sich mitten in der Nacht bei der Porta Ticinese befindet, wo kein Taxi vorüberkommt, auch wenn man eine Lira pro Zentimeter bezahlen wollte, dann ist es vollkommen sinnlos, sich gegen das Schicksal aufzulehnen.

Es war ein glühendheißer Sommertag. Ich sehnte mich nur nach einem: meinen Körper in kaltes Wasser zu tauchen und den ursprünglichen Glanz seiner Formen wieder ans Tageslicht zu bringen. Ich trat ins Badezimmer und fand die Wanne bis zum Rand mit grauem Schlamm angefüllt.

„Ich habe dir schon hundertmal gesagt“, rief ich der ausgezeichneten Gefährtin meiner nächtlichen Alarme zu, „daß Albertino in fließendem Wasser und nicht im Bad gewaschen werden soll!“

„Albertino hat damit nichts zu tun“, antwortete die hervorragende Person. „Das ist eingeweichtes Papier. Man muß das Brennmaterial durch Papier strecken.“

„Und wo soll man baden?“ erkundigte ich mich.

„Der Brennstoff ist rationiert, die Bäder nicht. Zusätzlichen Brennstoff findest du nirgends, Bäder findest du, wo du willst. Sei vernünftig, Giovannino, und wasche dich im Waschtrog.“

Tags darauf war auch im Trog grauer Brei, und ich hatte mich mit einer Waschschüssel zu behelfen.

Doch auch die Waschschüssel war bald voll Brei, und ich mußte ein Hotel aufsuchen, um zu baden.

Aber das war das wenigste. Als ich eines Tages von der Arbeit heimkam, fand ich die Balkontüren geschlossen, und da es schrecklich heiß war, beeilte ich mich, sie zu öffnen. Eine Sekunde später kollerten hunderte Papierkugeln in mein Arbeitszimmer.

„Wenn ich arbeite und du alles zerstörst, dann ist es vollkommen überflüssig“, bemerkte betrübt die treffliche Frau, die mich zum Vater gemacht hatte. „Die Balkontüren müssen geschlossen bleiben, weil der Balkon bis oben mit Papierkugeln angefüllt ist. Ich kann sie doch nicht auf dem Dachboden lagern, das ist verboten.“ Die verdammten Papierkugeln wurden immer zahlreicher, sehr bald war der Fußboden unter allen Möbelstücken mit ihnen belegt; hierauf begann sie, die oberen Flächen der hierzu geeigneten Möbel zu okkupieren. Mein trautes Heim wurde eine Art „verwunschenes Schloß“, man mußte beim Gehen achtgeben, daß man den Fußboden nicht erschütterte. Ich, der ich so viele Dinge in meinem engen Hirn zu behalten habe, dachte oft nicht daran, und da kamen sogleich die Kugeln herbei und erfüllten das Zimmer. Getrocknet und steinhart, rollten sie bis in die unmittelbare Nähe von Giovanninos Füßen.

Giovannino hat nicht gelernt, auf Kugeln zu gehen, und liegt schließlich dahingestreckt auf dem Boden. Giovannino ist gefühlvoll und diszipliniert, aber er ist dick, und der Aufprall auf den Fußboden verursacht einen neuerlichen Kugelregen auf Giovanninos Kopf. Einige Kugeln sind noch frisch und drücken sich auf der Stirn des Unglücklichen platt; und Giovannino, ein impulsiver Mensch, ärgert sich. Er springt wütend auf, und nach einem Schritt fliegt er wieder aufs Gesicht, während neuerliche Kugeln sich über seinen Kopf ergießen.

Giovannino ist außer sich. Er will einen Besen holen und das ganze Zeug hinwegfegen. Giovannino gelangt mit einem gewaltigen Sprung an die Tür der Rumpelkammer, öffnet sie... und sitzt auf dem Boden, bis zum Hals in Papierkugeln versinkend.

Die süße Frau blickt ihn tränenerfüllten Auges an.

„Ich hab’ mich so abgemüht, Giovannino, um die Rumpelkammer mit Kugeln anzufüllen. Zwei Stunden habe ich gebraucht, bis eine schön ruhig auf der anderen lag; tausendsechshundert waren es, und nun kann ich ganz von vorne anfangen.“

Giovannino hat im Zusammenhang mit alkoholischen Getränken schon eine Menge Unannehmlichkeiten gehabt und hält sich drum mit äußerster Sorgfalt von diesen Getränken fern; aber diesmal vergißt er alles: „Kognak!“ schreit Giovannino und öffnet die Hausbar. Eine neue Lawine von Papierkugeln stürzt über ihn.

„Nieder mit der Familie!“ brüllt Giovannino, reißt die Wohnungstür auf und geht fort. Aber nun sind die Papierkugeln anhänglich geworden; sie haben erfaßt, daß Giovannino im Grunde ein guter Mensch, daß sein Herz so zart wie das einer Libelle und so liebenswürdig wie das eines Schmetterlings ist. Giovannino ist noch keine Treppe hinuntergestiegen, als auch schon die tausendsechshundert Papierkugeln, die sich ins Vorzimmer ergossen hatten, ihn lustig herunterspringend einholen, wobei die alleranhänglichsten unter seine Füße rollen. Giovannino vollführt einen raschen Sprung, fällt lang hingestreckt auf den Treppenabsatz und versperrt so mit seinem Körper die Treppe. Hundert und aber hundert Kugeln kollern übereinander und versammeln sich an dem unerwarteten Hindernis; solange Giovannino ausgestreckt liegenbleibt, bleiben auch die Papierkugeln ruhig, aber wenn Giovannino sich erhebt, werden sie ihre Flucht über die Stufen wiederaufnehmen.

Man muß also ganz ruhig bleiben, bis die süße Frau alle Ausreißer wieder in die Wohnung gebracht hat. Dann erst kann Giovannino seinen Gang wiederaufnehmen und das Erdgeschoß erreichen.

Doch über dem väterlichen Haupt wacht hinterhältig der Artillerist Albertino; und die härteste der Papierkugeln schlägt nach einem Flug über vier Stockwerke hart auf Giovanninos Kopf ein.

Das ist eine trübe Geschichte, und ich könnte noch weitere schauderhafte Episoden erzählen. Aber ich will nicht einmal daran denken, daß ich eines Tages in aller Eile nach Bologna fahren mußte, meine Reisetasche ergriff, die immer mit allen nötigen Utensilien vollgepackt bereitsteht, und daß ich, in der fernen und bedeutenden Stadt angekommen, die Tasche öffnete und nur Papierkugeln sah. Ich erwähne lediglich, daß ich die zweiundvierzig Jahrgänge des „Corriere della Sera“ vergeblich suchte, die ich in einer großen Kiste eifersüchtig hütete, um sie einmal binden zu lassen und mir dadurch eine Bibliothek zu schaffen, die meine Bildung heben und meinen künstlerischen Geschmack läutern sollte. Da wurde ich tieftraurig; wozu war die jahrzehntelange Arbeit der trefflichen Redaktion gut gewesen, wenn von ihr nichts übrigblieb als ein paar hundert Papierkugeln? Ich mußte darauf verzichten, mir Bildung anzueignen und meinen künstlerischen Geschmack zu läutern. Dann verzichtete ich auch auf mein Arbeitszimmer, weil sich die Papierkugeln wie Heuschrecken überall angehäuft hatten, wo immer sie eine ebene Fläche vorfanden, und zog mich in die Küche zurück. Aber jetzt habe ich die Geduld verloren. Denn heute habe ich wirklich und wahrhaftig drei Bankanweisungen nicht wiedergefunden. „Ich bin nicht sehr gebildet“, antwortete unwillig die ausgezeichnete Frau, die mich zum Gatten gemacht hatte, auf meine Bitte um Aufklärung, „aber ich bin immerhin noch imstande, eine Bankanweisung von einem gewöhnlichen Papierfetzen zu unterscheiden.“

Ich tauchte in die Papierkugeln hinein und bemerkte etwas Schreckliches. Ein gewisser Prozentsatz war entschieden von geringerem Kaliber als die anderen. Es waren genau siebenundneunzig. Ich habe sie alle mit zitternden Händen aufgemacht. Und ich fand Stücke von Bankanweisungen, Banknoten, Lebensmittelkarten, Photographien, Empfangsscheinen, Briefmarken.

Ich ging auf die Suche nach Albertino und entdeckte ihn im Badezimmer, vor dem kleinen Emailgefäß kniend, das er gewöhnlich für andere Zwecke verwendet. Das Gefäß war voll Wasser, und im Wasser waren meine Visitenkarten und ein kleines Sparkassenbüchlein eingeweicht.

„Armes, liebes Engelchen!“ rief bewegt die grausame Herstellerin des kleinen Gesellen. „Auch er fabriziert Papierkügelchen, damit’s sein lieber Papa diesen Winter schön warm hat!“

Aber sein Papa hatte es auch jetzt schon ganz schön warm. Das sagte ich ihr laut, und die Bewohner der umliegenden Häuser zeigten sich an den Fenstern und fragten, wen man da im vierten Stock des Achtzehnerhauses umbringe.

„Nimm dir ein Beispiel an deinem Sohn“, sagte mir die ausgezeichnete Dame streng. „Statt zu schreien, solltest du auch einige Papierkugeln machen.“

Ich dachte, ich würde nur eine Papierkugel gern machen — aus meinem Geburtsschein. Aber wozu einen Schein vernichten? Was geschehen ist, ist geschehen, armer Giovannino!

P. S. — Ich bitte um Entschuldigung, wenn allerlei in diesem Bericht nicht recht verständlich ist. Ich hatte ihn in ordentlicher Maschinenschrift geschrieben, aber auch ein gutes Manuskript kann, wenn es in Wasser eingeweicht und dann zu einer Kugel geformt wird, selbst wenn man es nachher mit Sorgfalt wieder auseinanderfaltet und bügelt, seine ursprüngliche Frische nicht bewahren.

Ich hatte mich entschlossen, den Nachmittag meiner persönlichen Erholung zu widmen. Kaum hatte sie gesehen, wie ich mir’s in meinem Lieblingslehnstuhl ordentlich bequem machte, teilte mir daher die ausgezeichnete Verwalterin meiner familiären Unannehmlichkeiten unumstößlich mit: „Man muß noch heute die Kartoffelration abholen; damit müßtest du dich befassen, Giovannino, denn ich kann mich nicht aus dem Hause rühren.“

Ich gehe die Kartoffeln holen.

Der Gemüsehändler betrachtet aufmerksam die Lebensmittelkarten, dann fragt er: „Haben Sie einen Sack mit?“

Giovannino ist mit leeren Händen aus dem Haus gegangen und bittet den Händler, ihm die Kartoffeln in eine Zeitung einzuschlagen.

Der Grünwarenverteiler schaut Giovannino entgeistert an, dann läßt er seinen Gefühlen freien Lauf: „Meiner Meinung nach haben Sie eine unklare Vorstellung vom Fassungsvermögen einer Zeitung. Außer Sie verwechseln Zeitungen mit Leintüchern. Sonst wäre es unerklärlich, wie Sie verlangen können, daß eine Zeitung vierundzwanzig Kilogramm Kartoffeln faßt.“

„Vierundzwanzig?“ wundert sich Giovannino.

„Drei Karten, acht Kilo pro Karte, dreimal acht — vierundzwanzig“, erklärt der tüchtige Gemüsehändler.

Erst jetzt erinnert sich Giovannino der Sonderzuteilung von Kartoffeln und sucht nach einem Ausweg. Er wird nach Hause gehen, einen Sack holen und schnell zurückkommen. Aber der Gemüsehändler ist nicht einverstanden.

„In fünf Minuten schließe ich; und wenn einmal zu ist, öffne ich für keinen mehr. Entweder Sie nehmen Ihre Kartoffeln jetzt mit, oder Sie bekommen sie nie, denn heute abend ist der letzte Termin.“

Der Gemüsehändler ist der Familie Giovanninos nicht sehr freundlich gesinnt; bei einer unglückseligen Gelegenheit hat ihn nämlich die herzhafte Gefährtin Giovanninos eine „schimmlige Melone“ genannt. Giovannino überlegt, daß vierundzwanzig Kilogramm Kartoffeln ein außerordentlich wertvolles Objekt darstellten, und knirscht mit den Zähnen; er wird sie sich nicht entgehen lassen! „Wiegen Sie mir die Kartoffeln“, befiehlt er. Dann entledigt er sich seines Mantels und breitet ihn auf dem Boden aus. Er stellt dabei folgende sehr richtige Überlegung an: Wenn ein Mantel bequem fünfundsechzig Kilo Giovannino fassen kann, warum sollte er nicht vierundzwanzig Kilo Kartoffeln fassen können? Die Kunden begleiten Giovanninos Entschluß mit freundlichen Kommentaren und beobachten mit Interesse, wie sich die Kartoffeln auf seinem Mantel häufen.

Der Grünwarendiktator ist geschlagen. Ich muß nur noch die Enden meines Kleidungsstückes aufnehmen, den eigenartigen Sack über die Schultern werfen und stolz einherschreiten.

„Und das Geld?“ fragt der Gemüsehändler.

Ich suche gar nicht erst in den Hosen- und Jackentaschen. Ich weiß sehr gut, daß ich die Brieftasche nach dem Herausnehmen der Lebensmittelkarten in den Mantel gesteckt habe.

Ich lege das Bündel wieder auf die Erde, suche zwischen den Kartoffeln die Brieftasche und finde sie sogleich. Aber ich kann es nicht verhindern, daß ich mich ärgere.

Unter tausend Kartoffeln haben neunhundertneunundneunzig die typische Form der Kartoffel: sie sind voller Höcker und infolgedessen unfähig, zu rollen wie zum Beispiel eine Orange. Unter tausend Kartoffeln kann gewöhnlich eine einzige rollen, ausnahmsweise zwei, in ans Wunderbare grenzenden Fällen drei. Diesmal jedoch ist das Verhältnis umgekehrt: von den vierundzwanzig Kilogramm hat eine einzige die ehrliche Form der Kartoffel; die anderen scheinen Billardkugeln zu sein.

Überdies bemerke ich, daß es sich um schurkische Kartoffeln handelt. Es gelingt mir, sie einzusammeln, aber fünf Minuten vergehen, der Gemüsehändler gestattet keinen Aufschub und läßt seinen Rolladen herunter, so daß ich mich beim Hinausgehen bis zur Erde bücken muß, ohne freilich dadurch vermeiden zu können, daß ein Zipfel des Bündels, das ich auf den Schultern trage, am unteren Ende des Rolladens hängenbleibt und sich dem festen Griff meiner Finger entzieht.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: nicht mehr als zehn Kartoffeln machen sich den Zwischenfall zunutze und erreichen den Gehsteig. Erst als ich mich bücke, um sie einzuholen, flüchten weitere fünfzig über meinem Kopf davon und vereinigen sich mit den Ausreißern. In solchen Fällen darf man sich nie auf halbe Maßnahmen verlegen; man muß ganz von vorne beginnen. Ich lege daher den Mantel wieder auf den Boden und mache mich an die Unterwerfung der aufrührerischen Kartoffeln. Ich lese eine Handvoll nach der anderen auf und lasse sie durch die Kragenöffnung zwischen Leibchen und Hemd gleiten. Ich bin überzeugt davon, daß der ästhetische Anblick meines Körpers dadurch beträchtlich gestört wird, aber ich bin ebenso überzeugt davon, daß sich die siebzig Kartoffeln meiner Aufsicht nicht mehr entziehen können, wenn ich den Hosenriemen ganz eng schnallte.

An dieser Stelle will ich nicht von den Hunden sprechen. Von den Hunden soll man nur heiteren Sinnes sprechen, und ich bin unfähig, die Hunde objektiv zu betrachten. Denn der Verbrecher, der sich meine Ablenkung zunutze machte und die auf meinem Mantel vereinten Kartoffeln zerstreute, war ein Hund. Erst mit der siebenten Kartoffel kann ich ihn treffen, und da steht auch schon jemand neben mir, der meine Handlungsweise verwerflich findet: „Man muß heutzutage schon ein Krimineller sein, um Kartoffeln hinter Hunden herzuschmeißen.“

Nun wird es dunkel, und mein trautes Heim ist noch weit. Ich bekomme eilends die flüchtigen Knollen wieder zu fassen, schwinge mein Bündel wieder auf den Rücken und schreite rüstig fürbaß. Aber ich komme nicht weit. „Ich weiß nicht, was für einen Geschmack man daran finden kann, Kartoffeln auf die Gehsteige zu säen“, bemerkt jemand hinter mir. „Es ist kein sehr geeigneter Boden für eine gute Ernte.“

Ich bemerke, daß ich unbesonnen gehandelt hatte; vor allem hätte ich die Ärmel meines Mantels zubinden müssen. Abgesehen von allem anderen hätte ich dadurch das dumme Wortspiel von „Kartoffeln, die man aus dem Ärmel schüttelt“ vermieden.

Natürlich kann ich nicht mehr alle Knollen zurückgewinnen; sonst müßte ich mit bewaffneter Hand die Taschen von mindestens zehn Mitbürgern und Mitbürgerinnen durchsuchen. Ich verzichte darauf und setze meinen Weg fort.

Ich beginne daran zu zweifeln, daß ich aus eigener Kraft je wieder zu meinem Albertino und seiner liebenswürdigen Herstellerin gelangen kann. Und da es leichter ist, eine Kartoffel zu erwischen als ein Taxi, beschließe ich, die Straßenbahn zu besteigen.

Ich bin ein recht unbequemer Fahrgast mit meinem Bündel auf dem Rücken und dem kartoffelgeschwellten Hemd, aber die Leute verstehen und verzeihen.

„Er ist ein Vater, der sich aufopfert und der sich den Mantel vom Mund abspart, um seinem Söhnchen Kartoffeln geben zu können“, erklärt ein Herr seinem Knaben. Mein Herz ist voll Stolz, aber in der Straßenbahn sind die Halteriemen sehr hoch oben!

Als ich bei einem plötzlichen Ruck des Wagens instinktiv die freie Hand nach einem Halteriemen ausstrecke, schlüpft mir das Hemd, das infolge der ungewohnten Belastung ohnehin schon nicht mehr ganz fest sitzt, aus der Hose, und die Kartoffeln prasseln zu Boden. Ich drehe mich nicht einmal um. Ich überlasse sie ihrem Schicksal. Denn das Gros der Kartoffeln ist ja in dem Bündel auf meinen Schultern ohnehin in Sicherheit.

Auf dem Maria-Adelaide-Platz steige ich, so Gott will, aus. Als letzter, weil so viele Leute da sind; aber es gelingt mir.

Hier müßte ich von den automatischen Türen der mailändischen Straßenbahnen sprechen. Ich werde es nicht tun. Giovannino spricht spricht nie ein häßliches Wort aus, er denkt es sich nur.

Und dann ist es ja niemandes Schuld. Als der Fahrer sieht, daß Giovannino unten ist, schließt er. Er kann sich ja nicht vorstellen, daß es da unmittelbar hinter Giovannino noch ein kartoffelgefülltes Bündel gibt. So bleibt das Bündel in der Falle, Giovannino, der seinen Mantel zärtlich liebt, zieht ihn verzweifelt an sich, und der Mantel kommt heraus, aber die Kartoffeln bleiben im Innern des Wagens.

Das wäre alles. Als mich die ausgezeichnete Frau, die mich schon als Knaben gekannt hatte, heimkommen sah, fragte sie mich: „Und die Kartoffeln?“

Während des ganzen Weges von der Haltestelle bis zum Hause hatte ich zärtlich die einzige Kartoffel gestreichelt, die mir in der Manteltasche verblieben war. „Da sind sie!“ antwortete ich mit feinster Ironie, indem ich die Kartoffel aus der Tasche zog und ihr hinhielt.

„Hotto!“ rief Albertino fröhlich aus.

Tatsächlich scheine ich auf der Straße nicht nur Kartoffeln aufgelesen zu haben, denn Albertino hatte recht. Es handelte sich wirklich um etwas, das mit Pferden zusammenhing.

Die holdselige Gefährtin meiner Sonderzuteilungen sah mich schmerzlich lächelnd an, und ihre großen schwarzen Augen sagten: „Giovannino, Giovannino...!“