Vorreden
vorreden
Des Herrn von Voltaire Kleinere historische Schriften
G. E. Lessings Schriften Erster Teil
G. E. Lessings Schriften Dritter Teil
[Aus:] Gotth. Ephr. Lessings Theatralische Bibliothek
Vermischte Schriften des Hrn. Christlob Mylius,
Erster Brief vom 20. März 1754
Friedrichs von Logau Sinngedichte
Des Herrn von Voltaire
Kleinere historische Schriften
Vorrede des Übersetzers
Der Herr von Voltaire hat sich der Welt als einen allgemeinen Geist zeigen wollen. Nicht zufrieden, die ersten Lorbeern auf dem französischen Parnasse mit erlanget zu haben, ist er die Bahn eines Newtons gelaufen, so stark, versteht sich, als ein Dichter von seinem Fluge sie laufen kann; und durch die tiefsinnige Weltweisheit ermüdet, hat er sich durch die Geschichte mehr zu erholen, als zu beschäftigen geschienen.
Man kennt sein Leben Karls des XIIten. Einige haben es für einen schönen Roman angesehen, welcher dem Curtius den Rang streitig mache. Alle Übertreibung bei Seite, lasset uns gestehen, daß der Grund überall darinne wahr ist, nur daß der Herr von Voltaire überall die theatralische Verschönerung angebracht hat, die er nur zu wohl versteht, um die Zuschauer für einen Helden auf der Bühne einzunehmen.
Seine übrigen historischen Aufsätze sind unter uns weniger bekannt worden, und hätten es vielleicht mehr verdienet. Wir hoffen, daß es nicht unangenehm sein wird, sie hier in einer Übersetzung beisammen zu finden.
Er hat überall gesuchet, sich von dem gemeinen Haufen der Geschichtschreiber zu entfernen. Trockne Tagebücher, welche Kleinigkeiten und nichtige Vorfälle aufzeichnen, die das Gedächtnis füllen wollen, ohne den Geist zu erleuchten, und das Herz zu ordnen, die menschlichen Handlungen beschreiben, ohne die Menschen kennen zu lehren, sind niemals nach seinem Geschmacke gewesen. Man sehe seine Betrachtungen über die Geschichte davon nach, die in dieser Sammlung den ersten Platz einnehmen.
Der Versuch über das Jahrhundert Ludewigs des XIVten ist ein Plan, der Bewunderung verdiente, wenn er auch unausgeführet bliebe. Wann wir nun dem Leser sagten, daß er es nicht geblieben ist? Noch ist zwar dieses wichtige Werk nicht öffentlich erschienen, es ist aber, wie wir gewiß wissen, fertig, und eine Frucht der ruhmvollen Ruhe, in welche der Verfasser nur durch einen Friedrich versetzet werden konnte.
Er hat fast immer in der großen Welt gelebet, und daher kommen ihm die unzähligen Anekdoten, die er überall einstreuet. Er scheint viele davon unter gewisse Titel gebracht zu haben, zum Exempel, der gedruckten Lügen, der Torheiten auf beiden Teilen; daß man also mit Recht diese und dergleichen Aufsätze zu den historischen hat ziehen müssen.
Man hat keine Ordnung unter denselben beobachtet. Es wäre leicht gewesen, sie zu beobachten. Allein man muß nicht alles tun, was leicht ist, saget der Herr von Voltaire. Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologische Ordnung nichts beigetragen haben, da er die Epochen solcher wichtigen Gegenstände, wie sie der Herr von Voltaire meistens gewählet, ohnedem wissen wird; zum Vergnügen auch nichts, denn das Vergnügen wächst durch das Regellose.
An verschiedenen Orten hätte der Übersetzer Anmerkungen machen können; und wer weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie nicht gemacht zu haben? Er würde es wenigstens manchem geschwornen Anmerkungsschmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem Exempel folgete.
Man wird einige Aufsätze hier antreffen, welche in der neuesten Ausgabe der Werke unsers Verfassers sich nicht befinden. Diese hat man hier und da zusammen gesucht.
Der Herr von Voltaire besitzt nicht allein die Kunst, schön zu schreiben, sondern auch, wie Pope saget,
The last and greatest Art, the Art to blot.
Er ist unermüdet in Ausbesserung seiner Werke. Wir haben das Glück gehabt, eines der mit der Feder verbesserten Exemplare seiner Werke zu Rate ziehen zu können, und wir können versichern, daß nichts wichtiges in diesen historischen Aufsätzen dazu gekommen, oder darinne verändert worden ist, welches wir sollten übergangen haben.
Man empfiehlt sich und diese Arbeit dem Wohlwollen der Leser.
Berlin, 1751
L.
Rostock 1752.
G. E. Lessings Schriften
Erster Teil
Vorrede
So sind die Schriftsteller. Das Publikum gibt ihnen einen Finger, und sie nehmen die Hand.
Meine Freunde – – es versteht sich, daß meine Eigenliebe mit darunter gehört – – wollen mich bereden, daß einige Bogen von mir den Beifall der Kenner erlangt hätten. Daß ich es glaube, weil ich meine Rechnung dabei finde, ist natürlich. Und daß ich mich jetzt der Gefahr aussetze, dasjenige Alphabetweise zu verlieren, was ich Bogenweise gewonnen habe, ist zwar auch natürlich, ob es aber eben so gar klug sei, das ist eine andere Frage. Wann der Hund, der in der Fabel nach dem Schatten schnappt, auch zu meinem Vorbilde wird, so mag ich es haben.
Die Bogen, deren ich jetzt gedacht, sind eine Sammlung kleiner Lieder. Sie erschienen vor zwei Jahren unter dem Titel »Kleinigkeiten«. Man darf nicht glauben, daß ich sie eben deswegen so nennte, damit ich der unerbittlichen Kritik mit Höflichkeit den Dolch aus den Händen winden möchte. Ich erklärte schon damals, daß ich der erste sein wolle, dasjenige mit zu verdammen, was sie verdammt; sie, der zum Verdruß ich wohl einige mittelmäßige Stücke könnte gemacht haben; der zum Trotze ich aber nie diese mittelmäßige Stücke für schön erkennen würde. Ich griff ihr so gar vor, und bat meine Leser gewisse Blätter zu überschlagen, die ich damit entschuldigte, daß die Handschrift schon seit drei Jahren nicht mehr in meiner Gewalt gewesen sei.
Ob diese Versicherung unter die Autorstreiche gehörte, wird man jetzt aus dem zweiten Drucke sehen. Ich habe geändert; ich habe weggeworfen, und bin so strenge gewesen, als es nur immer meine Einsicht hat zulassen wollen. Es ist wahr, ich hätte noch strenger sein können; wenn ich nämlich alles durchgestrichen, oder wenigstens alles, ohne mich jemals zu entdecken, so wie es war, gelassen hätte: Denn das elende streicht sich selbst durch, und schlechte Verse, die niemand liest, sind so gut, als wären sie nicht gemacht worden. Doch es mag drum sein; ich bekenne es, daß ich gegen die kleinen Denkmäler meiner Arbeit nicht ganz ohne Zärtlichkeit bin; und daß sich diese Zärtlichkeit doppelt fühlen läßt, wenn ich sie namenlos ein Raub des ersten des besten werden sehe.
Aber überlege ich es auch? Diese Lieder enthalten nichts, als Wein und Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir denken? – – Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer leichtsinnigen Moral, oder man nenne sie poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen; man sage, ich habe meine Ausschweifungen darinne verewigen wollen, oder man sage, ich rühme mich darinne solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht einmal geschickt sei; man gebe ihnen entweder einen allzuwahren Grund, oder man gebe ihnen gar keinen: alles wird mir einerlei sein. Genug sie sind da, und ich glaube, daß man sich dieser Art von Gedichten, so wenig als einer andern, zu schämen hat.
Ich weiß, daß auch andre so denken, und wenigstens bin ich es von einem gewissen Herrn H** überzeugt. Dieser Herr hat meine Kleinigkeiten mit dem alleraußerordentlichsten Beifalle beehrt, indem er sie für seine Arbeit ausgegeben. Und wann es nicht darauf ankäme, daß entweder er oder ich ein Lügner sein müßte, so würde ich mir ein Vergnügen daraus gemacht haben, ihm niemals zu widersprechen: denn die Ehre, die ihm daraus hätte zufließen können, wäre ohne Zweifel so klein gewesen, daß sie meinen Neid nicht würde erweckt haben. Damit ich ihn aber nicht durch diese Erklärung gänzlich zu Schanden mache, so will ich ihm dasjenige, was er sich wider mein Wissen angemaßt hat, hier vor den Augen der ganzen Welt schenken. Ich würde dieses am besten in einer Zueignungsschrift haben tun können, und würde es auch wirklich getan haben, wann ich von dem Zueignen nicht ein allzu abgesagter Feind wäre. Diese Schenkung, wann es ihm beliebt, kann er auch auf alles das übrige erstrecken, und ich will gar nicht böse werden, wenn ich höre, daß auch meine Oden, meine Fabeln, meine Sinnschriften, und meine Briefe ein andrer gemacht hat.
Doch ich eile von diesen allen meinen Lesern nur einige Worte zu sagen. Wann durch das Ausstreichen in den Liedern keine Lücken entstanden wären, und wann ich diese Lücken zu erfüllen nicht meinen ganzen poetischen Vorrat hätte durchlaufen müssen, so würde ich vielleicht an eine Sammlung aller meiner Versuche noch lange nicht gedacht haben; und sie würden noch lange zerstreut und verstümmelt in der Irre und im Vergessen geblieben sein. Doch so gehts; wenn man ein Schriftsteller werden soll, so muß sich alles schicken. Die väterliche Liebe ward auf einmal bei mir rege, und ich wünschte meine Geburten beisammen zu sehen. Ich weiß nicht was es für ein Geschicke ist, daß solche Wünsche immer am ersten erfüllt werden; das aber weiß ich, daß wir oft durch die Erfüllung unsrer Wünsche gestraft werden. Ob mir es auch so gehen soll, wird die Aufnahme dieser zwei Teile entscheiden, von welchen ich dem Publico ganz im Vertrauen eröffne, daß sie nichts als ein Paar verwegne Kundschafter sind.
Der erste enthält dasjenige, was ich in den kleinen Gattungen von Gedichten versucht habe. Der Lieder habe ich schon gedacht, und die verschiedenen neuen Stücke, welche darzu gekommen sind, haben mich genötiget, sie in zwei Büchern abzuteilen. Für diese bin ich am wenigsten besorgt, weil sie größten Teils das Licht schon kennen, und bei diesem Abdrucke mehr gewonnen, als verloren haben.
Den wenigen Oden, welche darauf folgen, gebe ich nur mit Zittern diesen Namen. Sie sind zwar von einem stärkern Geiste als die Lieder, und haben ernsthaftere Gegenstände; allein ich kenne die Muster in dieser Art gar zu gut, als daß ich nicht einsehen sollte, wie tief mein Flug unter dem ihrigen ist. Und wenn zum Unglücke gar etwa nur das Oden sein sollten, was ich, der schmalen Zeilen ungeachtet, für Lehrgedichte halte, die man anstatt der Paragraphen in Strophen eingeteilet hat; so werde ich vollends Ursache mich zu schämen haben.
Die Fabeln, die ich gemacht habe, sind von verschiedener Art, und ich begreife unter diesem Namen auch die Erzählungen, weil ich finde, daß sie selbst Phädrus mit darunter begriffen hat. Andere mögen dem Beispiele des Fontaine folgen, welcher freilich Ursache hatte, seine Erzählungen, von den Fabeln, die der Unterweisung gewidmet sind, zu unterscheiden. Die ganze Sache ist eine Kleinigkeit. In Ansehung der Erfindung, glaube ich, werden sie größtenteils neu sein, und ich will es andern überlassen, dasjenige noch besser zu erzählen, was hundert andere schon gut erzählt haben. Was wird man aber von dem Ausdrucke sagen? Ich hätte der Art des nur gedachten französischen Dichters folgen müssen, wann ich die Mode hätte mitmachen wollen. Allein ich fand, daß unzählige, weil sie ihm ohne Geschicklichkeit nachgeahmet haben, so läppisch geworden sind, daß man sie eher für alte Weiber, als für Sittenlehrer halten könnte; ich sahe, daß es nur einem Gellert gegeben sei, in seine Fußstapfen glücklich zu treten. Ich band mich also lieber an nichts; und schrieb sie so auf, wie es mir jedesmal am besten gefiel. Daher kommt es, daß einige niedrig genung sind; andere aber ein wenig zu poetisch. Daher kommt es so gar, daß ich verschiedene lieber in Prosa habe erzählen wollen, als in Versen, zu welchen ich vielleicht damals nicht aufgelegt war.
Ich komme auf die Sinngedichte. Ich habe hierinne keinen andern Lehrmeister als den Martial gehabt, und erkenne auch keinen andern, es müßten denn die sein, die er für die seinigen erkannt hat, und von welchen uns die Anthologie einen so vortrefflichen Schatz derselben aufbehalten. Aus ihm also und aus dieser Sammlung, wird man verschiedene übersetzt, und sehr viele nachgeahmt finden. Daß ich zu beißend und zu frei darinne bin, wird man mir wohl nicht vorwerfen können; ob ich gleich beinahe in der Meinung stehe, daß man beides in Sinnschriften nicht genug sein kann. Ich habe bei den wenigsten gewisse Personen im Sinne gehabt, und ich verbitte also im voraus alle Erklärungen.
Den Schluß in dem ersten Teile machen Fragmente; solche Stücke nämlich die ich entweder nicht ganz zu Stande gebracht habe, oder die ich dem Leser nicht ganz mitzuteilen für gut befinde. Ich hätte sie also wohl ganz und gar zurück behalten können? Vielleicht; und es kömmt darauf an, ob man nicht etwas darunter findet, welches gleichwohl der Erhaltung nicht unwert ist.
Anfangs war ich willens einige kleine Stücke durch ein Zeichen merklich zu machen. Diejenigen nämlich, die ich mir nicht ganz zuschreiben kann, und wovon ich die Anlage aus dem oder jenem französischen Dichter geborgt zu haben, mir nicht verbergen kann. Doch da dieser Zeichen nur sehr wenige geworden wären, und ich außerdem überlegte, daß es dem Leser sehr gleichgültig sei, wem er eigentlich einen Einfall zu danken hat, wenn der Einfall ihm nur Vergnügen macht; so habe ich es gar unterlassen. Ich werde ohnedem der Gefahr nicht ausgesetzt sein, daß man auch aus meinen Poesien, zur Ehre des deutschen Witzes, Proben ins Französische übersetzt, und zum Unglück gleich auf solche fällt, die von einem Franzosen entlehnt sind.
Der zweite Teil enthält Briefe. Man wird ohne Zweifel galante Briefe vermuten. Allein ich muß bekennen, daß ich noch bis jetzt keine Gelegenheit gehabt habe, dergleichen zu schreiben. Mir Korrespondentinnen zu erdichten, und an Schönheiten zu schreiben, die nicht existieren, schien mir in Prosa ein wenig zu poetisch zu sein. Es sind also nichts als Briefe an Freunde, und zwar an solche, an die ich etwas mehr als Komplimente zu schreiben gewohnt bin. Ich schmeichle mir so gar, daß in den meisten etwas enthalten ist, was die Mühe sie zu lesen belohnt. Wenn man an Freunde schreibt, so schreibt man ohne ängstlichen Zwang, und ohne Zurückhaltung. Beides wird man auch in meinen Briefen finden, und ich will lieber, ein wenig nachlässig und frei scheinen, als ihnen diese Merkmale abwischen, welche sie von erdichteten Briefen unterscheiden müssen. Ich habe ihrer einen ziemlichen Vorrat, und die welche ich hier ohne Wahl, so wie sie mir in die Hände geraten, mitgeteilt, sind die wenigsten. Es wird mir angenehm sein, wenn meine Freunde nicht die einzigen sind, die etwas darinne zu finden glauben.
Ich habe gesagt, daß diese beiden Teile nichts als Kundschafter sind. Einige ernsthafte Abhandlungen, und verschiedene größre Poesien, wozu ich die dramatischen Stücke vornehmlich rechne, möchten ihnen gerne folgen. Unter den letzten sind einige, welche schon die Probe der öffentlichen Vorstellung ausgehalten, und wenn ich sie selbst rühmen darf, auch Beifall gefunden haben. Die Probe des Drucks ist die letzte und wichtigste.
Ich kann hier meine Vorrede beschließen, und muß den Leser um Verzeihung bitten, daß ich von nichts als von mir geredet habe.
Berlin (Voss) 1753.
G. E. Lessings
Schriften
Dritter Teil
Vorrede
Ich bin eitel genug, mich des kleinen Beifalls zu rühmen, welchen die zwei ersten Teile meiner Schriften, hier und da, erhalten haben. Ich würde dem Publico ein sehr abgeschmacktes Kompliment machen, wann ich ihn ganz und gar nicht verdient zu haben, bekennen wollte. Eine solche Erniedrigung schimpft seine Einsicht, und man sagt ihm eine Grobheit, anstatt eine Höflichkeit zu sagen. Es sei aber auch ferne von mir, seine schonende Nachsicht zu verkennen, und die Aufmunterung, die es einem Schriftsteller widerfahren läßt, welcher zu seinem Vergnügen etwas beizutragen sucht, für ein schuldiges Opfer anzusehen.
Ob mir nun also der erste Schritt schon nicht mißlungen ist; so bin ich doch darum nicht weniger furchtsam, den zweiten zu wagen. Oft lockt man einen nur darum mit Schmeicheleien aus der Szene hervor, um ihn mit einem desto spöttischern Gelächter wieder hineinzutreiben.
Ich nennte es einen zweiten Schritt; aber ich irrte mich: es ist eben sowohl ein erster, als jener. Ein zweiter würde es sein, wenn ich die Bahn nicht verändert hätte. Aber, wie sehr habe ich diese verändert! Anstatt Reime, die sich durch ihre Leichtigkeit und durch einen Witz empfehlen, der deswegen keine Neider erweckt, weil jeder Leser ihn eben so gut als der Poet zu haben glaubt, anstatt solcher Reime bringe ich lange prosaische Aufsätze, die zum Teil noch dazu eine gelehrte Miene machen wollen.
Da ich mir also nicht einmal eben dieselben Leser wieder versprechen kann, wie sollte ich mir eben denselben Beifall versprechen können? Doch er erfolge, oder erfolge nicht; ich will wenigstens auf meiner Seite nichts versäumen, ihn zu erhaschen. Das ist, ich will mich des Rechts der Vorrede bedienen, und mir den höflichsten Wendungen, so nachdrücklich als möglich, zu verstehen geben, von welcher Seite ich gerne wollte, daß man dasjenige, was man nun bald wahrscheinlicher Weise lesen, noch wahrscheinlicherer Weise aber, nicht lesen wird, betrachten möge.
Ich sage also, daß ich den dritten Teil mit einem Mischmasch von Kritik und Literatur angefüllt habe, der sonst einen Autor deutscher Nation nicht übel zu kleiden pflegte. Es ist Schade, daß ich mit diesem Bändchen nicht einige zwanzig Jahr vor meiner Geburt, in lateinischer Sprache, habe erscheinen können! Die wenigen Abhandlungen desselben, sind alle, Rettungen, überschrieben. Und wen glaubt man wohl, daß ich darinne gerettet habe? Lauter verstorbne Männer, die mir es nicht danken können. Und gegen wen? Fast gegen lauter Lebendige, die mir vielleicht ein sauer Gesichte dafür machen werden. Wenn das klug ist, wo weiß ich nicht, was unbesonnen sein soll. – – Man erlaube mir, daß ich nicht ein Wort mehr hinzu setzen darf.
Ich komme vielmehr so gleich auf den vierten Teil, von dessen Inhalte sich mehr sagen läßt, weil er niemanden, oder welches einerlei ist, weil er alle und jede angeht. Er enthält Lustspiele.
Ich muß es, der Gefahr belacht zu werden ungeachtet, gestehen, daß unter allen Werken des Witzes die Komödie dasjenige ist, an welches ich mich am ersten gewagt habe. Schon in Jahren, da ich nur die Menschen aus Büchern kannte – – beneidenswürdig ist der, der sie niemals näher kennen lernt! – – beschäftigten mich die Nachbildungen von Toren, an deren Dasein mir nichts gelegen war. Theophrast, Plautus und Terenz waren meine Welt, die ich in dem engen Bezirke einer klostermäßigen Schule, mit aller Bequemlichkeit studierte – – Wie gerne wünschte ich mir diese Jahre zurück; die einzigen, in welchen ich glücklich gelebt habe.
Von diesen ersten Versuchen schreibt sich, zum Teil, »Der junge Gelehrte« her, den ich, als ich nach Leipzig kam, ernstlicher auszuarbeiten, mir die Mühe gab. Diese Mühe ward mir durch das dasige Theater, welches in sehr blühenden Umständen war, ungemein versüßt. Auch ungemein erleichtert, muß ich sagen, weil ich vor demselben hundert wichtige Kleinigkeiten lernte, die ein dramatischer Dichter lernen muß, und aus der bloßen Lesung seiner Muster nimmermehr lernen kann.
Ich glaubte etwas zu Stande gebracht zu haben, und zeigte meine Arbeit einem Gelehrten, dessen Unterricht ich in wichtigern Dingen zu genießen das Glück hatte. Wird man sich nicht wundern, als den Kunstrichter eines Lustspiels einen tiefsinnigen Weltweisen und Meßkünstler genennt zu finden? Vielleicht, wenn es ein andrer, als der Hr. Prof. Kästner wäre. Er würdigte mich einer Beurteilung, die mein Stück zu einem Meisterstücke würde gemacht haben, wenn ich die Kräfte gehabt hätte, ihr durchgängig zu folgen.
Mit so vielen Verbesserungen unterdessen, als ich nur immer hatte anbringen können, kam mein »Junger Gelehrte« in die Hände der Frau Neuberin. Auch ihr Urteil verlangte ich; aber anstatt des Urteils erwies sie mir die Ehre, die sie sonst einem angehenden Komödienschreiber nicht leicht zu erweisen pflegte; sie ließ ihn aufführen. Wann nach dem Gelächter der Zuschauer und ihrem Händeklatschen die Güte des Lustspiels abzumessen ist, so hatte ich hinlängliche Ursache das meinige für keines von den schlechtesten zu halten. Wann es aber ungewiß ist, ob diese Zeichen des Beifalls mehr für den Schauspieler, oder für den Verfasser gehören; wenn es wahr ist, daß der Pöbel ohne Geschmack am lautesten lacht, daß er oft da lacht, wo Kenner weinen möchten: so will ich gerne nichts aus einem Erfolge schließen, aus welchem sich nichts schließen läßt.
Dieses aber glaube ich, daß mein Stück sich auf dem Theater gewiß würde erhalten haben, wenn es nicht mit in den Ruin der Frau Neuberin wäre verwickelt worden. Es verschwand mit ihr aus Leipzig, und folglich gleich aus demjenigen Orte, wo es sich, ohne Widerrede, in ganz Deutschland am besten ausnehmen kann.
Ich wollte hierauf mit ihm den Weg des Drucks versuchen. Aber was liegt dem Leser an der Ursache, warum sich dieser bis jetzt verzögert hat? Ich werde beschämt genug sein, wenn er finden sollte, daß ich gleichwohl noch zu zeitig damit hervorrückte.
Das war doch noch einmal eine Wendung, wie sie sich für einen bescheidnen Schriftsteller schickt! Aber man gebe Acht, ob ich nicht gleich wieder alles verderben werde! -Man nenne mir doch diejenigen Geister, auf welche die komische Muse Deutschlands stolz sein könnte? Was herrscht auf unsern gereinigten Theatern? Ist es nicht lauter ausländischer Witz, der so oft wir ihn bewundern, eine Satyre über den unsrigen macht? Aber wie kommt es, daß nur hier die deutsche Nacheiferung zurückbleibt? Sollte wohl die Art selbst, wie man unsre Bühne hat verbessern wollen, daran Schuld sein? Sollte wohl die Menge von Meisterstücken, die man auf einmal, besonders den Franzosen abborgte, unsre ursprünglichen Dichter niedergeschlagen haben? Man zeigte ihnen auf einmal, so zu reden, alles erschöpft, und setzte sie auf einmal in die Notwendigkeit, nicht bloß etwas gutes, sondern etwas bessers zu machen. Dieser Sprung war ohne Zweifel zu arg; die Herren Kunstrichter konnten ihn wohl befehlen, aber die, die ihn wagen sollten, blieben aus.
Was soll aber diese Anmerkung? Vielleicht meine Leser zu einer gelindern Beurteilung bewegen? – – Gewiß nicht; sie können es halten wie sie wollen. Sie mögen mich gegen meine Landsleute, oder gegen Ausländer aufwägen; ich habe ihnen nichts vorzuschreiben. Aber das werden sie doch wohl nicht vergessen, wenn die Kritik den »Jungen Gelehrten« insbesondere angeht, ihn nur immer gegen solche Stücke zu halten, an welchen die Verfasser ihre Kräfte versucht haben?
Ich glaube die Wahl des Gegenstandes hat viel dazu beigetragen, daß ich nicht ganz damit verunglückt bin. Ein »Junger Gelehrte«, war die einzige Art von Narren, die mir auch damals schon unmöglich unbekannt sein konnte. Unter diesem Ungeziefer aufgewachsen, war es ein Wunder, daß ich meine ersten satyrischen Waffen wider dasselbe wandte?
Das zweite Lustspiel, welches man in dem vierten Teile finden wird, heißt »Die Juden«. Es war das Resultat einer sehr ernsthaften Betrachtung über die schimpfliche Unterdrückung, in welcher ein Volk seufzen muß, das ein Christ, sollte ich meinen, nicht ohne eine Art von Ehrerbietung betrachten kann. Aus ihm, dachte ich, sind ehedem so viel Helden und Propheten aufgestanden, und jetzo zweifelt man, ob ein ehrlicher Mann unter ihm anzutreffen sei? Meine Lust zum Theater war damals so groß, daß sich alles, was mir in den Kopf kam, in eine Komödie verwandelte. Ich bekam also gar bald den Einfall, zu versuchen, was es für eine Wirkung auf der Bühne haben werde, wenn man dem Volke die Tugend da zeigte, wo es sie ganz und gar nicht vermutet. Ich bin begierig mein Urteil zu hören.
Noch begieriger aber bin ich, zu erfahren, ob diese zwei Proben einige Begierde nach meinen übrigen dramatischen Arbeiten erwecken werden. Ich schließe davon alle diejenigen aus, welche hier und da unglücklicher Weise schon das Licht gesehen haben. Ein beßrer Vorrat, bei welchem ich mehr Kräfte und Einsicht habe anwenden können, erwartet nichts als die Anlegung der letzten Hand. Diese aber wird lediglich von meinen Umständen abhangen. Ein ehrlicher Mann, der nur einigermaßen gelernt hat, sich von dem Äußerlichen nicht unterdrücken zu lassen, kann zwar fast immer aufgelegt sein, etwas ernsthaftes zu arbeiten, besonders wann mehr Anstrengung des Fleißes, als des Genies dazu erfordert wird; aber nicht immer etwas witziges, welches eine gewisse Heiterkeit des Geistes verlangt, die oft in einer ganz andern Gewalt, als in der unsrigen stehet – – Es rufen mir ohnedem fast versäumte wichtigere Wissenschaften zu:
Satis est potuisse videri!
Berlin (Voss) 1754.
[Aus:]
Gotth. Ephr. Lessings
Theatralische Bibliothek
Vorrede
Man wird sich der »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters« erinnern, von welchen im Jahr 1750 vier Stück zum Vorschein kamen. Nicht der Mangel der guten Aufnahme, sondern andere Umstände machten ihnen ein zu kurzes Ende. Ich könnte es beweisen, daß Leute von Einsicht und Geschmack öffentlich die Fortsetzung derselben gewünscht haben. Und so viel man auch von dergleichen öffentlichen Wünschen, nach Gelegenheit ablassen muß, so bleibt doch noch immer so viel davon übrig, als hinlänglich ist, mein gegenwärtiges Unternehmen zu rechtfertigen.
Man sieht leicht, daß ich hiermit diese Theatralische Bibliothek als eine Folge gedachter Beiträge ankündigen will. Ich verliere mich, nach dem Sprichworte zu reden, nicht mit meiner Sichel in eine fremde Ernte; sondern mein Recht auf diese Arbeit ist gegründet. Von mir nämlich schrieb sich nicht nur der ganze Plan jener periodischen Schrift her, so wie er in der Vorrede entworfen wird; sondern auch der größte Teil der darin enthaltenen Aufsätze ist aus meiner Feder geflossen. Ja ich kann sagen, daß die fernere Fortsetzung nur dadurch wegfiel, weil ich länger keinen Teil daran nehmen wollte.
Zu diesem Entschlusse brachten mich, Teils verschiedene allzukühne und bittere Beurteilungen, welche einer von meinen Mitarbeitern einrückte; Teils einige kleine Fehler, die von Seiten seiner gemacht wurden, und die notwendig dem Leser von den Verfassern überhaupt einen schlechten Begriff beibringen mußten. Er übersetzte, zum Exempel, die Clitia des Machiavells. Ich konnte mit der Wahl dieses Stücks, in gewisser Absicht, ganz wohl zu frieden sein; allein mit seinem Vorberichte hatte ich Ursache, es ganz und gar nicht zu sein. Er sagte unter andern darinne: »Fragt man mich, warum ich nicht lieber ein gutes als ein mittelmäßiges Stück gewählt habe? so bitte ich, mir erst ein gutes Stück von dem italienischen Theater zu nennen.« – – – Diese Bitte machte mich so verwirrt, daß ich mir nunmehr beständig vorstellte, ein jeder der in der welschen Literatur nur nicht ganz und gar ein Fremdling sei, werde uns zurufen: wenn ihr die Bühnen der übrigen Ausländer nicht besser kennt, als die Bühne der Italiener, so haben wir uns feine Dinge von euch zu versprechen!
Was war also natürlicher, als daß ich die erste die beste Gelegenheit ergriff, mich von einer Gesellschaft los zu sagen, die gar leicht meinen Entwurf in der Ausführung noch mehr hätte verunstalten können? Ich nahm mir vor, meine Bemühungen für das Theater in der Stille fortzusetzen, und die Zeit zu erwarten, da ich das allein ausführen könnte, von welchem ich wohl sahe, daß es gemeinschaftlich mit andern nicht allzuwohl auszuführen sei.
Ich weiß nicht, ob ich mir schmeicheln darf, diese Zeit jetzt erreicht zu haben. Wenigstens kann ich versichern, daß ich seit dem nicht aufgehöret habe, meinen erstern Vorrat mit allem zu vermehren, was, nach einer kleinen Einschränkung des Plans, zu meiner Absicht dienlich war.
Diese Einschränkung bestand darinne, daß ich den Beiträgen, welche, ihrer ersten Anlage nach, ein Werk ohne Ende scheinen konnten, eine Anzahl mäßiger Bände bestimmte, welche zusammengenommen, nicht bloß einen theatralischen Mischmasch, sondern wirklich eine kritische Geschichte des Theaters zu allen Zeiten und bei allen Völkern, obgleich ohne Ordnung weder nach den einen, noch nach den andern, enthielten. Ich setzte mir also vor, nicht alles aufzusuchen, was man von der dramatischen Dichtkunst geschrieben habe, sondern das beste und brauchbarste; nicht alle und jede dramatische Dichter bekannt zu machen, sondern die vorzüglichsten, mit welchen entweder eine jede Nation als mit ihren größten pranget, oder welche wenigstens Genie genug hatten, hier und da glückliche Veränderungen zu machen. Und auch bei diesen wollte ich mich bloß auf diese von ihren Stücken einlassen, welchen sie den größten Teil ihres Ruhms zu danken haben. Mein vornehmstes Augenmerk blieben aber dabei noch immer die Alten, mit welchen ich das noch gewiß zu leisten hoffe, was ich in der Vorrede zu den Beiträgen versprochen habe.
Zweierlei wird man daselbst auch noch versprochen finden, womit ich mich aber jetzt ganz und gar nicht abgeben will. Erstlich werde ich es nicht wagen, die dramatischen Werke meiner noch lebenden Landsleute zu beurteilen. Da ich mich selbst unter sie gemengt habe, so habe ich mich des Rechts, den Kunstrichter über sie zu spielen, verlustig gemacht. Denn entweder sie sind besser, oder sie sind geringer als ich. Jene setzen sich über mein Urteil hinweg; und was diese ihre Leser bitten, das muß ich die meinigen gleichfalls noch bitten:
– – – date crescendi copiam
Novarum qui spectandi faciunt copiam
Sine vitiis – –
Zweitens werde ich keine Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der verschiedenen Bühnen in Deutschland mitteilen; Teils weil ich für die wenigsten derselben würde stehen können; Teils weil ich unsern Schauspielern nicht gern einige Gelegenheit zur Eifersucht geben will. Sie brauchen, zum Teil, wenigstens eben so viel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.
Was die äußerliche Einrichtung dieser theatralischen Bibliothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen. Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine kurze chronologische Skiagraphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vorgekommen ist, enthalten, und die nötigen Verbindungen hinzutun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst auf einmal übersehen könne. An keine gewisse Zeit werde ich mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß mir selbst daran liegt, sobald es sich tun läßt, zu Stande zu kommen.
Berlin (Voss) 1754.
Vermischte Schriften des Hrn. Christlob Mylius,
gesammelt von Gotthold Ephraim Lessing
Vorrede
Es würde schwer zu bestimmen sein, ob Herr Christlob Mylius sich mehr als einen Kenner der Natur, oder mehr als einen witzigen Kopf bekannt gemacht habe, wenn nicht die letzten Unternehmungen seines Lebens für das erstere den Ausschlag geben müßten. Sein Bestreben war allezeit, diesen gedoppelten Ruhm zu verbinden, den nur diejenigen für widersprechend ansehn, welche die Natur entweder zu plumb oder zu leicht gebildet hat.
Ich war verschiedene Jahre hindurch einer seiner vertrautesten Freunde, und jetzt bin ich sein Herausgeber geworden; zwei Titel, die mir hinlängliche Erlaubnis geben könnten, mich weitläuftig in sein Lob einzulassen, wenn ich mir nicht ein Gewissen machte, denjenigen im Tode zu schmeicheln, welcher mich nie in seinem Leben als einen Schmeichler gefunden hat.
Mit diesem Vorsatze würde ich eine sehr kurze und kahle Vorrede machen müssen, wenn ich nicht, zu Glücke, eine kleine Folge von Briefen in Bereitschaft hätte, durch welche zum Teil diese Sammlung vermischter Schriften ist veranlasset worden. Sie sind an einen Freund geschrieben, welcher den Hrn. Mylius nur bei dem letzten Geräusche, welches er machte, recht kennen lernte. Ich bestimmte sie zwar nur für zwei Augen; da ich aber niemals gern für zwei Augen etwas zu schreiben pflege, welches nicht allenfalls tausend Augen lesen dürften: so mache ich mir kein Bedenken, sie dem Leser vorzulegen. Er wird alles darinnen finden, was ihn in den Stand setzen kann, von den folgenden prosaischen und poetischen Aufsätzen, zugleich auch von allen übrigen Schriften des Hrn. Mylius, ein richtiges Urteil zu fällen. Sie bedürfen keiner weitern Einleitung.
Erster Brief
vom 20. März 1754
Ja, mein Herr, die Nachricht ist gegründet; Herr Mylius ist zwischen den 6ten und 7ten dieses in London gestorben. Ich nehme Ihr Beileid, welches Sie mir in diesem Falle bezeugen wollen, an. Sie kennen mich zu wohl, als daß Sie mir bei diesem Verluste nicht alle die Empfindlichkeit zutrauen sollten, deren ein zur Freundschaft gemachtes Herz fähig ist. Es macht einen ganz besondern Eindruck auf mich, ihn nunmehr in einer Welt zu wissen, die etwas mehr und etwas anders als die See, von der unsrigen trennet. Die Art, mit welcher ich von ihm Abschied nahm, war eine Beurlaubung auf einige flüchtige Tage, und kein Abschied, so gewiß bildete ich mir ein, ihn wieder zu sehen. Ich spottete über die, welche ihm gar zu gern das Herz schwer gemacht hätten.
Wohin, wohin treibt dich mit blutgen Sporen,
Die Wißbegier, dich, ihren Held?
Du eilst, o Mylius! im Auge feiger Toren,
Zur künftgen, nicht zu neuen Welt.
So redete ich ihn in einem kleinen Gedichte, noch wenige Tage vor seiner Abreise, an. Aber ach, die Vermutung dieser feigen Toren ist richtiger gewesen, als meine Hoffnung! Und gleichwohl war sie auf die Kenntnis seines Körpers, den ich nie einer merklichen Unbäßlichkeit unterworfen gesehen hatte, und auf das Urteil erfahrner Leute gebauet, welche eben die Reisen getan hatten, die er zu tun Willens war, und die darauf schworen, daß er das vollkommne Ansehen eines guten Seefahrers habe. Sagen Sie mir, möchte man nicht die Lust verlieren, sich auf irgend etwas schmeichelhaftes, das noch nicht gänzlich in unserer Gewalt ist, mehr Rechnung zu machen? Wäre es nicht besser, wenn man auf gut stoisch in den Tag hinein lebte, und das Künftige das für uns sein ließe, was es in der Tat ist; nichts? – – Zwar die Herren, welche ihm den Tod prophezeiten, haben doch nicht recht prophezeit, obgleich dasjenige, was sie prophezeiten, eingetroffen ist. Die See und Amerika war das, wofür er sich fürchten sollte; England war es nicht. Eine Reise nur von etliche tausend Meilen sollte ihm tödlich sein; und ich kann noch immer behaupten, daß sie es ihm nicht würde gewesen sein, wenn er nicht vorher gestorben wäre – – So viel ist gewiß, er hat sie nicht tun sollen. Wenn ich von den allweisen Einrichtungen der Vorsehung weniger ehrerbietig zu reden gewohnt wäre, so würde ich keck sagen, daß ein gewisses neidisches Geschick über die deutschen Genies, welche ihrem Vaterlande Ehre machen könnten, zu herrschen scheine. Wie viele derselben fallen in ihrer Blüte dahin! Sie sterben reich an Entwürfen, und schwanger mit Gedanken, denen zu ihrer Größe nichts als die Ausführung fehlt. Sollte es aber wohl schwer sein, eine natürliche Ursache hiervon anzugeben? Wahrhaftig sie ist so klar, daß sie nur derjenige nicht sieht, der sie nicht sehen will. Nehmen Sie an, mein Herr, daß ein solches Genie, in einem gewissen Stande geboren wird, der, ich will nicht sagen, der elendeste, sondern nur zu mittelmäßig ist, als daß er noch zu der sogenannten güldnen Mittelmäßigkeit zu rechnen wäre. Und Sie wissen wohl, die Natur hat einen Wohlgefallen daran, aus eben diesem immer mehr große Geister hervor zu bringen, als aus irgend einem andern. Nun überlegen Sie, was für Schwierigkeiten dieses Genie, in einem Lande als Deutschland, wo fast alle Arten von Ermunterungen unbekannt sind, zu übersteigen habe. Bald wird es von dem Mangel der nötigsten Hülfsmittel zurück gehalten; bald von dem Neide, welcher die Verdienste auch schon in ihrer Wiege verfolgt, unterdrückt; bald in mühsamen und seiner unwürdigen Geschäften entkräftet. Ist es ein Wunder, daß es nach aufgeopferten Jugendkräften dem ersten starken Sturme unterliegt? Ist es ein Wunder, daß Armut, Ärgernis, Kränkung, Verachtung endlich über einen Körper siegen, der ohnedem schon der stärkste nicht ist, weil er kein Körper eines Holzhackers werden sollte? Und glauben Sie mir, mein Herr, in diesem Falle war unser Mylius, oder es ist nie einer darinne gewesen. Er ward in einem Dorfe geboren, wo er gar bald mehr lernen wollte, als man ihn daselbst lehren konnte. Er ward von Ältern geboren, deren Vermögen es nicht zuließ, ihn aus einer andern Ursache studieren zu lassen, als daß er einmal, nach der Weise seiner Väter, von einer geschwind erlernten Brodwissenschaft leben könne. Er kam auf eine Schule, die ihn kaum zu dieser Brodwissenschaft vorbereiten konnte. Er kam auf eine Akademie, wo man beinahe nichts so zeitig lernt, als ein Schriftsteller zu werden. Er fiel einem Manne in die Hände, welcher durch Wohltaten manchen jungen Witzling zu seinem Vorfechter zu machen wußte. Er besaß eine natürliche Leichtigkeit zu reimen, und seine Umstände zwangen ihn, sich diese Leichtigkeit mehr zu Nutze zu machen, als es dem Vorsatze ein Dichter zu werden zuträglich ist. Er schrieb, und die grausame Verbindlichkeit, daß er viel schreiben mußte, raubte ihm die Zeit, die er seiner liebsten Wissenschaft, der Kenntnis der Natur, mit bessern Nutzen hätte weihen können. Er verließ endlich die Akademie, und begab sich an einen Ort, wo es ihm mit seiner Gelehrsamkeit beinahe wie denjenigen ging, die von dem, was sie einmal erworben haben, zehren müssen, ohne etwas mehrers dazu verdienen zu können. Nach einiger Zeit ward er zu einem Unternehmen für tüchtig erkannt, von welchem einige Leute sagten, daß man sich nur aus Verzweiflung dazu könne brauchen lassen. Er wollte und sollte reisen; er reisete auch, allein er reisete auf fremder Leute Gnade; und was folgt auf fremder Leute Gnade? Er starb. – – Ja, mein Herr, das ist sein Lebenslauf. Ein Lebenslauf, ohne Zweifel, in welchem das Ende das unglücklichste nicht ist. Und doch behaupte ich, daß er mehr darinne geleistet hat, als tausend andere in seinen Umständen nicht würden geleistet haben. Der Tod hat ihn früh, aber nicht so früh überrascht, daß er keinen Teil seines Namens vor ihm in Sicherheit hätte bringen können. Hiermit tröste ich mich noch; noch mehr aber mit der gewissen Überzeugung, daß er in einer vollkommen philosophischen Gleichgültigkeit wird gestorben sein. Seine Meinungen, die er von dem Zustande der abgeschiedenen Seelen hatte,(1) haben es nicht anders zulassen können. Es ist wahr, er ward in einem großen Vorhaben gestört, aber nicht so, daß er es ganz und gar hätte aufgeben dürfen. Sein Eifer, die Werke der Allmacht näher kennen zu lernen, trieb ihn aus seinem Vaterlande. Und eben dieser Eifer führt seine entbundene Seele nunmehr von einem Planeten auf den andern, aus einem Weltgebäude in das andre. Er gewinnet im Verlieren, und ist vielleicht eben jetzt beschäftiget mit erleuchteten Augen zu untersuchen, ob Newton glücklich geraten, und Bradley genau gemessen habe. Eine augenblickliche Veränderung hat ihn vielleicht Männern gleich gemacht, die er hier nicht genug bewundern konnte. Er weiß ohne Zweifel schon mehr, als er jemals auf der Welt hätte begreifen können. Alles dieses hat er sich in seinem letzten Augenblicke gewiß zum voraus vorgestellt, und diese Vorstellungen haben ihn beruhiget, oder es sind keine Vorstellungen fähig, einen sterbenden Philosophen zu beruhigen – – Ich will aufhören, Sie mit diesen traurigangenehmen Ideen zu beschäftigen. Ich will aufhören, um mich ihnen desto lebhafter überlassen zu können. Es ist bereits Mitternacht, und die herrschende Stille ladet mich dazu ein. Leben Sie wohl.
Zweiter Brief
vom 3. April
Ich soll Ihnen, mein Herr, einige Nachricht von den Schriften des Hrn. Mylius, welche Sie noch nicht kennen, und unter diesen besonders von denen erteilen, in welchen er sich als einen schönen Geist hat zeigen wollen? Mit Vergnügen. Aber erlauben Sie mir, daß ich Sie vorher an eine kleine Anmerkung erinnern darf. Ein gutes Genie ist nicht allezeit ein guter Schriftsteller, und es ist oft eben so unbillig einen Gelehrten nach seinen Schriften zu beurteilen, als einen Vater nach seinen Kindern. Der rechtschaffenste Mann hat oft die nichtswürdigsten, und der klügste die dümmsten; ohne Zweifel, weil dieser nicht die gelegensten Stunden zu ihrer Bildung, und jener nicht den nötigen Fleiß zu ihrer Erziehung angewendet hat. Der geistliche Vater kann oft in eben diesem Falle sein, besonders wenn ihn äußerliche Umstände nötigen, den Gewinnst seine Minerva, und die Notwendigkeit seine Begeisterung sein zu lassen. Ein solcher ist alsdann meistenteils gelehrter als seine Bücher, anstatt daß die Bücher derjenigen, welche sie mit aller Muße und mit Anwendung aller Hülfsmittel ausarbeiten können, nicht selten gelehrter als ihre Verfasser zu sein pflegen – – Nun lassen Sie mich anfangen. Aber wo wollen Sie, daß ich anfangen soll? – – Das erste, was unter seinem Namen gedruckt ward, war eine Ode auf die Schauspielkunst, oder vielmehr eine Ode auf die Verdienste des Hrn. Prof. Gottscheds um die Schauspielkunst. Ihr Inhalt gab ihr ein Recht auf eine Stelle in den »Belustigungen«, die sie in dem sechsten Bande derselben fand. Ich nenne sie eine Ode, weil sie Herr Mylius selbst so nennt, und ein Verfasser ohne Zweifel seine Geburten nennen kann, wie er will. Was halte ich mich dabei auf? Er hat sie nach der Zeit selbst verachtet, und die letzte Strophe ziemlich boshaft parodieren helfen, wie Sie es in dem ersten Teile des »Liebhabers der schönen Wissenschaften« finden können. So geht es fast immer, wenn man Leute von zweideutigen Verdiensten allzusehr erhebt, ehe man sie näher untersucht hat. Man schämt sich endlich, daß man sich bloß gegeben hat, und will allzuspät durch eben so übertriebene Beschimpfungen die Lobsprüche vertilgen, die uns bereits lächerlich gemacht haben. Auf diese Ode folgten seine »Betrachtungen über die Majestät Gottes«, welche aus einer oratorischen Übung entstanden waren, mit der er sich in der vertrauten Rednergesellschaft gezeigt hatte. Er fügte in der Umschmelzung, die natürliche Erklärung des Wunders mit dem Sonnenzeiger Ahas hinzu, welche mehr Aufsehen machte, als sie verdiente. Sie wissen, daß der Herr Inspektor Burg sich alle Mühe gegeben hat, sie zu widerlegen. Ich, meines Teils, habe sie allezeit bloß wegen der Dreistigkeit des Herrn Mylius bewundert. Der Einfall war nicht seine, sondern der Rezensent der »Parentschen Untersuchungen« in den Actis Eruditorum hatte ihn bereits gehabt. Allein was dieser als einen flüchtigen Gedanken, der keine Billigung verdiene, vorgetragen hatte, das trug unser Schriftsteller, grade weg, als eine Wahrheit vor. Und so ist es auch schon recht! Ernsthafte gesetzte Männer müssen zweifeln; und wir, wir jungen Gelehrten, müssen entscheiden. Wer würde es auch sonst wagen, gebilligten Meinungen die Stirne zu bieten, wenn wir es nicht wären, die wir noch alle unser Feuer beisammen haben? – – Sie finden diese Betrachtungen, mein Herr, in eben dem angeführten Bande der Belustigungen; sie enthalten überhaupt viel gemeine Gedanken, und die Schreibart ist die Schreibart eines Deklamators, welcher die Beobachtung der Schulregeln für Ordnung und das O und das Ach für das schönste Rezept zum Feurigen und Pathetischen hält. Fast von eben diesem Schlage sind seine Abhandlungen »Von der Dauer des menschlichen Lebens«; seine Untersuchung, ob die Tiere um der Menschen willen geschaffen worden; und sein Beweis, daß man die Tiere physiologischer Versuche wegen gar wohl lebendig eröffnen dürfe – – Aus diesen letzterm Aufsatze kann man unter andern sehen, daß Herr Mylius die Buchstabenrechnung damals müsse gelernt haben. Er wirft mit a und x um sich, wie einer, der noch nicht lange damit bekannt ist. Das aber hat er mit sehr großen Analysten daselbst gemein, daß es ihm vollkommen gelungen ist, eine Wahrheit, die, in schlechten Worten ausgedrückt, sehr faßlich wäre, durch die allgemeinen Zeichen für die Hälfte seiner Leser zum Rätsel zu machen. Zwar – – als wenn man nur die Leser klug zu machen schriebe! Gnug, wenn man zeigt, daß man selbst klug ist. – – Außer diesen prosaischen Stücken werden Sie auch verschiedene Gedichte in den Belustigungen von ihm finden; besonders einige sapphische Oden, die dieses zärtliche Sylbenmaß sehr wohl beobachten, und viel artige Stellen haben. Das vornehmste aber ist wohl das »Gedicht auf die Bewohner der Kometen«. Ich muß Ihnen sagen, bei was für Gelegenheit es gemacht worden. Der Hr. Prof. Kästner hatte kurz vorher sein philosophisches Gedicht über die Kometen in den Belustigungen drucken lassen. Sie haben es doch gelesen? Es ist in der Tat ein Gedicht; und in der Tat philosophisch. Sein Verfasser hat sich längst den nächsten Platz nach Hallern erworben, und Reimen und Denken nie getrennt. Ich führe folgende Stelle aus dem Gedächtnisse an:
Was aber würde wohl dort im Komet geboren?
Ein widriges Gemisch von Lappen und von Mohren,
Ein Volk, das unverletzt vom Äußersten der Welt,
Wo Nacht und Kälte wohnt, in lichte Flammen fällt.
Wer ist der dieses glaubt?
Ohne Zweifel brachte diese Frage den Hrn. Mylius auf. Er wollte es sein, der es glaubte. Noch mehr, er wollte es sein, der auch andre, es zu glauben, nötigte. Er setzte sich also, und schrieb ein ziemlich lang Gedichte, worinnen er von der Möglichkeit der Bewohner der Kometen, die der Hr. Prof. Kästner nicht geleugnet hatte, und von ihrer Wahrscheinlichkeit, die aber unter seinen Händen noch ziemlich unwahrscheinlich blieb, handelte.
Der Vorsatz an sich selbst war keines Tadels wert; wie ein Dichter, den Herr Mylius nicht wohl leiden konnte, bei einer ähnlichen Gelegenheit spricht. Nur Schade, daß er seine Einbildungskraft nicht besser dabei anstrengte; nur Schade, daß er den kurzen und nervenreichen Ausdruck nicht in seiner Gewalt hatte; nur Schade, daß er sich von dem Reime fortreißen ließ, und in sein ganz Gedicht noch lange nicht so viel gute Gedanken brachte, als wir gute Beobachtungen von Kometen haben. Ein Freund hat so gar nicht mehr, als eine einzige schöne Zeile darinne gefunden; diese nämlich:
Was nützt der größte Stern, der ewig müßig geht?
Er glaubte eine feine Anspielung auf die großen einflußlosen Sterne unter den Menschen darinne zu sehen, von der sich noch zweifeln läßt, ob sie unser Poet dabei gedacht hat. Was für einen artigen physikalischen Roman hätte er uns machen können, wenn er den innern Reichtum seiner Materie recht gekannt und ihn gehörig zu brauchen gewußt hätte! Aber war es von ihm damals zu verlangen? War es von dem geschwornen Schüler eines Meisters zu verlangen, der Reimer die Menge, aber auch nichts als Reimer gezogen hat? Genug, daß Hr. Mylius in den Aufsätzen, die von seiner Feder in den Belustigungen stehen, alles geleistet hat, was ein Gottschedianer leisten kann. Die poetischen sind fließend, und ohne Mittelwörter; und die prosaischen sind gedehnt und rein – – Sie sehen wohl, mein Herr, daß ich mir heute kein Blatt vors Maul nehme. Ich wäre auf guten Wegen; wenn ich nur nicht abbrechen müßte. Leben Sie wohl!
Dritter Brief
vom 22. April
Freilich hat sich Herr Mylius auch in wöchentlichen Sittenschriften versucht. – – Sie wissen, mein Herr, wer die ersten Verfasser in dieser Art waren. Männer, denen es weder an Witz, noch an Tiefsinn, noch an Gelehrsamkeit, noch an Kenntnis der Welt fehlte. Engländer, die in der größten Ruhe und mit der besten Bequemlichkeit, auf alles aufmerksam sein konnten, was einen Einfluß auf den Geist und auf die Sitten ihrer Nation hatte. – – Wer aber sind ihre Nachahmer unter uns? Größtenteils junge Witzlinge, die ungefähr der deutschen Sprache gewachsen sind, hier und da etwas gelesen haben, und, was das betrübteste ist, ihre Blätter zu einer Art von Renten machen müssen. – – – Hr. Mylius war noch nicht lange in Leipzig, als er mit dem Jahr 1745 seinen »Freigeist« anfing, und ihn durch zwei und funfzig Wochen glücklich fortsetzte. Der Titel versprach viel, und ich glaube nicht, daß man zu unsern Zeiten leicht einen anlockendern finden könnte. Ich weiß es aus dem Munde des Verfassers, daß er sich nie hingesetzt, ein Blatt von demselben zu machen, ohne vorher einige Stücke aus dem »Zuschauer« gelesen zu haben. Diese Art sich vorzubereiten und seinen Geist zu einer edeln Nacheiferung aufzumuntern, war ohne Zweifel sehr lobenswert. Freilich kann sie nur bei denen von einiger Wirkung sein, die schon vor sich Kräfte genug hätten, nichts gemeines zu schreiben. Denn denen, welchen diese Kräfte fehlen, wird sie zu weiter nichts nützen, als die äußerliche Einrichtung zu ertappen. Sie werden uns bald ein Briefchen, bald ein Gespräch, bald eine Erzählung, bald ein Gedichtchen vorlegen, und in dieser abwechselnden Armut sich ihren Mustern gleich dünken, deren wahre Schönheiten sie nicht einmal einsehen. – – Hr. Mylius sahe sie allerdings ein, und man kann nicht leugnen, daß sich nicht ein großer Teil von seinem Freigeiste sehr wohl lesen lasse. Verschiedene kleine Züge, die er seiner Person darinne gibt, sind etwas mehr als bloße Erdichtungen. Was er zum Exempel in dem dreizehnten Blatte von des Boethius Troste der Weltweisheit sagt, ist gänzlich nach den Buchstaben zu verstehen. Er hatte von diesem geliebten Buche eine Ausgabe in sehr kleinem Formate, die er eine lange Zeit, anstatt der geriebnen Wurzeln und Kräuter, welche andre aus Artigkeit in die Nase stopfen, in einer Schnupftabaksdose bei sich trug. Die Übersetzung, die er an angeführtem Orte daraus mitteilt, macht ihn zum Erfinder einer im Deutschen noch nie gebrauchten Versart, der adonischen nämlich; und es ist seine Schuld ohne Zweifel nicht, wenn er keine Nachahmer darinne gehabt hat. Was übrigens den Inhalt des »Freigeistes« anbelangt, so wird auch der eigensinnigste Splitterrichter nicht das geringste darinne finden, was der christlichen Tugend und Religion zum Schaden gereichen könnte. Gleichwohl aber ward es – – – und dieses muß ich Ihnen zu melden nicht vergessen – – seinem guten Namen einigermaßen nachteilig, ihn geschrieben zu haben. Er behielt von der Zeit an den Titel seines Buchs statt eines Beinamens, und seine Bekannten waren noch lange hernach gewohnt, die Namen Mylius und Freigeist eben so ordentlich zu verbinden, als man jetzt die Namen Edelmann und Religionsspötter verbindet. Sie können sich leicht einbilden, daß diese Verbindung bei denen, welche die wahre Ursache davon nicht wußten, oft ein sehr empfindliches Mißverständnis werde verursacht haben. Es ist aber so ungegründet, daß ich es auch nicht mit einem Worte weiter widerlegen will. Ich will Ihnen vielmehr noch etwas von seiner zweiten moralischen Wochenschrift sagen, die er bald nach seiner Ankunft in Berlin heraus gab. Sie hieß der »Wahrsager«. Er kam nicht weiter damit, als bis auf das zwanzigste Stück. Die fernere Fortsetzung ward ihm höheres Orts verboten, und es wäre seiner Ehre zuträglicher gewesen, wenn man ihm gleich den Anfang untersagt hätte. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ungleich er sich darinne sieht! Die Schreibart ist nachlässig, die Moral gemein, die Scherze sind pöbelhaft und die Satyre ist beleidigend. Er schonte niemanden und hatte nichts schlechters zur Absicht, als seine Blätter zur skandalösen Chronike der Stadt zu machen. Man schrie daher überall wider ihn, bis ihm das Handwerk gelegt ward. Als ein neuer Ankömmling in Berlin hatte er sich ohne Zweifel einen allzu großen Begriff von der hiesigen Freiheit der Presse gemacht. Er hatte gesehen, daß wichtige Wahrheiten hier Scherz verstehen müssen, und glaubte also, daß ihn die Einwohner auch ertragen würden, wenn er auch schon ein wenig massiv wäre. Allein er irrte sich! Die erstern können durch die allergrößte Mißhandlung nichts verlieren; die andern aber können auch durch die allerkleinste alles verlieren, nämlich ihre Ehre. Was also die Obrigkeit dort aus Sicherheit verstattet, das muß sie hier aus Mitleiden verbieten. – – – Das erste Blatt des Wahrsagers kam Donnerstags heraus. Den Sonntag vorher wußte Hr. Mylius noch nicht, wie es heißen sollte. Er lief hundert Namen durch, und konnte keinen finden, der ihm recht gelegen gewesen wäre. Endlich half ihm der geschwinde Witz eines guten Freundes noch aus der Not. Sie können sich nicht entschließen, wie Sie Ihr Blatt nennen wollen? sagte der Herr von K** zu ihm; Nennen Sie es den Wahrsager. Die zu dumm waren, Sie als einen Freigeist zu hören, die werden gewiß nicht zu klug sein, Ihnen als einem Wahrsager zu folgen. Dieser Einfall ward gebilliget, ob er gleich ein wenig boshaft war, und in drei Stunden war das erste Stück fertig. Mit eben dieser Geschwindigkeit hat Hr. Mylius auch die übrigen ausgearbeitet, und wenn dieser Umstand schon nicht ihren geringen Wert entschuldiget, so verhindert er doch wenigstens zu glauben, daß unser Tachygraphus sie nicht besser habe machen können. – – Ich bin etc.
Vierter Brief
vom 6. Mai
Herr Mylius hat drei Lustspiele und ein musikalisches Zwischenspiel geschrieben. Das sind seine theatralischen Lorbeern! Das erste Lustspiel ward 1745 in Hamburg gedruckt und heißt »Die Ärzte«. Es ist in Prosa; es hat fünf Aufzüge; es beobachtet die drei Einheiten; es läßt die Bühne vor dem Ende eines Aufzugs niemals leer; es hat keine unwahrscheinliche Monologen. – – Warum darf ich nun nicht gleich darzu setzen: kurz, es ist ein vollkommnes Stück? Warum gibt es gewisse schwer zu vergnügende ekle Kunstrichter, welche eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine männliche Moral, eine feine Satyre, eine lebhafte Unterredung, und ich weiß nicht, was noch sonst mehr, verlangen? Und warum, mein Herr, sind Sie selbst einer von diesen Leuten? Ich hätte Ihnen ein so vortreffliches Quidproquo machen wollen, daß Sie meinen Freund den deutschen Moliere nennen sollten. Ein deutscher Moliere! und dieser mein Freund! O wenn es doch wahr wäre! Wenn es doch wahr wäre! – – Hören Sie nur, Hr. Mylius mußte seine Ärzte auf Verlangen machen, was Wunder, daß sie ihm gerieten, wie – – wie alles, was man auf Verlangen macht. Kurz vorher waren »Die Geistlichen auf dem Lande« zum Vorschein gekommen. Sie kennen dieses Stück; es hatte einen jungen Menschen zum Verfasser, der hier in Berlin noch auf Schulen war, der aber nach der Zeit bessere Ansprüche auf den Ruhm eines guten komischen Dichters der Welt vorlegte, und selbst aus Liebe zur Bühne ein Schauspieler ward, nämlich den verstorbenen Hrn. Krieger. In seinen Geistlichen hatte er die Satyre auf eine unbändige Art übertrieben, und ich weiß überhaupt nicht, was ich von der Satyre halten soll, die sich an ganze Stände wagt. Doch Galle, Ungerechtigkeit und Ausschweifung haben nie ein Buch um die Leser gebracht, wohl aber manchem Buche zu Lesern verholfen. Die Welt konnte sich an den Geistlichen nicht satt lesen; sie wurden mehr als einmal gedruckt; ja sie wurden, was die Leser immer um die Hälfte vermehrt, konfisziert. So eine vortreffliche Aufnahme stach einem Buchhändler in die Augen. Er versprach sich keinen kleinen Gewinnst, wenn man auch andre Stände eine solche Musterung könnte passieren lassen, und trug die Abfertigung der Ärzte dem Hr. Mylius auf, der es auch annahm, ob er gleich selbst unter die Söhne des Äskulaps gehörte. Er brachte sonderbares Zeug in sein Lustspiel: eine Jungfer, der man es ansehen kann, daß sie keine Jungfer mehr ist; ein Paar Freier, die sich über eine künftige Frau zur Hälfte vergleichen, und einen Haufen Züge, die vollkommen wohl in eine schlechte englische Komödie passen würden. – – Doch wie steht es um sein zweites Lustspiel? Es heißt der »Unerträgliche« und ist gleichfalls in Prosa und fünf Aufzügen. Es sollte eine persönliche Satyre sein; muß ich Ihnen im Vertrauen sagen. Allein es gelang ihm mit dem Individuo eben so schlecht, als dort mit der Gattung. Denn mit wenigen alles zu sagen, er schilderte seinen Unerträglichen, ich weiß nicht ob so glücklich, oder so unglücklich, daß sein ganzes Stück darüber unerträglich ward. Die Ärzte und den Unerträglichen machte Hr. Mylius bald nacheinander; sein drittes Stück aber, von welchem ich gleich reden will, folgte erst einige Jahre darauf. Es heißt die »Schäferinsel«; es ist in Versen und hat drei Aufzüge. Wenn ich doch wüßte, wie ich Ihnen einen deutlichen Begriff davon machen sollte. – – Kennen Sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig sein, wenn man dieser berühmten Schauspielerin eine vollkommne Kenntnis ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem Artikel verrät sie ihr Geschlecht. Sie tändelt ungemein gerne auf dem Theater. Alle Schauspiele von ihrer Erfindung sind voller Putz, voller Verkleidung, voller Festivitäten; wunderbar und schimmernd. – – Vielleicht zwar kannte sie ihre Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte. Doch dem sei, wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Hr. Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete. Er hätte sie am kürzesten ein pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen können. Nachdem er einmal den Entwurf davon gemacht hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung nicht mehr als vier Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Szene schlaflos zu. So lange er damit beschäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; so bald er aber fertig war, und er mir seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmütigste Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. – – Noch ein Wort von seinem Zwischenspiele. Es heißt der »Kuß«; es ward komponiert, und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt. Es fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darinne machte. Der Inhalt war aus der Schäferwelt. – – Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; verzeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu gewinnen, schließe. Ich will lieber den ganzen Spaziergang an niemanden, als an Sie denken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!
Fünfter Brief
vom 4. Junius
An Kenntnis der vortrefflichsten Muster fehlte es dem Hrn. Mylius gar nicht. Und wie hätte es ihm auch so leicht daran fehlen können, da er das Hülfsmittel der Sprachen vollkommen wohl in seiner Gewalt hatte? Die vornehmsten lebendigen und toten waren ihm geläufig. Von der lateinischen werden Sie mir es ohne Beweis glauben. In Ansehung der griechischen beruf ich mich auf seine Übersetzungen, die er aus dem Aristophanes und Lucian gemacht hat. Diese letztern werden Sie in der »Sammlung auserlesener Schriften« dieses Sophisten, welche im Jahr 1745 bei Breitkopfen gedruckt ist, finden. Der Hr. Prof. Gottsched machte eine unverlangte Vorrede dazu, mit der er dem Publico einen schlechten Dienst erwies. Die Besorger wurden darüber ungehalten, und anstatt, daß sie uns den ganzen Lucian deutsch liefern wollten, ließen sie es bei dieser Probe bewenden. Ich würde einen langen und trocknen Brief schreiben müssen, wenn ich Ihnen auch alle seine Übersetzungen aus dem Französischen, Italienischen und Englischen anführen wollte. Unter den erstern verdienen ohne Zweifel die »Kosmologie des Hrn. von Maupertuis«, und des »Hrn. Clairaut Anfangsgründe der Algebra« die vorzüglichste Stelle. Beide Werke zu übersetzen, ward etwas mehr als die bloße Kenntnis der Sprache erfordert; einer Sprache in der er übrigens seine Briefe am liebsten abzufassen pflegte. Und ich muß es Ihnen nur beiläufig sagen, daß sein Briefwechsel sehr groß war; größer als ihn vielleicht mancher in dem einträglichsten Amte sitzender Gelehrte, aus Furcht vor den Unkosten, übernehmen möchte. Er war nicht bloß in Deutschland eingeschlossen; er erstreckte sich noch viel weiter, und es war allerdings eine Ehre für ihn, daß er die verbindlichsten Antworten von einem Reaumur, Linnäus, Watson, Lyonet etc. aufweisen konnte. – – Aus dem Italienischen hat Hr. Mylius unter andern in den »Beiträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters«, die Clitia des Machiavells übersetzt; und aus dem Englischen, Popens Versuch über den Menschen. Durch diese letztere Übersetzung, welche in Prosa ist und in dem zweiten Bande der »Hällischen Bemühungen« steht, wollte er die Arbeit des Hrn. Brockes ausstechen. Das Weitschweifende und Wäßrichte seines paraphrastischen Vorgängers hat er zwar leichtlich vermeiden können, allein daß es sonst ohne Fehler auf seiner Seite hätte abgehen sollen, das war so leicht nicht. Ohne Zweifel wußte er damals so viel Englisch noch nicht, und konnte es auch nicht wissen, als er während seines Aufenthalts zu London, in seinem letzten Jahre, durch die Übersetzung von Hogarths »Zergliederung der Schönheit«, zu wissen gezeigt hat. Ja er ist so gar noch selbst, mitten unter den Engländern, ein Schriftsteller in ihrer Sprache geworden. Und zwar ein kritischer Schriftsteller. Er ließ nämlich über ein neues Trauerspiel des Hrn. Glover einen Brief drucken, in welchem er sich Christpraise Myll nannte. Ohne Zweifel wollte er die englischen Leser durch seinen deutschen Namen nicht abschrecken. Noch habe ich diesen Brief nicht gesehen, und ich kenne ihn nur zum Teil aus dem Monthly Review, wo er ganz kaltsinnig und kurz angezeigt wird. Er hat dem Hrn. Glover die Verabsäumung einiger dramatischen Regeln vorgerückt; und Sie wissen wohl, mein Herr, was die Regeln in England gelten. Der Brite hält sie für eine Sklaverei und sieht diejenigen, welche sich ihnen unterwerfen, mit eben der Verachtung und mit eben dem Mitleid an, mit welchem er alle Völker, die sich eine Ehre daraus machen, Königen zu gehorchen, betrachtet, wenn auch diese Könige schon Friedriche sind. Doch ich zweifle, ob Hr. Mylius zu einer wichtigern Kritik aufgelegt war; sein Geist war in Gottscheds Schule zu mechanisch geworden, und der unglückliche Tadler der ewigen Gedichte eines Hallers konnte unmöglich mit seinem Geschmacke bei einem Volke bewundert werden, welches uns dieses Dichters wegen zu beneiden Grund hätte. Wie? werden Sie sagen, der unglückliche Tadler Hallers? Ja, mein Herr, dieses war Hr. Mylius; denn er ist es, aus dessen Feder die Beurteilung des Hallerischen Gedichts, über den Ursprung des Übels, in den ersten Stücken der hällischen Bemühungen, geflossen ist. Ich sage mit Fleiß, aus seiner Feder und nicht aus seinem Kopfe. Der Hr. Prof. Gottsched dachte damals für ihn, und mein Freund hat es nach der Zeit mehr als einmal bereuet, ein so schimpfliches Werkzeug des Neides gewesen zu sein. Doch ich weiß schon, auf wen die größte Schande fällt; auf den ohne Zweifel, auf welchen alle seine Schüler ihre Vergehungen bürden, und ihn, wie den Versöhnungsbock, in die Wüste schicken sollten. – – Aber, bewundern Sie doch mit mir den Hrn. von Haller! Entweder er hat es gewußt, daß ihn Hr. Mylius ehedem so schimpflich kritisiert habe; oder er hat es nicht gewußt. In dem ersten Falle bewundre ich seine Großmut, die auf keine Rache dieser persönlichen Beleidigung gedacht, sondern sich den Beleidiger vielmehr unendlich zu verbinden gesucht hat. In dem andern Falle bewundre ich – – seine Großmut nicht weniger, die sich nicht einmal die Mühe genommen hat, die Namen seiner spöttischen Tadler zu wissen – – Leben Sie wohl. Ich bin etc.
Sechster Brief
vom 20. Junius
O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß verschiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise Teil gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrüßlich sind, und ihr Geld bereuen. Was haben wir nun davon? heißt es bei einigen auch hier. Ehre! habe ich denen, die ich näher kenne, geantwortet. Ehre! – – »Nichts weiter? versetzte man. Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturaliensammlungen würden vermehren können.« – – Ei! und also sahen Sie den Hrn. Mylius nicht so wohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Commissionair an, der für Sie nach Amerika reisete, um die Lücken Ihres Cabinets, so wohlfeil als möglich, zu erfüllen? – – »Nicht viel anders!« – – Nicht viel anders? So nehme ich mir die Freiheit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne. Aber wissen Sie wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was Hr. Mylius eigentlich Sie, und alle Beförderer seiner Reise angesehen hat? Für Verschwender; für Leute die ihr überflüssiges Vermögen zu sonst nichts bessern anzuwenden wüßten; die nur Geld verschenkten, um es zu verschenken, und – – »Was? hat man mich unterbrochen; uns für Verschwender anzusehen?« – – Wahrhaftig, meine Herren, dafür hat Sie Hr. Mylius angesehen, noch ehe er die Ehre hatte, Sie zu kennen. Ich habe ihnen hierauf, um sie rechtschaffen zu kränken, eine Stelle aus dem satyrischen Sendschreiben(2) meines Freundes vorgelesen, in welchem er verschiedne Anschläge erteilet, wie man die Torheiten und Laster der Menschen zum Aufnehmen der Naturlehre nützen könne. Er hat dieses Sendschreiben in die »Ermunterungen« eingerückt, und die Stelle, auf welche ich ziele, ist viel zu sonderbar, als daß mich die Mühe tauern sollte, sie Ihnen, mein Herr, hier abzuschreiben. »Die Verschwender, sagt er, lasse man ihr Geld auf die Besoldung einer Anzahl Reisender wenden, welche die Welt die Länge und Quere durchreisen und durchschiffen, und, wenn es das Glück will, allerlei physikalische und zur Naturgeschichte gehörige Entdeckungen machen. Man lasse auf ihre Unkosten Luftschiffe bauen, und den Erfolg auf ein Geratewohl ankommen. Die Ausführung solcher Unternehmungen trage man irrenden Rittern, Don Quixoden und Wagehälsen auf, und erwarte mit Vergnügen und Gelassenheit, ob die Naturlehre dadurch mit neuen Erfindungen und Lehrsätzen wird bereichert werden. Die Sache mag so übel ausschlagen, als sie will, so werden doch weder die physikalischen Wissenschaften, noch ihre uneigennützige Handlanger einigen Schaden davon haben.« – – Was sagen Sie zu dieser Stelle, mein Herr? Vielleicht, daß sie etwas prophetisches hat. Doch ich bin gewiß überzeugt, daß Hr. Mylius ein sehr lobenswürdiger und vorsichtiger Wagehals würde gewesen sein, wenn ihm der Tod vergönnt hätte, seine Geschicklichkeit zu zeigen. Er würde sich nicht begnügt haben, so er hingekommen wäre, bloß mit den Augen eines Naturforschers zu sehen, und um nichts, als um einen Stein oder um ein Kraut sich Gefahren auszusetzen. Er würde ein allgemeiner Beobachter gewesen sein, und die Kenntnis des Schönsten in der Natur, des Menschen, für keine Kleinigkeit angesehen haben, ob sie gleich in dem gemeinen Plane seiner Reise nicht in Betrachtung gezogen war. – – Doch, erlauben Sie mir, mein Herr, daß ich Ihnen auch endlich einmal von etwas andern schreibe. Die Erinnerung der Geschicklichkeiten meines Freundes ist mir zu peinlich, und ich empfinde seinen Verlust zu lebhaft, wenn ich derselben allzusehr nachhänge. – – – Lassen Sie uns vielmehr etc. – – –
Hier gerieten wir in unserm Briefwechsel auf eine andre Materie, welche für den Leser wenig reizendes haben würde und hierher nicht gehöret. Alles, was ich noch für ihn hinzutun muß, ist etwas weniges, was diese Sammlung genauer angeht. Sie bestehet aus lauter Stücken, welche teils in verschiednen Monatsschriften zerstreut, teils auch einzeln gedruckt waren. Alles dessen, was in den vorstehenden Briefen gesagt worden, ungeachtet, glaube ich, daß sehr viele Leser die meisten nicht ohne besonderes Vergnügen lesen werden. Die Poesien insbesondere habe ich überall zusammen gesucht, und hätte zwar mit leichter Mühe noch weit mehrere, bessere aber wohl schwerlich auftreiben können. Mit was für Augen man sie betrachten müsse, habe ich deutlich gnug zu verstehen gegeben, und ich füge nur noch hinzu, daß die Gedichte des Hrn. Mylius ganz anders aussehen würden, wenn sie alle mit dem Gefühle und dem Fleiße gemacht wären, mit welchem er seinen »Abschied aus Europa« gemacht hat. Es schien, als ob er erst um diese Zeit recht anfangen wollte, sein Herz und seinen Witz zu brauchen. – – Mir ist jetzt weiter nichts zu tun übrig, als den Leser den Inhalt der Sammlung auf einmal übersehen zu lassen, und mich seiner Gunst zu empfehlen.
Berlin (Haude und Spener) 1754.
[Johann Wilhelm Ludwig
Gleim:]
Preußische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem
Grenadier
Mit Melodien
Vorbericht
Die Welt kennet bereits einen Teil von diesen Liedern; und die feinern Leser haben so viel Geschmack daran gefunden, daß ihnen eine vollständige und verbesserte Sammlung derselben, ein angenehmes Geschenk sein muß.
Der Verfasser ist ein gemeiner Soldat, dem eben so viel Heldenmut als poetisches Genie zu Teil geworden. Mehr aber unter den Waffen, als in der Schule erzogen, scheinet er sich eher eine eigene Gattung von Ode gemacht, als in dem Geiste irgend einer schon bekannten gedichtet zu haben.
Wenigstens, wenn er sich ein deutscher Horaz zu werden wünschet, kann er nur den Ruhm des Römers, als ein lyrischer Dichter überhaupt, im Sinne gehabt haben. Denn die charakteristischen Schönheiten des Horaz, setzen den feinsten Hofmann voraus; und wie weit ist dieser von einem ungekünstelten Krieger unterschieden!
Auch mit dem Pindar hat er weiter nichts gemein, als das anhaltende Feuer, und die Ύπερβατα der Wortfügung.
Von dem einzigen Tyrtäus könnte er die heroischen Gesinnungen, den Geiz nach Gefahren, den Stolz für das Vaterland zu sterben, erlernt haben, wenn sie einem Preußen nicht eben so natürlich wären, als einem Spartaner.
Und dieser Heroismus ist die ganze Begeisterung unsers Dichters. Es ist aber eine sehr gehorsame Begeisterung, die sich nicht durch wilde Sprünge und Ausschweifungen zeigt, sondern die wahre Ordnung der Begebenheiten zu der Ordnung ihrer Empfindungen und Bilder macht.
Alle seine Bilder sind erhaben, und alle sein Erhabnes ist naiv. Von dem poetischen Pompe weiß er nichts; und prahlen und schimmern scheint er, weder als Dichter noch als Soldat zu wollen.
Sein Flug aber hält nie einerlei Höhe. Eben der Adler, der vor in die Sonne sah, läßt sich nun tief herab, auf der Erde sein Futter zu suchen; und das ohne Beschädigung seiner Würde. Antäus, um neue Kräfte zu sammeln, mußte mit dem Fuße den Boden berühren können.
Sein Ton überhaupt, ist ernsthaft. Nur da blieb er nicht ernsthaft – wo es niemand bleiben kann. Denn was erweckt das Lachen unfehlbarer, als große mächtige Anstalten mit einer kleinen, kleinen Wirkung? Ich rede von den drolligten Gemälden des Roßbachischen Liedes.
Seine Sprache ist älter, als die Sprache der jetztlebenden größern Welt und ihrer Schriftsteller. Denn der Landmann, der Bürger, der Soldat und alle die niedrigern Stände, die wir das Volk nennen, bleiben in den Feinheiten der Rede immer, wenigstens ein halb Jahrhundert, zurück.
Auch seine Art zu reimen, und jede Zeile mit einer männlichen Sylbe zu schließen, ist alt. In seinen Liedern aber erhält sie noch diesen Vorzug, daß man in dem durchgängig männlichen Reime, etwas dem kurzen Absetzen der kriegerischen Trommete ähnliches zu hören glaubet.
Nach diesen Eigenschaften also, wenn ich unsern Grenadier ja mit Dichtern aus dem Altertume vergleichen sollte, so müßten es unsere Barden sein.
Vos quoque, qui fortes animas belloque peremtas
Laudibus in longum vates dimittitis aevum,
Plurima securi fudistis carmina Bardi.(3)
Karl der große hatte ihre Lieder, so viel es damals noch möglich war, gesammelt, und sie waren die unschätzbarste Zierde seines Büchersaals. Aber woran dachte dieser große Beförderer der Gelehrsamkeit, als er alle seine Bücher, und also auch diese Lieder, nach seinem Tode an den Meistbietenden zu verkaufen befahl? Konnte ein römischer Kaiser der Armut kein ander Vermächtnis hinterlassen?(4) – O wenn sie noch vorhanden wären! Welcher Deutsche würde sich nicht, noch zu weit mehrerm darum verstehen, als Hickes?(5)
Über die Gesänge der nordischern Skalden scheinet ein günstiger Geschick gewacht zu haben. Doch die Skalden waren die Brüder der Barden; und was von jenen wahr ist, muß auch von diesen gelten. Beide folgten ihren Herzogen und Königen in den Krieg, und waren Augenzeugen von den Taten ihres Volks. Selbst aus der Schlacht blieben sie nicht; die tapfersten und ältesten Krieger schlossen einen Kreis um sie, und waren verbunden sie überall hinzubegleiten, wo sie den würdigsten Stoff ihrer künftigen Lieder vermuteten. Sie waren Dichter und Geschichtschreiber zugleich; wahre Dichter, feurige Geschichtschreiber. Welcher Held von ihnen bemerkt zu werden das Glück hatte, dessen Name war unsterblich; so unsterblich, als die Schande des Feindes, den sie fliehen sahen.
Hat man sich nun in den kostbaren Überbleibseln dieser uralten nordischen Heldendichter, wie sie uns einige dänische Gelehrte aufbehalten haben,(6)umgesehen, und sich mit ihrem Geiste und ihren Absichten bekannt gemacht; hat man zugleich das jüngere Geschlecht von Barden aus dem schwäbischen Zeitalter, seiner Aufmerksamkeit wert geschätzt, und ihre naive Sprache, ihre ursprünglich deutsche Denkungsart studiert: so ist man einigermaßen fähig über unsern neuen preußischen Barden zu urteilen. Andere Beurteiler, besonders wenn sie von derjenigen Klasse sind, welchen die französische Poesie alles in allem ist, wollte ich wohl für ihn verbeten haben.
Noch besitze ich ein ganz kleines Lied von ihm, welches in der Sammlung keinen Platz finden konnte; ich werde wohl tun, wenn ich diesen kurzen Vorbericht damit bereichere. Er schrieb mir aus dem Lager vor Prag: »Die Panduren lägen nahe an den Werken der Stadt, in den Höhlen der Weinberge; als er einen gesehen, habe er nach ihn hingesungen:«
Was liegst du, nackender Pandur!
Recht wie ein Hund im Loch?
Und weisest deine Zähne nur?
Und bellst? So beiße doch!
Es könnte ein Herausfordrungslied zum Zweikampf mit einem Panduren heißen.
Ich hoffe übrigens, daß er noch nicht das letzte Siegeslied soll gesungen haben. Zwar falle er bald oder spät; seine Grabschrift ist fertig:
Ειμι δ’ εγω ϑεραπων μεν Ενυαλιοιο ανακτος
Και Μουσεων ερατον δωρον επισαμενος.
Berlin (Voss) 1758.
Friedrichs von Logau
Sinngedichte
Zwölf Bücher
Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters
herausgegeben von
C. W. Ramler und G. E. Lessing
Vorrede
Friedrich von Logau, der gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, unter dem Namen Salomon von Golau, deutscher Sinngedichte drei Tausend herausgegeben hat, ist mit allem Rechte für einen von unsern besten Opitzischen Dichtern zu halten; und dennoch zweifeln wir sehr, ob er vielen von unsern Lesern weiter als dem Namen nach bekannt sein wird.
Wir können uns dieses Zweifels wegen auf verschiedene Umstände berufen. Ein ganzes Jahrhundert, und drüber, haben sich die Liebhaber mit einer einzigen Auflage dieses Dichters beholfen; in wie vieler Händen kann er also noch sein? Und wenn selbst Wernike keinen kennen will, der es gewagt habe, in einer von den lebendigen Sprachen ein ganzes Buch voll Sinngedichte zu schreiben; wenn er dem Urteile seines Lehrers, des berühmten Morhofs, daß insbesondere die Deutsche Sprache, ihrer vielen Umschweife wegen, zu dieser Gattung von Gedichten nicht bequem zu sein scheine, kein Beispiel entgegen zu stellen weiß: so kann er unsern Logau, seinen besten, seinen einzigen Vorgänger, wohl schwerlich gekannt haben. Ist er aber schon damals in solcher Vergessenheit gewesen, wer hätte ihn in dem nachfolgenden Zeitalter wohl daraus gerissen? Ein Meister, oder ein John gewiß nicht, die ihn zwar nennen, die auch Beispiele aus ihm anführen, aber so unglückliche Beispiele, daß sie unmöglich einem Leser können Lust gemacht haben, sich näher nach ihm zu erkundigen.
Wir könnten eine lange Reihe von Kunstrichtern, von Lehrern der Poesie, von Sammlern der gelehrten Geschichte anführen, die alle seiner entweder gar nicht, oder mit merklichen Fehlern gedenken. Allein wozu sollten uns die Beweise dienen, daß Logau unbekannt gewesen ist? Ein jeder Leser, der ihn nicht kennt, glaubt uns dieses auch ohne Beweis.
Was man mit besserm Rechte von uns erwarten dürfte, wäre eine umständliche Lebensbeschreibung dieses würdigen Mannes. Und wie sehr würden wir uns freuen, wenn wir dieser Erwartung ein Genügen leisten könnten! So aber sind alle unsere Nachforschungen nur schlecht belohnt worden; und wir haben wenig mehr als folgendes von ihm entdecken können.
Das Geschlecht derer von Logau, oder Logaw, ist eines von den ältesten adlichen Geschlechtern Schlesiens. Ihr Stammhaus, Altendorf, liegt in dem Fürstentum Schweidnitz. Chr. Gryphius sagt, es sei aus Böhmischen oder Schlesischen Geschichtschreibern zu erweisen, daß schon in dem sechzehnten Jahrhunderte Freiherren von Logau, unter den Kaisern Karl dem fünften, und Ferdinand dem ersten, ansehnliche Kriegsbedingungen bekleidet hätten. Auch blühte unter der Regierung des erstern George von Logau auf Schlaupitz, einer der besten lateinischen Dichter seiner Zeit, dem wir die erste Ausgabe des Gratius und Nemesianus zu danken haben. Desgleichen besaß um eben diese Zeit Caspar von Logau, den Lucä und andere mit nur gedachtem George verschiedentlich verwechseln, den bischöflichen Stuhl zu Breslau.
Unser Friedrich von Logau, ward, zu Folge seiner Grabschrift, die uns Cunrad aufbehalten hat, im Monat Junius des Jahres 1604 geboren. Seine Ältern und den Ort seiner Geburt finden wir nirgends benannt; auch nirgends einige Nachricht von seiner Erziehung, wo er studieret, ob er gereiset u.s.w. Wir finden seiner nicht eher als in Diensten des Herzogs zu Liegnitz und Brieg, Ludewigs des Vierten, gedacht.
Man beliebe sich aus der Geschichte zu erinnern, daß Johann Christian, Herzog von Brieg, drei Söhne hinterließ, die nach seinem 1639 erfolgten Tode das Herzogtum gemeinschaftlich besaßen, doch so, daß jeder von ihnen seine eigenen Räte hatte. Unter den Räten des zweiten, des gedachten Ludewigs, befand sich unser von Logau. Als aber 1653 ihres Vaters Bruder, George Rudolph, starb, und die Fürstentümer Liegnitz und Wohlau an sie fielen, fanden sie das Jahr darauf für gut, sich durch das Los aus einander zu setzen. Ludewig bekam Liegnitz, wohin er nunmehr seinen Sitz verlegte, und seinen Logau als Kanzeleirat mit sich nahm.
Die Liebe zur Poesie muß sich zeitig bei ihm geäußert haben. Er sagt uns in einem von seinen Sinngedichten selbst, daß er in seiner Jugend verliebte Gedichte geschrieben habe, die ihm in den Unruhen des Krieges von Händen gekommen wären. Nach der Zeit erlaubten ihm seine Geschäfte allzukurze Erholungen, als daß er sich in größern Gedichten, als das kleine Epigramma ist, hätte versuchen können. Unterdessen hat er es in dieser geringern Gattung so weit gebracht, als man es nur immer bringen kann, und es ist unwidersprechlich, daß wir in ihm allein einen Martial, einen Catull und Dionysius Cato besitzen.
Er gab anfangs nur eine Sammlung von zwei hundert Sinngedichten ans Licht, die, wie er selbst sagt, wohl aufgenommen worden. Wir haben sie nirgends auftreiben können, und wer weiß, ob sie gar mehr in der Welt ist? Die vollständige Sammlung, die den schon erwähnten Titel: »Salomons von Golau deutscher Sinngedichte drei Tausend« führet, ist zu Breslau, in Verlag Caspar Kloßmanns, gedruckt, und macht einen Oktavband von ohngefähr drei Alphabeten aus. Das Jahr des Drucks finden wir nirgends darin ausdrücklich angezeigt. Es muß aber das Jahr 1654 gewesen sein, welches sich aus verschiednen Sinngedichten schließen läßt, und von den Bücherkennern bestätiget wird. Da unterdessen Sinapius sagt, daß Logau seine Sinngedichte im Jahr 1638 herausgegeben habe, so wird man dieses nicht unwahrscheinlich von der ersten kleinen Sammlung verstehen können.
Er war ein Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft, in die er 1648, unter dem Namen des Verkleinernden aufgenommen ward. Wenn der Sprossende, in seiner Beschreibung dieser Gesellschaft, ihn unter diejenigen Glieder nicht rechnet, die sich durch Schriften gezeiget haben, so ist dieses wohl ein abermaliger Beweis, daß das Publikum seine Sinngedichte sehr bald vergessen hat.
Er starb zu Liegnitz, den fünften Julius im Jahr 1655, und hinterließ aus einer zweiten Ehe einen einzigen Sohn. Es war dieses der Freiherr Balthasar Friedrich von Logau, der Freund des Herrn von Lohenstein, und der Mäzen des jüngern Gryphius.
Wir wollen nunmehr von unsrer neuen Ausgabe das Nötige sagen. Die ganze Anzahl der Sinngedichte unsers Logau beläuft sich, außer einigen eingeschobenen größern Poesien, auf drei tausend, fünfhundert und drei und funfzig, indem zu dem zweiten und dritten Tausend noch Zugaben und Anhänge gekommen sind. Ist es wahrscheinlich, ist es möglich, daß sie alle gut sein können? Unsere wahre Meinung zu sagen, diese ungeheuere Menge ist vielleicht eine von den vornehmsten Ursachen, warum der ganze Dichter vernachlässiget worden ist. Denn es konnte leicht kommen, daß die Neugierde das Buch siebenmal aufschlug, und siebenmal etwas sehr mittelmäßiges fand.
Wir ließen es also unsere erste Sorge sein, ihn dieses nachteiligen Reichtums zu entladen. Wir haben ihn fast auf sein Dritteil herabgesetzt; und das ist unter allen Nationen, immer ein sehr vortrefflicher Dichter, von dessen Gedichten ein Dritteil gut ist. Deswegen wollen wir aber nicht sagen, daß alle beibehaltenen Stücke, Meisterstücke sind; genug, daß in dem unbeträchtlichsten noch stets etwas zu finden sein wird, warum es unserer Wahl wert gewesen. Ist es nicht allezeit Witz, so ist es doch allezeit ein guter und großer Sinn, ein poetisches Bild, ein starker Ausdruck, eine naive Wendung, und dergleichen. Auch wird das schlechteste noch immer dazu dienen, dem Leser zu zeigen, wie wenig er den Verlust der übrigen Stücke zu betauern hat.
Es ist uns ein Exemplar unsers Dichters zu Händen gekommen, das sich aus der Stollischen Bibliothek herschreibt, und in welchem hier und da eine unnatürliche, harte Wortfügung mit der Feder geändert worden war. Der Zug der Schrift wäre alt genug, es für die eigene Hand des Herrn von Logau zu halten. Doch dazu gehören stärkere Beweise, und wir wollen es also nicht behaupten. Unterdessen haben wir doch für gut befunden, einige von diesen Änderungen anzunehmen, und einige, ihnen zu Folge, selbst zu wagen. Der Leser stößt nirgends so ungern an, als in einem Sinngedichte, welches allzu kurz ist, als daß man die Unebenheiten darin übersehen könnte.
Wir sind uns bewußt, daß wir durch diese wenigen und geringen Veränderungen den alten Dichter nicht im geringsten moderner gemacht haben; wir sind ihm nur da ein wenig zu Hülfe gekommen, wo wir ihn allzuweit unter seiner eignen reinen Leichtigkeit fanden; und haben es alsdann in dem Geiste seiner eignen Sprache zu tun gesucht.
Wie groß unsere Hochachtung für diese seine alte Sprache ist, wird man aus unsern Anmerkungen darüber, die wir in Gestalt eines Wörterbuchs dem Werke beigefügt haben, deutlich genug erkennen. Ähnliche Wörterbücher über alle unsere guten Schriftsteller, würden, ohne Zweifel, der erste nähere Schritt zu einem allgemeinen Wörterbuche unsrer Sprache sein. Wir haben die Bahn hierin, wo nicht brechen, doch wenigstens zeigen wollen.
Endlich können wir unsern Lesern auch nicht verbergen, daß bereits vor mehr als funfzig Jahren ein Ungenannter eine ähnliche Arbeit mit unserm Logau unternommen gehabt. Er hat nämlich (1702) »S. V. G. auferweckte Gedichte« herausgegeben. Dieser Titel ist der letzte unwidersprechlichste Beweis, daß diese Sinngedichte damals schon begraben gewesen sind. Allein dieser Ungenannte war vielleicht Schuld, daß unser Logau noch tiefer in die Vergessenheit geriet, und nunmehr mit Recht zu einer neuen Begrabung verdammt werden konnte. Derjenige Teil seiner Gedichte, welchen man, ohne Wahl, auferweckt hat, ist nicht allein mit unendlich schlechten und pöbelhaften Stücken vermischt worden; sondern die Logauischen selbst sind dergestalt verlängert, verkürzt, verändert worden, daß Nachdruck, Feinheit, Witz, alle Sprachrichtigkeit, ein jeder guter poetischer Name, eine jede gute Eigenschaft des Dichters, ja oft der Menschenverstand selber verloren gegangen ist. Wir führen keine Exempel an, um unsern Lesern den Ekel zu ersparen.
Werden die Liebhaber der Poesie an unserm alten Dichter, einigen Geschmack finden: so freuen wir uns, daß dadurch die Beschuldigung immer mehr entkräftet werden wird, als ob wir Neuern allbereits von der Bahn des Natürlichschönen abgewichen wären, und nichts mehr empfinden könnten, als was auf einer gewissen Seite übertrieben ist.
Berlin
Die Herausgeber
den 5ten Mai 1759
Wörterbuch
Vorbericht von der Sprache des Logau
Die Sprache unsers Dichters ist, überhaupt zu reden, die Sprache des Opitz und der besten seiner Zeitverwandten und Landesleute. Und wenn Tscherningen hierin die erste Stelle nach Opitzen gebühret, so gebühret die erste Stelle nach Tscherningen unserm Logau.
Das Sinngedicht konnte ihm die beste Gelegenheit geben, die Schicklichkeit zu zeigen, welche die deutsche Sprache zu allen Gattungen von Materie, unter der Bearbeitung eines Kopfes erhält, der sich selbst in alle Gattungen von Materie zu finden weiß. Seine Worte sind überall der Sache angemessen: nachdrücklich und körnicht, wenn er lehrt; pathetisch und vollklingend, wenn er straft; sanft, einschmeichelnd, angenehm tändelnd, wenn er von Liebe spricht; komisch und naiv, wenn er spottet; possierlich und launisch, wenn er bloß Lachen zu erregen sucht.
Der Sprachenmengerei, die zu seiner Zeit schon stark eingerissen war,(7) und die er nicht unrecht von den vielen fremden Völkern, welche der Krieg damals auf deutschen Boden brachte, herleitet,(8) machte er sich nicht schuldig; und was er mit einem deutschen Worte ausdrücken konnte, das drückte er mit keinem lateinischen und französischen aus, welche letztere Sprache auch seine Zeitverwandten bereits für unentbehrlich hielten.(9) Er hat verschiedene aus andern Sprachen entlehnte Kunstwörter nicht unglücklich übersetzt. So nennt er z. E.
Nomen adjectivum et substantivum, das zusetzliche und eigenständige Wort(10)
Accentus, Beilaut(11)
Inventarium, Fundregister etc.(12)
Doch war er auch kein übertriebener Purist, er spottet über die zu weitgehenden Neuerungen des Zesen,(13) ob er gleich mit ihm in einem Jahre (1648) in die fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen ward.
Es bedarf aber nur einer ganz geringen Aufmerksamkeit, zu erkennen, wie sehr die Sprache unserer neuesten und besten Schriftsteller, von dieser alten, lautern und reichen Sprache der guten Dichter aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, unterschieden ist. Der fremden Wendungen und Wortfügungen, welche die erstern aus dem Französischen und Englischen, nach dem diese oder jene eines jeden Lieblingssprache ist, häufig herüber nehmen, nicht zu gedenken; so haben sie keine geringe Anzahl guter, brauchbarer Wörter veralten lassen.
Und auf diese veralteten Wörter haben wir geglaubt, daß wir unser Augenmerk vornehmlich richten müßten. Wir haben alle sorgfältig gesammelt, so viele derselben bei unserm Dichter vorkommen; und haben dabei nicht allein auf den Leser, der sie verstehen muß, sondern auch auf diejenigen von unsern Rednern und Dichtern gesehen, welche Ansehen genug hätten, die besten derselben wieder einzuführen. Wir brauchen denselben nicht zu sagen, daß sie der Sprache dadurch einen weit größern Dienst tun würden, als durch die Prägung ganz neuer Wörter, von welchen es ungewiß ist, ob ihr Stempel ihnen den rechten Lauf so bald geben möchte. Noch weniger brauchen wir sie zu erinnern, wie ein veraltetes Wort auch dem ekelsten Leser, durch das, was Horaz callidam juncturam nennt, annehmlich zu machen ist.
Ferner haben wir unsern Fleiß auf die Provinzialsprache des Dichters gerichtet. Die Schlesische Mundart ist deswegen einer kritischen Aufmerksamkeit, vor allen andern Mundarten würdig, weil wir in ihr die ersten guten Dichter bekommen haben. Die Vorteile, welche diese Männer an eigenen Wörtern, Verbindungsarten und Wendungen darin haben, verdienen, wo nicht für allgemeine Vorteile der Sprache angenommen, doch wenigstens gekannt und geprüft zu werden.
Von diesen Vorteilen, so fern wir dergleichen bei unserm Logau bemerkt, wollen wir diejenigen, die in dem Wörterbuche selbst keine fügliche Stelle finden können, unter folgende allgemeine Anmerkungen bringen.
I.
Logau läßt vielfältig die Geschlechtswörter weg.
Z. E.
Man hat den Feind aufs Haupt geschlagen,
Doch Fuß hat Haupt hinweggetragen.(14)
Er tut dieses 1. bei denjenigen Hauptwörtern, welche Abstracta ausdrücken, und gewissermaßen zu Geschlechtsnamen werden; allwo es zu einer besondern Schönheit wird:
Aber Neid hat scheel gesehen;
Und Verhängniß ließ geschehen,
Daß ein schäumend wilder Eber
Ward Adonis Todtengräber.(15)
Hier werden der Neid und das Verhängnis, durch die Weglassung des Artikels, zu Personen gemacht, welches weit stärker und poetischer ist, als wenn es hieße: »Der Neid hat scheel gesehen; Das Verhängniß ließ geschehen.« Eben so auch (IV. II)
Scävus wird mit Ewigkeit immer in die Wette leben etc. Hier wird die Ewigkeit zu einem lebendigen Wesen.
2. Tut er es bei denjenigen Hauptwörtern, welchen der unbebestimmte Artikel ein, eine zukömmt, den man in der vielfachen Zahl ohnedem schon wegzulassen genötigt ist. Z. E. (VII. 71)
Hat Land durch diesen Krieg, hat Stadt mehr ausgestanden?
Nicht die Stadt, eine gewisse Stadt, sondern unbestimmt: Städte. Ferner (X. 87)
Gieb mir geneigten Blick.
Anstatt: einen geneigten Blick, oder geneigte Blicke. Man sehe, welche gute Wirkung dieses in den »Kriegesliedern des Preußischen Grenadiers« hervorbringt.
»Wie kriegrische Trompete laut
Erschalle, mein Gesang!«
anstatt: laut wie eine Trompete, oder wie Trompeten.
»Drum singet herrlichen Gesang etc.«
anstatt: einen herrlichen Gesang, oder, herrliche Gesänge.
»Er faßte weisen Schluß,«
anstatt: er faßte einen weisen Schluß.
II.
Logau läßt die Endung der Beiwörter, nicht allein in dem ungewissen, sondern auch in dem männlichen Geschlechte weg. Er sagt: »ein groß Verdruß, ein gut Soldat,(16) ein stätig Gaul,(17) ein kriechend Erdegeist u.s.w.
III.
Logau braucht sehr häufig das Beiwort in dem ungewissen Geschlechte als ein Hauptwort. Z. E.
Seither ist unser Frey in Dienstbarkeit verkehret,(18)
für: unsere Freiheit.
Nachwelt werd ihm alles Frech gar vergessen oder schenken;(19)
für: alle Frechheit.
– – – – Ein solches Klug,
Dafür ein keuscher Sinn Entsetz und Grauen trug,(20)
für: eine solche Klugheit.
Bey welchem freyes Wahr, der Freundschaft Seele wohnt;(21)
für: freie Wahrheit.
Canus geht gar krumm gebückt,
Weil ihn Arm und Alt so drückt;(22)
für: Armut und Alter.
Und ernähren fremdes Faul,(23)
für: fremde Faulheit.
IV.
Logau läßt von den Zeitwörtern die selbständigen Fürwörter da weg, wo sie zur Deutlichkeit nichts mehr beitragen, und erhält dadurch mehr Nachdruck und Feuer. Z. E.
Mich, sagt Elsa, schreckt es nicht, werde brünstig nur gemacht,
Unter Augen dem zu gehn etc.(24)
für: ich werde nur brünstig gemacht.
Picus nahm die dritte Frau, immer eine von den Alten:
Wollte, meyn ich, ein Spital, schwerlich einen Ehstand halten.(25)
für: er wollte ein Spital halten.
Nisus buhlte stark um Nisa: Dieses gab ihr viel Beschwerden;
Wollt’ ihn nicht; sie freyt ihn aber, seiner dadurch los zu werden.(26)
für: sie wollt’ ihn nicht.
Wenn im Schatten kühler Myrthen
Sie sich kamen zu bewirthen:
Folgte nichts als lieblich Liebeln,
Folgte nichts als tückisch Bübeln;
Wollten ohne süßes Küssen
Nimmer keine Zeit vermissen.(27)
für: sie wollten keine Zeit vermissen.
V.
Logau trennet von den zusammengesetzten Zeitwörtern die Vorwörter auch da, wo wir sie nicht zu trennen pflegen, und setzet zwischen beide irgend ein ander Redeteilchen, um die Worte für das Sylbenmaß bequemer zu machen. Wenn wir uns dieser Freiheit nicht mehr bedienen, so werden wir wenigstens Ursache finden, ihn darum zu beneiden. Z. E.
Ey, ich wills ihm ein noch treiben; dieses Ding muß seyn gerochen;(28)
für: ich wills ihm noch eintreiben.
Lieb und Geiz sind solche Brillen, welche dem, der auf sie stellt,(29)
für: der sie aufstellt etc. Itzo müssen wir uns durch die Umkehrung helfen: er stellt es auf, er trieb es ein; und in der unbestimmten Weise durch das Wörtchen zu: einzutreiben, aufzustellen; und in zwei vergangenen Zeiten durch die Sylbe ge: er hat eingetrieben, er hatte aufgestellt. Alles gute Mittel; die wir aber zuweilen nicht ohne Zwang und Weitschweifigkeit gebrauchen können.
VI.
Logau setzet die Endsylbe, ley, die wir itzt nur bei den teilenden Zahlwörtern dulden wollen, auch zu fast allen Arten von Fürwörtern, und erlangt dadurch, (wie man es nun nennen will) ein Nebenwort, oder ein unabänderliches Beiwort von besonderm Nachdrucke. Z. E.
Zu etwas Großen noch wird Sordalus wohl werden,
Denn seinerley Geburt ist nicht gemein auf Erden etc.(30)
Wie weitschweifig müssen wir itzt dafür sagen: »denn eine Geburt, wie seine war etc.«
Du Schelme, du Bauer! So zierliche Titel
Verehrten die Krieger den Bauern ins Mittel.
Nun Krieger getreten in Zippelpelzorden
Sind dieserley Titel Besitzer sie worden.(31)
Dieserley, sagt hier nicht so viel, als dieser; es scheinet auch nicht so viel zu sagen, als dergleichen, sondern es begreift beides: Dieser und dergleichen Titel. Überdem da wir dieses ley bei den uneigentlichen Fürwörtern sehr wohl leiden; denn wir sagen ohne Tadel, mancherlei, solcherlei, keinerlei, vielerlei, allerlei: warum sollte es nicht auch an die eigentlichen Fürwörter gesetzt werden können? Die Schlesische Mundart kömmt hier mit der Schweizerischen überein, welches man aus folgender Stelle, die Frisch aus Geilers von Kaysersberg Postille anführet, ersehen wird. Sie erläutert zugleich den Gebrauch dieser Fürwörter in ley vortrefflich. »Ein Sun ist nit anders, dann ein Ding das da lebet von einem lebendigen seinerley. Ich hätte einen Sun, der wär meinerley, ejusdem speciei. Ich kann die Species nicht baß teutschen. Würme, die du in dir hast, sind nicht deinerley.«
VII.
Logau konstruiert die Zahlwörter gern mit der Zeugendung. Z. E.
Für ein einzles, das man thut,
So es ist zu nennen gut,
Kann man zehen böser Stücke,
Rechnen ab, und ziehn zurücke.(32)
Nicht: zehn böse Stücke. Man wird sich dieser Zeugendung sehr wohl bedienen können, so oft das Hauptwort mit einem Selbstlauter anfängt, und man den Hiatus vermeiden will.
VIII.
Logau läßt von sehr vielen Wörtern die Anfangssylbe ge weg, wodurch sie an ihrem Nachdrucke nichts verlieren, oft aber an dem Wohlklange gewinnen. Er sagt z. E.
Die weitgereiste Würze –(33)
wofür wir Gewürze sagen und es in ein Neutrum verwandeln; wiewohl wir auch die erste Art, besonders im höhern Stil, beibehalten.
Gott sey Dank für meinen Schmack etc.(34)
für Geschmack; desgleichen auch Ruch für Geruch.(35)
Wer der Arbeit Mark will nießen etc.(36)
für genießen. So auch Hirn für Gehirn, (welches noch üblich ist) linde für gelinde, Sang für Gesang,(37) bracht für gebracht etc. Mit der Anfangssylbe be verfährt er oft auf gleiche Weise. Z. E. sonders für besonders:
Ein sonders Lob ist dieß, daß einer Lobens werth etc.(38)
müht für bemüht,(39) hausen für behausen, mir liebet für mir beliebet etc.
Und so viel von den allgemeinen Anmerkungen über die Provinzialsprache unsers Dichters; einzelne wird man in dem nachstehenden kleinen Wörterbuche häufig antreffen. Man wird aber wohl sehen, daß unsere Absicht weder hier noch dort gewesen ist, alle Eigentümlichkeiten der Schlesischen Mundart damit zu erschöpfen. Sie kommen bei unserm Dichter nicht alle vor, und von denen, welche vorkommen, haben wir, wie schon gedacht, nur diejenigen ausgesucht, von welchen er einigen Nutzen gezogen, und von welchen auch noch unsre heutigen Schriftsteller vielleicht einigen Vorteil ziehen könnten.
Leipzig (Weidmann) 1759.
Das Theater des Herrn Diderot
Vorrede des Übersetzers
[1760]
Dieses Theater des Herrn Diderot, eines von den vornehmsten Verfassern der berufenen Enzyklopädie, bestehet aus zwei Stücken, die er als Beispiele einer neuen Gattung ausgearbeitet, und mit seinen Gedanken sowohl über diese neue Gattung, als über andere wichtige Punkte der dramatischen Poesie, und aller ihr untergeordneten Künste, der Deklamation, der Pantomime, des Tanzes begleitet hat.
Kenner werden in jenen weder Genie noch Geschmack vermissen; und in diesen überall den denkenden Kopf spüren, der die alten Wege weiter bahnet, und neue Pfade durch unbekannte Gegenden zeichnet.
Ich möchte wohl sagen, daß sich, nach dem Aristoteles, kein philosophischerer Geist mit dem Theater abgegeben hat, als er.
Daher sieht er auch die Bühne seiner Nation bei weitem auf der Stufe der Vollkommenheit nicht, auf welcher sie unter uns die schalen Köpfe erblicken, an deren Spitze der Prof. Gottsched ist. Er gestehet, daß ihre Dichter und Schauspieler noch weit von der Natur und Wahrheit entfernet sind; daß beider ihre Talente, guten Teils, auf kleine Anständigkeiten, auf handwerksmäßigen Zwang, auf kalte Etiquette hinauslaufen etc.
Selten genesen wir eher von der verächtlichen Nachahmung gewisser französischen Muster, als bis der Franzose selbst diese Muster zu verwerfen anfängt. Aber oft auch dann noch nicht.
Es wird also darauf ankommen, ob der Mann, dem nichts angelegener ist, als das Genie in seine alte Rechte wieder einzusetzen, aus welchen es die mißverstandene Kunst verdränget; ob der Mann, der es zugestehet, daß das Theater weit stärkerer Eindrücke fähig ist, als man von den berühmtesten Meisterstücken eines Corneille und Racine rühmen kann; ob dieser Mann bei uns mehr Gehör findet, als er bei seinen Landsleuten gefunden hat.
Wenigstens muß es geschehen, wenn auch wir einst zu den gesitteten Völkern gehören wollen, deren jedes seine Bühne hatte.
Und ich will nicht bergen, daß ich mich einzig in solcher Hoffnung der Übersetzung dieses Werks unterzogen habe.
Vorrede des Übersetzers, zu
dieser zweiten Ausgabe
[1781]
Ich bin ersucht worden, dieser Übersetzung öffentlich meinen Namen zu geben.
Da es nun vorlängst unbekannt zu sein aufgehöret hat, daß ich wirklich der Verfasser derselben bin; da ich mich des Fleißes, den ich darauf gewandt habe, und des Nutzens, den ich daraus gezogen, noch immer mit Vergnügen erinnere: so sehe ich nicht, warum ich mich einer Anfoderung weigern sollte, die mir Gelegenheit gibt, meine Dankbarkeit einem Manne zu bezeugen, der an der Bildung meines Geschmacks so großen Anteil hat.
Denn es mag mit diesem auch beschaffen sein, wie es will: so bin ich mir doch zuwohl bewußt, daß er, ohne Diderots Muster und Lehren, eine ganz andere Richtung würde bekommen haben. Vielleicht eine eigenere: aber doch schwerlich eine, mit der am Ende mein Verstand zufriedener gewesen wäre.
Diderot scheint überhaupt auf das deutsche Theater weit mehr Einfluß gehabt zu haben, als auf das Theater seines eigenen Volks. Auch war die Veränderung, die er auf diesem hervorbringen wollte, in der Tat weit schwerer zu bewirken, als das Gute, welches er jenem nebenher verschaffte. Die Französischen Stücke, welche auf unserm Theater gespielt wurden, stellten doch nur lauter fremde Sitten vor: und fremde Sitten, in welchen wir weder die allgemeine menschliche Natur, noch unsere besondere Volksnatur erkennen, sind bald verdrängt. Aber je mehr die Franzosen in ihren Stücken wirklich finden, was wir uns nur zu finden einbilden: desto hartnäckiger muß der Widerstand sein, den ihre alten Eindrücke jeder, wie sie dafür halten, unnötigen Bemühung, sie zu verwischen oder zu überstempeln, entgegensetzen.
Wir hingegen hatten es längst satt, nichts als einen alten Laffen im kurzen Mantel, und einen jungen Geck in bebänderten Hosen, unter ein Halbdutzend alltäglichen Personen, auf der Bühne herumtoben zu sehen; wir sehnten uns längst nach etwas bessern, ohne zu wissen, wo dieses Bessere herkommen sollte: als der »Hausvater« erschien. In ihm erkannte sogleich der rechtschaffne Mann, was ihm das Theater noch eins so teuer machen müsse. Sei immerhin wahr, daß es seitdem von dem Geräusche eines nichts bedeutenden Gelächters weniger ertönte! Das wahre Lächerliche ist nicht, was am lautesten lachen macht; und Ungereimtheiten sollen nicht bloß unsere Lunge in Bewegung setzen.
Selbst unsere Schauspieler fingen an dem »Hausvater« zuerst an, sich selbst zu übertreffen. Denn der Hausvater war weder Französisch, noch deutsch: er war bloß menschlich. Er hatte nichts auszudrücken, als was jeder ausdrücken konnte, der es verstand und fühlte.
Und daß jeder seine Rolle verstand und fühlte, dafür hatte nun freilich Diderot vornehmlich gesorgt. Wenn ich aber doch gleichwohl auch meiner Übersetzung ein kleines Verdienst in diesem Punkte zuschreibe: so habe ich, wenigstens bis itzt, von den Kunstrichtern noch keinen besondern Widerspruch zu erfahren gehabt.
Nicht als ob ich meine Übersetzung frei von allen Mängeln halten wollte; nicht als ob ich mir schmeichelte, überall, auch da den wahren Sinn des Verfassers getroffen zu haben, wo er selbst in seiner Sprache sich nicht bestimmt genug ausgedrückt hat! Ein Freund zeigt mir nur erst izt eine dergleichen Stelle; und ich betaure, daß ich in dem Texte von diesem Winke nicht Gebrauch machen können. Sie ist in dem »Natürlichen Sohne« in dem dritten Auftritte des ersten Aufzuges, wo Theresia ihrer Sorgfalt um Rosaliens Erziehung gedenkt. »Ich ließ mir es angelegen sein, sagt sie, den Geist und besonders den Charakter dieses Kindes zu bilden, von welchem einst das Schicksal meines Bruders abhangen sollte. Es war unbesonnen, ich machte es bedächtig. Es war heftig, ich suchte dem Sanften seiner Natur aufzuhelfen.« Das es ist in allen vier Stellen im Französischen durch il ausgedruckt, welches eben sowohl auf das vorhergehende enfant, auf Rosalien, als auf den Bruder gehen kann. Ich habe es jedesmal auf Rosalien gezogen: aber es kann leicht sein, daß es die beiden erstenmale auf den Bruder gehen, und sonach heißen soll: »Er war unbesonnen, ich machte sie bedächtig. Er war heftig, ich suchte dem Sanften ihrer Natur aufzuhelfen.« Ja dieser Sinn ist unstreitig der feinere.
Es kann jemand keinen einzigen solchen Fehler sich zu Schulden kommen lassen, und doch noch eine sehr mittelmäßige Übersetzung gemacht haben!
Berlin (Voss) 1760, 2. Ausgabe 1781.