Fabeln

Gotthold Ephraim Lessing

Fabeln und Erzählungen

[Ausgabe 1771]

2. Teil der »Vermischten Schriften«, Berlin (Voss), 1771/1784.

I. Der Sperling und die Feldmaus

Zur Feldmaus sprach ein Spatz: Sieh dort den Adler sitzen!

Sieh, weil du ihn noch siehst! er wiegt den Körper schon;

Bereit zum kühnen Flug, bekannt mit Sonn’ und Blitzen,

Zielt er nach Jovis Thron.

Doch wette, – seh’ ich schon nicht adlermäßig aus –

Ich flieg’ ihm gleich. – Fleug, Prahler! rief die Maus.

Indes flog jener auf, kühn auf geprüfte Schwingen;

Und dieser wagts, ihm nachzudringen.

Doch kaum, daß ihr ungleicher Flug

Sie beide bis zur Höh’ gemeiner Bäume trug,

Als beide sich dem Blick der blöden Maus entzogen,

Und beide, wie sie schloß, gleich unermeßlich flogen.

*

Ein unbiegsamer F* will kühn wie Milton singen.

Nach dem er Richter wählt, nach dem wirds ihm gelingen.

II. Der Adler und die Eule

Der Adler Jupiters und Pallas Eule stritten.

»Abscheulich Nachtgespenst!« – »Bescheidner, darf ich bitten.

Der Himmel heget mich und dich;

Was bist du also mehr, als ich?«

Der Adler sprach: Wahr ists, im Himmel sind wir beide;

Doch mit dem Unterscheide:

Ich kam durch eignen Flug,

Wohin dich deine Göttin trug.

III. Der Tanzbär

Ein Tanzbär war der Kett’ entrissen,

Kam wieder in den Wald zurück,

Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück

Auf den gewohnten Hinterfüßen.

»Seht, schrie er, das ist Kunst; das lernt man in der Welt.

Tut mir es nach, wenns euch gefällt,

Und wenn ihr könnt!« Geh, brummt ein alter Bär,

Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,

Sie sei so rar sie sei,

Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.

*

Ein großer Hofmann sein,

Ein Mann, dem Schmeichelei und List

Statt Witz und Tugend ist;

Der durch Kabalen steigt, des Fürsten Gunst erstiehlt,

Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt,

Ein solcher Mann, ein großer Hofmann sein,

Schließt das Lob oder Tadel ein?

IV. Der Hirsch und der Fuchs

»Hirsch, wahrlich, das begreif’ ich nicht,

Hört’ ich den Fuchs zum Hirsche sagen,

Wie dir der Mut so sehr gebricht?

Der kleinste Windhund kann dich jagen.

Besieh dich doch, wie groß du bist!

Und sollt’ es dir an Stärke fehlen?

Den größten Hund, so stark er ist,

Kann dein Geweih mit Einem Stoß’ entseelen.

Uns Füchsen muß man wohl die Schwachheit übersehn;

Wir sind zu schwach zum Widerstehn.

Doch daß ein Hirsch nicht weichen muß,

Ist sonnenklar. Hör’ meinen Schluß.

Ist jemand stärker, als sein Feind,

Der braucht sich nicht vor ihm zurück zu ziehen;

Du bist den Hunden nun weit überlegen, Freund:

Und folglich darfst du niemals fliehen.«

Gewiß, ich hab’ es nie so reiflich überlegt.

Von nun an, sprach der Hirsch, sieht man mich unbewegt,

Wenn Hund’ und Jäger auf mich fallen;

Nun widersteh’ ich allen.

Zum Unglück, daß Dianens Schar

So nah mit ihren Hunden war.

Sie bellen, und sobald der Wald

Von ihrem Bellen widerschallt,

Fliehn schnell der schwache Fuchs und starke Hirsch davon.

*

Natur tut allzeit mehr, als Demonstration.

V. Die Sonne

Der Stern, durch den es bei uns tagt –

»Ach! Dichter, lern’, wie unser einer sprechen!

Muß man, wenn du erzählst,

Und uns mit albern Fabeln quälst,

Sich denkend noch den Kopf zerbrechen?«

Nun gut! die Sonne ward gefragt:

Ob sie es nicht verdrösse,

Daß ihre unermeßne Größe

Die durch den Schein betrogne Welt

Im Durchschnitt’ größer kaum, als eine Spanne, hält?

Mich, spricht sie, sollte dieses kränken?

Wer ist die Welt? wer sind sie, die so denken?

Ein blind Gewürm! Genug, wenn jene Geister nur,

Die auf der Wahrheit dunkeln Spur,

Das Wesen von dem Scheine trennen,

Wenn diese mich nur besser kennen!

*

Ihr Dichter, welche Feur und Geist

Des Pöbels blödem Blick entreißt,

Lernt, will euch mißgeschätzt des Lesers Kaltsinn kränken,

Zufrieden mit euch selbst, stolz wie die Sonne denken!

VI. Das Muster der Ehen

Ein rares Beispiel will ich singen,

Wobei die Welt erstaunen wird.

Daß alle Ehen Zwietracht bringen,

Glaubt jeder, aber jeder irrt.

Ich sah das Muster aller Ehen,

Still, wie die stillste Sommernacht.

O! daß sie keiner möge sehen,

Der mich zum frechen Lügner macht!

Und gleichwohl war die Frau kein Engel,

Und der Gemahl kein Heiliger;

Es hatte jedes seine Mängel.

Denn niemand ist von allen leer.

Doch sollte mich ein Spötter fragen,

Wie diese Wunder möglich sind?

Der lasse sich zur Antwort sagen:

Der Mann war taub, die Frau war blind.

VII. Faustin

Faustin, der ganze funfzehn Jahr

Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war,

Ward, von dem Wucher reich gemacht,

Auf seinem Schiffe heimgebracht.

»Gott, seufzt der redliche Faustin,

Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern erschien,

Gott, strafe mich nicht meiner Sünden,

Und gib mir nicht verdienten Lohn!

Laß, weil du gnädig bist, mich Tochter, Weib und Sohn

Gesund und fröhlich wieder finden.«

So seufzt Faustin, und Gott erhört den Sünder.

Er kam, und fand sein Haus in Überfluß und Ruh.

Er fand sein Weib und seine beiden Kinder,

Und – Segen Gottes! – zwei dazu.

VIII. Die eheliche Liebe

Klorinde starb; sechs Wochen drauf

Gab auch ihr Mann das Leben auf,

Und seine Seele nahm aus diesem Weltgetümmel

Den pfeilgeraden Weg zum Himmel.

»Herr Petrus, rief er, aufgemacht!«

»Wer da?« – »Ein wackrer Christ.« –

»Was für ein wackrer Christ?« –

»Der manche Nacht,

Seit dem die Schwindsucht ihn aufs Krankenbette brachte,

In Furcht, Gebet und Zittern wachte.

Macht bald!« – – Das Tor wird aufgetan.

»Ha! ha! Klorindens Mann!

Mein Freund, spricht Petrus, nur herein;

Noch wird bei Eurer Frau ein Plätzchen ledig sein

»Was? meine Frau im Himmel? wie?

Klorinden habt Ihr eingenommen?

Lebt wohl! habt Dank für Eure Müh’!

Ich will schon sonst wo unterkommen.«

IX. Die Bäre

Den Bären glückt’ es, nun schon seit geraumer Zeit,

Mit Brummen, plumpem Ernst und stolzer Frömmigkeit,

Das Sittenrichteramt, bei allen schwächern Tieren,

Aus angemaßter Macht, gleich Wütrichen, zu führen.

Ein jedes furchte sich, und keines war so kühn,

Sich um die saure Pflicht nebst ihnen zu bemühn;

Bis endlich noch im Fuchs der Patriot erwachte,

Und hier und da ein Fuchs auf Sittensprüche dachte.

Nun sah man beide stets auf gleiche Zwecke sehn;

Und beide sah man doch verschiedne Wege gehn.

Die Bäre wollen nur durch Strenge heilig machen;

Die Füchse strafen auch, doch strafen sie mit Lachen.

Dort brauchet man nur Fluch, hier brauchet man nur Scherz;

Dort bessert man den Schein; hier bessert man das Herz.

Dort sieht man Düsternheit; hier sieht man Licht und Leben;

Dort nach der Heuchelei; hier nach der Tugend streben.

Du, der du weiter denkst, fragst du mich nicht geschwind:

Ob beide Teile wohl auch gute Freunde sind?

O wären sies! Welch Glück für Tugend, Witz und Sitten!

Doch nein, der arme Fuchs wird von dem Bär bestritten,

Und, trotz des guten Zwecks, von ihm in Bann getan.

Warum? der Fuchs greift selbst die Bäre tadelnd an.

*

Ich kann mich diesmal nicht bei der Moral verweilen;

Die fünfte Stunde schlägt; ich muß zum Schauplatz eilen.

Freund, leg die Predigt weg! Willst du nicht mit mir gehn?

Was spielt man? Den Tartüff. Dies Schandstück sollt’ ich sehn?

X. Der Löwe und die Mücke

Ein junger Held vom muntern Heere,

Das nur der Sonnenschein belebt,

Und das mit saugendem Gewehre

Nach Ruhm gestochner Beulen strebt,

Doch die man noch zum großen Glücke,

Durch zwei Paar Strümpfe hindern kann,

Der junge Held war eine Mücke.

Hört meines Helden Taten an!

Auf ihren Kreuz- und Ritterzügen

Fand sie, entfernt von ihrer Schar,

Im Schlummer einen Löwen liegen,

Der von der Jagd entkräftet war.

Seht, Schwestern, dort den Löwen schlafen,

Schrie sie die Schwestern gaukelnd an.

Jetzt will ich hin, und will ihn strafen.

Er soll mir bluten, der Tyrann!

Sie eilt, und mit verwegnem Sprunge

Setzt sie sich auf des Königs Schwanz.

Sie sticht, und flieht mit schnellem Schwunge,

Stolz auf den sauern Lorbeerkranz.

Der Löwe will sich nicht bewegen?

Wie? ist er tot? Das heiß ich Wut!

Zu mördrisch war der Mücke Degen:

Doch sagt, ob er nicht Wunder tut?

»lch bin es, die den Wald befreiet,

Wo seine Mordsucht sonst getobt.

Seht, Schwestern, den der Tiger scheuet,

Der stirbt! Mein Stachel sei gelobt!«

Die Schwestern jauchzen, voll Vergnügen,

Um ihre laute Siegerin.

Wie? Löwen, Löwen zu besiegen!

Wie, Schwester, kam dir das in Sinn?

»Ja, Schwestern, wagen muß man! wagen!

Ich hätt’ es selber nicht gedacht.

Auf! lasset uns mehr Feinde schlagen.

Der Anfang ist zu schön gemacht.«

Doch unter diesen Siegesliedern,

Da jede von Triumphen sprach,

Erwacht der matte Löwe wieder,

Und eilt erquickt dem Raube nach.

XI. Das Kruzifix

Hans, spricht der Pater, du mußt laufen,

Uns in der nächsten Stadt ein Kruzifix zu kaufen.

Nimm Matzen mit, hier hast du Geld.

Du wirst wohl sehn, wie teuer man es hält.

Hans kömmt mit Matzen nach der Stadt.

Der erste Künstler war der beste.

»Herr, wenn Er Kruzifixe hat,

So laß’ Er uns doch eins zum heil’gen Osterfeste.«

Der Künstler war ein schalkscher Mann,

Der gern der Einfalt lachte,

Und Dumme gern noch dümmer machte,

Und fing im Scherz zu fragen an:

»Was wollt ihr denn für eines?«

»Je nun, spricht Matz, ein wacker feines.

Wir werden sehn, was Ihr uns gebt.«

»Das glaub’ ich wohl, allein das frag’ ich nicht.

Ein totes, oder eins das lebt?«

Hans guckte Matzen und Matz Hansen ins Gesicht.

Sie öffneten das Maul, allein es redte nicht.

»Nun gebt mir doch Bericht.

Habt ihr den Pater nicht gefragt?«

»Mein Blut! spricht endlich Hans, der aus dem Traum erwachte,

Mein Blut! er hat uns nichts gesagt.

Weißt du es, Matz?« – »lch dachte;

Wenn du’s nicht weißt; wie soll ich’s wissen?«

»So werdet ihr den Weg noch einmal gehen müssen.«

»Das wollen wir wohl bleiben lassen.

Ja, wenn es nicht zur Frone wär.«

Sie denken lange hin und her,

Und wissen keinen Rat zu fassen.

Doch endlich fällt es Matzen ein:

»Je! Hans, sollt’s nicht am besten sein,

Wir kauften eins das lebt? – Denn sieh,

Ist’s ihm nicht recht, so macht’s ja wenig Müh,

Wär’s auch ein Ochs, es tot zu schlagen.«

»Nu ja, spricht Hans, das wollt’ ich eben sagen:

So haben wir nicht viel zu wagen.«

*

Das war ein Argument, ihr Herren Theologen,

Das Hans und Matz ex tuto zogen.

XII. Der Eremit

Im Walde nah bei einer Stadt,

Die man mir nicht genennet hat,

Ließ einst ein seltenes Gefieder,

Ein junger Eremit sich nieder.

»In einer Stadt, denkt Applikant,

Die man ihm nicht genannt?

Was muß er wohl für eine meinen?

Bei nahe sollte mir es scheinen,

Daß die, – nein die – gemeinet wär.«

Kurz Applikant denkt hin und her,

Und schließt, noch eh er mich gelesen,

Es sei gewiß Berlin gewesen.

»Berlin? Ja, ja, das sieht man bald;

Denn bei Berlin ist ja ein Wald.«

Der Schluß ist stark, bei meiner Ehre:

Ich dachte nicht, daß es so deutlich wäre.

Der Wald paßt herrlich auf Berlin,

Ohn’ ihn beim Haar’ herbei zu ziehn.

Und ob das übrige wird passen,

Will ich dem Leser überlassen.

Auf griechisch weiß ich, wie sie hieß;

Doch wer verstehts? Kerapolis.

Hier, nahe bei Kerapolis,

Wars, wo ein junger Eremite,

In einer kleinen leeren Hütte,

Im dicksten Wald sich niederließ.

Was je ein Eremit getan,

Fing er mit größtem Eifer an.

Er betete, er sang, er schrie,

Des Tags, des Nachts, und spät und früh.

Er aß kein Fleisch, er trank nicht Wein,

Ließ Wurzeln seine Nahrung sein,

Und seinen Trank das helle Wasser;

Bei allem Appetit kein Prasser.

Er geißelte sich bis aufs Blut,

Und wußte wie das Wachen tut.

Er fastete wohl ganze Tage,

Und blieb auf Einem Fuße stehn;

Und machte sich rechtschaffne Plage,

In Himmel mühsam einzugehn.

Was Wunder also, daß gar bald

Vom jungen Heiligen im Wald

Der Ruf bis in die Stadt erschallt?

Die erste, die aus dieser Stadt

Zu ihm die heil’ge Wallfahrt tat,

War ein betagtes Weib.

Auf Krücken, zitternd, kam sie an,

Und fand den wilden Gottesmann,

Der sie von weitem kommen sahe,

Dem hölzern Kreuze knieend nahe.

Je näher sie ihm kömmt, je mehr

Schlägt er die Brust, und weint, und winselt er,

Und wie es sich für einen Heil’gen schicket,

Erblickt sie nicht, ob er sie gleich erblicket.

Bis er zuletzt vom Knieen matt,

Und heiliger Verstellung satt,

Vom Fasten, Kreuz’gen, Klosterleben,

Marienbildern, Opfergeben,

Von Beichte, Salbung, Seelenmessen,

Ohn’ das Vermächtnis zu vergessen,

Von Rosenkränzen mit ihr redte,

Und das so oratorisch sagt,

Daß sie erbärmlich weint und klagt,

Als ob er sie geprügelt hätte.

Zum Schluß bricht sie von seiner Hütte,

Wozu der saure Eremite

Mit Not ihr die Erlaubnis gab,

Sich einen heil’gen Splitter ab,

Den sie beküsset und belecket,

Und in den welken Busen stecket.

Mit diesem Schatz von Heiligkeit

Kehrt sie zurück begnadigt und erfreut,

Und läßt daheim die frömmsten Frauen

Ihn küssen, andre nur beschauen.

Sie ging zugleich von Haus zu Haus,

Und rief auf allen Gassen aus:

»Der ist verloren und verflucht,

Der unsern Eremiten nicht besucht!«

Und brachte hundert Gründe bei,

Warum es sonderlich den Weibern nützlich sei.

Ein altes Weib kann Eindruck machen;

Zum Weinen bei der Frau, und bei dem Mann zum Lachen.

Zwar ist der Satz nicht allgemein;

Auch Männer können Weiber sein.

Doch diesmal waren sie es nicht.

Die Weiber schienen nur erpicht,

Den teuern Waldseraph zu sehen.

Die Männer aber? – wehrtens nicht,

Und ließen ihre Weiber gehen.

Die Häßlichen und Schönen,

Die ältesten und jüngsten Frauen,

Das arme wie das reiche Weib, –

Kurz jede ging, sich zu erbauen,

Und jede fand erwünschten Zeitvertreib.

»Was? Zeitvertreib, wo man erbauen will?

Was soll der Widerspruch bedeuten?«

Ein Widerspruch? Das wäre viel!

»Er sprach ja sonst von lauter Seligkeiten!« –

O! davon sprach er noch, nur mit dem Unterscheide:

Mit Alten sprach er stets von Tod und Eitelkeit,

Mit Armen von des Himmels Freude,

Mit Häßlichen von Ehrbarkeit,

Nur mit den Schönen allezeit

Vom ersten jeder Christentriebe.

Was ist das? Wer mich fragt, kann der ein Christ wohl sein?

Denn jeder Christ kömmt damit überein,

Es sei die liebe Liebe.

Der Eremit war jung; das hab’ ich schon gesagt.

Doch schön? Wer nach der Schönheit fragt,

Der mag ihn hier besehn.

Genug, den Weibern war er schön.

Ein starker, frischer, junger Kerl,

Nicht dicke wie ein Faß, nicht hager wie ein Querl –

»Nun, nun, aus seiner Kost ist jenes leicht zu schließen.«

Doch sollte man auch wissen,

Daß Gott dem, den er liebt,

Zu Steinen wohl Gedeihen gibt;

Und das ist doch kein fett Gerichte!

Ein bräunlich männliches Gesichte,

Nicht allzu klein, nicht allzu groß,

Das sich im dichten Barte schloß;

Die Blicke wild, doch sonder Anmut nicht;

Die Nase lang, wie man die Kaisernasen dicht’t.

Das ungebundne Haar floß straubicht um das Haupt;

Und wesentlichre Schönheitsstücke

Hat der zerrißne Rock dem Blicke

Nicht ganz entdeckt, nicht ganz geraubt.

Der Waden nur noch zu gedenken:

Sie waren groß, und hart wie Stein.

Das sollen, wie man sagt, nicht schlimme Zeichen sein;

Allein den Grund wird man mir schenken.

Nun wahrlich, so ein Kerl kann Weiber lüstern machen.

Ich sag’ es nicht für mich; es sind geschehne Sachen.

»Geschehne Sachen? was?

So ist man gar zur Tat gekommen?«

Mein lieber Simplex, fragt sich das?

Weswegen hätt’ er denn die Predigt unternommen?

Die süße Lehre süßer Triebe?

Die Liebe heischet Gegenliebe,

Und wer ihr Priester ist, verdienet keinen Haß.

O Andacht, mußt du doch so manche Sünde decken!

Zwar die Moral ist hier zu scharf,

Weil mancher Mensch sich nicht bespiegeln darf,

Aus Furcht, er möchte vor sich selbst erschrecken.

Drum will ich nur mit meinen Lehren

Ganz still nach Hause wieder kehren.

Kömmt mir einmal der Einfall ein,

Und ein Verleger will für mich so gnädig sein,

Mich in groß Quart in Druck zu nehmen;

So könnt’ ich mich vielleicht bequemen,

Mit hundert englischen Moralen,

Die ich im Laden sah, zu prahlen,

Exempelschätze, Sittenrichter,

Die alten und die neuen Dichter

Mit witz’gen Fingern nachzuschlagen,

Und was die sagen, und nicht sagen,

In einer Note abzuschreiben.

Bringt, sag’ ich noch einmal, man mich gedruckt an Tag;

Denn in der Handschrift laß ich’s bleiben,

Weil ich mich nicht belügen mag.

Ich fahr’ in der Erzählung fort –

Doch möcht’ ich in der Tat gestehn,

Ich hätte manchmal mögen sehn,

Was die und die, die an den Wallfahrtsort

Mit heiligen Gedanken kam,

Für fremde Mienen an sich nahm,

Wenn der verwegne Eremit,

Fein listig. Schritt vor Schritt,

Vom Geist aufs Fleisch zu reden kam.

Ich zweifle nicht, daß die verletzte Scham

Den Zorn nicht ins Gesicht getrieben,

Daß Mund und Hand nicht in Bewegung kam,

Weil beide die Bewegung lieben;

Allein, daß die Versöhnung ausgeblieben,

Glaub’ ich, und wer die Weiber kennt,

Nicht eher, als kein Stroh mehr brennt.

Denn wird doch wohl ein Löwe zahm.

Und eine Frau ist ohnedem ein Lamm.

»Ein Lamm? du magst die Weiber kennen.«

Je nun, man kann sie doch in so weit Lämmer nennen,

Als sie von selbst ins Feuer rennen.

»Fährst du in der Erzählung fort?

Und bleibst mit deinem Kritisieren

Doch ewig an demselben Ort?«

So kann das Nützliche den Dichter auch verführen.

Nun gut, ich fahre fort,

Und sag’, um wirklich fort zu fahren,

Daß nach fünf Vierteljahren

Die Schelmereien ruchbar waren.

»Erst nach fünf Vierteljahren? Nu;

Der Eremit hat wacker ausgehalten.

So viel trau ich mir doch nicht zu;

Ich möchte nicht sein Amt ein Vierteljahr verwalten.

Allein, wie ward es ewig kund?

Hat es ein schlauer Mann erfahren?

Verriet es einer Frau waschhafter Mund?

Wie? oder daß den Hochverrat

Ein alt neugierig Weib, aus Neid, begangen hat?«

O nein; hier muß man besser raten,

Zwei muntre Mädchen hatten Schuld,

Die voller frommen Ungeduld

Das taten, was die Mütter taten;

Und dennoch wollten sich die Mütter nicht bequemen,

Die guten Kinder mit zu nehmen.

»Sie merkten also wohl den Braten?« –

Und haben ihn gar dem Papa verraten.

»Die Töchter sagtens dem Papa?

Wo blieb die Liebe zur Mama?«

O! die kann nichts darunter leiden;

Denn wenn ein Mädchen auch die Mutter liebt,

Daß es der Mutter in der Not

Den letzten Bissen Brot

Aus seinem Munde gibt;

So kann das Mädchen doch die Mutter hier beneiden,

Hier, wo so Lieb’ als Klugheit spricht:

Ihr Schönen, trotz der Kinderpflicht,

Vergeßt euch selber nicht!

Kurz, durch die Mädchen kams ans Licht,

Daß er, der Eremit, beinah die ganze Stadt

Zu Schwägern oder Kindern hat.

O! der verfluchte Schelm! Wer hätte das gedacht!

Die ganze Stadt ward aufgebracht,

Und jeder Ehmann schwur, daß in der ersten Nacht,

Er und sein Mitgenoß der Hain,

Des Feuers Beute müsse sein.

Schon rotteten sich ganze Scharen,

Die zu der Rache fertig waren.

Doch ein hochweiser Magistrat

Besetzt das Tor, und sperrt die Stadt,

Der Eigenrache vorzukommen,

Und schicket alsobald

Die Schergen in den Wald,

Die ihn vom Kreuze weg, und in Verhaft genommen.

Man redte schon von Galgen und von Rad,

So sehr schien sein Verbrechen häßlich;

Und keine Strafe war so gräßlich,

Die, wie man sagt, er nicht verdienet hat.

Und nur ein Hagestolz, ein schlauer Advokat,

Sprach: »o! dem kömmt man nicht ans Leben,

Der es Unzählichen zu geben,

So rühmlich sich beflissen hat.«

Der Eremite, der die Nacht

Im Kerker ungewiß und sorgend durchgewacht,

Ward morgen ins Verhör gebracht.

Der Richter war ein schalkscher Mann,

Der jeden mit Vergnügen schraubte,

Und doch – (wie man sich irren kann!)

Von seiner Frau das Beste glaubte.

»Sie ist ein Ausbund aller Frommen,

Und nur einmal in Wald gekommen,

Den Pater Eremit zu sehn.

Einmal! Was kann da viel geschehn?«

So denkt der gütige Herr Richter.

Denk’ immer so, zu deiner Ruh,

Lacht gleich die Wahrheit und der Dichter,

Und deine fromme Frau dazu.

Nun tritt der Eremit vor ihn.

»Mein Freund, wollt Ihr von selbst die nennen,

Die – die Ihr kennt, und die Euch kennen:

So könnt Ihr der Tortur entfliehn.

Doch« – »Darum laß ich mich nicht plagen.

Ich will sie alle sagen.

Herr Richter, schreib’ Er nur!« Und wie?

Der Eremit entdecket sie?

Ein Eremite kann nicht schweigen?

Sonst ist das Plaudern nur den Stutzern eigen.

Der Richter schrieb. »Die erste war

Kamilla« – »Wer? Kamilla?« »Ja fürwahr!

Die andern sind: Sophia, Laura, Doris,

Angelika, Korinna, Chloris« –

»Der Henker mag sie alle fassen,

Gemach! und eine nach der andern fein!

Denn eine nur vorbei zu lassen« –

Wird wohl kein großer Schade sein,

Fiel jeder Ratsherr ihm ins Wort.

»Hört, schrieen sie, erzählt nur fort!«

Weil jeder Ratsherr in Gefahr,

Sein eigen Weib zu hören war.

»Ihr Herren, schrie der Richter, nein!

Die Wahrheit muß am Tage sein;

Was können wir sonst für ein Urteil fassen?«

Ihn, schrieen alle, gehn zu lassen.

»Nein, die Gerechtigkeit« – und kurz der Delinquent

Hat jede noch einmal genennt,

Und jeder hing der Richter dann

Ein loses Wort für ihren Hahnrei an.

Das Hundert war schon mehr als voll;

Der Eremit, der mehr gestehen soll,

Stockt, weigert sich, scheut sich zu sprechen –

»Nu, nu, nur fort! was zwingt Euch wohl,

So unvermutet abzubrechen?«

»Das sind sie alle!« »Seid Ihr toll?

Ein Held wie Ihr! Gestehet nur, gesteht!

Die letzten waren, wie Ihr seht:

Klara, Pulcheria, Susanne,

Charlotte, Mariane, Hanne.

Denkt nach! ich laß Euch Zeit dazu!«

»Das sind sie wirklich alle!« »Nu –

Macht, eh wir schärfer in Euch dringen!«

»Nein keine mehr; ich weiß genau« –

»Ha! ha! ich seh, man soll Euch zwingen« – –

»Nun gut, Herr Richter, – Seine Frau« –

*

Daß man von der Erzählung nicht

Als einem Weibermärchen spricht,

So mach’ ich sie zum Lehrgedicht,

Durch beigefügten Unterricht:

Wer seines Nächsten Schande sucht,

Wird selber seine Schande finden!

Nicht wahr, so liest man mich mit Frucht?

Und ich erzähle sonder Sünden?

XIII. Die Brille

Dem alten Freiherrn von Chrysant,

Wagts Amor, einen Streich zu spielen.

Für einen Hagestolz bekannt,

Fing, um die Sechzig, er sich wieder an zu fühlen.

Es flatterte, von Alt und Jung begafft,

Mit Reizen ganz besondrer Kraft,

Ein Bürgermädchen in der Nachbarschaft.

Dies Bürgermädchen hieß Finette.

Finette ward des Freiherrn Siegerin.

Ihr Bild stand mit ihm auf, und ging mit ihm zu Bette.

Da dacht’ in seinem Sinn

Der Freiherr: »Und warum denn nur ihr Bild?

Ihr Bild, das zwar den Kopf, doch nicht die Arme füllt?

Sie selbst steh’ mit mir auf, und geh’ mit mir zu Bette.

Sie werde meine Frau! Es schelte, wer da schilt;

Genäd’ge Tant’ und Nicht’ und Schwägerin!

Finett’ ist meine Frau, und – ihre Dienerin.«

Schon so gewiß? Man wird es hören.

Der Freiherr kömmt, sich zu erklären,

Ergreift das Mädchen bei der Hand,

Tut, wie ein Freiherr, ganz bekannt,

Und spricht: »Ich, Freiherr von Chrysant,

Ich habe Sie, mein Kind, zu meiner Frau ersehen.

Sie wird sich hoffentlich nicht selbst im Lichte stehen.

Ich habe Guts die Hüll’ und Fülle.«

Und hierauf las er ihr, durch eine große Brille

Von einem großen Zettel ab,

Wie viel ihm Gott an Gütern gab;

Wie reich er sie beschenken wolle;

Welch großen Witwenschatz sie einmal haben solle.

Dies alles las der reiche Mann

Ihr von dem Zettel ab, und guckte durch die Brille

Bei jedem Punkte sie begierig an.

»Nun, Kind, was ist Ihr Wille?«

Mit diesen Worten schwieg der Freiherr stille,

Und nahm mit diesen Worten seine Brille –

(Denn, dacht’ er, wird das Mädchen nun

So wie ein kluges Mädchen tun;

Wird mich und sie ihr schnelles Ja beglücken;

Werd’ ich den ersten Kuß auf ihre Lippen drücken:

So könnt’ ich, im Entzücken,

Die teure Brille leicht zerknicken!) –

Die teure Brille wohlbedächtig ab.

Finette, der dies Zeit sich zu bedenken gab,

Bedachte sich, und sprach nach reiflichem Bedenken:

»Sie sprechen, gnäd’ger Herr, vom Freien und vom Schenken:

Ach! gnäd’ger Herr, das alles wär’ sehr schön!

Ich würd’ in Sammt und Seide gehn –

Was gehn? Ich würde nicht mehr gehn;

Ich würde stolz mit Sechsen fahren.

Mir würden ganze Scharen

Von Dienern zu Gebote stehn.

Ach! wie gesagt, das alles wär’ sehr schön,

Wenn ich – wenn ich – –«

»Ein Wenn? Ich will doch sehn,

(Hier sahe man den alten Herrn sich blähn,)

Was für ein Wenn mir kann im Wege stehn!«

»Wenn ich nur nicht verschworen hätte – –«

»Verschworen? was? Finette,

Verschworen nicht zu frein? –

O Grille, rief der Freiherr, Grille!«

Und griff nach seiner Brille,

Und nahm das Mädchen durch die Brille

Nochmals in Augenschein,

Und rief beständig: »Grille! Grille!

Verschworen nicht zu frein!«

»Behüte!« sprach Finette,

»Verschworen nur mir keinen Mann zu frein,

Der so, wie Ihre Gnaden pflegt,

Die Augen in der Tasche trägt!«

XIV. Nix Bodenstrom

Nix Bodenstrom, ein Schiffer, nahm –

War es in Hamburg oder Amsterdam,

Daran ist wenig oder nichts gelegen –

Ein junges Weib.

»Das ist auch sehr verwegen,

Freund!« sprach ein Kaufherr, den zum Hochzeitschmause

Der Schiffer bat. »Du bist so lang’ und oft von Hause;

Dein Weibchen bleibt indes allein:

Und dennoch – willst du mit Gewalt denn Hahnrei sein?

Indes, daß du zur See dein Leben wagst,

Indes, daß du in Surinam, am Amazonenflusse,

Dich bei den Hottentotten, Kannibalen plagst:

Indes wird sie – –«

»Mit Eurem schönen Schlusse!«

Versetzte Nix. »Indes, indes! Ei nun!

Das nämliche kann Euer Weibchen tun –

Denn, Herr, was brauchts dazu für Zeit? –

Indes ihr auf der Börse seid

Gotthold Ephraim Lessing

Fabeln

Drei Bücher

Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts

Berlin (Voss) 1759.

fabeln, drei bücher

Vorrede

Erstes Buch

I. Die Erscheinung

II. Der Hamster und die Ameise

III. Der Löwe und der Hase

IV. Der Esel und das Jagdpferd

V. Zeus und das Pferd

VI. Der Affe und der Fuchs

VII. Die Nachtigall und der Pfau

VIII. Der Wolf und der Schäfer

IX. Das Roß und der Stier

X. Die Grille und die Nachtigall

XI. Die Nachtigall und der Habicht

XII. Der kriegerische Wolf

XIII. Der Phönix

XIV. Die Gans

XV. Die Eiche und das Schwein

XVI. Die Wespen

XVII. Die Sperlinge

XVIII. Der Strauß

XIX. Der Sperling und der Strauß

XX. Die Hunde

XXI. Der Fuchs und der Storch

XXII. Die Eule und der Schatzgräber

XXIII. Die junge Schwalbe

XXIV. Merops

XXV. Der Pelekan

XXVI. Der Löwe und der Tiger

XXVII. Der Stier und der Hirsch

XXVIII. Der Esel und der Wolf

XXIX. Der Springer im Schache

XXX. Aesopus und der Esel

Zweites Buch

I. Die eherne Bildsäule

II. Herkules

III. Der Knabe und die Schlange

IV. Der Wolf auf dem Todbette

V. Der Stier und das Kalb

VI. Die Pfauen und die Krähe

VII. Der Löwe mit dem Esel

VIII. Der Esel mit dem Löwen

IX. Die blinde Henne

X. Die Esel

XI. Das beschützte Lamm

XII. Jupiter und Apollo

XIII. Die Wasserschlange

XIV. Der Fuchs und die Larve

XV. Der Rabe und der Fuchs

XVI. Der Geizige

XVII. Der Rabe

XVIII. Zeus und das Schaf

XIX. Der Fuchs und der Tiger

XX. Der Mann und der Hund

XXI. Die Traube

XXII. Der Fuchs

XXIII. Das Schaf

XXIV. Die Ziegen

XXV. Der wilde Apfelbaum

XXVI. Der Hirsch und der Fuchs

XXVII. Der Dornstrauch

XXVIII. Die Furien

XXIX. Tiresias

XXX. Minerva

Drittes Buch

I. Der Besitzer des Bogens

II. Die Nachtigall und die Lerche

III. Der Geist des Salomo

IV. Das Geschenk der Feien

V. Das Schaf und die Schwalbe

VI. Der Rabe

Der Rangstreit der Tiere

VII. (1)

VIII. (2)

IX. (3)

X. (4)

XI. Der Bär und der Elefant

XII. Der Strauß

Die Wohltaten,

XIII. (1)

XIV. (2)

XV. Die Eiche

Die Geschichte des alten Wolfs,

XVI. (1)

XVII. (2)

XVIII. (3)

XIX. (4)

XX. (5)

XXI. (6)

XXII. (7)

XXIII. Die Maus

XXIV. Die Schwalbe

XXV. Der Adler

XXVI. Der junge und der alte Hirsch

XXVII. Der Pfau und der Hahn

XXVIII. Der Hirsch

XXIX. Der Adler und der Fuchs

XXX. Der Schäfer und die Nachtigall

Vorrede

Ich warf, vor Jahr und Tag, einen kritischen Blick auf meine Schriften. Ich hatte ihrer lange genug vergessen, um sie völlig als fremde Geburten betrachten zu können. Ich fand, daß man noch lange nicht so viel Böses davon gesagt habe, als man wohl sagen könnte, und beschloß, in dem ersten Unwillen, sie ganz zu verwerfen.

Viel Überwindung hätte mich die Ausführung dieses Entschlusses gewiß nicht gekostet. Ich hatte meine Schriften nie der Mühe wert geachtet, sie gegen irgend jemanden zu verteidigen; so ein leichtes und gutes Spiel mir auch oft der allzuelende Angriff dieser und jener würde gemacht haben. Dazu kam noch das Gefühl, daß ich itzt meine jugendlichen Vergehungen durch bessere Dinge gut machen, und endlich wohl gar in Vergessenheit bringen könnte.

Doch indem fielen mir so viel freundschaftliche Leser ein. – Soll ich selbst Gelegenheit geben, daß man ihnen vorwerfen kann, ihren Beifall an etwas ganz Unwürdiges verschwendet zu haben? Ihre nachsichtsvolle Aufmunterung erwartet von mir ein anderes Betragen. Sie erwartet, und sie verdienet, daß ich mich bestrebe, sie, wenigstens nach der Hand, Recht haben zu lassen; daß ich so viel Gutes nunmehr wirklich in meine Schriften so glücklich hineinlege, daß sie es in voraus darin bemerkt zu haben scheinen können. – Und so nahm ich mir vor, was ich erst verwerfen wollte, lieber so viel als möglich zu verbessern. – Welche Arbeit! –

Ich hatte mich bei keiner Gattung von Gedichten länger verweilet, als bei der Fabel. Es gefiel mir auf diesem gemeinschaftlichen Raine der Poesie und Moral. Ich hatte die alten und neuen Fabulisten so ziemlich alle, und die besten von ihnen mehr als einmal gelesen. Ich hatte über die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich hatte mich oft gewundert, daß die gerade auf die Wahrheit führende Bahn des Aesopus, von den Neuern, für die blumenreichern Abwege der schwatzhaften Gabe zu erzählen, so sehr verlassen werde. Ich hatte eine Menge Versuche in der einfältigen Art des alten Phrygiers gemacht. – Kurz, ich glaubte mich in diesem Fache so reich, daß ich, vors erste meinen Fabeln, mit leichter Mühe, eine neue Gestalt geben könnte.

Ich griff zum Werke. – Wie sehr ich mich aber wegen der leichten Mühe geirret hatte, das weiß ich selbst am besten. Anmerkungen, die man während dem Studieren macht, und nur aus Mißtrauen in sein Gedächtnis auf das Papier wirft; Gedanken, die man sich nur zu haben begnügt, ohne ihnen durch den Ausdruck die nötige Präzision zu geben; Versuchen, die man nur zu seiner Übung waget, – – fehlet noch sehr viel zu einem Buche. Was nun endlich für eines daraus geworden; – hier ist es!

Man wird nicht mehr als sechse von meinen alten Fabeln darin finden; die sechs prosaischen nämlich, die mir der Erhaltung am wenigsten unwert erschienen. Die übrigen gereimten mögen auf eine andere Stelle warten. Wenn es nicht gar zu sonderbar gelassen hätte, so würde ich sie in Prosa aufgelöset haben.

Ohne übrigens eigentlich den Gesichtspunkt, aus welchem ich am liebsten betrachtet zu sein wünschte, vorzuschreiben, ersuche ich bloß meinen Leser, die Fabeln nicht ohne die Abhandlungen zu beurteilen. Denn ob ich gleich weder diese jenen, noch jene diesen zum besten geschrieben habe; so entlehnen doch beide, als Dinge, die zu einer Zeit in einem Kopfe entsprungen, allzuviel von einander, als daß sie einzeln und abgesondert noch eben dieselben bleiben könnten. Sollte er auch schon dabei entdecken, daß meine Regeln mit meiner Ausübung nicht allezeit übereinstimmen: was ist es mehr? Er weiß von selbst, daß das Genie seinen Eigensinn hat; daß es den Regeln selten mit Vorsatz folget; und daß diese seine wollüstigen Auswüchse zwar beschneiden, aber nicht hemmen sollen. Er prüfe also in den Fabeln seinen Geschmack, und in den Abhandlungen meine Gründe. –

Ich wäre Willens, mit allen übrigen Abteilungen meiner Schriften, nach und nach, auf gleiche Weise zu verfahren. An Vorrat würde es mir auch nicht fehlen, den unnützen Abgang dabei zu ersetzen. Aber an Zeit, an Ruhe – – Nichts weiter! Dieses Aber gehöret in keine Vorrede; und das Publikum danket es selten einem Schriftsteller, wenn er es auch in solchen Dingen zu seinem Vertrauten zu machen gedenkt. – So lange der Virtuose Anschläge fasset, Ideen sammlet, wählet, ordnet, in Plane verteilet: so lange genießt er die sich selbst belohnenden Wollüste der Empfängnis. Aber so bald er einen Schritt weiter gehet, und Hand anleget, seine Schöpfung auch außer sich darzustellen: sogleich fangen die Schmerzen der Geburt an, welchen er sich selten ohne alle Aufmunterung unterziehet. –

Eine Vorrede sollte nichts enthalten, als die Geschichte: des Buchs. Die Geschichte des meinigen war bald erzählt, und ich müßte hier schließen. Allein, da ich die Gelegenheit mit meinen Lesern zu sprechen, so selten ergreife, so erlaube man mir, sie einmal zu mißbrauchen. – Ich bin gezwungen mich über einen bekannten Skribenten zu beklagen. Herr Dusch hat mich durch seine bevollmächtigten Freunde, seit geraumer Zeit, auf eine sehr nichtswürdige Art mißhandeln lassen. Ich meine mich, den Menschen; denn daß es seiner siegreichen Kritik gefallen hat, mich, den Schriftsteller, in die Pfanne zu hauen, das würde ich mit keinem Worte rügen. Die Ursache seiner Erbitterung sind verschiedene Kritiken, die man in der »Bibliothek der schönen Wissenschaften«, und in den »Briefen die neueste Literatur betreffend«, über seine Werke gemacht hat, und er auf meine Rechnung schreibet. Ich habe ihn schon öffentlich von dem Gegenteile versichern lassen; die Verfasser der Bibliothek sind auch nunmehr genugsam bekannt; und wenn diese, wie er selbst behauptet, zugleich die Verfasser der Briefe sind: so kann ich gar nicht begreifen, warum er seinen Zorn an mir ausläßt. Vielleicht aber muß ein ehrlicher Mann, wie er, wenn es ihn nicht töten soll, sich seiner Galle gegen einen Unschuldigen entladen; und in diesem Falle stehe ich seiner Kunstrichterei, und dem Aberwitze seiner Freunde und seiner Freundinnen, gar gern noch ferner zu Diensten, und widerrufe meine Klage.

Erstes Buch

I. Die Erscheinung

In der einsamsten Tiefe jenes Waldes, wo ich schon manches redende Tier belauscht, lag ich an einem sanften Wasserfalle und war bemüht, einem meiner Märchen den leichten poetischen Schmuck zu geben, in welchem am liebsten zu erscheinen, la Fontaine die Fabel fast verwöhnt hat. Ich sann, ich wählte, ich verwarf, die Stirne glühte – – Umsonst, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill sprang ich auf; aber sieh! – auf einmal stand sie selbst, die fabelnde Muse vor mir.

Und sie sprach lächelnd: Schüler, wozu diese undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die Anmut der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die Anmut der Harmonie? Du willst das Gewürze würzen. Gnug, wenn die Erfindung des Dichters ist; der Vortrag sei des ungekünstelten Geschichtschreibers, so wie der Sinn des Weltweisen.

Ich wollte antworten, aber die Muse verschwand. »Sie verschwand? höre ich einen Leser fragen. Wenn du uns doch nur wahrscheinlicher täuschen wolltest! Die seichten Schlüsse, auf die dein Unvermögen dich führte, der Muse in den Mund zu legen! Zwar ein gewöhnlicher Betrug –«

Vortrefflich, mein Leser! Mir ist keine Muse erschienen. Ich erzählte eine bloße Fabel, aus der du selbst die Lehre gezogen. Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein, der seine Grillen zu Orakelsprüchen einer göttlichen Erscheinung macht.

II. Der Hamster und die Ameise

Ihr armseligen Ameisen, sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Mühe, daß ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so weniges einzusammeln? Wenn ihr meinen Vorrat sehen solltet! – –

Höre, antwortete eine Ameise, wenn er größer ist, als du ihn brauchst, so ist es schon recht, daß die Menschen dir nachgraben, deine Scheuren ausleeren, und dich deinen räubrischen Geiz mit dem Leben büßen lassen!

III. Der Löwe und der Hase

Aelianus de natura animalium libr. I. cap. 38. Ορρώδει ό ελεφας κεραστην κριον και χοιρου βοην. Idem lib. III cap. 31. Αλεκτρυονα φοβειται ό λεων

Ein Löwe würdigte einen drolligten Hasen seiner nähern Bekanntschaft. Aber ist es denn wahr, fragte ihn einst der Hase, daß euch Löwen ein elender krähender Hahn so leicht verjagen kann?

Allerdings ist es wahr, antwortete der Löwe; und es ist eine allgemeine Anmerkung, daß wir große Tiere durchgängig eine gewisse kleine Schwachheit an uns haben. So wirst du, zum Exempel, von dem Elefanten gehört haben, daß ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und Entsetzen erwecket. –

Wahrhaftig? unterbrach ihn der Hase. Ja, nun begreif ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden fürchten.

IV. Der Esel und das Jagdpferd

Ein Esel vermaß sich, mit einem Jagdpferde um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich aus, und der Esel ward ausgelacht. Ich merke nun wohl, sagte der Esel, woran es gelegen hat; ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in den Fuß, und der schmerzt mich noch.

Entschuldigen Sie mich, sagte der Kanzelredner Liederhold, wenn meine heutige Predigt so gründlich und erbaulich nicht gewesen, als man sie von dem glücklichen Nachahmer eines Mosheims erwartet hätte; ich habe, wie Sie hören, einen heischern Hals, und den schon seit acht Tagen.

V. Zeus und das Pferd

Καμηλον ώς δεδοικεν ίππος, εγνω Κυρος τε και Κροισος. Aelianus de nat. an. lib. III. cap. 7

Vater der Tiere und Menschen, so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, womit du die Welt gezieret, und meine Eigenliebe heißt mich es glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch verschiedenes an mir zu bessern sein? –

Und was meinst du denn, daß an dir zu bessern sei? Rede; ich nehme Lehre an: sprach der gute Gott, und lächelte.

Vielleicht, sprach das Pferd weiter, würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohltätige Reiter auflegt.

Gut, versetzte Zeus; gedulde dich einen Augenblick! Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisierter Stoff; und plötzlich stand vor dem Throne – das häßliche Kamel.

Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.

Hier sind höhere und schmächtigere Beine, sprach Zeus; hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll?

Das Pferd zitterte noch.

Geh, fuhr Zeus fort; diesesmal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Geschöpf – Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das Kamel – – und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern.

VI. Der Affe und der Fuchs

Nenne mir ein so geschicktes Tier, dem ich nicht nachahmen könnte! so prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber erwiderte: Und du, nenne mir ein so geringschätziges Tier, dem es einfallen könnte, dir nachzuahmen.

Schriftsteller meiner Nation! – – Muß ich mich noch deutlicher erklären?

VII. Die Nachtigall und der Pfau

Eine gesellige Nachtigall fand, unter den Sängern des Waldes, Neider die Menge, aber keinen Freund. Vielleicht finde ich ihn unter einer andern Gattung, dachte sie, und floh vertraulich zu dem Pfaue herab.

Schöner Pfau! ich bewundere dich. – – »Ich dich auch, liebliche Nachtigall!« – So laß uns Freunde sein, sprach die Nachtigall weiter; wir werden uns nicht beneiden dürfen; du bist dem Auge so angenehm, als ich dem Ohre.

Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde.

Kneller und Pope waren bessere Freunde, als Pope und Addison.

VIII. Der Wolf und der Schäfer

Ein Schäfer hatte durch eine grausame Seuche seine ganze Herde verloren. Das erfuhr der Wolf, und kam seine Kondolenz abzustatten.

Schäfer, sprach er, ist es wahr, daß dich ein so grausames Unglück betroffen? Du bist um deine ganze Herde gekommen? Die liebe, fromme, fette Herde! Du tauerst mich, und ich möchte blutige Tränen weinen.

Habe Dank, Meister Isegrim; versetzte der Schäfer. Ich sehe, du hast ein sehr mitleidiges Herz.

Das hat er auch wirklich, fügte des Schäfers Hylax hinzu, so oft er unter dem Unglücke seines Nächsten selbst leidet.

IX. Das Roß und der Stier

Auf einem feurigen Rosse floh stolz ein dreuster Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu: Schande! von einem Knaben ließ ich mich nicht regieren!

Aber ich; versetzte das Roß. Denn was für Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzuwerfen?

X. Die Grille und die Nachtigall

Ich versichre dich, sagte die Grille zu der Nachtigall, daß es meinem Gesange gar nicht an Bewundrern fehlt. – Nenne mir sie doch, sprach die Nachtigall. – Die arbeitsamen Schnitter, versetzte die Grille, hören mich mit vielem Vergnügen, und daß dieses die nützlichsten Leute in der menschlichen Republik sind, das wirst du doch nicht leugnen wollen?

Das will ich nicht leugnen, sagte die Nachtigall; aber deswegen darfst du auf ihren Beifall nicht stolz sein. Ehrlichen Leuten, die alle ihre Gedanken bei der Arbeit haben, müssen ja wohl die feinern Empfindungen fehlen. Bilde dir also ja nichts eher auf dein Lied ein, als bis ihm der sorglose Schäfer, der selbst auf seiner Flöte sehr lieblich spielt, mit stillem Entzücken lauschet.

XI. Die Nachtigall und der Habicht

Ein Habicht schoß auf eine singende Nachtigall. Da du so lieblich singst, sprach er, wie vortrefflich wirst du schmecken!

War es höhnische Bosheit, oder war es Einfalt, was der Habicht sagte? Ich weiß nicht. Aber gestern hört ich sagen: dieses Frauenzimmer, das so unvergleichlich dichtet, muß es nicht ein allerliebstes Frauenzimmer sein! Und das war gewiß Einfalt!

XII. Der kriegerische Wolf

Mein Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein junger Wolf zu einem Fuchse, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat er sich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zweihundert Feinde, nach und nach, triumphiert, und ihre schwarze Seelen in das Reich des Verderbens gesandt. Was Wunder also, daß er endlich doch einem unterliegen mußte!

So würde sich ein Leichenredner ausdrücken, sagte der Fuchs; der trockene Geschichtschreiber aber würde hinzusetzen: die zweihundert Feinde, über die er, nach und nach, triumphieret, waren Schafe und Esel; und der eine Feind, dem er unterlag, war der erste Stier, den er sich anzufallen erkühnte.

XIII. Der Phönix

Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phönix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien, und alle Tiere und Vögel versammelten sich um ihn. Sie gafften, sie staunten, sie bewunderten und brachen in entzückendes Lob aus.

Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke, und seufzten: Der unglückliche Phönix! Ihm ward das harte Los, weder Geliebte noch Freund zu haben; denn er ist der einzige seiner Art!

XIV. Die Gans

Die Federn einer Gans beschämten den neugebornen Schnee. Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur, glaubte sie eher zu einem Schwane, als zu dem was sie war, geboren zu sein. Sie sonderte sich von ihres gleichen ab, und schwamm einsam und majestätisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hals, dessen verräterischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte. Bald suchte sie ihm die prächtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das würdigste Ansehen eines Vogels des Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemühung brachte sie es nicht weiter, als daß sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.

XV. Die Eiche und das Schwein

Ein gefräßiges Schwein mästete sich, unter einer hohen Eiche, mit der herabgefallenen Frucht. Indem es die eine Eichel zerbiß, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge.

Undankbares Vieh! rief endlich der Eichbaum herab. Du nährest dich von meinen Früchten, ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe zu richten.

Das Schwein hielt einen Augenblick inne, und grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke sollten nicht außenbleiben, wenn ich nur wüßte, daß du deine Eicheln meinetwegen hättest fallen lassen.

XVI. Die Wespen

Ιππος ερρίμμενος σφηκων γενεσις εστιν. Aelianus de nat. animal. lib. I. cap. 28

Fäulnis und Verwesung zerstörten das stolze Gebäu eines kriegerischen Rosses, das unter seinem kühnen Reiter erschossen worden. Die Ruinen des einen braucht die allzeit wirksame Natur, zu dem Leben des andern. Und so floh auch ein Schwarm junger Wespen aus dem beschmeißten Aase hervor. O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ursprungs sind wir! Das prächtigste Roß, der Liebling Neptuns, ist unser Erzeuger!

Diese seltsame Prahlerei hörte der aufmerksame Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiener, die sich nichts Geringers als Abkömmlinge der alten unsterblichen Römer zu sein einbilden, weil sie auf ihren Gräbern geboren worden.

XVII. Die Sperlinge

Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzähliche Nester gab, ward ausgebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze da stand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen. Allein sie fanden sie alle vermauert. Zu was, schrieen sie, taugt denn nun das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!

XVIII. Der Strauß

Η στρουϑος ή μεγαλη λασιοις μεν τοις πτεροις επτερωται, αρϑηναι δε και εις βαϑυν αερα μετεωρισϑηναι φυσιν ουκ εχει ϑει δε ωκιστα, και τας παρα την πλευραν έκατεραν πτερυγας άπλοι, και εμπιπτον το πνευμα κολποι δικην ίστιων αυτας πτησιν δε ουκ οιδεν. Aelianus lib. II. c. 27

Itzt will ich fliegen; rief der gigantische Strauß, und das ganze Volk der Vögel stand in ernster Erwartung um ihn versammelt. Itzt will ich fliegen, rief er nochmals; breitete die gewaltigen Fittige weit aus, und schoß, gleich einem Schiffe mit aufgespannten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit einem Tritte zu verlieren.

Sehet da ein poetisches Bild jener unpoetischen Köpfe, die in den ersten Zeilen ihrer ungeheuren Oden, mit stolzen Schwingen prahlen, sich über Wolken und Sterne zu erheben drohen, und dem Staube doch immer getreu bleiben!

XIX. Der Sperling und der Strauß

Sei auf deine Größe, auf deine Stärke so stolz als du willst: sprach der Sperling zu dem Strauße. Ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du kannst nicht fliegen; ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur Ruckweise.

Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose Schreiber einer langen Hermanniade.

XX. Die Hunde

Λεοντι όμοσε χωρει κυων Ινδικος – και πολλα αυτον λυπησας και κατατρωσας, τελευτων έτταται ό κυων. Aelianus lib. IV. cap. 19

Wie ausgeartet ist hier zu Lande unser Geschlecht! sagte ein gereister Budel. In dem fernen Weltteile, welches die Menschen Indien nennen, da, da gibt es noch rechte Hunde; Hunde, meine Brüder – – ihr werdet es mir nicht glauben, und doch habe ich es mit meinen Augen gesehen – die auch einen Löwen nicht fürchten, und kühn mit ihm anbinden.

Aber, fragte den Budel ein gesetzter Jagdhund, überwinden sie ihn denn auch, den Löwen?

Überwinden? war die Antwort. Das kann ich nun eben nicht sagen. Gleichwohl, bedenke nur, einen Löwen anzufallen! – –

O, fuhr der Jagdhund fort, wenn sie ihn nicht überwinden, so sind deine gepriesene Hunde in Indien – besser als wir, so viel wie nichts – aber ein gut Teil dümmer.

XXI. Der Fuchs und der Storch

Erzähle mir doch etwas von den fremden Ländern, die du alle gesehen hast, sagte der Fuchs zu dem weitgereisten Storche.

Hierauf fing der Storch an, ihm jede Lache, und jede feuchte Wiese zu nennen, wo er die schmackhaftesten Würmer, und die fettesten Frösche geschmauset.

Sie sind lange in Paris gewesen, mein Herr. Wo speiset man da am besten? Was für Weine haben Sie da am meisten nach Ihrem Geschmacke gefunden?

XXII. Die Eule und der Schatzgräber

Jener Schatzgräber war ein sehr unbilliger Mann. Er wagte sich in die Ruinen eines alten Raubschlosses, und ward da gewahr, daß die Eule eine magere Maus ergriff und verzehrte. Schickt sich das, sprach er, für den philosophischen Liebling Minervens?

Warum nicht? versetzte die Eule. Weil ich stille Betrachtungen liebe, kann ich deswegen von der Luft leben? Ich weiß zwar wohl, daß ihr Menschen es von euren Gelehrten verlanget – –

XXIII. Die junge Schwalbe

Was macht ihr da? fragte eine Schwalbe die geschäftigen Ameisen. Wir sammeln Vorrat auf den Winter; war die geschwinde Antwort.

Das ist klug, sagte die Schwalbe; das will ich auch tun. Und sogleich fing sie an, eine Menge toter Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen.

Aber wozu soll das? fragte endlich ihre Mutter. »Wozu? Vorrat auf den bösen Winter, liebe Mutter; sammle doch auch! Die Ameisen haben mich diese Vorsicht gelehrt.«

O laß den irdischen Ameisen diese kleine Klugheit, versetzte die Alte; was sich für sie schickt, schickt sich nicht für bessere Schwalben. Uns hat die gütige Natur ein holderes Schicksal bestimmt. Wenn der reiche Sommer sich endet, ziehen wir von hinnen; auf dieser Reise entschlafen wir allgemach, und da empfangen uns warme Sümpfe, wo wir ohne Bedürfnisse rasten, bis uns ein neuer Frühling zu einem neuen Leben erwecket.

XXIV. Merops

Ο Μεροψ το ορνεον εμπαλιν, φασι, τοις αλλοις άπασι πετεται τα μεν γαρ εις τουμπροσϑεν ίεται και κατ’ οφϑαλμους, το δε εις τουπισω

Ich muß dich doch etwas fragen; sprach ein junger Adler zu einem tiefsinnigen grundgelehrten Uhu. Man sagt, es gäbe einen Vogel, mit Namen Merops, der, wenn er in die Luft steige, mit dem Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde gekehret, fliege. Ist das wahr?

Ei nicht doch! antwortete der Uhu; das ist eine alberne Erdichtung des Menschen. Er mag selbst ein solcher Merops sein; weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen möchte, ohne die Erde, auch nur einen Augenblick, aus dem Gesichte zu verlieren.

XXV. Der Pelekan

Aelianus de nat. animal. libr. III. cap. 30

Für wohlgeratene Kinder können Eltern nicht zu viel tun. Aber wenn sich ein blöder Vater für einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen zapft; dann wird Liebe zur Torheit.

Ein frommer Pelekan, da er seine Jungen schmachten sahe, ritzte sich mit scharfem Schnabel die Brust auf, und erquickte sie mit seinem Blute. Ich bewundere deine Zärtlichkeit, rief ihm ein Adler zu, und bejammere deine Blindheit. Sieh doch, wie manchen nichtswürdigen Guckuck du unter deinen Jungen mit ausgebrütet hast!

So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte der kalte Guckuck seine Eier untergeschoben. – Waren es undankbare Guckucke wert, daß ihr Leben so teuer erkauft wurde?

XXVI. Der Löwe und der Tiger

Aelianus de natura animal. libr. II. cap. 12

Der Löwe und der Hase, beide schlafen mit offenen Augen. Und so schlief jener, ermüdet von der gewaltigen Jagd, einst vor dem Eingange seiner fürchterlichen Höhle.

Da sprang ein Tiger vorbei, und lachte des leichten Schlummers. »Der nichtsfürchtende Löwe! rief er. Schläft er nicht mit offenen Augen, natürlich wie der Hase!«

Wie der Hase? brüllte der aufspringende Löwe, und war dem Spötter an der Gurgel. Der Tiger wälzte sich in seinem Blute, und der beruhigte Sieger legte sich wieder, zu schlafen.

XXVII. Der Stier und der Hirsch

Ein schwerfälliger Stier und ein flüchtiger Hirsch weideten auf einer Wiese zusammen.

Hirsch, sagte der Stier, wenn uns der Löwe anfallen sollte, so laß uns für einen Mann stehen; wir wollen ihn tapfer abweisen. – Das mute mir nicht zu, erwiderte der Hirsch; denn warum sollte ich mich mit dem Löwen in ein ungleiches Gefecht einlassen, da ich ihm sichrer entlaufen kann?

XXVIII. Der Esel und der Wolf

Ein Esel begegnete einem hungrigen Wolfe. Habe Mitleiden mit mir, sagte der zitternde Esel; ich bin ein armes krankes Tier; sieh nur, was für einen Dorn ich mir in den Fuß getreten habe! –

Wahrhaftig, du tauerst mich; versetzte der Wolf. Und ich finde mich in meinem Gewissen verbunden, dich von diesen Schmerzen zu befreien.

Kaum war das Wort gesagt, so ward der Esel zerrissen.

XXIX. Der Springer im Schache

Zwei Knaben wollten Schach ziehen. Weil ihnen ein Springer fehlte, so machten sie einen überflüssigen Bauer, durch ein Merkzeichen, dazu.

Ei, riefen die andern Springer, woher, Herr Schritt vor Schritt?

Die Knaben hörten die Spötterei und sprachen: Schweigt! Tut er uns nicht eben die Dienste, die ihr tut?

XXX. Aesopus und der Esel

Der Esel sprach zu dem Aesopus: Wenn du wieder ein Geschichtchen von mir ausbringst, so laß mich etwas recht Vernünftiges und Sinnreiches sagen.

Dich etwas Sinnreiches! sagte Aesop; wie würde sich das schicken? Würde man nicht sprechen, du seist der Sittenlehrer, und ich der Esel?

Zweites Buch

I. Die eherne Bildsäule

Die eherne Bildsäule eines vortrefflichen Künstlers schmolz durch die Hitze einer wütenden Feuersbrunst in einen Klumpen. Dieser Klumpen kam einem andern Künstler in die Hände, und durch seine Geschicklichkeit verfertigte er eine neue Bildsäule daraus; von der erstern in dem, was sie vorstellete, unterschieden, an Geschmack und Schönheit aber ihr gleich.

Der Neid sah es und knirschte. Endlich besann er sich auf einen armseligen Trost: »Der gute Mann würde dieses, noch ganz erträgliche Stück, auch nicht hervorgebracht haben, wenn ihm nicht die Materie der alten Bildsäule dabei zu Statten gekommen wäre.«

II. Herkules

Fab. Aesop. 191. edit. Hauptmannianae. Phaedrus lib. IV. Fab. II

Als Herkules in den Himmel aufgenommen ward, machte er seinen Gruß unter allen Göttern der Juno zuerst. Der ganze Himmel und Juno erstaunte darüber. Deiner Feindin, rief man ihm zu, begegnest du so vorzüglich? Ja, ihr selbst; erwiderte Herkules. Nur ihre Verfolgungen sind es, die mir zu den Taten Gelegenheit gegeben, womit ich den Himmel verdienet habe.

Der Olymp billigte die Antwort des neuen Gottes, und Juno ward versöhnt.

III. Der Knabe und die Schlange

Fab. Aesop. 170. Phaedrus lib. IV. Fab. 18

Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. Mein liebes Tierchen, sagte der Knabe, ich würde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmann ging, der eine, vielleicht von deinen Ureltern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob, und sie in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die Böse wieder, als sie ihren Wohltäter biß; und der gute freundliche Mann mußte sterben.

Ich erstaune, sagte die Schlange. Wie parteiisch eure Geschichtschreiber sein müssen! Die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders. Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne Haut abzustreifen. War das recht?

Ach, schweig nur; erwiderte der Knabe. Welcher Undankbare hätte sich nicht zu entschuldigen gewußt.

Recht, mein Sohn; fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehört hatte, dem Knaben ins Wort. Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem außerordentlichen Undanke hören solltest, so untersuche ja alle Umstände genau, bevor du einen Menschen mit so einem abscheulichen Schandflecke brandmarken lässest. Wahre Wohltäter haben selten Undankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Menschheit hoffen, – niemals. Aber die Wohltäter mit kleinen eigennützigen Absichten, die sind es wert, mein Sohn, daß sie Undank anstatt Erkenntlichkeit einwuchern.

IV. Der Wolf auf dem Todbette

Fab. Aesop. 144. Phaedrus lib. I. Fab. 8

Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen prüfenden Blick auf sein vergangenes Leben zurück. Ich bin freilich ein Sünder, sagte er; aber doch, hoffe ich, keiner von den größten. Ich habe Böses getan; aber auch viel Gutes. Einsmals, erinnere ich mich, kam mir ein blökendes Lamm, welches sich von der Herde verirret hatte, so nahe, daß ich es gar leicht hätte würgen können; und ich tat ihm nichts. Zu eben dieser Zeit hörte ich die Spöttereien und Schmähungen eines Schafes mit der bewundernswürdigsten Gleichgültigkeit an, ob ich schon keine schützende Hunde zu fürchten hatte.

Und das alles kann ich dir bezeugen; fiel ihm Freund Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort. Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller Umstände dabei. Es war zu eben der Zeit, als du dich an dem Beine so jämmerlich würgtest, das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog.

V. Der Stier und das Kalb

Phaedrus lib. V. Fab. 9

Ein starker Stier zersplitterte mit seinen Hörnern, indem er sich durch die niedrige Stalltüre drängte, die obere Pfoste. Sieh einmal, Hirte! schrie ein junges Kalb; solchen Schaden tu ich dir nicht. Wie lieb wäre mir es, versetzte dieser, wenn du ihn tun könntest!

Die Sprache des Kalbes ist die Sprache der kleinen Philosophen. »Der böse Bayle! wie manche rechtschaffene Seele hat er mit seinen verwegnen Zweifeln geärgert!« – O ihr Herren, wie gern wollen wir uns ärgern lassen, wenn jeder von euch ein Bayle werden kann!

VI. Die Pfauen und die Krähe

Fab. Aesop. 188. Phaedrus lib. I. Fab. 3

Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigten Pfaue, und mischte sich kühn, als sie gnug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzende Vögel der Juno. Sie ward erkannt; und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betriegrischen Putz auszureißen.

Lasset nach! schrie sie endlich; ihr habt nun alle das Eurige wieder. Doch die Pfaue, welche einige von den eignen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein! – und hackten weiter.

VII. Der Löwe mit dem Esel

Phaedrus lib. I. Fab. II

Als des Aesopus Löwe mit dem Esel, der ihm durch seine fürchterliche Stimme die Tiere sollte jagen helfen, nach dem Walde ging, rief ihm eine nasenweise Krähe von dem Baume zu: Ein schöner Gesellschafter! Schämst du dich nicht, mit einem Esel zu gehen? – Wen ich brauchen kann, versetzte der Löwe, dem kann ich ja wohl meine Seite gönnen.

So denken die Großen alle, wenn sie einen Niedrigen ihrer Gemeinschaft würdigen.

VIII. Der Esel mit dem Löwen

Phaedrus lib. I. Tab. II

Als der Esel mit dem Löwen des Aesopus, der ihn statt seines Jägerhorns brauchte, nach dem Walde ging, begegnete ihm ein andrer Esel von seiner Bekanntschaft, und rief ihm zu: Guten Tag, mein Bruder! – Unverschämter! war die Antwort. –

Und warum das? fuhr jener Esel fort. Bist du deswegen, weil du mit einem Löwen gehst, besser als ich? mehr als ein Esel?

IX. Die blinde Henne

Phaedrus lib. III. Fab. 12

Eine blind gewordene Henne, die des Scharrens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht auf, fleißig zu scharren. Was half es der arbeitsamen Närrin? Eine andre sehende Henne, welche ihre zarten Füße schonte, wich nie von ihrer Seite, und genoß, ohne zu scharren, die Frucht des Scharrens. Denn so oft die blinde Henne ein Korn aufgescharret hatte, fraß es die sehende weg.

Der fleißige Deutsche macht die Collectanea, die der witzige Franzose nutzt.

X. Die Esel

Fabul. Aesop. 112

Die Esel beklagten sich bei dem Zeus, daß die Menschen mit ihnen zu grausam umgingen. Unser starker Rücken, sagten sie, trägt ihre Lasten, unter welchen sie und jedes schwächere Tier erliegen müßten. Und doch wollen sie uns, durch unbarmherzige Schläge, zu einer Geschwindigkeit nötigen, die uns durch die Last unmöglich gemacht würde, wenn sie uns auch die Natur nicht versagt hätte. Verbiete ihnen, Zeus, so unbillig zu sein, wenn sich die Menschen anders etwas Böses verbieten lassen. Wir wollen ihnen dienen, weil es scheinet, daß du uns darzu erschaffen hast; allein geschlagen wollen wir ohne Ursach nicht sein.

Mein Geschöpf, antwortete Zeus ihrem Sprecher, die Bitte ist nicht ungerecht; aber ich sehe keine Möglichkeit, die Menschen zu überzeugen, daß eure natürliche Langsamkeit keine Faulheit sei. Und so lange sie dieses glauben, werdet ihr geschlagen werden. – Doch ich sinne euer Schicksal zu erleichtern. – Die Unempfindlichkeit soll von nun an euer Teil sein; eure Haut soll sich gegen die Schläge verhärten, und den Arm des Treibers ermüden.

Zeus, schrien die Esel, du bist allezeit weise und gnädig! – Sie gingen erfreut von seinem Throne, als dem Throne der allgemeinen Liebe.

XI. Das beschützte Lamm

Fabul. Aesop. 157

Hylax, aus dem Geschlechte der Wolfshunde, bewachte ein frommes Lamm. Ihn erblickte Lykodes, der gleichfalls an Haar, Schnauze und Ohren einem Wolfe ähnlicher war, als einem Hunde, und fuhr auf ihn los. Wolf, schrie er, was machst du mit diesem Lamme? –

Wolf selbst! versetzte Hylax. (Die Hunde verkannten sich beide.) Geh! oder du sollst es erfahren, daß ich sein Beschützer bin!

Doch Lykodes will das Lamm dem Hylax mit Gewalt nehmen; Hylax will es mit Gewalt behaupten, und das arme Lamm – Treffliche Beschützer! – wird darüber zerrissen.

XII. Jupiter und Apollo

Fab. Aesop. 187

Jupiter und Apollo stritten, welcher von ihnen der beste Bogenschütze sei. Laß uns die Probe machen! sagte Apollo.

Er spannte seinen Bogen, und schoß so mitten in das bemerkte Ziel, daß Jupiter keine Möglichkeit sahe, ihn zu übertreffen. – Ich sehe, sprach er, daß du wirklich sehr wohl schießest. Ich werde Mühe haben, es besser zu machen. Doch will ich es ein andermal versuchen. – Er soll es noch versuchen, der kluge Jupiter!

XIII. Die Wasserschlange

Fab. Aesop. 167. Phaedrus lib. I. Fab. 2

Zeus hatte nunmehr den Fröschen einen andern König gegeben; anstatt eines friedlichen Klotzes, eine gefräßige Wasserschlange.

Willst du unser König sein, schrieen die Frösche, warum verschlingst du uns? – Darum, antwortete die Schlange, weil ihr um mich gebeten habt. –

Ich habe nicht um dich gebeten! rief einer von den Fröschen, den sie schon mit den Augen verschlang. – Nicht? sagte die Wasserschlange. Desto schlimmer! So muß ich dich verschlingen, weil du nicht um mich gebeten hast.

XIV. Der Fuchs und die Larve

Fab. Aesop. II. Phaedrus lib. I. Fab. 7

Vor alten Zeiten fand ein Fuchs die hohle, einen weiten Mund aufreißende Larve eines Schauspielers. Welch ein Kopf! sagte der betrachtende Fuchs. Ohne Gehirn, und mit einem offenen Munde! Sollte das nicht der Kopf eines Schwätzers gewesen sein?

Dieser Fuchs kannte euch, ihr ewigen Redner, ihr Strafgerichte des unschuldigsten unserer Sinne!

XV. Der Rabe und der Fuchs

Fab. Aesop. 205. Phaedrus lib. I. Fab. 13

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort.

Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbei schlich, und ihm zurief: Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters! – Für wen siehst du mich an? fragte der Rabe. – Für wen ich dich ansehe? erwiderte der Fuchs. Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechte des Zeus auf diese Eiche herab kömmt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?

Der Rabe erstaunte, und freuete sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtume nicht bringen. – Großmütig dumm ließ er ihm also seinen Raub herabfallen, und flog stolz davon.

Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf, und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte.

Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler!

XVI. Der Geizige

Fab. Aesop. 59

Ich Unglücklicher! klagte ein Geizhals seinem Nachbar. Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet, und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt.

Du würdest, antwortete ihm der Nachbar, deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts ärmer.

Wäre ich auch schon nichts ärmer, erwiderte der Geizhals; ist ein andrer nicht um so viel reicher? Ein andrer um so viel reicher! Ich möchte rasend werden.

XVII. Der Rabe

Fab. Aesop. 132

Der Fuchs sahe, daß der Rabe die Altäre der Götter beraubte, und von ihren Opfern mit lebte. Da dachte er bei sich selbst: Ich möchte wohl wissen, ob der Rabe Anteil an den Opfern hat, weil er ein prophetischer Vogel ist; oder ob man ihn für einen prophetischen Vogel hält, weil er frech genug ist, die Opfer mit den Göttern zu teilen.

XVIII. Zeus und das Schaf

Fab. Aesop. 119

Das Schaf mußte von allen Tieren vieles leiden. Da trat es vor den Zeus, und bat, sein Elend zu mindern.

Zeus schien willig, und sprach zu dem Schafe: Ich sehe wohl, mein frommes Geschöpf, ich habe dich allzuwehrlos erschaffen. Nun wähle, wie ich diesem Fehler am besten abhelfen soll. Soll ich deinen Mund mit schrecklichen Zähnen, und deine Füße mit Krallen rüsten? –

O nein, sagte das Schaf; ich will nichts mit den reißenden Tieren gemein haben.

Oder, fuhr Zeus fort, soll ich Gift in deinen Speichel legen?

Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlangen werden ja so sehr gehasset. –

Nun was soll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.

Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht so stößig werden, als der Bock.

Und gleichwohl, sprach Zeus, mußt du selbst schaden können, wenn sich andere, dir zu schaden, hüten sollen.

Müßt ich das! seufzte das Schaf. O so laß mich, gütiger Vater, wie ich bin. Denn das Vermögen, schaden zu können, erweckt, fürchte ich, die Lust, schaden zu wollen; und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht tun.

Zeus segnete das fromme Schaf, und es vergaß von Stund an, zu klagen.

XIX. Der Fuchs und der Tiger

Fab. Aesop. 159

Deine Geschwindigkeit und Stärke, sagte ein Fuchs zu dem Tiger, möchte ich mir wohl wünschen.

Und sonst hätte ich nichts, was dir anstünde? fragte der Tiger.

Ich wüßte nichts! – – Auch mein schönes Fell nicht? fuhr der Tiger fort. Es ist so vielfärbig als dein Gemüt, und das Äußere würde sich vortrefflich zu dem Innern schicken.

Eben darum, versetzte der Fuchs, danke ich recht sehr dafür. Ich muß das nicht scheinen, was ich bin. Aber wollten die Götter, daß ich meine Haare mit Federn vertauschen könnte!

XX. Der Mann und der Hund

Fab. Aesop. 25. Phaedrus lib. II. Fab. 3

Ein Mann ward von einem Hunde gebissen, geriet darüber in Zorn, und erschlug den Hund. Die Wunde schien gefährlich, und der Arzt mußte zu Rate gezogen werden.

Hier weiß ich kein besseres Mittel, sagte der Empiricus, als daß man ein Stücke Brot in die Wunde tauche, und es dem Hunde zu fressen gebe. Hilft diese sympathetische Kur nicht, so – Hier zuckte der Arzt die Achsel.

Unglücklicher Jachzorn! rief der Mann; sie kann nicht helfen, denn ich habe den Hund erschlagen.

XXI. Die Traube

Fab. Aesop. 156. Phaedrus lib. IV. Fab.

Ich kenne einen Dichter, dem die schreiende Bewunderung seiner kleinen Nachahmer weit mehr geschadet hat, als die neidische Verachtung seiner Kunstrichter.

Sie ist ja doch sauer! sagte der Fuchs von der Traube, nach der er lange genug vergebens gesprungen war. Das hörte ein Sperling und sprach: Sauer sollte diese Traube sein? Darnach sieht sie mir doch nicht aus! Er flog hin, und kostete, und fand sie ungemein süße, und rief hundert näschiche Brüder herbei. Kostet doch! schrie er; kostet doch! Diese treffliche Traube schalt der Fuchs sauer. – Sie kosteten alle, und in wenig Augenblicken ward die Traube so zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder darnach sprang.

XXII. Der Fuchs

Fab. Aesop. 8

Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herab zu kommen, ergriff er einen nahen Dornenstrauch. Er ließ sich auch glücklich daran nieder, nur daß ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. Elende Helfer, rief der Fuchs, die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden!

XXIII. Das Schaf

Fab. Aesop. 189

Als Jupiter das Fest seiner Vermählung feierte, und alle Tiere ihm Geschenke brachten, vermißte Juno das Schaf.

Wo bleibt das Schaf? fragte die Göttin. Warum versäumt das fromme Schaf, uns sein wohlmeinendes Geschenk zu bringen?

Und der Hund nahm das Wort und sprach: Zürne nicht, Göttin! Ich habe das Schaf noch heute gesehen; es war sehr betrübt, und jammerte laut.

Und warum jammerte das Schaf? fragte die schon gerührte Göttin.

Ich Ärmste! so sprach es. Ich habe itzt weder Wolle, noch Milch; was werde ich dem Jupiter schenken? Soll ich, ich allein, leer vor ihm erscheinen? Lieber will ich hingehen, und den Hirten bitten, daß er mich ihm opfere!

Indem drang, mit des Hirten Gebete, der Rauch des geopferten Schafes, dem Jupiter ein süßer Geruch, durch die Wolken. Und jetzt hätte Juno die erste Träne geweinet, wenn Tränen ein unsterbliches Auge benetzten.

XXIV. Die Ziegen

Phaedrus lib. IV. Fab. 15

Die Ziegen baten den Zeus, auch ihnen Hörner zu geben; denn Anfangs hatten die Ziegen keine Hörner.

Überlegt es wohl, was ihr bittet: sagte Zeus. Es ist mit dem Geschenke der Hörner ein anderes unzertrennlich verbunden, das euch so angenehm nicht sein möchte.

Doch die Ziegen beharrten auf ihrer Bitte, und Zeus sprach: So habet denn Hörner!

Und die Ziegen bekamen Hörner – und Bart! Denn Anfangs hatten die Ziegen auch keinen Bart. O wie schmerzte sie der häßliche Bart! Weit mehr, als sie die stolzen Hörner erfreuten!

XXV. Der wilde Apfelbaum

Fab. Aesop. 173

In den hohlen Stamm eines wilden Apfelbaumes ließ sich ein Schwarm Bienen nieder. Sie füllten ihn mit den Schätzen ihres Honigs, und der Baum ward so stolz darauf, daß er alle andere Bäume gegen sich verachtete.

Da rief ihm ein Rosenstock zu: Elender Stolz auf geliehene Süßigkeiten! Ist deine Frucht darum weniger herbe? In diese treibe den Honig herauf, wenn du es vermagst; und dann erst wird der Mensch dich segnen!

XXVI. Der Hirsch und der Fuchs

Fab. Aesop. 226. Phaedrus lib. I. Fab. II et lib. I. Fab. 5

Der Hirsch sprach zu dem Fuchse: Nun wehe uns armen schwächern Tieren! Der Löwe hat sich mit dem Wolfe verbunden.

Mit dem Wolfe? sagte der Fuchs. Das mag noch hingehen! Der Löwe brüllet, der Wolf heulet; und so werdet ihr euch noch oft bei Zeiten mit der Flucht retten können. Aber alsdenn, alsdenn möchte es um uns alle geschehen sein, wenn es dem gewaltigen Löwen einfallen sollte, sich mit dem schleichenden Luchse zu verbinden.

XXVII. Der Dornstrauch

Fab. Aesop. 42

Aber sage mir doch, fragte die Weide den Dornstrauch, warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden Menschen so begierig bist? Was willst du damit? Was können sie dir helfen?

Nichts! sagte der Dornstrauch. Ich will sie ihm auch nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen.

XXVIII. Die Furien

Suidas in Aeiparthenos

Meine Furien, sagte Pluto zu dem Boten der Götter, werden alt und stumpf. Ich brauche frische. Geh also, Merkur, und suche mir auf der Oberwelt drei tüchtige Weibspersonen dazu aus. Merkur ging. –

Kurz hierauf sagte Juno zu ihrer Dienerin: Glaubtest du wohl, Iris, unter den Sterblichen zwei oder drei vollkommen strenge, züchtige Mädchen zu finden? Aber vollkommen strenge! Verstehst du mich? Um Cytheren Hohn zu sprechen, die sich das ganze weibliche Geschlecht unterworfen zu haben, rühmet. Geh immer, und sieh, wo du sie auftreibest. Iris ging. –

In welchem Winkel der Erde suchte nicht die gute Iris! Und dennoch umsonst! Sie kam ganz allein wieder, und Juno rief ihr entgegen: Ist es möglich? O Keuschheit! O Tugend!

Göttin, sagte Iris; ich hätte dir wohl drei Mädchen bringen können, die alle drei vollkommen streng und züchtig gewesen; die alle drei nie einer Mannsperson gelächelt; die alle drei den geringsten Funken der Liebe in ihren Herzen erstickt; aber ich kam, leider, zu spät. –

Zu spät? sagte Juno. Wie so?

»Eben hatte sie Merkur für den Pluto abgeholt.«

Für den Pluto? Und wozu will Pluto diese Tugendhaften? –

»Zu Furien.«

XXIX. Tiresias

Antoninus Liberalis c. 17

Tiresias nahm seinen Stab, und ging über Feld. Sein Weg trug ihn durch einen heiligen Hain, und mitten in dem Haine, wo drei Wege einander durchkreuzten, ward er ein Paar Schlangen gewahr, die sich begatteten. Da hub Tiresias seinen Stab auf, und schlug unter die verliebten Schlangen. – Aber, o Wunder! Indem der Stab auf die Schlangen herabsank, ward Tiresias zum Weibe.

Nach neun Monden ging das Weib Tiresias wieder durch den heiligen Hain; und an eben dem Orte, wo die drei Wege einander durchkreuzten, ward sie ein Paar Schlangen gewahr, die mit einander kämpften. Da hub Tiresias abermals ihren Stab auf, und schlug unter die ergrimmten Schlangen, und – O Wunder! Indem der Stab die kämpfenden Schlangen schied, ward das Weib Tiresias wieder zum Manne.

XXX. Minerva

Laß sie doch, Freund, laß sie, die kleinen hämischen Neider deines wachsenden Ruhmes! Warum will dein Witz ihre der Vergessenheit bestimmte Namen verewigen?

In dem unsinnigen Kriege, welchen die Riesen wider die Götter führten, stellten die Riesen der Minerva einen schrecklichen Drachen entgegen. Minerva aber ergriff den Drachen, und schleuderte ihn mit gewaltiger Hand an das Firmament. Da glänzt er noch; und was so oft großer Taten Belohnung war, ward des Drachen beneidenswürdige Strafe.

Drittes Buch

I. Der Besitzer des Bogens

Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sehr sicher schoß, und den er ungemein wert hielt. Einst aber, als er ihn aufmerksam betrachtete, sprach er: Ein wenig zu plump bist du doch! Alle deine Zierde ist die Glätte. Schade! – Doch dem ist abzuhelfen; fiel ihm ein. Ich will hingehen und den besten Künstler Bilder in den Bogen schnitzen lassen. – Er ging hin; und der Künstler schnitzte eine ganze Jagd auf den Bogen; und was hätte sich besser auf einen Bogen geschickt, als eine Jagd?

Der Mann war voller Freuden. »Du verdienest diese Zieraten, mein lieber Bogen!« – Indem will er ihn versuchen; er spannt, und der Bogen – zerbricht.

II. Die Nachtigall und die Lerche

Was soll man zu den Dichtern sagen, die so gern ihren Flug weit über alle Fassung des größten Teiles ihrer Leser nehmen? Was sonst, als was die Nachtigall einst zu der Lerche sagte: Schwingst du dich, Freundin, nur darum so hoch, um nicht gehört zu werden?

III. Der Geist des Salomo

Ein ehrlicher Greis trug des Tages Last und Hitze, sein Feld mit eigner Hand zu pflügen, und mit eigner Hand den reinen Samen in den lockern Schoß der willigen Erde zu streuen.

Auf einmal stand unter dem breiten Schatten einer Linde, eine göttliche Erscheinung vor ihm da! Der Greis stutzte.

Ich bin Salomo: sagte mit vertraulicher Stimme das Phantom. Was machst du hier, Alter?

Wenn du Salomo bist, versetzte der Alte, wie kannst du fragen? Du schicktest mich in meiner Jugend zu der Ameise; ich sahe ihren Wandel, und lernte von ihr fleißig sein, und sammeln. Was ich da lernte, das tue ich noch.

Du hast deine Lektion nur halb gelernet: versetzte der Geist. Geh noch einmal hin zur Ameise, und lerne nun auch von ihr in dem Winter deiner Jahre ruhen, und des Gesammelten genießen.

IV. Das Geschenk der Feien

Zu der Wiege eines jungen Prinzen, der in der Folge einer der größten Regenten seines Landes ward, traten zwei wohltätige Feien.

Ich schenke diesem meinem Lieblinge, sagte die eine, den scharfsichtigen Blick des Adlers, dem in seinem weiten Reiche auch die kleinste Mücke nicht entgeht.

Das Geschenk ist schön: unterbrach sie die zweite Feie. Der Prinz wird ein einsichtsvoller Monarch werden. Aber der Adler besitzt nicht allein Scharfsichtigkeit, die kleinsten Mücken zu bemerken; er besitzt auch eine edle Verachtung, ihnen nicht nachzujagen. Und diese nehme der Prinz von mir zum Geschenk!

Ich danke dir, Schwester, für diese weise Einschränkung: versetzte die erste Feie. Es ist wahr; viele würden weit größere Könige gewesen sein, wenn sie sich weniger mit ihrem durchdringenden Verstande bis zu den kleinsten Angelegenheiten hätten erniedrigen wollen.

V. Das Schaf und die Schwalbe

Η χελιδων – επι τα νωτα των προβατων ιζανει, και αποσπα του μαλλου, και εντευϑεν τοις έαυτης βρεφεσι το λεχος μαλακον εστρωσεν Aelianus lib. III. c. 24

Eine Schwalbe flog auf ein Schaf, ihm ein wenig Wolle, für ihr Nest, auszurupfen. Das Schaf sprang unwillig hin und wider. Wie bist du denn nur gegen mich so karg? sagte die Schwalbe. Dem Hirten erlaubst du, daß er dich deiner Wolle über und über entblößen darf; und mir verweigerst du eine kleine Flocke. Woher kömmt das?

Das kömmt daher, antwortete das Schaf, weil du mir meine Wolle nicht mit eben so guter Art zu nehmen weißt, als der Hirte.

VI. Der Rabe

Der Rabe bemerkte, daß der Adler ganze dreißig Tage über seinen Eiern brütete. Und daher kömmt es, ohne Zweifel, sprach er, daß die Jungen des Adlers so allsehend und stark werden. Gut! das will ich auch tun.

Und seitdem brütet der Rabe wirklich ganze dreißig Tage über seinen Eiern; aber noch hat er nichts, als elende Raben ausgebrütet.

Der Rangstreit der Tiere

in vier Fabeln

VII. (1)

Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. Ihn zu schlichten, sprach das Pferd, lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner von den streitenden Teilen, und kann desto unparteiischer sein.

Aber hat er auch den Verstand dazu? ließ sich ein Maulwurf hören. Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere oft tief versteckte Vollkommenheiten zu erkennen.

Das war sehr weislich erinnert! sprach der Hamster.

Ja wohl! rief auch der Igel. Ich glaube es nimmermehr, daß der Mensch Scharfsichtigkeit genug besitzet.

Schweigt ihr! befahl das Pferd. Wir wissen es schon: Wer sich auf die Güte seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen.

VIII. (2)

Der Mensch ward Richter. – Noch ein Wort, rief ihm der majestätische Löwe zu, bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Wert bestimmen?

Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel, antwortete der Mensch, in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid. –

Vortrefflich! versetzte der beleidigte Löwe. Wie weit würde ich alsdenn unter dem Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verlaß die Versammlung!

IX. (3)

Der Mensch entfernte sich. – Nun, sprach der höhnische Maulwurf, – (und ihm stimmte der Hamster und der Igel wieder bei) – siehst du, Pferd? der Löwe meint es auch, daß der Mensch unser Richter nicht sein kann. Der Löwe denkt, wie wir.

Aber aus bessern Gründen, als ihr! sagte der Löwe, und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.

X. (4)

Der Löwe fuhr weiter fort: Der Rangstreit, wenn ich es recht überlege, ist ein nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vornehmsten oder für den Geringsten; es gilt mir gleich viel. Genug ich kenne mich! – Und so ging er aus der Versammlung.

Ihm folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, der kluge Fuchs, das edle Pferd; kurz, alle, die ihren Wert fühlten, oder zu fühlen glaubten.

Die sich am letzten wegbegaben, und über die zerrissene Versammlung am meisten murreten, waren – der Affe und der Esel.

XI. Der Bär und der Elefant

Aelianus de nat. animal. lib. II. cap. II

Die unverständigen Menschen! sagte der Bär zu dem Elefanten. Was fordern sie nicht alles von uns bessern Tieren! Ich muß nach der Musik tanzen; ich, der ernsthafte Bär! Und sie wissen es doch nur allzuwohl, daß sich solche Possen zu meinem ehrwürdigen Wesen nicht schicken; denn warum lachten sie sonst, wenn ich tanze?

Ich tanze auch nach der Musik: versetzte der gelehrige Elefant; und glaube eben so ernsthaft und ehrwürdig zu sein, als du. Gleichwohl haben die Zuschauer nie über mich gelacht; freudige Bewunderung bloß war auf ihren Gesichtern zu lesen. Glaube mir also, Bär; die Menschen lachen nicht darüber, daß du tanzest, sondern darüber, daß du dich so albern dazu anschickst.

XII. Der Strauß

Das pfeilschnelle Renntier sahe den Strauß, und sprach: Das Laufen des Straußes ist so außerordentlich eben nicht; aber ohne Zweifel fliegt er desto besser.

Ein andermal sahe der Adler den Strauß und sprach: Fliegen kann der Strauß nun wohl nicht; aber ich glaube, er muß gut laufen können.

Die Wohltaten,

in zwei Fabeln

XIII. (1)

Hast du wohl einen größern Wohltäter unter den Tieren, als uns? fragte die Biene den Menschen. Ja wohl! erwiderte dieser. »Und wen?« Das Schaf! Denn seine Wolle ist mir notwendig, und dein Honig ist mir nur angenehm.

XIV. (2)

Und willst du noch einen Grund wissen, warum ich das Schaf für meinen größern Wohltäter halte, als dich Biene? Das Schaf schenket mir seine Wolle ohne die geringste Schwierigkeit; aber wenn du mir deinen Honig schenkest, muß ich mich noch immer vor deinem Stachel fürchten.

XV. Die Eiche

Der rasende Nordwind hatte seine Stärke in einer stürmischen Nacht an einer erhabenen Eiche bewiesen. Nun lag sie gestreckt, und eine Menge niedriger Sträuche lagen unter ihr zerschmettert. Ein Fuchs, der seine Grube nicht weit davon hatte, sahe sie des Morgens darauf. Was für ein Baum! rief er. Hätte ich doch nimmermehr gedacht, daß er so groß gewesen wäre.

Die Geschichte des alten Wolfs,

in sieben Fabeln
Aelianus libr. IV. cap. 15

XVI. (1)

Der böse Wolf war zu Jahren gekommen, und faßte den gleißenden Entschluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf, und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren.

Schäfer, sprach er, du nennest mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmütigste Tier, wenn ich satt bin.

Wenn du satt bist? Das kann wohl sein: versetzte der Schäfer. Aber wenn bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie. Geh deinen Weg!

XVII. (2)

Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweiten Schäfer.

Du weißt Schäfer, war seine Anrede, daß ich dir, das Jahr durch, manches Schaf würgen könnte. Willst du mir überhaupt jedes Jahr sechs Schafe geben; so bin ich zufrieden. Du kannst alsdenn sicher schlafen, und die Hunde ohne Bedenken abschaffen.

Sechs Schafe? sprach der Schäfer. Das ist ja eine ganze Herde! –

Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fünfen begnügen: sagte der Wolf.

»Du scherzest; fünf Schafe! Mehr als fünf Schafe opfre ich kaum im ganzen Jahre dem Pan.«

Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und der Schäfer schüttelte spöttisch den Kopf.

»Drei? – Zwei? – –«

Nicht ein einziges; fiel endlich der Bescheid. Denn es wäre ja wohl töricht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit sichern kann.

XVIII. (3)

Aller guten Dinge sind drei; dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer.

Es geht mir recht nahe, sprach er, daß ich unter euch Schäfern als das grausamste, gewissenloseste Tier verschrieen bin. Dir, Montan, will ich itzt beweisen, wie unrecht man mir tut. Gib mir jährlich ein Schaf, so soll deine Herde in jenem Walde, den niemand unsicher macht, als ich, frei und unbeschädiget weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich großmütiger, könnte ich uneigennütziger handeln? – Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn?

O über nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund? sprach der Schäfer.

»Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine liebsten Lämmer zu würgen.«

Erzürne dich nicht, alter Isegrim! Es tut mir Leid, daß du mit deinem Vorschlage einige Jahre zu späte kömmst. Deine ausgebissenen Zähne verraten dich. Du spielst den Uneigennützigen, bloß um dich desto gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können.

XIX. (4)

Der Wolf ward ärgerlich, faßte sich aber doch, und ging auch zu dem vierten Schäfer. Diesem war eben sein treuer Hund gestorben, und der Wolf machte sich den Umstand zu Nutze.

Schäfer, sprach er, ich habe mich mit meinen Brüdern in dem Walde veruneiniget, und so, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen aussöhnen werde. Du weißt, wie viel du von ihnen zu fürchten hast! Wenn du mich aber, anstatt deines verstorbenen Hundes, in Dienste nehmen willst, so stehe ich dir dafür, daß sie keines deiner Schafe auch nur scheel ansehen sollen.

Du willst sie also, versetzte der Schäfer, gegen deine Brüder im Walde beschützen? –

»Was meine ich denn sonst? Freilich.«

Das wäre nicht übel! Aber, wenn ich dich nun in meine Horden einnähme, sage mir doch, wer sollte alsdenn meine armen Schafe gegen dich beschützen? Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Dieben außer dem Hause sicher zu sein, das halten wir Menschen – –

Ich höre schon: sagte der Wolf; du fängst an zu moralisieren. Lebe wohl!

XX. (5)

Wäre ich nicht so alt! knirschte der Wolf. Aber ich muß mich, leider, in die Zeit schicken. Und so kam er zu dem fünften Schäfer.

Kennst du mich, Schäfer? fragte der Wolf.

Deines gleichen wenigstens kenne ich: versetzte der Schäfer.

»Meines gleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonderbarer Wolf, daß ich deiner, und aller Schäfer Freundschaft wohl wert bin.«

Und wie sonderbar bist du denn?

»Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich bloß mit toten Schafen. Ist das nicht löblich? Erlaube mir also immer, daß ich mich dann und wann bei deiner Herde einfinden, und nachfragen darf, ob dir nicht –«

Spare der Worte! sagte der Schäfer. Du müßtest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal tote, wenn ich dein Feind nicht sein sollte. Ein Tier, das mir schon tote Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe für tot, und gesunde für krank ansehen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung, und geh!

XXI. (6)

Ich muß nun schon mein Liebstes daran wenden, um zu meinem Zwecke zu gelangen! dachte der Wolf, und kam zu dem sechsten Schäfer.

Schäfer, wie gefällt dir mein Belz? fragte der Wolf.

Dein Belz? sagte der Schäfer. Laß sehen! Er ist schön; die Hunde müssen dich nicht oft unter gehabt haben.

»Nun so höre, Schäfer; ich bin alt, und werde es so lange nicht mehr treiben. Füttere mich zu Tode; und ich vermache dir meinen Belz.«

Ei sieh doch! sagte der Schäfer. Kömmst du auch hinter die Schliche der alten Geizhälse? Nein, nein; dein Belz würde mich am Ende siebenmal mehr kosten, als er wert wäre. Ist es dir aber ein Ernst, mir ein Geschenk zu machen, so gib mir ihn gleich itzt. – Hiermit griff der Schäfer nach der Keule, und der Wolf flohe.

XXII. (7)

O die Unbarmherzigen! schrie der Wolf, und geriet in die äußerste Wut. So will ich auch als ihr Feind sterben, ehe mich der Hunger tötet; denn sie wollen es nicht besser!

Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer ein, riß ihre Kinder nieder, und ward nicht ohne große Mühe von den Schäfern erschlagen.

Da sprach der Weiseste von ihnen: Wir taten doch wohl Unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Äußerste brachten, und ihm alle Mittel zur Besserung, so spät und erzwungen sie auch war, benahmen!

XXIII. Die Maus

Eine philosophische Maus pries die gütige Natur, daß sie die Mäuse zu einem so vorzüglichen Gegenstande ihrer Erhaltung gemacht habe. Denn eine Hälfte von uns, sprach sie, erhielt von ihr Flügel, daß, wenn wir hier unten auch alle von den Katzen ausgerottet würden, sie doch mit leichter Mühe aus den Fledermäusen unser ausgerottetes Geschlecht wieder herstellen könnte.

Die gute Maus wußte nicht, daß es auch geflügelte Katzen gibt. Und so beruhet unser Stolz meistens auf unsrer Unwissenheit!

XXIV. Die Schwalbe

Glaubet mir, Freunde; die große Welt ist nicht für den Weisen, ist nicht für den Dichter! Man kennet da ihren wahren Wert nicht, und ach! sie sind oft schwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauschen.

In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein eben so tonreicher, melodischer Vogel, als die Nachtigall. Sie ward es aber bald müde, in den einsamen Büschen zu wohnen, und da von niemand, als dem fleißigen Landmanne und der unschuldigen Schäferin gehöret und bewundert zu werden. Sie verließ ihre demütigere Freundin, und zog in die Stadt. – Was geschah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, so verlernte sie es nach und nach, und lernte dafür – bauen.

XXV. Der Adler

Man fragte den Adler: warum erziehest du deine Jungen so hoch in der Luft?

Der Adler antwortete: Würden sie sich, erwachsen, so nahe zur Sonne wagen, wenn ich sie tief an der Erde erzöge?

XXVI. Der junge und der alte Hirsch

Ein Hirsch, den die gütige Natur Jahrhunderte leben lassen, sagte einst zu einem seiner Enkel: Ich kann mich der Zeit noch sehr wohl erinnern, da der Mensch das donnernde Feuerrohr noch nicht erfunden hatte.

Welche glückliche Zeit muß das für unser Geschlecht gewesen sein! seufzete der Enkel.

Du schließest zu geschwind! sagte der alte Hirsch. Die Zeit war anders, aber nicht besser. Der Mensch hatte da, anstatt des Feuerrohres, Pfeile und Bogen; und wir waren eben so schlimm daran, als itzt.

XXVII. Der Pfau und der Hahn

Einst sprach der Pfau zu der Henne: Sieh einmal, wie hochmütig und trotzig dein Hahn einher tritt! Und doch sagen die Menschen nicht: der stolze Hahn; sondern nur immer: der stolze Pfau.

Das macht, sagte die Henne, weil der Mensch einen gegründeten Stolz übersiehet. Der Hahn ist auf seine Wachsamkeit, auf seine Mannheit stolz; aber worauf du? – Auf Farben und Federn.

XXVIII. Der Hirsch

Die Natur hatte einen Hirsch von mehr als gewöhnlicher Größe gebildet, und an dem Halse hingen ihm lange Haare herab. Da dachte der Hirsch bei sich selbst: Du könntest dich ja wohl für ein Elend ansehen lassen. Und was tat der Eitele, ein Elend zu scheinen? Er hing den Kopf traurig zur Erde, und stellte sich, sehr oft das böse Wesen zu haben.

So glaubt nicht selten ein witziger Geck, daß man ihn für keinen schönen Geist halten werde, wenn er nicht über Kopfweh und Hypochonder klage.

XXIX. Der Adler und der Fuchs

Sei auf deinen Flug nicht so stolz! sagte der Fuchs zu dem Adler. Du steigst doch nur deswegen so hoch in die Luft, um dich desto weiter nach einem Aase umsehen zu können.

So kenne ich Männer, die tiefsinnige Weltweise geworden sind, nicht aus Liebe zur Wahrheit, sondern aus Begierde zu einem einträglichen Lehramte.

XXX. Der Schäfer und die Nachtigall

Du zürnest, Liebling der Musen, über die laute Menge des parnassischen Geschmeißes? – O höre von mir, was einst die Nachtigall hören mußte.

Singe doch, liebe Nachtigall! rief ein Schäfer der schweigenden Sängerin, an einem lieblichen Frühlingsabende, zu.

Ach! sagte die Nachtigall; die Frösche machen sich so laut, daß ich alle Lust zum Singen verliere. Hörest du sie nicht?

Ich höre sie freilich: versetzte der Schäfer. Aber nur dein Schweigen ist Schuld, daß ich sie höre.

Gotthold Ephraim Lessing

Fabeln

[Nachlese]

Der Riese

Ein rebellischer Riese schoß seinen vergifteten Pfeil über sich in den Himmel, niemand Geringerm, als einem Gott, das Leben damit zu rauben. Der Pfeil floh in die unermessenste Ferne, in welcher ihm auch der schärfere Blick des Riesens nicht folgen konnte. Schon glaubte der Rasende sein Ziel getroffen zu haben, und fing an, ein gotteslästerliches Triumphlied zu jauchzen. Endlich aber gebrach dem Pfeile die mitgeteilte Kraft der schnellenden Senne; er fiel mit einer stets wachsenden Wucht wieder herab, und tötete seinen frevelnden Schützen.

Unsinnige Spötter der Religion, eure Zungenpfeile fallen weit unter ihrem ewigen Throne wieder zurück; und eure eigne Lästerungen sind es, die sie an euch rächen werden.

Der Falke

Des einen Glück ist in der Welt des andern Unglück. Eine alte Wahrheit, wird man sagen. Die aber, antworte ich, wichtig genug ist, daß man sie mit einer neuen Fabel erläutert.

Ein blutgieriger Falke schoß einem unschuldigen Taubenpaare nach, die sein Anblick eben in den vertrautesten Kennzeichen der Liebe gestört hatte. Schon war er ihnen so nah, daß alle Rettung unmöglich schien; schon gurrten sich die zärtlichen Freunde ihren Abschied zu. Doch schnell wirft der Falke einen Blick aus der Höhe, und wird unter sich einen Hasen gewahr. Er vergaß die Tauben; stürzte sich herab, und machte diesen zu seiner bessern Beute.

Damon und Theodor

Der schwarze Himmel drohte der Welt den fürchterlichsten Beschluß des schönsten Sommertages. Noch ruhten Damon und Theodor unter einer kühlenden Laube; zwei Freunde, die der Welt ein rares Beispiel würden gewesen sein, wenn sie die Welt zum Zeugen ihrer Freundschaft gebraucht hätten. Einer fand in des andern Umarmungen, was der Himmel nur die Tugendhaften finden läßt. Ihre Seelen vermischten sich durch die zärtlichsten Gespräche, in welchen sich Scherz und Ernst unzertrennlich verknüpften. Der Donner rollte stürmisch in der Luft, und beugte die Knie heuchlerischer Knechte. Was aber hat die Tugend zu fürchten, wenn Gott den Lasterhaften drohet? Damon und Theodor blieben geruhig – – – Doch schnell stand in dem Damon ein fürchterlicher Gedanke auf: wie wann ein solcher Schlag mir meinen Freund von der Seite risse? – – So schnell als dieser Gedanke sein Herz mit Schrecken übergoß, und die Heuterkeit aus seinen Blicken vertilgte; so schnell sah er ihn – – unerforschliches Schicksal! – – wahr gemacht. Theodor fiel tod zu seinen Füßen, und der Blitz kehrte triumphierend zurück. Rechte des Donnergottes, schrie Damon, wenn du auf mich gezielt hast, so hast du mich nur allzuwohl getroffen. Er zog sein Schwerd aus, und verschied auf seinem Freunde.

Zärtliche Seelen, werdet ihr dieser Geschichte eine heilige Träne zollen? Weinet, und empfindet in eurer lebhaften Vorstellung die Süßigkeit mit einem Freunde zu sterben.

Der Schäferstab

Schön war der Schäferstab des jungen Daphnis; von Zypressen war der schlanke Stab; der krönende Knopf, Oleaster.

Und o, was für Wunder hatte der ätolische Künstler, um den Knopf geschnitzt; Daphnis gab ihm dafür drei Lämmer mit ihren säugenden Müttern, aber er war eine Herde, mehr als eine ganze Herde wert.

So wert hielt ihn auch Daphnis; werter, wie seine zwei Augen; werter, als Polyphem sein einziges Auge.

Lange Zeit schien ihm keine Hirtin so schön, als sein Stab. Aber Amor erzürnte über den eiteln Jüngling – und Daphnis sahe die lächelnde Corysia.

Nun schien ihm eine Hirtin schöner als sein Stab! Er staunte, wünschte, gestand, flehte, weinte – blieb unerhört.

Unerhört bis an den dritten Abend. Da trieb Corysia spät bei ihm vorbei; die Dämmerung machte den Hirten kühner, die Hirtin gefälliger; er verdankte der Dämmerung zwei Küsse, halb geraubte, halb gegebene Küsse! – O der Entzückung! o der tobenden Freude des Hirten!

O Zwillinge der honigsüßen Lippen meiner Corysia! o unvergeßliche Küsse! So rief Daphnis und wollte ihre Zahl mit zwei tiefen Kerben in die junge Linde schneiden, die er vor allen am heiligen Quell liebte.

Aber – fragte sich der Hirte – Warum in die Linde? Kann ich immer unter der Linde liegen, und die Kerbe im Auge haben? Da steht sie fest und eingewurzelt, bestimmt nur einen kleinen Umfang zu beschließen. – Sie kann nicht mit mir wohnen.

Aber mein Stab kann mit mir gehn – Mein schöner Stab so schöner Zeichen nicht unwürdig!

Und er schnitt – grausamer Hirt! – zwei tiefe Kerbe in den Stab, in der Form von Lippen, nahe unter dem Knopfe, wo die Hand gewöhnlich lag, und küßte und drückte den Ort, als ob es die weiche Hand der Corysia wäre, und faßte von nun an den Stab nirgends als über die Kerbe.

Nicht wenig günstig war dem Daphnis der folgende Tag, und der Stab bekam drei Lippen mehr; und den Morgen darauf sieben.

Wie freue ich mich, sprach er, dich bald vollendet zu sehen, bald voller kleiner Lippen. Corysia habe ich mit Untergang der Sonne in den Hain bestellt, die Nachtigall mit ihr zu hören – –

Das hast du getan Corysia? Zu gefällige Corysia! o brich dein Wort, wenn dir dein Schäfer lieb ist –

Umsonst sie fanden sich im Haine! Und o der unzählichen Zahl von Küssen! Jeden Ton der Nachtigall begleitete ein Kuß. Mich jammert der Stab –

Gesättigt trennt sich mein Paar – – Morgen, sind wir doch wieder hier? sagte das Mädchen – und der Hirte ging und warf sich auf sein Lager von Fellen – – Er schläft, er erwacht. – Und was wird das erste sein, als seinen Stab zu kerben? – – Doch er sahe die Unmöglichkeit, sie alle zu merken – und diese Unmöglichkeit, alle Küsse zu behalten, verwundete sie – Daphnis sprach kaltsinnig, Schade, daß ich den schönen Stab so verdorben, ich will ihn nicht weiter verderben –

Der Naturalist

Ein Mann, der das Namenregister der Natur vollkommen inne hatte, jede Pflanze, und jedes dieser Pflanze eigenes Insekt zu nennen, und auf mehr als eine Art zu nennen wußte; der den ganzen Tag Steine auflas, Schmetterlingen nachlief, und seine Beute mit einer recht gelehrten Unempfindlichkeit spießte; so ein Mann, ein Naturalist – – (sie hören es gern, wenn man sie Naturforscher nennt) durchjagte den Wald, und verweilte sich endlich bei einem Ameisehaufen. Er fing an darin zu wühlen, durchsuchte ihren eingesammelten Vorrat, betrachtete ihre Eier, deren er einige unter seine Mikroskope legte, und richtete, mit einem Worte, in diesem Staate der Emsigkeit und Vorsicht, keine geringe Verwüstung an.

Unterdessen wagte es eine Ameise, ihn anzureden. Bist du nicht etwa gar, sprach sie, einer von den Faulen, die Salomo zu uns schickt, daß sie unsre Weise sehen, und von uns Fleiß und Arbeit lernen sollen?

Die alberne Ameise; einen Naturalisten für einen Faulen anzusehen.

Der Wolf und das Schaf

Der Durst trieb ein Schaf an den Fluß; eine gleiche Ursache führte auf der andern Seite einen Wolf herzu. Durch die Drennung des Wassers gesichert und durch die Sicherheit höhnisch gemacht, rief das Schaf dem Räuber hinüber: »ich mache dir doch das Wasser nicht trübe, Herr Wolf? Sieh mich recht an; habe ich dir nicht etwa vor sechs Wochen nachgeschimpft? Wenigstens wird es mein Vater gewesen sein.« Der Wolf verstand die Spötterei; er betrachtete die Breite des Flusses und knirschte mit den Zähnen. Es ist dein Glück, antwortete er, daß wir Wölfe gewohnt sind, mit euch Schafen Geduld zu haben; und ging mit stolzen Schritten weiter.

[Nachahmung der 158. Fabel des Aesop]

Ich bin zu einer unglücklichen Stunde geboren! so klagte ein junger Fuchs einem alten. Fast keiner von meinen Anschlägen will mir gelingen. – Deine Anschläge, sagte der ältere Fuchs, werden ohne Zweifel danach sein. Laß doch hören; wenn machst du deine Anschläge? – Wenn ich sie mache? Wenn anders, als wenn mich hungert – – Wenn dich hungert? fuhr der alte Fuchs fort. Ja, da haben wir es! Hunger und Überlegung sind nie beisammen. Mache sie künftig wenn du satt bist, und sie werden besser ausfallen.