Gedanken über die Herrnhuter
– – oro atque obsecro ut multis injuriis jactatam atque agitatam aequitatem in hoc tandem loco confirmari patiamini.
Cicero pro Publ. Quintio
G. E. Lessings theologischer Nachlaß, Berlin (Voss) 1784.
Die Siege geben dem Kriege den Ausschlag: sie sind aber sehr zweideutige Beweise der gerechten Sache: oder vielmehr sie sind gar keine.
Die gelehrten Streitigkeiten sind eben sowohl eine Art von Kriegen, als die kleinen Zuzus eine Art von Hunden sind. Was liegt daran, ob man über ein Reich oder über eine Meinung streitet; ob der Streit Blut oder Dinte kostet? Genug man streitet.
Und also wird auch hier der, welcher Recht behält, und der, welcher Recht behalten sollte, nur selten einerlei Person sein.
Tausend kleine Umstände können den Sieg bald auf diese, bald auf jene Seite lenken. Wie viele würden aus der Rolle der Helden auszustreichen sein, wenn die Wirkung von solchen kleinen Umständen, das Glück nämlich, seinen Anteil von ihren bewundernswürdigen Taten zurücknehmen wollte?
Laßt den und jenen großen Gelehrten in einem andern Jahrhunderte geboren werden, benehmt ihm die und jene Hülfsmittel, sich zu zeigen, gebt ihm andre Gegner, setzt ihn in ein ander Land; und ich zweifle, ob er derjenige bleiben würde, für den man ihn jetzo hält. Bleibt er es nicht, so hat ihn das Glück groß gemacht.
Ein Sieg, den man über Feinde davon trägt, welche sich nicht verteidigen können oder nicht wollen, welche sich ohne Gegenwehr gefangen nehmen oder ermorden lassen, welche, wann sie einen Gegenstreich führen, aus Mattigkeit durch ihren eigenen Hieb zu Boden fallen; wie ist so ein Sieg zu nennen? Man mag ihn nennen, wie man will; so viel weiß ich, daß er kein Sieg ist; außer etwa bei denen, die, wenn sie siegen sollen, ohne zu kämpfen siegen müssen.
Auch unter den Gelehrten gibt es dergleichen Siege. Und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht die Siege unserer Theologen, die sie bisher über die Herrnhuter erhalten zu haben glauben, von dieser Art wären.
Ich in auf den Einfall gekommen, meine Gedanken über diese Leute aufzusetzen. Ich weiß es, sie sind entbehrlich; aber nicht entbehrlicher, als ihr Gegenstand, welcher wenigstens zu einem Strohmanne dient, an dem ein junger und mutiger Gottesgelehrter seine Fechterstreiche in Übung zu bringen, lernen kann. Die Ordnung, der ich folgen werde, ist die liebe Ordnung der Faulen. Man schreibt wie man denkt: was man an dem gehörigen Ort ausgelassen hat, holet man bei Gelegenheit nach: was man aus Versehen zweimal sagt, das bittet man den Leser das andremal zu übergehen.
Ich werde sehr weit auszuholen scheinen. Allein, ehe man sichs versieht, so bin ich bei der Sache.
Der Mensch ward zum Tun und nicht zum Vernünfteln erschaffen. Aber eben deswegen, weil er nicht dazu erschaffen ward, hängt er diesem mehr als jenem nach. Seine Bosheit unternimmt allezeit das, was er nicht soll, und seine Verwegenheit allezeit das, was er nicht kann. Er, der Mensch, sollte sich Schranken setzen lassen?
Glückselige Zeiten, als der Tugendhafteste der Gelehrteste war! als alle Weisheit in kurzen Lebensregeln bestand!
Sie waren zu glückselig, als daß sie lange hätten dauern können. Die Schüler der sieben Weisen glaubten ihre Lehrer gar bald zu übersehen. Wahrheiten, die jeder fassen, aber nicht jeder üben kann, waren ihrer Neubegierde eine allzuleichte Nahrung. Der Himmel, vorher der Gegenstand ihrer Bewunderung, ward das Feld ihrer Mutmaßungen. Die Zahlen öffneten ihnen ein Labyrinth von Geheimnissen, die ihnen um so viel angenehmer waren, je weniger sie Verwandtschaft mit der Tugend hatten.
Der weiseste unter den Menschen, nach einem Ausspruche des Orakels, in dem es sich am wenigsten gleich war, bemühte sich die Lehrbegierde von diesem verwegenen Fluge zurückzuholen. Törichte Sterbliche, was über euch ist, ist nicht für euch! Kehret den Blick in euch selbst! In euch sind die unerforschten Tiefen, worinnen ihr euch mit Nutzen verlieren könnt. Hier untersucht die geheimsten Winkel. Hier lernet die Schwäche und Stärke, die verdeckten Gänge und den offenbaren Ausbruch eurer Leidenschaften! Hier richtet das Reich auf, wo ihr Untertan und König seid! Hier begreifet und beherrschet das einzige, was ihr begreifen und beherrschen sollt; euch selbst.
So ermahnte Sokrates, oder vielmehr Gott durch den Sokrates.
Wie? schrie der Sophist. Lästerer unserer Götter! Verführer des Volks! Pest der Jugend! Feind des Vaterlandes! Verfolger der Weisheit! Beneider unsers Ansehens! Auf was zielen deine schwärmerische Lehren? Uns die Schüler zu entführen? Uns den Lehrstuhl zu verschließen? Uns der Verachtung und der Armut Preis zu geben?
Allein was vermag die Bosheit gegen einen Weisen? Kann sie ihn zwingen, seine Meinung zu ändern? die Wahrheit zu verleugnen? Beweinenswürdiger Weise, wenn sie so stark wäre. Lächerliche Bosheit, die ihm, wenn sie es weit bringt, nichts als das Leben nehmen kann. Daß Sokrates ein Prediger der Wahrheit sei, sollten auch seine Feinde bezeugen, und wie hätten sie es anders bezeugen können, als daß sie ihn töteten?
Nur wenige von seinen Jüngern gingen den von ihm gezeigten Weg. Plato fing an zu träumen, und Aristoteles zu schließen. Durch eine Menge von Jahrhunderten, wo bald dieser, bald jener die Oberhand hatte, kam die Weltweisheit auf uns. Jener war zum göttlichen, dieser zum untrüglichen geworden. Es war Zeit, daß Cartesius aufstand. Die Wahrheit schien unter seinen Händen eine neue Gestalt zu bekommen; eine desto betrüglichere, je schimmernder sie war. Er eröffnete allen den Eingang ihres Tempels, welcher vorher sorgfältig durch das Ansehen jener beiden Tyrannen bewacht ward. Und das ist sein vorzügliches Verdienst.
Bald darauf erschienen zwei Männer, die, trotz ihrer gemeinschaftlichen Eifersucht, einerlei Absicht hatten. Beiden hatte die Weltweisheit noch allzuviel praktisches. Ihnen war es vorbehalten, sie der Meßkunst zu unterwerfen. Eine Wissenschaft, wovon dem Altertume kaum die ersten Buchstaben bekannt waren, leitete sie mit sichern Schritten bis zu den verborgensten Geheimnissen der Natur. Sie schienen sie auf der Tat ertappt zu haben.
Ihre Schüler sind es, welche jetzo dem sterblichen Geschlechte Ehre machen, und auf den Namen der Weltweisen ein gar besonders Recht zu haben glauben. Sie sind unerschöpflich in Entdeckung neuer Wahrheiten. Auf dem kleinsten Raum können sie durch wenige mit Zeichen verbundene Zahlen Geheimnisse klar machen, wozu Aristoteles unerträgliche Bände gebraucht hätte. So füllen sie den Kopf, und das Herz bleibt leer. Den Geist führen sie bis in die entferntesten Himmel, unterdessen da das Gemüt durch seine Leidenschaften bis unter das Vieh herunter gesetzt wird.
Allein mein Leser wird ungeduldig werden. Er erwartet ganz was anders, als die Geschichte der Weltweisheit in einer Nuß. Ich muß ihm also sagen, daß ich bloß dieses deswegen vorangeschickt, damit ich durch ein ähnliches Beispiel zeigen könne, was die Religion für ein Schicksal gehabt hat: Und dieses wird mich weit näher zu meinem Zwecke bringen.
Ich behaupte also: es ging der Religion wie der Weltweisheit.
Man gehe in die ältesten Zeiten. Wie einfach, leicht und lebendig war die Religion des Adams? Allein wie lange? Jeder von seinen Nachkommen setzte nach eignem Gutachten etwas dazu. Das Wesentliche wurde in einer Sündflut von willkürlichen Sätzen versenkt. Alle waren der Wahrheit untreu geworden, nur einige weniger, als die andern; die Nachkommen Abrahams am wenigsten. Und deswegen würdigte sie Gott einer besondern Achtung. Allein nach und nach ward auch unter ihnen die Menge nichts bedeutender und selbst erwählter Gebräuche so groß, daß nur wenige einen richtigen Begriff von Gott behielten; die übrigen aber an dem äußerlichen Blendwerke hängen blieben, und Gott für ein Wesen hielten, das nicht leben könne, wenn sie ihm nicht seine Morgen- und Abendopfer brächten.
Wer konnte die Welt aus ihrer Dunkelheit reißen? Wer konnte der Wahrheit den Aberglauben besiegen helfen? Kein Sterblicher. Theos apo mêchanês.
Christus kam also. Man vergönne mir, daß ich ihn hier nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer ansehen darf. Waren seine Absichten etwas anders, als die Religion in ihrer Lauterkeit wieder herzustellen, und sie in diejenigen Grenzen einzuschließen, in welchen sie desto heilsamere und allgemeinere Wirkungen hervorbringt, je enger die Grenzen sind? Gott ist ein Geist, den sollt ihr im Geist anbeten. Auf was drang er mehr als hierauf? und welcher Satz ist vermögender alle Arten der Religion zu verbinden, als dieser? Aber eben diese Verbindung war es, welche Priester und Schriftgelehrten wider ihn erbitterte. Pilatus, er lästert unsern Gott; kreuzige ihn! Und aufgebrachten Priestern schlägt ein schlauer Pilatus nichts ab.
Ich sage es noch einmal, ich betrachte hier Christum nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer. Ich lehne aber alle schreckliche Folgerungen von mir ab, welche die Bosheit daraus ziehen könnte.
Das erste Jahrhundert war so glücklich Leute zu sehen, die in der strengsten Tugend einhergingen, die Gott in allen ihren Handlungen lobten, die ihm auch für das schmählichste Unglück dankten, die sich um die Wette bestrebten, die Wahrheit mit ihrem Blute zu versiegeln.
Allein so bald man müde wurde, sie zu verfolgen, so bald wurden die Christen müde, tugendhaft zu sein. Sie bekamen nach und nach die Oberhand und glaubten, daß Sie nun zu nichts weniger als zu ihrer ersten heiligen Lebensart verbunden wären. Sie waren dem Sieger gleich, der durch gewisse anlockende Maximen sich Völker unterwürfig macht; so bald sie sich ihm aber unterworfen haben, diese Maximen zu seinem eigenen Schaden verläßt.
Das Schwert nutzt man im Kriege, und im Frieden trägt man es zur Zierde. Im Kriege sorgt man nur, daß es scharf ist. Im Frieden putzt man es aus, und gibt ihm durch Gold und Edelsteine einen falschen Wert.
So lange die Kirche Krieg hatte, so lange war sie bedacht, durch ein unsträfliches und wunderbares Leben, ihrer Religion diejenige Schärfe zu geben, der wenig Feinde zu widerstehen fähig sind. So bald sie Friede bekam, so bald fiel sie darauf, ihre Religion auszuschmücken, ihre Lehrsätze in eine gewisse Ordnung zu bringen, und die göttliche Wahrheit mit menschlichen Beweisen zu unterstützen.
In diesen Bemühungen war sie so glücklich, als man es nur hoffen konnte. Rom, das vorher allen besiegten Völkern ihre väterlichen Götter ließ, das sie sogar zu seinen Göttern machte, und durch dieses kluge Verfahren höher als durch seine Macht stieg, Rom ward auf einmal zu einem verabscheuungswürdigen Tyrannen der Gewissen. Und dieses, so viel ich einsehe, war die vornehmste Ursache, warum das römische Reich von einem Kaiser zu dem andern immer mehr und mehr fiel. Doch diese Betrachtung gehöret nicht zu meinem Zweck. Ich wollte nur wünschen, daß ich meinen Leser Schritt vor Schritt durch alle Jahrhunderte führen und ihm zeigen könnte, wie das ausübende Christentum von Tag zu Tag abgenommen hat, da unterdessen das beschauende durch phantastische Grillen und menschliche Erweiterungen zu einer Höhe stieg, zu welcher der Aberglaube noch nie eine Religion gebracht hat. Alles hing von einem Einzigen ab, der desto öfterer irrte, je sicherer er irren konnte.
Man kennt diejenigen, die in diesen unwürdigen Zeiten zuerst wieder mit ihren eigenen Augen sehen wollten. Der menschliche Verstand läßt sich zwar ein Joch auflegen; so bald man es ihm aber zu sehr fühlen läßt, so bald schüttelt er es ab. Huß und einige andre, die das Ansehen des Statthalters Christi nur in diesem und jenem Stücke zweifelhaft machten, waren die gewissen Vorboten von Männern, welche es glücklicher gänzlich über den Haufen werfen würden.
Sie kamen. Welch feindseliges Schicksal mußte zwei Männer über Worte, über ein Nichts uneinig werden lassen, welche am geschicktesten gewesen wären, die Religion in ihrem eigentümlichen Glanze wieder herzustellen, wenn sie mit vereinigten Kräften gearbeitet hätten? Selige Männer, die undankbaren Nachkommen sehen bei eurem Lichte, und verachten euch. Ihr waret es, die ihr die wankenden Kronen auf den Häuptern der Könige feste setztet, und man verlacht euch als die kleinsten, eigennützigsten Geister.
Doch die Wahrheit soll bei meinem Lobspruche nicht leiden. Wie kam es, daß Tugend und Heiligkeit gleichwohl so wenig bei euren Verbesserungen gewann? Was hilft es, recht zu glauben, wenn man unrecht lebt? Wie glücklich, wenn ihr uns eben so viel fromme als gelehrte Nachfolger gelassen hättet! Der Aberglaube fiel. Aber eben das, wodurch ihr ihn stürztet, die Vernunft, die so schwer in ihrer Sphäre zu erhalten ist, die Vernunft führte euch auf einen andern Irrweg, der zwar weniger von der Wahrheit, doch desto weiter von der Ausübung der Pflichten eines Christen entfernt war.
Und jetzo, da unsre Zeiten – soll ich sagen so glücklich? oder so unglücklich? – sind, daß man eine so vortreffliche Zusammensetzung von Gottesgelahrtheit und Weltweisheit gemacht hat, worinne man mit Mühe und Not eine von der andern unterscheiden kann, worinne eine die andere schwächt, indem diese den Glauben durch Beweise erzwingen, und jene die Beweise durch den Glauben unterstützen soll; jetzo, sage ich, ist durch diese verkehrte Art, das Christentum zu lehren, ein wahrer Christ weit seltner, als in den dunklen Zeiten geworden. Der Erkenntnis nach sind wir Engel, und dem Leben nach Teufel.
Ich will es dem Leser überlassen, mehr Gleichheiten zwischen den Schicksalen der Religion und der Weltweisheit aufzusuchen. Er wird durchgängig finden, daß die Menschen in der einen wie in der andern nur immer haben vernünfteln, niemals handeln wollen.
Nun kömmt es darauf an, daß ich diese Betrachtung auf die Herrnhuter anwende. Es wird leicht sein. Ich muß aber vorher einen kleinen Sprung zurück auf die Philosophie tun.
Man stelle sich vor, es stünde zu unsern Zeiten ein Mann auf, welcher auf die wichtigsten Verrichtungen unserer Gelehrten von der Höhe seiner Empfindungen verächtlich herabsehen könnte, welcher mit einer sokratischen Stärke die lächerlichen Seiten unserer so gepriesenen Weltweisen zu entdecken wüßte, und mit einem zuversichtlichen Tone auszurufen wagte:
Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit,
Der Klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit!
Gesetzt, alle seine Ermahnungen und Lehren zielten auf das einzige, was uns ein glückliches Leben verschaffen kann, auf die Tugend. Er lehrte uns, des Reichtums entbehren, ja ihn fliehen. Er lehrte uns, unerbittlich gegen uns selbst, nachsehend gegen andre sein. Er lehrte uns, das Verdienst, auch wenn es mit Unglück und Schmach überhäuft ist, hochachten und gegen die mächtige Dummheit verteidigen. Er lehrte uns, die Stimme der Natur in unsern Herzen lebendig empfinden. Er lehrte uns, Gott nicht nur glauben, sondern was das vornehmste ist, lieben. Er lehrte uns endlich, dem Tode unerschrocken unter die Augen gehen, und durch einen willigen Abtritt von diesem Schauplatze beweisen, daß man überzeugt sei, die Weisheit würde uns die Maske nicht ablegen heißen, wenn wir unsere Rolle nicht geendigt hätten. Man bilde sich übrigens ein, dieser Mann besäße nichts von aller der Kenntnis, die desto weniger nützt, je prahlender sie ist. Er wäre weder in den Geschichten, noch in den Sprachen erfahren. Er kenne die Schönheiten und Wunder der Natur nicht weiter, als in soferne sie die sichersten Beweise von ihrem großen Schöpfer sind. Er habe alles das unerforscht gelassen, wovon er, bei Toren zwar mit weniger Ehre, allein mit desto mehr Befriedigung seiner selbst, sagen kann: ich weiß es nicht, ich kann es nicht einsehen. Gleichwohl mache dieser Mann Anspruch auf den Titel eines Weltweisen. Gleichwohl wäre er so beherzt, ihn auch Leuten abzustreiten, welchen öffentliche Ämter das Recht dieses blendenden Beinamens gegeben haben. Wenn er es nun gar, indem er in allen Gesellschaften der falschen Weisheit die Larve abriß, dahin brächte, daß ihre Hörsäle, ich will nicht sagen leer, doch minder voll würden; ich bitte euch, meine Freunde, was würden unsere Philosophen mit diesem Manne anfangen? Würden sie sagen: Wir haben geirrt? Ja, er hat Recht. Man muß keinen Philosophen kennen, wenn man glaubt, er sei fähig zu widerrufen.
Hu! würde ein stolzer Algebraist murmeln, Ihr mein Freund ein Philosoph? Laßt einmal sehen. Ihr versteht doch wohl einen hyperbolischen Afterkegel zu kubieren? Oder nein – – Könnet Ihr eine Exponential-Größe differentieren? Es ist eine Kleinigkeit; hernach wollen wir unsre Kräfte in was größern versuchen. Ihr schüttelt den Kopf? Nicht? Nu da haben wirs. Bald wollte ich wetten, Ihr wißt nicht einmal, was eine Irrational-Größe ist? Und werft Euch zu einem Philosoph auf? O Verwegenheit! o Zeit! o Barbarei!
Ha! Ha! fällt ihm der Astronom ins Wort, und also werde auch ich wohl eine schlechte Antwort von Euch zu erwarten haben? Denn wenn Ihr, wie ich höre, nicht einmal die ersten Gründe der Algebra inne habt, so müßte Gott es Euch unmittelbar eingegeben haben, wenn Ihr eine bessere Theorie des Monds hättet, als ich. Laßt sehen, was Ihr davon wißt? Ihr schweigt? Ihr lacht gar?
Platz! Ein paar Metaphysiker kommen, gleichfalls mit meinem Helden eine Lanze zu brechen. Nun, schreit der eine, Ihr glaubt doch wohl Monaden? Ja. Ihr verwerft doch wohl die Monaden, ruft der andre? Ja. Was? Ihr glaubt sie und glaubt sie auch nicht? Vortrefflich!
Umsonst würde er es wie jener Bauernjunge machen, den sein Pfarr fragte: kannst du das siebende Gebot? Anstatt zu antworten, nahm er seinen Hut, stellte ihn auf die Spitze eines Fingers, ließ ihn sehr künstlich darauf herumtanzen, und setzte hinzu: Herr Pfarr könnet Ihr das? Doch ich will ernsthafter reden. Umsonst, sage ich, würde er seinen Hohnsprechern andere wichtige Fragen vorlegen. Vergebens würde er sogar beweisen, daß seine Fragen mehr auf sich hätten, als die ihrigen. Könnt Ihr, würde er etwa zu dem ersten sagen, Euren hyperbolischen Stolz mäßigen? Und zu dem andern: seid Ihr weniger veränderlich, als der Mond? Und zu dem dritten: kann man seinen Verstand nicht in etwas bessern üben, als in unerforschlichen Dingen? Ihr seid ein Schwärmer! würden sie einmütig schreien. Ein Narr, der dem Tollhause entlaufen ist! Allein man wird schon Sorge tragen, daß Ihr wieder an Ort und Stelle kommt.
Gott sei Dank, daß so ein verwegener Freund der Laien noch nicht aufgestanden ist, und zu unsern Zeiten auch nicht aufstehen möchte: denn die Herrn, welche mit der Wirklichkeit der Dinge so viel zu tun haben, werden schon sorgen, daß meine Einbildung nimmermehr zur Wirklichkeit gelangt.
Wie aber, wenn so ein Schicksal unsre Theologen betroffen hätte? Doch ich will mich ohne Umschweif erklären. Ich glaube, das, was so ein Mann, wie ich ihn geschildert habe, für die Weltweisen sein würde, das sind anjetzo die Herrnhuter für die Gottesgelehrten. Sieht man bald wo ich hinaus will?
Eine einzige Frage, die man, wenn man die geringste Billigkeit hat, nimmermehr bejahen kann, wird deutlich zeigen, daß meine Vergleichung nicht ohne Grund ist. Haben die Herrnhuter, oder hat ihr Anführer, der Graf von Z. jemals die Absicht gehabt, die Theorie unsers Christentums zu verändern? Hat er jemals gesagt, in diesem oder jenem Lehrsatze irren meine Glaubensgenossen? Diesen Punkt verstehen sie falsch? Hier müssen sie sich von mir zu Rechte weisen lassen? Wenn unsre Theologen aufrichtig sein wollen, so werden sie gestehen müssen, daß er sich nie zu einem Religionsverbesserer aufgeworfen hat. Hat er ihnen nicht mehr als einmal die deutlichsten Versicherungen getan, daß seine Lehrsätze in allem dem augspurgischen Glaubensbekenntnis gemäß wären? Schon gut, werden sie antworten; allein warum behauptet er in seinen eigenen Schriften Sachen, die diesen Versicherungen offenbar widersprechen? Haben wir ihn nicht der abscheulichsten Irrtümer überführt? Man erlaube mir, daß ich die Beantwortung dieses Punkts ein wenig verspare. Genung wir haben sein Bekenntnis; er verlangt nichts in den Lehrsätzen unserer Kirche zu verändern. Was will er denn? – – – – –
Das Christentum der Vernunft
G. E. Lessings theologischer Nachlaß, Berlin (Voss) 1784.
§ 1
Das einzige vollkommenste Wesen hat sich von Ewigkeit her mit nichts als mit der Betrachtung des Vollkommensten beschäftigen können.
§ 2
Das Vollkommenste ist er selbst; und also hat Gott von Ewigkeit her nur sich selbst denken können.
§ 3
Vorstellen, wollen und schaffen, ist bei Gott eines. Man kann also sagen, alles was sich Gott vorstellet, alles das schafft er auch.
§ 4
Gott kann sich nur auf zweierlei Art denken; entweder er denkt alle seine Vollkommenheiten auf einmal, und sich als den Inbegriff derselben; oder er denkt seine Vollkommenheiten zerteilt, eine von der andern abgesondert, und jede von sich selbst nach Graden abgeteilt.
§ 5
Gott dachte sich von Ewigkeit her in aller seiner Vollkommenheit; das ist, Gott schuf sich von Ewigkeit her ein Wesen, welchem keine Vollkommenheit mangelte, die er selbst besaß.
§ 6
Dieses Wesen nennt die Schrift den Sohn Gottes, oder welches noch besser sein würde, den Sohn Gott. Einen Gott, weil ihm keine von den Eigenschaften fehlt, die Gott zukommen. Einen Sohn, weil unserm Begriffe nach dasjenige, was sich etwas vorstellt, vor der Vorstellung eine gewisse Priorität zu haben scheint.
§ 7
Dieses Wesen ist Gott selbst und von Gott nicht zu unterscheiden, weil man es denkt, so bald man Gott denkt, und es ohne Gott nicht denken kann; das ist, weil man Gott ohne Gott nicht denken kann, oder weil es kein Gott sein würde, dem man die Vorstellung seiner selbst nehmen wollte.
§ 8
Man kann dieses Wesen ein Bild Gottes nennen, aber ein identisches Bild.
§ 9
Je mehr zwei Dinge mit einander gemein haben, desto größer ist die Harmonie zwischen ihnen. Die größte Harmonie muß also zwischen zwei Dingen sein, welche alles mit einander gemein haben, das ist, zwischen zwei Dingen, welche zusammen nur eines sind.
§ 10
Zwei solche Dinge sind Gott und der Sohn Gott, oder das identische Bild Gottes; und die Harmonie, welche zwischen ihnen ist, nennt die Schrift den Geist, welcher vom Vater und Sohn ausgehet.
§ 11
In dieser Harmonie ist alles, was in dem Vater ist, und also auch alles, was in dem Sohne ist; diese Harmonie ist also Gott.
§ 12
Diese Harmonie ist aber so Gott, daß sie nicht Gott sein würde, wenn der Vater nicht Gott und der Sohn nicht Gott wären, und daß beide nicht Gott sein könnten, wenn diese Harmonie nicht wäre, das ist: alle drei sind eines.
§ 13
Gott dachte seine Vollkommenheit zerteilt, das ist, er schaffte Wesen, wovon jedes etwas von seinen Vollkommenheiten hat; denn, um es nochmals zu wiederholen, jeder Gedanke ist bei Gott eine Schöpfung.
§ 14
Alle diese Wesen zusammen, heißen die Welt.
§ 15
Gott könnte seine Vollkommenheiten auf unendliche Arten zerteilt denken; es könnten also unendlich viel Welten möglich sein, wenn Gott nicht allezeit das vollkommenste dächte, und also auch unter diesen Arten die vollkommenste Art gedacht, und dadurch wirklich gemacht hätte.
§ 16
Die vollkommenste Art, seine Vollkommenheiten zerteilt zu denken, ist diejenige, wenn man sie nach unendlichen Graden des Mehrern und Wenigern, welche so auf einander folgen, daß nirgends ein Sprung oder eine Lücke zwischen ihnen ist, zerteilt denkt.
§ 17
Nach solchen Graden also müssen die Wesen in dieser Welt geordnet sein. Sie müssen eine Reihe ausmachen, in welcher jedes Glied alles dasjenige enthält, was die untern Glieder enthalten, und noch etwas mehr; welches etwas mehr aber nie die letzte Grenze erreicht.
§ 18
Eine solche Reihe muß eine unendliche Reihe sein, und in diesem Verstande ist die Unendlichkeit der Welt unwidersprechlich.
§ 19
Gott schafft nichts als einfache Wesen, und das Zusammengesetzte ist nichts als eine Folge seiner Schöpfung.
§ 20
Da jedes von diesen einfachen Wesen etwas hat, welches die andern haben, und keines etwas haben kann, welches die andern nicht hätten, so muß unter diesen einfachen Wesen eine Harmonie sein, aus welcher Harmonie alles zu erklären ist, was unter ihnen überhaupt, das ist, in der Welt vorgehet.
§ 21
Bis hieher wird einst ein glücklicher Christ das Gebiete der Naturlehre erstrecken: doch erst nach langen Jahrhunderten, wenn man alle Erscheinungen in der Natur wird ergründet haben, so daß nichts mehr übrig ist, als sie auf ihre wahre Quelle zurück zu führen.
§ 22
Da diese einfache Wesen gleichsam eingeschränkte Götter sind, so müssen auch ihre Vollkommenheiten den Vollkommenheiten Gottes ähnlich sein; so wie Teile dem Ganzen.
§ 23
Zu den Vollkommenheiten Gottes gehöret auch dieses, daß er sich seiner Vollkommenheit bewußt ist, und dieses, daß er seinen Vollkommenheiten gemäß handeln kann: beide sind gleichsam das Siegel seiner Vollkommenheiten.
§ 24
Mit den verschiedenen Graden seiner Vollkommenheit müssen also auch verschiedene Grade des Bewußtseins dieser Vollkommenheiten und der Vermögenheit denselben gemäß zu handeln, verbunden sein.
§ 25
Wesen, welche Vollkommenheiten haben, sich ihrer Vollkommenheiten bewußt sind, und das Vermögen besitzen, ihnen gemäß zu handeln, heißen moralische Wesen, das ist solche, welche einem Gesetze folgen können.
§ 26
Dieses Gesetz ist aus ihrer eigenen Natur genommen, und kann kein anders sein, als: handle deinen individualischen Vollkommenheiten gemäß.
§ 27
Da in der Reihe der Wesen unmöglich ein Sprung Statt finden kann, so müssen auch solche Wesen existieren, welche sich ihrer Vollkommenheiten nicht deutlich genung bewußt sind – – – – –
Pope ein Metaphysiker!
Danzig (Johann Christian Schuster) 1755 (anonym).
pope
Vorbericht
Man würde es nur vergebens leugnen wollen, daß gegenwärtige Abhandlung durch die neuliche Aufgabe der Königl.-Preußischen Akademie der Wissenschaften, veranlaßt worden; und daher hat man auch diese Veranlassung selbst nirgends zu verstecken gesucht. Allein wenn der Leser deswegen an eine Schöne denken wollte, die sich aus Verdruß dem Publico Preis gibt, weil sie den Bräutigam, um welchen sie mit ihren Gespielinnen getanzt, nicht erhalten; so würde er ganz gewiß an eine falsche Vergleichung denken. Die Akademischen Richter werden es am besten wissen, daß ihnen diese Schrift keine Mühe gemacht hat. Es fanden sich Umstände welche die Einschickung derselben verhinderten, die aber ihrer Bekanntmachung durch den Druck nicht zuwider sind. Nur einen von diesen Umständen zu nenen – – Sie hat zwei Verfasser, und hätte daher unter keinem andern Sinnspruche erscheinen können, als unter diesem:
Compulerant – – greges Corydon et Thyrsis in unum.
Gesetzt nun, sie wäre gekrönt worden! Was für Streitigkeit würde unter den Urhebern entstanden sein! Und diese wollten gerne keine unter sich haben.
Aufgabe
Die Akademie verlangt eine Untersuchung des Popischen Systems, welches in dem Satze alles ist gut enthalten ist. Und zwar so, daß man Erstlich den wahren Sinn dieses Satzes, der Hypothes seines Urhebers gemäß, bestimme.
Zweitens ihn mit dem System des Optimismus, oder der Wahl des Besten, genau vergleiche, und
Drittens die Gründe anführe, warum dieses Popische System entweder zu behaupten oder zu verwerfen sei.
Die Akademie verlangt eine Untersuchung des Popischen Systems, welches in dem Satze: alles ist gut, enthalten ist.
Ich bitte um Verzeihung, wenn ich gleich Anfangs gestehen muß, daß mir die Art, mit welcher diese Aufgabe ausgedrückt worden, nicht die beste zu sein scheinet. Da Thales, Plato, Chrysippus, Leibniz und Spinosa, und unzählig andere, einmütig bekennen: es sei alles gut; so müssen in diesen Worten entweder alle Systemata, oder es muß keines darin enthalten sein. Sie sind der Schluß, welchen jeder aus seinem besondern Lehrgebäude gezogen hat, und der vielleicht noch aus hundert andern wird gezogen werden. Sie sind das Bekenntnis derer, welche ohne Lehrgebäude philosophiert haben. Wollte man sie zu einem Kanon machen, nach welchem alle dahin einschlagende Fragen zu entscheiden wären; so würde mehr Bequemlichkeit als Verstand dabei sein. GOtt hat es so haben wollen, und weil er es so hat haben wollen, muß es gut sein: ist wahrhaftig eine sehr leichte Antwort, mit welcher man nie auf dem Trocknen bleibt. Man wird damit abgewiesen, aber nicht erleuchtet. Sie ist das beträchtlichste Stück der Weltweisheit der Faulen; denn was ist fauler, als sich bei einer jeden Naturbegebenheit auf den Willen GOttes zu berufen, ohne zu überlegen, ob der vorhabende Fall auch ein Gegenstand des göttlichen Willens habe sein können?
Wenn ich also glauben könnte, der Konzipient der Akademischen Aufgabe habe schlechterdings in den Worten Alles ist gut ein System zu finden verlangt; so würde ich billig fragen, ob er auch das Wort System in der strengen Bedeutung nehme, die es eigentlich haben soll? Allein er kann mit Recht begehren, daß man sich mehr an seinen Sinn, als an seine Worte halte. Besonders alsdenn, wenn der wahre Sinn, der falschen Worte ungeachtet durchstrahlet, wie es hier in den nähern Bestimmungen des Satzes hinlänglich geschiehet.
Diesem zu folge stelle ich mir also vor, die Akademie verlange eine Untersuchung desjenigen Systems, welches Pope erfunden oder angenommen habe, um die Wahrheit: daß alles gut sei, dadurch zu erhärten, oder daraus herzuleiten, oder wie man sonst sagen will. Nur muß man nicht sagen, daß das System in diesen Worten liegen solle. Es liegt nicht eigentlicher darinne, als die Prämissen in einer Konklusion liegen, deren zu eben derselben eine unendliche Menge sein können.
Vielleicht wird man es mir verdenken, daß ich mich bei dieser Kleinigkeit aufgehalten habe. – – Zur Sache also! Eine Untersuchung des Popischen Systems – –
Ich habe nicht darüber nachdenken können, ohne mich vorher mit einem ziemlichen Erstaunen gefragt zu haben: wer ist Pope? – – – Ein Dichter – – – Ein Dichter? Was macht Saul unter den Propheten? Was macht ein Dichter unter den Metaphysikern?
Doch ein Dichter braucht nicht alle Zeit ein Dichter zu sein. Ich sehe keinen Widerspruch, daß er nicht auch ein Philosoph sein könne. Ebenderselbe, welcher in dem Frühlinge seines Lebens unter Liebesgöttern und Grazien, unter Musen und Faunen, mit dem Thyrsus in der Hand, herum geschwärmt; eben derselbe kann sich ja leicht in dem reifen Herbste seiner Jahre, in den philosophischen Mantel einhüllen, und jugendlichen Scherz mit männlichem Ernst abwechseln lassen. Diese Veränderung ist der Art, wie sich die Kräfte unserer Seelen entwickeln, gemäß genug.
Doch eine andere Frage machte diese Ausflucht zu nichte. – – Wenn? Wo hat Pope den Metaphysiker gespielt, den ich ihm nicht zutraue? – – Eben, als er seine Stärke in der Dichtkunst am meisten zeigte. In einem Gedichte. In einem Gedichte also, und zwar in einem Gedichte, das diesen Namen nach aller Strenge verdient, hat er ein System aufgeführet, welches eine ganze Akademie der Untersuchung wert erkennet? So sind also bei ihm der Poet und der strenge Philosoph – – strenger aber als der systematische kann keiner sein – – nicht zwei mit einander abwechselnde Gestalten, sondern er ist beides zugleich; er ist das eine, indem er das andere ist?
Dieses wollte mir schwer ein – – Gleichwohl suchte ich mich auf alle Art davon zu überzeugen. Und endlich behielten folgende Gedanken Platz, die ich eine
Vorläufige Untersuchung,
Ob ein Dichter, als ein Dichter, ein System haben könne?
nennen will.
Hier hätte ich vielleicht Gelegenheit eine Erklärung des Worts System voraus zu schicken. Doch ich bleibe bei der Bescheidenheit, die ich schon oben verraten habe. Es ist so ungeziemend, als unnötig, einer Versammlung von Philosophen, das ist, einer Versammlung systematischer Köpfe zu sagen, was ein System sei?
Kaum daß es sich schickte, ihr zu sagen, was ein Gedicht sei; wenn dieses Wort nicht auf so verschiedene Art erklärt worden wäre, und ich nicht zeigen müßte, welche ich zu meiner Untersuchung für die bequemste hielte.
Ein Gedicht ist eine vollkommene sinnliche Rede. Man weiß, wie vieles die Worte vollkommen und sinnlich in sich fassen, und wie sehr diese Erklärung allen andern vorgezogen zu werden verdienet, wenn man von der Natur der Poesie weniger seicht urteilen will.
Ein System also und eine sinnliche Rede – Noch fällt der Widerspruch dieser zwei Dinge nicht deutlich genug in die Augen. Ich werde mich auf den besondern Fall einschließen müssen, auf welchen es eben hier ankömmt; und für das System überhaupt, ein metaphysisches setzen.
Ein System metaphysischer Wahrheiten also, und eine sinnliche Rede; beides in einem – – Ob diese wohl einander aufreiben?
Was muß der Metaphysiker vor allen Dingen tun? – – Er muß die Worte, die er brauchen will, erklären; er muß sie nie in einem andern Verstande, als in dem erklärten anwenden; er muß sie mit keinen, dem Scheine nach gleichgültigen, verwechseln.
Welches von diesen beobachtet der Dichter? Keines. Schon der Wohlklang ist ihm eine hinlängliche Ursache, einen Ausdruck für den andern zu wählen, und die Abwechslung synonymischer Worte ist ihm eine Schönheit.
Man füge hierzu den Gebrauch der Figuren – Und worin bestehet das Wesen derselben? – – Darin, daß sie nie bei der strengen Wahrheit bleiben; daß sie bald zu viel, und bald zu wenig sagen – – Nur einem Metaphysiker, von der Gattung eines Böhmens, kann man sie verzeihen.
Und die Ordnung des Metaphysikers? – – Er geht, in beständigen Schlüssen, immer von dem leichtern, zu dem schwerern fort; er nimmt sich nichts vorweg; er holet nichts nach. Wenn man die Wahrheiten auf eine sinnliche Art auseinander könnte wachsen sehen: so würde ihr Wachstum eben dieselben Staffeln beobachten, die er uns in der Überzeugung von derselben hinauf gehen läßt.
Allein Ordnung! Was hat der Dichter damit zu tun? Und noch dazu eine so sklavische Ordnung. Nichts ist der Begeisterung eines wahren Dichters mehr zuwider.
Man würde mich schwerlich diese kaum berührten Gedanken weiter ausführen lassen, ohne mir die Erfahrung entgegen zu setzen. Allein auch die Erfahrung ist auf meiner Seite. Sollte man mich also fragen, ob ich den Lucrez kenne; ob ich wisse, daß seine Poesie das System des Epikurs enthalte? Sollte man mir andere seines gleichen anführen; so würde ich ganz zuversichtlich antworten: Lucrez und seines gleichen, sind Versmacher, aber keine Dichter. Ich leugne nicht, daß man ein System in ein Sylbenmaß, oder auch in Reime bringen könne; sondern ich leugne daß dieses in ein Sylbenmaß oder in Reime gebrachte System ein Gedicht sein werde. – – Man erinnere sich nur, was ich unter einem Gedichte verstehe; und was alles in dem Begriffe einer sinnlichen Rede liegt. Er wird schwerlich in seinem ganzen Umfange auf die Poesie irgend eines Dichters eigentlicher anzuwenden sein, als auf die Popische.
Der Philosoph, welcher auf den Parnaß hinaufsteiget, und der Dichter, welcher sich in die Täler der ernsthaften und ruhigen Weisheit hinabbegeben will, treffen einander gleich auf dem halben Wege, wo sie, so zu reden, ihre Kleidung verwechseln, und wieder zurückgehen. Jeder bringt des andern! Gestalt in seine Wohnungen mit sich; weiter aber auch nichts, als die Gestalt. Der Dichter ist ein philosophischer Dichter, und der Weltweise ein poetischer Weltweise geworden. Allein ein philosophischer Dichter ist darum noch kein Philosoph, und ein poetischer Weltweise ist darum noch kein Poet.
Aber so sind die Engländer. Ihre großen Geister sollen immer die größten, und ihre seltnen Köpfe sollen immer Wunder sein. Es schien ihnen nicht Ruhms gnug, Popen den vortrefflichsten philosophischen Dichter zu nennen. Sie wollen, daß er ein eben so großer Philosoph als Poet sei. Das ist: sie wollen das Unmögliche, oder sie wollen Popen als Poet um ein großes erniedrigen. Doch das letztere wollen sie gewiß nicht; sie wollen also das erstere.
Bisher habe ich gezeigt – – wenigstens zeigen wollen – – daß ein Dichter, als Dichter, kein System machen könne. Nunmehr will ich zeigen, daß er auch keines machen will; gesetzt auch, er könnte; gesetzt auch, meine Schwierigkeiten involvierten keine Unmöglichkeit, und sein Genie gebe ihm Mittel an die Hand, sie glücklich zu übersteigen.
Ich will mich gleich an Popen selbst halten. Sein Gedicht sollte kein unfruchtbarer Zusammenhang von Wahrheiten sein. Er nennt es selbst ein moralisches Gedicht, in welchem er die Wege Gottes in Ansehung der Menschen rechtfertigen wolle. Er suchte mehr einen lebhaften Eindruck, als eine tiefsinnige Überzeugung – – Was mußte er wohl also in dieser Absicht tun? Er mußte, ohne Zweifel, alle dahin einschlagende Wahrheiten in ihrem schönsten und stärksten Lichte seinen Lesern darstellen.
Nun überlege man, daß in einem System nicht alle Teile von gleicher Deutlichkeit sein können. Einige Wahrheiten desselben ergeben sich so gleich aus dem Grundsatze; andere sind mit gehäuften Schlüssen daraus herzuleiten. Doch diese letzten können in einem andern System die deutlichsten sein, in welchem jene erstern vielleicht die dunkelsten sind.
Der Philosoph macht sich aus dieser kleinen Unbequemlichkeit der Systeme nichts. Die Wahrheit, die er durch einen Schluß erlanget, ist ihm darum nicht mehr Wahrheit, als die, zu welcher er nicht anders als durch zwanzig Schlüsse gelangen kann; wenn diese zwanzig Schlüsse nur untrüglich sind. Genug, daß er alles in einen Zusammenhang gebracht hat; genug daß er diesen Zusammenhang mit einem Blicke, als ein Ganzes zu übersehen vermag, ohne sich bei den feinen Verbindungen desselben aufzuhalten.
Allein ganz anders denkt der Dichter. Alles was er sagt, soll gleich starken Eindruck machen; alle seine Wahrheiten sollen gleich überzeugend rühren. Und dieses zu können, hat er kein ander Mittel, als diese Wahrheit nach diesem System, und jene nach einem andern auszudrücken. – – Er spricht mit dem Epikur, wo er die Wollust erheben will, und mit der Stoa, wo er die Tugend preisen soll. Die Wollust würde in den Versen eines Seneca, wenn er überall genau bei seinen Grundsätzen bleiben wollte, einen sehr traurigen Aufzug machen; eben so gewiß, als die Tugend, in den Liedern eines sich immer gleichen Epikurers, ziemlich das Ansehen einer Metze haben würde.
Jedoch ich will den Einwendungen Platz geben, die man hierwider machen könnte. Ich will mir es gefallen lassen; Pope mag eine Ausnahme sein. Er mag Geschicklichkeit und Willen genug besessen haben, in seinem Gedichte, wo nicht ein System völlig zu entwerfen, wenigstens mit den Fingern auf ein gewisses zu zeigen. Er mag sich nur auf diejenigen Wahrheiten eingeschränkt haben, die sich nach diesem System sinnlich vortragen lassen. Er mag die übrigen um so viel eher übergangen sein, da es ohnedem die Pflicht eines Dichters nicht ist, alles zu erschöpfen.
Wohl! Es muß sich ausweisen; und es wird sich nicht besser ausweisen können, als wenn ich mich genau an die von der Akademie vorgeschriebenen Punkte halte. Diesen gemäß wird meine Abhandlung aus drei Abschnitten bestehen, welchen ich zuletzt einige historisch kritische Anmerkungen beifügen will.
Erster Abschnitt
Sammlung derjenigen Sätze, in welchen das Popische System liegen müßte
Man darf diese Sätze fast nirgends anders als in dem ganzen ersten Briefe, und in dem vierten, hin und wieder, suchen.
Ich habe keinen einzigen übergangen, der nur in etwas eine systematische Miene machte, und ich zweifele ob man außer folgenden Dreizehn noch einen antreffen wird, welcher in dieser Absicht in Betrachtung gezogen zu werden verdiente.
Die Ordnung nach welcher ich sie hersetzen will, ist nicht die Ordnung, welcher Pope in dem Vortrage gefolget ist. Sondern es ist die, welcher Pope im Denken muß gefolget sein; wenn er anders einer gefolgt ist.
Erster Satz
Von allen möglichen Systemen muß Gott das beste geschaffen haben.
Dieser Satz gehört Popen nicht eigentümlich zu; vielmehr zeigen seine Worte deutlich genug, daß er ihn als ausgemacht annimmt, und von einem andern entlehnet.
1. B. Z. 43. 44
Of Systems possible, if ’tis confest,
That Wisdom infinite must form the best etc.
Das ist: wenn man zugestehen muß, daß eine unendliche Weisheit aus allen mögligsten Systemen das beste erschaffen müsse. Wenn kann hier keine Ungewißheit anzeigen; sondern, weil er seine übrigen Sätze aus dieser Bedingung folgert, so muß es hier eben das sein, als wenn er gesagt hätte: da man notwendig gestehen muß etc.
Zweiter Satz
In diesem besten System, muß alles zusammenhangen, wenn nicht alles in einander fallen soll.
1. B. Z. 45
Where all must fall, or all coherent be.
In dem gemeinen Exemplare, welches ich vor mir habe, heißt die letzte Hälfte dieser Zeile: or not coherent be. Ich vermute nicht ohne Grund, daß es an statt not, all heißen müsse. Gesetzt aber Pope habe wirklich not geschrieben, so kann doch auch alsdenn kein anderer Sinn darinne liegen, als der, welchen ich in dem Satze ausgedrückt habe. – – Es kömmt hier nur noch darauf an, was Pope unter dem Zusammenhange in der Welt verstehe. Er erklärt sich zwar nicht ausdrücklich darüber; verschiedene Stellen aber zeigen, daß er diejenige Einrichtung darunter verstehe, nach welcher alle Grade der Vollkommenheit in der Welt besetzt wären, ohne daß irgendwo eine Lücke anzutreffen sei. Er setzt daher zu den angeführten Worten hinzu (Z. 46) and all that rises, rise in due degree. d.h. mit dem vorhergehenden zusammen genommen: Es muß alles in einander fallen, oder alles zusammenhangen, und was sich erhebt, muß sich in dem gebührenden Grade erheben. Folglich findet er den Zusammenhang darin, daß sich alles stufenweis in der Welt erhebe. Und ferner sagt er: (Z. 233) wenn einige Wesen vollkommen werden sollen; so müssen entweder die niedrigern Wesen an ihre Stelle rücken, oder es muß in der vollen Schöpfung eine Lücke bleiben, da alsdenn die ganze Leiter zerrüttet werden müßte, so bald nur eine einzige Stufe zerbrochen wird. Each System in gradation roll: (Z. 239) Ein jedes System gehet stufenweise fort; sagt überhaupt eben dieses. Und eben diese allmälige Degradation nennt er die große Kette, welche sich von dem Unendlichen bis auf den Menschen, und von dem Menschen bis auf das Nichts erstrecke. (1. Brief. Z. 232. 236) Folgende Zeilen aus dem vierten Briefe machen des Dichters Meinung vielleicht noch deutlicher. (Zeile 47 und folgende)
Order is Heav’n’s great Law; and this confest,
Some are and must be, mightier than the rest,
More rich, more wise etc.
Er nimmt also diese Einrichtung, nach welcher alle Grade der Vollkommenheit verschieden sind, für die Ordnung an. Auch aus den folgenden Sätzen wird man es sehn, daß er mit dem Zusammenhange in der Welt keinen andern Begriff verknüpfe, als den wir eben auseinander gesetzt haben.
Dritter Satz
In der Kette von Leben und Empfindung müssen irgendwo solche Wesen, wie die Menschen sind, anzutreffen sein.
1. B. Z. 47.48
– in the scale of life and sense, ’tis plain
There must be, some where, such a rank as Man.
Dieser Satz folgt unmittelbar aus dem vorhergehenden. Denn sollen in der besten Welt alle Grade der Vollkommenheit ihre Wirklichkeit erlangen; so muß auch der Rang, der für den Menschen gehört, nicht leer bleiben. Der Mensch hat also weder in der besten Welt ausbleiben, noch vollkommener geschaffen werden können. In beiden Fällen würde ein Grad der Vollkommenheit nicht wirklich geworden, und daher kein Zusammenhang in der besten Welt gewesen sein.
Man bedenke nunmehr wie wenig Popens Schluß bindet, wenn wir den Zusammenhang in der Welt anders erklärten, als es in dem vorigen Satze geschehen ist.
Of Systems possible, if ’tis confest,
That Wisdom infinite must form the best,
Where all etc. – –
Then in the scale of life and sense, ’tis plain
There must be, some where, such a rank as Man.
Aus keiner andern Ursache, sagt Pope, mußte ein solcher Rang, ein solcher Grad der Vollkommenheit, als der Mensch begleitet, wirklich werden, als, weil in der besten Welt alles in einander fallen oder zusammenhangen, und in einem gehörigen Grade sich erheben muß; das heißt, weil kein Rang unbesetzt bleiben darf.
Besser hat Pope vermutlich dem Einwurfe begegnen zu können, nicht geglaubt; warum so ein Wesen, wie der Mensch, erschaffen worden, oder warum er nicht vollkommener erschaffen worden? Auf das letztere noch näher zu antworten nimmt er (Brief 1. Zeile 251 und folgende) die Unveränderlichkeit der Wesen aller Dinge zu Hülfe, und sagt, daß dieses Verlangen eben so lächerlich sei als jenes, wenn der Fuß die Hand, die Hand der Kopf, und der Kopf mit seinen Sinnen nicht bloß das Werkzeug des Geistes zu sein begehrten. In dem vierten Briefe (Zeile 160) drücket er sich hierüber noch stärker aus, wo er behauptet: die Frage, warum der Mensch nicht vollkommen erschaffen worden, wollte mit veränderten Worten nichts anders sagen, als dieses, warum der Mensch nicht ein Gott, und die Erde nicht ein Himmel sei?
Vierter Satz
Die Glückseligkeit eines jeden Geschöpfs bestehet in einem Zustande, der nach seinem Wesen abgemessen ist.
1. Brief. Zeile 175
All in exact proportion of the state.
und in der 71ten Zeile eben desselben Briefes sagt er von dem Menschen insbesondere:
His being measur’d to his state and place.
Folglich, sagt Pope, kömmt es nur hauptsächlich darauf an, daß man beweise, der Mensch sei wirklich in der Welt in einen Zustand gesetzt worden, welcher sich für sein Wesen und seinen Grad der Vollkommenheit schickt:
I. Brief. 49. 50. Zeile
And all the question (wrangle e’re so long)
Is only this, if God has plac’ d him wrong?
Fünfter Satz
Der Mensch ist so vollkommen als er sein soll.
1. Brief. Zeile 70
Man’s as perfect as he ought.
Das heißt: der Zustand des Menschen ist wirklich nach seinem Wesen abgemessen, und daher ist der Mensch vollkommen. Daß aber jenes sei, erhelle klar, wenn man den Zustand, darin der Mensch lebe, selbst betrachte; welches er in den folgenden Zeilen tut.
Sechster Satz
GOtt wirkt nach allgemeinen, und nicht nach besondern Gesetzen; und in besondern Fällen handelt er nicht wider seine allgemeine Gesetze um eines Lieblings Willen.
4. B. Z. 33. 34
– – the universal cause
Acts not by partial but by general laws.
und Z. 119. ebd. B.
Think we like some weak Prince th’ eternal Cause
Prone for his Fav’rites to reverse his Laws?
Diesen Gedanken führt der Dichter in dem Folgenden weiter aus, und erläutert ihn durch Beispiele. Er scheint aber damit das System des Malebranche angenommen zu haben, der nur die allgemeinen Gesetze zum Gegenstande des göttlichen Willens macht, und so den Urheber der Welt zu rechtfertigen glaubt, wenn gleich aus diesen allgemeinen Gesetzen Unvollkommenheiten erfolgten.
Die Schüler dieses Weltweisen behaupten folglich, Gott habe seiner Weisheit gemäß handeln und daher die Welt durch allgemeine Gesetze regieren müssen. In besondern Fällen könnte die Anwendung dieser allgemeinen Gesetze wohl so etwas hervorbringen, das an und für sich selbst entweder völlig unnütze oder gar schädlich, und daher den göttlichen Absichten eigentlich zuwider sei: allein es sei genug, daß die allgemeinen Gesetze von erheblichem Nutzen wären, und daß die Übel, welche in wenigen besondern Fällen daraus entstehen, nicht ohne einen besondern Ratschluß hätten gehoben werden können. Sie führen zum Exempel an: die allgemeinen mechanischen Gesetze, nach welchen der Regen zu gewissen Zeiten herunter falle, hätten einen unaussprechlichen Nutzen. Allein wie oft befeuchte der Regen nicht einen unfruchtbaren Stein, wo er wirklich keinen Nutzen schaffe; und wie oft richte er nicht Überschwemmungen an, wo er gar schädlich wäre? Ihrer Meinung also nach, können dergleichen Unvollkommenheiten auch in der besten Welt entstehen, weil keine allgemeine Gesetze möglich sind, die den göttlichen Absichten in allen besondern Fällen genug täten. Oder, fragen sie, sollte Gott um eines Lieblings Willen – – – der wißbegierige Weltweise sei, zum Exempel, dieser Liebling – – die allgemeinen Gesetze brechen, nach welchen ein Ätna Feuer speien muß?
4. B. Z. 121. 122
Shall burning Aetna, if a sage requires,
Forget to thunder, and recall her fires?
Siebender Satz;
Kein Übel kömmt von Gott.
Das ist: das Übel, welches in der Welt erfolgt, ist niemals der Gegenstand des göttlichen Willens gewesen.
4. B. Z. 110
God sends not ill.
Pope hat dieses aus dem Vorhergehenden ohngefähr so geschlossen. Wenn das Übel nur in besondern Fällen entsteht, und eine Folge aus den allgemeinen Gesetzen ist; Gott aber nur diese allgemeine Gesetze, als allgemeine Gesetze, für gut befunden, und zum Gegenstande seines Willens gemacht hat: so kann man nicht sagen, daß er das Übel eigentlich gewollt habe, welches aus ihnen fließt, und ohne welches sie keine allgemeine Gesetze gewesen wären. Unser Dichter sucht diese Entschuldigung um ein großes kräftiger zu machen, wenn er sagt, daß noch dazu dieses aus den allgemeinen Gesetzen folgende Übel sehr selten sei. Er hat hiermit vielleicht nur so viel sagen wollen, daß Gott solche allgemeine Gesetze gewählt habe, aus welchen in besondern Fällen die wenigsten Übel entstünden. Allein er drückt sich auf eine sehr sonderbare Art aus; er sagt: (1. B. Z. 143) th’ exceptions are few, und an einem andern Orte Nature lets it fall, das Übel nämlich. Ich werde diesen Punkt in meinem dritten Abschnitte berühren müssen.
Achter Satz
In der Welt kann nicht die mindeste Veränderung vorgehen, welche nicht eine Zerrüttung in allen Weltgebäuden, aus welchen das Ganze besteht, nach sich ziehen sollte.
1. Br. Z. 233-236
– – On superior pow’rs
Were we to press, inferior might on ours:
Or in the full creation leave a Void,
Where, one step broken, the great scale’s destroy’d.
und Z. 239-242
And if each System in gradation roll
Alike essential to th’ amazing whole;
The least confusion but in one, not all
That system only, but the whole must fall.
Neunter Satz
Das natürliche und moralische Böse sind Folgen aus den allgemeinen Gesetzen, die Gott öfters zum Besten des Ganzen gelenkt, öfters auch lieber zugelassen hat, als daß er durch einen besondern Willen seinem allgemeinen hätte zuwider handeln sollen.
1. Br. Z. 145. 146
If the great end be human happiness,
Then Nature deviats, and can man do less?
4. Br. Z. 112. 113
Or partial ill is universal good
– – – – or Nature lets it fall.
1. Br. Z. 161. 162.
– all subsists by elemental strife
And Passions are the Elements of life.
Zehnter Satz
Es ist nicht alles um des Menschen Willen geschaffen worden, sondern der Mensch selbst ist vielleicht um eines andern Dinges Willen da.
1. Br. Z. 57
– man, who here seems principal alone,
Perhaps acts second to some sphere unknown.
3. Br. Z. 24
Made beast in aid of man, and man of beast.
Eilfter Satz
Die Unwissenheit unsers zukünftigen Zustandes ist uns zu unserm Besten gegeben worden.
Wer würde ohne sie, sagt der Dichter, sein Leben hier ertragen können? (1. Br. Z. 76)
Und ebd. Z. 81
Oh blindness of the future! kindly giv’n
That each etc.
Anstatt der Kenntnis des Zukünftigen aber, sagt Pope, hat uns der Himmel die Hoffnung geschenkt, welche allein vermögend ist, uns unsre letzten Augenblicke zu versüßen.
Zwölfter Satz
Der Mensch kann sich, ohne sein Nachteil, keine schärfern Sinne wünschen.
Die Stelle, worin er dieses beweiset, ist zu lang, sie hier abzuschreiben. Sie stehet in dem ersten Briefe, und geht von der 185ten Zeile bis zu der 198ten. Dieser Satz aber, und die zwei vorhergehenden, sind eigentlich nähere Beweise des fünften Satzes, und sollen dartun, daß dem Menschen wirklich solche Gaben und Fähigkeiten zu Teil worden, als sich für seinen Stand am besten schicken. Die Frage wäre also beantwortet, auf welches es, nach Popens Meinung, in dieser Streitigkeit hauptsächlich ankömmt:
if God has placed him (man) wrong?
Dreizehnter Satz
Die Leidenschaften des Menschen, die nichts als verschiedene Abänderungen der Eigenliebe sind, ohne welche die Vernunft unwirksam bleiben würde, sind ihm zum Besten gegeben worden.
2. B. Z. 83
Modes of self-love the Passions we may call.
Ebend. Z. 44
Self-love to urge, and Reason to restrain.
und 1. Br. Z. 162
Passions are the Elements of life.
Pope gesteht zwar, daß unzählig viel Schwachheiten und Fehler aus den Leidenschaften entstehen; allein auch diese gründen sich auf ein allgemeines Gesetz, welches dieses ist: daß sie alle von einem wirklichen, oder einem anscheinenden Gute in Bewegung gesetzt werden sollen. Gott aber habe (nach dem 9ten Satze) alle Übel zulassen müssen, die aus den allgemeinen Gesetzen erfolgten, weil er sonst die allgemeinen Gesetze durch einen besondern Ratschluß hätte aufheben müssen.
2. Br. Z. 84
’Tis real good, or seeming, moves them all.
Schlussatz
Aus allen diesen Sätzen nun zusammen glaubt Pope den Schluß ziehen zu können, daß alles gut sei; que tout ce qui est, est bien. Ich drücke hier seinen Sinn in der Sprache seiner Übersetzer aus. Allein ist es wohl gut, sich auf diese zu verlassen? Wie wenn Pope nicht gesagt hätte, daß alles gut, sondern nur, daß alles recht sei? Wollte man wohl recht und gut für einerlei nehmen? Hier sind seine Worte: (1. Br. Z. 286)
– Whatever is, is right.
Man wird hoffentlich einem Dichter, wie Pope ist, die Schande nicht antun, und sagen, daß er durch den Reim gezwungen worden, right hier anstatt irgend eines andern Worts zu setzen. Wenigstens war er in dem vierten Briefe (Z. 382) wo er diesen Ausspruch wiederholt, des Reimzwanges überhoben, und es muß mit ernstlichem Bedacht geschehen sein, daß er nicht good oder well gesagt hat. Und warum hat er es wohl nicht gesagt? Weil es offenbar mit seinen übrigen Gedanken würde gestritten haben. Da er selbst zugesteht, daß die Natur manche Übel fallen lasse; so konnte er wohl sagen, daß dem ohnegeachtet alles recht sei, aber unmöglich, daß alles gut sei. Recht ist alles, weil alles, und das Übel selbst, in der Allgemeinheit der Gesetze, die der Gegenstand des göttlichen Willens waren, gegründet ist. Gut aber würde nur alsdenn alles sein, wenn diese allgemeinen Gesetze allezeit mit den göttlichen Absichten übereinstimmten. Zwar gestehe ich gern, daß auch das französische bien, weniger sagt als bon, ja daß es fast etwas anders sagt; desgleichen auch, daß das deutsche gut, wenn es adverbialiter und nicht substantive gebraucht wird, oft etwas ausdrückt, was eigentlich nur recht ist. Allein es ist die Frage, ob man an diesen feinen Unterschied stets gedacht hat, so oft man das Popische: es ist alles gut, oder tout ce qui est, est bien gehöret?
Ich habe hier weiter nichts zu erinnern. – – Will man so gut sein, und die vorgetragnen Sätze für ein System gelten lassen, so kann ich es unterdessen recht wohl zufrieden sein. Ich will wünschen, daß es sich in dem Verstande des Lesers wenigstens so lange aufrecht erhalten möge, bis ich es in dem dritten Abschnitte, zum Teil mit den eignen Waffen seines Urhebers, selbst niederreißen kann. Ich würde mich der Gefahr, ein so schwankendes Gebäude nur einen Augenblick vor sich stehen zu lassen, nicht aussetzen, wenn ich mich nicht notwendig zu dem zweiten von der Akademie vorgeschriebenen Punkte vorher wenden müßte.
Zweiter Abschnitt
Vergleichung obiger Sätze mit den Leibnizischen Lehren
Wenn ich der Akademie andre Absichten zuschreiben könnte, als man einer Gesellschaft, die zum Aufnehmen der Wissenschaften bestimmt ist, zuschreiben kann; so würde ich fragen: ob man durch diese befohlene Vergleichung mehr die Popischen Sätze für philosophisch, oder mehr die Leibnizischen Sätze für poetisch habe erklären wollen?
Doch, wie gesagt, ich kann meine Frage sparen, und mich immer zu der Vergleichung selbst wenden. Aufs höchste möchte eine gar zu übertriebene Meinung von dem, mehr als menschlichem, Geiste des Engländers zum Grunde liegen.
Ich will in meiner Vergleichung die Ordnung der obigen Sätze beibehalten, doch ohne sie alle zu berühren. Verschiedne stehen nur der Verbindung wegen da; und verschiedne sind allzuspeziell, und mehr moralisch als metaphysisch. Beide Arten werde ich füglich übergehen können, und die Vergleichung wird dennoch vollständig sein.
Erster Satz
Gott muß von allen möglichen Systemen das beste erschaffen haben. Dieses sagt Pope, und auch Leibniz hat sich an mehr als einem Orte vollkommen so ausgedrückt. Was jeder besonders dabei gedacht hat, muß aus dem Übrigen erhellen. Warburton aber hat völlig Unrecht, wenn er diesen Satz, unabhängig von den andern Sätzen, nicht sowohl für Leibnizisch als für Platonisch erkennen will. Ich werde es weiter unten zeigen. Hier will ich nur noch erinnern, daß der Konzipient der akademischen Frage anstatt des Satzes: alles ist gut, notwendig diesen und keinen andern hätte wählen müssen, wenn er mit einigem Grunde sagen wollen, daß ein System darin liegen könne, welches vielleicht nicht das Leibnizische, aber doch etwa ein ähnliches wäre.
Zweiter Satz
In dem besten System muß alles zusammenhangen. Was Pope unter diesem Zusammenhange verstehe, hat man gesehen. Diejenige Beschaffenheit der Welt nämlich, nach welcher alle Grade der Vollkommenheit von Nichts bis zur Gottheit mit Wesen angefüllt wären.
Leibniz hingegen setzt diesen Zusammenhang darin, daß alles in der Welt, eines aus dem andern, verständlich erkläret werden kann. Er siehet die Welt als eine Menge zufälliger Dinge an, die Teils neben einander existieren, Teils auf einander folgen. Diese verschiednen Dinge würden zusammen kein Ganzes ausmachen, wenn sie nicht alle, wie die Räder der Maschine, mit einander vereiniget wären: das heißt, wenn sich nicht aus jedem Dinge deutlich erklären ließe, warum alle übrigen so, und nicht anders neben ihm sind; und aus jedem vorhergehenden Zustande eines Dinges, warum dieser oder jener darauf folgen wird. Dieses muß ein unendlicher Verstand völlig daraus begreifen können, und der mindeste Teil der Welt muß ihm ein Spiegel sein, in welchem er alle übrigen Teile, die neben demselben sind, so wie alle Zustände, in welchen die Welt war, oder je sein wird, sehen kann.
Nirgends aber hat Leibniz gesagt, daß alle Grade der Vollkommenheit in der besten Welt besetzt sein müßten. Ich glaube auch nicht, daß er es hätte sagen können. Denn wenn er gleich mit Popen sagen dürfte: die Schöpfung ist voll; so müßte er dennoch einen ganz andern Sinn mit diesen Worten verknüpfen, als Pope damit verknüpft hat. Mit Leibnizen zu reden, ist die Schöpfung in der besten Welt deswegen allenthalben voll, weil allenthalben eines in dem andern gegründet ist, und daher der Raum oder die Ordnung der neben einander existierenden Dinge nirgends unterbrochen wird. Auf gleiche Art ist sie auch der Zeit nach voll, weil die Zustände, die in derselben auf einander folgen, niemals aufhören, wie Wirkungen und Ursachen in einander gegründet zu sein. Etwas ganz anders aber versteht Pope unter seiner full creation, wie sich aus der Verbindung seiner Worte schließen läßt.
1. Br. Z. 235
– – – On superior pow’rs
Were we to press, inferior might on ours:
Or in the full creation leave a Void.
Die Schöpfung nämlich ist ihm nur deswegen voll, weil alle Grade darin besetzt sind.
Und dieses ist ein Beweis mehr, daß zwei verschiedne Schriftsteller deswegen noch nicht einerlei Meinung sind, weil sie sich an gewissen Stellen mit einerlei Worten ausdrücken. Pope hatte einen ganz andern Begriff von leer und voll in Ansehung der Schöpfung, als Leibniz; und daher konnten sie beide sagen: the creation is full, ohne weiter etwas unter sich gemein zu haben, als die bloßen Worte.
Dritter Satz
Aus dem Vorhergehenden schließt Pope a priori, daß notwendig der Mensch in der Welt angetroffen werden müsse, weil sonst die ihm gehörige Stelle unter den Wesen leer sein würde.
Leibniz hingegen beweiset das notwendige Dasein des Menschen a posteriori, und schließt, weil wirklich Menschen vorhanden sind, so müssen solche Wesen zur besten Welt gehört haben.
Sechster Satz
Pope, wie man gesehen hat, scheinet mit dem P. Malebranche in diesem Satze einerlei Meinung gehabt zu haben. Er behauptet nämlich, Gott könne in der Welt bloß deswegen böses geschehen lassen, weil er seinen allgemeinen Willen nicht durch besondre Ratschlüsse aufheben wolle. Notwendig müßten also in der Welt Mängel anzutreffen sein, die Gott, der besten Welt unbeschadet, hätte vermeiden können, wenn er seinen allgemeinen Willen in einigen Fällen durch einen besondern Ratschluß hätte aufheben wollen. Man darf nur folgende Stelle ansehen, um zu erkennen, daß dieses wirklich Popens Meinung gewesen sei.
4. Br. Z. 112
Or partial ill is universal good
– – or Nature lets it fall.
Dieses oder oder zeigt genugsam, daß das Übel in dem zweiten Falle zu der Vollkommenheit der Welt nichts beitrage, sondern daß es die Natur, oder die allgemeinen Gesetze fallen lassen.
Allein was behauptet Leibniz von allem diesen? – Leibniz behauptet, der allgemeine Ratschluß Gottes entstehe aus allen besondern Ratschlüssen zusammen genommen, und Gott könne, ohne der besten Welt zum Nachteile, kein Übel durch einen besondern Ratschluß aufheben. Denn nach ihm hanget das System der Absichten mit dem System der wirkenden Ursachen so genau zusammen, daß man dieses als eine Folge aus dem erstern ansehen kann. Man kann also nicht sagen, daß aus den allgemeinen Gesetzen der Natur, das ist, aus dem System der wirkenden Ursachen etwas erfolge, das mit den göttlichen Absichten nicht übereinstimmt; denn bloß aus der besten Verknüpfung der besondern Absichten, sind die allgemein wirkenden Ursachen und das allerweiseste Ganze entstanden. (Man sehe hievon die Theodizee §. 204. 205. 206)
Und hieraus nun erhellet, daß Pope und Leibniz nicht einmal in dem Begriffe der besten Welt einig sein können. Leibniz sagt: wo verschiedene Regeln der Vollkommenheit zusammengesetzt werden sollen, ein Ganzes auszumachen; da müssen notwendig einige derselben wider einander stoßen, und durch dieses Zusammenstoßen müssen entweder Widersprüche entstehen, oder von der einen Seite Ausnahmen erfolgen. Die beste Welt ist also nach ihm diejenige, in welcher die wenigsten Ausnahmen, und diese wenigen Ausnahmen noch darzu von den am wenigsten wichtigen Regeln geschehen. Daher nun entstehen zwar die moralischen und natürlichen Unvollkommenheiten, über die wir uns in der Welt beschweren; allein sie entstehen vermöge einer höhern Ordnung, die diese Ausnahmen unvermeidlich gemacht hat. Hätte Gott ein Übel in der Welt weniger entstehen lassen, so würde er einer höhern Ordnung, einer wichtigern Regel der Vollkommenheit zuwider gehandelt haben, von deren Seite doch durchaus keine Ausnahme geschehen sollte.
Pope hingegen und Malebranche räumen es ein, daß Gott, der besten Welt unbeschadet, einige Übel daraus hätte weglassen können, ohne etwas merkliches in derselben zu verändern. Allein dem ohngeachtet habe er die Allgemeinheit der Gesetze, aus welcher diese Übel fließen, lieber gewollt, und wolle sie auch noch lieber, ohne diesen seinen Entschluß jemals, um eines Lieblings willen, zu ändern.
Achter Satz
Ferner, wie wir gesehen haben, behauptet Pope, die mindeste Veränderung in der Welt erstrecke sich auf die ganze Natur, weil ein jedes Wesen, das zu einer größern Vollkommenheit gelange, eine Lücke hinter sich lassen müsse, und diese Lücke müsse entweder leer bleiben, welches den ganzen Zusammenhang aufheben würde, oder die untern Wesen müßten heran rücken, welches durch die ganze Schöpfung nichts anders, als eine Zerrüttung verursachen könne.
Leibniz weiß von keiner solchen Lücke, wie sie Pope annimmt, weil er keine allmälige Degradation der Wesen behauptet. Eine Lücke in der Natur kann, nach seiner Meinung, nirgend anders werden, als wo die Wesen in einander gegründet zu sein aufhören; denn da wird die Ordnung unterbrochen, oder welches eben so viel ist, der Raum bleibt leer. Dennoch aber behauptet Leibniz in einem weit strengern Verstande als Pope, daß die mindeste Veränderung in der Welt einen Einfluß in das Ganze habe, und zwar weil ein jedes Wesen ein Spiegel aller übrigen Wesen, und ein jeder Zustand der Inbegriff aller Zustände ist. Wenn also der kleinste Teil der Schöpfung anders, oder in einen andern Zustand versetzt wird, so muß sich diese Veränderung durch alle Wesen zeigen; eben wie in einer Uhr alles, sowohl dem Raume, als der Zeit nach, anders wird, sobald das mindeste von einem Rädchen abgefeilet wird.
Neunter Satz
Die Unvollkommenheiten in der Welt erfolgen, nach Popens System, entweder zum Besten des Ganzen (worunter man zugleich die Verhütung einer größern Unvollkommenheit mit begreift) oder weil keine allgemeinen Gesetze den göttlichen Absichten in allen besondern Fällen haben genug tun können.
Nach Leibnizens Meinung hingegen müssen notwendig alle Unvollkommenheiten in der Welt zur Vollkommenheit des Ganzen dienen, oder es würde sonst ganz gewiß ihr Außenbleiben aus den allgemeinen Gesetzen erfolgt sein. Er behauptet, Gott habe die allgemeinen Gesetze nicht willkürlich, sondern so angenommen, wie sie aus der weisen Verbindung seiner besondern Absichten, oder der einfachen Regeln der Vollkommenheit, entstehen müssen. Wo eine Unvollkommenheit ist, da muß eine Ausnahme unvermeidlich gewesen sein. Keine Ausnahme aber kann Statt finden, als wo die einfachen Regeln der Vollkommenheit mit einander streiten; und jede Ausnahme muß daher vermöge einer höhern Ordnung geschehen sein, das ist, sie muß zur Vollkommenheit des Ganzen dienen.
– – Wird es wohl nötig sein, noch mehrere Unterschiede zwischen den Popischen Sätzen und Leibnizischen Lehren anzuführen? Ich glaube nicht. Und was sollten es für mehrere Unterschiede sein? In den besondern moralischen Sätzen, weiß man wohl, kommen alle Weltweisen überein, so verschieden auch ihre Grundsätze sind. Der übereinklingende Ausdruck der erstern muß uns nie verleiten, auch die letztern für einerlei zu halten; denn sonst würde es sehr leicht sein, jeden andern, der irgend einmal über die Einrichtung der Welt vernünfteln wollen, eben so wohl als Popen, zum Leibnizianer zu machen.
Verdient nun aber Pope diese Benennung durchaus nicht, so wird auch notwendig die Prüfung seiner Sätze etwas ganz anders, als eine Bestreitung des Leibnizischen Systems von der besten Welt sein. Die Gottschede sagen, sie werde daher auch etwas ganz anders sein, als die Akademie gewünscht habe, daß sie werden möchte. Doch was geht es mich an, was die Gottschede sagen; ich werde sie dem ohngeachtet unternehmen.
Dritter Abschnitt
Prüfung der Popischen Sätze
Ich habe oben gesagt, Pope, als ein wahrer Dichter, müsse mehr darauf bedacht gewesen sein, das sinnlich Schöne aus allen Systemen zusammen zu suchen, und sein Gedicht damit auszuschmücken, als sich selbst ein eignes System zu machen, oder sich an ein schon gemachtes einzig und allein zu halten. Und daß er jenes wirklich getan habe, bezeugen die unzähligen Stellen in seinen Briefen, die sich mit seinen obigen Sätzen auf keinerlei Weise verbinden lassen, und deren einige sogar ihnen schnurstracks zuwider laufen.
Ich will diese Stellen bemerken, indem ich die Sätze selbst nach der Strenge der Vernunft prüfe.
Zweiter Satz
Durch welche Gründe kann Pope beweisen, daß die Kette der Dinge in der besten Welt nach einer allmäligen Degradation der Vollkommenheit geordnet sein müsse? Man werfe die Augen auf die vor uns sichtbare Welt! Ist Popens Satz gegründet; so kann unsre Welt unmöglich die beste sein. In ihr sind die Dinge nach der Ordnung der Wirkungen und Ursachen, keines Weges aber nach einer allmäligen Degradation neben einander. Weise und Toren, Tiere und Bäume, Insekten und Steine sind in der Welt wunderbar durch einander gemischt, und man müßte die Glieder aus den entlegensten Teilen der Welt zusammen klauben, wenn man eine solche Kette bilden wollte, die allmälig vom Nichts bis zur Gottheit reicht. Dasjenige also, was Pope den Zusammenhang nennt, findet in unsrer Welt nicht Statt, und dennoch ist sie die beste, dennoch kann in ihr keine Lücke angetroffen werden. Warum dieses? Wird man hier nicht augenscheinlich auf das Leibnizische System geleitet, daß nämlich, vermöge der göttlichen Weisheit, alle Wesen in der besten Welt in einander gegründet, das heißt, nach der Reihe der Wirkungen und Ursachen neben einander geordnet sein müssen?
Dritter Satz
Und nun fällt der Schluß von dieser eingebildeten Kette der Dinge auf die unvermeidliche Existenz eines solchen Ranges, als der Mensch bekleidet, von sich selbst weg. Denn was war es nötig, zu Erfüllung der Reihe von Leben und Empfindung, diesen Rang wirklich werden zu lassen, da doch ohnedem die Glieder derselben in dem unendlichen Raume zerstreut liegen, und nimmermehr in der allmäligen Degradation neben einander stehen?
Sechster Satz
Hier kömmt es, wo sich Pope selbst widerspricht! – Nach seiner Meinung, wie wir oben dargetan haben, müssen aus den allgemeinen Gesetzen manche besondre Begebenheiten erfolgen, die zur Vollkommenheit des Ganzen nichts beitragen, und nur deswegen zugelassen werden, weil Gott, eines Lieblings halber, seinen allgemeinen Willen nicht ändert.
Or partial ill is universal good,
Or change admits, or Nature lets it fall.
So sagt er in dem vierten Briefe. Nur manche Übel also, die in der Welt zugelassen worden, sind nach ihm allgemein gut; manche aber, die eben so wohl zugelassen worden, sind es nicht. Sind sie es aber, nach seinem eigenen Bekenntnisse, nicht, wie hat er am Ende des ersten Briefes gleichwohl so zuversichtlich sagen können:
All discord, harmony not understood:
All partial evil, universal good?
Wie verträgt sich dieses entscheidende all, mit dem obigen or, or? Kann man sich einen handgreiflichern Widerspruch einbilden?
Doch wir wollen weiter untersuchen, wie er sich gegen das System, welches ich für ihn habe aufrichten wollen, verhält. Man sehe einmal nach, was er zu der angezogenen Stelle aus dem ersten Briefe
– – the first almighty Cause
Acts not by partial, but by gen’ral Laws
unmittelbar hinzu setzt:
Th’ Exeptions few.
Der Ausnahmen sind wenig? Was sind das für Ausnahmen? Warum hat denn Gott auch von diesen allgemeinen Regeln, die ihm allenthalben zur Richtschnur gedient, Ausnahmen gemacht? Eines Lieblings wegen hat er sie nicht gemacht; (S. den 4. Brief Z. 119) auch zur Vermeidung einer Unvollkommenheit nicht; denn sonst hätte er nicht die geringste Unvollkommenheit zulassen sollen. Er hat nur wenige Ausnahmen gemacht? Warum nur wenige? – Gar keine, oder soviel als nötig waren?
Man könnte sagen: Pope verstehe unter dem Worte Exceptions solche Begebenheiten, die nicht mit den göttlichen Absichten übereinstimmen, und dennoch aus den allgemeinen Gesetzen fließen. Dieser gibt es wenige in der Welt; denn Gott hat solche allgemeine Gesetze erwählt, die in den meisten besondern Fällen mit seinen Absichten übereinstimmen. – Gut! Aber alsdann müßte sich das Wort Exceptions nicht auf general laws beziehen. Von Seiten der allgemeinen Gesetze hat Gott nicht die geringsten Ausnahmen gemacht, sondern alle Ausnahmen betreffen die Übereinstimmung der allgemeinen Gesetze mit den göttlichen Absichten. Nun übersehe man des Dichters Worte:
– – the first almighty Cause
Acts not by partial, but by general Laws;
Th’ Exceptions few etc.
Bezieht sich hier das Wort Exceptions irgend auf etwas anders, als auf general Laws? O! Ich will lieber zugeben, Pope habe sich in einem einzigen Gedichte hundertmal metaphysisch widersprochen, als daß ihm ein schlecht verbundner und verstümmelter Vers entwischt wäre, wie dieser sein würde, wenn sich th’ Exceptions few nicht auf die allgemeinen Gesetze, von welchen er gleich vorher spricht, sondern auf die göttlichen Absichten beziehen sollten, deren er hier gar nicht gedenkt. Nein! Ganz gewiß hat er sich hier wiederum alle Übel als Ausnahmen aus den allgemeinen Gesetzen eingebildet, und folglich das Malebranchische System unvermutet verworfen, das er sonst durchgehends angenommen haben muß, wenn er irgend eines angenommen hat.
Achter Satz
Was Pope in diesem Satze behauptet, daß nämlich keine Veränderung in der Welt vorgehen könne, ohne daß sich die Wirkung davon in dem Ganzen äußerte, kann aus andern Gründen hinlänglich dargetan werden, als aus den seinigen, welche hier ganz und gar nichts beweisen. Wenn wir, sagt er, die obern Kräfte verdringen wollen, so müssen die untern an unsre Stelle rücken, oder es bleibt eine Lücke in der vollen Schöpfung. Ist es noch nötig, diesen Schluß zu widerlegen, nachdem man gesehen, daß in der Welt nicht alles so stufenweise hinaufsteigt, wie Pope annimmt, sondern daß vollkommene und unvollkommene Wesen, ohne diese eingebildete Ordnung, durch einander vermengt sind? Eben so wenig werde ich die zweite Stelle zu widerlegen nötig haben, die oben zur Bestätigung dieses achten Satzes angeführt worden. Pope bezieht sich immer auf seine allmälige Degradation, die nur in seiner poetischen Welt die Wirklichkeit erlangt, in unserer aber gar nicht Statt gefunden hat.
Neunter Satz
In diesem Satze sind oben zwei Ursachen des Übels in der Welt, nach Popens Meinung, angeführt worden; eine dritte Ursache aber, die der Dichter gleichfalls angibt, habe ich weggelassen, weil ich sie nicht begreifen konnte. Hier ist die Stelle aus dem vierten Briefe ganz:
Or partial ill is universal good
Or change admits, or Nature lets it fall.
Die Worte Nature lets it fall habe ich so erklärt, als ob sie eben das sagten, was der Dichter mit den Worten Nature deviates sagen will. Diese nämlich, wenn sie einen verständlichen Sinn haben sollen, können nichts anders bedeuten als, daß die Natur, vermöge der allgemeinen Gesetze, die ihr Gott vorgeschrieben, manches hervorbringe, was den göttlichen Absichten zuwider sei, und nur deswegen von ihr zugelassen werde, weil er seinen allgemeinen Entschluß nicht ändern wolle.
If the great end be human happiness,
Then Nature deviats, and can Man do less?
D. i. Wenn die Glückseligkeit des Menschen der große Zweck ist, und die Natur abweicht etc. Eben diesen Gedanken nun, glaub ich, hat Pope durch Nature lets it fall, die Natur läßt es fallen, ausdrücken wollen. Die Natur bringt manche Übel als Folgen aus den allgemeinen mechanischen Gesetzen hervor, ohne daß die göttliche Absicht eigentlich darauf gerichtet gewesen.
Allein was für einen Sinn verknüpfen wir mit den Worten Or change admits, oder die Abwechslung läßt es zu? Kann nach Popens System – – wenn man es noch ein System nennen will – – etwas anders die göttliche Weisheit entschuldigen, daß sie Böses in der Welt zugelassen, als die Vollkommenheit des Ganzen, welches den besondern Teilen vorzuziehen gewesen, oder die Allgemeinheit der Gesetze, die Gott nicht hat stören wollen? Was für eine dritte Entschuldigung soll uns die Abwechslung oder die Veränderung darbieten?
Ich denke hierbei nichts; und ich möchte um so viel lieber wissen, was diejenigen dabei denken, die sich dem ohngeachtet ein Popisches System nicht wollen ausreden lassen. Vielleicht sagen sie, eben diese letztere Stelle beweise, daß ich das wahre System des Dichters verfehlt habe, und daß es ein ganz anders sei, aus welchem man sie erklären müsse. Welches aber soll es sein? Wenigstens muß es ein ganz neues sein, das noch in keines Menschen Gedanken gekommen; indem allen andern bekannten Systemen von dieser Materie, hier und da in den Briefen, eben so wohl widersprochen wird.
Zum Beweise berufe ich mich auf eine Stelle, die in dem ersten Briefe anzutreffen ist, und die eben so wenig mit unserm vorgegebenen Popischen Systeme, als mit irgend einem andern bestehen kann. Es ist folgende:
Z. 259 und folgende
All are but parts of one stupendous whole,
Whose body Nature is, and God the soul;
That, chang’d thro’ all, and yet in all the same
– – – – – –
Lives thro’ all life, extends thro’ all extent,
Spreads undivided – – –
– – – – –
He fills, he bounds, connects, and equals all.
D. i. Alle Dinge sind Teile eines erstaunlichen Ganzen, wovon die Natur der Körper und Gott die Seele ist. Er ist in allen Dingen verändert, und doch allenthalben eben derselbe – – Er lebt in allem was lebt; er dehnt sich aus durch alle Ausdehnung und verbreitet sich, ohne sich zu zerteilen – – Er erfüllt, umschränkt und verknüpft alles, und macht alles gleich. Ich bin weit davon entfernt, Popen hier gottlose Meinungen aufbürden zu wollen. Ich nehme vielmehr alles willig an, was Warburton zu dessen Verteidigung wider den Herrn Crousaz gesagt hat, welcher behaupten wollen, der Dichter habe diese Stelle aus des Spinosa irrigem Lehrgebäude entlehnt. Durchgehends kann sie unmöglich mit Spinosens Lehren bestehen. Die Worte
Whose body Nature is, and God the soul,
Wovon die Natur der Körper und Gott die Seele ist, würde Spinosa nimmermehr haben sagen können; denn der Ausdruck, Seele und Körper, scheinet doch wenigstens anzudeuten, daß Gott und die Natur zwei verschiedne Wesen sind. Wie wenig war dieses die Meinung des Spinosa! Es hat aber andre irrige Weltweisen gegeben, die Gott wirklich für die Seele der Natur gehalten haben, und die vom Spinosismo eben so weit abstehen, als von der Wahrheit. Sollte ihnen also Pope diese seltnen Redensarten abgeborgt haben, wie steht es um die Worte Extends thro’ all extent; Er dehnt sich aus durch alle Ausdehnung? Wird diese Lehre einem andern als Spinosen zugehören? Wer hat sonst die Ausdehnung der Natur für eine Eigenschaft Gottes gehalten, als dieser berufene Irrgläubige? Jedoch, wie gesagt, es stehet nicht zu glauben, daß Pope eben in diesen Briefen ein gefährliches System habe auskramen wollen. Er hat vielmehr – – und dieses ist es, was ich bereits oben, gleichsam a priori, aus dem, was ein Dichter in solchen Fällen tun muß, erwiesen habe, – – bloß die schönsten und sinnlichsten Ausdrücke von jedem System geborgt, ohne sich um ihre Richtigkeit zu bekümmern. Und daher hat er auch keine Bedenken getragen, die Allgegenwart Gottes, Teils in der Sprache der Spinosisten, Teils in der Sprache derjenigen, die Gott für die Seele der Welt halten, auszudrücken, weil sie in den gemeinen rechtgläubigen Ausdrücken all zu idealisch und all zu weit von dem Sinnlichen entfernt ist. Eben so wie sich Thomson, in seiner Hymne über die vier Jahrszeiten, nicht gescheuet hat, zu sagen: these as the changes – – are but the varied God. Ein sehr kühner Ausdruck, den aber kein vernünftiger Kunstrichter tadeln kann.
Hätte sich Pope ein eignes System abstrahiert gehabt, so würde er ganz gewiß, um es in dem überzeugendsten Zusammenhange vorzutragen, aller Vorrechte eines Dichters dabei entsagt haben. Da er dieses aber nicht getan hat, so ist es ein Beweis, daß er nicht anders damit zu Werke gegangen, als ich mir vorstelle, daß es die meisten Dichter tun. Er hat diesen und jenen Schriftsteller über seine Materie vorher gelesen, und, ohne sie nach eignen Grundsätzen zu untersuchen, von jedem dasjenige behalten, von welchem er geglaubt, daß es sich am besten in wohlklingende Verse zusammenreimen lasse. Ich glaube ihm so gar, in Ansehung seiner Quellen, auf die Spur gekommen zu sein, wobei ich einige andre historisch kritische Anmerkungen gemacht habe, welchen ich folgenden Anhang widme.
Anhang
Warburton, wie bekannt, unternahm die Verteidigung unsers Dichters wider die Beschuldigungen des Crousaz. Die Briefe, die er in dieser Absicht schrieb, erhielten Popens vollkommensten Beifall. Sie haben mir, sagt dieser in einem Briefe an seinen Retter, allzuviel Gerechtigkeit widerfahren lassen; so seltsam dieses auch klingen mag. Sie haben mein System so deutlich gemacht, als ich es hätte machen sollen, und nicht gekonnt habe – – Man sehe die ganze Stelle unten in der Note,(1) aus welcher ich nur noch die Worte anführe: Sie verstehen mich vollkommen so wohl, als ich mich selbst verstehe; allein Sie drücken mich besser aus, als ich mich habe ausdrücken können.
Was sagt nun denn aber dieser Mann, welcher die Meinung des Dichters, nach des Dichters eignem Geständnisse, so vollkommen eingesehen hat, von dem Systeme seines Helden? Er sagt: Pope sei durchaus nicht dem Hrn. von Leibniz, sondern dem Plato gefolgt, wenn er behauptet, Gott habe von allen möglichen Welten die beste wirklich werden lassen.
Plato also wäre die erste Quelle unsers Dichters! – Wir wollen sehen. – Doch Plato war auch eine Quelle für Leibnizen. Und Pope könnte also doch wohl noch ein Leibnizianer sein, indem er ein Platoniker ist. Hierauf aber sagt Warburton »nein! denn Pope hat die Platonische Lehren in der gehörigen Einschränkung angenommen, die Leibniz auf eine gewaltsame Art ausgedehnt. Plato sagte: Gott hat die beste Welt erwählt. Der Herr von Leibniz aber: Gott hat nicht anders können, als die beste wählen.
Der Unterschied zwischen diesen zwei Sätzen soll in dem Vermögen liegen, unter zwei gleich ähnlichen und guten Dingen, eines dem andern vorzuziehen; und dieses Vermögen habe Plato Gott gelassen; Leibniz aber ihm gänzlich genommen. Ich will hier nicht beweisen, was man schon unzähligmal bewiesen hat, daß dieses Vermögen eine leere Grille sei. Ich will nicht anführen, daß sie auch Plato dafür müsse erkannt haben, weil er bei jeder freien Wahl Bewegungsgründe zugesteht; wie Leibniz bereits angemerkt hat. (Theodizee 1. Abt. §. 45) Ich will nicht darauf dringen, daß folglich der Unterschied selbst wegfalle; sondern ich will ihn schlechter Dings so annehmen, wie ihn Warburton angegeben hat.
Plato mag also gelehrt haben: Gott habe die Welt gewählt, ob er gleich eine andre vielleicht eben so gute Welt hätte wählen können; und Leibniz mag gesetzt haben: Gott habe nicht anders können als die beste wählen. Was sagt denn Pope? Drückt er sich auf die erste oder auf die andre Art aus? Man lese doch:
Of systems possible, if ’tis confest
That Wisdom infinite must form the best etc.
»Wenn es ausgemacht ist, daß die unendliche Weisheit von allen möglichen Systemen das beste wählen muß etc.« – – Daß sie muß? Wie ist es möglich, daß Warburton diesen Ausdruck übersehen hat? Heißt dieses mit dem Plato reden, wenn Plato anders, wie Warburton will, eine ohne alle Bewegungsgründe wirkende Freiheit in Gott angenommen hat?
Genug von dem Plato, den Pope folglich gleich bei dem ersten Schritte verlassen zu haben selbst glauben mußte! Ich komme zu der zweiten Quelle, die Warburton dem Dichter gibt; und diese ist der Lord Shaftesbury, von welchem er sagt, daß er den Platonischen Satz angenommen, und in ein deutlicher Licht gesetzt habe. In wie weit dieses geschehen sei, und welches das verbesserte System dieses Lords sei, will die Akademie jetzt nicht wissen. Ich will also hier nur so viel anführen, daß Pope den Shaftesbury zwar offenbar gelesen und gebraucht habe, daß er ihn aber ungleich besser würde gebraucht haben, wenn er ihn gehörig verstanden hätte.
Daß er ihn wirklich gebraucht habe, könnte ich aus mehr als einer Stelle der »Rhapsody« des Shaftesbury beweisen, welche Pope seinen Briefen eingeschaltet hat, ohne fast von dem Seinigen etwas mehr, als das Sylbenmaß und die Reime hinzu zu tun. Statt aller aber, will ich nur diese einzige anführen. Shaftesbury läßt den Philocles dem Palemon, welcher das physikalische Übel zwar entschuldigen will, gegen das moralische aber unversehnlich ist, antworten: The very Storms and Tempests had their Beauty in your account, those alone excepted, which arose in human Breast. »Selbst die Stürme und Ungewitter haben, Ihrem Bedünken nach, ihre Schönheit, nur diejenigen nicht, die in der menschlichen Brust aufsteigen.« Ist dieses nicht eben das, was Pope sagt:
If Plagues or earthquakes break not heav’n’s design,
Why then a Borgia or a Catiline?
Doch Pope muß den Shaftesbury nicht verstanden haben, oder er würde ihn ganz anders gebraucht haben. Dieser freie Weltweise war in die Materie weit tiefer eingedrungen, und drückt sich weit vorsichtiger aus, als der immer wankende Dichter. Hätte ihm Pope gefolgt, so würden seine Gedanken einem System ungleich ähnlicher sehen; er würde der Wahrheit und Leibnizen ungleich näher gekommen sein. Shaftesbury zum Exempel, sagt: Man hat auf vielerlei Art zeigen wollen, warum die Natur irre, und wie sie mit so vielem Unvermögen und Fehlern von einer Hand kömmt, die nicht irren kann. Aber ich leugne, daß sie irrt etc. Pope hingegen behauptet: die Natur weicht ab. – Ferner sagt unser Lord: die Natur ist in ihren Wirkungen sich immer gleich; sie wirkt nie auf eine verkehrte oder irrige Weise; nie Kraftlos oder nachlässig; sondern sie wird nur durch eine höhere Nebenbuhlerin und durch die stärkere Kraft einer andern Natur überwältiget.(2) Leibniz selbst würde den Streit der Regeln einer zusammengesetzten Vollkommenheit nicht besser haben ausdrücken können. Aber was weiß Pope hievon, der dem Shaftesbury gleichwohl soll gefolgt sein? Auch sagt dieser: Vielmehr bewundern wir eben wegen dieser Ordnung der untern und obern Wesen die Schönheit der Welt, die auf sich einander entgegenstehende Dinge gegründet ist, weil aus solchen mannigfaltigen und widerwärtigen Grundursachen eine allgemeine Zusammenstimmung entspringt.(3) Die Worte mannigfaltige und widerwärtige Grundursachen bedeuten hier abermals die Regeln der Ordnung, die oft neben einander nicht bestehen können; und hätte Pope davon einen Begriff gehabt, so würde er sich weniger auf die Seite des Malebranche geneigt haben. Desgleichen von der Ordnung hat Shaftesbury einen vollkommenen richtigen Begriff, den Pope, wie wir gesehen, nicht hatte. Er nennt sie a Coherence or Sympathizing of Things; und unmittelbar darauf a Consent and Correspondence in all. Dieser Zusammenhang, dieses Sympathisieren, diese Übereinstimmung ist ganz etwas anders als des Dichters eingebildete Staffelordnung, welche man höchstens nur für poetisch schön erkennen kann.
Überhaupt muß ich gestehen, daß mir Shaftesbury sehr oft so glücklich mit Leibniz übereinzustimmen scheinet, daß ich mich wundre, warum man nicht längst beider Weltweisheit mit einander verglichen. Ich wundre mich sogar, warum nicht selbst die Akademie lieber das System des Shaftesbury, als das System des Pope zu untersuchen und gegen das Leibnizische zu halten, aufgegeben. Sie würde alsdenn doch wenigstens Weltweisen gegen Weltweisen, und Gründlichkeit gegen Gründlichkeit gestellt haben, anstatt daß sie den Dichter mit dem Philosophen, und das Sinnliche mit dem Abstrakten in ein ungleiches Gefechte verwickelt hat. Ja auch für die, würde bei dem Shaftesbury mehr zu gewinnen gewesen sein, als bei dem Pope, welche Leibnizen gern, vermittelst irgend einer Parallel mit einem andern berühmten Manne, erniedrigen möchten. Das Werk des Shaftesbury »The Moralists, a Philosophical Rhapsody« war bereits im Jahr 1709 herausgekommen; des Leibniz »Theodizee« hingegen trat erst gegen das Ende des Jahrs 1710 an das Licht. Aus diesem Umstande, sollte ich meinen, wäre etwas zu machen gewesen. Ein Philosoph, ein englischer Philosoph, welcher Dinge gedacht hat, die Leibniz erst ein ganzes Jahr nachher gedacht zu haben zeiget, sollte dieser von dem letztern nicht ein wenig sein geplündert worden? Ich bitte die Akademie es überlegen zu lassen!
Und also hat Pope auch aus dem Shaftesbury die wenigsten seiner metaphysischen Larven(4) entlehnt. Wo mag er sie wohl sonst her haben? Wo mag er besonders die her haben, die eine Leibnizische Miene machen? Ich verstehe diejenigen Sätze, die mit den Worten mögliche Systeme und dergleichen ausgedrückt sind. Die Anweisung Warburtons verläßt mich hier; ich glaube aber gleichwohl etwas entdeckt zu haben.
Man erinnere sich desjenigen Buches de Origine mali, über welches Leibniz Anmerkungen gemacht hat, die man gleich hinter seiner Theodizee findet. Er urteilet davon, der Verfasser desselben stimme, in der einen Hälfte der Materie, von dem Übel überhaupt, und dem physikalischen Übel insbesondre, sehr wohl mit ihm überein, und gehe nur in der andern Hälfte, vom moralischen Übel, von ihm ab. Es war dieser Verfasser der Hr. W. King, nachheriger Erzbischof von Dublin. Er war ein Engländer, und sein Werk war schon im Jahr 1702 herausgekommen.
Aus diesem nun behaupte ich, hat sich unser Dichter ungemein bereichert; und zwar so, daß er nicht selten, ganze Stellen aus dem Lateinischen übersetzt, und sie bloß mit poetischen Blümchen durchwirkt hat. Ich will bloß die vornehmsten derselben zum Beweise hersetzen, und die Vergleichung den Lesern, welche beider Sprachen mächtig sind, selbst überlassen.
1.
King. cap. III. p. m. Ed. Brem. 56
Credendum vero est, praesens mundi Systema optimum fuisse, quod fieri potuit, habito respectu ad Dei mentem in eo fabricando.
Pope. Ep. I. v. 43. 44
Of systems possible, if ’tis confest,
That Wisdom infinite must form the best.
2.
King. p. m. 58
Oportet igitur multos perfectionum gradus, forte infinitos, dari in opificiis divinis.
Pope. Ep. I. v. 46-47
Where all must fall or not coherent be
And all that rises, rise in due degree etc.
3.
King. p. m. 72
Opus erat in systemate mundi globo materiae solidae, qualis est terra, et eam quasi rotae vicem habere credimus in magno hoc automato.
Pope. Ep. 1. v. 56 etc.
So man, who here seems principal alone,
Perhaps acts second to some sphere unknown,
Touches some wheel, or verges to some gole.
’Tis but a part we see and not the whole.
4.
King. p. m. 89
– Quaedam ejusmodi facienda erant, cum locus his in opificio Dei restabat, factis tot aliis, quot conveniebat. At optes alium tibi locum et sortem cessisse; fortasse. Sed si tu alterius locum occupasses, ille alter aut alius aliquis in tui locum sufficiendus erat, qui similiter providentiae divinae ingratus, locum illum quem jam occupasti, optaret. Scias igitur necessarium fuisse, ut aut sis, quod es, aut nullus. Occupatis enim ab aliis omni alio loco et statu, quem systema aut natura rerum ferebat, aut is, quem habeas, a te implendus, aut exulare te a rerum natura necesse est. An expectes enim, dejecto alio a statu suo, te ejus loco suffectum iri? id est, ut aliorum injuria munificentiam peculiarem et exsortem tibi Deus exhiberet. Suspicienda ergo est divina bonitas, non culpanda, qua ut sis, quod es, factum est. Nec alius nec melior fieri potuisti sine aliorum aut totius damno.
Den ganzen Inhalt dieser Worte wird man in dem ersten Briefe des Pope wieder finden; besonders gegen die 157te und 233te Zeile. Die Stellen selbst sind zu lang, sie ganz herzusetzen; und zum Teil sind sie auch bereits oben angeführt worden, wo von dem Popischen Begriffe der Ordnung, und der notwendigen Stelle, die der Mensch in der Reihe der Dinge erhalten müssen, die Rede war.
Was kann man nun zu so offenbaren Beweisen, daß Pope den metaphysischen Teil seiner Materie mehr zusammen geborgt, als gedacht habe, sagen? Und was wird man vollends sagen, wenn ich sogar zeige, daß er sich selbst nichts besser bewußt zu sein scheinet? – Man höre also, was er in einem Briefe an seinen Freund den D. Swift schreibt. Pope hatte seinen Versuch über den Menschen, ohne seinem Namen drucken lassen, und er kam Swiften in die Hände, ehe ihm Pope davon Nachricht geben konnte. Swift las das Werk, allein er erkannte seinen Freund darin nicht. Hierüber nun wundert sich Pope und schreibt: ich sollte meinen, ob Sie mich gleich in dem ersten dieser Versuche aus dem Gesichte verloren, daß Sie mich doch in dem zweiten würden erkannt haben(5). Heißt dieses nicht ungefähr: ob Sie mir gleich die metaphysische Tiefsinnigkeit, die aus dem ersten Briefe hervor zu leuchten scheinet, nicht zutrauen dürfen; so hätten Sie doch wohl in den übrigen Briefen, wo die Materie leichter und des poetischen Putzes fähiger wird, meine Art zu denken erkennen sollen? – – Swift gesteht es in seiner Antwort auch in der Tat, daß er Popen für keinen so großen Philosophen gehalten habe, eben so wenig als sich Pope selbst dafür hielt. Denn würde er wohl sonst, gleich nach obiger Stelle, geschrieben haben: Nur um eines bitte ich Sie; lachen Sie über meine Ernsthaftigkeit nicht, sondern erlauben Sie mir, den philosophischen Bart so lange zu tragen, bis ich ihn selbst ausrupfe, und ein Gespötte daraus mache(6). Das will viel sagen! Wie sehr sollte er sich also wundern, wenn er erfahren könnte, daß gleichwohl eine berühmte Akademie diesen falschen Bart für wert erkannt habe, ernsthafte Untersuchungen darüber anzustellen.
Über die Entstehung der geoffenbarten Religion
G. E. Lessings theologischer Nachlaß, Berlin (Voss) 1784.
§
Einen Gott erkennen, sich die würdigsten Begriffe von ihm zu machen suchen, auf diese würdigsten Begriffe bei allen unsern Handlungen und Gedanken Rücksicht nehmen: ist der vollständigste Inbegriff aller natürlichen Religion.
§
Zu dieser natürlichen Religion ist ein jeder Mensch, nach dem Maße seiner Kräfte, aufgelegt und verbunden.
§
Da aber dieses Maß bei jedem Menschen verschieden, und sonach auch eines jeden Menschen natürliche Religion verschieden sein würde: so hat man dem Nachteile, welchen diese Verschiedenheit, nicht in dem Stande der natürlichen Freiheit des Menschen, sondern in dem Stande seiner bürgerlichen Verbindung mit andern, hervorbringen konnte, vorbauen zu müssen geglaubt.
§
Das ist: so bald man auch die Religion gemeinschaftlich zu machen, für gut erkannte; mußte man sich über gewisse Dinge und Begriffe vereinigen, und diesen conventionellen Dingen und Begriffen eben die Wichtigkeit und Notwendigkeit beilegen, welche die natürlich erkannten Religions-Wahrheiten durch sich selber hatten.
§
Das ist: man mußte aus der Religion der Natur, welche einer allgemeinen gleichartigen Ausübung unter Menschen nicht fähig war, eine positive Religion bauen: so wie man aus dem Rechte der Natur, aus der nämlichen Ursache, ein positives Recht gebauet hatte.
§
Diese positive Religion erhielt ihre Sanktion durch das Ansehen ihres Stifters, welcher vorgab, daß das Conventionelle derselben eben so gewiß von Gott komme, nur mittelbar durch ihn, als das Wesentliche derselben unmittelbar durch eines jeden Vernunft.
§
Die Unentbehrlichkeit einer positiven Religion, vermöge welcher die natürliche Religion in jedem Staate nach dessen natürlicher und zufälliger Beschaffenheit modificiert wird, nenne ich die innere Wahrheit derselben, und diese innere Wahrheit derselben ist bei einer so groß als bei der andern.
§
Alle positiven und geoffenbarten Religionen sind folglich gleich wahr und gleich falsch.
§
Gleich wahr: in sofern es überall gleich notwendig gewesen ist, sich über verschiedene Dinge zu vergleichen, um Übereinstimmung und Einigkeit in der öffentlichen Religion hervorzubringen.
Gleich falsch: indem nicht sowohl das, worüber man sich verglichen, neben dem Wesentlichen besteht, sondern das Wesentliche schwächt und verdrängt.
Die beste geoffenbarte oder positive Religion ist die, welche die wenigsten conventionellen Zusätze zur natürlichen Religion enthält, die guten Wirkungen der natürlichen Religion am wenisten einschränkt. – – – – –
Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott
Karl Lessing: G. E. Lessings Leben, Berlin (Voss) 1795.
Ich mag mir die Wirklichkeit der Dinge außer Gott erklären, wie ich will, so muß ich bekennen, daß ich mir keinen Begriff davon machen kann.
Man nenne sie das Komplement der Möglichkeit; so frage ich: ist von diesem Komplemente der Möglichkeit in Gott ein Begriff, oder keiner? Wer wird das Letztere behaupten wollen? Ist aber ein Begriff davon in ihm; so ist die Sache selbst in ihm; so sind alle Dinge in ihm selbst wirklich.
Aber, wird man sagen, der Begriff, welchen Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, hebt die Wirklichkeit dieses Dinges außer ihm nicht auf. Nicht? So muß die Wirklichkeit außer ihm etwas haben, was sie von der Wirklichkeit in seinem Begriffe unterscheidet. Das ist: in der Wirklichkeit außer ihm muß etwas sein, wovon Gott keinen Begriff hat. Eine Ungereimtheit! Ist aber nichts dergleichen, ist in dem Begriffe, den Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, alles zu finden, was in dessen Wirklichkeit außer ihm anzutreffen: so sind beide Wirklichkeiten Eins, und alles, was außer Gott existieren soll, existiert in Gott.
Oder man sage: die Wirklichkeit eines Dinges sei der Inbegriff aller möglichen Bestimmungen, die ihm zukommen können. Muß nicht dieser Inbegriff auch in der Idee Gottes sein? Welche Bestimmung hat das Wirkliche außer ihm, wenn nicht auch das Urbild in Gott zu finden wäre? Folglich ist dieses Urbild das Ding selbst, und sagen, daß das Ding auch außer diesem Urbild existiere, heißt, dessen Urbild auf eine eben so unnötige als ungereimte Weise verdoppeln.
Ich glaube zwar, die Philosophen sagen, von einem Dinge die Wirklichkeit außer Gott bejahen, heiße weiter nichts, als dieses Ding bloß von Gott unterscheiden, und dessen Wirklichkeit von einer andern Art zu sein erklären, als die notwendige Wirklichkeit Gottes ist.
Wenn sie aber bloß dieses wollen, warum sollen nicht die Begriffe, die Gott von den wirklichen Dingen hat, diese wirklichen Dinge selbst sein? Sie sind von Gott noch immer genugsam unterschieden, und ihre Wirklichkeit wird darum noch nichts weniger als notwendig, weil sie in ihm wirklich sind. Denn müßte nicht der Zufälligkeit, die sie außer ihm haben sollte, auch in seiner Idee ein Bild entsprechen? Und dieses Bild ist nur ihre Zufälligkeit selbst. Was außer Gott zufällig ist, wird auch in Gott zufällig sein, oder Gott müßte von dem Zufälligen außer ihm keinen Begriff haben. – Ich brauche dieses außer ihm, so wie man es gemeiniglich zu brauchen pflegt, um aus der Anwendung zu zeigen, daß man es nicht brauchen sollte.
Aber, wird man schreien: Zufälligkeiten in dem unveränderlichen Wesen Gottes annehmen! – Nun? Bin ich es allein, der dieses tut? Ihr selbst, die ihr Gott Begriffe von zufälligen Dingen beilegen müßt, ist euch nie beigefallen, daß Begriffe von zufälligen Dingen zufällige Begriffe sind?
Durch Spinoza ist Leibniz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen
(An Moses Mendelssohn)
Karl Lessing: G. E. Lessings Leben, Berlin (Voss) 1795.
Ich fange bei dem ersten Gespräche an. Darin bin ich noch Ihrer Meinung, daß es Spinoza ist, welcher Leibnizen auf die vorherbestimmte Harmonie gebracht hat. Denn Spinoza war der erste, welchen sein System auf die Möglichkeit leitete, daß alle Veränderungen des Körpers bloß und allein aus desselben eigenen mechanischen Kräften erfolgen könnten. Durch diese Möglichkeit kam Leibniz auf die Spur seiner Hypothese. Aber bloß auf die Spur; die fernere Ausspinnung war ein Werk seiner eigenen Sagazität.
Denn daß Spinoza die vorherbestimmte Harmonie selbst, gesetzt auch nur so, wie sie in dem göttlichen Verstande antecedenter ad decretum existiert, könne geglaubt, oder sie doch wenigstens von weitem im Schimmer könne erblickt haben: daran heißt mich alles zweifeln, was ich nur kürzlich von seinem Systeme gefaßt zu haben vermeine.
Sagen Sie mir, wenn Spinoza ausdrücklich behauptet, daß Leib und Seele ein und eben dasselbe einzelne Ding sind, welches man sich nur bald unter der Eigenschaft des Denkens, bald unter der Eigenschaft der Ausdehnung vorstelle, (Sittenlehre, T. II. §. 126) was für eine Harmonie hat ihm dabei einfallen können? Die größte, wird man sagen, welche nur sein kann; nämlich die, welche das Ding mit sich selbst hat. Aber, heißt das nicht mit Worten spielen? Die Harmonie, welche das Ding mit sich selbst hat! Leibniz will durch seine Harmonie das Rätsel der Vereinigung zweier so verschiedener Wesen, als Leib und Seele sind, auflösen. Spinoza hingegen sieht hier nichts Verschiedenes, sieht also keine Vereinigung, sieht kein Rätsel, das aufzulösen wäre.
Die Seele, sagt Spinoza an einem andern Orte (T. II. §. 163), ist mit dem Leibe auf eben die Art vereiniget, als der Begriff der Seele von sich selbst mit der Seele vereiniget ist. Nun gehöret der Begriff, den die Seele von sich selbst hat, mit zu dem Wesen der Seele, und keines läßt sich ohne das andere gedenken. Also auch der Leib läßt sich nicht ohne die Seele gedenken, und nur dadurch, daß sich keines ohne das andere gedenken läßt, dadurch, daß beide eben dasselbe einzelne Ding sind, sind sie nach Spinozas Meinung mit einander vereiniget.
Es ist wahr, Spinoza lehrt: »die Ordnung und die Verknüpfung der Begriffe sei mit der Ordnung und Verknüpfung der Dinge einerlei.« Und was er in diesen Worten bloß von dem einzigen selbstständigen Wesen behauptet, bejahet er anderwärts und noch ausdrücklicher insbesondere von der Seele (T. V. §. 581): »So wie die Gedanken und Begriffe der Dinge in der Seele geordnet und unter einander verknüpft sind: eben so sind auch aufs genaueste die Beschaffenheiten des Leibes oder die Bilder der Dinge, in dem Leibe geordnet und unter einander verknüpft.« Es ist wahr, so drückt sich Spinoza aus, und vollkommen so kann sich auch Leibniz ausdrücken. Aber wenn beide sodann einerlei Worte brauchen, werden sie auch einerlei Begriffe damit verbinden? Unmöglich! Spinoza denkt dabei weiter nichts, als daß alles, was aus der Natur Gottes, und der zu Folge, aus der Natur eines einzelnen Dinges, formaliter folge, in selbiger auch objective, nach eben der Ordnung und Verbindung, erfolgen müsse. Nach ihm stimmet die Folge und Verbindung der Begriffe in der Seele, bloß deswegen mit der Folge und Verbindung der Veränderungen des Körpers überein, weil der Körper der Gegenstand der Seele ist; weil die Seele nichts als der sich denkende Körper, und der Körper nichts als die sich ausdehnende Seele ist. Aber Leibniz – Wollen Sie mir ein Gleichnis erlauben? Zwei Wilde, welche das erstemal ihr Bildnis in einem Spiegel erblicken. Die Verwunderung ist vorbei, und nunmehr fangen sie an, über diese Erscheinung zu philosophieren. Das Bild in dem Spiegel, sagen beide, macht eben dieselben Bewegungen, welche ein Körper macht, und macht sie in der nämlichen Ordnung. Folglich, schließen beide, muß die Folge der Bewegungen des Bildes, und die Folge der Bewegungen des Körpers sich aus einem und eben demselben Grunde erklären lassen.
Eine Parabel
Nebst einer kleinen Bitte, und einem eventualen Absagungsschreiben an den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg
– quae facilem ori paret bolum.
Etymologista vetus
Braunschweig 1778 (anonym).
Ehrwürdiger Mann
Ich würde ehrwürdiger Freund sagen, wenn ich der Mensch wäre, der durch öffentliche Berufung auf seine Freundschaften ein günstiges Vorurteil für sich zu erschleichen gedächte. Ich bin aber vielmehr der, der durchaus auf keinen seiner Nächsten dadurch ein nachteiliges Licht möchte fallen lassen, daß er der Welt erzählet, er stehe, oder habe mit ihm in einer von den genauern Verbindungen gestanden, welche die Welt Freundschaft zu nennen gewohnt ist. –
Denn berechtiget wäre ich es allerdings, einen Mann Freund zu nennen, der mir mit Verbindlichkeit zuvor gekommen ist; den ich auf einer Seite habe kennen lernen, von welcher ihn viele nicht kennen wollen; dem ich noch Verbindlichkeit habe, wenn es auch nur die wäre, daß seine Wächterstimme noch meines Namens schonen wollen.
Doch, wie gesagt, ich suche, bloß durch meine Freunde, eben so wenig zu gewinnen, als ich möchte, daß sie durch mich verlieren sollten.
Also nur, Ehrwürdiger Mann! Ich ersuche Sie, die Güte zu haben, nachstehende Kleinigkeit in einige Überlegung zu ziehen. Besonders aber dringe ich darauf, sich über die beigefügte Bitte nicht bloß als Polemiker, sondern als rechtschaffner Mann und Christ, auf das baldigste zu erklären.
Die Parabel
Ein weiser tätiger König eines großen großen Reiches, hatte in seiner Hauptstadt einen Palast von ganz unermeßlichem Umfange, von ganz besonderer Architektur.
Unermeßlich war der Umfang, weil er in selbem alle um sich versammelt hatte, die er als Gehülfen oder Werkzeuge seiner Regierung brauchte.
Sonderbar war die Architektur: denn sie stritt so ziemlich mit allen angenommenen Regeln; aber sie gefiel doch, und entsprach doch.
Sie gefiel: vornehmlich durch die Bewunderung, welche Einfalt und Größe erregen, wenn sie Reichtum und Schmuck mehr zu verachten, als zu entbehren scheinen.
Sie entsprach: durch Dauer und Bequemlichkeit. Der ganze Palast stand nach vielen vielen Jahren noch in eben der Reinlichkeit und Vollständigkeit da, mit welcher die Baumeister die letzte Hand angelegt hatten: von außen ein wenig unverständlich; von innen überall Licht und Zusammenhang.
Was Kenner von Architektur sein wollte, ward besonders durch die Außenseiten beleidiget, welche mit wenig hin und her zerstreuten, großen und kleinen, runden und viereckten Fenstern unterbrochen waren; dafür aber desto mehr Türen und Tore von mancherlei Form und Größe hatten.
Man begriff nicht, wie durch so wenige Fenster in so viele Gemächer genugsames Licht kommen könne. Denn daß die vornehmsten derselben ihr Licht von oben empfingen, wollte den wenigsten zu Sinne.
Man begriff nicht, wozu so viele und vielerlei Eingänge nötig wären, da ein großes Portal auf jeder Seite ja wohl schicklicher wäre, und eben die Dienste tun würde. Denn daß durch die mehreren kleinen Eingänge ein jeder, der in den Palast gerufen würde, auf dem kürzesten und unfehlbarsten Wege, gerade dahin gelangen solle, wo man seiner bedürfe, wollte den wenigsten zu Sinne.
Und so entstand unter den vermeinten Kennern mancherlei Streit, den gemeiniglich diejenigen am hitzigsten führten, die von dem Innern des Palastes viel zu sehen, die wenigste Gelegenheit gehabt hatten.
Auch war da etwas, wovon man bei dem ersten Anblicke geglaubt hätte, daß es den Streit notwendig sehr leicht und kurz machen müsse; was ihn aber gerade am meisten verwickelte, was ihm gerade zur hartnäckigsten Fortsetzung die reichste Nahrung verschaffte. Man glaubte nämlich verschiedne alte Grundrisse zu haben, die sich von den ersten Baumeistern des Palastes herschreiben sollten: und diese Grundrisse fanden sich mit Worten und Zeichen bemerkt, deren Sprache und Charakteristik so gut als verloren war.
Ein jeder erklärte sich daher diese Worte und Zeichen nach eignem Gefallen. Ein jeder setzte sich daher aus diesen alten Grundrissen einen beliebigen Neuen zusammen; für welchen Neuen nicht selten dieser und jener sich so hinreißen ließ, daß er nicht allein selbst darauf schwor, sondern auch andere darauf zu schwören, bald beredte, bald zwang.
Nur wenige sagten: »was gehen uns eure Grundrisse an? Dieser oder ein andrer: sie sind uns alle gleich. Genug, daß wir jeden Augenblick erfahren, daß die gütigste Weisheit den ganzen Palast erfüllet, und daß sich aus ihm nichts als Schönheit und Ordnung und Wohlstand auf das ganze Land verbreitet.«
Sie kamen oft schlecht an, diese Wenigen! Denn wenn sie lachenden Muts manchmal einen von den besondern Grundrissen ein wenig näher beleuchteten, so wurden sie von denen, welche auf diesen Grundriß geschworen hatten, für Mordbrenner des Palastes selbst ausgeschrien.
Aber sie kehrten sich daran nicht, und wurden gerade dadurch am geschicktesten, denjenigen zugesellet zu werden, die innerhalb des Palastes arbeiteten, und weder Zeit noch Lust hatten, sich in Streitigkeiten zu mengen, die für sie keine waren.
Einsmals, als der Streit über die Grundrisse nicht sowohl beigelegt, als eingeschlummert war, – einsmals um Mitternacht erscholl plötzlich die Stimme der Wächter: Feuer! Feuer in dem Palaste!
Und was geschah? Da fuhr jeder von seinem Lager auf; und jeder, als wäre das Feuer nicht in dem Palaste, sondern in seinem eignen Hause, lief nach dem Kostbarsten, was er zu haben glaubte, – nach seinem Grundrisse. »Laßt uns den nur retten! dachte jeder. Der Palast kann dort nicht eigentlicher verbrennen, als er hier stehet!«
Und so lief ein jeder mit seinem Grundrisse auf die Straße, wo, anstatt dem Palaste zu Hülfe zu eilen, einer dem andern es vorher in seinem Grundrisse zeigen wollte, wo der Palast vermutlich brenne. »Sieh, Nachbar! hier brennt er! Hier ist dem Feuer am besten beizukommen. – Oder hier vielmehr, Nachbar; hier! – Wo denkt ihr beide hin? Er brennt hier! – Was hätt es für Not, wenn er da brennte? Aber er brennt gewiß hier! – Lösch ihn hier, wer da will. Ich lösch ihn hier nicht. – Und ich hier nicht! – Und ich hier nicht! –
Über diese geschäftigen Zänker hätte er denn auch wirklich abbrennen können, der Palast; wenn er gebrannt hätte. – Aber die erschrocknen Wächter hatten ein Nordlicht für eine Feuersbrunst gehalten.
Die Bitte
Ein andres ist ein Pastor: ein andres ein Bibliothekar. So verschieden klingen ihre Benennungen nicht: als verschieden ihre Pflichten und Obliegenheiten sind.
Überhaupt denke ich, der Pastor und Bibliothekar verhalten sich gegen einander, wie der Schäfer und der Kräuterkenner.
Der Kräuterkenner durchirret Berg und Tal, durchspähet Wald und Wiese, um ein Kräutchen aufzufinden, dem Linneus noch keinen Namen gegeben hat. Wie herzlich freuet er sich, wenn er eines findet! Wie unbekümmert ist er, ob dieses neue Kräutchen giftig ist, oder nicht! Er denkt, wenn Gifte auch nicht nützlich sind – (und wer sagt es denn, daß sie nicht nützlich wären?) – so ist es doch nützlich, daß die Gifte bekannt sind.
Aber der Schäfer kennt nur die Kräuter seiner Flur; und schätzt und pflegt nur diejenigen Kräuter, die seinen Schafen die angenehmsten und zuträglichsten sind.
So auch wir, ehrwürdiger Mann! – Ich bin Aufseher von Bücherschätzen; und möchte nicht gern der Hund sein, der das Heu bewacht: ob ich schon freilich auch nicht der Stallknecht sein mag, der jedem hungrigen Pferde das Heu in die Raufe trägt. Wenn ich nun unter den mir anvertrauten Schätzen etwas finde, von dem ich glaube, daß es nicht bekannt ist: so zeige ich es an. Vors erste in unsern Katalogen; und dann nach und nach, so wie ich lerne, daß es diese oder jene Lücke füllen, dieses oder jenes berichtigen hilft, auch öffentlich: und ich bin ganz gleichgültig dabei, ob es dieser für wichtig, oder jener für unwichtig erkläret, ob es dem einen frommet, oder dem andern schadet. Nützlich und verderblich, sind eben so relative Begriffe, als groß und klein.
Sie hingegen, ehrwürdiger Mann, würdigen alle literarische Schätze nur nach dem Einflusse, den sie auf Ihre Gemeinde haben können, und wollen lieber zu besorglich als zu fahrlässig sein. Was geht es Sie an, ob etwas bekannt, oder nicht bekannt ist? wenn es nur Einen auch von den Kleinsten ärgern könnte, die Ihrer geistlichen Aufsicht anvertrauet sind.
Recht gut! Ich lobe Sie darum, Ehrwürdiger Mann. Aber weil ich Sie lobe, daß Sie Ihre Pflicht tun: so schelten Sie mich nicht, daß ich die meinige tue; – oder, welches einerlei ist, zu tun glaube.
Sie würden vor Ihrer Todesstunde zittern, wenn Sie an der Bekanntmachung der bewußten Fragmente den geringsten Anteil hätten. – Ich werde vielleicht in meiner Todesstunde zittern; aber vor meiner Todesstunde werde ich nie zittern. Am allerwenigsten deswegen, daß ich getan habe, was verständige Christen itzt wünschen, daß es die alten Bibliothekare zu Alexandria, zu Cäsarea, zu Constantinopel, mit den Schriften des Celsus, des Fronto, des Porphyrius, wenn sie es hätten tun können, möchten getan haben. Um die Schriften des letztern, sagt ein Mann, der sich auf solche Dinge verstehet, gäbe itzt mancher Freund der Religion gern einen frommen Kirchenvater hin.
Und ich hoffe ja nicht, Ehrwürdiger Mann, daß Sie sagen werden: »jene alten Feinde der Religion hätten es allerdings verdient, daß ihre Schriften sorgfältiger wären aufbehalten worden. Aber wozu der Neuern ihre aufbewahren, die nach siebzehnhundert Jahren doch nichts Neues sagen könnten?«
Wer weiß das, ohne sie gehört zu haben? Wer von unsern Nachkommen glaubt das, ohne es zu sehen? Dazu bin ich der festen Meinung, daß Welt und Christentum noch so lange stehen werden, daß in Betracht der Religion die Schriftsteller der ersten zwei Tausend Jahre nach Christi Geburt, der Welt eben so wichtig sein werden, als uns itzt die Schriftsteller der ersten zwei Hundert Jahre sind.
Das Christentum geht seinen ewigen allmähligen Schritt: und Verfinsterungen bringen die Planeten aus ihrer Bahn nicht. Aber die Sekten des Christentums sind die Phases desselben, die sich nicht anders erhalten können, als durch Stockung der ganzen Natur, wenn Sonn und Planet und Betrachter auf dem nämlichen Punkte verharren. Gott bewahre uns vor dieser schrecklichen Stockung!
Also, ehrwürdiger Mann: mißbilligen Sie es wenigstens weniger hart, daß ich ehrlich genug gewesen, eben sowohl sehr unchristliche Fragmente, als eine sehr christliche Schrift des Berengarius, von ihrem Untergange zu retten, und an das Licht zu bringen.
Doch das ist die Bitte noch nicht, ehrwürdiger Mann, die ich Ihnen zu tun habe. Ich bitte von gewissen Leuten nichts, was ich nicht allenfalls auch Recht hätte, von ihnen zu fodern. Und mit dieser Bitte allerdings können Sie es halten, wie Sie wollen.
Sondern meine eigentliche Bitte ist der Art, daß Sie die Gewährung derselben mir nicht wohl verweigern können. Sie haben mir Unrecht getan; und einem ehrlichen Manne ist nichts angelegner, als Unrecht, welches er nicht tun wollen, und doch getan, wieder gut zu machen.
Es besteht aber dieses mir zugefügte Unrecht darin, daß Sie eine von mir geschriebene Stelle ganz wider ihren Zusammenhang zu kommentieren, das Unglück gehabt. Ihr Kopf war eben wärmer, als helle. Ich erkläre mich an einem Gleichnisse.
Wenn ein Fuhrmann, der in einem grundlosen Wege mit seinem schwerbeladenen Wagen festgefahren, nach mancherlei vergeblichen Versuchen, sich los zu arbeiten, endlich sagt, wenn alle Stränge reißen, so muß ich abladen: wäre es billig, aus dieser seiner Rede zu schließen, daß er gern abladen wollen, daß er mit Fleiß die schwächsten mürbesten Stränge vorgebunden, um mit guter Art abladen zu dürfen? Wäre der Betrachter nicht ungerecht, der aus diesem Grunde die Vergütung alles Schadens, selbst alles innern von außen unmerklichen Schadens, an welchem eben sowohl der Einpacker Schuld könnte gehabt haben, von dem Fuhrmanne verlangen wollte?
Dieser Fuhrmann bin ich: dieser Befrachter sind Sie, ehrwürdiger Mann. Ich habe gesagt, wenn man auch nicht im Stande sein sollte, alle die Einwürfe zu heben, welche die Vernunft gegen die Bibel zu machen, so geschäftig ist: so bliebe dennoch die Religion in den Herzen derjenigen Christen unverrückt und unverkümmert, welche ein inneres Gefühl von den wesentlichen Wahrheiten derselben erlangt haben. Dieses zu unterstützen, schrieb ich die Stelle nieder, die eine so unmilde Ausdehnung von Ihnen erdulden müssen. Ich soll und muß gesagt haben, daß auf die Einwürfe gegen die Bibel sich schlechterdings nichts antworten lasse; daß es nur umsonst sei, darauf antworten zu wollen. Ich soll und muß die letzte unfehlbare Zuflucht des Christen dem Theologen, je eher je lieber zu nehmen, angeraten haben; damit ein schwacher, aber großsprecherischer Feind desto eher das Feld behaupten könne.
Das ist nicht die wahre Vorstellung meiner Gedanken, ehrwürdiger Mann. Gleichwohl kann es bei Ihnen auch nicht Vorsatz gewesen sein, eine so falsche Vorstellung meiner Gedanken zu machen. Sie waren, in Zuversicht auf Ihre gute Sache, die Sie auch von mir angegriffen zu sein vermeinten, zu hastig: Sie übereilten sich.
Ehrwürdiger Mann, die sich am leichtesten übereilen, sind nicht die schlechtesten Menschen. Denn sie sind größten Teils eben so fertig, ihre Übereilung zu bekennen; und eingestandene Übereilung ist oft lehrreicher, als kalte überdachte Unfehlbarkeit.
Sonach erwarte ich denn auch von Ihnen, ehrwürdiger Mann, daß Sie, in einem der nächsten Stücke Ihrer freiwilligen Beiträge, eine so gut als freiwillige Erklärung zu tun, nicht ermangeln werden; des Inhalts: daß allerdings noch ein gewisser Gesichtspunkt übrig sei, in welchem meine von Ihnen angegriffene Stelle sehr unschuldig erscheine; daß Sie diesen Gesichtspunkt übersehen; daß Sie weiter keine Ursache haben, diesen übersehenen Gesichtspunkt, nachdem Sie von mir darauf geführet worden, nicht für den zu halten, auf welchen ich hier gearbeitet.
Nur eine solche Erklärung kann dem Verdachte Einhalt tun, den Sie, ehrwürdiger Mann, über meine Absichten verbreiten zu wollen scheinen. Nur nach einer solchen Erklärung darf ich auf das wieder begierig sein, was Ihnen ferner gegen mich zu erinnern, gefallen möchte. Ohne eine solche Erklärung aber, ehrwürdiger Mann, muß ich Sie schreiben lassen, – so wie ich Sie predigen lasse.
Das Absagungsschreiben
Mein Herr Pastor,
Mit vorstehenden friedlichen Blättern glaubte ich von Ihnen abzukommen; und schon freute ich mich in Gedanken auf den freiwilligen Beitrag, in welchem Ihre heilige Faust das christliche Banier wieder über mich schwenken würde.
Indes aber entweder mich die Presse, oder ich die Presse nicht genugsam fördern konnte, erhalte ich das 61 – 63ste Stück besagter Beiträge, – und bin wie vernichtet!
Das hat der nämliche Mann geschrieben? Wie soll die Nachwelt, auf welche die freiwilligen Beiträge doch ganz gewiß kommen werden, einen so plötzlichen Sprung von Weiß auf Schwarz sich erklären? – »Goeze, wird die Nachwelt sagen, Goeze wäre der Mann gewesen, der in Einem Atem gegen einen und eben denselben Schriftsteller sauersüße Komplimente zwischen den Zähnen murmeln, und aus vollem Halse laute Verleumdungen ausstoßen können? Er hätte zugleich die Katze und den Eber gespielt? Die Katze, die um den heißen Brei gehet; und den Eber, der blind auf den Spieß rennet? Das ist unglaublich! In dem 55sten Stücke ist sein Eifer noch so gemäßiget, noch so ganz anonymisch; er nennet weder Sack noch Esel, auf die sein Stecken zuschlägt: und auf einmal im 61sten Stücke ist Lessing namentlich hinten und vorne; muß Lessing namentlich geknippen werden, so oft er den Krampf in seine orthodoxen Finger bekömmt? Dort will er das Wasser kaum regen: und hier, Plumps! Das ist unbegreiflich! Notwendig müssen also zwischen dem 55sten und 61sten Stücke dieser kostbaren Blätter, wie wir sie itzt haben, alle diejenigen verloren gegangen sein, die uns dieses Plumps! erklären würden.«
So wird die Nachwelt sagen, Herr Pastor. Doch was kümmert Uns die Nachwelt, Herr Pastor, die vielleicht auch so nicht sagen wird? Genug, Sie wissen selbst am besten, wie sehr sich die Nachwelt irren würde; und ich berühre diese Saite bloß, um es bei der itztlebenden Welt, – versteht sich, der Welt, die wir Beide füllen – zu entschuldigen, Falls auch mein Ton, den ich mir künftig mit dem Hrn. Pastor Goeze erlauben dürfte, ihr von dem allzuviel abzuweichen scheinen sollte, den ich noch bisher anzugeben, für schicklicher gehalten.
Denn wahrlich, Herr Pastor, der zudringlichen Griffe, mit welchen Sie an mich setzen, werden allmählig zu viel! Erwarten Sie nicht, daß ich sie Ihnen alle vorrechne: es würde Sie kitzeln, wenn Sie sähen, daß ich alle gefühlt habe. Ich will Ihnen nur sagen, was daraus kommen wird.
Ich will schlechterdings von Ihnen nicht als der Mann verschrien werden, der es mit der Lutherischen Kirche weniger gut meinet, als Sie. Denn ich bin mir bewußt, daß ich es weit besser mit ihr meine, als der, welcher uns jede zärtliche Empfindung für sein einträgliches Pastorat, oder dergleichen, lieber für heiligen Eifer um die Sache Gottes einschwatzen möchte.
Sie, Herr Pastor, Sie hätten den allergeringsten Funken Lutherischen Geistes? – Sie? der Sie auch nicht einmal Luthers Schulsystem zu übersehen im Stande sind? – Sie? der Sie, mit stillschweigendem Beifall, von ungewaschenen, auch wohl treulosen Händen die Seite des Lutherischen Gebäudes, die ein wenig gesunken war, weit über den Wasserpaß hinaus schrauben lassen? – Sie? der Sie den ehrlichen Mann, der freilich ungebeten, aber doch aufrichtig, den Männern bei der Schraube zuruft: schraubt dort nicht weiter! damit das Gebäude nicht hier stürze! – der Sie diesen ehrlichen Mann mit Steinen verfolgen?
Und warum? – Weil dieser ehrliche Mann zugleich den schriftlich gegebenen Rat eines ungenannten Baumeisters, das Gebäude lieber ganz abzutragen, – gebilliget? unterstützt? ausführen wollen? auszuführen angefangen? – Nicht doch! – nur nicht unterschlagen zu dürfen, geglaubt.
O sancta simplicitas! – Aber noch bin ich nicht da, Herr Pastor, wo der gute Mann, der dieses ausrief, nur noch dieses ausrufen konnte. – Erst soll uns hören, erst soll über uns urteilen, wer hören und urteilen kann und will!
O daß Er es könnte, Er, den ich am liebsten zu meinem Richter haben möchte! – Luther, du! – Großer, verkannter Mann! Und von niemanden mehr verkannt, als von den kurzsichtigen Starrköpfen, die, deine Pantoffeln in der Hand, den von dir gebahnten Weg, schreiend aber gleichgültig daher schlendern! – Du hast uns von dem Joche der Tradition erlöset: wer erlöset uns von dem unerträglichern Joche des Buchstabens! Wer bringt uns endlich ein Christentum, wie du es itzt lehren würdest; wie es Christus selbst lehren würde! Wer – –
Aber ich vergesse mich; und würde noch mehr Sie vergessen, Herr Pastor, wenn ich, auf eine dergleichen Äußerung, Ihnen vertraulich zuspräche: »Herr Pastor, bis dahin, was weder Sie noch ich erleben werden; bis dahin, was aber gewiß kömmt, gewiß! gewiß! – wäre es nicht besser, unsers Gleichen schwiegen? unsers Gleichen verhielten sich nur ganz leidend? Was einer von Uns zurück halten will, möchte der andere übereilen: so daß der eine mehr die Absichten des andern beförderte, als seine eignen. Wie wäre es, Herr Pastor, wenn wir den Strauß, den ich noch mit Ihnen auszufechten habe, den ersten und letzten sein ließen? Ich bin bereit, kein Wort weiter mit Ihnen zu verlieren, als was ich schon verloren habe.«
Denn nein; das werden Sie nicht wollen. Goeze hat noch keinem seiner Gegner das letzte Wort gelassen; ob er sich gleich immer das erste genommen. Er wird, was ich zu meiner Verteidigung sagen müssen, als Angriff betrachten. Denn der Tummelplatz des seligen Ziegra muß ihm nicht vergebens nun ganz angestorben sein.
Ich beklage: denn sehen Sie, Herr Pastor, es wird mir unmöglich sein, nicht gegen Ihren Stachel zu läcken, und die Furchen, fürchte ich, die Sie auf dem Acker Gottes mich und mit aller Gewalt wollen ziehen lassen, werden immer krümmer und krümmer werden.
Nicht zwar, daß ich Ihnen jede hämische Anspielung; jeden, wenn Gott will, giftigen Biß; jeden komischen Ausbruch Ihres tragischen Mitleids; jeden knirschenden Seufzer, der es beseufzet, nur ein Seufzer zu sein; jede pflichtschuldige Pastoralverhetzung der weltlichen Obrigkeit, womit Sie gegen mich von nun an Ihre freiwilligen Beiträge spicken und würzen werden, aufmutzen, oder, wenn ich auch könnte, verwehren wollte. So unbillig bin ich nicht, daß ich von Einem Vogel in der Welt eine einzige andere Feder verlangen sollte, als er hat. Auch haben dieserlei Pharmaka ihren Credit längst verloren.
Sondern nur eines werde ich nicht aushalten können: Ihren Stolz nicht; der einem Jeden Vernunft und Gelehrsamkeit abspricht, welcher Vernunft und Gelehrsamkeit anders braucht, als Sie. Besonders wird alle meine Galle rege werden, wenn Sie meinen Ungenannten, den Sie nur noch aus unzusammenhängenden Bruchstücken kennen, so schülerhaft und bubenmäßig zu behandeln fortfahren. Denn Mann gegen Mann, – nicht Sache gegen Sache – zu schätzen: so war dieser Ungenannte des Gewichts, daß in aller Art von Gelehrsamkeit, sieben Goeze nicht ein Siebenteil von ihm aufzuwägen vermögend sind. Das glauben Sie mir indes, Herr Pastor, auf mein Wort.
Und sonach meine Ritterliche Absage nur kurz. Schreiben Sie, Herr Pastor, und lassen Sie schreiben, so viel das Zeug halten will: ich schreibe auch. Wenn ich Ihnen in dem geringsten Dinge, was mich oder meinen Ungenannten angeht, Recht lasse, wo Sie nicht Recht haben: dann kann ich die Feder nicht mehr rühren.