Dritter Teil
1759
IV. Den 26. Julius
1759
Acht und vierzigster Brief
Sie sollen befriediget werden! – Die großen Lobsprüche, welche der »Nordische Aufseher« in so manchen öffentlichen Blättern erhalten hat, haben auch meine Neugierde gereizet. Ich habe ihn gelesen; ob ich mir es gleich sonst fast zum Gesetze gemacht habe, unsere wöchentliche Moralisten ungelesen zu lassen.
Kopenhagen hat bereits an dem »Fremden« (einem Werke des sel. Hrn. Prof. Schlegels) eine dergleichen Schrift von sehr vorzüglichem Werte aufzuweisen. Und nun kann es leicht kommen, daß der »Nordische Aufseher« ein allgemeines Vorurteil für die deutschen Werke des Witzes, welche in Dänemark erscheinen, veranlassen hilft. Und würde dieses Vorurteil auch so ganz ohne Grund sein? – Wenn unsere besten Köpfe, ihr Glück nur einigermaßen zu machen, sich expatriieren müssen; wenn –
O ich will hiervon abbrechen, ehe ich recht anfange; ich möchte sonst alles darüber vergessen; Sie möchten, anstatt eines Urteils über eine schöne Schrift, Satyre über unsere Nation, und Spott über die elende Denkungsart unserer Großen zu lesen bekommen. Und was würde es helfen? –
Der »Nordische Aufseher« hat mit dem fünften Jenner des Jahres 1758 angefangen, und hat sich in der Fortsetzung weder an einen gewissen Tag noch an eine gewisse Länge der einzeln Stücke gebunden. Diese Freiheit hätten sich billig alle seine Vorgänger erlauben sollen. Sie würden dadurch nicht nur für ihre Blätter einen gewissen gefallenden Anschein der Ungezwungenheit, sondern auch viel wesentlichere Vorteile erhalten haben. Sie würden ihre Materien nicht so oft haben bald ausdehnen, bald zusammenziehen, bald trennen dürfen; sie hätten sich gewisser Umstände der Zeit zu gelegentlichen Betrachtungen besser bedienen können; sie hätten bald hitziger, bald bequemlicher arbeiten können etc.
Das ganze 1758ste Jahr bestehet aus sechzig Stücken, die einen ansehnlichen Band in klein Quart ausmachen. Der Herr Hofprediger Cramer hat sich auf dem Titel als Herausgeber genennt.(80) Wie viel Anteil er aber sonst daran habe; ob er der einzige, oder der vornehmste Verfasser sei; wer seine Mitarbeiter sind: davon sucht der Leser vergebens einige nähere Nachricht. Er muß versuchen, wie viel er davon aus dem Stil und der Art zu denken, erraten kann.
Doch die wahren Verfasser itzt aus den Gedanken zu lassen, so gibt der »Nordische Aufseher« vor, daß er ein Sohn des Nestor Ironside sei, der ehemals das Amt eines Aufsehers der Sitten von Großbritannien übernahm, und mit allgemeinem Beifalle verwaltete. Er heiße Arthur Ironside; seine Mutter sei die Witwe eines deutschen Negozianten gewesen, die seinen Vater noch in seinem funfzigsten Jahre gegen die Liebe empfindlich gemacht habe; und vielleicht habe dieser nur deswegen von ihm geschwiegen, um sich nicht, dieser späten Liebe wegen, dem mutwilligen Witze der Spötter auszusetzen. Ein besondres Schicksal habe ihn genötiget sein Vaterland zu verlassen, und er betrachte nun Dänemark als sein zweites Vaterland, welchem er ohnedem, von seinen väterlichen Vorfahren her, eben so nahe als jenem angehöre; indem diese ursprünglich aus einem nordischen Geschlechte abstammten, welches mit dem Könige Knut nach England gekommen sei, und durch seine Tapferkeit nicht wenig zu den Eroberungen desselben beigetragen habe. – Hierauf beschreibt er, mit den eignen Worten seines Vaters, die Pflichten eines moralischen Aufsehers und sagt: »Da ich schon in einem Alter bin? wo ich die Einsamkeit eines unbekannten und ruhigen Privatlebens nicht verlassen und in Geschäften gebraucht zu werden suchen kann, ohne mich dem Verdachte auszusetzen, daß ich mehr von einem meinen Jahren unanständigen Ehrgeize, als von einer uneigennützigen Begierde, meine Kräfte dem allgemeinen Besten aufzuopfern, getrieben würde: So habe ich mich entschlossen, für mein zweites Vaterland zu tun, was mein Vater für England getan hat.«
Auf zwei Punkte verspricht er dabei seinen Fleiß besonders zu wenden; auf die Erziehung der Jugend nämlich, und auf die Leitung derjenigen, welche sich mit Lesung guter Schriften und mit den Wissenschaften abgeben, ohne eigentlich ein Geschäfte aus ihrer Erlernung zu machen. Und er hat auch in der Tat, in Absicht auf beides, in diesem ersten Bande bereits schon vieles geleistet. – Seine feinsten Anmerkungen über die beste Art der Erziehung, hat er in die Geschichte seiner eignen Erziehung gebracht,(81) welche mehr als ein Stück einnimmt; in welcher aber vielleicht nicht alle Leser die ekeln Umschweife billigen möchten, mit welchen ihm sein Vater die ersten Gründe der Moral und geoffenbarten Religion beigebracht hat. Er erzählt z.E.(82) als ihn sein Vater mit den Lehren der Notwendigkeit und dem Dasein eines Erlösers der Menschen und einer Genugtuung für sie, bekannt machen wollen: so habe er auch hier der Regel, von dem Leichten und Begreiflichen zu dem Schwerern fortzugehen, zu folgen gesucht, und sei einzig darauf bedacht gewesen, ihn Jesum erst bloß als einen frommen und ganz heiligen Mann, als einen zärtlichen Kinderfreund, lieben zu lehren. Allein ich fürchte sehr, daß strenge Verehrer der Religion mit der gewaltsamen Ausdehnung dieser Regel nicht zufrieden sein werden. Oder sie werden vielmehr nicht einmal zugeben, daß diese Regel hier beobachtet worden. Denn wenn diese Regel sagt, daß man in der Unterweisung von dem Leichten auf das Schwerere fortgehen müsse, so ist dieses Leichtere nicht für eine Verstümmlung, für eine Entkräftung der schweren Wahrheit, für eine solche Herabsetzung derselben anzusehen, daß sie das, was sie eigentlich sein sollte, gar nicht mehr bleibt. Und darauf muß Nestor Ironside nicht gedacht haben, wenn er es, nur ein Jahr lang, dabei hat können bewenden lassen, den göttlichen Erlöser seinem Sohne bloß als einen Mann vorzustellen, den Gott »zur Belohnung seiner unschuldigen Jugend, in seinem dreißigsten Jahre mit einer so großen Weisheit, als noch niemals einem Menschen gegeben worden, ausgerüstet, zum Lehrer aller Menschen verordnet, und zugleich mit der Kraft begabt habe, solche herrliche und außerordentliche Taten zu tun, als sonst niemand außer ihm verrichten können.« – Heißt das den geheimnisvollen Begriff eines ewigen Erlösers erleichtern? Es heißt ihn aufheben; es heißt einen ganz andern an dessen Statt setzen; es heißt, mit einem Worte, sein Kind so lange zum Socinianer machen, bis es die orthodoxe Lehre fassen kann. Und wenn kann es die fassen? In welchem Alter werden wir geschickter, dieses Geheimnis einzusehen, als wir es in unsrer Kindheit sind? Und da es einmal ein Geheimnis ist, ist es nicht billiger, es gleich ganz der bereitwilligen Kindheit einzuflößen, als die Zeit der sich sträubenden Vernunft damit zu erwarten? – Diese Anmerkung im Vorbeigehen!
Was der »Nordische Aufseher« zum Besten der unstudierten Liebhaber guter Schriften getan hat, beläuft sich ohngefähr auf sechs oder sieben neuere Autores, aus welchen er, nach einer kurzen Beurteilung, besonders merkwürdige und lehrreiche Stellen beibringt. So preiset er z.E. in dem vierten und siebenden Stücke die Werke des Kanzlers Daguesseau an, und zwar mit diesem Zusatze: »Ich kann nicht schließen, ohne zur Ehre dieser Werke und zur Ehre fremder Sprachen zu wünschen, daß sie mit allen andern vortrefflichen Arbeiten des menschlichen Verstandes einem jeden Übersetzer unbekannt bleiben mögen, der nur mit der Hand und nicht mit dem Kopfe; der, mit einem Worte alles zu sagen, nicht wie Ramler und Ebert unter den Deutschen, und nicht wie Lodde unter uns übersetzt.« – In dem dreizehnten Stücke redet er von Youngs Nachtgedanken und Centaur. Was meinen Sie aber, ist es nicht ein wenig übertrieben, wenn er von diesem Dichter sagt? »Er ist ein Genie, das nicht allein weit über einen Milton erhoben ist, sondern auch unter den Menschen am nächsten an den Geist Davids und der Propheten grenzet etc. Nach der Offenbarung, setzt er hinzu, kenne ich fast kein Buch, welches ich mehr liebte; kein Buch, welches die Kräfte meiner Seele auf eine edlere Art beschäftigt, als seine Nachtgedanken.« – Die übrigen Schriftsteller, mit welchen er seine Leser unterhält, sind des Bischofs Buttlers(83) Analogie der natürlichen und geoffenbarten Religion; Heinrich Beaumonts(84) moralische Schriften; des Hrn. Basedow(85) praktische Philosophie für alle Stände; des Marquis von Mirabeau(86) Freund des Menschen; und ein sehr wohl geratenes Gedicht eines Dänischen Dichters, des Hrn. Tullin.(87)
Dieses letzte Gedicht führet den Titel: »Ein Maitag«. Es ist, sagt der Aufseher, zwar nur durch eine von den gewöhnlichen Gelegenheiten veranlaßt worden, die von unsern meisten Dichtern besungen zu werden pflegen; es hat aber doch so viel wahre poetische Schönheiten, daß es eine vorzügliche Aufmerksamkeit verdienet. Erfindung, Anlage, Einrichtung und Ausführung verraten einen von der Natur begünstigten Geist, der noch mehr erwarten läßt. – Dieses Urteil ist keine Schmeichelei; denn die Strophen welche er im Originale und in einer Übersetzung daraus anführt, sind so vortrefflich, daß ich nicht weiß, ob wir Deutsche jemals ein solches Hochzeitgedicht gehabt haben. Schließen Sie einmal von dieser einzigen Stelle auf das Übrige:
»Unerschaffener Schöpfer, gnädig, weise, dessen Liebe unumschränkt ist. der du für jeden Sinn, damit man Dich erkennen möge, ein Paradies erschaffen hast, Du bist alles und alles in Dir überall sieht man deinen Fußtapfen – –
Du machst den Sommer, den Winter den Herbst zu Predigern deiner Macht und Ehre. Aber der Frühling – was soll dieser sein? O Erschaffer, er ist ganz Ruhm. Er redet zu den tauben ungläubigen Haufen mit tausend Zungen. – –
Er ist unter allen am meisten Dir gleich, er erschaffet, er bildet er belebt, er erhält, er nähret, er gibt Kraft und Stärke; er ist – er ist beinahe Du selbst. Wie wenig wissen von dieser Freude die, welche in dem Dunste und Staube verschloßner Mauern, wenn die ganze Natur ruft Komm! unter schweren Gedanken furchtsam lauren. etc.«
G.
V. Den 2. August 1759
Neun und vierzigster Brief
Sie billigen die Anmerkung, die ich über die Methode des Nestor Ironside, seinen Sohn den Erlöser kennen zu lehren, gemacht habe; und wundern sich, wie der Aufseher eine so heterodoxe Lehrart zur Nachahmung habe anpreisen können. Aber wissen Sie denn nicht, daß itzt ein guter Christ ganz etwas anders zu sein anfängt, als er noch vor dreißig, funfzig Jahren war? Die Orthodoxie ist ein Gespötte worden; man begnügt sich mit einer lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christentume gezogen hat, und weichet allem Verdachte der Freidenkerei aus, wenn man von der Religion überhaupt nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß. Behaupten Sie z.E. daß man ohne Religion kein rechtschaffner Mann sein könne; und man wird Sie von allen Glaubensartikeln denken und reden lassen, wie Sie immer wollen. Haben Sie vollends die Klugheit, sich gar nicht darüber auszulassen; alle sie betreffende Streitigkeit mit einer frommen Bescheidenheit abzulehnen: oh so sind Sie vollends ein Christ, ein Gottesgelehrter, so völlig ohne Tadel, als ihn die feinere religiöse Welt nur immer verlangen wird.
Auch der »Nordische Aufseher« hat ein ganzes Stück(88) dazu angewandt, sich diese Miene der neumodischen Rechtgläubigkeit zu geben. Er behauptet mit einem entscheidenden Tone, daß Rechtschaffenheit ohne Religion widersprechende Begriffe sind; und beweiset es durch- – durch weiter nichts, als seinen entscheidenden Ton. Er sagt zwar mehr als einmal denn; aber sehen Sie selbst wie bündig sein denn ist. »Denn, sagt er, ein Mann, welcher sich mit Frömmigkeit brüstet, ohne ehrlich und gerecht gegen uns zu handeln, verdienet mit dem Namen eines Heuchlers an seiner Stirne gezeichnet zu werden; und ein Mensch, welcher sich rühmet, daß er keine Pflicht der Rechtschaffenheit vernachlässige, ob er sich gleich von demjenigen befreiet achtet, was man unter dem Namen der Frömmigkeit begreift, ist – – ein Lügner muß ich sagen, wenn ich nicht strenge sondern nur gerecht urteilen will; weil er selbst gestehet, kein rechtschaffner Mann gegen Gott zu sein. Ist alle Rechtschaffenheit eine getreue und sorgfältige Übereinstimmung seiner Taten mit seinen Verhältnissen gegen andere, und wird eine solche Übereinstimmung für notwendig und schön erklärt: so kann sie nicht weniger notwendig und rühmlich gegen Gott sein, oder man müßte leugnen, daß der Mensch gegen das Wesen der Wesen in wichtigen Verhältnissen stünde.« – – Was kann deutlicher in die Augen leuchten, als daß das Wort Religion in dem Satze ganz etwas anders bedeutet, als er es in dem Beweise bedeuten läßt. In dem Satze heißt ein Mann ohne Religion, ein Mann, der sich von der geoffenbarten Religion nicht überzeugen kann; der kein Christ ist: in dem Beweise aber, ein Mann, der von gar keiner Religion wissen will. Dort ein Mann, der bei den Verhältnissen, die ihm die Vernunft zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe zeiget, stehen bleibt: Hier ein Mann, der durchaus gar keine solche Verhältnisse annehmen will. Diese Verwirrung ist unwidersprechlich; und man muß sehr blödsinnig sein, wenn man sich kann bereden lassen, daß das, was von dem einem dieser Personen wahr sei, auch von dem andern gelten müsse. Und können Sie glauben, daß der Aufseher diesen Fechterstreich noch weiter treibet? Aus folgender Schilderung, die er von einem Manne ohne Religion macht, ist es klar. »Polidor, höre ich zuweilen sagen, ist zu betauern, daß er kein Christ ist. Er denkt über die Religion bis zur Ausschweifung frei; sein Witz wird unerschöpflich, wenn er anfängt ihre Verteidiger lächerlich zu machen; aber er ist ein ehrlicher Mann; er handelt rechtschaffen; man wird ihm keine einzige Ungerechtigkeit vorwerfen können etc.« – Aber mit Erlaubnis; diesem Polidor fehlt es nicht bloß an Religion: er ist ein Narr, dem es an gesunder Vernunft fehlt; und von diesem will ich es selbst gern glauben, daß alle seine Tugenden, Tugenden des Temperaments sind. Denn muß er deswegen, weil er sich von einer geoffenbarten Religion nicht überzeugen kann, muß er deswegen darüber spotten? Muß er ihre Verteidiger deswegen lächerlich machen? – Welche Gradation: ein Mann der von keiner geoffenbarten Religion überzeugt ist; ein Mann der gar keine Religion zugibt; ein Mann, der über alle Religion spottet! Und ist es billig, alle diese Leute in eine Klasse zu werfen?
Das war also, gelinde zu urteilen, eine Sophisterei! Und nun betrachten Sie seinen zweiten Grund, wo er das Wort Rechtschaffenheit in einem engern Verstande nimmt, und es seinen Gegnern noch näher zu legen glaubt. »Allein, sagt er, wenn wir unter der Rechtschaffenheit auch nur die Pflichten der gesellschaftlichen Billigkeit und Gerechtigkeit verstehen wollten: So könnte doch vernünftiger Weise nicht vermutet werden, daß ein Mann ohne Religion ein rechtschaffner Mann sein würde. Eigennutz, Zorn, Eifersucht, Wollust, Rache und Stolz, sind Leidenschaften, deren Anfälle jeder Mensch empfindet, und wer weiß nicht, wie gewaltig diese Leidenschaften sind? Entsagt nun ein Mensch der Religion; entsagt er künftigen Belohnungen; entsagt er dem Wohlgefallen der Gottheit an seinen Handlungen, und ist seine Seele gegen die Schrecken ihrer Gerechtigkeit verhärtet: Was für eine Versichrung haben wir, daß er den strengen Gesetzen der Rechtschaffenheit gehorchen werde, wenn aufgebrachte mächtige Leidenschaften die Beleidigung derselben zu ihrer Befriedigung verlangen?« – Abermals die nämliche Sophisterei! Denn ist man denn schon ein Christ, (diesen versteht der Aufseher unter dem Manne von Religion) wenn man künftige Belohnungen, einen Wohlgefallen der Gottheit an unsern Handlungen, und eine ewige Gerechtigkeit glaubet? Ich meine, es gehöret noch mehr dazu. Und wer jenes leugnet, leugnet der bloß die geoffenbarte Religion? Aber dieses bei Seite gesetzt; sehen Sie nur, wie listig er die ganze Streitfrage zu verändern weiß. Er gibt es stillschweigend zu, daß ein Mann ohne Religion Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln, haben könne; und fragt nur, was für eine Versicherung haben wir, daß er auch, wenn ihn heftige Leidenschaften bestürmen, wirklich so handeln werde, wo er nicht auch das und das glaubt? In dieser Frage aber, liegt weiter nichts, als dieses: daß die geoffenbarte Religion, die Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln, vermehre. Und das ist wahr! Allein kömmt es denn bei unsern Handlungen, bloß auf die Vielheit der Bewegungsgründe an? Beruhet nicht weit mehr auf der Intension derselben? Kann nicht ein einziger Bewegungsgrund, dem ich lange und ernstlich nachgedacht habe, eben so viel ausrichten, als zwanzig Bewegungsgründe, deren jedem ich nur den zwanzigsten Teil von jenem Nachdenken geschenkt habe? Und wenn auch ein Mensch alles glaubet, was ihm die Offenbarung zu glauben befiehlt, kann man nicht noch immer fragen, was für eine Versichrung haben wir, daß ihn dennoch die Leidenschaften nicht verhindern werden, rechtschaffen zu handeln? Der Aufseher hat diese Frage vorausgesehen; denn er fährt fort: »Allein von einem Manne, der wirklich Religion hat, und entschlossen ist, die Verbindlichkeiten zu erfüllen etc.« Und entschlossen ist! Gut! Diese Entschlossenheit kann aber auch die bloßen Gründe der Vernunft, rechtschaffen zu handeln, begleiten.
Da ich zugegeben, daß die geoffenbarte Religion, unsere Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln, vermehre: so sehen Sie wohl, daß ich der Religion nichts vergeben will. Nur auch der Vernunft nichts! Die Religion hat weit höhere Absichten, als den rechtschaffnen Mann zu bilden. Sie setzt ihn voraus; und ihr Hauptzweck ist, den rechtschaffnen Mann zu höhern Einsichten zu erheben. Es ist wahr, diese höhern Einsichten, können neue Bewegungsgründe, rechtschaffen zu handeln werden, und werden es wirklich; aber folgt daraus, daß die andern Bewegungsgründe allezeit ohne Wirkung bleiben müssen? Daß es keine Redlichkeit gibt, als diese mit höhern Einsichten verbundene Redlichkeit?
Vermuten Sie übrigens ja nicht, daß der »Nordische Aufseher« diese Behauptung, »wer kein Christ sei, könne auch kein ehrlicher Mann sein,« mit unsern Gottesgelehrten überhaupt gemein habe. Unsere Gottesgelehrten haben diese unbillige Strenge nie geäußert. Selbst das, was sie von den Tugenden der Heiden sagen, kömmt ihr noch lange nicht bei. Sie leugnen nicht, daß dieser ihre Tugenden Tugenden sind; sie sagen bloß, daß ihnen die Eigenschaft fehle, welche sie allein Gott vorzüglich angenehm machen könne. Und will der Aufseher dieses auch nur sagen; will er bloß sagen, daß alle Rechtschaffenheit, deren ein natürlicher Mensch fähig ist, ohne Glauben vor Gott nichts gelte: warum sagt er es nicht mit deutlichen Worten; und warum enthält er sich des Worts Glaube, auf welches alles dabei ankömmt, so sorgfältig?
Es sind überhaupt alle seine theologischen Stücke von ganz sonderbarem Schlage. Von einem einzigen lassen Sie mich nur noch ein Paar Worte sagen. Von demjenigen(89) nämlich, in welchem der Verfasser bestimmen will, »welche von allen Arten, über das erste Wesen zu denken, die beste sei?« Er nimmt deren drei an. »Die erste, sagt er, ist eine kalte, metaphysische Art, die Gott beinahe nur als ein Objekt einer Wissenschaft ansieht, und eben so unbewegt über ihn philosophieret, als wenn sie die Begriffe der Zeit oder des Raums entwickelte. Eine von ihren besondern Unvollkommenheiten ist diese, daß sie in den Ketten irgend einer Methode einhergehet, welche ihr so lieb ist, daß sie jede freiere Erfindung einer über Gottes Größe entzückten Seele fast ohne Untersuchung verwirft etc. Und weil wir durch diese Art von Gott zu denken, beinahe unfähig werden, uns zu der höhern, von der ich zuletzt reden werde, zu erheben, so müssen wir auf unsrer Hut sein, uns nicht daran zu gewöhnen. – Die zweite Art, fährt er fort, will ich die mittlere, oder um noch kürzer sein zu können, Betrachtungen nennen. Die Betrachtungen verbinden eine freiere Ordnung mit gewissen ruhigen Empfindungen, und nur selten erheben sie sich zu einer Bewunderung Gottes. etc. – Die dritte endlich ist, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt (und wen denkt sie?) so erfüllt ist, daß alle ihre übrige Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in eine solche Bewegung gebracht sind, daß sie zugleich und zu einem Endzweck wirken; wenn alle Arten von Zweifeln und Unruhen über die unbegreiflichen Wege Gottes sich verlieren; wenn wir uns nicht enthalten können, unser Nachdenken durch irgend eine kurze Ausrufung der Anbetung zu unterbrechen; wenn, wofern wir drauf kämen, das, was wir denken, durch Worte auszudrücken, die Sprache zu wenige und schwache Worte dazu haben würde; wenn wir endlich mit der allertiefsten Unterwerfung eine Liebe verbinden, die mit völliger Zuversicht glaubt, daß wir Gott lieben können, und daß wir ihn lieben dürfen.«
Und diese letzte Art über Gott zu denken, wie Sie leicht erraten können, ist es, welche der Verfasser allen andern vorziehet. Aber was hat er uns damit neues gesagt? – Doch wirklich ist etwas neues darin. Dieses nämlich; daß er das denken nennt, was andere ehrliche Leute empfinden heißen. Seine dritte Art über Gott zu denken, ist ein Stand der Empfindung; mit welchem nichts als undeutliche Vorstellungen verbunden sind, die den Namen des Denkens nicht verdienen. Denn überlegen Sie nur, was bei einem solchen Stande in unserer Seele vorgeht, so werden Sie finden, daß diese Art über Gott zu denken, notwendig die schlechteste Art zu denken sein muß. Als diese ist sie von gar keinem Werte; als das aber, was sie wirklich ist, von einem desto größern. Bei der kalten Spekulation gehet die Seele von einem deutlichen Begriffe zu dem andern fort; alle Empfindung die damit verbunden ist, ist die Empfindung ihrer Mühe, ihrer Anstrengung; eine Empfindung, die ihr nur dadurch nicht ganz unangenehm ist, weil sie die Wirksamkeit ihrer Kräfte dabei fühlet. Die Spekulation ist also das Mittel gar nicht, aus dem Gegenstande selbst, Vergnügen zu schöpfen. Will ich dieses, so müssen alle deutliche Begriffe, die ich mir durch die Spekulation von den verschiedenen Teilen meines Gegenstandes gemacht habe, in eine gewisse Entfernung zurückweichen, in welcher sie deutlich zu sein aufhören, und ich mich bloß ihre gemeinschaftliche Beziehung auf das Ganze zu fassen, bestrebe. Je mehr diese Teile alsdenn sind? je genauer sie harmonieren; je vollkommner der Gegenstand ist: desto größer wird auch mein Vergnügen darüber sein; und der vollkommenste Gegenstand wird notwendig auch das größte Vergnügen in mir wirken. Und das ist der Fall, wenn ich meine Gedanken von Gott in Empfindungen übergehen lasse.
Ich errege dem Verfasser keinen Wortstreit. Denn es ist kein Wortstreit mehr, wenn man zeigen kann, daß der Mißbrauch der Wörter auf wirkliche Irrtümer leitet. So sieht er es z.E. als einen großen Vorzug seiner dritten Art über Gott zu denken an, »daß, wofern wir darauf kämen, das was wir denken, durch Worte auszudrücken, die Sprache zu wenige und schwache Worte dazu haben würde.« Und dieses kömmt doch bloß daher, weil wir alsdenn nicht deutlich denken. Die Sprache kann alles ausdrücken, was wir deutlich denken; daß sie aber alle Nüancen der Empfindung sollte ausdrücken können, das ist eben so unmöglich, als es unnötig sein würde.
Doch dieser Irrtum ist bei ihm nur der Übergang zu einem größern. Hören Sie, was er weiter sagt: »Wofern man im Stande wäre, aus der Reihe, und daß ich so sage, aus dem Gedränge dieser schnellfortgesetzten Gedanken, dieser Gedanken von so genauen Bestimmungen, einige mit Kaltsinn herauszunehmen, und sie in kurze Sätze zu bringen: was für neue Wahrheiten von Gott würden oft darunter sein!« – Keine einzige neue Wahrheit! Die Wahrheit läßt sich nicht so in dem Taumel unsrer Empfindungen haschen! Ich verdenke es dem Verfasser sehr, daß Er sich bloß gegeben, so etwas auch nur vermuten zu können. Er steht an der wahren Quelle, aus welcher alle fanatische und enthusiastische Begriffe von Gott geflossen sind. Mit wenig deutlichen Ideen von Gott und den göttlichen, Vollkommenheiten, setzt sich der Schwärmer hin, überläßt sich ganz seinen Empfindungen, nimmt die Lebhaftigkeit derselben für Deutlichkeit der Begriffe, wagt es, sie in Worte zu kleiden, und wird, – ein Böhme, ein Pordage.
Jene erste kalte metaphysische Art über Gott zu denken, von welcher der Verfasser so verächtlich urteilet, daß er unter andern auch sagt: »Unterdes wird sich ein wahrer Philosoph, ich meine einen, den sein Kopf und nicht bloß die Methode dazu gemacht hat, bisweilen darauf einlassen, um sich durch die Neuheit zu verfahren, aufzumuntern:« Jene Art, sage ich, muß gleichsam der Probierstein der dritten, ich meine aller unsrer Empfindungen von Gott sein. Sie allein kann uns versichern, ob wir wahre, anständige Empfindungen von Gott haben; und der hitzige Kopf, der sich nur bisweilen darauf einläßt, um sich, durch die Neuheit zu verfahren, aufzumuntern – von dem wollte ich wohl wetten, daß er nicht selten, eben am allerunwürdigsten von Gott denkt, wenn er am erhabensten von ihm zu denken glaubt.
G.
VI. Den 9. August
1759
Funfzigster Brief
»So bekannt gewisse Wahrheiten der Sittenlehre sind,« sagt der »Nordische Aufseher« an einem Orte, »so oft sie wiederholt und in so veränderten Arten des Vortrags sie auch ausgebreitet worden sind: So wenig dürfen sich doch Lehrer der Tugend und der wahren Glückseligkeit des Menschen von der Furcht, daß die Welt ihrer endlich überdrüssig und müde werden machte, zurückhalten lassen, ihr Andenken, so oft sie können, zu erneuern. Wenn sie dieses unterließen, und sich hüten wollten, nichts zu sagen, was nicht original und neu zu sein scheinen könnte: So würden sie dadurch eine unanständige Eitelkeit verraten. Man würde sie nicht ohne Grund beschuldigen dürfen, daß sie bei den Arbeiten ihres Geistes mehr die Bewunderung, als den Nutzen ihrer Leser zum Augenmerke hätten, und, indem sie sich Mühe gäben, die Neubegierde derselben zu beschäftigen, nur dem Stolze ihres Verstandes zu schmeicheln suchten. Ich hoffe, daß ich wider diesen gemeinen Fehler moralischer Schriftsteller auf meiner Hut sein werde.«(90) –
Ja, das Lob muß man ihm lassen! Er ist wider diesen Fehler sehr auf seiner Hut gewesen. Nur tut er unrecht, daß er ihn einen gemeinen Fehler moralischer Schriftsteller nennt. Das Gegenteil desselben ist wenigstens ein eben so gemeiner Fehler. Und noch dazu mit diesem Unterschiede, daß jenes meistenteils der Fehler guter, und dieses der Fehler schlechter Skribenten ist. Der gute Skribent will entweder ein vollständiges System der Moral liefern; und alsdenn würde er freilich sehr töricht handeln, wenn er sich nur auf diejenigen Wahrheiten einschränken wollte, welche original und neu scheinen könnten. Oder er hat eine freiere Absicht, und will sich bloß über diejenigen einzeln Wahrheiten auslassen, die ihm besonders wichtig dünken, und über die er am meisten nachgedacht zu haben glaubet. In diesem Falle hütet er sich sorgfältig, bekannte Wahrheiten und gemeinnützige Wahrheiten für einerlei zu halten. Er weiß, daß viel bekannte Wahrheiten nichts weniger als gemeinnützig, und viel gemeinnützige, oder doch solche die es werden können, nichts weniger als bekannt sind. Wenn er nun auf diese letzten, wie billig, sein vornehmstes Augenmerk richtet, so kann es nicht fehlen, er wird sehr oft original und neu nicht bloß scheinen, sondern wirklich sein. Der schlechte Skribent hingegen, der das Bekannteste für das Nützlichste hält, hofft vergebens, sich einzig durch seine gute Absicht lesenswürdig zu machen. Ist er nun vollends gar so schlecht, daß auch nicht einmal seine Einkleidungen der abgedroschensten Wahrheiten original und neu sind: was hat er denn noch, meine Neubegierde im geringsten zu reizen?
Um diese Einkleidungen, an welchen die moralischen Wochenblätter der Engländer so unerschöpflich sind, scheinet sich der »Nordische Aufseher« wenig bekümmert zu haben. Er moralisieret grade zu; und wenn er nicht noch dann und wann von erdichteten Personen Briefe an sich schreiben ließe? so würden seine Blätter ohne alle Abwechselung sein. Ich wüßte Ihnen nicht mehr als deren zwei zu nennen, von welchen es sich noch endlich sagen ließe, daß seine Erfindungskraft einige Unkosten dabei gehabt habe. Das eine(91) ist eine Allegorie von dem Vorzuge der schönen Wissenschaften vor den schönen Künsten. Aber was ist auch die beste Allegorie? Und diese ist noch lange keine von den besten. Das zweite(92) ist eine satyrische Nachricht von einer Art neuer Amazonen; und diese ist in der Tat mit vielem Geiste geschrieben. Sie haben das Sinnreichste in dem ganzen »Nordischen Aufseher« gelesen, wenn Sie dieses Stück gelesen haben. Erlauben Sie mir also das Vergnügen, Ihnen die wesentlichsten Stellen daraus abzuschreiben.
»Die Gesellschaft der neuen Amazonen ist, so viel ich noch in Erfahrung bringen können, nicht zahlreich; unterdes ist sie doch sehr furchtbar, und zwar ihrer geheimen Unternehmungen wegen, die nach sichern Nachrichten auf nichts geringers, als auf die Errichtung eines Universaldespotismus abzielen. – Sie sollen aber ihre gewalttätigen Absichten weniger durch offenbare Feindseligkeiten, als durch die Künste einer sehr feinen Politik auszuführen suchen. Weil sie sich vorgesetzt haben, sowohl über die itzige, als über die künftige Männerwelt eine despotische Gewalt auszuüben, denn die Gewalt über die Herzen haben die Damen schon lange behauptet: So sollen ihre Anstalten besonders wider unsre jungen Herren gerichtet sein. Sie haben bemerkt, daß ein höherer Verstand allezeit über einen schwächern herrsche. In dieser Überzeugung suchen sie es bei ihnen so weit zu bringen, daß sie die Ausbildung ihres Geistes unterlassen, ihre Seele mit Kleinigkeiten beschäftigen, und dadurch zu den eigentlichen männlichen Geschäften und Angelegenheiten unfähig werden mögen. Sie selbst stellen sich an, als wenn man weder Vernunft noch Witz nötig hätte, ihnen zu gefallen; als wenn man ihnen mit ernsthaften und nützlichen Unterredungen überlästig würde; als wenn sie sich wirklich mit leeren Komplimenten, Artigkeiten und lächerlichen Einfällen befriedigen ließen; als wenn sie vor dem bloßen Namen eines Buches erschräken, und durch nichts, als Spielwerke glücklich wären. Allein das ist lauter Politik und List, und so scharfsichtige Augen, als die meinigen, lassen sich von dieser Verstellung nicht hintergehen. Ich betaure nur unsre jungen Herren, welche die Netze gar nicht zu sehen scheinen, die ihnen auf eine so feine Art gelegt werden. Um sie nach und nach ganz unmännlich zu machen, gewöhnen sie dieselben zum Geschmacke am Putze, zur Veränderung der Moden, und zu einer ganz frauenzimmerlichen Eitelkeit und Weichlichkeit. Und man muß erstaunen, wenn man sieht, wie sehr ihnen alle diese feindseligen Anschläge auf den Umsturz der itzigen Einrichtung der Welt zu gelingen anfangen. Denn man betrachte nur viele von unsern jungen Herren. Sie kleiden sich nicht etwa ordentlich und anständig; sie putzen sich und sind länger vor ihrem Nachttische, als die meisten Damen, sie sind so stolz auf einen gutfrisierten, wohlgepuderten Kopf, sie sind so weichlich; sie können so wenig Witterung und Kälte vertragen; sie haben sogar auch schon ihre Vapeurs und Humeurs, und wenn die Natur nur ihr Gesicht verändern wollte, so könnte man einige ganz füglich in Schnürleibern gehen lassen. Wissenschaft und Geschmack zu haben, darauf machen viele gar keinen Anspruch, in guten Büchern zu lesen, würde eine Galeerenarbeit für sie sein und wenn sie nicht noch zuweilen mit wirklichen Männern zu tun hätten, so würden sie gar nichts mehr wissen. So weit haben es schon unsere Amazonen gebracht. Wie weit dieses noch in der Folge gehen könne, und ob nicht unsere Jünglinge mit der Zeit, wenn sie nicht bald auf ihre Verteidigung denken, Knötchen machen und ihren Strickbeutel mit in Gesellschaft werden bringen müssen, das will ich der Überlegung und Beurteilung aller nachdenkenden Leser überlassen.
Man darf eben nicht glauben, daß die Amazonen ihre Unternehmungen bloß auf unsere jüngere Welt einschränken. Einigen von ihnen, die verheiratet sind, soll es schon gelungen sein, den Despotismus, auf den ihre Anschläge abzielen, in ihren Häusern einzuführen. Denn ich habe in Erfahrung gebracht, daß sich Männer bequemt haben, die Verwaltung der Küche und andere wirtschaftliche Verrichtungen über sich zu nehmen, die man sonst nur unter die Geschäfte des Frauenzimmers gerechnet hat. Der demütige Mann hält es für seine Schuldigkeit und Ehre den Einkauf dessen, was in der Küche nötig ist, und die Anordnung der Mahlzeiten nach dem Geschmacke seiner hochgebietenden Amazone zu besorgen, und mit einigen soll es auch so weit schon gekommen sein, daß sie bei der Zubereitung der Speisen gegenwärtig sind, und einen Pudding oder Rostbeef so gut zu machen wissen, als die ausgelernteste Köchin. Man darf, um davon versichert zu werden, nur ein wenig in der Welt Achtung geben. Denn einige Männer haben an ihren neuen Geschäften so viel Geschmack gewonnen, daß sie ihre Gelehrsamkeit auch in Gesellschaften hören lassen etc.
Weil die Amazonen vorhersehen, daß sie, um ihr Projekt eines Universaldespotismus auszuführen, nicht allein Verschlagenheit und List, sondern auch die Stärke, die Kühnheit, die Dreistigkeit und Unerschrockenheit der Männer nötig haben möchten: so haben sie auch schon deswegen die nötigen Maßregeln genommen. Eben hieraus soll die so weit getriebene Entblößung einiger Frauenzimmer entspringen, denen andre bloß aus Unwissenheit und um modisch zu sein, nachfolgen. Man glaubt gemeiniglich, daß es geschehe, Reizungen zu zeigen, die billig verborgen bleiben sollten. Allein man irrt sich sehr, und ich habe die wahre Ursache entdeckt. Es geschiehet bloß, um sich an die Kälte zu gewöhnen, weil sie nicht wissen, ob sie nicht mit der Zeit genötigt sein möchten, Winterkampagnen zu tun.
Eben daher kömmt es, daß einige nicht mehr erröten, andere den jungen Herren und Männern so dreist ins Gesicht sehen, andere in der Komödie über die Zweideutigkeiten, bei deren Anhörung man sonst, wenn man auch lächelte, das Gesicht doch hinter den Fächer zu verbergen pflegte, so laut und dreist lachen, als die kühnste und unverschämteste Mannsperson. Eben daher kömmt es auch, daß viele in den Beteuerungen so geschickt sind, die sich sonst die Kriegsmänner vorbehielten, und noch andere bis in die späteste Mitternacht wachen, um der gefährlichen Abendluft gewohnt zu werden.«
Ich will nicht untersuchen, ob dieser Einfall dem »Nordischen Aufseher« ganz eigen ist; genug er ist schön, und nicht übel, obgleich ein wenig zu schwatzhaft, ausgeführt. Viel Worte machen; einen kleinen Gedanken durch weitschweifende Redensarten aufschwellen; labyrinthische Perioden flechten, bei welchen man dreimal Atem holen muß, ehe man einen ganzen Sinn fassen kann: das ist überhaupt die vorzügliche Geschicklichkeit desjenigen von den Mitarbeitern an dieser Wochenschrift, der die meisten Stücke geschrieben zu haben scheinet. Sein Stil ist der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten, der nur deswegen solche Pneumata herprediget, damit die Zuhörer, ehe sie ans Ende derselben kommen, den Anfang schon mögen vergessen haben, und ihn deutlich hören können, ohne ihn im geringsten zu verstehen. – – Ich kenne nur einen einzigen geistlichen Redner itzt in unserer Sprache, der noch tollere Perioden macht. Vielleicht unterhalte ich Sie einmal von ihm. –
Itzt aber lassen Sie mich Ihnen noch den Beweis vorlegen, wie unbeschreiblich schwatzhaft der »Nordische Aufseher« oft ist. Es wird mir Mühe kosten, die Stelle, die ich in dieser Absicht anführen muß, abzuschreiben; aber ein Fehler, wenn er zu einer ungewöhnlichen Größe getrieben worden, ist doch ein merkwürdiges Ding; ich will mich die Mühe also immer nicht verdrießen lassen. Der Aufseher will in dem zweiten Stücke von der Fähigkeit, die Glückseligkeit andrer zu empfinden, reden und fängt an: »Derjenige, dessen Geist in den kleinen Bezirken seiner persönlichen und häuslichen Vorteile eingeschränkt bleibt, und unfähig zur Empfindung andrer Glückseligkeiten ist, die nicht aus den Vergnügen der Sinne, aus der Befriedigung eigennütziger Leidenschaften, oder aus dem Glücke seiner Familie entspringen, kömmt mir wie ein Mensch vor, der ein kurzes und blödes Gesicht hat.« – Das Gleichnis ist gut; aber nun hören Sie, wie schülerhaft er es ausdehnt. – »Der Kurzsichtige kennt die Natur weder in ihrer Größe, noch in ihrer vollen Schönheit und Pracht; er sieht dieselbe, so zu sagen, nur im kleinen und nicht einmal deutlich! Was entbehrt er nicht, und wie wenig faßt sein Auge von den unzählbaren und bis ins Unendliche veränderten Wundern der Schöpfung! Wie unzählbare, mannichfaltige Aussichten, die ein stärkeres Auge mit einem fröhlichen Erstaunen betrachtet, sind für ihn, als wären sie gar nicht in der Natur, und wer kann die herrlichen und entzückenden Auftritte alle zählen, die von ihm ungesehen und unbewundert vorübergehen? Die Sonne hat für ihn weniger Licht und der Himmel weniger Gestirne, und wie viel Schönheiten verlieret er nicht auf der Erde? Wenn andre Augen, die in die Weite reichen, in der Entfernung tausend große und herrliche Gegenstände auf einmal und ohne Verwirrung übersehen, und mit einem Blicke in dieser Weite Anhöhen und fruchtbare Täler, und in jener Entfernung blühende Wiesen und einen weit gestreckten Wald entdecken, so erblickt er kaum die Blumen, die unter seinen Füßen aufwachsen, und selbst von diesen bleiben ihm mannichfaltige Reizungen verborgen, die ein schärferes Auge in ihrem künstlichen Gewebe wahrnimmt. Alles ist vor ihm, wie mit einem Nebel überzogen; ganze Gebürge verlieren sich in seinen Augen in Hügel; stolze Paläste bei einem gewissen Abstande von ihm in Dorfhütten, und vielleicht ganze Landschaften in einen grünen, mit einigen Gebüschen durchwachsenen Grasplatz. Dem bessern Auge hingegen ist ein jeder Teil der Materie bevölkert, und ihm wimmelt vielleicht ein jedes Laub von Einwohnern, wenn dem Kurzsichtigen die Natur fast eine Wüste, einsam und leer von Bewegung und Leben zu sein scheinet! Wie unvollkommen müssen nicht seine Vorstellungen von der Größe, Ordnung, und Vollkommenheit der Natur, von ihrer angenehmen Mannichfaltigkeit und Kunst bei ihrer so erhabenen Einfalt und Gleichförmigkeit, und von ihrer bis zur Unbegreiflichkeit bewundernswürdigen Harmonie in allen ihren unzählbaren Abwechslungen sein, und wie unglücklich ist er nicht, wenn er nicht mehr erraten, als sehen, und seinem schwachen Gesichte nicht mit seinem Verstande zu Hülfe kommen kann! Er muß mit seinen Freuden zu geizen wissen, wenn er mit ihrem kleinen Vorrate auskommen will, da derjenige, welcher gute Augen gut zu gebrauchen weiß, im Genusse fast verschwendrisch sein mag, indem er sich nur umsehen darf, um im Überflusse neue Reizungen, neue Schönheiten und Belustigungen zu entdecken.« –
Noch nicht aus? – Ja; nun ist es einmal aus, das ewige Gleichnis! Der Aufseher fährt fort: »Eben so ist es mit denjenigen beschaffen etc.« und, Gott sei Dank, wir sehen wieder Land! Was sagen Sie dazu? Gibt es bei allen guten und schlechten Skribenten wohl ein ähnliches Exempel, wo man, über das Gleichnis, die Sache selbst so lange und so weit aus dem Gesichte verlieret?
G.
VII. Den 16. August
1759
Ein und funfzigster Brief
In das Feld der schönen Wissenschaften und der Kritik ist der »Nordische Aufseher« nur selten übergegangen.
Von den drei eingerückten Oden, die ohne Zweifel den Herrn Cramer selbst zum Verfasser haben, (die eine auf die Geburt,(93) die andere auf das Leiden des Erlösers,(94) und die dritte auf den Geburtstag des Königs,(95)) von diesen verlangen Sie mein Urteil nicht; das weiß ich schon. Herr Cramer ist der vortrefflichste Versificateur; dafür erkennen wir ihn beide. Daß aber sein poetisches Genie, wenn man ihm überhaupt noch ein poetisches Genie zugestehen kann, sehr einförmig ist, das haben wir oft beide betauert. Wer eine oder zwei von seinen so genannten Oden gelesen hat, der hat sie ziemlich alle gelesen. In allen findet sich viel poetische Sprache, und die beneidenswürdigste Leichtigkeit zu reimen; aber auch allen mangelt der schöne versteckte Plan, der auch die kleinste Ode des Pindars und Horaz zu einem so sonderbaren Ganzen macht. Sein Feuer ist, wenn ich so reden darf, ein kaltes Feuer, das mit einer Menge Zeichen der Ausrufung und Frage, bloß in die Augen leuchtet.
Es kommen aber noch zwei andere Gedichte vor, die meine Aufmerksamkeit ungleich mehr an sich gezogen haben. Das Klopstockische Siegel ist auf beiden; und das läßt sich so leicht nirgends verkennen. Von dem einen zwar, welches ein geistliches Lied(96) auf die Auferstehung des Erlösers ist, weiß ich auch nicht viel sonderliches zu sagen. Es ist, – wie des Herrn Klopstocks Lieder alle sind; so voller Empfindung, daß man oft gar nichts dabei empfindet. Aber das zweite ist desto merkwürdiger. Es sind Betrachtungen über die Allgegenwart Gottes, oder vielmehr, des Dichters ausgedrückte Empfindungen über dieses große Objekt. Sie scheinen sich von selbst in symmetrische Zeilen geordnet zu haben, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein bestimmtes Sylbenmaß haben. Ich muß eine Stelle daraus anführen, um Ihnen einen deutlichern Begriff davon zu machen.
Als du mit dem Tode gerungen,
Mit dem Tode!
Heftiger gebetet hattest!
Als dein Schweiß und dein Blut
Auf die Erde geronnen war;
In der ernsten Stunde
Tatest du jene große Wahrheit kund,
Die Wahrheit sein wird,
So lange die Hülle der ewigen Seele
Staub ist!
Du standest, und sprachest
Zu den Schlafenden:
Willig ist eure Seele;
Allein das Fleisch ist schwach.
Dieser Endlichkeit Los,
Diese Schwere der Erde,
Fühlt auch meine Seele,
Wenn sie zu Gott, zu Gott!
Zu dem Unendlichen!
Sich erheben will!
Anbetend, Vater, sink ich in Staub und fleh!
Vernimm mein Flehn, die Stimme des Endlichen!
Mit Feuer taufe meine Seele,
Daß sie zu dir sich, zu dir, erhebe!
Allgegenwärtig, Vater, umgibst du mich! – –
Steh hier, Betrachtung, still, und forsche
Diesem Gedanken der Wonne nach!
Und dieses vorbereitende Gebet ist der Anfang des Gedichts selbst. Ein würdiger Anfang! Aber wenn ich Ihnen sagen sollte, was ich denn nun aus dem Folgenden, von der Allgegenwart Gottes mehr gelernt, als ich vorher nicht gewußt; welche von meinen dahin gehörigen Begriffen, der Dichter mir mehr aufgeklärt; in welcher Überzeugung er mich mehr bestärket: so weiß ich freilich nichts darauf zu antworten. Eigentlich ist das auch des Dichters Werk nicht. Genug, daß mich eine schöne, prächtige Tirade, über die andere, angenehm unterhalten hat; genug, daß ich mir, während dem Lesen, seine Begeisterung mit ihm zu teilen, geschienen habe: muß uns denn alles etwas zu denken geben?
Ich hebe meine Augen auf, und sehe,
Und siehe, der Herr ist überall!
Erde, aus deren Staube
Der erste der Menschen geschaffen ward,
Auf der ich mein erstes Leben lebe!
In der ich verwesen,
Aus der ich auferstehen werde!
Gott, Gott würdigt auch dich,
Dir gegenwärtig zu sein!
Mit heilgem Schauer
Brech ich die Blum ab!
Gott machte sie!
Gott ist, wo die Blum’ ist!
Mit heilgem Schauer
Fühl ich das Wehn,
Hier ist das Rauschen der Lüfte!
Er hieß sie wehen und rauschen,
Der Ewige!
Wo sie wehen, und rauschen,
Ist der Ewige!
Freu dich deines Todes, o Leib!
Wo du verwesen wirst
Wird der Ewige sein!
Freu dich deines Todes, o Leib!
In den Tiefen der Schöpfung,
In den Höhen der Schöpfung,
Werden deine Trümmern verwehn!
Auch dort, Verwester, Verstäubter,
Wird er sein der Ewige!
Die Höhen werden sich bücken!
Die Tiefen sich bücken!
Wenn der Allgegenwärtige nun
Wieder aus Staube Unsterbliche schafft!
Halleluja dem Schaffenden!
Dem Tötenden Halleluja!
Halleluja dem Schaffenden!
In diesem stürmischen Feuer ist das ganze Stücke geschrieben. – Aber was sagen Sie zu der Versart; wenn ich es anders eine Versart nennen darf? Denn eigentlich ist es weiter nichts als eine künstliche Prosa, in alle kleinen Teile ihrer Perioden aufgelöset, deren jeden man als einen einzeln Vers eines besondern Sylbenmaßes betrachten kann. Sollte es wohl nicht ratsam sein, zur musikalischen Komposition bestimmte Gedichte in diesem prosaischen Sylbenmaße abzufassen? Sie wissen ja, wie wenig es dem Musikus überhaupt hilft, daß der Dichter ein wohlklingendes Metrum gewählet, und alle Schwierigkeiten desselben sorgfältig und glücklich überwunden hat. Oft ist es ihm so gar hinderlich, und er muß, um zu seinem Zwecke zu gelangen, die Harmonie wieder zerstören, die dem Dichter so unsägliche Mühe gemacht hat. Da also der prosodische Wohlklang entweder von dem musikalischen verschlungen wird, oder wohl gar durch die Kollision leidet, und Wohlklang zu sein aufhöret; wäre es nicht besser, daß der Dichter überhaupt für den Musikus in gar keinem Sylbenmaße schriebe, und eine Arbeit gänzlich unterließe, die ihm dieser doch niemals danket? – Ja ich wollte noch weiter gehen, und diese freie Versart so gar für das Drama empfehlen. Wir haben angefangen, Trauerspiele in Prosa zu schreiben, und es sind viel Leser sehr unzufrieden damit gewesen, daß man auch diese Gattung der eigentlichen Poesie dadurch entreißen zu wollen scheinet. Diese würden sich vielleicht mit einem solchen Quasi-Metro befriedigen lassen; besonders wenn man ihnen sagte, daß z. E. die Verse des Plautus nicht viel gebundener wären. Der Skribent selbst behielte dabei in der Tat alle Freiheit, die ihm in der Prose zustatten kömmt, und würde bloß Anlaß finden, seine Perioden desto symmetrischer und wohlklingender zu machen. Wie viel Vorteile auch der Schauspieler daraus ziehen könnte, will ich itzt gar nicht erwähnen; wenn sich nämlich der Dichter bei der Abteilung dieser freien Zeilen nach den Regeln der Deklamation richtete, und jede Zeile so lang oder kurz machte, als jener jedesmal viel oder wenig Worte in einem Atem zusammen aussprechen müßte. etc.
Das einzige Stück des »Nordischen Aufsehers«, welches in die Kritik einschlägt, ist das sechs und zwanzigste, und handelt von den Mitteln, durch die man den poetischen Stil über den prosaischen erheben könne und müsse. Es ist sehr wohl geschrieben, und enthält vortreffliche Anmerkungen. – Gleich Anfangs merket der Verfasser an, daß keine Nation weder in der Prose noch in der Poesie vortrefflich geworden ist, die ihre poetische Sprache nicht sehr merklich von der prosaischen unterschieden hätte. Er beweiset dieses mit dem Exempel der Griechen, Römer, Italiener und Engländer. Von den Franzosen aber sagt er: »Die Franzosen, welche die Prose der Gesellschaften, und was derselben nahe kömmt, mit der meisten Feinheit und vielleicht am besten in Europa schreiben, haben ihre poetische Sprache unter allen am wenigsten von der prosaischen unterschieden. Einige von ihren Genies haben selbst über diese Fesseln geklagt, die sich die Nation von ihren Grammaticis und von ihren Petitsmaiters hat anlegen lassen. Unterdes würde man sich sehr irren, wenn man glaubte, daß ihre Poesie gar nicht von ihrer Prose unterschieden wäre. Sie ist dieses bisweilen sehr; und wenn sie es nicht ist: so haben wir wenigstens das Vergnügen, da, wo wir bei ihnen den poetischen Ausdruck vermissen, schöne Prose zu finden: ein Vergnügen, das uns diejenigen unter den Deutschen selten machen, welche an die wesentliche Verschiedenheit der poetischen und der prosaischen Sprache so wenig zu denken scheinen.« – Er kömmt hierauf auf die Mittel selbst, wodurch diese Verschiedenheit erhalten wird. Das erste ist die sorgfältige Wahl der Wörter. Der Dichter muß überall die edelsten und nachdrücklichsten Wörter wählen. Unter die letztern zählet er auch diejenigen, die mit Geschmack zusammen gesetzt sind. »Es ist, sagt er, der Natur unserer Sprache gemäß, sie zu brauchen. Wir sagen so gar im gemeinen Leben: Ein gottesvergeßner Mensch. Warum sollten wir also den Griechen hierin nicht nachahmen, da uns unsere Vorfahren schon lange die Erlaubnis dazu gegeben haben?« – Das zweite Mittel bestehet in der veränderten Ordnung der Wörter; und die Regel der zu verändernden Wortfügung ist diese: Wir müssen die Gegenstände, die in einer Vorstellung am meisten rühren, zu erst zeigen. »Aber nicht allein die Wahl guter Wörter, fährt der Verfasser fort, und die geänderte Verbindung derselben unterscheiden den poetischen Perioden von dem prosaischen. Es sind noch verschiedene von denen anscheinenden Kleinigkeiten zu beobachten, durch welche Virgil vorzüglich geworden ist, was er ist. Ich nehme an, daß die Wörter des Perioden und die Ordnung derselben, der Handlung, die der Periode ausdrücken soll, gemäß sind. Aber gleichwohl gefällt er noch nicht genug. Hier ist eine Redensart, wo nur ein Wort sein sollte. Und nichts tötet die Handlung mehr, als gewisse Begriffe in Redensarten ausdehnen. Es kann auch bisweilen das Gegenteil sein. Hier sollte eine glückliche Redensart stehen. Der Gedanke erfordert diese Ausbildung. Dort sind die Partikeln langweilig, welche die Glieder des Perioden fast unmerklich verbinden sollten. Sie sinds unter andern, wenn sie zu viel Sylben haben. Ein: dem ungeachtet könnte die schönste Stelle verderben. Sie sinds ferner, wenn sie da gesetzt werden, wo sie, ohne daß die Deutlichkeit oder der Nachdruck darunter litte, wegbleiben konnten. Das doch, mit dem man wünscht, gehört vornehmlich hierher. In einer andern Stelle stand die Interjektion nicht, wo sie stehen sollte. Das Ach fing den Perioden an; und es hätte glücklicher vor den Wörtern gestanden, welche die Leidenschaften am meisten ausdrücken. Ein andermal hat der Verfasser nicht gewußt, von welcher Kürze, und von welcher Stärke das Participium gewesen sein würde. Darauf hat er es wieder gesetzt, wo es nicht hingehörte.«
Schließen Sie aus dieser Stelle, wie viel feine Anmerkungen und Regeln der Verfasser in einen kleinen Raum zu konzentrieren gewußt hat. Ich möchte gern allen unsern Dichtern empfehlen, dieses Stück mehr als einmal zu lesen; es mit allem Fleiße zu studieren. Es würde jeder alsdenn wohl von selbst finden, wenn und wie diese oder jene allgemeine Regel des Verfassers eine Ausnahme leiden könne und müsse. Die sorgfältige Wahl der edelsten Wörter, z. E. leidet alsdenn einen großen Abfall, wenn der Dichter nicht in seiner eignen Person spricht. In dem Drama besonders, wo jede Person, so wie ihre eigene Denkungsart, also auch ihre eigne Art zu sprechen haben muß. Die edelsten Worte sind eben deswegen, weil sie die edelsten sind, fast niemals zugleich diejenigen, die uns in der Geschwindigkeit, und besonders im Affekte, zu erst beifallen. Sie verraten die vorhergegangene Überlegung, verwandeln die Helden in Declamatores, und stören dadurch die Illusion. Es ist daher sogar ein großes Kunststück eines tragischen Dichters, wenn er, besonders die erhabensten Gedanken, in die gemeinsten Worte kleidet, und im Affekte nicht das edelste, sondern das nachdrücklichste Wort, wenn es auch schon einen etwas niedrigen Nebenbegriff mit sich führen sollte, ergreifen läßt. Von diesem Kunststücke werden aber freilich diejenigen nichts wissen wollen, die nur an einem korrekten Racine Geschmack finden, und so unglücklich sind, keinen Shakespeare zu kennen.
E.
VIII. Den 23. August
1759
Zwei und funfzigster Brief
Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben, wenn Sie behaupten, daß es um das Feld der Geschichte in dem ganzen Umfange der deutschen Literatur, noch am schlechtesten aussehe. Angebauet zwar ist es genug; aber wie? – Auch mit Ihrer Ursache, warum wir so wenige, oder auch wohl gar keinen vortrefflichen Geschichtschreiber aufzuweisen haben, mag es vielleicht seine Richtigkeit haben. Unsere schönen Geister sind selten Gelehrte, und unsere Gelehrte selten schöne Geister. Jene wollen gar nicht lesen, gar nicht nachschlagen, gar nicht sammlen; kurz, gar nicht arbeiten: und diese wollen nichts, als das. Jenen mangelt es am Stoffe, und diesen an der Geschicklichkeit ihrem Stoffe eine Gestalt zu erteilen.
Unterdessen ist es im Ganzen recht gut, daß jene sich gar nicht damit abgeben, und diese sich in ihrem wohlgemeinten Fleiße nicht stören lassen. Denn so haben jene am Ende doch nichts verdorben, und diese haben wenigstens nützliche Magazine angelegt, und für unsere künftige Livios und Tacitos Kalk gelöscht und Steine gebrochen.
Doch nein, – lassen Sie uns nicht ungerecht sein; – verschiedene von diesen haben weit mehr getan. Es ist eine Kleinigkeit, was einem Bünau, einen Mascau zu vollkommenen Geschichtsschreibern fehlen würde, wenn sie sich nicht in zu dunkele Zeiten gewagt hätten. Wem kann hier, wo die Quellen oft gar fehlen, oft so verderbt und unrein sind, daß man sich aus ihnen zu schöpfen scheuen muß; hier, wo man erst hundert Widersprüche zu heben und hundert Dunkelheiten aufzuklären hat, ehe man sich nur des kahlen, trockenen Faktums vergewissern kann; hier, wo man mehr eine Geschichte der streitigen Meinungen und Erzählungen von dieser oder jener Begebenheit, als die Begebenheit selbst vortragen zu können, hoffen darf: wem kann hier auch die größte Kunst zu erzählen, zu schildern, zu beurteilen, wohl viel helfen? Er müßte sich denn kein Gewissen machen, uns seine Vermutungen für Wahrheiten zu verkaufen, und die Lücken der Zeugnisse aus seiner Erfindung zu ergänzen. Wollen Sie ihm das wohl erlauben? O weg mit diesem poetischen Geschichtschreiber! Ich mag ihn nicht lesen; Sie mögen ihn auch nicht lesen, als einen Geschichtschreiber wenigstens nicht; und wenn ihn sein Vortrag noch so lesenswürdig machte!
Überhaupt aber glaube ich, daß der Name eines wahren Geschichtschreibers nur demjenigen zukömmt, der die Geschichte seiner Zeiten und seines Landes beschreibet. Denn nur der kann selbst als Zeuge auftreten, und darf hoffen, auch von der Nachwelt als ein solcher geschätzt zu werden, wenn alle andere, die sich nur als Abhörer der eigentlichen Zeugen erweisen, nach wenig Jahren, von ihres gleichen gewiß verdrungen sind. Ich betaure daher oft den mühsamen Fleiß dieser letztern; besonders derjenigen von ihnen, die sich, vermöge ihres Amtes, einer so undankbaren Arbeit unterziehen, und Gebauers bleiben müssen, wenn sie Thuani werden könnten. Die süße Überzeugung von dem gegenwärtigen Nutzen, den sie stiften, muß sie allein wegen der kurzen Dauer ihres Ruhmes schadlos halten. Und kann ein ehrlicher Mann mit dieser Schadloshaltung auch nicht zufrieden sein?
Genug dieser allgemeinen Betrachtungen! Ich komme auf das neue Werk selbst, welches sie eigentlich veranlasset hat. Seinen Verfasser habe ich bereits genennet. Es ist der verdiente Gelehrte, den Sie schon aus seiner Geschichte des Kaiser Richards kennen müssen. Jetzt hat er uns eine »Portugiesische Geschichte« geliefert.(97)
Sie würden mich auslachen, wenn ich meinen Brief mit einem umständlichen Auszuge derselben anfüllen wollte. Was könnten Sie neues daraus lernen? Und ist Ihr Gedächtnis nicht so glücklich, daß es auch nicht einmal darf aufgefrischet werden? Kaum verlohnet es sich der Mühe, Ihnen von dem Werke überhaupt nur so viel zu sagen, daß es aus den akademischen Vorlesungen des Verfassers über seinen »Grundriß zu einer umständlichen Historie der vornehmsten europäischen Reiche und Staaten« entstanden, und in zwei Teile abgesondert ist, deren fünf Abteilungen folgende Aufschrift haben. I. Abt. Von den ältesten Nachrichten vor Einrichtung des Königreichs. II. Abt. Vom Anfange des Reichs bis zum Ausgange des echten königlichen Stammes. III Abt. Von dem Ausgange des echten Stammes bis auf die Vereinigung mit Spanien. IV. Abt. Von der Vereinigung mit Spanien bis auf die Erhebung des Hauses Braganza. V. Abt. Von den Königen aus dem Hause Braganza bis itzo.
Aber das würde Ihnen vielleicht nicht unangenehm sein, wenn ich Sie mit dieser oder jener einzeln Begebenheit, auf die unser Verfasser einen vorzüglichen Fleiß gewendet hat, unterhielte? Es wäre der nächste Weg, Sie zugleich selbst von seinem Vortrage, und von der sorgfältigen Art in seinen Untersuchungen zu Werke zu gehen, urteilen zu lassen. Und kenne ich nicht auch Ihren Geschmack? Kühne Unternehmungen; sonderbare Unglücksfälle, die einen großen Mann treffen etc. –
O ich müßte mich sehr irren, oder Sie haben sich, als Sie nun auf die Portugiesische Historie kamen, bei der Geschichte des unglücklichen Königs Sebastian, am längsten, am liebsten verweilet. – Der junge Sebastian, wie Sie sich erinnern werden, brannte vor Begierde, sich mit den Ungläubigen in Afrika zu versuchen. Er ließ sich nicht lange bitten, dem vertriebenen Könige von Marokko, Muley Mahomet, in eigner Person beizuspringen. Er ging mit einem ansehnlichen Heere, so sehr es ihm auch seine Freunde, so sehr es ihm auch der eben am Himmel drohende Komete zu widerraten schienen, am Johannistage 1578 unter Segel; setzte das Heer bei Arzilla ans Land, und ging auf l’Arache los. Auf diesem Wege kam es in der Ebene von Alcassarquivir mit dem feindlichen Heere des Muley Molucco, zur Schlacht. Sebastian und seine Portugiesen erlitten die schrecklichste Niederlage, und er selbst – blieb. So ging wenigstens die gemeine Rede.
Aber wie, wenn er da nicht geblieben wäre? Wie, wenn ein weit empfindlicher Schicksal auf ihn gewartet hätte? – Sie erinnern sich doch noch auch, daß nach und nach vier Pseudo-Sebastiane aufstunden, als Spanien bereits das Königreich Portugal an sich gerissen hatte? Die ersten drei waren offenbare Betrieger, und erhielten ihren verdienten Lohn. »Der vierte hingegen, sagt unser Skribent, wußte sein Tun so scheinbar zu machen, daß es wohl zweifelhaft bleiben wird, ob er nicht der wahre Sebastian gewesen. –
Er kam, fähret Herr Gebauer fort,(98) zu Venedig An. 1598 zum Vorscheine, und nachdem er daselbst nicht allein bei dem gemeinen Volke, sondern auch bei etlichen vornehmen Personen Glauben fand, zumal da einige Portugiesen, die den König Sebastian wohl gekannt hatten, vor gewiß versicherten, daß er in dem Gesichte, in der Größe, in der Rede, demselben vollkommen gleiche, ward ihm dergestalt unter die Arme gegriffen, daß er sich seinem Stande gemäß aufzufahren anfing, und kein Bedenken hatte, sich vor den öffentlich auszugeben, den er vorstellte. Darüber bewegte sich der spanische Gesandte zu Venedig, Dominicus Mendoza, und brachte es bei dem Rate zu Venedig dahin, daß er in Haft genommen, und über seine Umstände, und wer er sei, befragt wurde. Da erzählte er umständlich, wie er in dem unglücklichen Treffen bei Alcassar in Afrika nicht sei erschlagen worden, sondern ob wohl hart verwundet, der Gefangenschaft wunderbarer Weise entgangen sei. In Algarbien, wohin er auf einem leichten Schifflein mit Christoval von Tavora übergesetzt, hätte er sich heilen lassen, und weil er des Anblicks der Menschen nach einem so großen Unglücke sich gescheuet und geschämet, habe er sich vorgenommen, Abessinien und andere weit entlegene Reiche und Lande zu besuchen. Auf dieser seiner Fahrt sei er nach Persien gekommen, habe mancherlei Schlachten beigewohnet, und viele Wunden empfangen; endlich sei er des Herumziehens müde worden, und habe sich mit einem frommen Alten in Georgien in ein einsames Kloster begeben, und daselbst ein Kläusnerleben geführet, bis ihm endlich gefallen, seine Untertanen wieder zu sehen. Auf dieser Rückreise habe er erst in Sizilien gelandet, und von da Marcum Tullium Catizo von Cosenza nach Portugal abgefertiget, und als der nicht wieder kommen, habe er sich selbst auf den Weg gemacht, der Meinung, sich zuförderst zu Rom dem Pabste zu den Füßen zu werfen. Daran habe ihn die Bosheit seiner eigenen Leute verhindert, die ihn unterwegens beraubt, so daß er sich nach Venedig begeben müssen, wo man ihn bald vor denjenigen erkannt, der er wirklich sei. Das war nun geschwinde gesagt, aber es fehlte der Beweis, den man aber doch nach der Strenge von ihm nicht fodern konnte. Er sagte mit großer Freimütigkeit, daß er zu dem Rate zu Venedig sich des Besten versehe, der sich wohl erinnern würde, was er vor Briefe bei dem letzten Türkenkriege an sie geschrieben, und wie geneigt er sich wegen der Hülfe gegen sie erboten habe. Wer ihn, den König je gesehen habe, müßte ihn kennen. Zu dessen Bestärkung ward befunden, daß er, gleich dem Könige, in dem Gesichte sowohl, als an seinem ganzen Leibe an der linken Seite etwas kürzer war, als an der rechten; an seiner rechten Augenbraune war eine Narbe zu sehen von einer Wunde, wie bei König Sebastian, der solche in seiner Kindheit bekommen hatte; eine große Warze an der Fußzehe und andere Male, die man bei dem Könige wahrgenommen hatte, fanden sich bei diesem Sebastian auch. Er ward drei ganzer Jahre lang in der Haft behalten, und immittelst bewegten die geflüchteten Portugiesen Himmel und Erde, daß ihr König ihnen möchte frei gegeben werden. Selbst König Heinrich IV. in Frankreich, ließ durch seinen Gesandten, den Herrn du Fresne, den Rat zu Venedig bitten, sie möchten in der Sache sprechen, und die Portugiesen nicht im Irrtume lassen. Das Erkenntnis bestund nun darin, daß dieser Mann binnen acht Tagen das Venetianische Gebiete räumen sollte, bei ewiger Galeerenstrafe. Nun überlegten die Portugiesen fleißig, was vor einen Weg ihr König erwählen sollte, um sicher in sein Königreich zu gelangen, ob er durch Graupünden und die Schweiz, oder durch das Florentinische seinen Weg nehmen sollte. Zu seinem großen Unglücke erwählte er den letztern. Er hatte kaum als ein Dominikaner Münch das Florentinische Gebiet betreten, als er daselbst erwischt, und von dem Großherzoge Ferdinand dem I. an die Spanier nach Neapel ausgeliefert wurde. Da gingen die Untersuchungen von neuem an, zu großer Verwunderung derer, die ihn des Betruges überführen wollten. Als ihn der spanische Unterkönig, Don Ferdinand Ruiz von Castro, Graf von Lemos, vor sich kommen ließ, trat er ihm mit großer Zuversicht unter die Augen, und weil er sahe, daß der Graf unbedeckt war, sprach er zu ihm: decket Euch, Graf von Lemos. Als dieser erwiderte, wer ihm die Macht gegeben habe, ihn mit solcher Kühnheit anzureden? soll er versetzt haben: diese Macht sei mit ihm geboren; wie er sich denn selbst so anstellen dürfe, als wenn er ihn nicht kenne? er müsse sich doch erinnern, daß sein Vetter, der König Philipp, ihn zweimal an ihn abgesandt habe, und daß der Degen, den er an seiner Seite habe, ihm damals von ihm sei geschenkt worden. Andere sagen, er habe ihn nur erinnert, daß er damals den Grafen mit einem Degen, seine Gemahlin aber mit einem Juwel beschenkt habe. Weil dies nun an sich seine Richtigkeit gehabt, habe der Graf ein ganz Bund seiner Degen, und die Juwelen seiner Gemahlin in das Zimmer bringen lassen, da unser Sebastian nicht allein die rechten Stücke gleich erkannt, und unter den andern herausgenommen, sondern auch an dem Juwel ihm gewiesen, wie man dasselbe an einem gewissen Orte eröffnen, und den darunter verborgenen Namen Sebastian, entdecken könne, welches Kunststück bisher dem Grafen und seiner Gemahlin verborgen gewesen. Der Ausgang war, daß man den Sebastian als einen Betrieger auf einen Esel setzte, ihn in Neapel schimpflich herumführte, sodann aber auf die Galeeren bringen ließ. Als er sich der Spanischen Küste näherte, ward alles in Portugal rege, so daß man ihn nach St. Lucar auf das Schloß setzen mußte, um seiner Person mehr versichert zu sein, an welchem Orte er geblieben und gestorben, ohne daß die Art seines Todes jemals recht bekannt worden.«
Dieses ist die Geschichte! Dabei aber läßt es unser Verfasser nicht bewenden, sondern stellet eine umständliche Untersuchung darüber an, welche ein Meisterstück in ihrer Art ist. Es kömmt hierbei, sagt er, auf zwei Fragen an; »ob der Tod des König Sebastians dergestalt in der Gewißheit beruhe, daß man keine Ursache habe, daran weiter zu zweifeln, und wenn diese erste Frage sollte nicht können bejahet werden, ob jedoch der vierte Sebastian unter diejenigen billig gezählt werde, welche unter einem falschen Namen in der Welt eine große Rolle spielen wollen, oder ob auch dies im Zweifel beruhe.«
Kann man das erste mit Zuverlässigkeit erweisen, ist Sebastian bei Alcassar gewiß geblieben, so ist das zweite zugleich entschieden. Aber, leider, kann man jenes nicht, und aus allen Zeugnissen erhellet weiter nichts, als daß man den König eine Wunde in den Kopf bekommen und von seinem Pferde herab sinken sehen. Die Leiche, die man für die königliche, den Tag nach der Schlacht, aufgehoben, ist viel zu zerfetzt und verunstaltet gewesen, als daß sie hätte kenntbar sein können. Und haben sie gleich verschiedene von des Königs Leuten, besonders ein Sebastianus Resendius, in Gegenwart des Muley Hamet wirklich dafür erkannt, so läßt sich doch mit unserm Gebauer sehr wohl darauf antworten: »Es war wohl nichts natürlicher, als dieser Beifall. Wer hätte in des barbarischen Königs Gegenwart mit dem Resendio darüber wollen einen Streit anfangen, da nachdenkliche Leute leicht begreifen konnten, daß es dem Könige, wenn er sollte der Gefahr entflohen, oder auch unter den übrigen geringern Gefangenen annoch verborgen sein, allemal zuträglicher sei, daß man auf Mohrischer Seite seinen Tod glaube, als daß ihm nachgesetzt, oder sonst weiter nachgespüret werde.« – Es ist auch nicht zu leugnen, daß sogleich ein Ruf entstanden, der von der Walstatt aufgehobene Körper sei nicht der wahre Körper des Sebastians, sondern der Körper eines Schweizers. Die Märchen übrigens, welche, nach dem Ferreras und Thuanus, die Vermutung, als ob der König aus der Schlacht entkommen sei, fälschlich veranlaßt haben sollen, sind ohne alle Wahrscheinlichkeit.
Die Fortsetzung künftig
IX. Den 30. August
1759
Beschluß des 52sten Briefes
Und folglich läßt sich aus diesem Punkte, der anmaßliche Sebastian nicht verdammen. Aber, wenn man ihn selbst näher betrachtet, findet sich auch da keine Spur des Betruges? Keine; und hundert außerordentliche Umstände sind alle für ihn. – Er ist in den Händen der Dieci, oder der Zehnherren, zu Venedig. Sie kennen diesen strengen peinlichen Gerichtshof, dieses erschreckliche Fehmgerichte, dessen erste Regel es ist: correre alla pena, prima di esaminar la colpa. Dieses Gerichte läßt ihn drei ganze Jahre sitzen, kann in drei ganzen Jahren nichts auf ihn bringen, ob gleich die Spanier, während der Zeit, es nicht werden haben ermangeln lassen, ihm alles an die Hand zu geben, wodurch sich, hinter die Bosheit eines so listigen Feindes kommen zu können, nur einigermaßen hoffen ließ. Und da man es ihm endlich so nahe legt, daß es seinen Urteilsspruch nicht länger verweigern kann; was erkennet es? Eigentlich nichts; es will aber den Unglücklichen los sein, und befiehlt ihm, binnen acht Tagen das Venetianische Gebiete zu räumen. Binnen acht Tagen! »Das sieht, sagt unser Historicus, eher einem Verfahren ähnlich, mit dem man verunglückten Staatsdienern, oder unangenehmen Gesandten begegnet, als der Weise, nach welcher man mit schuldig erkannten Missetätern verfähret, die man durch die Gerichtsfolgen an die Grenzen bringen, und von da in die weite Welt laufen läßt.« – Es war den Venetianern hernach auch gar nicht gleichgültig, daß der Großherzog von Florenz ihren Verwiesenen anhielt, und an die Spanier auslieferte; denn der Kardinal von Ossat schreibt in einem seiner Briefe ausdrücklich, daß sie es für eine starke Beleidigung aufgenommen haben. – Nun ist er in Neapel. Aber auch da muß man ihn nicht haben überführen können; denn warum wäre man sonst glimpflicher mit ihm umgegangen, als mit den drei vorhergehenden Betriegern, die man alle eines schimpflichen Todes sterben ließ?
Ich würde Sie ermüden, wenn ich unserm Verfasser durch alle kleine Umstände dieser Untersuchung folgen wollte; so interessant sie auch bei ihm selbst ist. Es ist wahr, er hätte sie ungleich interessanter machen können, wenn er nur ein klein wenig besser zu schreiben wüßte, und nicht überall den dozierenden Professor so sehr hören ließe. Aber sind wir nicht darüber schon einig geworden, daß wir unsern Gelehrten überhaupt daraus keinen Vorwurf machen wollen? Genug daß er sich überall, als den belesensten, als den sorgfältigsten und unparteiischsten Mann zeiget.
»Als den unparteiischsten? Was könnte einen Deutschen auch wohl bewegen, in einer Portugiesischen Geschichte parteiisch zu sein?« – Das könnten Sie mir nun wohl einwerfen! Aber doch glaube ich, daß sich ein Mann, der parteiisch sein kann, auch in gleichgültigen Dingen verrät. Er ist immer geneigt, sich geradezu zu erklären, und urteilet da allezeit selbst, wo er bloß seine Leser sollte urteilen lassen. – Auch gebe ich das noch nicht zu, daß in der Portugiesischen Geschichte gar nichts vorkomme, wobei ein Deutscher, aus diesem oder jenem Vorurteile, sollte es auch nur die Liebe zu seinem Volke sein, zur Parteilichkeit gereizet werden könnte.
Z.E. Wenn er von des Königs Johannes des zweiten eifrigen Bemühungen zur Aufnahme der Schiffahrt redet, gedenket er des bekannten Martin Beheims, der ihm sehr ersprießliche Dienste dabei geleistet habe. Nun wissen Sie, was verschiedene patriotische Gelehrte von diesem Nürenbergischen Geschlechter behaupten wollen; daß nämlich er, der erste wahre Entdecker der neuen Welt zu nennen sei. Sie stützten sich dabei vornehmlich auf die Zeugnisse des Ricciolus und Benzonus. Jener gibt zu verstehen, daß Beheim den Kolumbus vielleicht auf die Spur geholfen habe; und dieser sagt mit ausdrücklichen Worten,(99) daß Magellanus die in der Folge nach ihm genannte Meerenge, aus einer Seekarte des Beheims habe kennen lernen. Ist es also einem Deutschen wohl zu verdenken, daß er hier einem Stüven und Doppelmayer beitritt, und mit dem Verfasser der Progrès des Allemands etc. Triumph ruft, daß seine Landesleute nicht allein die Druckerei und das Pulver, sondern auch die neue Welt entdeckt haben? Aber hören Sie, was dem ohngeachtet unser Historicus hiervon sagt:(100) »Ob übrigens Martin Beheim die neue Welt entdeckt habe, ja gar das Fretum Magellanicum gekannt, wie jenes Joh. Bapt. Ricciolus,(101) dieses aber Hieron. Benzonus bejahet, dünket mich eine sehr ungewisse Sache zu sein. Wenn Hartmann Schedel in seiner lateinischen Chronik schreibet, daß er und Jacobus Canus (der Kongo entdecket hat) über die Äquinoktiallinie hinaus und so weit gefahren, daß ihr Schatten, wenn sie gegen Osten zugesehen, ihnen zur rechten Hand gefallen; mag daraus noch nicht geschlossen werden, daß sie bis nach Amerika gekommen. Das erfährt jedermann, der nur über die Linie hinaus ist. Die alten Urkunden, welche Wülfer, Wagenseil, Stüven und Doppelmayer angezogen, sprechen davon nichts; und die größte Schwierigkeit finde ich in der an. 1492 von Beheim verfertigten Weltkugel, in welchem Jahre Kolumbus schon auf der Fahrt gewesen. Der Herr Doppelmayer hat diese Erdkugel in Kupfer vorgestellet, und je länger ich sie betrachte, je weniger finde ich, daß er den obbemeldeten großen Erfindern, Christophoro Columbo und Ferdinando Magellani ihren bisher gehabten Ruhm zweifelhaft machen können.« – – Und an einem andern Orte(102) fügt er noch dieses hinzu: »Kolumbus hat also die neue Welt, Vesputius aber das eigentliche Amerika entdeckt, oder doch in der alten Welt zuerst recht bekannt gemacht. Wir Deutsche, die wir sonst recht große Erfinder sind, haben hier keinen Teil, nachdem Martin Beheims Verdienste hier nicht zulangen wollen, und müssen diese Ehre den Genuesern und Florentinern überlassen, es wäre denn, daß wir dieses vor unsere Ehre rechnen wollten, daß dieser vierte Teil der Welt dennoch einen deutschen Namen führet. Amerigo oder Americus ist nichts anders als der gute deutsche Name Emrich, und Amerika folglich so viel als Emrichsland.«
Nach dieser unstreitigen Probe einer rühmlichen Unparteilichkeit, erlauben Sie mir, Ihnen auch noch eine Probe zu geben, wie weit unser Verfasser auch in Kleinigkeiten seine sorgfältige Untersuchung treibet. Ich wähle aber eine Stelle dazu, wo er dem ohngeachtet nicht auf den rechten Grund gekommen ist. Sie enthält die Geschichte eines bon-mot!
Herr Gebauer erzählt in dem Texte von dem Vater des itztregierenden Königs von Portugal, Johann dem fünften, daß er gegen seines Adel vielmals gesagt: »König Johann der vierte liebte euch, Don Pedro fürchtete sich für euch; allein ich, der ich Herr bin de jure et heredad, fürchte mich nicht für euch; und werde euch nicht lieben, als in so ferne euch eure Aufführung meiner königlichen Achtbarkeit würdig machet.« – In einer Note aber fügt er folgendes hinzu: »Da ich neulicher Zeit die Memoires pour servir à l’Histoire de Madame de Maintenon, die voller sonderlichen Nachrichten sind, wieder durchlaufe, bemerke ich eine Stelle, der ich hiebei gedenken muß. Es wird T. III. c. 4 von der Wiederrufung des berühmten Edikts von Nantes gehandelt, und gemeldet, daß der Erzbischof zu Paris, de Harley, der Bischof zu Meaux, Bossuet, und des Königs Beichtvater, der P. de la Chaise, König Ludwig dem XIV. in Frankreich, nachdem er angefangen fromm zu werden, die Ausrottung des Ungeheuers, das sechs seiner Vorfahren niederzulegen nicht vermocht hätten, dergestalt angepriesen, daß er sich endlich beredet habe, das wahre Mittel seine Sünden zu tilgen sei, wenn er sein ganzes Reich katholisch mache. Das sei so weit gegangen, daß er gegen den Mr. De Ruvigni eines Tages sich herausgelassen habe, er wolle zufrieden sein, daß eine seiner Hände die andere abhaue, wenn die Ketzerei dadurch könne ausgerottet werden. Dieser Mr. de Ruvigni ist der berühmte Marquis von Ruvigni, Heinrich, der bei der hernach entstandenen Verfolgung mit einigen wenigen Personen erlanget, daß er mit seinem Hause das Königreich hat verlassen, und sich nach England begeben dürfen. Histoire de l’Edit de Nantes par Benoit T. III. P. II. p. 898. Er hat sich hernach in dem Irländischen, und Spanischen Sukzessionskriege unter dem Namen des Grafen von Galloway hervorgetan, zu welcher Würde ihn König William III. erhoben. Eben dieser Herr soll dem König Ludewig XIV. die Vorstellung getan haben, daß König Heinrich IV. oberwähntes Edikt gegeben, Ludewig XIII. solches erhalten, er selber es bestätiget habe, und dennoch dasselbe alle Tage durch die Erklärungen des Königlichen Rats gebrochen werde, worauf der König soll geantwortet haben: Mon grand Pere vous aimoit, mon Pere vous craignoit; pour moi, je ne vous crains ni ne vois aime. Mein Großvater liebte euch, mein Vater fürchtete euch, aber ich, ich fürchte euch nicht und liebe euch nicht. Wobei unten die geschriebenen Memoires des Bischofs von Agen angezogen werden, und der lateinische Vers beigefüget wird:
Vos dilexit avus, metuit pater, at ego neutrum.
Es wäre doch was sonderliches, wenn zween so große Könige einerlei Einfall gehabt hätten. Die Ehre der ersten Erfindung hätte König Ludewig; denn er soll das noch vor der Aufhebung des Edikts von Nantes gesprochen haben, zu welcher Zeit König Johannes von Portugal noch nicht geboren war. Daß aber dieser das sollte gewußt haben, was König Ludewig in Frankreich so lange Zeit vorher dem Marquis von Ruvigni soll gleichsam in das Ohr gesprochen haben, und solches sollte auf seine Umstände angewandt haben, ist schlechterdings unglaublich. Und bei reiferer Überlegung wird man bald merken, daß das bon-mot sich besser auf König Johann und seine Großen, als auf König Ludwig und seine Hugonotten schicke. Es braucht also dies einen bessern Beweis, als noch vorhanden, zumal da bekannt, daß den Französischen Skribenten nicht ungewöhnlich ist, bei einem artigen Einfall über die historische Wahrheit weg zu schreiten. Wenigstens hat König Ludwig XIV. den lateinischen Vers nicht gebraucht, vielweniger gemacht, da er kein Wort Latein gekonnt, wie die Beweistümer davon in eben diesen Memoires de Maintenon anzutreffen sind. etc.«
Ich bin im Stande, ein Teil von den Schwierigkeiten zu lösen, die sich unser Historicus hier macht, und die er sich gewiß nicht würde gemacht haben, wenn er gewußt hätte, daß Johann V. und Ludwig XIV. ihren sinnreichen Einfall beide aus einer Quelle haben schöpfen können. Lesen Sie nämlich, was ich von Heinrich dem vierten, zufälliger Weise, gefunden habe. Quelques uns se plaignoient que le Roy ne tiendroit point ce qu’il avoit promis aux Huguenots, sçavoir, ne feroit publier les Edicts faits en leur faveur, là où le Roy Henry le troisième son predecesseur leur avoit toujours tenu parole: il leur respondit: c’est aultre chose; le Roy Henry vous craignoit et ne vous aimoit pas; mais moi je vous aime et ne vous crains pas. Diese Stelle stehet unter den Apophthegmes de Henry le Grand, so wie sie Zinkgräf dem zweiten Teile seiner denkwürdigen Reden beigefügt und übersetzt hat. Was erhellet aber unwidersprechlicher daraus, als daß Ludwig XIV. zu dieser wirklich königlichen Rede seines Großvaters, aufs höchste nur den elenden Schwanz erfunden hat. Heinrich der vierte sagte: Mein Vorfahr fürchtete euch und liebte euch nicht; ich aber liebe euch, und fürchte euch nicht: und Ludewig XIV. fühlte sich groß genug – keines von beiden zu tun; und fromm genug – die sein Großvater geliebt hatte, zu hassen. Ein großer Verstand; ein in der Familie vom Vater auf den Sohn geerbtes Sprüchelchen so zu erweitern! Dazu hat er es auch noch verfälscht. Denn das ist zwar wahr, daß sein Vater Ludewig XIII. einfältig genug war, sich sowohl für alles, als für nichts zu fürchten; gleichwohl aber waren unter seiner Regierung die Hugonotten nichts weniger als gefährlich, und sie spielten die große Rolle bei weitem nicht mehr, die sie unter dem dritten Heinrich gespielet hatten, von welchem sein Nachfolger mit Recht sagen konnte, daß er sie fürchten müssen. – Und was hindert, daß auch Johann V. diese Rede des großen Heinrichs nicht sollte gelesen haben?
G.
X. Den 7. September
1759
Drei und funfzigster Brief
Ich lief das sehr ansehnliche Verzeichnis der Schriften durch, die Herr Gebauer alle bei seinem Werke gebraucht oder angezogen hat; und vermißte von ohngefähr eine Kleinigkeit, von welcher ich gleichwohl gewünscht hätte, daß sie ihm bekannt geworden wäre. –
Sie wissen, welche Unruhen in Portugal auf die Nachricht von dem Tode des Sebastians folgten. Der Kardinal Heinrich war zu alt, war zu blödsinnig, und regierte zu kurze Zeit, als daß er das Königreich bei seinem Tode nicht in der äußersten Verwirrung hätte lassen sollen. Unter denen, welche Ansprüche auf den erledigten Thron machten, war Don Antonio einer der vornehmsten, und wie Sie sich erinnern werden, der einzige, welcher sich der Usurpation des Königs von Spanien auf eine tätliche Weise widersetzte. Diesen Herrn hat unser Historicus nun zwar nicht unter die Zahl der wirklichen Könige von Portugal gerechnet, wie es wohl die französischen und englischen Geschichtschreiber zu tun pflegen; er scheinet aber doch alles sorgfältig genug gesammelt zu haben, um uns auch diesen Durchlauchtigen Unglücklichen so kennen zu lehren, als er von der unparteiischen Nachwelt gekannt zu werden verdienet. –
Nun hat des Don Antonio Leben unter andern auch die Frau Gillot de Sainctonge beschrieben; und diese kleine Lebensbeschreibung ist es, von welcher ich mich wundere, daß sie dem Herrn Gebauer entwischen können. Der Amsterdamer Nachdruck, den ich davon vor mir habe, ist 1696 ans Licht getreten, und das Pariser Original kann, vermute ich, nicht viel älter sein. – Ich kenne diese Verfasserin sonst aus einigen mittelmäßigen Gedichten, und würde eine historische Geburt von ihr schwerlich eines Anblicks gewürdiget haben, wenn sie sich nicht, gleich auf dem Titel derselben, einer besondern Quelle und eines Währmannes rühmte, der alle Achtung verdienet. Sie versichert nämlich, sich der »Memoires« des Gomes Vasconcellos de Figueredo bedienet zu haben.(103) Von diesem Manne ist es bekannt, daß er und sein Bruder die allergetreusten Anhänger des Don Antonio gewesen sind. Den letztern erkennet Herr Gebauer selbst dafür. Nur möchte er vielleicht fragen; aber wie kommen diese Memoires in die Hände der von Sainctonge? Sie wäre nicht die erste Nouvellenschreiberin, die sich dergleichen geheimer Nachrichten fälschlich gerühmt hätte. Ich selbst würde der bloßen Versichrung einer schreibsüchtigen Französin hierin wenig trauen; aber überlegen Sie diesen Umstand: eben der Gomes Vasconcellos de Figueredo, auf welchen sich die Frau von Sainctonge beruft, war ihr Großvater. Warum soll man einer Enkelin nicht glauben, wenn sie gewisse Handschriften von ihrem Großvater geerbt zu haben vorgibt? Und wenn das, was sie daraus mitteilet, an und vor sich selbst nicht unglaublich ist, noch mit andern unverdächtigen Zeugnissen streitet, was kann ein Historicus wider sie einwenden?
Erlauben Sie mir also, Ihnen in diesem Briefe verschiedenes daraus ausziehen zu dürfen, was diese und jene Stelle bei unserm Gebauer berichtigen oder in ein größers Licht setzen kann.
Vorher aber ein Wort von der Parteilichkeit der Fr. von Sainctonge. Die eheliche Geburt des Don Antonio ist bei ihr außer Zweifel. Ihr zu Folge hatte sein Vater, der Herzog Ludewig von Beja, es ausdrücklich in seinem Testamente bekannt, daß die Mutter des Antonio ihm wirklich, obgleich heimlich angetraut gewesen sei.(104) Gleichwohl sagt sie an einem andern Orte, daß sich Antonio selbst, bis zu seiner Zurückkunft aus Afrika, bloß für einen natürlichen Sohn des Herzog Ludewigs gehalten habe.(105) Wenn dieses seine Richtigkeit hat, so kann jenes nicht wahr sein. Herzog Ludewig starb 1555, und die Zurückkunft des Antonio fällt in das Jahr 1568. Sollte Antonio ganzer dreizehn Jahr von dem Testamente seines Vaters nichts erfahren haben? Kurz, dieser Umstand ist falsch. Ludewig setzte den Antonio zwar zu seinem völligen Erben ein, aber diese Einsetzung beweiset für seine eheliche Geburt so viel als nichts. Wäre in dem Testamente ihrer gedacht gewesen, so würde man keinen weitern Beweis gefordert haben, den die Freunde des Antonio doch hernach umständlich führen mußten. – Was meine Geschichtschreiberin von dem Tode des Kardinal Heinrichs sagt, beweiset ihre unbedachtsame Parteilichkeit noch mehr. Der Kardinal starb in seinem 68sten Jahre, und sie sagt selbst: il etoit vieux et usé, c’en devoit etre assez pour faire juger qu’il n’iroit pas loin. Warum läßt sie es also nicht dabei? Warum läßt sie uns, außer dem Alter und der Krankheit, noch eine andere Ursache seines Todes argwohnen? Doch was argwohnen? Sie sagt mit trockenen Worten: Quelques Historiens disent que Philippes trouva le secret de l’empecher de languir.(106) Philippus erbarmte sich des kranken Heinrichs, und ließ ihn aus der Welt schaffen. Wenn sie doch nur einen von den Geschichtschreibern genennt hätte, die dieses sagen! Herr Gebauer wenigstens führt keinen an, dem diese grausame Beschuldigung eingekommen wäre; und ich sorge, die Fr. von Sainctonge wird die unselige Urheberin derselben bleiben.
So etwas macht ihr nun zwar keine Ehre; doch muß sie auch darum nicht lauter Unwahrheiten geschrieben haben. Das worin man ihr am sichersten trauen kann, sind ohne Zweifel die Nachrichten, die sie uns von dem Bruder ihres Großvaters gibt, und die Herr Gebauer bei folgender Stelle sehr wohl würde haben brauchen können. »In den Azorischen Inseln, sonderlich auf Tercera, hatte sich ein Ruf ausgebreitet, König Sebastian sei nicht erschlagen, sondern entkommen, und werde sich bald seinen treuen Untertanen wieder zeigen. Als hierauf Antonius des König Heinrichs Tod und seine Erhebung denen auf Tercera wissen ließ, waren sie dessen wohl zufrieden, und ob sie gleich durch ihre Abgeordnete des Antonii Niederlage bei Alcantara und Flucht erfuhren, blieben sie doch in der Treue gegen ihren angebornen König beständig, zumal da Cyprian von Figueredo, ein standhafter Diener von dem unglückseligen Antonio, sie bei diesen Gedanken erhielt, und Petrus Valdes mit seinen Spaniern in einer Landung unglücklich war.«(107) – Herr Gebauer ist hier, wider seine Gewohnheit sehr concis, und führt auch, welches er sehr selten zu tun pflegt, ganz und gar keinen Währmann an. Er würde aber ohne Zweifel die Fr. von Sainctonge hier angeführt haben, wenn er sie gekannt hätte. Wenigstens würde er ihr in dem Vornamen des Figueredo gefolgt sein, welches eben der obgedachte Bruder ihres Großvaters war. Denn diese Kleinigkeit hat sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, richtiger wissen müssen, als alle andere Skribenten. Sie nennet ihn Scipio Vasconcellos de Figueredo; und nicht Cyprian. Er war, sagt sie,(108) Gouverneur auf Tercera, und hatte sich für den Antonio erkläret, ohne im geringsten auf die Vorschläge, die ihm der König von Spanien durch den Prinzen von Eboly, Ruy Gomes, tun ließ, hören zu wollen. Philipp II. brauchte also gegen ihn Ernst, und bemächtigte sich vors erste aller Güter, die er in Portugal hatte. Die Expedition aber, die er hierauf dem Petrus Valdes wider ihn auftrug, war nicht die einzige, welche Figueredo durch seinen standhaften Mut fruchtlos machte. Valdes oder, wie ihn die Frau von Sainctonges ohne Zweifel nicht so richtig nennet, Balde, war ein von sich selbst so eingenommener Mann, daß er glaubte, der Sieg könne ihm gar nicht fehlen. Er konnte sich nicht einbilden, daß man einen Augenblick gegen ihn bestehen könne, und behauptete doch, als es zur Tat kam, die Ehre seiner Nation sehr schlecht. Er ward gänzlich geschlagen, und kam, mit Schande und Verwirrung über häuft, nach Portugal zurück. Philippus ließ ihn noch dazu in Verhaft nehmen, weil er ihm zur Last legte, daß er sich ohne seinen Befehl ins Treffen eingelassen habe; und Valdes bedurfte der kräftigsten Vorsprache aller seiner Freunde, um der ihm drohenden Gefahr zu entkommen. – Das Jahr darauf wurde ein zweiter Versuch auf Tercera unternommen, welcher noch unglücklicher ablief. Herr Gebauer scheinet von diesem gar nichts zu wissen; die Frau von Sainctonge aber erzählet folgendes davon: Der Gouverneur (Figueredo) habe so wenig Soldaten übrig gehabt, daß ein minder unerschrockener Mann als er, eher an eine vorteilhafte Kapitulation, als an die Verteidigung würde gedacht haben. Seinen Mut aber habe nichts erschüttern können; und er sei auf eine List gefallen, die von sehr guter Wirkung gewesen. Er habe nämlich eine große Anzahl Ochsen aus dem Gebirge kommen, und sie an dem Tage der Schlacht, mit brennenden Lunten auf ihren Hörnern, mitten unter dem kleinen Haufen seiner Truppen forttreiben lassen. Die Spanier, die einen sehr schwachen Feind vor sich zu finden geglaubt hätten, wären durch den Schein betrogen worden; sie hätten mit einer überlegenen Macht zu tun zu haben vermeinet, und daher mit so weniger Ordnung gestritten, daß auch eine gemeine Tapferkeit zureichend gewesen sein würde, sie zu überwinden. Das Metzeln sei erschrecklich gewesen; von allen spanischen Soldaten wären nur zwei entkommen, die sich in ein paar hohle Weiden verkrochen gehabt. Diese zwei hätten losen müssen, und der, den das glückliche Los getroffen, habe die Nachricht von dieser schrecklichen Niederlage nach Portugal überbringen müssen.(109)
So glücklich nun aber Figueredo in Tercera war, so hielt es doch Antonio für noch vorteilhafter, wenn er einen so tapfern Mann beständig um sich haben könnte. Er ließ ihn folglich nach Frankreich überkommen, und vertraute Tercera dem Emanuel von Sylva an. Die Frau von Sainctonge beklagt sich, daß verschiedene Geschichtschreiber aus dieser Veränderung geschlossen hätten, Antonio müsse mit dem Scipio nicht zufrieden gewesen sein, und führet dagegen eine Stelle aus einem Briefe des Antonio an den Pabst Gregorius XIII. an, worin er seiner Treue und Tapferkeit völlige Gerechtigkeit widerfahren läßt.
Nach den Erzählungen des Herrn Gebauers muß man glauben, daß sich Antonio, nachdem er sein Portugal verlassen müssen, beständig in Frankreich aufgehalten habe. Der Fr. von Sainctonge zu Folge aber, hat er sich weit öfter und länger in England aufgehalten. Seine erste Reise dahin tat er sogleich nach seiner glücklichen Entkommung aus dem Reiche, von Calais aus, wohin ihn das Enkhäusische Schiff gebracht hatte. Sie fällt in das Jahr 1581 und ich finde, daß Camden in seinem Leben der Königin Elisabeth, wie auch, aus ihm, Rapin, ihrer unter diesem Jahre gedenken. Zu seiner zweiten Reise nach England, brachten ihn die Nachstellungen, welchen er von Seiten des Königs von Spanien, während den Unruhen der Ligue, in Frankreich ausgesetzt war. Sie muß in dem Jahre 1585 geschehen sein, und die Frau von Sainctonge erzählet uns einen merkwürdigen Umstand davon, den sie aus den eigenhändigen Memoires des Don Antonio gezogen zu haben versichert. »Die Königin Elisabeth, sagt sie, lud ihn auf das inständigste ein, zu ihr nach England zu kommen. Er tat es also, und ward auf eine sehr galante Weise daselbst empfangen. Die Königin hatte eine große Anzahl von den Edelleuten ihres Hofes sich in Schäfer verkleiden lassen, und schickte sie ihm, bis auf die Höhe von Salisbury entgegen, mit dem Vermelden, daß er sich von der großen Schäferin des Landes allen möglichen Beistand zu versprechen habe. In allen Städten, wo er durch mußte, hielt man ihm den prächtigsten Einzug, so daß man ihn eher für einen Sieger, als für einen seiner Länder beraubten König hätte ansehen sollen.« – Dieser sein zweiter Aufenthalt in England dauerte bis in das Jahr 1590. Die Angelegenheiten von Frankreich hatten durch den Tod Heinrichs III. eine andere Gestalt gewonnen, und Don Antonio glaubte sich nunmehr von Heinrich dem vierten einen nachdrücklichen Beistand versprechen zu dürfen. Heinrich war damals zu Dieppe, und Don Antonio kam zu ihm herüber. Allein der König dünkte sich selbst auf seinem Throne noch nicht so befestiget genug, daß er sich mit fremden Händeln abgeben könnte. Don Antonio kehrte also zwar unverrichteter Sache, aber doch mit vielen Versprechungen auf eine bequemere Zukunft, wieder nach England, wo er bis ins Jahr I594 blieb, da ihm Heinrich IV. durch seinen Gesandten, den Herrn Beauvais la Nocle versichern ließ, daß er, wenn er nach Frankreich kommen wollte, nunmehr sehr willkommen sein werde. Er ging also nach Calais über, und von da zu dem Könige nach Chartres. Heinrich bezeigte sich ungemein willig, ihm zu dienen; ließ ihm auch durch den Marschall de Matignon sagen, daß wenn er bei seiner (Heinrichs) Krönung mit gegenwärtig sein wollte, man ihm nicht allein den Vortritt dabei lassen, sondern ihn auch mit allem, was er zu dieser Zeremonie brauchen würde, versehen wollte. Don Antonio ließ sich aber mit seinem kurzen Atem entschuldigen, der ihm keinen Augenblick Ruhe gönne, und ging nach Paris, wohin ihm auch der König bald drauf folgte. Hier lag Antonio den König sehr an, ihm mit einer Summe von 26000 Talern beizuspringen; weil aber Heinrich sein bares Geld gegenwärtig selbst brauchte, so erlaubte er ihm, auf seinen Namen Geld zu borgen, und versprach es das folgende Jahr wieder zu geben. Clermont d’Amboise war bereits ernennt, die Truppen zu kommandieren, die der König dem Antonio geben wolle. Doch das Schicksal hatte es anders beschlossen, und der unglückliche Antonio starb. – Alles dieses erzählet die Frau von Saintonge, und es kann zu einer guten Ergänzung des Herrn Gebauers dienen, bei dem man, wie gesagt, auch nicht die geringste Spur findet, daß sich Antonio in England aufgehalten habe. – Was meinen Sie aber, ob es wohl Heinrichen IV. jemals ein wahrer Ernst gewesen ist, dem Antonio zu helfen, oder ob auch er eitel genung war, ihn bloß deswegen aus England kommen zu lassen, um seine Krönung durch die Gegenwart einer solchen Person glänzender zu machen? –
Das Besonderste was ich sonst bei der Frau von Saintonge finde, sind verschiedene Anekdoten, die Nachkommen des Don Antonio betreffend. Vornehmlich erzählt sie ein Liebesabenteur, welches Don Ludewig, des Antonio Enkel, in Italien gehabt, sehr weitläuftig. Die Dame aber, mit welcher er es gehabt, weil er sie endlich geheiratet, kann keine andere sein, als die Prinzessin von Montelcone, mit der er sich, zu Folge der Histoire Genealogique de la Maison Royale de France, verbunden hat; wobei es mich aber wundert, daß sie die Frau von Saintonge schlechtweg une Dame Italienne nennet, und von ihrem Stande sehr kleine Begriffe erwecket. Damals muß sich Don Ludewig auch dem spanischen Gehorsame noch nicht unterworfen gehabt haben; denn der Vizekönig von Neapel war sehr erfreut, seiner habhaft zu werden. Er muß seine Ansprüche erst spät, mit seinem Vater dem Don Emanuel, aufgegeben haben, von welchem letztern die Frau von Saintonge auch meldet, daß er ein Kapuziner gewesen, ehe er diesen schimpflichen Schritt getan habe.
G.
Vierter Teil
1759
III. Den 18. Oktober
1759
Drei und sechzigster Brief
Freuen Sie sich mit mir! Herr Wieland hat die ätherischen Sphären verlassen, und wandelt wieder unter den Menschenkindern.
Hier haben Sie vors erste sein Trauerspiel »Lady Johanna Gray«! Ein Trauerspiel, das er in allem Ernste für die Bühne gemacht hat, und das auch wirklich bereits aufgeführet worden; in der Schweiz nämlich, und wie man sagt, mit großem Beifalle. Ihnen einen Begriff überhaupt davon zu machen, das werde ich nicht besser als mit einer Stelle aus des Dichters eigener Vorrede tun können. »Die Tragödie, sagt er, ist dem edeln Endzweck gewidmet, das Große, Schöne und Heroische der Tugend auf die rührendste Art vorzustellen, – sie in Handlungen nach dem Leben zu malen, und den Menschen Bewunderung und Liebe für sie abzunötigen.« Von dieser Voraussetzung können Sie leicht einen Schluß auf die Charaktere und auf die Handlung seines Stücks machen. Die meisten von jenen sind moralisch gut; was bekümmert sich ein Dichter, wie Herr Wieland, darum, ob sie poetisch böse sind? Die Johanna Gray ist ein liebes frommes Mädchen; die Lady Suffolk ist eine liebe fromme Mutter; der Herzog von Suffolk ein lieber frommer Vater; der Lord Guilford ein lieber frommer Gemahl; sogar die Vertraute der Johanna, die Sidney, ist eine liebe fromme – ich weiß selbst nicht was. Sie sind alle in einer Form gegossen; in der idealischen Form der Vollkommenheit, die der Dichter mit aus den ätherischen Gegenden gebracht hat. Oder weniger figürlich zu reden: der Mann der sich so lange unter lauter Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzigen Fehler, auch unter uns schwachen Sterblichen eine Menge Cherubim und Seraphim, besonders weiblichen Geschlechts, zu finden. Teufel zwar erblickt er auch nicht wenige; sie verhüllen sich aber alle vor seinen Augen in finstere Wolken, aus welchen er sie nicht im geringsten zu exorzisieren sucht, aus Furcht sie möchten uns, wenn wir sie näher und in ihrer Wirksamkeit kennen lernten, ein wenig liebenswürdig vorkommen. So hat er es mit seinem Herzoge von Northumberland, und mit seinem Bischof Gardiner gehalten. Abscheulich sind sie genug; aber Schade, daß man sie nur lästern hört, ohne sie handeln zu sehen. – Lassen Sie es gut sein; wenn Herr Wieland wieder lange genug wird unter den Menschen gewesen sein, so wird sich dieser Fehler seines Gesichts schon verlieren. Er wird die Menschen in ihrer wahren Gestalt wieder erblicken; er wird sich, mit dem Homer, weit von den übertriebenen Moralisten entfernen, die sich einbilden,(110) μητε τι φαυλον αρετη προσειναι, μητε κακια χρησον; er wird finden, daß εν τοις πραγμασι και τω βιω των πολλων der Ausspruch seines Euripides wahr sei:
Ουκ αν γενοιτο χωρις εσϑλα και κακα.
Αλλ’ εσι τις συγκρασις.
Und alsdenn, wenn er diese innere Mischung des Guten und Bösen in dem Menschen wird erkannt, wird studieret haben, alsdenn geben Sie Acht, was für vortreffliche Trauerspiele er uns liefern wird! Bis itzt hat er den vermeinten edeln Endzweck des Trauerspiels nur halb erreicht: er hat das Große und Schöne der Tugend vorgestellt, aber nicht auf die rührendeste Art; er hat die Tugend gemalt, aber nicht in Handlungen, nicht nach dem Leben.
Ich werde mich in keine Kritik über den Plan seiner Johanna Gray einlassen. Ich finde, daß die Verfasser der »Bibliothek« es bereits getan haben;(111) und es so getan haben, daß die Kritik selbst damit zufrieden sein muß. Ich unterschreibe ihren Tadel; noch lieber aber ihr Lob, das sie dem Stücke in Ansehung des Sylbenmaßes, des Stils, des Vortrags erteilet haben. Alles was mir also Ihnen davon zu sagen übrig geblieben, bestehet in einigen Anmerkungen, die den Schöpfergeist des Herrn Wielands in ihr Licht setzen sollen.
Die Geschichte der Johanna Gray ist Ihnen bekannt. Eduard VI. starb den 6ten Julius 1553. Fünf Tage darauf ward Johanna zur Königin ausgerufen. Sie besaß den Thron neun Tage, und ward gefänglich in den Tour gesetzt, wo sie den 12ten Februar des folgenden Jahres hingerichtet ward. – Diesen ganzen Zeitraum von sieben Monaten hat Herr Wieland in die Dauer seines Trauerspiels einzuschränken gewußt. Eduard stirbt: erster Aufzug. Johanna wird Königin: zweiter Aufzug. Johanna wird abgesetzt und gefangen genommen: dritter Aufzug. Johanna ist gefangen: vierter Aufzug. Johanna wird hingerichtet: fünfter Aufzug. Alles dieses rollt bei dem Herrn Wieland so geschwind hinter einander weg, daß der Leser nicht mehr als ein einziges mal, zwischen dem vierten und fünften Aufzuge nämlich Zeit zu schlafen bekömmt.
Doch lassen Sie mich nicht, wie ein Gottschedianer kritisieren! Der Dichter ist Herr über die Geschichte; und er kann die Begebenheiten so nahe zusammen rücken, als er will. Ich sage: er ist Herr über die Geschichte! Wir wollen sehen ob Herr Wieland diese Herrschaft in mehrern und wesentlichern Stücken zu behaupten gewußt hat.
Johanna war ein gelehrtes Mädchen. Sie verstand Griechisch, und konnte den Plato in der Grundsprache lesen. Das sagt die Geschichte, und Herr Wieland sagt es der Geschichte nach, ob er gleich von dieser Eigenschaft seiner Heldin in dem Stücke nicht den geringsten Vorteil ziehet.
– – Nimmer werden uns
Bei Platons göttlichen Gesprächen
Die holden Stunden zu Minuten werden!
läßt er das Mädchen ausrufen; und der Leser macht sich in allem Ernste Hoffnung, sie eine Stelle aus dem »Phädon« exponieren zu hören. Aber seine Hoffnung schlägt fehl, und endlich denkt er, das eitle Mädchen habe mit ihrer Gelehrsamkeit nur prahlen wollen. Sie ist ohnedem eine Erzpedantin, der manchmal weiter nichts fehlt, als daß sie noch Hauptstück und Seite zitiere! Man höre nur:
– Was Gut, was Schön, was Edel ist,
Was erst den Menschen, denn den König bildet,
Des ersten Edwards väterlicher Sinn
Zu seinem Volk, und Richards Löwenmut,
Der kluge Geist des Salomons der Briten,
Das ganze Chor der Schwester-Tugenden
Die einst sich Alfreds Brust zum Tempel weihten,
Befruchteten sein Herz. Wie Davids Sohn
Bat er von Gott nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Gold,
Er bat um Weisheit und er ward erhört!
Umsonst erbot ihm mit Syrenenlippen
Die Wollust ihre schnöden Süßigkeiten.
Wie Herkules, verschmäht er sie und wählte
Der Tugend steilen Pfad, den Weg der Helden!
Welch eine gelehrte Parentation auf ihren Mitschüler! Von allen ist etwas darin: vaterländische Historie, Bibel und Mythologie!
Die Geschichte sagt ausdrücklich, daß Johanna vornehmlich durch das ungestüme Zusetzen ihres Gemahls, des Guilford Dudley, sei bewogen worden, die Krone anzunehmen. Auch der Dichter adoptiert diesen häßlichen Umstand, der uns von dem Guilford eine sehr nichtswürdige Seite zeiget. Wenn Guilford seine Gemahlin bittet, den Thron zu besteigen, was bittet er anders, als ihn nachzuheben? Diese schimpfliche Eigennützigkeit reimet sich zu dem edeln Charakter, den Herr Wieland dem Guilford sonst gegeben hat, im geringsten nicht.
Ferner sagt die Geschichte, daß der Herzog von Northumberland als der feigste Bösewicht gestorben sei, und noch auf dem Blutgerüste seinen Glauben verleugnet habe. Herr Wieland will dieses nicht umsonst gelesen haben; er bringt es an, ohne zu überlegen, daß der Anteil, welchen der Zuschauer an dem Schicksale seiner Johanna nimmt, unendlich dadurch geschwächt werde. Denn nunmehr, wie die Verfasser der »Bibliothek« mit Recht sagen, ist Johanna mehr eine betrogene, als eine verfolgte Unschuld, die sich mehr über die Ihrigen, als über ihre Feinde zu beklagen hat.
Und so könnte ich Ihnen noch mehr als einen Umstand anführen, den Herr Wieland ganz roh aus der Geschichte genommen hat, und der, so wahr er immer ist, dem Interesse seines Stücks schnurstracks zuwider läuft. Heißt das, als ein Genie arbeiten? Ich meinte, nur der Verfasser der »Parisischen Bluthochzeit« stehe in dem schülerhaften Wahne, daß der Dichter an einer Begebenheit, die er auf die tragische Bühne bringen wolle, weiter nichts ändern dürfte, als was mit den Einheiten nicht bestehen wolle, übrigens aber genau bei den Charakteren, wie sie die Geschichte von seinen Helden entwirft, bleiben müsse.
Aber wozu alle diese Anmerkungen? Das Trauerspiel des Herrn Wielands muß dem ohngeachtet ein vortreffliches Stück sein; und davon überzeugt mich ein ganz besonderer Umstand. Dieser nämlich: ich finde, daß die deutsche Johanna Gray in ihrem wahren Vaterlande bekannt geworden ist, und da einen englischen Dichter gereizt hat, sie zu plündern; sie recht augenscheinlich zu plündern. Die englischen Highwaymen aber berauben, wie bekannt, nur lauter reiche Beutel und machen sie auch selten ganz leer. Folglich! –
Sollte nicht Milton auch einen Deutschen geplündert haben? Gottsched triumphierte über diese vermeintliche Entdeckung gewaltig! Aber es war eine Calumnie, und Gottsched hatte zu zeitig triumphiert. Hier will ich ihm also mit einem bessern, gegründetern Beispiele an die Hand gehen? wie gern sich die englische Biene auf unsern blumenreichen deutschen Auen treffen läßt. Einfältig muß unterdes mein englischer Plagiarius nicht sein; denn er hat sich darauf verstanden, was gut ist. Z E. die vortreffliche Stelle, wo Johanna zu ihrer Mutter sagt:
– – – Doch wenn Edward wirklich
Berechtigt war, die Kron auf Heinrichs Schwesterkinder
Zu übertragen, ist die Reihe denn
An mir? – – Was müßte meine Mutter sein,
Eh mir der Thron gebührte?
und ihre Mutter antwortet:
– – – Deine Mutter!
Und stolzer auf den Titel deiner Mutter
Als auf den Ruhm die glänzende Monarchin
Der ganzen Welt zu sein!
Diese vortreffliche Stelle, sage ich, die so hervorsticht, daß alle Rezensenten des Wielandischen Stücks sie ausgezogen haben, hat sich der Engländer fein eigen gemacht. Er übersetzt sie so:
Ev’n you my gracious Mother, what must you be
Ere i can be a Queen?
Duchess of Suffolk. That, and that only,
Thy Mother; fonder of that tender Name,
Than all the proud Additions Pow’r can give.
Der Beschluß künftig
IV. Den 25. Oktober
1759
Beschluß des drei und sechzigsten Briefes
Nicht schlimm übersetzt! Gewiß, man sieht, der Engländer muß ein Mann sein, der etwas eben so schönes eben so wohl aus seinem eigenen Kopfe hätte sagen können. Vergleichen Sie noch folgende Stellen, und Sie werden finden, daß er Herr Wielanden, in der Wahl der edelsten und stärksten Ausdrücke, fast erreicht hat.
Wieland
– – – Ach, Kerkerbande
Und Schwert und Flammen sind den Heiligen
Gedräut, den unbeweglichen Bekennern
Des Evangeliums! Die Grausamkeit
Der Priester schont des schwächeren Geschlechts
Der Kinder nicht! Der Säugling selber wird
Des Speers geweihtes Eisen färben! –
Der Engländer
Persecution,
That Fiend of Rome and Hell, prepares her Tortures;
See where she comes in Mary’s priestly Train!
Still wo’t thou doubt, till thou behold her stalk,
Red with the Blood of Martyrs, and wide wasting
O’er Englands Bosom? All the mourning Year
Our Towns shall glow with unextinguish’d Fires;
Our Youth on Racks shall stretch their crackling Bones,
Our Babes shall sprawl on consecrated spears etc.
Wieland
Heil dir, Prinzessin, Heil dir, Enkelin
Von alten Königen, du schönste Blume
Von Yorks und Lancasters vereintem Stamme!
Durch deren Eifer, unter deren Schutze
Die göttliche Religion der Christen
Ihr leuchtend Angesicht, von ihren Flecken
Gereinigt, siegreich über alle Länder
Erheben soll, durch deren klugen Scepter
Gesetz und Freiheit, Fleiß und Überfluß
Und Wonne diese segensvolle Insel
Zur Königin der Erde krönen sollen.
Mein Knie beugt sich zuerst dir ehrfurchtsvoll,
Den Bund der unverletzten Treu zu weihen!
Heil, Ruhm und Glück der Königin Johanna!
Der Engländer
Hail, sacred Princess! sprung from ancient Kings,
Our England’s dearest Hope, undoubted Offspring
Of York and Lancaster’s united Line;
By whose bright Zeal, by whose victorious Faith
Guarded and fenc’d around, our pure Religion,
That Lamp of Truth which shines upon our Altars,
Shall lift its golden Head and flourish long;
Beneath whose awful Rule, and righteous sceptre,
The plenteous Years shall roll in long Succession;
Law shall prevail and ancient Right take place,
Fair Liberty shall lift her chearful Head,
Fearless of Tyranny and proud Oppression;
No sad Complaining in our streets shall cry,
But Justice shall be exercis’d in Mercy.
Hail, royal Jane etc.
Wieland
Verwünscht sei mein fataler Rat! Verwünscht
Die Zunge, die zu deinem Untergang
So wortreich war. – Ach meine Tochter,
Mir bricht mein Herz.
Der Engländer
Curs’d be my fatal Counsels, curs’d my Tongue
That pleaded for thy Ruin, and persuaded
Thy guiltless Feet to tread the Paths of Greatness!
My Child! – I have undone thee!
Genug! Leben Sie wohl; und lernen Sie hieraus, wie bekannt wir deutschen Dichter unter den Engländern sind.
G.
Vier und sechzigster Brief
So? Vermuten Sie, daß hinter meinem Engländer, der den Herrn Wieland soll ausgeschrieben haben, eine kleine Bosheit stecke? Sie meinen doch wohl nicht, daß ich, ein zweiter Lauder, die englische Verse selbst gemacht habe? Allzuviel Ehre für mich! Nein, nein; mein Engländer existieret; und heißt – Nicholas Rowe. Was kann Herr Wieland dafür, daß Nicholas Rowe schon vor vierzig und mehr Jahren gestorben ist?
Aber Scherz bei Seite! Es sei fern von mir, dem Herrn Wieland ein Verbrechen daraus zu machen, daß er bei seinem Stücke einen der größten englischen Dichter vor Augen gehabt hat. Mich befremdet weiter nichts dabei, als das tote Stillschweigen, welches er wegen dieser seiner Nachahmung beobachtet. Und wenn er dem Rowe nur noch bloße einzelne Stellen zu danken hätte! Allein so hat er ihm auch den ganzen Plan zu danken; und ich kann ohne die geringste Übertreibung behaupten, daß fast keine einzige Situation sein eigen ist. – Sie hiervon zu überzeugen, erlauben Sie mir, Ihnen den Plan der englischen Johanna Gray mit wenigen vorzuzeichnen.
Edward lebt noch, und Johanna Gray ist mit ihrem Guilford noch nicht vermählet. Von diesem Punkte gehet Rowe aus. Die Herzoge von Northumberland und Suffolk, nebst einem gewissen Johann Gates eröffnen die Szene. Wir erfahren, daß der König in den letzten Zügen lieget, und daß der Herzog von Northumberland bereits seine Maßregeln genommen hat, die Nachfolge der päpstischen Maria zu verhindern. Die Gegenwart der Johanna ist dazu unumgänglich nötig; und der Herzog von Suffolk gehet ab, ihre Ankunft bei Hofe zu beschleinigen; so wie kurz zuvor Gates abgehet, ihre Freunde auf allen Fall in Bereitschaft zu halten. Northumberland verrät in einer Monologue weitaussehende Anschläge, deren glücklicher Fortgang vornehmlich darauf beruhe, daß Johanna, noch vor Edwards Absterben, mit seinem Sohne, dem Guilford vermählt werde. Der Graf von Pembrock kömmt dazu; ein junger hitziger Mann, den Northumberland durch Schmeicheleien zu gewinnen sucht. Pembrock stutzt darüber um so vielmehr, da er der erklärte Nebenbuhler seines Sohnes ist. Doch der alte Herzog versichert ihm, daß diese Sache zu klein sei, als daß sie seiner Achtung gegen ihn das geringste benehmen könnte, sie möge auch einen Ausgang haben, was für einen sie wolle. Er geht ab, und sagt, daß er des Pembrocks im geheimen Rate erwarte. Pembrock bleibt allein und spottet des alten Bischofs Gardiner, der nicht aufhöre, ihm den Northumberland als einen falschen Mann abzumalen, ohne Zweifel aus bloßem Hasse gegen die neue Religion, welcher der Herzog zugetan sei. Er hält den Vater für eben so aufrichtig und edelgesinnt als den Sohn, mit dem er, ihrer Rivalität ungeachtet, eine vertraute Freundschaft unterhält. Guilford kömmt, und ihre Freundschaft ist ihr Gespräch. Guilford zittert, daß diese einen so gefährlichen Feind an ihrer beiderseitigen, auf eben denselben Gegenstand abzielenden Liebe haben müsse! Pembrock kann den Gedanken nicht ertragen, daß Johanna ihm den Guilford vielleicht vorziehen möchte. Er wird in den geheimen Rat gerufen, und bedingt sich von seinem Freunde nur noch dieses, daß sie in ihrer gemeinschaftlichen Bewerbung offenherzig und ohne die geringste Hinterlist, zu Werke gehen wollen. Guilford bleibt zurück, und empfängt die Johanna, die nunmehr bei Hofe anlangt. Sie haben ein kurzes Gespräch, in welchem sich, ungeachtet der Traurigkeit über den nahen Tod ihres königlichen Freundes, die Liebe der Johanna gegen den Guilford zeiget. – Aus diesem Aufzuge hat Herr Wieland nichts entlehnen können, indem er mit der Geschichte so weit nicht zurückgegangen ist. Die Person des Pembrocks aber hat er aus seinem Stücke ganz und gar auszuschließen für gut befunden: als eine Person, ohne Zweifel, die in der Geschichte eine ganz andere Rolle spielet. Den Grafen Wilhelm Herbert von Pembrock kann Rowe schwerlich darunter verstehen; er muß vielmehr den Sohn dieses Grafen meinen, welcher nachher mit der jüngern Schwester der Johanna vermählt ward.
Den zweiten Aufzug eröffnen abermals Northumberland und Suffolk. Die Väter haben nunmehr die Verbindung ihrer Kinder verabredet. Die Herzogin von Suffolk und Guilford kommen dazu. Guilford ist in der äußersten Entzückung über sein nahes Glück. Sie gedenken der Johanna, die an dem Bette des sterbenden Königs weine. Indem tritt sie herein, und verkündiget den Tod desselben. – Die letzte Rede des Königs ist bei dem Herrn Wieland folgende:
O Gott, – –
– nimm mich zu dir.
Nimm meinen Geist aus dieser Welt des Abfalls
Zu dir und zu den Geistern, die dich lieben,
Und deinen Willen tun. – O meine Seele
Lechzt lange schon, dein Angesicht zu schauen!
Du, Vater, weißest es, wie gut mirs wäre,
Bei dir zu sein! Und doch um derer willen,
Die zu dir weinen, laß mich länger leben!
Noch leben, bis das große Werk vollbracht ist,
Dein Reich in Englands Grenzen fest zu gründen.
Doch nicht mein Will, o Vater, sondern deiner
Gescheh! etc. –
In dieser Stelle hat Herr Wieland dem Rowe nichts zu danken; sie ist ganz sein! Rowe glaubte, ohne Zweifel, daß ein sterbender König sich nicht wie eine sterbende alte Frau ausdrücken müsse, und legt ihm pathetischere Worte in den Mund:
– Merciful, great Defender!
Preserve thy holy Altars undefil’d.
Protect this Land from bloody Men and Idols,
Save my poor People from the Yoke of Rome
And take thy painful servant to thy Mercy!
Northumberland und Suffolk beschließen, den Tod des Königs geheim zu halten, trösten die Johanna, und lassen sie mit ihrem Guilford allein, der ihr den gefaßten Entschluß, wegen ihrer schleinigen Verbindung, beibringen soll. Guilford tut es auf die zärtlichste und selbst ihrer Traurigkeit schmeichelhafteste Art. Eine sonderbare Szene! Johanna tritt ab, und auf einmal wird Guilford von seinem Freunde überrascht. Pembrock sieht ihn verwirrt, und will die Ursache seiner Verwirrung wissen. Guilford sucht ihn allmählich darauf vorzubereiten; endlich muß er mit dem Geheimnisse heraus, daß ihm sein gutes Glück bei ihrer Geliebten den Vorzug verschafft habe. Pembrock gerät in Wut, beschuldiget ihn eines verräterischen Verfahrens, daß er, wider ihre Abrede, auf eine unedle Art seine Hoffnung untergraben habe, und geht in völliger Raserei ab.
Die Szene war bisher bei Hofe gewesen, und nunmehr, mit dem Anfange des dritten Aufzuges, verlegt sie der Dichter in den Tower. Gardiner der daselbst in einem weiten Verhafte gehalten wird, unterredet sich mit dem Pembrock. Der Bischof hat erfahren, daß die Vermählung zwischen der Johanna und dem Guilford wirklich vor sich gegangen, und zieht den Pembrock dadurch völlig auf seine und der Maria Seite. Sie treten ab, und Guilford führet seine Johanna herein, weil der geheime Rat sich in dem Tower versammeln will. Er bereitet sie auf die große Nachricht vor, die sie nun bald erfahren soll. Kurz darauf erscheint ihre Mutter, ihr Vater, der Herzog von Northumberland, nebst anderen Herren des geheimen Rats, und der edle Streit nimmt seinen Anfang, mit welchem Herr Wieland seinen ganzen zweiten Aufzug anfüllet. Hier ist es, wo er dem Engelländer das meiste abgeborgt hat.
Die erste Szene des vierten Aufzuges haben wiederum Pembrock und Gardiner. Sie versprechen sich beide, daß das Unternehmen des Northumberland einen blutigen Ausgang haben werde. Indem erscheint die Wache, und führt den Bischof auf Befehl der neuen Königin in eine engere Haft. Auch Pembrock soll abgeführet werden, aber Guilford kömmt dazu, schickt die Wache ab, und sagt, daß er selbst für diesen Gefangenen stehen wolle. Er war gekommen, seinen Freund zu retten, gibt ihm seinen Degen wieder, und dringt in ihn, daß er sich augenblicklich in Sicherheit begeben soll. Der ergrimmte Pembrock ist über dieses Verfahren betroffen, und will der Großmut seines Freundes lange nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen bis ihm dieser den Befehl seines eignen Vaters zu seiner plötzlichen Hinrichtung zeiget, welchen er auf keine andere Weise, als durch die anscheinende Gefangennehmung, zu vereiteln gewußt habe. Nun kömmt Pembrock auf einmal wieder zu sich, und es erfolgt die rührendste Aussöhnung, bei der man sich unmöglich der Tränen enthalten kann. Kaum aber ist Pembrock fort, als Johanna mit einem Buche in der Hand (es ist der »Phädon« des Plato) herein tritt. Die Katastrophe ist ausgebrochen, und sie beruhiget sich mit Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele. Diese Szene ist es, welche sich Herr Wieland hätte zu Nutzen machen müssen, wenn seine Heldin nicht vergebens von ihrer Gelehrsamkeit geschwatzt haben sollte. Guilford erfährt von ihr, daß sie der geheime Rat verlassen und sich zu der Maria begeben habe. Die Herzogin, ihre Mutter, kömmt dazu; sie jammert; Guilford tobet, und Johanna bleibt ruhig. Indem erscheinen der Graf Sussex und Gardiner mit der Wache, und nehmen alle drei, im Namen der Königin Maria, gefangen.
In dem fünften Aufzuge erblicken wir den geschäftigen Bischof, der zur Hinrichtung der Gefangenen die nötigen Befehle erteilet. Zu ihm kömmt Pembrock. Seine mit dem Guilford erneuerte Freundschaft hat ihn nicht müßig gelassen; er hat bei der Königin, für die Gefangenen Gnade ausgewirkt, und gibt dem Gardiner frohlockend davon Nachricht. Doch das ist im geringsten nicht nach des Bischofs Sinne, er eilet also zur Maria, ihr diese unzeitige Gnade auszureden; und Pembrock begibt sich zu seinem Guilford. Itzt wird die hinterste Szene aufgezogen, und man sieht die Johanna auf ihren Knien liegen und beten. Guilford tritt zu ihr herein. Sie unterhalten sich mit Todesbetrachtungen, als Pembrock kömmt und ihnen seine fröhliche Botschaft bringet. Nur einen Augenblick glänzet ihnen dieser Strahl von Hoffnung. Gardiner erscheinet, und bekräftiget zwar die Gnade der Königin, aber bloß unter der Bedingung, daß sie beide zur römischen Kirche zurückkehren sollen. Diese Bedingung wird abgeschlagen; sogleich wird Guilford zum Tode geführet; die Szene eröffnet sich noch weiter; man erblickt das Blutgerüste; Johanna besteiget es, als eine wahre Heldin; Gardiner triumphieret; Pembrock verwünscht den Geist der Verfolgung; und das Stück schließt.
Nunmehr sagen Sie mir, was Herr Wieland mit diesem großen Plane anders gemacht hat, als daß er einen prächtigen Tempel eingerissen, um eine kleine Hütte davon zu bauen? Er hat die rührende Episode des Pembrocks herausgerissen, und die letzten drei Aufzüge in fünfe ausgedehnet, durch welche Ausdehnung, besonders des fünften Aufzuges in seine beiden letzten, die Handlung ungemein schläfrig geworden ist. Herr Wieland läßt dem Guilford an einem Orte zur Johanna sagen:
Und selbst, o Scheusal, deine Räte selbst,
Die kaum mit aufgehabnen Händen schwuren,
Dir, dem Gesetz und unserm heilgen Glauben
Getreu zu bleiben, alle sind Verräter,
Verdammte Heuchler! – Pembrock, ach! mein Freund,
Mein Pembrock selbst, vom Gardiner betrogen,
Fiel zu Marien ab.
Man weiß gar nicht, was das für ein Pembrock hier ist, und wie Guilford auf einmal eines Freundes namentlich gedenket, der in dem Stücke ganz und gar nicht vorkömmt? Aber nun werden Sie dieses Rätsel auflösen können. Es ist eben der Pembrock des Rowe, dem er in seinem Stücke keinen Platz gönnen wollen, und der ihm dafür den Possen tut, sich, gleichsam wider seinen Willen, einmal einzuschleichen.
G.
V. Den 2. November
1759
Fünf und sechzigster Brief
Den Einfall des Herrn Professor Gottscheds, seinen Kern der deutschen Sprachkunst den sämtlichen berühmten Lehrern der Schulen in und außer Deutschland, zuzuschreiben, muß man ihn nicht für einen recht unverschämten Kniff eines gelehrten Scharlatans halten? Denn was ist diese Zuschrift anders, als ein Bettelbrief, seine Grammatik zu einer klassischen Grammatik deswegen machen zu helfen, weil sie in vier Jahren dreimal gedruckt worden, und der Herr Autor darüber ein Kompliment aus Wien und aus Chur im Graubündnerlande erhalten hat? Wenn der Name des Verlegers unter dieser Zuschrift stünde, so würde ich weiter nichts daran auszusetzen haben, als daß dieser vergessen, den Herren Rektoren und Konrektoren in jedes Dutzend Exemplare, die ihre Schüler verbrauchen würden, das dreizehnte gratis obenein zu versprechen. Aber daß sich Gottsched selbst durch seine blinde Eitelkeit zu diesem Schritte verleiten lassen, das muß ihn notwendig in den Augen aller Rechtschaffenen nicht bloß lächerlich, es muß ihn verächtlich machen. Denn wenn es auch schon unwidersprechlich wäre, daß seine Sprachkunst, vor allen andern in den Schulen eingeführt zu werden, verdiente; hätte ein großer Mann, wie er sein will, – denn alle große Männer sind bescheiden – einen dergleichen Vorzug nicht vielmehr in der Stille abwarten, als ihn zu erschleichen suchen sollen? –
Aber die berühmten Lehrer der Schulen, wie haben die sich dabei verhalten? Sehr leidend; doch scheinet es eben nicht, daß sie so leicht zu bestechen gewesen sind. Und in der Tat wäre es für den Herrn Professor selbst sehr zu wünschen, daß sie sämtlich ganz und gar nicht auf seine Zuschrift reflektieret hätten. Denn ich sorge, ich sorge, man fängt auch schon auf kleinen Schulen an, den berühmten Gottsched – auszulachen. Wenn nun der Lehrer das Büchelchen, über welches er zu lesen gebeten worden, auf allen Seiten verbessern und widerlegen muß, was für eine Achtung können die Schüler für den Professor mit auf die Universität bringen?
Und daß jenes zum Teil wirklich geschehen, beweisen unter andern die Anmerkungen, welche Herr Heinz, Rektor zu Lüneburg, über die Gottschedische Sprachlehre vor kurzen ans Licht gestellt hat.(112) »Da das Werk, hebt er seine Vorrede an, welches diese Anmerkungen veranlaßt hat, den Schulen gewidmet und zugeschrieben war: so hat, deucht mir, der berühmte Verfasser, wenn er uns anders so viel zutrauet, schon längst eine Kritik darüber vermuten müssen: und da unter so vielen Schullehrern sich doch, meines Wissens, keiner dazu entschlossen hat, so dürfte ich mir wohl ohne Eitelkeit den Vorzug anmaßen, daß ich die Aufmerksamkeit desselben auf die Schulen, unter allen mit der größten Achtung erwidert habe.« – In diesem schleichenden Tone eines trocknen naiven Mannes, fährt Herr Heinz fort, und gestehet endlich, daß freilich seine ganze Beurteilung so ausgefallen, daß ihm der Herr Verfasser schwerlich Dank dafür wissen könne. »Ich verlange, sagt er, auch nichts unmögliches: berufe mich aber schlechterdings darauf, daß sie nicht anders geraten können, und daß sie gerecht sei.«
Ich möchte meinen Brief am aller ungernsten mit grammatikalischen Streitigkeiten anfüllen; und Sie wollen überhaupt, nicht so wohl diese Streitigkeiten selbst, als vielmehr bloß das Resultat derselben wissen. Hören Sie also, wie Herr Heinz seine ganze Kritik schließt.(113) »Wollen wir, sagt er, noch kürzlich zusammenrechnen, ehe ich meinen Skribenten verlasse? so ist, deucht mir, durch die bisherige Prüfung folgendes wohl ganz ausgemacht: daß beide Sprachlehren des Herrn Prof. wohl schwerlich mit Einsicht und reifer Gelehrsamkeit geschriebene Werke heißen können: daß sie ohne Kritik beinahe unbrauchbar sind, wegen der gar zu vielen Fehler, welche doch teils durch die ausnehmende Zuversicht, womit Herr G. seine Meinungen vorträgt, teils durch den ihm gewöhnlichen Dunst von Worten, teils durch das Gepränge einer eiteln und magern Philosophie, vor unwissenden und treuherzigen Lesern ziemlich versteckt werden. Ein Gelehrter wird nirgends etwas finden, das die gewöhnliche Erkenntnis der deutschen Sprache überstiege, und woraus ein grammatikalischer Geist, oder ein Naturell, das zur Philologie geboren, oder erzogen wäre, hervorleuchtete. An dessen statt offenbaret sich durch das ganze Werk eine enthusiastische Liebe und eigensinnige Parteilichkeit des V. für die deutsche Sprache, oder vielmehr für seine Meinungen und Vorurteile von derselben, nebst einem allzugroßen Vertrauen auf seine Einsicht, welche oft in unbedächtige Urteile und schnöde Verachtung gegen angesehene Schriftsteller, oder gar gegen unschuldige Städte und Provinzen ausbrechen. Wenn andere Sprachlehrer mit ihm einerlei Frage abhandeln, so wiegt er immer am leichtesten: und der Mangel des Scharfsinnes, der Überlegung, und einer genugsamen Übung in diesem Felde, ist allen seinen Urteilen anzusehen. Die große Grammatik hat vor der andern sonst nichts voraus, als die Weitläuftigkeit, mit welcher die Sachen nicht gründlicher, vollständiger, gelehrter, sondern gedehnter, langweiliger, und in einem gewissen schlechten Verstande, philosophischer gesagt sind. Zur Probe kann das Kapitel von Nebenwörtern dienen; aber auch jedes andere Stück. Sie macht durchgängig viel Aufhebens von Kleinigkeiten, und tut, als ob vor ihr nicht nur keine Deutsche, sondern überall noch keine Sprachlehre geschrieben wäre; und als ob sie alle grammatikalische Begriffe und Einteilungen zuerst aus dem tiefen Brunnen, worin die Wahrheit verborgen liegt, herausholete, welches in der Tat weder Gelehrsamkeit noch Bescheidenheit beweiset. Freilich hätte man denken sollen, daß Hr. G. viel weiter sehen würde, als alle seine Vorgänger: da er sich nicht weniger als vier und zwanzig Jahr zur Ausarbeitung seiner Grammatik genommen, wie das Privilegium und die Vorrede bezeugen. Aber der Leser wird angemerkt haben, daß ich unsern V. oft aus Bödickern und Frischen verbessern können: hingegen zur Verbesserung dieser Männer aus Gottscheden wüßte ich auch nicht eine Stelle anzugeben. Ist das aber recht, seiner Vorgänger Verdienste zu unterdrücken, und ihre Bücher der Jugend aus den Händen zu spielen, wenn man es ihnen nicht einmal gleich tut? Wenn uns Deutschen nicht so gar leicht Genüge geschähe, so würde der Herr Prof. mit seiner lange erwarteten neuen Sprachlehre schwerlich eine andere Aufnahme erfahren haben, als ehemals ein gewisser Poet in Frankreich mit seinem Heldengedichte. Weil aber Herr G. alles mit der Erwartung seiner Grammatik angefüllt hatte, so wurden unsere alten wohlverdienten Sprachlehrer wenig gelesen, sondern die meisten sparten ihren Appetit nach grammatikalischer Erkenntnis auf das große Mahl, so er ihnen bereitete, und das ist wohl die Ursache des großen Beifalles, womit die neue Sprachlehre aufgenommen worden. Was mag er aber in so lieber langer Zeit daran gebauet und ausgefeilet haben! da doch noch itzo nach so vielen gelehrten Erinnerungen so vieler Gönner und Freunde, wie in der andern Vorrede stehet, und nun nach so viel wiederholten Auflagen, gleichwohl noch so viel, ich mag wohl sagen, kindische Fehler darin sind? – Herr Gottsched, schließet er endlich, hätte daher viel besser getan, wenn er doch ein Sprachlehrer werden wollte, daß er die Bödikerischen und Frischischen Grundsätze bloß in bequemere Ordnung gebracht hätte. Ich will damit nicht sagen, daß ers hätte tun sollen, denn meiner Meinung nach, mußte er gar keine Sprachlehre schreiben: weil die grammatische Muse, nach so vielen feindseligen Angriffen, welche er in dem Baylischen Wörterbuche, und sonst überall, auf sie selbst, und auf ihre größten Günstlinge getan hatte, ihm von je her, nicht anders, als gehässig sein konnte.«
Was sagen Sie hierzu; vorausgesetzt, daß Herr Heinz ein ehrlicher Mann ist, der im geringsten nichts übertreibt? (Wenn Sie es nicht voraussetzen wollen, so glauben Sie es so lange auf mein Wort, bis Sie Lust bekommen, sich selbst davon zu überzeugen.) Wird es Ihnen noch wahrscheinlich sein, daß einer, ob er schon ein magrer Philosoph, und ein schlechter Dichter ist, dennoch wohl eine gute Sprachkunst schreiben könne? Oder gestehen Sie es nun bald, daß ein seichter Kopf nirgends erträglich ist?
Und Herr Professor Gottsched muß es selbst gefühlt haben, daß ihm dieser Gegner ein wenig zu sehr überlegen sei! Sie glauben nicht, wie seltsam er sich in seinem Neuesten(114) gegen ihn gebärdet! Ohne sich auch nur auf einen einzigen Tadel einzulassen, eifert und sprudelt er da etwas her, woraus kein Mensch klug werden kann; und begegnet dem Rektor mit einem so groben Professorstolze, als verhielte sich der Rektor zum Professor, wie der Schüler zum Rektor; da doch das Verhältnis in diesem Falle grade umgekehrt ist. »Hier steht abermal,« ruft er mit vollem Maule aus, »hier steht abermal ein Grammatiker auf, der an Herrn Prof. Gottscheds Sprachkunst zum Ritter werden will. Herr Rektor Heinz zu Lüneburg, ist von einem innern Berufe genagt worden, sich durch einen Angriff eines berühmten Mannes auch berühmt zu machen. Und was war leichter als dies? Man kann ja bald etliche Bogen über ein Buch zusammen schreiben, dessen gute Aufnahme in Deutschland ihm ein Dorn im Auge war. Besondre Ursachen zur Feindschaft gegen denselben hatte er nicht: das gesteht er selbst. Die Pflichten der Mitglieder einer Gesellschaft, dergleichen die Deutsche zu Göttingen ist, werdens ihm vermutlich auch nicht auferlegt haben, einen seiner ältern Gesellschafter so stürmend anzugreifen. Um desto mehr wundern wir uns, daß er dennoch kein Bedenken getragen, einen solchen Anfall auf einen Mann zu tun, der ihm nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben.« – Wenn werden die schlechten Skribenten einmal aufhören zu glauben, daß notwendig persönliche Feindschaft zum Grunde liegen müsse, wenn sie einer von ihren betrogenen Lesern vor den Richtstuhl der Kritik fordert? – »Doch wie?« fährt das Neueste fort; »hat nicht Herr Prof. G. seine kleine Sprachlehre den sämtlichen berühmten Schullehrern in Deutschland zugeschrieben? Es ist wahr, und der Augenschein zeigt es, daß solches mit viel Höflichkeit, mit vielen Lobsprüchen, und in dem besten Vertrauen zu ihnen geschehen ist. War nun das etwa ein zureichender Grund, denjenigen so grämisch anzuschnarchen, der ihm zugleich mit andern eine solche Ehre erwiesen? Welcher Wohlgesittete kann das begreifen?« – Derjenige Wohlgesittete, würde ich hierauf antworten, bei dem die Höflichkeit nicht alles in allen ist. Der die Wahrheit für keine Schmeicheleien verleugnet, und überzeugt ist, daß die nachdrückliche Warnung vor einem schlechten Buche ein Dienst ist, den man dem gemeinen Wesen leistet, und der daher einem ehrlichen Manne weit besser anstehet, als die knechtische Geschicklichkeit, Lob für Lob einzuhandeln. Zudem weiß ich auch gar nicht, was das Neueste mit dem grämischen Anschnarchen will; zwei altfränkische Wörter, die schwerlich aus einer andern, als des Herrn Professors eigener Feder können geflossen sein. Man kann nicht mit kälterm Blute kritisieren, als es Herr Heinz tut; und die Stelle, die Sie oben gelesen haben, ist die stärkste in seinem ganzen Buche. Was finden Sie darin grämisches und angeschnarchtes? Grämisch anschnarchen kann niemand als Herr Gottsched selbst; und zwar fällt er in diesen Ton gemeiniglich alsdenn, wenn er satyrisch sein will. Z.E. Was ist geschnarchter als folgende Stelle? »Doch Herr Heinz besorget, es werde bei seinem Stillschweigen, die Gottschedische Grammatik ein klassisches Ansehen gewinnen; da ers zumal nicht ohne Galle bemerket, daß bisher alle seine Herrn Kollegen stille dazu geschwiegen: weswegen er glaubet, es sei besser, daß einer, als daß keiner das Maul auftue, und diesem großen Unheil steure und wehre. Allein mit seiner gütigen Erlaubnis, fragen wir hier, ob er denn wohl glaube, daß ein Buch darum gleich zu Boden geschlagen sei, weil er, Herr Heinz von Lüneburg, sich demselben widersetzet? Wir glauben es gewißlich noch nicht! Die Gottschedische Sprachkunst hat schon mehr solche grimmige Anfälle überstanden, und steht doch noch. Sie wird gewiß den seinigen auch überstehn.« – Welche Schreibart! Und wie witzig ist das Herr Heinz von Lüneburg, auf welches einige Zeilen darauf der Sekundaner Kunz folgt!
Noch eine recht lustige Stelle aus dem »Heumonde« des Hrn. Prof. kann ich mich nicht enthalten, Ihnen abzuschreiben. Indem er Herr Heinzen aushunzt, kommen ihm auch die Verfasser der göttingischen gelehrten Zeitungen in den Weg, die sich dann und wann unterstehen, ihm eine kleine Wahrheit zu sagen, ohne zu bedenken, daß der Herr Professor ein altes Mitglied ihrer deutschen Gesellschaft ist. Er meint, er habe zu dieser Frechheit nun lange genug stille geschwiegen; und wenn sie ihn weiter »böse machten, so werde er einmal aufwachen, und ihnen durch den Zuruf:
Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex
ihre Schwäche bekannt machen. – Wir wissen auch nicht, fährt hierauf der ›Heumond‹ fort, was ihn bisher zu solcher Geduld und Gelassenheit bewogen; zumal da die göttingischen Zeitungen für ein Werk von einer ganzen Sozietät der Wissenschaften gelten sollen, unter deren Aufsicht, und mit vermutlicher Genehmhaltung sie herauskommen. Gewiß in solchen Zeitungen verdammt zu werden, ist kein solcher Spaß, als wenn einen ein jeder unbekannter und ungenannter Kritikaster herunter macht. Wer also auf seinen guten Namen hält, der ist in seinem Gewissen verbunden, von einem so unbefugten und gewaltsamen Richter sich auf einen höhern zu berufen, und den Ungrund seiner Urteile zu zeigen. Nichts, als die Verbindung mit der göttingischen deutschen Gesellschaft kann ihn, unsers Erachtens, bisher abgehalten haben, hier so lange stille zu sitzen. Allein wer weiß, wie lange es dauert, so schicket er ihr sein Diplom (nach Hrn. Rat Königs in Haag Beispiele) zurück; und setzet sich wieder in die natürliche Freiheit, seine Ehre zu retten. Bis dahin kann er ihnen mit dem Achill in der Iphigenia zurufen:
Dankt es dem Bande bloß, das meinen Zorn noch hemmet,
Sonst hätt er schon mein Herz gewaltsam überschwemmet.«
– Welch eine Drohung! Die arme deutsche Gesellschaft, wenn ihr dieses Unglück begegnen sollte! Ich glaube, sie würde darüber zu einer wendischen. Denn wie kann eine deutsche Gesellschaft ohne Gottscheden bestehen?
O.
VIII. Den 23. November
1759
Siebenzigster Brief
Hier ist etwas von einem Verfasser, der ziemlich lange ausgeruhet hat! – Es sind die Fabeln des Herrn Lessings.(115)
Er meldet uns in der Vorrede, daß er vor Jahr und Tag einen kritischen Blick auf seine Schriften geworfen, nachdem er ihrer lange gnug vergessen gehabt, um sie völlig als fremde Geburten betrachten zu können. Anfangs habe er sie ganz verwerfen wollen; endlich aber habe er sie, in Betrachtung so vieler freundschaftlichen Leser, die er nicht gern dem Vorwurfe aussetzen wollen, ihren Beifall an etwas ganz unwürdiges verschwendet zu haben, zu verbessern beschlossen.
Den Anfang dieser Verbesserung hat er mit seinen Fabeln gemacht. »Ich hatte mich, sagt er, bei keiner Gattung von Gedichten länger verweilet, als bei der Fabel. Es gefiel mir auf diesem gemeinschaftlichen Raine der Poesie und Moral. Ich hatte die alten und neuen Fabulisten so ziemlich alle, und die besten von ihnen mehr als einmal gelesen. Ich hatte über die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich hatte mich oft gewundert, daß die gerade auf die Wahrheit führende Bahn des Aesopus, von den Neuern, für die blumenreichen Abwege der schwatzhaften Gabe zu erzählen, so sehr verlassen werde. Ich hatte eine Menge Versuche in der einfältigen Art des alten Phrygiers gemacht. etc.«
Und kurz; hieraus ist das gegenwärtige kleine Werk seiner Fabeln entstanden, welches man als den ersten Band der gänzlichen Umarbeitung seiner Schriften anzusehen hat. Ich muß die Ordnung, die er darin beobachtet, umkehren, und Ihnen vorher von seinen beigefügten Abhandlungen über diese Dichtungsart etwas sagen, ehe ich die Fabeln selbst Ihrem Urteile unterwerfen kann.
Es sind diese Abhandlungen fünfe. Die erste, welche die weitläufigste und dabei die wichtigste ist, untersuchet das Wesen der Fabel. Nachdem die Einteilung der Fabeln in einfache und zusammengesetzte, (das ist in solche, die bei der allgemeinen Wahrheit, welche sie einprägen sollen, stehen bleiben, und in solche, die ihre allgemeine Wahrheit auf einen wirklich geschehenen, oder doch als wirklich geschehen, angenommenen Fall, weiter anwenden) vorausgeschickt worden, gehet der Verfasser die Erklärungen durch, welche de la Motte, Richer, Breitinger und Batteux von der Fabel gegeben haben. Bei der Erklärung des ersten, die allen folgenden Erklärungen zum Muster gedienet habe, ist er vornehmlich gegen das Wort Allegorie, und behauptet, daß die Fabel überhaupt nicht in der Erzählung einer allegorischen Handlung bestehe, sondern daß die Handlung nur in der zusammengesetzten Fabel allegorisch werde, und zwar allegorisch, nicht mit dem darin enthaltenen allgemeinen Satze, sondern mit dem wirklichen Falle, der dazu Gelegenheit gegeben hat. An der Erklärung der Richer setzet er vornehmlich dieses aus, daß sie ein bloßes allegorisches Bild zu einer Fabel für hinreichend hält. »Ein Bild, sagt er, heißet überhaupt jede sinnliche Vorstellung eines Dinges, nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderungen, derer das Ding fähig ist, sondern allein die, in der es sich in einem und demselben Augenblicke befindet. In einem Bilde kann ich also zwar wohl eine moralische Wahrheit erkennen, aber es ist darum noch keine Fabel. Der mitten im Wasser dürstende Tantalus ist ein Bild, und ein Bild, das mir die Möglichkeit zeiget, man könne auch bei dem größten Überflusse darben. Aber ist dieses Bild deswegen eine Fabel? – Ein jedes Gleichnis, ein jedes Emblema würde eine Fabel sein, wenn sie nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu einem Zwecke übereinstimmenden Bildern, wenn sie, mit einem Worte, nicht das notwendig erforderte, was wir durch das Wort Handlung ausdrücken.« – Mit diesem Worte verbindet er aber einen viel weitern Sinn, als man gemeiniglich damit zu verbinden pfleget, und verstehet darunter jede Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen. Denn daß die Erklärung, welche Batteux von der Handlung gibt, daß sie nämlich eine Unternehmung sein müsse, die mit Wahl und Absicht geschieht, bei der Fabel nicht Statt finde, zeiget er umständlich, indem die allerwenigsten Äsopischen Fabeln in diesem Verstande Handlung haben. Batteux, wie der Verfasser sehr wahrscheinlich zeiget, hat seine Erklärung nur von einem einzigen in seiner Art zwar sehr vollkommenen, deswegen aber doch zu keinem allgemeinen Muster tauglichen Exempel abstrahieret, und überhaupt die Handlung der Äsopischen Fabel mit der Handlung der Epopee und des Drama viel zu sehr verwirrt. »Die Handlung der beiden letztern, sagt er, muß außer der Absicht, welche der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr selbst zukommende Absicht haben. Die Handlung der ersten braucht diese innere Absicht nicht, und sie ist vollkommen genug, wenn nur der Dichter seine Absicht damit erreichet etc.« Der Grund hiervon liegt in den Leidenschaften welche jene erregen sollen, und auf deren Erregung diese ganz und gar keinen Anspruch macht. – Diese und verschiedene andere Anmerkungen nimmt der Verfasser nunmehr zusammen, und sagt: »In der Fabel wird nicht eine jede Wahrheit, sondern ein allgemeiner moralischer Satz, nicht unter die Allegorie einer Handlung, sondern auf einen einzeln Fall, nicht versteckt oder verkleidet, sondern so zurückgeführet, daß ich, nicht bloß einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze in ihm entdecke, sondern diesen ganz anschauend darin erkenne.« – Und das ist das Wesen der Fabel? Noch nicht völlig. Noch fehlet ein wichtiger Punkt, von welchem die Kunstrichter bloß ein dunkles Gefühl gehabt zu haben scheinen; dieser nämlich: der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muß als wirklich vorgestellet werden. Begnügen wir uns an der Möglichkeit desselben, so ist es ein Beispiel, eine Parabel.
Der Beschluß künftig
IX. Den 29. November
1759
Beschluß des siebenzigsten Briefes
Nachdem der Verfasser diesen wichtigen Unterschied an einigen Beispielen gezeigt, läßt er sich auf die psychologische Ursache ein, warum sich das Exempel der praktischen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der bloßen Möglichkeit begnüge, an welcher sich die Exempel an derer Wissenschaften begnügen. Er findet diese Ursache darin, weil das Mögliche, als eine Art des Allgemeinen, die Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis verhindere, welche Lebhaftigkeit gleichwohl unentbehrlich ist, wenn die an schauende Erkenntnis zur lebendigen Erkenntnis, als worauf die Moral bei ihren Wahrheiten vornehmlich sieht, erhöhet werden soll. Er zeiget hierauf, daß schon Aristoteles diese Kraft des Wirklichen gekannt, aber eine falsche Anwendung davon gemacht habe, weil er sie aus einer unrechten Quelle hergeleitet. Aristoteles lehret nämlich, die historischen Exempel hätten deswegen eine größere Kraft zu überzeugen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemeiniglich dem Zukünftigen ähnlich sei. Unser Verfasser aber sagt: »Hierin, glaube ich, hat Aristoteles geirret. Von der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht selbst erfahren habe, kann ich nicht anders als aus Gründen der Wahrscheinlichkeit überzeugt werden. Ich glaube bloß deswegen, daß ein Ding geschehen, und daß es so und so geschehen ist, weil es höchst wahrscheinlich ist, und höchst unwahrscheinlich sein würde, wenn es nicht, oder wenn es anders geschehen wäre. Da also einzig und allein die innere Wahrscheinlichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles glauben macht, und diese innere Wahrscheinlichkeit sich eben sowohl in einem erdichteten Falle finden kann: was kann die Wirklichkeit des erstern für eine größere Kraft auf meine Überzeugung haben, als die Wirklichkeit des andern? Ja noch mehr: da das historisch Wahre nicht immer auch wahrscheinlich ist; da Aristoteles selbst sagt, daß das Vergangene nur gemeiniglich dem Zukünftigen ähnlich sei; der Dichter aber die freie Gewalt hat, hierin von der Natur abzugehen, und alles, was er für wahr ausgibt, auch wahrscheinlich zu machen: so sollte ich meinen, wäre es wohl klar, daß der Fabel, überhaupt zu reden, in Ansehung der Überzeugungskraft, der Vorzug vor den historischen Exempeln gebühre.« – Und nunmehr trägt der Verfasser seine völlige Erklärung der Fabel vor, und sagt: Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit erteilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennet: so heißt diese Erdichtung eine Fabel.
Die zweite Abhandlung betrifft den Gebrauch der Tiere in der Fabel. »Der größte Teil der Fabeln, sagt der Verfasser, hat Tiere, oder wohl noch geringere Geschöpfe zu handelnden Personen. – Was ist hiervon zu halten? Ist es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel, daß die Tiere darin zu moralischen Wesen erhoben werden? Ist es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung seiner Absicht verkürzt und erleichtert? Ist es ein Gebrauch, der eigentlich keinen ernstlichen Nutzen hat, den man aber zu Ehren des ersten Erfinders, beibehält, weil er wenigstens schnakisch ist – quod risum movet? Oder was ist es?« Batteux hat sich auf diese Fragen nicht eingelassen, sondern listig genug den Gebrauch der Tiere seiner Erklärung der Fabel sogleich mit angeflickt. Breitinger hingegen behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren die Ursache davon sei, und glaubt daher die Fabel überhaupt nicht besser als durch ein lehrreiches Wunderbare erklären zu können. Allein unser Verfasser zeiget, daß die Einführung der Tiere in der Fabel nicht wunderbar ist, indem es darin vorausgesetzt und angenommen werde, daß die Tiere und andere niedrige Geschöpfe, Sprache und Vernunft besitzen. Seine Meinung gehet also dahin, daß die allgemein bekannte Bestandtheit ihrer Charaktere diese Voraussetzung veranlasset und so allgemein beliebt gemacht habe. »Je tiefer wir, setzt er hinzu, auf der Leiter der Wesen herab steigen, desto seltener kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieses ist denn auch die Ursache, warum sich der Fabulist so selten in dem Pflanzenreiche, noch seltener in dem Steinreiche, und am allerseltesten vielleicht unter den Werken der Kunst finden läßt. Denn daß es deswegen geschehen sollte, weil es stufenweise immer unwahrscheinlicher werde, daß diese geringern Werke der Natur und Kunst, empfinden, denken und sprechen könnten, will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und irdenen Topfe ist nicht um ein Haar schlechter und unwahrscheinlicher, als die beste Fabel z.E. von einem Affen, so nahe auch dieser dem Menschen verwandt ist, und so unendlich weit jene von ihm abstehen.«
In der dritten Abhandlung sucht der Verfasser eine richtigere Einteilung der Fabeln festzusetzen. Die alte Einteilung des Aphthonius ist offenbar mangelhaft. Schon Wolf hat bloß die Benennungen davon beibehalten, den damit zu verknüpfenden Sinn aber dahin bestimmt, daß man den Subjekten der Fabel entweder solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prädikate, die ihnen zukommen, oder solche die ihnen nicht zukommen, beilege. In dem ersten Falle hießen es vernünftige Fabeln; in dem andern sittliche Fabeln; und vermischte Fabeln hießen sie alsdenn, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als vernünftigen Fabel hätten. Allein auch diese verbesserte Einteilung will unserm Verfasser darum nicht gefallen, weil das nicht zukommen einen übeln Verstand machen, und man wohl gar daraus schließen könnte, daß der Dichter eben nicht gehalten sei, auf die Natur der Geschöpfe zu sehen, die er in seinen Fabeln aufführet. Diese Klippe also zu vermeiden, glaubt er, man werde am sichersten die Verschiedenheit der Fabeln auf die verschiedene Möglichkeit der einzeln Fälle, welche sie enthalten, gründen können. Diese Möglichkeit aber ist entweder eine unbedingte oder eine bedingte Möglichkeit; und um die alten Benennungen gleichfalls beizubehalten, so nennt er diejenigen Fabeln, vernünftige Fabeln, deren einzelner Fall schlechterdings möglich ist; diejenigen hingegen, wo er es nur unter gewissen Voraussetzungen ist, nennt er sittliche Fabeln. Die vernünftigen sind keiner fernern Abteilung fähig; wohl aber die sittlichen. Denn die Voraussetzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabeln, oder die Prädikate dieser Subjekte. Fabeln, worin die Subjekte vorausgesetzt werden, nennet er mythische Fabeln; und Fabeln, worin erhöhtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen werden, nennet er hyperphysische Fabeln. Die ferner daraus entstehende vermischte Gattungen nennet er die vernünftig mythischen, die vernünftig hyperphysischen, und die hyperphysisch mythischen Fabeln. – Welche Wörter! werden Sie ausrufen. Welche unnütze scholastische Grübelei! Und fast sollte ich Ihnen Recht geben. Da doch aber einmal die Frage von der Einteilung der Fabel war, so war es ihm auch nicht so ganz zu verdenken, daß er die Subtilität in dieser Kleinigkeit so weit trieb, als sie sich treiben läßt. – Was er auf die Fragen antwortet, wie weit in den hyperphysischen Fabeln die Natur der Tiere zu erhöhen sei, und ob sich die Äsopische Fabel zu der Länge eines epischen Gedichts ausdehnen lasse, ist wichtiger; ich übergehe es aber, weil es ohne seine Versuche, die er in Absicht der letztern Frage, gewagt hat, nicht wohl zu verstehen ist. Wenn Sie es einmal selbst lesen sollten, so werden Sie leicht finden, daß seine Versuche seine Spekulation nicht erschöpfen.
In der vierten Abhandlung redet er von dem Vortrage der Fabeln. Er charakterisiert den Vortrag des Aesopus und Phädrus, und scheinet mit dem Vortrage des la Fontaine am wenigsten zufrieden zu sein. La Fontaine bekannte aufrichtig, daß er die zierliche Präzision, und die außerordentliche Kürze, durch die sich Phädrus so sehr empfehle, nicht habe erreichen können; und daß alle die Lustigkeit, mit welcher er seine Fabeln aufzustützen gesucht, weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für jene wesentlichere Schönheiten sein solle. »Welch Bekenntnis!« ruft unser Verfasser aus. »In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntnis mehr Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Publico aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein bloßes Kompliment machen, und hielt die Schadloshaltung unendlich höher, als das, wofür sie geleistet war. Kaum könnte es auch anders sein; denn die Schadloshaltung hatte allzuviel Reizendes für Franzosen, bei welchen nichts über die Lustigkeit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu bleiben,(116) meinte so gar, la Fontaine habe sich aus bloßer Albernheit (par betise) dem Phädrus nachgesetzt; und de la Motte schrie über diesen Einfall: mot plaisant, mais solide!« – Er gehet hierauf die Zieraten durch, deren die Fabel nach dem Batteux, fähig sein soll, und zeiget, daß sie schnurstracks mit dem Wesen der Fabel streiten. Sogar Phädrus kömmt ihm nicht ungetadelt davon, und er ist kühn genug, zu behaupten, daß Phädrus, so oft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entferne, einen plumpen Fehler begehe. Er gibt verschiedene Beweise hiervon, und drohet seine Beschuldigung vielleicht gar durch eine eigene Ausgabe des Phädrus zu rechtfertigen.
– Ich besorge sehr, unser Verfasser wird mit dieser Abhandlung am wenigsten durchkommen, und er wird von Glück zu sagen haben, wenn man ihm keine schlimmere Absicht gibt, als die Absicht, seine eigene Art zu erzählen, so viel als möglich, zu beschönigen.
Die fünfte Abhandlung ist die kürzeste, und redet von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen. Es ist hier nicht die Frage von dem moralischen Nutzen, sondern von einem Nutzen, welchen der Verfasser den heuristischen nennet. Er glaubt nämlich, daß die Erfindung der Fabeln eine von den besten Übungen sei, durch die ein junges Genie gebildet werden könne. Da aber die wahre Art, wie eine Fabel erfunden wird, vielen Schwierigkeiten unterworfen ist, so rät er vors erste die Fabeln mehr finden als erfinden zu lassen; »und die allmähligen Stufen von diesem Finden zum Erfinden, sagt er, sind es eigentlich, was ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buches habe zeigen wollen.« Es sind aber diese Versuche nichts anders als Umschmelzungen alter Fabeln, deren Geschichte er bald eher abbricht, bald weiter fortführet, bald diesen oder jenen Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin erkennen läßt. Aus einigen Beispielen werden Sie sich einen deutlichern Begriff davon machen können. Z.E. die bekannte Fabel von der Krähe, die sich mit den ausgefallenen Federn anderer Vögel geschmückt hatte, führt er einen Schritt weiter, und macht folgende neue Fabel daraus.
Die sechste des zweiten Buchs
»Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigten Pfaue, und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzende Vögel der Juno. Sie ward erkannt; und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betriegerischen Putz auszureißen. Lasset nach! schrie sie endlich; ihr habt nun alle das eurige wieder. – Doch die Pfaue, welche einige von den eigenen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein, und hackten weiter.« –
Diese Fabel kann für neu gelten, ob sie gleich aus alten Stücken zum Teil zusammen gesetzt ist: denn es liegt eine neue Moral darin. »So geht es dem Plagiarius! Man ertappt ihn hier; man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich sein eigen ist, gestohlen habe.« – Oder die Fabel von den Fröschen, die sich einen König erbeten hatten:
Die dreizehnte des zweiten Buchs
»Zeus hatte nunmehr den Fröschen einen andern König gegeben; anstatt eines friedlichen Klotzes, eine gefräßige Wasserschlange. Willst du unser König sein, schrien die Frösche, warum verschlingst du uns? – Darum, antwortete die Schlange, weil ihr um mich gebeten habt. – Ich habe nicht um dich gebeten! rief einer von den Fröschen, den sie schon mit den Augen verschlang. – Nicht? sagte die Wasserschlange. Desto schlimmer. So muß ich dich verschlingen, weil du nicht um mich gebeten hast.«
Diese Fabel fängt da an, wo die alte aufhöret, und erhält dadurch gleichsam eine Art von historischer Wahrscheinlichkeit. – Und aus diesen Proben werden Sie zugleich von dem Tone und der Schreibart unsers Fabulisten urteilen können. Jedes von den drei Büchern enthält dreißig Fabeln; und wenn ich Ihnen nunmehr noch einige aus dem ersten und dritten Buche vorlege, so wird es hoffentlich alles sein, was Sie diesesmal von mir erwarten. Die erste, welche ich anführen will, scheinet er mit Rücksicht auf sich selbst und die einfältige Art seines Vortrages gemacht zu haben.
G.
X. Den 6. Dezember
1759
Ein und siebenzigster Brief
Ein Gelehrter, den Sie, so viel ich weiß, in Frankfurt an der Oder suchen müssen, fing bereits im vorigen Jahre an, eine Sammlung ungedruckter Briefe gelehrter Männer herauszugeben. In dem ersten Buche derselben nahmen sich besonders verschiedene Briefe von des Vignoles und Theoph. Sig. Bayern aus, indem sie an nützlichen Sachen ungleich reicher waren, als die übrigen. In dem zweiten Buche versprach der Herausgeber den gelehrten Briefwechsel des Stephanus Vinandus Pighius zu liefern. Es scheinet aber, daß ihn ein sehr glücklicher Umstand dieses Versprechen aufzuschieben, verleitet hat. Sein Unternehmen selbst hat nämlich so viel Beifall gefunden, daß ihm nicht nur verschiedene Gelehrte ihre literarischen Schätze von dieser Art mitgeteilet haben, sondern daß ihm auch, durch Vermittelung des Herrn von Münchhausen, der ganze Vorrat ungedruckter Briefe in der königlichen Bibliothek zu Hannover, zu beliebigem Gebrauche angetragen worden. Durch diesen Beitrag also ist er in den Stand gesetzt worden, uns noch vorher mit andern lesenswürdigern Briefen zu unterhalten, als ihm die Briefe des Pighius mögen geschienen haben.
Die ersten vier Bücher, auf welche die Sammlung nunmehro angewachsen ist, und welche den ersten Band derselben ausmachen, enthalten hundert und neunzig Briefe.(117) Bynckershoeck, Beverland, Gisbert Cuper, d’Orville, J.A. Fabricius, Grävius, Gramm, Schannat, J.P. von Ludewig, Gesner etc. sind die berühmten Namen ihrer Verfasser.
Sogar von Leibnizen finden sich in dem vierten Buche ein Dutzend Briefe, und Sie können leicht glauben, daß ich diese zu lesen am begierigsten gewesen bin. Die ersten zwei derselben sind an. P. J. Spenern geschrieben und enthalten wenig mehr, als einige jetzt veraltete Neuigkeiten. Die folgenden sechse aber an den berühmten Huetius sind desto interessanter und enthalten Gedanken eines Philosophen, die noch immer unterrichten können. Die zwei ersten sind von dem Jahre 1673 und zu Paris geschrieben, aus welchen Datis, wenn Sie sich der Lebensgeschichte unsers Weltweisen erinnern, Sie ohngefähr den Inhalt erraten können. Huetius hatte damals die Besorgnung der Ausgabe der klassischen Schriftsteller, welche vornehmlich zum Gebrauche des Dauphins eingerichtet sein sollten; und er glaubte, daß er sich bei dieser Arbeit auch unsers Leibniz versichern müßte. Ob dieser nun gleich damals sich mit ganz andern Dingen beschäftigte, und besonders an seiner Rechenmaschine arbeitete: so ließ er sich doch bewegen; denn ihm war in dem ganzen Bezirke der Wissenschaften nichts zu klein, so wie ihm nichts zu groß war. Nur bat er sich aus, daß man ihm einen Autor geben möchte, bei welchem sich Philosophie, und eine gesunde Philosophie anbringen ließe. Man schlug ihm in dieser Absicht den ältern Plinius, den Mela, die Schriftsteller vom Ackerbaue, den Apulejus, den Capella und den Boethius vor. »Mich zum Plinius zu entschließen, schreibt er, verstehe ich zu wenig von der Arzneigelahrheit; und von den Schriftstellern des Ackerbaues schreckt mich meine geringe Kenntnis der Ökonomie ab.« Er wählte also den Martianus Capella, und das Urteil, das er von diesem Schriftsteller fällt, ist sehr vorteilhaft, und sollte hinlänglich genug sein, dem Capella mehr Leser zu verschaffen, als er itziger Zeit wohl haben mag: Martianum Capellam, usus ingentis auctorem, gratum varietate, scientias non libantem tantum, sed intrantem, solum ex superstitibus scriptorem cujusdam artium liberalium encyclopaediae. Er fing auch schon wirklich an daran zu arbeiten, und wollte die Anmerkungen des Grotius, die dieser in seinem funfzehnten Jahre gemacht hat, seiner Ausgabe ganz einverleiben. Allein welch Schicksal war es, das uns derselben beraubte? Jaucourt sagt in seiner Lebensbeschreibung unsers Weltweisen, daß ihm alles, was er dazu aufgeschrieben, boshaft entwendet worden, und daß er in der Folge keine müßigen Augenblicke finden können, es wieder herzustellen. Leibniz muß diesen Verlust noch in Paris erlitten haben, denn in den Briefen, die er 1679 aus Hannover an den Huetius schreibet, wird des Capella gar nicht mehr gedacht, als einer ohne: Zweifel schon längst aufgegebenen und abgetanen Sache. Jaucourt kann übrigens aus diesem Briefe darin verbessert werden, daß Leibniz den Capella selbst aus eigenem Antriebe gewählet, und daß es eben nicht der Einsicht des Huetius zuzuschreiben, daß er sich nur mit diesem und keinem andern Autor abgeben wollen. Denn Leibniz kannte sich wirklich besser, als ihn Huetius kannte; welches unter andern auch daraus zu ersehen, daß ihm dieser mit aller Gewalt auch den Vitruvius aufdringen wollte, mit dem er sich aber abzugeben rund abschlug, weil er nicht hoffen könne, etwas außerordentliches dabei zu leisten. –
Übrigens muß es ein wenig verdrießen, daß Leibniz bei dieser Gelegenheit nicht allein allzuklein von sich selbst, (denn ein bescheidner Mann kann sich selbst so viel vergeben, als er will,) sondern auch allzu klein von seiner Nation spricht: Id enim fateor, tametsi neque ingenium, neque doctrinam mihi arrogem, diligentiae tamen laudem aliquando apud aequos censores consecutum. Et quid aliud expectes a Germano, cui nationi inter animi dotes sola laboriositas relicta est? Nun wundere man sich noch, wie es komme, daß die Franzosen einen deutschen Gelehrten so gering schätzen, wenn die besten deutschen Köpfe ihre Landesleute unter ihnen so erniedrigen, nur damit man ihnen Höflichkeit und Lebensart nicht absprechen könne. Denn das bilde man sich ja nicht ein, daß diese aus Komplimenten zusammengesetzte Nation, auch das für Komplimente halte, was gewissermaßen zur Verkleinerung ihrer Nachbarn dienen kann.
Die drei folgenden Briefe hat Leibniz bei Gelegenheit des Huetschen Werkes »Von der Wahrheit der christlichen Religion«, geschrieben, und sie enthalten sehr vortreffliche Gedanken über den Gebrauch der Philologie und Kritik. »Die Kritik, sagt er, die sich mit Prüfung der alten Handschriften, Münzen, und Inscriptionen beschäftiget, ist eine sehr nötige Kunst, und zur Festsetzung der Wahrheit unsrer Religion, ganz unentbehrlich. Denn das glaube ich gewiß, gehet die Kritik verloren, so ist es auch mit den Schriften unsers Glaubens geschehen, und es ist nichts gründliches mehr übrig, woraus man einem Chineser oder Mohametaner unsere Religion demonstrieren könne. Denn gesetzt, man könnte die fabelhaften Historien von Theodorico Veronensi, wie sie bei uns die Ammen, unter dem Namen Dietrichs von Bern, den Kindern erzählen, von den Erzählungen des Cassiodorus, eines zeitverwandten Schriftstellers, der bei diesem Könige Kanzler war, nicht unterscheiden; gesetzt, es käme die Zeit, da man mit den Türken zweifelte, ob nicht Alexander der Große des Königs Salomon oberster Feldherr gewesen sei; gesetzt, es wären uns, anstatt des Livius und Tacitus weiter nichts als einige von den zierlichen aber im Grunde abgeschmackten geheimen Nachrichten von den Liebeshändeln großer Männer, wie sie itzt geschrieben werden, übrig; gesetzt, es kämen die fabelhaften Zeiten wieder, dergleichen bei den Griechen vor dem Herodotus waren: würde nicht alle Gewißheit von geschehenen Dingen wegfallen? Wir würden nicht einmal zeigen können, daß die Bücher der heiligen Schrift nicht untergeschoben wären, noch viel weniger, daß sie göttlichen Ursprungs wären. Unter allen Hindernissen, welche die Ausbreitung der christlichen Religion in den Morgenländern findet, ist dieses, meiner Meinung nach, auch das vornehmste, daß das dasige Volk, weil es von der allgemeinen Geschichte ganz und gar nichts weiß, die historischen Beweise; auf welche sich die christliche Religion stützet, nicht begreifen kann.« – Er gibt hierauf eine sehr sinnreiche, aber aus dem vorhergehenden sehr natürlich fließende Ursache an, warum zu Anfange des vorigen Jahrhunderts, die Kritik so stark getrieben, und in den neuern Zeiten hingegen so sehr vernachlässiget worden. »Die Kritik, sagt er, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, ward damals durch die theologischen Streitigkeiten genähret. Denn es ist kein Übel in der Welt, das nicht etwas gutes veranlassen sollte. Indem man nämlich von dem Sinne der Schrift, von der Übereinstimmung der Alten, von echten und untergeschobenen Büchern häufig streiten mußte, und nur derjenige von den Kirchenskribenten aller Jahrhunderte richtig urteilen konnte, der sich in den übrigen Werken des Altertums gehörig umgesehen hatte: so durchsuchte man aufs genaueste alle Bibliotheken. Der König von England Jacobus selbst, und andere von den vornehmsten Gliedern der Kirche und des Staats, gaben sich mit dergleichen Streitigkeiten, vielleicht ein wenig nur allzusehr ab. Als aber diese Streitigkeiten in Kriege ausbrachen, und nach so viel vergossenem Blute, die Klügern wohl sahen, daß mit alle dem Geschrei nichts ausgerichtet werde, so bekamen, nach wiederhergestelltem Frieden, sehr viele vor diesem Teile der Gelehrsamkeit einen Ekel. Und nun fing sich ein neuer Periodus mit den Wissenschaften an; indem in Italien Galiläus, in England Baco, Harväus und Gilbertus, in Frankreich Cartesius und Gassendus, und in Deutschland der einzige, den ich diesen Männern entgegen zu setzen wüßte, Joachim Junge, durch verschiedene treffliche Erfindungen oder Gedanken, den Menschen Hoffnung machten, die Natur vermittelst der mathematischen Wissenschaften näher kennen zu lernen. – Ich will jetzt nicht untersuchen, worin es, wie ich glaube, heut zu Tage versehen wird, und woher es kömmt, daß die Schüler so großer Männer, ob sie gleich mit so vielen Hülfsmitteln versehen sind, dennoch nichts besonderes leisten; denn es ist hier nicht der Ort dazu. Ich will nur dieses einzige anmerken, daß seit dieser Zeit das Studium der Altertümer und die gründliche Gelehrsamkeit hin und wieder in Verachtung gekommen, so daß sich wohl gar einige in ihren Schriften irgend einen Autor zu zitieren, sorgfältig enthalten, teils damit sie alles aus ihrem Kopfe genommen zu haben scheinen mögen, teils weil es ihrer Faulheit so bequemer ist; da gleichwohl die Anführung der Zeugen, wenn es auf geschehene Dinge ankömmt, von der unumgänglichsten Notwendigkeit ist, und nur durch sie gründliche Untersuchungen sich von einem seichten Geschwätz unterscheiden. Damit also dieses Übel nicht weiter um sich fresse, kann man die Welt nicht ernstlich genug erinnern, wie viel der Religion an der Erhaltung der gründlichen Gelehrsamkeit gelegen sei.« –
Und was meinen Sie, wenn diese Erinnerung schon zu Leibniz Zeiten, da noch Gudii und Spanheime, Vossii und Heinsii lebten, so nötig war, wie viel nötiger wird sie jetzt sein, jetzt da wir noch kaum hier und da Schatten von diesen Männern haben, und besonders unsere Gottesgelehrte, die sich die Erhaltung dieser gründlichen Gelehrsamkeit am meisten sollten angelegen sein lassen, gleich das allerwenigste davon verstehen? Doch anstatt diese verkleinernde Parallele weiter auszuführen, erlauben Sie mir lieber, Ihnen noch den Schluß des Leibnizischen Briefes vorzulegen.
»Ich kann überhaupt mit denjenigen gar nicht zufrieden sein, die alle Hochachtung gegen das Altertum ablegen, und von dem Plato und Aristoteles nicht anders als von ein Paar elenden Sophisten reden. Hätten sie diese vortrefflichen Männer aufmerksam gelesen, so würden sie ganz anders von ihnen urteilen. Denn die metaphysische und moralische Lehre des Plato, welche die wenigsten aus ihrer Quelle schöpfen, ist wahr und heilig, und das, was er von den Ideen und ewigen Wahrheiten sagt, verdienet Bewunderung. Die Logik, Rhetorik und Politik des Aristoteles hingegen, können im gemeinen Leben von sehr großem Nutzen sein, wenn sie sich in einem guten Kopfe, der die Welt und ihre Händel kennet, finden. Sogar kann man ihm nicht genug dafür danken, daß er in seiner Physik den wahren Begriff des Stetigen gegen die scheinbaren Irrtümer der Platoniker gerettet hat. Und wer endlich den Archimedes und Apollonius verstehet, der wird die Erfindungen der allergrößten Neuern sparsamer bewundern.«
Gewiß die Kritik auf dieser Seite betrachtet, und das Studium der Alten bis zu dieser Bekanntschaft getrieben, ist keine Pedanterei, sondern vielmehr das Mittel, wodurch Leibniz der geworden ist, der er war, und der einzige Weg, durch welchen sich ein fleißiger und denkender Mann ihm nähern kann. – Aber welchen lustigen Kontrast machet mit dieser wahren Schätzung der Kritik und alten Schriftsteller, die Denkungsart dieses und jenen grundgelehrten Wortforschers, von welchem sich in eben dieser Sammlung Briefe finden. Z.E. Gisbert Cupers. Dieser Mann war ohnstreitig einer von den größten Antiquariis, der aber die Antiquitäten einzig und allein um der Antiquitäten willen studierte. Er hält sich stark darüber auf: Saeculis superioribus plerosque eruditorum magis stilo operam dedisse, quam ritibus, moribus, aliisque praeclaris rebus, quae veterum libris continentur, illustrandis. Und damit Sie ja nicht etwa denken, daß er unter diesen praeclaris rebus vielleicht auch die philosophischen Meinungen der Alten verstehe, so lesen Sie folgende Stelle aus einem andern seiner Briefe: Recte facis, quod edere constitueris Jamblichi Protrepticon, nam illius nec Greca valent nec Latina. Ego olim illud percucurri, sed eidem inhaerere non poteram, quia me magis oblectabant antiqui ritus, veteris aevi reliquiae et historia; nec capiebar admodum tricis philosophicis etc.
Unterdessen ist doch in den Briefen dieses Cupers, deren uns eine ansehnliche Folge an den von Almeloveen und an J. A. Fabricius mitgeteilet wird, viel nützliches und nicht selten auch angenehmes. So macht er unter andern die Anmerkung, daß die Wahrheit bei den Alten zwar als eine allegorische Person eingeführet, und von einigen die Tochter des Jupiters, von andern die Tochter des Saturnus oder der Zeit, von andern die Säugamme des Apollo genennt werde, daß sie aber doch als keine Göttin von ihnen verehret worden, daß sie weder Tempel noch Altäre gehabt habe. Vossius, sagt er, in seinem Werke de Idololatria habe zwar angemerkt, daß Anaxagoras zwei Altäre, den einen dem Verstande, und den andern der Wahrheit gesetzt habe. Allein Vossius habe sich hier geirret, weil diese Altäre nicht Anaxagoras gesetzt habe, sondern sie dem Anaxagoras gesetzt worden, welcher durch die Aufschrift derselben Νου und Αληϑειας selbst bezeichnet worden, indem, wie anderweitig bekannt sei, Anaxagoras wirklich den Beinamen Νους geführet habe. (Wenn Sie Kühns Ausgabe des Aelianus nachsehen wollen, so werden Sie finden, daß Cuper den Vossius hier nur zur Hälfte verbessert hat. Denn Kühn zeigt deutlich, daß Aelian nicht von zwei Altären, sondern nur von einem einzigen rede, welcher nach einigen die Aufschrift Νου und nach andern die Aufschrift Αληϑειας geführt habe.) Die Betrachtung endlich die Cuper über diese von den Heiden unterlassene göttliche Verehrung der Wahrheit anstellet, macht seiner Frömmigkeit mehr Ehre, als seiner Scharfsinnigkeit: Quodsi jam admiscere vellem hisce profanis rebus sanctae nostrae religionis christianae mysteria; an non inde concludere possemus, Deum veritatem genuinam suis, et primo quidem Iudaeis, inde Christianis, et praecipue veris, solis revelasse; gentiles eam male quaesivisse in indagatione rerum naturalium, et ita Deum voluisse, ut nec summam hanc virtutem uti aliquod Numen colerent etc. Ich würde auf eine natürlichere Ursache gefallen sein. Wenn die Alten die Wahrheit als keine Göttin verehret haben, so kam es ohne Zweifel daher, weil der abstrakte Begriff der Wahrheit nur in den Köpfen ihrer Weltweisen existierte, und ihre Weltweisen die Leute nicht waren, die gern vergötterten, und die Menge der Altäre vermehrten.
Wollen Sie, daß ich Sie noch ein andermal mit verschiedenen artigen Kleinigkeiten und literarischen Anekdoten aus dieser Sammlung von Briefen unterhalten soll: so erwarte ich nur einen Wink.
G.