Gotthold Ephraim Lessing

Laokoon
oder
über die Grenzen
der Malerei und Poesie

Mit beiläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte

Ύλη και τροποις μιμησεως διαφερουσι.

Πλουτ. ποτ. Αϑ. κατα Π. η κατα Σ. ενδ.

Berlin (Voss) 1766.

laokoon

Vorrede

I   II   III

IV   V   VI

VII   VIII   IX

X   XI   XII

XIII   XIV   XV

XVI   XVII   XVIII

XIX   XX   XXI

XXII   XXIII   XXIV

XXV   XXVI   XXVII

XXVIII   XXIX

Laokoon-Gruppe. 50 v. Chr. Rom, Vatikan. Museum.

Kopf des Laokoon. 50 v. Chr. Rom, Vatikan. Museum.

Erster Teil

Vorrede

Der erste, welcher die Malerei und Poesie mit einander verglich, war ein Mann von feinem Gefühle, der von beiden Künsten eine ähnliche Wirkung auf sich verspürte. Beide, empfand er, stellen uns abwesende Dinge als gegenwärtig, den Schein als Wirklichkeit vor; beide täuschen, und beider Täuschung gefällt.

Ein zweiter suchte in das Innere dieses Gefallens einzudringen, und entdeckte, daß es bei beiden aus einerlei Quelle fließe. Die Schönheit, deren Begriff wir zuerst von körperlichen Gegenständen abziehen, hat allgemeine Regeln, die sich auf mehrere Dinge anwenden lassen; auf Handlungen, auf Gedanken, sowohl als auf Formen.

Ein dritter, welcher über den Wert und über die Verteilung dieser allgemeinen Regeln nachdachte, bemerkte, daß einige mehr in der Malerei, andere mehr in der Poesie herrschten; daß also bei diesen die Poesie der Malerei, bei jenen die Malerei der Poesie mit Erläuterungen und Beispielen aushelfen könne.

Das erste war der Liebhaber; das zweite der Philosoph; das dritte der Kunstrichter.

Jene beiden konnten nicht leicht, weder von ihrem Gefühl, noch von ihren Schlüssen, einen unrechten Gebrauch machen. Hingegen bei den Bemerkungen des Kunstrichters beruhet das Meiste in der Richtigkeit der Anwendung auf den einzeln Fall; und es wäre ein Wunder, da es gegen einen scharfsinnigen Kunstrichter funfzig witzige gegeben hat, wenn diese Anwendung jederzeit mit aller der Vorsicht wäre gemacht worden, welche die Waage zwischen beiden Künsten gleich erhalten muß.

Falls Apelles und Protogenes, in ihren verlornen Schriften von der Malerei, die Regeln derselben durch die bereits festgesetzten Regeln der Poesie bestätiget und erläutert haben, so darf man sicherlich glauben, daß es mit der Mäßigung und Genauigkeit wird geschehen sein, mit welcher wir noch itzt den Aristoteles, Cicero, Horaz, Quintilian, in ihren Werken, die Grundsätze und Erfahrungen der Malerei auf die Beredsamkeit und Dichtkunst anwenden sehen. Es ist das Vorrecht der Alten, keiner Sache weder zu viel noch zu wenig zu tun.

Aber wir Neuern haben in mehrern Stücken geglaubt, uns weit über sie weg zu setzen, wenn wir ihre kleinen Lustwege in Landstraßen verwandelten; sollten auch die kürzern und sichrern Landstraßen darüber zu Pfaden eingehen, wie sie durch Wildnisse führen.

Die blendende Antithese des griechischen Voltaire, daß die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei, stand wohl in keinem Lehrbuche. Es war ein Einfall, wie Simonides mehrere hatte; dessen wahrer Teil so einleuchtend ist, daß man das Unbestimmte und Falsche, welches er mit sich führet, übersehen zu müssen glaubet.

Gleichwohl übersahen es die Alten nicht. Sondern indem sie den Ausspruch des Simonides auf die Wirkung der beiden Künste einschränkten, vergaßen sie nicht einzuschärfen, daß, ohngeachtet der vollkommenen Ähnlichkeit dieser Wirkung, sie dennoch, sowohl in den Gegenständen als in der Art ihrer Nachahmung, (Ύλη και τροποις μιμησεωσ) verschieden wären.

Völlig aber, als ob sich gar keine solche Verschiedenheit fände, haben viele der neuesten Kunstrichter aus jener Übereinstimmung der Malerei und Poesie die krudesten Dinge von der Welt geschlossen. Bald zwingen sie die Poesie in die engern Schranken der Malerei; bald lassen sie die Malerei die ganze weite Sphäre der Poesie füllen. Alles was der einen Recht ist, soll auch der andern vergönnt sein; alles was in der einen gefällt oder mißfällt, soll notwendig auch in der andern gefallen oder mißfallen; und voll von dieser Idee, sprechen sie in dem zuversichtlichsten Tone die seichtesten Urteile, wenn sie, in den Werken des Dichters und Malers über einerlei Vorwurf, die darin bemerkten Abweichungen von einander zu Fehlern machen, die sie dem einen oder dem andern, nach dem sie entweder mehr Geschmack an der Dichtkunst oder an der Malerei haben, zur Last legen.

Ja diese Afterkritik hat zum Teil die Virtuosen selbst verführet. Sie hat in der Poesie die Schilderungssucht, und in der Malerei die Allegoristerei erzeuget; indem man jene zu einem redenden Gemälde machen wollen, ohne eigentlich zu wissen, was sie malen könne und solle, und diese zu einem stummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem Maße sie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne sich von ihrer Bestimmung zu entfernen, und zu einer willkürlichen Schriftart zu werden.

Diesem falschen Geschmacke, und jenen ungegründeten Urteilen entgegen zu arbeiten, ist die vornehmste Absicht folgender Aufsätze.

Sie sind zufälliger Weise entstanden, und mehr nach der Folge meiner Lektüre, als durch die methodische Entwickelung allgemeiner Grundsätze angewachsen. Es sind also mehr unordentliche Collectanea zu einem Buche, als ein Buch.

Doch schmeichle ich mir, daß sie auch als solche nicht ganz zu verachten sein werden. An systematischen Büchern haben wir Deutschen überhaupt keinen Mangel. Aus ein Paar angenommenen Worterklärungen in der schönsten Ordnung alles, was wir nur wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, Trotz einer Nation in der Welt.

Baumgarten bekannte, einen großen Teil der Beispiele in seiner Ästhetik, Gesners Wörterbuche schuldig zu sein. Wenn mein Raisonnement nicht so bündig ist als das Baumgartensche, so werden doch meine Beispiele mehr nach der Quelle schmecken.

Da ich von dem Laokoon gleichsam aussetzte, und mehrmals auf ihn zurückkomme, so habe ich ihm auch einen Anteil an der Aufschrift lassen wollen. Andere kleine Ausschweifungen über verschiedene Punkte der alten Kunstgeschichte, tragen weniger zu meiner Absicht bei, und sie stehen nur da, weil ich ihnen niemals einen bessern Platz zu geben hoffen kann.

Noch erinnere ich, daß ich unter dem Namen der Malerei, die bildenden Künste überhaupt begreife; so wie ich nicht dafür stehe, daß ich nicht unter dem Namen der Poesie, auch auf die übrigen Künste, deren Nachahmung fortschreitend ist, einige Rücksicht nehmen dürfte.

I

Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke in der Malerei und Bildhauerkunst, setzet Herr Winckelmann in eine edele Einfalt und stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. »So wie die Tiefe des Meeres, sagt er,(1) allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag auch noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.

Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe bei nahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Öffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.

Der Ausdruck einer so großen Seele geht weit über die Bildung der schönen Natur. Der Künstler mußte die Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägte. Griechenland hatte Künstler und Weltweise in einer Person, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein, u.s.w.«

Die Bemerkung, welche hier zum Grunde liegt, daß der Schmerz sich in dem Gesichte des Laokoon mit derjenigen Wut nicht zeige, welche man bei der Heftigkeit desselben vermuten sollte, ist vollkommen richtig. Auch das ist unstreitig, daß eben hierin, wo ein Halbkenner den Künstler unter der Natur geblieben zu sein, das wahre Pathetische des Schmerzes nicht erreicht zu haben, urteilen dürfte; daß, sage ich, eben hierin die Weisheit desselben ganz besonders hervorleuchtet.

Nur in dem Grunde, welchen Herr Winckelmann dieser Weisheit gibt, in der Allgemeinheit der Regel, die er aus diesem Grunde herleitet, wage ich es, anderer Meinung zu sein.

Ich bekenne, daß der mißbilligende Seitenblick, welchen er auf den Virgil wirft, mich zuerst stutzig gemacht hat; und nächst dem die Vergleichung mit dem Philoktet. Von hier will ich ausgehen, und meine Gedanken in eben der Ordnung niederschreiben, in welcher sie sich bei mir entwickelt.

»Laokoon leidet, wie des Sophokles Philoktet.« Wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß sein Leiden so verschiedene Eindrücke bei uns zurückgelassen. – Die Klagen, das Geschrei, die wilden Verwünschungen, mit welchen sein Schmerz das Lager erfüllte, und alle Opfer, alle heilige Handlungen störte, erschollen nicht minder schrecklich durch das öde Eiland, und sie waren es, die ihn dahin verbannten. Welche Töne des Unmuts, des Jammers, der Verzweiflung, von welchen auch der Dichter in der Nachahmung das Theater durchhallen ließ. – Man hat den dritten Aufzug dieses Stücks ungleich kürzer, als die übrigen gefunden. Hieraus sieht man, sagen die Kunstrichter,(2) daß es den alten um die gleiche Länge der Aufzüge wenig zu tun gewesen. Das glaube ich auch; aber ich wollte mich desfalls lieber auf ein ander Exempel gründen, als auf dieses. Die jammervollen Ausrufungen, das Winseln, die abgebrochenen α, α, φευ. ατατται, ω μοι, μοι! die ganzen Zeilen voller παπα, παπα, aus welchen dieser Aufzug bestehet, und die mit ganz andern Dehnungen und Absetzungen deklamieret werden mußten, als bei einer zusammenhangenden Rede nötig sind, haben in der Vorstellung diesen Aufzug ohne Zweifel ziemlich eben so lange dauren lassen, als die andern. Er scheinet dem Leser weit kürzer auf dem Papiere, als er den Zuhörern wird vorgekommen sein.

Schreien ist der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes. Homers verwundete Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden. Die geritzte Venus schreiet laut;(3) nicht um sie durch dieses Geschrei als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben. Denn selbst der eherne Mars, als er die Lanze des Diomedes fühlet, schreiet so gräßlich, als schrieen zehn tausend wütende Krieger zugleich, daß beide Heere sich entsetzen.(4)

So weit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt, so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen und Beleidigungen, wenn es auf die Äußerung dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Tränen, oder durch Scheltworte ankömmt. Nach ihren Taten sind es Geschöpfe höherer Art; nach ihren Empfindungen wahre Menschen.

Ich weiß es, wir feinern Europäer einer klügern Nachwelt, wissen über unsern Mund und über unsere Augen besser zu herrschen. Höflichkeit und Anstand verbieten Geschrei und Tränen. Die tätige Tapferkeit des ersten rauhen Weltalters hat sich bei uns in eine leidende verwandelt. Doch selbst unsere Urältern waren in dieser größer, als in jener. Aber unsere Urältern waren Barbaren. Alle Schmerzen verbeißen, dem Streiche des Todes mit unverwandtem Auge entgegen sehen, unter den Bissen der Nattern lachend sterben, weder seine Sünde noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des alten nordischen Heldenmuts.(5) Palnatoko gab seinen Jomsburgern das Gesetz, nichts zu fürchten, und das Wort Furcht auch nicht einmal zu nennen.

Nicht so der Grieche! Er fühlte und furchte sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer; er schämte sich keiner der menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten. Was bei den Barbaren aus Wildheit und Verhärtung entsprang, das wirkten bei ihm Grundsätze. Bei ihm war der Heroismus wie die verborgenen Funken im Kiesel, die ruhig schlafen, so lange keine äußere Gewalt sie wecket, und dem Steine weder seine Klarheit noch seine Kälte nehmen. Bei dem Barbaren war der Heroismus eine helle fressende Flamme, die immer tobte, und jede andere gute Eigenschaft in ihm verzehrte, wenigstens schwärzte. – Wenn Homer die Trojaner mit wildem Geschrei, die Griechen hingegen in entschloßner Stille zur Schlacht führet, so merken die Ausleger sehr wohl an, daß der Dichter hierdurch jene als Barbaren, diese als gesittete Völker schildern wollen. Mich wundert, daß sie an einer andern Stelle eine ähnliche charakteristische Entgegensetzung nicht bemerket haben.(6) Die feindlichen Heere haben einen Waffenstillestand getroffen; sie sind mit Verbrennung ihrer Toten beschäftiget, welches auf beiden Teilen nicht ohne heiße Tränen abgehet; δακρυα ϑερμα χεοντες. Aber Priamus verbietet seinen Trojanern zu weinen; ουδ’ εια κλαιειν Πριαμος μεγας. Er verbietet ihnen zu weinen, sagt die Dacier, weil er besorgt, sie möchten sich zu sehr erweichen, und morgen mit weniger Mut an den Streit gehen. Wohl; doch frage ich: warum muß nur Priamus dieses besorgen? Warum erteilet nicht auch Agamemnon seinen Griechen das nämliche Verbot? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer sein könne; indem der ungesittete Trojaner, um es zu sein, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse. Νεμεσσωμαι γε μεν ουδεν κλαιειν, läßt er an einem andern Orte(7) den verständigen Sohn des weisen Nestors sagen.

Es ist merkwürdig, daß unter den wenigen Trauerspielen, die aus dem Altertume auf uns gekommen sind, sich zwei Stücke finden, in welchen der körperliche Schmerz nicht der kleinste Teil des Unglücks ist, das den leidenden Helden trifft. Außer dem Philoktet, der sterbende Herkules. Und auch diesen läßt Sophokles klagen, winseln, weinen und schreien. Dank sei unsern artigen Nachbarn, diesen Meistern des Anständigen, daß nunmehr ein winselnder Philoktet, ein schreiender Herkules, die lächerlichsten unerträglichsten Personen auf der Bühne sein würden. Zwar hat sich einer ihrer neuesten Dichter(8) an den Philoktet gewagt. Aber durfte er es wagen, ihnen den wahren Philoktet zu zeigen?

Selbst ein »Laokoon« findet sich unter den verlornen Stücken des Sophokles. Wenn uns das Schicksal doch auch diesen »Laokoon« gegönnet hätte! Aus den leichten Erwähnungen, die seiner einige alte Grammatiker tun, läßt sich nicht schließen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe. So viel bin ich versichert, daß er den Laokoon nicht stoischer als den Philoktet und Herkules, wird geschildert haben. Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmäßig, welches der interessierende Gegenstand äußert. Sieht man ihn sein Elend mit großer Seele ertragen, so wird diese große Seele zwar unsere Bewunderung erwecken, aber die Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen untätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft, so wie jede andere deutliche Vorstellung, ausschließet.

Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht sein, warum dem ohngeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen; sondern es muß einen andern Grund haben, warum er hier von seinem Nebenbuhler, dem Dichter, abgehet, der dieses Geschrei mit bestem Vorsatze ausdrücket.

II

Es sei Fabel oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Versuch in den bildenden Künsten gemacht habe: so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird itzt die Malerei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmet, in ihrem ganzen Umfange betrieben: so hatte der weise Grieche ihr weit engere Grenzen gesetzet, und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränket. Sein Künstler schilderte nichts als das Schöne; selbst das gemeine Schöne, das Schöne niedrer Gattungen, war nur sein zufälliger Vorwurf, seine Übung, seine Erholung. Die Vollkommenheit des Gegenstandes selbst mußte in seinem Werke entzücken; er war zu groß von seinen Betrachtern zu verlangen, daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen, welches aus der getroffenen Ähnlichkeit, aus der Erwägung seiner Geschicklichkeit entspringet, begnügen sollten; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte ihm nichts edler, als der Endzweck der Kunst.

»Wer wird dich malen wollen, da dich niemand sehen will«, sagt ein alter Epigrammatist(9) über einen höchst ungestaltenen Menschen. Mancher neuere Künstler würde sagen: »Sei so ungestalten, wie möglich; ich will dich doch malen. Mag dich schon niemand gern sehen: so soll man doch mein Gemälde gern sehen; nicht in so fern es dich vorstellt, sondern in so fern es ein Beweis meiner Kunst ist, die ein solches Scheusal so ähnlich nachzubilden weiß.«

Freilich ist der Hang zu dieser üppigen Prahlerei mit leidigen Geschicklichkeiten, die durch den Wert ihrer Gegenstände nicht geadelt werden, zu natürlich, als daß nicht auch die Griechen ihren Pauson, ihren Pyreicus sollten gehabt haben. Sie hatten sie; aber sie ließen ihnen strenge Gerechtigkeit widerfahren. Pauson, der sich noch unter dem Schönen der gemeinen Natur hielt, dessen niedriger Geschmack das Fehlerhafte und Häßliche an der menschlichen Bildung am liebsten ausdrückte,(10) lebte in der verächtlichsten Armut.(11) Und Pyreicus, der Barbierstuben, schmutzige Werkstätte, Esel und Küchenkräuter, mit allem dem Fleiße eines niederländischen Künstlers malte, als ob dergleichen Dinge in der Natur so viel Reiz hätten, und so selten zu erblicken wären, bekam den Zunamen des Rhyparographen,(12) des Kotmalers; obgleich der wollüstige Reiche seine Werke mit Gold aufwog, um ihrer Nichtigkeit auch durch diesen eingebildeten Wert zu Hülfe zu kommen.

Die Obrigkeit selbst hielt es ihrer Aufmerksamkeit nicht für unwürdig, den Künstler mit Gewalt in seiner wahren Sphäre zu erhalten. Das Gesetz der Thebaner, welches ihm die Nachahmung ins Schönere befahl, und die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe verbot, ist bekannt. Es war kein Gesetz wider den Stümper, wofür es gemeiniglich, und selbst vom Junius,(13) gehalten wird. Es verdammte die griechischen Ghezzi; den unwürdigen Kunstgriff, die Ähnlichkeit durch Übertreibung der häßlichern Teile des Urbildes zu erreichen; mit einem Worte, die Karikatur.

Aus eben dem Geist des Schönen war auch das Gesetz der Hellanodiken geflossen. Jeder Olympische Sieger erhielt eine Statue; aber nur dem dreimaligen Sieger, ward eine ikonische gesetzet.(14) Der mittelmäßigen Portraits sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden. Denn obschon auch das Portrait ein Ideal zuläßt, so muß doch die Ähnlichkeit darüber herrschen; es ist das Ideal eines gewissen Menschen, nicht das Ideal eines Menschen überhaupt.

Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen. Aber wir haben nicht immer Recht, wenn wir lachen. Unstreitig müssen sich die Gesetze über die Wissenschaften keine Gewalt anmaßen; denn der Endzweck der Wissenschaften ist Wahrheit. Wahrheit ist der Seele notwendig; und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzutun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen; und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von dem Gesetzgeber abhangen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maße er jede Art desselben verstatten will.

Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehlbaren Einflusse, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischet. Erzeigten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese hinwiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken. Bei uns scheinet sich die zarte Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern.

Aus diesem Gesichtspunkte glaube ich in gewissen alten Erzählungen, die man gerade zu als Lügen verwirft, etwas wahres zu erblicken. Den Müttern des Aristomenes, des Aristodamas, Alexanders des Großen, des Scipio, des Augustus, des Galerius, träumte in ihrer Schwangerschaft allen, als ob sie mit einer Schlange zu tun hätten. Die Schlange war ein Zeichen der Gottheit;(15) und die schönen Bildsäulen und Gemälde eines Bacchus, eines Apollo, eines Merkurius, eines Herkules, waren selten ohne eine Schlange. Die ehrlichen Weiber hatten des Tages ihre Augen an dem Gotte geweidet, und der verwirrende Traum erweckte das Bild des Tieres. So rette ich den Traum, und gebe die Auslegung Preis, welche der Stolz ihrer Söhne und die Unverschämtheit des Schmeichlers davon machten. Denn eine Ursache mußte es wohl haben, warum die ehebrecherische Phantasie nur immer eine Schlange war.

Doch ich gerate aus meinem Wege. Ich wollte bloß festsetzen, daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sei.

Und dieses festgesetzt, folget notwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste zugleich mit erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet sein müssen.

Ich will bei dem Ausdrucke stehen bleiben. Es gibt Leidenschaften und Grade von Leidenschaften, die sich in dem Gesichte durch die häßlichsten Verzerrungen äußern, und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen setzen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigern Stande umschrieben, verloren gehen. Dieser enthielten sich also die alten Künstler entweder ganz und gar, oder setzten sie auf geringere Grade herunter, in welchen sie eines Maßes von Schönheit fähig sind.

Wut und Verzweiflung schändete keines von ihren Werken. Ich darf behaupten, daß sie nie eine Furie gebildet haben.(16)

Zorn setzten sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Blitz schleuderte; bei dem Künstler nur der ernste.

Jammer ward in Betrübnis gemildert. Und wo diese Milderung nicht statt finden konnte, wo der Jammer eben so verkleinernd als entstellend gewesen wäre, – was tat da Timanthes? Sein Gemälde von der Opferung der Iphigenia, in welchem er allen Umstehenden den ihnen eigentümlich zukommenden Grad der Traurigkeit erteilte, das Gesicht des Vaters aber, welches den allerhöchsten hätte zeigen sollen, verhüllete, ist bekannt, und es sind viel artige Dinge darüber gesagt worden. Er hatte sich, sagt dieser,(17) in den traurigen Physiognomien so erschöpft, daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Er bekannte dadurch, sagt jener,(18) daß der Schmerz eines Vaters bei dergleichen Vorfällen über allen Ausdruck sei. Ich für mein Teil sehe hier weder die Unvermögenheit des Künstlers, noch die Unvermögenheit der Kunst. Mit dem Grade des Affekts verstärken sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter, als diese auszudrücken. Aber Timanthes kannte die Grenzen, welche die Grazien seiner Kunst setzen. Er wußte, daß sich der Jammer, welcher dem Agamemnon als Vater zukam, durch Verzerrungen äußert, die allezeit häßlich sind. So weit sich Schönheit und Würde mit dem Ausdrucke verbinden ließ, so weit trieb er ihn. Das Häßliche wäre er gern übergangen, hätte er gern gelindert; aber da ihm seine Komposition beides nicht erlaubte, was blieb ihm anders übrig, als es zu verhüllen? – Was er nicht malen durfte, ließ er erraten. Kurz, diese Verhüllung ist ein Opfer, das der Künstler der Schönheit brachte. Sie ist ein Beispiel, nicht wie man den Ausdruck über die Schranken der Kunst treiben, sondern wie man ihn dem ersten Gesetze der Kunst, dem Gesetze der Schönheit, unterwerfen soll.

Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftigkeit, war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herab setzen; er mußte Schreien in Seufzen mildern; nicht weil das Schreien eine unedle Seele verrät, sondern weil er das Gesicht auf eine ekelhafte Weise verstellet. Denn man reiße dem Laokoon in Gedanken nur den Mund auf, und urteile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das süße Gefühl des Mitleids verwandeln kann.

Die bloße weite Öffnung des Mundes, – bei Seite gesetzt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Teile des Gesichts dadurch verzerret und verschoben werden, – ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt tut. Montfaucon bewies wenig Geschmack, als er einen alten bärtigen Kopf, mit aufgerissenem Munde, für einen Orakel erteilenden Jupiter ausgab.(19) Muß ein Gott schreien, wenn er die Zukunft eröffnet? Würde ein gefälliger Umriß des Mundes seine Rede verdächtig machen? Auch glaube ich es dem Valerius nicht, daß Ajax in dem nur gedachten Gemälde des Timanthes sollte geschrieen haben.(20)

Weit schlechtere Meister aus den Zeiten der schon verfallenen Kunst, lassen auch nicht einmal die wildesten Barbaren, wenn sie unter dem Schwerde des Siegers Schrecken und Todesangst ergreift, den Mund bis zum Schreien öffnen.(21)

Es ist gewiß, daß diese Herabsetzung des äußersten körperlichen Schmerzes auf einen niedrigern Grad von Gefühl, an mehrern alten Kunstwerken sichtbar gewesen. Der leidende Herkules in dem vergifteten Gewande, von der Hand eines alten unbekannten Meisters, war nicht der Sophokleische, der so gräßlich schrie, daß die Lokrischen Felsen, und die Euböischen Vorgebirge davon ertönten. Er war mehr finster, als wild.(22) Der Philoktet des Pythagoras Leontinus schien dem Betrachter seinen Schmerz mitzuteilen, welche Wirkung der geringste gräßliche Zug verhindert hätte. Man dürfte fragen, woher ich wisse, daß dieser Meister eine Bildsäule des Philoktet gemacht habe? Aus einer Stelle des Plinius, die meine Verbesserung nicht erwartet haben sollte, so offenbar verfälscht oder verstümmelt ist sie.(23)

III

Aber, wie schon gedacht, die Kunst hat in den neuern Zeiten ungleich weitere Grenzen erhalten. Ihre Nachahmung, sagt man, erstrecke sich auf die ganze sichtbare Natur, von welcher das Schöne nur ein kleiner Teil ist. Wahrheit und Ausdruck sei ihr erstes Gesetz; und wie die Natur selbst die Schönheit höhern Absichten jederzeit aufopfere, so müsse sie auch der Künstler seiner allgemeinen Bestimmung unterordnen, und ihr nicht weiter nachgehen, als es Wahrheit und Ausdruck erlauben. Genug, daß durch Wahrheit und Ausdruck das Häßlichste der Natur in ein Schönes der Kunst verwandelt werde.

Gesetzt, man wollte diese Begriffe vors erste unbestritten in ihrem Werte oder Unwerte lassen: sollten nicht andere von ihnen unabhängige Betrachtungen zu machen sein, warum dem ohngeachtet der Künstler in dem Ausdrucke Maß halten, und ihn nie aus dem höchsten Punkte der Handlung nehmen müsse.

Ich glaube, der einzige Augenblick, an den die materiellen Schranken der Kunst alle ihre Nachahmungen binden, wird auf dergleichen Betrachtungen leiten.

Kann der Künstler von der immer veränderlichen Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkte, brauchen; sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloß erblickt, sondern betrachtet zu werden, lange und wiederholter maßen betrachtet zu werden: so ist es gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt dieses einzigen Augenblickes, nicht fruchtbar genug gewählet werden kann. Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir darzu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben. In dem ganzen Verfolge eines Affekts ist aber kein Augenblick der diesen Vorteil weniger hat, als die höchste Staffel desselben. Über ihr ist weiter nichts, und dem Auge das Äußerste zeigen, heißt der Phantasie die Flügel binden, und sie nötigen, da sie über den sinnlichen Eindruck nicht hinaus kann, sich unter ihm mit schwächern Bildern zu beschäftigen, über die sie die sichtbare Fülle des Ausdrucks als ihre Grenze scheuet. Wenn Laokoon also seufzet, so kann ihn die Einbildungskraft schreien hören; wenn er aber schreiet, so kann sie von dieser Vorstellung weder eine Stufe höher, noch eine Stufe tiefer steigen, ohne ihn in einem leidlichern, folglich uninteressantern Zustande zu erblicken. Sie hört ihn erst ächzen, oder sie sieht ihn schon tot.

Ferner. Erhält dieser einzige Augenblick durch die Kunst eine unveränderliche Dauer: so muß er nichts ausdrücken, was sich nicht anders als transitorisch denken läßt. Alle Erscheinungen, zu deren Wesen wir es nach unsern Begriffen rechnen, daß sie plötzlich ausbrechen und plötzlich verschwinden, daß sie das, was sie sind, nur einen Augenblick sein können; alle solche Erscheinungen, sie mögen angenehm oder schrecklich sein, erhalten durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen, daß mit jeder wiederholten Erblickung der Eindruck schwächer wird, und uns endlich vor dem ganzen Gegenstande ekelt oder grauet. La Mettrie, der sich als einen zweiten Demokrit malen und stechen lassen, lacht nur die ersten male, die man ihn sieht. Betrachtet ihn öftrer, und er wird aus einem Philosophen ein Geck; aus seinem Lachen wird ein Grinsen. So auch mit dem Schreien. Der heftige Schmerz, welcher das Schreien auspresset, läßt entweder bald nach, oder zerstöret das leidende Subjekt. Wann also auch der geduldigste standhafteste Mann schreiet, so schreiet er doch nicht unabläßlich. Und nur dieses scheinbare Unabläßliche in der materiellen Nachahmung der Kunst ist es, was sein Schreien zu weibischem Unvermögen, zu kindischer Unleidlichkeit machen würde. Dieses wenigstens mußte der Künstler des Laokoons vermeiden, hätte schon das Schreien der Schönheit nicht geschadet, wäre es auch seiner Kunst schon erlaubt gewesen, Leiden ohne Schönheit auszudrücken.

Unter den alten Malern scheinet Timomachus Vorwürfe des äußersten Affekts am liebsten gewählet zu haben. Sein rasender Ajax, seine Kindermörderin Medea, waren berühmte Gemälde. Aber aus den Beschreibungen, die wir von ihnen haben, erhellet, daß er jenen Punkt, in welchem der Betrachter das Äußerste nicht sowohl erblickt, als hinzu denkt, jene Erscheinung, mit der wir den Begriff des Transitorischen nicht so notwendig verbinden, daß uns die Verlängerung derselben in der Kunst mißfallen sollte, vortrefflich verstanden und mit einander zu verbinden gewußt hat. Die Medea hatte er nicht in dem Augenblicke genommen, in welchem sie ihre Kinder wirklich ermordet; sondern einige Augenblicke zuvor, da die mütterliche Liebe noch mit der Eifersucht kämpfet. Wir sehen das Ende dieses Kampfes voraus. Wir zittern voraus, nun bald bloß die grausame Medea zu erblicken, und unsere Einbildungskraft gehet weit über alles hinweg, was uns der Maler in diesem schrecklichen Augenblicke zeigen könnte. Aber eben darum beleidiget uns die in der Kunst fortdauernde Unentschlossenheit der Medea so wenig, daß wir vielmehr wünschen, es wäre in der Natur selbst dabei geblieben, der Streit der Leidenschaften hätte sich nie entschieden, oder hätte wenigstens so lange angehalten, bis Zeit und Überlegung die Wut entkräften und den mütterlichen Empfindungen den Sieg versichern können. Auch hat dem Timomachus diese seine Weisheit große und häufige Lobsprüche zugezogen, und ihn weit über einen andern unbekannten Maler erhoben, der unverständig genug gewesen war, die Medea in ihrer höchsten Raserei zu zeigen, und so diesem flüchtig überhingehenden Grade der äußersten Raserei eine Dauer zu geben, die alle Natur empöret. Der Dichter,(24) der ihn desfalls tadelt, sagt daher sehr sinnreich, indem er das Bild selbst anredet: »Durstest du denn beständig nach dem Blute deiner Kinder? Ist denn immer ein neuer Jason, immer eine neue Creusa da, die sich unaufhörlich erbittern? – Zum Henker mit dir auch im Gemälde!« setzt er voller Verdruß hinzu.

Von dem rasenden Ajax des Timomachus läßt sich aus der Nachricht des Philostrats urteilen.(25) Ajax erschien nicht, wie er unter den Herden wütet, und Rinder und Böcke für Menschen fesselt und mordet. Sondern der Meister zeigte ihn, wie er nach diesen wahnwitzigen Heldentaten ermattet da sitzt, und den Anschlag fasset, sich selbst umzubringen. Und das ist wirklich der rasende Ajax; nicht weil er eben itzt raset, sondern weil man siehet, daß er geraset hat; weil man die Größe seiner Raserei am lebhaftesten aus der verzweiflungsvollen Scham abnimmt, die er nun selbst darüber empfindet. Man siehet den Sturm in den Trümmern und Leichen, die er an das Land geworfen.

IV

Ich übersehe die angeführten Ursachen, warum der Meister des Laokoon in dem Ausdrucke des körperlichen Schmerzes Maß halten müssen, und finde, daß sie allesamt von der eigenen Beschaffenheit der Kunst, und von derselben notwendigen Schranken und Bedürfnissen hergenommen sind. Schwerlich dürfte sich also wohl irgend eine derselben auf die Poesie anwenden lassen.

Ohne hier zu untersuchen, wie weit es dem Dichter gelingen kann, körperliche Schönheit zu schildern: so ist so viel unstreitig, daß, da das ganze unermeßliche Reich der Vollkommenheit seiner Nachahmung offen stehet, diese sichtbare Hülle, unter welcher Vollkommenheit zu Schönheit wird, nur eines von den geringsten Mitteln sein kann, durch die er uns für seine Personen zu interessieren weiß. Oft vernachlässiget er dieses Mittel gänzlich; versichert, daß wenn sein Held einmal unsere Gewogenheit gewonnen, uns dessen edlere Eigenschaften entweder so beschäftigen, daß wir an die körperliche Gestalt gar nicht denken, oder, wenn wir daran denken, uns so bestechen, daß wir ihm von selbst wo nicht eine schöne, doch eine gleichgültige erteilen. Am wenigsten wird er bei jedem einzeln Zuge, der nicht ausdrücklich für das Gesicht bestimmet ist, seine Rücksicht dennoch auf diesen Sinn nehmen dürfen. Wenn Virgils Laokoon schreiet, wem fällt es dabei ein, daß ein großes Maul zum Schreien nötig ist, und daß dieses große Maul häßlich läßt? Genug, daß clamores horrendos ad sidera tollit ein erhabner Zug für das Gehör ist, mag er doch für das Gesicht sein, was er will. Wer hier ein schönes Bild verlangt, auf den hat der Dichter seinen ganzen Eindruck verfehlt.

Nichts nötiget hiernächst den Dichter sein Gemälde in einen einzigen Augenblick zu konzentrieren. Er nimmt jede seiner Handlungen, wenn er will, bei ihrem Ursprunge auf, und führet sie durch alle mögliche Abänderungen bis zu ihrer Endschaft. Jede dieser Abänderungen, die dem Künstler ein ganzes besonderes Stück kosten würde, kostet ihm einen einzigen Zug; und würde dieser Zug, für sich betrachtet, die Einbildung des Zuhörers beleidigen, so war er entweder durch das Vorhergehende so vorbereitet, oder wird durch das Folgende so gemildert und vergütet, daß er seinen einzeln Eindruck verlieret, und in der Verbindung die trefflichste Wirkung von der Welt tut. Wäre es also auch wirklich einem Manne unanständig, in der Heftigkeit des Schmerzes zu schreien; was kann diese kleine überhingehende Unanständigkeit demjenigen bei uns für Nachteil bringen, dessen andere Tugenden uns schon für ihn eingenommen haben? Virgils Laokoon schreiet, aber dieser schreiende Laokoon ist eben derjenige, den wir bereits als den vorsichtigsten Patrioten, als den wärmsten Vater kennen und lieben. Wir beziehen sein Schreien nicht auf seinen Charakter, sondern lediglich auf sein unerträgliches Leiden. Dieses allein hören wir in seinem Schreien; und der Dichter konnte es uns durch dieses Schreien allein sinnlich machen.

Wer tadelt ihn also noch? Wer muß nicht vielmehr bekennen: wenn der Künstler wohl tat, daß er den Laokoon nicht schreien ließ, so tat der Dichter eben so wohl, daß er ihn schreien ließ?

Aber Virgil ist hier bloß ein erzählender Dichter. Wird in seiner Rechtfertigung auch der dramatische Dichter mit begriffen sein? Einen andern Eindruck macht die Erzählung von jemands Geschrei; einen andern dieses Geschrei selbst. Das Drama, welches für die lebendige Malerei des Schauspielers bestimmt ist, dürfte vielleicht eben deswegen sich an die Gesetze der materiellen Malerei strenger halten müssen. In ihm glauben wir nicht bloß einen schreienden Philoktet zu sehen und zu hören; wir hören und sehen wirklich schreien. Je näher der Schauspieler der Natur kömmt, desto empfindlicher müssen unsere Augen und Ohren beleidiget werden; denn es ist unwidersprechlich, daß sie es in der Natur werden, wenn wir so laute und heftige Äußerungen des Schmerzes vernehmen. Zudem ist der körperliche Schmerz überhaupt des Mitleidens nicht fähig, welches andere Übel erwecken. Unsere Einbildung kann zu wenig in ihm unterscheiden, als daß die bloße Erblickung desselben etwas von einem gleichmäßigen Gefühl in uns hervor zu bringen vermöchte. Sophokles könnte daher leicht nicht einen bloß willkürlichen, sondern in dem Wesen unsrer Empfindungen selbst gegründeten Anstand übertreten haben, wenn er den Philoktet und Herkules so winseln und weinen, so schreien und brüllen läßt. Die Umstehenden können unmöglich so viel Anteil an ihrem Leiden nehmen, als diese ungemäßigten Ausbrüche zu erfordern scheinen. Sie werden uns Zuschauern vergleichungsweise kalt vorkommen, und dennoch können wir ihr Mitleiden nicht wohl anders, als wie das Maß des unsrigen betrachten. Hierzu füge man, daß der Schauspieler die Vorstellung des körperlichen Schmerzes schwerlich oder gar nicht bis zur Illusion treiben kann: und wer weiß, ob die neuern dramatischen Dichter nicht eher zu loben, als zu tadeln sind, daß sie diese Klippe entweder ganz und gar vermieden, oder doch nur mit einem leichten Kahne umfahren haben.

Wie manches würde in der Theorie unwidersprechlich scheinen, wenn es dem Genie nicht gelungen wäre, das Widerspiel durch die Tat zu erweisen. Alle diese Betrachtungen sind nicht ungegründet, und doch bleibet Philoktet eines von den Meisterstücken der Bühne. Denn ein Teil derselben trifft den Sophokles nicht eigentlich, und nur indem er sich über den andern Teil hinwegsetzet, hat er Schönheiten erreicht, von welchen dem furchtsamen Kunstrichter, ohne dieses Beispiel, nie träumen würde. Folgende Anmerkungen werden es näher zeigen.

I. Wie wunderbar hat der Dichter die Idee des körperlichen Schmerzes zu verstärken und zu erweitern gewußt! Er wählte eine Wunde – (denn auch die Umstände der Geschichte kann man betrachten, als ob sie von seiner Wahl abgehangen hätten, in so fern er nämlich die ganze Geschichte, eben dieser ihm vorteilhaften Umstände wegen, wählte) – er wählte, sage ich, eine Wunde und nicht eine innerliche Krankheit; weil sich von jener eine lebhaftere Vorstellung machen läßt, als von dieser, wenn sie auch noch so schmerzlich ist. Die innere sympathetische Glut, welche den Meleager verzehrte, als ihn seine Mutter in dem fatalen Brande ihrer schwesterlichen Wut aufopferte, würde daher weniger theatralisch sein, als eine Wunde. Und diese Wunde war ein göttliches Strafgericht. Ein mehr als natürliches Gift tobte unaufhörlich darin, und nur ein stärkerer Anfall von Schmerzen hatte seine gesetzte Zeit, nach welchem jedesmal der Unglückliche in einen betäubenden Schlaf verfiel, in welchem sich seine erschöpfte Natur erholen mußte, den nämlichen Weg des Leidens wieder antreten zu können. Chataubrun läßt ihn bloß von dem vergifteten Pfeile eines Trojaners verwundet sein. Was kann man sich von einem so gewöhnlichen Zufalle außerordentliches versprechen? Ihm war in den alten Kriegen ein jeder ausgesetzt; wie kam es, daß er nur bei dem Philoktet so schreckliche Folgen hatte? Ein natürliches Gift, das neun ganzer Jahre wirket, ohne zu töten, ist noch dazu weit unwahrscheinlicher, als alle das fabelhafte Wunderbare, womit es der Grieche ausgerüstet hat.

2. So groß und schrecklich er aber auch die körperlichen Schmerzen seines Helden machte, so fühlte er es doch sehr wohl, daß sie allein nicht hinreichend wären, einen merklichen Grad des Mitleids zu erregen. Er verband sie daher mit andern Übeln, die gleichfalls für sich betrachtet nicht besonders rühren konnten, die aber durch diese Verbindung einen eben so melancholischen Anstrich erhielten, als sie den körperlichen Schmerzen hinwiederum mitteilten. Diese Übel waren, völlige Beraubung der menschlichen Gesellschaft, Hunger und alle Unbequemlichkeiten des Lebens, welchen man unter einem rauhen Himmel in jener Beraubung ausgesetzet ist.(26) Man denke sich einen Menschen in diesen Umständen, man gebe ihm aber Gesundheit, und Kräfte, und Industrie, und es ist ein Robinson Crusoe, der auf unser Mitleid wenig Anspruch macht, ob uns gleich sein Schicksal sonst gar nicht gleichgültig ist. Denn wir sind selten mit der menschlichen Gesellschaft so zufrieden, daß uns die Ruhe, die wir außer derselben genießen, nicht sehr reizend dünken sollte, besonders unter der Vorstellung, welche jedes Individuum schmeichelt, daß es fremden Beistandes nach und nach kann entbehren lernen. Auf der andern Seite gebe man einem Menschen die schmerzlichste unheilbarste Krankheit, aber man denke ihn zugleich von gefälligen Freunden umgeben, die ihn an nichts Mangel leiden lassen, die sein Übel, so viel in ihren Kräften stehet, erleichtern, gegen die er unverhohlen klagen und jammern darf: unstreitig werden wir Mitleid mit ihm haben, aber dieses Mitleid dauert nicht in die Länge, endlich zucken wir die Achsel und verweisen ihn zur Geduld. Nur wenn beide Fälle zusammen kommen, wenn der Einsame auch seines Körpers nicht mächtig ist, wenn dem Kranken eben so wenig jemand anders hilft, als er sich selbst helfen kann, und seine Klagen in der öden Luft verfliegen: alsdann sehen wir alles Elend, was die menschliche Natur treffen kann, über den Unglücklichen zusammen schlagen, und jeder flüchtige Gedanke, mit dem wir uns an seiner Stelle denken, erreget Schaudern und Entsetzen. Wir erblicken nichts als die Verzweiflung in ihrer schrecklichsten Gestalt vor uns, und kein Mitleid ist stärker, keines zerschmelzet mehr die ganze Seele, als das, welches sich mit Vorstellungen der Verzweiflung mischet. Von dieser Art ist das Mitleid, welches wir für den Philoktet empfinden, und in dem Augenblicke am stärksten empfinden, wenn wir ihn auch seines Bogens beraubt sehen, des einzigen, was ihm sein kümmerliches Leben erhalten mußte. – O des Franzosen, der keinen Verstand, dieses zu überlegen, kein Herz, dieses zu fühlen, gehabt hat! Oder wann er es gehabt hat, der klein genug war, dem armseligen Geschmacke seiner Nation alles dieses aufzuopfern. Chataubrun gibt dem Philoktet Gesellschaft. Er läßt eine Prinzessin Tochter zu ihm in die wüste Insel kommen. Und auch diese ist nicht allein, sondern hat ihre Hofmeisterin bei sich; ein Ding, von dem ich nicht weiß, ob es die Prinzessin oder der Dichter nötiger gebraucht hat. Das ganze vortreffliche Spiel mit dem Bogen hat er weggelassen. Dafür läßt er schöne Augen spielen. Freilich würden Pfeil und Bogen der französischen Heldenjugend sehr lustig vorgekommen sein. Nichts hingegen ist ernsthafter als der Zorn schöner Augen. Der Grieche martert uns mit der gräulichen Besorgung, der arme Philoktet werde ohne seinem Bogen auf der wüsten Insel bleiben und elendiglich umkommen müssen. Der Franzose weiß einen gewissern Weg zu unsern Herzen: er läßt uns fürchten, der Sohn des Achilles werde ohne seine Prinzessin abziehen müssen. Dieses hießen denn auch die Pariser Kunstrichter, über die Alten triumphieren, und einer schlug vor, das Chataubrunsche Stück »La Difficulté vaincue« zu benennen.(27)

3. Nach der Wirkung des Ganzen betrachte man die einzeln Szenen, in welchen Philoktet nicht mehr der verlassene Kranke ist; wo er Hoffnung hat, nun bald die trostlose Einöde zu verlassen und wieder in sein Reich zu gelangen; wo sich also sein ganzes Unglück auf die schmerzliche Wunde einschränkt. Er wimmert, er schreiet, er bekömmt die gräßlichsten Zuckungen. Hierwider gehet eigentlich der Einwurf des beleidigten Anstandes. Es ist ein Engländer, welcher diesen Einwurf macht; ein Mann also, bei welchem man nicht leicht eine falsche Delikatesse argwohnen darf. Wie schon berührt, so gibt er ihm auch einen sehr guten Grund. Alle Empfindungen und Leidenschaften, sagt er, mit welchen andere nur sehr wenig sympathisieren können, werden anstößig, wenn man sie zu heftig ausdrückt.(28) »Aus diesem Grunde ist nichts unanständiger, und einem Manne unwürdiger, als wenn er den Schmerz, auch den allerheftigsten, nicht mit Geduld ertragen kann, sondern weinet und schreiet. Zwar gibt es eine Sympathie mit dem körperlichen Schmerze. Wenn wir sehen, daß jemand einen Schlag auf den Arm oder das Schienbein bekommen soll, so fahren wir natürlicher Weise zusammen, und ziehen unsern eigenen Arm, oder Schienbein, zurück; und wenn der Schlag wirklich geschieht, so empfinden wir ihn gewissermaßen eben sowohl, als der, den er getroffen. Gleichwohl aber ist es gewiß, daß das Übel, welches wir fühlen, gar nicht beträchtlich ist; wenn der Geschlagene daher ein heftiges Geschrei erregt, so ermangeln wir nicht ihn zu verachten, weil wir in der Verfassung nicht sind, eben so heftig schreien zu können, als er.« – Nichts ist betrüglicher als allgemeine Gesetze für unsere Empfindungen. Ihr Gewebe ist so fein und verwickelt, daß es auch der behutsamsten Spekulation kaum möglich ist, einen einzeln Faden rein aufzufassen und durch alle Kreuzfäden zu verfolgen. Gelingt es ihr aber auch schon, was für Nutzen hat es? Es gibt in der Natur keine einzelne reine Empfindung; mit einer jeden entstehen tausend andere zugleich, deren geringste die Grundempfindung gänzlich verändert, so daß Ausnahmen über Ausnahmen erwachsen, die das vermeintlich allgemeine Gesetz endlich selbst auf eine bloße Erfahrung in wenig einzeln Fällen einschränken. – Wir verachten denjenigen, sagt der Engländer, den wir unter körperlichen Schmerzen heftig schreien hören. Aber nicht immer: nicht zum erstenmale; nicht, wenn wir sehen, daß der Leidende alles mögliche anwendet, seinen Schmerz zu verbeißen; nicht, wenn wir ihn sonst als einen Mann von Standhaftigkeit kennen; noch weniger, wenn wir ihn selbst unter dem Leiden Proben von seiner Standhaftigkeit ablegen sehen, wenn wir sehen, daß ihn der Schmerz zwar zum Schreien, aber auch zu weiter nichts zwingen kann, daß er sich lieber der längern Fortdauer dieses Schmerzes unterwirft, als das geringste in seiner Denkungsart, in seinen Entschlüssen ändert, ob er schon in dieser Veränderung die gänzliche Endschaft seines Schmerzes hoffen darf. Das alles findet sich bei dem Philoktet. Die moralische Größe bestand bei den alten Griechen in einer eben so unveränderlichen Liebe gegen seine Freunde, als unwandelbarem Hasse gegen seine Feinde. Diese Größe behält Philoktet bei allen seinen Martern. Sein Schmerz hat seine Augen nicht so vertrocknet, daß sie ihm keine Tränen über das Schicksal seiner alten Freunde gewähren könnten. Sein Schmerz hat ihn so mürbe nicht gemacht, daß er, um ihn los zu werden, seinen Feinden vergeben, und sich gern zu allen ihren eigennützigen Absichten brauchen lassen möchte. Und diesen Felsen von einem Manne hätten die Athenienser verachten sollen, weil die Wellen, die ihn nicht erschüttern können, ihn wenigstens ertönen machen? – Ich bekenne, daß ich an der Philosophie des Cicero überhaupt wenig Geschmack finde; am allerwenigsten aber an der, die er in dem zweiten Buche seiner Tusculanischen Fragen über die Erduldung des körperlichen Schmerzes auskramet. Man sollte glauben, er wolle einen Gladiator abrichten, so sehr eifert er wider den äußerlichen Ausdruck des Schmerzes. In diesem scheinet er allein die Ungeduld zu finden, ohne zu überlegen, daß er oft nichts weniger als freiwillig ist, die wahre Tapferkeit aber sich nur in freiwilligen Handlungen zeigen kann. Er hört bei dem Sophokles den Philoktet nur klagen und schreien, und übersieht sein übriges standhaftes Betragen gänzlich. Wo hätte er auch sonst die Gelegenheit zu seinem rhetorischen Ausfalle wider die Dichter hergenommen? »Sie sollen uns weichlich machen, weil sie die tapfersten Männer klagend einführen.« Sie müssen sie klagen lassen; denn ein Theater ist keine Arena. Dem verdammten oder feilen Fechter kam es zu, alles mit Anstand zu tun und zu leiden. Von ihm mußte kein kläglicher Laut gehöret, keine schmerzliche Zuckung erblickt werden. Denn da seine Wunden, sein Tod, die Zuschauer ergötzen sollten: so mußte die Kunst alles Gefühl verbergen lehren. Die geringste Äußerung desselben hätte Mitleiden erweckt, und öfters erregtes Mitleiden würde diesen frostig grausamen Schauspielen bald ein Ende gemacht haben. Was aber hier nicht erregt werden sollte, ist die einzige Absicht der tragischen Bühne, und fodert daher ein gerade entgegen gesetztes Betragen. Ihre Helden müssen Gefühl zeigen, müssen ihre Schmerzen äußern, und die bloße Natur in sich wirken lassen. Verraten sie Abrichtung und Zwang, so lassen sie unser Herz kalt, und Klopffechter im Kothurne können höchstens nur bewundert werden. Diese Benennung verdienen alle Personen der sogenannten Senecaschen Tragödien, und ich bin der festen Meinung, daß die Gladiatorischen Spiele die vornehmste Ursache gewesen, warum die Römer in dem Tragischen noch so weit unter dem Mittelmäßigen geblieben sind. Die Zuschauer lernten in dem blutigen Amphitheater alle Natur verkennen, wo allenfalls ein Ktesias seine Kunst studieren konnte, aber nimmermehr ein Sophokles. Das tragischste Genie, an diese künstliche Todesszenen gewöhnet, mußte auf Bombast und Rodomontaden verfallen. Aber so wenig als solche Rodomontaden wahren Heldenmut einflößen können, eben so wenig können Philoktetische Klagen weichlich machen. Die Klagen sind eines Menschen, aber die Handlungen eines Helden. Beide machen den menschlichen Helden, der weder weichlich noch verhärtet ist, sondern bald dieses bald jenes scheinet, so wie ihn itzt Natur, itzt Grundsätze und Pflicht verlangen. Er ist das Höchste, was die Weisheit hervorbringen, und die Kunst nachahmen kann.

4. Nicht genug, daß Sophokles seinen empfindlichen Philoktet vor der Verachtung gesichert hat; er hat auch allem andern weislich vorgebauet, was man sonst aus der Anmerkung des Engländers wider ihn erinnern könnte. Denn verachten wir schon denjenigen nicht immer, der bei körperlichen Schmerzen schreiet, so ist doch dieses unwidersprechlich, daß wir nicht so viel Mitleiden für ihn empfinden, als dieses Geschrei zu erfordern scheinet. Wie sollen sich also diejenigen verhalten, die mit dem schreienden Philoktet zu tun haben? Sollen sie sich in einem hohen Grade gerührt stellen? Es ist wider die Natur. Sollen sie sich so kalt und verlegen bezeigen, als man wirklich bei dergleichen Fällen zu sein pflegt? Das würde die widrigste Dissonanz für den Zuschauer hervorbringen. Aber, wie gesagt, auch diesem hat Sophokles vorgebauet. Dadurch nämlich, daß die Nebenpersonen ihr eigenes Interesse haben; daß der Eindruck, welchen das Schreien des Philoktet auf sie macht, nicht das einzige ist, was sie beschäftiget, und der Zuschauer daher nicht sowohl auf die Disproportion ihres Mitleids mit diesem Geschrei, als vielmehr auf die Veränderung Acht gibt, die in ihren eigenen Gesinnungen und Anschlägen durch das Mitleid, es sei so schwach oder so stark es will, entstehet, oder entstehen sollte. Neoptolem und der Chor haben den unglücklichen Philoktet hintergangen; sie erkennen, in welche Verzweiflung ihn ihr Betrug stürzen werde; nun bekömmt er seinen schrecklichen Zufall vor ihren Augen; kann dieser Zufall keine merkliche sympathetische Empfindung in ihnen erregen, so kann er sie doch antreiben, in sich zu gehen, gegen so viel Elend Achtung zu haben, und es durch Verräterei nicht häufen zu wollen. Dieses erwartet der Zuschauer, und seine Erwartung findet sich von dem edelmütigen Neoptolem nicht getäuscht. Philoktet, seiner Schmerzen Meister, würde den Neoptolem bei seiner Verstellung erhalten haben. Philoktet, den sein Schmerz aller Verstellung unfähig macht, so höchst nötig sie ihm auch scheinet, damit seinen künftigen Reisegefährten das Versprechen, ihn mit sich zu nehmen, nicht zu bald gereue; Philoktet, der ganz Natur ist, bringt auch den Neoptolem zu seiner Natur wieder zurück. Diese Umkehr ist vortrefflich, und um so viel rührender, da sie von der bloßen Menschlichkeit bewirket wird. Bei dem Franzosen haben wiederum die schönen Augen ihren Teil daran.(29) Doch ich will an diese Parodie nicht mehr denken. – Des nämlichen Kunstgriffs, mit dem Mitleiden, welches das Geschrei über körperliche Schmerzen hervorbringen sollte, in den Umstehenden einen andern Affekt zu verbinden, hat sich Sophokles auch in den Trachinerinnen bedient. Der Schmerz des Herkules ist kein ermattender Schmerz: er treibt ihn bis zur Raserei, in der er nach nichts als nach Rache schnaubet. Schon hatte er in dieser Wut den Lichas ergriffen, und an dem Felsen zerschmettert. Der Chor ist weiblich; um so viel natürlicher muß sich Furcht und Entsetzen seiner bemeistern. Dieses, und die Erwartung, ob noch ein Gott dem Herkules zu Hülfe eilen, oder Herkules unter diesem Übel erliegen werde, macht hier das eigentliche allgemeine Interesse, welches von dem Mitleiden nur eine geringe Schattierung erhält. Sobald der Ausgang durch die Zusammenhaltung der Orakel entschieden ist, wird Herkules ruhig, und die Bewunderung über seinen letzten Entschluß tritt an die Stelle aller andern Empfindungen. Überhaupt aber muß man bei der Vergleichung des leidenden Herkules mit dem leidenden Philoktet nicht vergessen, daß jener ein Halbgott, und dieser nur ein Mensch ist. Der Mensch schämt sich seiner Klagen nie; aber der Halbgott schämt sich, daß sein sterblicher Teil über den unsterblichen so viel vermocht habe, daß er wie ein Mädchen weinen und winseln müssen.(30) Wir Neuern glauben keine Halbgötter, aber der geringste Held soll bei uns wie ein Halbgott empfinden, und handeln.

Ob der Schauspieler das Geschrei und die Verzuckungen des Schmerzes bis zur Illusion bringen könne, will ich weder zu verneinen noch zu bejahen wagen. Wenn ich fände, daß es unsere Schauspieler nicht könnten, so müßte ich erst wissen, ob es auch ein Garrick nicht vermögend wäre: und wenn es auch diesem nicht gelänge, so würde ich mir noch immer die Skeuopoeie und Deklamation der Alten in einer Vollkommenheit denken dürfen, von der wir heut zu Tage gar keinen Begriff haben.

V

Es gibt Kenner des Altertums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil sie glauben, daß der Virgilische Laokoon dabei zum Vorbilde gedienet habe. Ich will von den ältern Gelehrten, die dieser Meinung gewesen sind, nur den Bartholomäus Marliani,(31)und von den neuern, den Montfaucon(32) nennen. Sie fanden ohne Zweifel zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters eine so besondere Übereinstimmung, daß es ihnen unmöglich dünkte, daß beide von ohngefähr auf einerlei Umstände sollten gefallen sein, die sich nichts weniger, als von selbst darbieten. Dabei setzten sie voraus, daß wenn es auf die Ehre der Erfindung und des ersten Gedankens ankomme, die Wahrscheinlichkeit für den Dichter ungleich größer sei, als für den Künstler.

Nur scheinen sie vergessen zu haben, daß ein dritter Fall möglich sei. Denn vielleicht hat der Dichter eben so wenig den Künstler, als der Künstler den Dichter nachgeahmt, sondern beide haben aus einerlei älteren Quelle geschöpft. Nach dem Macrobius würde Pisander diese ältere Quelle sein können.(33) Denn als die Werke dieses griechischen Dichters noch vorhanden waren, war es schulkundig, »pueris decantatum«, daß der Römer die ganze Eroberung und Zerstörung Iliums, sein ganzes zweites Buch, aus ihm nicht sowohl nachgeahmet, als treulich übersetzt habe. Wäre nun also Pisander auch in der Geschichte des Laokoon Virgils Vorgänger gewesen, so brauchten die griechischen Künstler ihre Anleitung nicht aus einem lateinischen Dichter zu holen, und die Mutmaßung von ihrem Zeitalter gründet sich auf nichts.

Indes wenn ich notwendig die Meinung des Marliani und Montfaucon behaupten müßte, so würde ich ihnen folgende Ausflucht leihen. Pisanders Gedichte sind verloren; wie die Geschichte des Laokoon von ihm erzählet worden, läßt sich mit Gewißheit nicht sagen; es ist aber wahrscheinlich, daß es mit eben den Umständen geschehen sei, von welchen wir noch itzt bei griechischen Schriftstellern Spuren finden. Nun kommen aber diese mit der Erzählung des Virgils im geringsten nicht überein, sondern der römische Dichter muß die griechische Tradition völlig nach seinem Gutdünken umgeschmolzen haben. Wie er das Unglück des Laokoon erzählet, so ist es seine eigene Erfindung; folglich, wenn die Künstler in ihrer Vorstellung mit ihm harmonieren, so können sie nicht wohl anders als nach seiner Zeit gelebt, und nach seinem Vorbilde gearbeitet haben.

Quintus Calaber läßt zwar den Laokoon einen gleichen Verdacht, wie Virgil, wider das hölzerne Pferd bezeigen; allein der Zorn der Minerva, welchen sich dieser dadurch zuziehet, äußert sich bei ihm ganz anders. Die Erde erbebt unter dem warnenden Trojaner; Schrecken und Angst überfallen ihn; ein brennender Schmerz tobet in seinen Augen; sein Gehirn leidet; er raset; er verblindet. Erst, da er blind noch nicht aufhört, die Verbrennung des hölzernen Pferdes anzuraten, sendet Minerva zwei schreckliche Drachen, die aber bloß die Kinder des Laokoon ergreifen. Umsonst strecken diese die Hände nach ihrem Vater aus; der arme blinde Mann kann ihnen nicht helfen; sie werden zerfleischt, und die Schlangen schlupfen in die Erde. Dem Laokoon selbst geschieht von ihnen nichts; und daß dieser Umstand dem Quintus(34) nicht eigen, sondern vielmehr allgemein angenommen müsse gewesen sein, bezeiget eine Stelle des Lykophron, wo diese Schlangen(35)das Beiwort der Kinderfresser führen.

War er aber, dieser Umstand, bei den Griechen allgemein angenommen, so würden sich griechische Künstler schwerlich erkühnt haben, von ihm abzuweichen, und schwerlich würde es sich getroffen haben, daß sie auf eben die Art wie ein römischer Dichter abgewichen wären, wenn sie diesen Dichter nicht gekannt hätten, wenn sie vielleicht nicht den ausdrücklichen Auftrag gehabt hätten, nach ihm zu arbeiten. Auf diesem Punkte, meine ich, müßte man bestehen, wenn man den Marliani und Montfaucon verteidigen wollte. Virgil ist der erste und einzige,(36) welcher sowohl Vater als Kinder von den Schlangen umbringen läßt; die Bildhauer tun dieses gleichfalls, da sie es doch als Griechen nicht hätten tun sollen: also ist es wahrscheinlich, daß sie es auf Veranlassung des Virgils getan haben.

Ich empfinde sehr wohl, wie viel dieser Wahrscheinlichkeit zur historischen Gewißheit mangelt. Aber da ich auch nichts historisches weiter daraus schließen will, so glaube ich wenigstens, daß man sie als eine Hypothesis kann gelten lassen, nach welcher der Criticus seine Betrachtungen anstellen darf. Bewiesen oder nicht bewiesen, daß die Bildhauer dem Virgil nachgearbeitet haben; ich will es bloß annehmen, um zu sehen, wie sie ihm sodann nachgearbeitet hätten. Über das Geschrei habe ich mich schon erklärt. Vielleicht, daß mich die weitere Vergleichung auf nicht weniger unterrichtende Bemerkungen leitet.

Der Einfall, den Vater mit seinen beiden Söhnen durch die mördrischen Schlangen in einen Knoten zu schürzen, ist ohnstreitig ein sehr glücklicher Einfall, der von einer ungemein malerischen Phantasie zeiget. Wem gehört er? Dem Dichter, oder den Künstlern? Montfaucon will ihn bei dem Dichter nicht finden.(37) Aber ich meine, Montfaucon hat den Dichter nicht aufmerksam genug gelesen.

– – – illi agmine certo

Laocoonta petunt, et primum parva duorum

Corpora natorum serpens amplexus uterque

Implicat et miseros morsu depascitur artus.

Post ipsum, auxilio subeuntem et tela ferentem

Corripiunt, spirisque ligant ingentibus – –

Der Dichter hat die Schlangen von einer wunderbaren Länge geschildert. Sie haben die Knaben umstrickt, und da der Vater ihnen zu Hülfe kömmt, ergreifen sie auch ihn. (corripiunt) Nach ihrer Größe konnten sie sich nicht auf einmal von den Knaben loswinden; es mußte also einen Augenblick geben, da sie den Vater mit ihren Köpfen und Vorderteilen schon angefallen hatten, und mit ihren Hinterteilen die Knaben noch verschlungen hielten. Dieser Augenblick ist in der Fortschreitung des poetischen Gemäldes notwendig; der Dichter läßt ihn sattsam empfinden; nur ihn auszumalen, dazu war itzt die Zeit nicht. Daß ihn die alten Ausleger auch wirklich empfunden haben, scheinet eine Stelle des Donatus(38) zu bezeigen. Wie viel weniger wird er den Künstlern entwischt sein, in deren verständiges Auge, alles was ihnen vorteilhaft werden kann, so schnell und deutlich einleuchtet?

In den Windungen selbst, mit welchen der Dichter die Schlangen um den Laokoon führet, vermeidet er sehr sorgfältig die Arme, um den Händen alle ihre Wirksamkeit zu lassen.

Ille simul manibus tendit divellere nodos.

Hierin mußten ihm die Künstler notwendig folgen. Nichts gibt mehr Ausdruck und Leben, als die Bewegung der Hände; im Affekte besonders, ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend. Arme, durch die Ringe der Schlangen fest an den Körper geschlossen, würden Frost und Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir sie, an der Hauptfigur so wohl als an den Nebenfiguren, in völliger Tätigkeit, und da am meisten beschäftiget, wo gegenwärtig der heftigste Schmerz ist.

Weiter aber auch nichts, als diese Freiheit der Arme, fanden die Künstler zuträglich, in Ansehung der Verstrickung der Schlangen, von dem Dichter zu entlehnen. Virgil läßt die Schlangen doppelt um den Leib, und doppelt um den Hals des Laokoon sich winden, und hoch mit ihren Köpfen über ihn herausragen.

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum

Terga dati, superant capite et cervicibus altis.

Dieses Bild füllet unsere Einbildungskraft vortrefflich; die edelsten Teile sind bis zum Ersticken gepreßt, und das Gift gehet gerade nach dem Gesichte. Dem ohngeachtet war es kein Bild für Künstler, welche die Wirkungen des Giftes und des Schmerzes in dem Körper zeigen wollten. Denn um diese bemerken zu können, mußten die Hauptteile so frei sein als möglich, und durchaus mußte kein äußrer Druck auf sie wirken, welcher das Spiel der leidenden Nerven und arbeitenden Muskeln verändern und schwächen könnte. Die doppelten Windungen der Schlangen würden den ganzen Leib verdeckt haben, und jene schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend ist, würde unsichtbar geblieben sein. Was man über, oder unter, oder zwischen den Windungen, von dem Leibe noch erblickt hätte, würde unter Pressungen und Aufschwellungen erschienen sein, die nicht von dem innern Schmerze, sondern von der äußern Last gewirket worden. Der eben so oft umschlungene Hals würde die pyramidalische Zuspitzung der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, gänzlich verdorben haben; und die aus dieser Wulst ins Freie hinausragende spitze Schlangenköpfe hätten einen so plötzlichen Abfall von Mensur gemacht, daß die Form des Ganzen äußerst anstößig geworden wäre. Es gibt Zeichner, welche unverständig genug gewesen sind, sich demohngeachtet an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, läßt sich unter andern aus einem Blatte des Franz Cleyn(39) mit Abscheu erkennen. Die alten Bildhauer übersahen es mit einem Blicke, daß ihre Kunst hier eine gänzliche Abänderung erfordere. Sie verlegten alle Windungen von dem Leibe und Halse, um die Schenkel und Füße. Hier konnten diese Windungen, dem Ausdrucke unbeschadet, so viel decken und pressen, als nötig war. Hier erregten sie zugleich die Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der künstlichen Fortdauer des nämlichen Zustandes sehr vorteilhaft ist.

Ich weiß nicht, wie es gekommen, daß die Kunstrichter diese Verschiedenheit, welche sich in den Windungen der Schlangen zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeiget, gänzlich mit Stillschweigen übergangen haben. Sie erhebet die Weisheit der Künstler eben so sehr als die andre, auf die sie alle fallen, die sie aber nicht sowohl anzupreisen wagen, als vielmehr nur zu entschuldigen suchen. Ich meine die Verschiedenheit in der Bekleidung. Virgils Laokoon ist in seinem priesterlichen Ornate, und in der Gruppe erscheinet er, mit beiden seinen Söhnen, völlig nackend. Man sagt, es gebe Leute, welche eine große Ungereimtheit darin fänden, daß ein Königssohn, ein Priester, bei einem Opfer, nackend vorgestellet werde. Und diesen Leuten antworten Kenner der Kunst in allem Ernste, daß es allerdings ein Fehler wider das Übliche sei, daß aber die Künstler dazu gezwungen worden, weil sie ihren Figuren keine anständige Kleidung geben können. Die Bildhauerei, sagen sie, könne keine Stoffe nachahmen; dicke Falten machten eine üble Wirkung; aus zwei Unbequemlichkeiten habe man also die geringste wählen, und lieber gegen die Wahrheit selbst verstoßen, als in den Gewändern tadelhaft werden müssen.(40) Wenn die alten Artisten bei dem Einwurfe lachen würden, so weiß ich nicht, was sie zu der Beantwortung sagen dürften. Man kann die Kunst nicht tiefer herabsetzen, als es dadurch geschiehet. Denn gesetzt, die Skulptur könnte die verschiednen Stoffe eben so gut nachahmen, als die Malerei: würde sodann Laokoon notwendig bekleidet sein müssen? Würden wir unter dieser Bekleidung nichts verlieren? Hat ein Gewand, das Werk sklavischer Hände, eben so viel Schönheit als das Werk der ewigen Weisheit, ein organisierter Körper? Erfordert es einerlei Fähigkeiten, ist es einerlei Verdienst, bringt es einerlei Ehre, jenes oder diesen nachzuahmen? Wollen unsere Augen nur getäuscht sein, und ist es ihnen gleich viel, womit sie getäuscht werden?

Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch. Laokoon habe es bei dem Virgil, oder habe es nicht, sein Leiden ist ihr an jedem Teile seines Körpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist mit der priesterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht umhüllet. Ja sie hindert nicht allein nicht, diese Binde; sie verstärkt auch noch den Begriff, den wir uns von dem Unglücke des Leidenden machen.

Perfusus sanie vittas atroque veneno.

Nichts hilft ihm seine priesterliche Würde; selbst das Zeichen derselben, das ihm überall Ansehen und Verehrung verschafft, wird von dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiliget.

Aber diesen Nebenbegriff mußte der Artist aufgeben, wenn das Hauptwerk nicht leiden sollte. Hätte er dem Laokoon auch nur diese Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein großes geschwächt haben. Die Stirne wäre zum Teil verdeckt worden, und die Stirne ist der Sitz des Ausdruckes. Wie er also dort, bei dem Schreien, den Ausdruck der Schönheit aufopferte, so opferte er hier das Übliche dem Ausdrucke auf. Überhaupt war das Übliche bei den Alten eine sehr geringschätzige Sache. Sie fühlten, daß die höchste Bestimmung ihrer Kunst sie auf die völlige Entbehrung desselben führte. Schönheit ist diese höchste Bestimmung; Not erfand die Kleider, und was hat die Kunst mit der Not zu tun? Ich gebe es zu, daß es auch eine Schönheit der Bekleidung gibt; aber was ist sie, gegen die Schönheit der menschlichen Form? Und wird der, der das Größere erreichen kann, sich mit dem Kleinern begnügen? Ich fürchte sehr, der vollkommenste Meister in Gewändern, zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran es ihm fehlt.

VI

Meine Voraussetzung, daß die Künstler dem Dichter nachgeahmet haben, gereicht ihnen nicht zur Verkleinerung. Ihre Weisheit erscheinet vielmehr durch diese Nachahmung in dem schönsten Lichte. Sie folgten dem Dichter, ohne sich in der geringsten Kleinigkeit von ihm verführen zu lassen. Sie hatten ein Vorbild, aber da sie dieses Vorbild aus einer Kunst in die andere hinüber tragen mußten, so fanden sie genug Gelegenheit selbst zu denken. Und diese ihre eigene Gedanken, welche sich in den Abweichungen von ihrem Vorbilde zeigen, beweisen, daß sie in ihrer Kunst eben so groß gewesen sind, als er in der seinigen.

Nun will ich die Voraussetzung umkehren: der Dichter soll den Künstlern nachgeahmet haben. Es gibt Gelehrte, die diese Voraussetzung als eine Wahrheit behaupten.(41) Daß sie historische Gründe dazu haben könnten, wüßte ich nicht. Aber, da sie das Kunstwerk so überschwänglich schön fanden, so konnten sie sich nicht bereden, daß es aus so später Zeit sein sollte. Es mußte aus der Zeit sein, da die Kunst in ihrer vollkommensten Blüte war, weil es daraus zu sein verdiente.

Es hat sich gezeigt, daß, so vortrefflich das Gemälde des Virgils ist, die Künstler dennoch verschiedene Züge desselben nicht brauchen können. Der Satz leidet also seine Einschränkung, daß eine gute poetische Schilderung auch ein gutes wirkliches Gemälde geben müsse, und daß der Dichter nur in so weit gut geschildert habe, als ihm der Artist in allen Zügen folgen könne. Man ist geneigt diese Einschränkung zu vermuten, noch ehe man sie durch Beispiele erhärtet sieht; bloß aus Erwägung der weitern Sphäre der Poesie, aus dem unendlichen Felde unserer Einbildungskraft, aus der Geistigkeit ihrer Bilder, die in größter Menge und Mannigfaltigkeit neben einander stehen können, ohne daß eines das andere deckt oder schändet, wie es wohl die Dinge selbst, oder die natürlichen Zeichen derselben in den engen Schranken des Raumes oder der Zeit tun würden.

Wenn aber das Kleinere das Größere nicht fassen kann, so kann das Kleinere in dem Größern enthalten sein. Ich will sagen; wenn nicht jeder Zug, den der malende Dichter braucht, eben die gute Wirkung auf der Fläche oder in dem Marmor haben kann: so möchte vielleicht jeder Zug, dessen sich der Artist bedienet, in dem Werke des Dichters von eben so guter Wirkung sein können? Ohnstreitig; denn was wir in einem Kunstwerke schön finden, daß findet nicht unser Auge, sondern unsere Einbildungskraft, durch das Auge, schön. Das nämliche Bild mag also in unserer Einbildungskraft durch willkürliche oder natürliche Zeichen wieder erregt werden, so muß auch jederzeit das nämliche Wohlgefallen, ob schon nicht in dem nämlichen Grade, wieder entstehen.

Dieses aber eingestanden, muß ich bekennen, daß mir die Voraussetzung, Virgil habe die Künstler nachgeahmet, weit unbegreiflicher wird, als mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem Dichter gefolgt sind, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen Rede und Antwort geben. Sie mußten abweichen, weil die nämlichen Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlichkeiten verursacht haben würden, die sich bei ihm nicht äußern. Aber warum mußte der Dichter abweichen? Wann er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches Gemälde geliefert haben?(42) Ich begreife wohl, wie seine vor sich selbst arbeitende Phantasie ihn auf diesen und jenen Zug bringen können; aber die Ursachen, warum seine Beurteilungskraft schöne Züge, die er vor Augen gehabt, in diese andere Züge verwandeln zu müssen glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten.

Mich dünket sogar, wenn Virgil die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt hätte, daß er sich schwerlich würde haben mäßigen können, die Verstrickung aller drei Körper in einen Knoten, gleichsam nur erraten zu lassen. Sie würde sein Auge zu lebhaft gerührt haben, er würde eine zu treffliche Wirkung von ihr empfunden haben, als daß sie nicht auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt: es war itzt die Zeit nicht, diese Verstrickung auszumalen. Nein; aber ein einziges Wort mehr, würde ihr in dem Schatten, worin sie der Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht gegeben haben. Was der Artist, ohne dieses Wort entdecken konnte, würde der Dichter, wenn er es bei dem Artisten gesehen hätte, nicht ohne dasselbe gelassen haben.

Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon nicht in Geschrei ausbrechen zu lassen. Wenn aber der Dichter die so rührende Verbindung von Schmerz und Schönheit in dem Kunstwerke vor sich gehabt hätte, was hätte ihn eben so unvermeidlich nötigen können, die Idee von männlichem Anstande und großmütiger Geduld, welche aus dieser Verbindung des Schmerzes und der Schönheit entspringt, so völlig unangedeutet zu lassen, und uns auf einmal mit dem gräßlichen Geschrei seines Laokoons zu schrecken? Richardson sagt: Virgils Laokoon muß schreien, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn, als Schrecken und Entsetzen bei den Trojanern, erregen will. Ich will es zugeben, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheinet, daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eignen Person macht, sondern sie den Aeneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt, deren Mitleid Aeneas nicht genug bestürmen konnte. Allein mich befremdet nicht das Geschrei, sondern der Mangel aller Gradation bis zu diesem Geschrei, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen, wann er es, wie wir voraussetzen, zu seinem Vorbilde gehabt hätte. Richardson füget hinzu:(43) die Geschichte des Laokoon solle bloß zu der pathetischen Beschreibung der endlichen Zerstörung leiten; der Dichter habe sie also nicht interessanter machen dürfen, um unsere Aufmerksamkeit, welche diese letzte schreckliche Nacht ganz fordere, durch das Unglück eines einzeln Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt die Sache aus einem malerischen Augenpunkte betrachten wollen, aus welchem sie gar nicht betrachtet werden kann. Das Unglück des Laokoon und die Zerstörung sind bei dem Dichter keine Gemälde neben einander; sie machen beide kein Ganzes aus, das unser Auge auf einmal übersehen könnte oder sollte; und nur in diesem Falle wäre es zu besorgen, daß unsere Blicke mehr auf den Laokoon, als auf die brennende Stadt fallen dürften. Beider Beschreibungen folgen auf einander, und ich sehe nicht, welchen Nachteil es der folgenden bringen könnte, wenn uns die vorhergehende auch noch so sehr gerührt hätte. Es sei denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend genug wäre.

Noch weniger Ursache würde der Dichter gehabt haben, die Windungen der Schlangen zu verändern. Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die Hände, und verstricken die Füße. So sehr dem Auge diese Verteilung gefällt, so lebhaft ist das Bild, welches in der Einbildung davon zurück bleibt. Es ist so deutlich und rein, daß es sich durch Worte nicht viel schwächer darstellen läßt, als durch natürliche Zeichen.

– – – – micat alter, et ipsum

Laocoonta petit, totumque infraque supraque

Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu

– – – – – – – – – – – – – –

At serpens lapsu crebro redeunte subintrat

Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.

Das sind Zeilen des Sadolet, die von dem Virgil ohne Zweifel noch malerischer gekommen wären, wenn ein sichtbares Vorbild seine Phantasie befeuert hätte, und die alsdann gewiß besser gewesen wären, als was er uns itzt dafür gibt:

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum

Terga dati, superant capite et cervicibus altis.

Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen, sie muß itzt nur die Schlangen, itzt nur den Laokoon sehen, sie muß sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beide zusammen machen. Sobald sie hierauf verfällt, fängt ihr das Virgilische Bild an zu mißfallen, und sie findet es höchst unmalerisch.

Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm geliehenen Vorbilde gemacht hätte, nicht unglücklich, so wären sie doch bloß willkürlich. Man ahmet nach, um ähnlich zu werden; kann man aber ähnlich werden, wenn man über die Not verändert? Vielmehr, wenn man dieses tut, ist der Vorsatz klar, daß man nicht ähnlich werden wollen, daß man also nicht nachgeahmet habe.

Nicht das Ganze, könnte man einwenden, aber wohl diesen und jenen Teil. Gut; doch welches sind denn diese einzeln Teile, die in der Beschreibung und in dem Kunstwerke so genau übereinstimmen, daß sie der Dichter aus diesem entlehnet zu haben scheinen könnte? Den Vater, die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl als dem Artisten, die Geschichte. Außer dem Historischen kommen sie in nichts überein, als darin, daß sie Kinder und Vater in einen einzigen Schlangenknoten verstricken. Allein der Einfall hierzu entsprang aus dem veränderten historischen Umstande, daß den Vater eben dasselbe Unglück betroffen habe, als die Kinder. Diese Veränderung aber, wie oben erwähnt worden, scheinet Virgil gemacht zu haben; denn die griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in Ansehung jener gemeinschaftlichen Verstrickung, auf einer oder der andern Seite Nachahmung sein soll, so ist sie wahrscheinlicher auf der Seite der Künstler, als des Dichters zu vermuten. In allem übrigen weicht einer von dem andern ab; nur mit dem Unterschiede, daß wenn es der Künstler ist, der die Abweichungen gemacht hat, der Vorsatz den Dichter nachzuahmen noch dabei bestehen kann, indem ihn die Bestimmung und die Schranken seiner Kunst dazu nötigten; ist es hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmet haben soll, so sind alle die berührten Abweichungen ein Beweis wider diese vermeintliche Nachahmung, und diejenigen, welche sie dem ohngeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß das Kunstwerk älter sei, als die poetische Beschreibung.

VII

Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnet von dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.

Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibet, so ahmet er dem Künstler, welcher dieses Schild gemacht hat, in der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das was auf dem Kunstwerke vorgestellet worden, ist der Gegenstand seiner Nachahmung; und wenn er auch schon das mit beschreibt, was man darauf vorgestellet sieht, so beschreibt er es doch nur als ein Teil des Schildes, und nicht als die Sache selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmet hätte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung sein. Denn er würde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorstellet, nachgeahmet, und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.

Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, bei der andern ist er Kopist. Jene ist ein Teil der allgemeinen Nachahmung, welche das Wesen seiner Kunst ausmacht, und er arbeitet als Genie, sein Vorwurf mag ein Werk anderer Künste, oder der Natur sein. Diese hingegen setzt ihn gänzlich von seiner Würde herab; anstatt der Dinge selbst ahmet er ihre Nachahmungen nach, und gibt uns kalte Erinnerungen von Zügen eines fremden Genies, für ursprüngliche Züge seines eigenen.

Wenn indes Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände, die sie mit einander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen Gesichtspunkte betrachten müssen: so kann es nicht fehlen, daß ihre Nachahmungen nicht in vielen Stücken übereinstimmen sollten, ohne daß zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung gewesen. Diese Übereinstimmungen können bei zeitverwandten Künstlern und Dichtern, über Dinge, welche nicht mehr vorhanden sind, zu wechselsweisen Erläuterungen führen; allein dergleichen Erläuterungen dadurch aufzustutzen suchen, daß man aus dem Zufalle Vorsatz macht, und besonders dem Poeten bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf diese Statue, oder auf jenes Gemälde andichtet, heißt ihm einen sehr zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn Gott will, sehr deutlich, aber auch trefflich frostig macht.

Dieses ist die Absicht und der Fehler eines berühmten englischen Werks. Spence schrieb seinen Polymetis(44) mit vieler klassischen Gelehrsamkeit, und in einer sehr vertrauten Bekanntschaft mit den übergebliebenen Werken der alten Kunst. Seinen Vorsatz, aus diesen die römischen Dichter zu erklären, und aus den Dichtern hinwiederum Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzuholen, hat er öfters glücklich erreicht. Aber dem ohngeachtet behaupte ich, daß sein Buch für jeden Leser von Geschmack ein ganz unerträgliches Buch sein muß.

Es ist natürlich, daß wenn Valerius Flaccus den geflügelten Blitz auf den römischen Schilden beschreibt,

(Nec primus radios, miles Romane, corusci

Fulminis et rutilas scutis diffuderis alas)

mir diese Beschreibung weit deutlicher wird, wenn ich die Abbildung eines solchen Schildes auf einem alten Denkmale erblicke.(45) Es kann sein, daß Mars in eben der schwebenden Stellung, in welcher ihn Addison über der Rhea auf einer Münze zu sehen glaubte,(46) auch von den alten Waffenschmieden auf den Helmen und Schilden vorgestellet wurde, und daß Juvenal einen solchen Helm oder Schild in Gedanken hatte, als er mit einem Worte darauf anspielte, welches bis auf den Addison ein Rätsel für alle Ausleger gewesen. Mich dünkt selbst, daß ich die Stelle des Ovids, wo der ermattete Cephalus den kühlenden Lüften ruft:

Aura – – – venias – –

Meque juves, intresque sinus, gratissima, nostros!

und seine Procris diese Aura für den Namen einer Nebenbuhlerin hält, daß ich, sage ich, diese Stelle natürlicher finde, wenn ich aus den Kunstwerken der Alten ersehe, daß sie wirklich die sanften Lüfte personifieret, und eine Art weiblicher Sylphen, unter dem Namen Aurae, verehret haben.(47) Ich gebe es zu, daß wenn Juvenal einen vornehmen Taugenichts mit einer Hermessäule vergleicht, man das ähnliche in dieser Vergleichung schwerlich finden dürfte, ohne eine solche Säule zu sehen, ohne zu wissen, daß es ein schlechter Pfeiler ist, der bloß das Haupt, höchstens mit dem Rumpfe, des Gottes trägt, und weil wir weder Hände noch Füße daran erblicken, den Begriff der Untätigkeit erwecket.(48) – Erläuterungen von dieser Art sind nicht zu verachten, wenn sie auch schon weder allezeit notwendig, noch allezeit hinlänglich sein sollten. Der Dichter hatte das Kunstwerk als ein für sich bestehendes Ding, und nicht als Nachahmung, vor Augen; oder Künstler und Dichter hatten einerlei angenommene Begriffe, dem zu Folge sich auch Übereinstimmung in ihren Vorstellungen zeigen mußte, aus welcher sich auf die Allgemeinheit jener Begriffe zurückschließen läßt.

Allein wenn Tibull die Gestalt des Apollo malet, wie er ihm im Traume erschienen: – Der schönste Jüngling, die Schläfe mit dem keuschen Lorbeer umwunden; syrische Gerüche duften aus dem güldenen Haare, das um den langen Nacken schwimmet; glänzendes Weiß und Purpurröte mischen sich auf dem ganzen Körper, wie auf der zarten Wange der Braut, die itzt ihrem Geliebten zugeführet wird: – warum müssen diese Züge von alten berühmten Gemälden erborgt sein? Echions nova nupta verecundia notabilis mag in Rom gewesen sein, mag tausend und tausendmal sein kopieret worden, war darum die bräutliche Scham selbst aus der Welt verschwunden? Seit sie der Maler gesehen hatte, war sie für keinen Dichter mehr zu sehen, als in der Nachahmung des Malers?(49) Oder wenn ein anderer Dichter den Vulkan ermüdet, und sein vor der Esse erhitztes Gesicht rot, brennend nennet: mußte er es erst aus dem Werke eines Malers lernen, daß Arbeit ermattet und Hitze rötet?(50) Oder wenn Lucrez den Wechsel der Jahreszeiten beschreibet, und sie, mit dem ganzen Gefolge ihrer Wirkungen in der Luft und auf der Erde, in ihrer natürlichen Ordnung vorüber führet: war Lucrez ein Ephemeron, hatte er kein ganzes Jahr durchlebet, um alle die Veränderungen selbst erfahren zu haben, daß er sie nach einer Prozession schildern mußte, in welcher ihre Statuen herumgetragen wurden? Mußte er erst von diesen Statuen den alten poetischen Kunstgriff lernen, dergleichen Abstracta zu wirklichen Wesen zu machen?(51) Oder Virgils pontem indignatus Araxes, dieses vortreffliche poetische Bild eines über seine Ufer sich ergießenden Flußes, wie er die über ihn geschlagene Brücke zerreißt, verliert es nicht seine ganze Schönheit, wenn der Dichter auf ein Kunstwerk damit angespielet hat, in welchem dieser Flußgott als wirklich eine Brücke zerbrechend vorgestellet wird?(52) – Was sollen wir mit dergleichen Erläuterungen, die aus der klärsten Stelle den Dichter verdrängen, um den Einfall eines Künstlers durchschimmern zu lassen?

Ich betaure, daß ein so nützliches Buch, als »Polymetis« sonst sein könnte, durch diese geschmacklose Grille, den alten Dichtern statt eigentümlicher Phantasie, Bekanntschaft mit fremder unter zu schieben, so ekel, und den klassischen Schriftstellern weit nachteiliger geworden ist, als ihnen die wässrigen Auslegungen der schalsten Wortforscher nimmermehr sein können. Noch mehr betaure ich, daß Spencen selbst Addison hierin vorgegangen, der aus löblicher Begierde, die Kenntnis der alten Kunstwerke zu einem Auslegungsmittel zu erheben, die Fälle eben so wenig unterschieden hat, in welchen die Nachahmung des Künstlers dem Dichter anständig, in welchen sie ihm verkleinerlich ist.(53)

VIII

Von der Ähnlichkeit, welche die Poesie und Malerei mit einander haben, macht sich Spence die allerseltsamsten Begriffe. Er glaubet daß beide Künste bei den Alten so genau verbunden gewesen, daß sie beständig Hand in Hand gegangen, und der Dichter nie den Maler, der Maler nie den Dichter aus den Augen verloren habe. Daß die Poesie die weitere Kunst ist; daß ihr Schönheiten zu Gebote stehen, welche die Malerei nicht zu erreichen vermag; daß sie öfters Ursachen haben kann, die unmalerischen Schönheiten den malerischen vor zu ziehen: daran scheinet er gar nicht gedacht zu haben, und ist daher bei dem geringsten Unterschiede, den er unter den alten Dichtern und Artisten bemerkt, in einer Verlegenheit, die ihn auf die wunderlichsten Ausflüchte von der Welt bringt.

Die alten Dichter geben dem Bacchus meistenteils Hörner. Es ist also doch wunderbar, sagt Spence, daß man diese Hörner an seinen Statuen so selten erblickt.(54) Er fällt auf diese, er fällt auf eine andere Ursache; auf die Unwissenheit der Antiquare, auf die Kleinheit der Hörner selbst, die sich unter den Trauben und Epheublättern, dem beständigen Kopfputze des Gottes, möchten verkrochen haben. Er windet sich um die wahre Ursache herum, ohne sie zu argwohnen. Die Hörner des Bacchus waren keine natürlichen Hörner, wie sie es an den Faunen und Satyren waren. Sie waren ein Stirnschmuck, den er aufsetzen und ablegen konnte.

– Tibi, cum sine cornibus adstas,

Virgineum caput est; – –

heißt es in der feierlichen Anrufung des Bacchus beim Ovid.(55) Er konnte sich also auch ohne Hörner zeigen; und zeigte sich ohne Hörner, wenn er in seiner jungfräulichen Schönheit erscheinen wollte. In dieser wollten ihn nun auch die Künstler darstellen, und mußten daher alle Zusätze von übler Wirkung an ihm vermeiden. Ein solcher Zusatz wären die Hörner gewesen, die an dem Diadem befestiget waren, wie man an einem Kopfe in dem Königl. Cabinet zu Berlin sehen kann.(56) Ein solcher Zusatz war das Diadem selbst, welches die schöne Stirne verdeckte, und daher an den Statuen des Bacchus eben so selten vorkömmt, als die Hörner, ob es ihm schon, als seinem Erfinder, von den Dichtern eben so oft beigeleget wird. Dem Dichter gaben die Hörner und das Diadem feine Anspielungen auf die Taten und den Charakter des Gottes: dem Künstler hingegen wurden sie Hinderungen größere Schönheiten zu zeigen; und wenn Bacchus, wie ich glaube, eben darum den Beinamen Biformis, Dimorphos, hatte, weil er sich sowohl schön als schrecklich zeigen konnte, so war es wohl natürlich, daß der Künstler diejenige von seiner Gestalt am liebsten wählte, die der Bestimmung seiner Kunst am meisten entsprach.

Minerva und Juno schleidern bei den römischen Dichtern öfters den Blitz. Aber warum nicht auch in ihren Abbildungen? fragt Spence.(57) Er antwortet: es war ein besonderes Vorrecht dieser zwei Göttinnen, wovon man den Grund vielleicht erst in den Samothracischen Geheimnissen erfuhr; weil aber die Artisten bei den alten Römern als gemeine Leute betrachtet, und daher zu diesen Geheimnissen selten zugelassen wurden, so wußten sie ohne Zweifel nichts davon, und was sie nicht wußten, konnten sie nicht vorstellen. Ich möchte Spencen dagegen fragen: arbeiteten diese gemeinen Leute vor ihren Kopf, oder auf Befehl Vornehmerer, die von den Geheimnissen unterrichtet sein konnten? Stunden die Artisten auch bei den Griechen in dieser Verachtung? Waren die römischen Artisten nicht mehrenteils geborne Griechen? Und so weiter.

Statius und Valerius Flaccus schildern eine erzürnte Venus, und mit so schrecklichen Zügen, daß man sie in diesem Augenblicke eher für eine Furie, als für die Göttin der Liebe halten sollte. Spence siehet sich in den alten Kunstwerken vergebens nach einer solchen Venus um. Was schließt er daraus? Daß dem Dichter mehr erlaubt ist als dem Bildhauer und Maler? Das hätte er daraus schließen sollen; aber er hat es einmal für allemal als einen Grundsatz angenommen, daß in einer poetischen Beschreibung nichts gut sei, was unschicklich sein würde, wenn man es in einem Gemälde, oder an einer Statue vorstellte.(58) Folglich müssen die Dichter gefehlt haben. »Statius und Valerius sind aus einer Zeit, da die römische Poesie schon in ihrem Verfalle war. Sie zeigen auch hierin ihren verderbten Geschmack, und ihre schlechte Beurteilungskraft. Bei den Dichtern aus einer bessern Zeit wird man dergleichen Verstoßungen wider den malerischen Ausdruck nicht finden.«(59)

So etwas zu sagen, braucht es wahrlich wenig Unterscheidungskraft. Ich will indes mich weder des Statius noch des Valerius in diesem Fall annehmen, sondern nur eine allgemeine Anmerkung machen. Die Götter und geistigen Wesen, wie sie der Künstler vorstellet, sind nicht völlig ebendieselben, welche der Dichter braucht. Bei dem Künstler sind sie personifierte Abstracta, die beständig die nämliche Charakterisierung behalten müssen, wenn sie erkenntlich sein sollen. Bei dem Dichter hingegen sind sie wirkliche handelnde Wesen, die über ihren allgemeinen Charakter noch andere Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können. Venus ist dem Bildhauer nichts als die Liebe; er muß ihr also alle die sittsame verschämte Schönheit, alle die holden Reize geben, die uns an geliebten Gegenständen entzücken, und die wir daher mit in den abgesonderten Begriff der Liebe bringen. Die geringste Abweichung von diesem Ideal läßt uns sein Bild verkennen. Schönheit, aber mit mehr Majestät als Scham, ist schon keine Venus, sondern eine Juno. Reize, aber mehr gebieterische, männliche, als holde Reize, geben eine Minerva statt einer Venus. Vollends eine zürnende Venus, eine Venus von Rache und Wut getrieben, ist dem Bildhauer ein wahrer Widerspruch; denn die Liebe, als Liebe, zürnet nie, rächet sich nie. Bei dem Dichter hingegen ist Venus zwar auch die Liebe, aber die Göttin der Liebe, die außer diesem Charakter, ihre eigne Individualität hat, und folglich der Triebe des Abscheues eben so fähig sein muß, als der Zuneigung. Was Wunder also, daß sie bei ihm in Zorn und Wut entbrennet, besonders wenn es die beleidigte Liebe selbst ist, die sie darein versetzet?

Es ist zwar wahr, daß auch der Künstler in zusammengesetzten Werken, die Venus, oder jede andere Gottheit, außer ihrem Charakter, als ein wirklich handelndes Wesen, so gut wie der Dichter, einführen kann. Aber alsdenn müssen wenigstens ihre Handlungen ihrem Charakter nicht widersprechen, wenn sie schon keine unmittelbare Folgen desselben sind. Venus übergibt ihrem Sohne die göttlichen Waffen: diese Handlung kann der Künstler, sowohl als der Dichter, vorstellen. Hier hindert ihn nichts, der Venus alle die Anmut und Schönheit zu geben, die ihr als Göttin der Liebe zukommen; vielmehr wird sie eben dadurch in seinem Werke um so viel kenntlicher. Allein wenn sich Venus an ihren Verächtern, den Männern zu Lemnos rächen will, in vergrößerter wilder Gestalt, mit fleckigten Wangen, in verwirrtem Haare, die Pechfackel ergreift, ein schwarzes Gewand um sich wirft, und auf einer finstern Wolke stürmisch herabfährt: so ist das kein Augenblick für den Künstler, weil er sie durch nichts in diesem Augenblicke kenntlich machen kann. Es ist nur ein Augenblick für den Dichter, weil dieser das Vorrecht hat, einen andern, in welchem die Göttin ganz Venus ist, so nahe, so genau damit zu verbinden, daß wir die Venus auch in der Furie nicht aus den Augen verlieren. Dieses tut Flaccus:

– – Neque enim alma videri

Iam tumet; aut tereti crinem subnectitur auro,

Sidereos diffusa sinus. Eadem effera et ingens

Et maculis suffecta genas; pinumque sonantem

Virginibus Stygiis, nigramque simillima pallam.(60)

Eben dies tut Statius:

Ila Paphon veterem centumque altaria linquens,

Nec vultu nec crine prior, solvisse jugalem

Ceston, et Idalias procul ablegasse volucres

Fertur. Erant certe. media qui noctis in umbra

Divam, alios ignes majoraque tela gerentem.

Tartarias inter thalamis volitasse sorores

Vulgarent: utque implicitis arcana domorum

Anguibus, et saeva formidi ne cuncta replerit

Limina. –(61)

Oder man kann sagen: der Dichter allein besitzet das Kunststück, mit negativen Zügen zu schildern, und durch Vermischung dieser negativen mit positiven Zügen, zwei Erscheinungen in eine zu bringen. Nicht mehr die holde Venus; nicht mehr das Haar mit goldenen Spangen geheftet; von keinem azurnen Gewande umflattert; ohne ihren Gürtel; mit andern Flammen, mit größern Pfeilen bewaffnet; in Gesellschaft ihr ähnlicher Furien. Aber weil der Artist dieses Kunststückes entbehren muß, soll sich seiner darum auch der Dichter enthalten? Wenn die Malerei die Schwester der Dichtkunst sein will: so sei sie wenigstens keine eifersüchtige Schwester; und die jüngere untersage der älteren nicht alle den Putz, der sie selbst nicht kleidet.

IX

Wenn man in einzeln Fällen den Maler und Dichter mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen äußerlichen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.

Ein solcher äußerlicher Zwang war dem alten Künstler öfters die Religion. Sein Werk zur Verehrung und Anbetung bestimmt, konnte nicht allezeit so vollkommen sein, als wenn er einzig das Vergnügen des Betrachters dabei zur Absicht gehabt hätte. Der Aberglaube überladete die Götter mit Sinnbildern, und die schönsten von ihnen wurden nicht überall als die schönsten verehret.

Bacchus stand in seinem Tempel zu Lemnos, aus welchem die fromme Hypsipyle ihren Vater unter der Gestalt des Gottes rettete,(62) mit Hörnern, und so erschien er ohne Zweifel in allen seinen Tempeln, denn die Hörner waren ein Sinnbild, welches sein Wesen mit bezeichnete. Nur der freie Künstler, der seinen Bacchus für keinen Tempel arbeitete, ließ dieses Sinnbild weg; und wenn wir unter den noch übrigen Statuen von ihm keine mit Hörnern finden,(63) so ist dieses vielleicht ein Beweis, daß es keine von den geheiligten sind, in welchen er wirklich verehret worden. Es ist ohnedem höchst wahrscheinlich, daß auf diese letzteren die Wut der frommen Zerstörer in den ersten Jahrhunderten des Christentums vornehmlich gefallen ist, die nur hier und da ein Kunstwerk schonte, welches durch keine Anbetung verunreiniget war.

Da indes unter den aufgegrabenen Antiken sich Stücke sowohl von der einen als von der andern Art finden, so wünschte ich, daß man den Namen der Kunstwerke nur denjenigen beilegen möchte, in welchen sich der Künstler wirklich als Künstler zeigen können, bei welchen die Schönheit seine erste und letzte Absicht gewesen. Alles andere, woran sich zu merkliche Spuren gottesdienstlicher Verabredungen zeigen, verdienet diesen Namen nicht, weil die Kunst hier nicht um ihrer selbst willen gearbeitet, sondern ein bloßes Hülfsmittel der Religion war, die bei den sinnlichen Vorstellungen, die sie ihr aufgab, mehr auf das Bedeutende als auf das Schöne sahe; ob ich schon dadurch nicht sagen will, daß sie nicht auch öfters alles Bedeutende in das Schöne gesetzt, oder aus Nachsicht für die Kunst und den feinern Geschmack des Jahrhunderts, von jenem so viel nachgelassen habe, daß dieses allein zu herrschen scheinen können.

Macht man keinen solchen Unterschied, so werden der Kenner und der Antiquar beständig mit einander im Streite liegen, weil sie einander nicht verstehen. Wenn jener, nach seiner Einsicht in die Bestimmung der Kunst, behauptet, daß dieses oder jenes der alte Künstler nie gemacht habe, nämlich als Künstler nicht, freiwillig nicht: so wird dieser es dahin ausdehnen, daß es auch weder die Religion, noch sonst eine außer dem Gebiete der Kunst liegende Ursache, von dem Künstler habe machen lassen, von dem Künstler nämlich als Handarbeiter. Er wird also mit der ersten mit der besten Figur den Kenner widerlegen zu können glauben, die dieser ohne Bedenken, aber zu großem Ärgernisse der gelehrten Welt, wieder zu dem Schutte verdammet, woraus sie gezogen worden.(64)

Gegenteils kann man sich aber auch den Einfluß der Religion auf die Kunst zu groß vorstellen. Spence gibt hiervon ein sonderbares Beispiel. Er fand beim Ovid, daß Vesta in ihrem Tempel unter keinem persönlichen Bilde verehret worden; und dieses dünkte ihm genug, daraus zu schließen, daß es überhaupt keine Bildsäulen von dieser Göttin gegeben habe, und daß alles, was man bisher dafür gehalten, nicht die Vesta, sondern eine Vestalin, vorstelle.(65) Eine seltsame Folge! Verlor der Künstler darum sein Recht, ein Wesen, dem die Dichter eine bestimmte Persönlichkeit geben, das sie zur Tochter des Saturnus und der Ops machen, das sie in Gefahr kommen lassen, unter die Mißhandlungen des Priapus zu fallen, und was sie sonst von ihr erzählen, verlor er, sage ich, darum sein Recht, dieses Wesen auch nach seiner Art zu personifieren, weil es in einem Tempel nur unter dem Sinnbilde des Feuers verehret ward? Denn Spence begehet dabei noch diesen Fehler, daß er das, was Ovid nur von einem gewissen Tempel der Vesta, nämlich von dem zu Rom sagt,(66) auf alle Tempel dieser Göttin ohne Unterschied, und auf ihre Verehrung überhaupt, ausdehnet. Wie sie in diesem Tempel zu Rom verehret ward, so ward sie nicht überall verehret, so war sie selbst nicht in Italien verehret worden, ehe ihn Numa erbaute. Numa wollte keine Gottheit in menschlicher oder tierischer Gestalt vorgestellet wissen; und darin bestand ohne Zweifel die Verbesserung, die er in dem Dienste der Vesta machte, daß er alle persönliche Vorstellung von ihr daraus verbannte. Ovid selbst lehret uns, daß es vor den Zeiten des Numa, Bildsäulen der Vesta in ihrem Tempel gegeben habe, die, als ihre Priesterin Sylvia Mutter ward, vor Scham die jungfräulichen Hände vor die Augen hoben.(67) Daß sogar in den Tempeln, welche die Göttin außer der Stadt in den römischen Provinzen hatte, ihre Verehrung nicht völlig von der Art gewesen, als sie Numa verordnet, scheinen verschiedene alte Inschriften zu beweisen, in welchen eines Pontificis Vestae gedacht wird.(68) Auch zu Korinth war ein Tempel der Vesta ohne alle Bildsäule, mit einem bloßen Altare, worauf der Göttin geopfert ward.(69) Aber hatten die Griechen darum gar keine Statuen der Vesta? Zu Athen war eine im Prytaneo, neben der Statue des Friedens.(70) Die Jasseer rühmten von einer, die bei ihnen unter freiem Himmel stand, daß weder Schnee noch Regen jemals auf sie falle.(71) Plinius gedenkt einer sitzenden, von der Hand des Skopas, die sich zu seiner Zeit in den Servilianischen Gärten zu Rom befand.(72) Zugegeben, daß es uns itzt schwer wird, eine bloße Vestalin von einer Vesta selbst zu unterscheiden, beweiset dieses, daß sie auch die Alten nicht unterscheiden können, oder wohl gar nicht unterscheiden wollen? Gewisse Kennzeichen sprechen offenbar mehr für die eine, als für die andere. Das Szepter, die Fackel, das Palladium, lassen sich nur in der Hand der Göttin vermuten. Das Tympanum, welches ihr Codinus beileget, kömmt ihr vielleicht nur als der Erde zu; oder Codinus wußte selbst nicht recht, was er sahe.(73)

X

Ich merke noch eine Befremdung des Spence an, welche deutlich zeiget, wie wenig er über die Grenzen der Poesie und Malerei muß nachgedacht haben.

»Was die Musen überhaupt betrifft, sagt er, so ist es doch sonderbar, daß die Dichter in Beschreibung derselben so sparsam sind, weit sparsamer, als man es bei Göttinnen, denen sie so große Verbindlichkeit haben, erwarten sollte.«(74)

Was heißt das anders, als sich wundern, daß wenn die Dichter von ihnen reden, sie es nicht in der stummen Sprache der Maler tun? Urania ist den Dichtern die Muse der Sternkunst; aus ihrem Namen, aus ihren Verrichtungen erkennen wir ihr Amt. Der Künstler, um es kenntlich zu machen, muß sie mit einem Stabe auf eine Himmelskugel weisen lassen; dieser Stab, diese Himmelskugel, diese ihre Stellung sind seine Buchstaben, aus welchen er uns den Namen Urania zusammensetzen läßt. Aber wenn der Dichter sagen will: Urania hatte seinen Tod längst aus den Sternen vorhergesehn;

Ipsa diu positis lethum praedixerat astris

Uranie –(75)

warum soll er, in Rücksicht auf den Maler, darzusetzen: Urania, den Radius in der Hand, die Himmelskugel vor sich? Wäre es nicht, als ob ein Mensch, der laut reden kann und darf, sich noch zugleich der Zeichen bedienen sollte, welche die Stummen im Serraglio des Türken, aus Mangel der Stimme, unter sich erfunden haben?

Eben dieselbe Befremdung äußert Spence nochmals bei den moralischen Wesen, oder denjenigen Gottheiten, welche die Alten den Tugenden und der Führung des menschlichen Lebens vorsetzten.(76) »Es verdient angemerkt zu werden, sagt er, daß die römischen Dichter von den besten dieser moralischen Wesen weit weniger sagen, als man erwarten sollte. Die Artisten sind in diesem Stücke viel reicher, und wer wissen will, was jedes derselben für einen Aufzug gemacht, darf nur die Münzen der römischen Kaiser zu Rate ziehen. –(77) Die Dichter sprechen von diesen Wesen zwar öfters, als von Personen; überhaupt aber sagen sie von ihren Attributen, ihrer Kleidung und übrigem Ansehen sehr wenig.« –

Wenn der Dichter Abstracta personifieret, so sind sie durch den Namen, und durch das, was er sie tun läßt, genugsam charakterisieret.

Dem Künstler fehlen diese Mittel. Er muß also seinen personifierten Abstractis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinnbilder weil sie etwas anders sind, und etwas anders bedeuten, machen sie zu allegorischen Figuren.

Eine Frauensperson mit einem Zaum in der Hand; eine andere an eine Säule gelehnet, sind in der Kunst allegorische Wesen. Allein die Mäßigung, die Standhaftigkeit bei dem Dichter, sind keine allegorische Wesen, sondern bloß personifierte Abstracta.

Die Sinnbilder dieser Wesen bei dem Künstler hat die Not erfunden. Denn er kann sich durch nichts anders verständlich machen, was diese oder jene Figur bedeuten soll. Wozu aber den Künstler die Not treibet, warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von dieser Not nichts weiß?

Was Spencen so sehr befremdet, verdienet den Dichtern als eine Regel vorgeschrieben zu werden. Sie müssen die Bedürfnisse der Malerei nicht zu ihrem Reichtume machen. Sie müssen die Mittel, welche die Kunst erfunden hat, um der Poesie nachzukommen, nicht als Vollkommenheiten betrachten, auf die sie neidisch zu sein Ursache hätten. Wenn der Künstler eine Figur mit Sinnbildern auszieret, so erhebt er eine bloße Figur zu einem höhern Wesen. Bedienet sich aber der Dichter dieser malerischen Ausstaffierungen, so macht er aus einem höhern Wesen eine Puppe.

So wie diese Regel durch die Befolgung der Alten bewähret ist, so ist die geflissentliche Übertretung derselben ein Lieblingsfehler der neuern Dichter. Alle ihre Wesen der Einbildung gehen in Maske, und die sich auf diese Maskeraden am besten verstehen, verstehen sich meistenteils auf das Hauptwerk am wenigsten: nämlich, ihre Wesen handeln zu lassen, und sie durch die Handlungen derselben zu charakterisieren.

Doch gibt es unter den Attributen, mit welchen die Künstler ihre Abstracta bezeichnen, eine Art, die des poetischen Gebrauchs fähiger und würdiger ist. Ich meine diejenigen, welche eigentlich nichts allegorisches haben, sondern als Werkzeuge zu betrachten sind, deren sich die Wesen, welchen sie beigeleget werden, falls sie als wirkliche Personen handeln sollten, bedienen würden oder könnten. Der Zaum in der Hand der Mäßigung, die Säule, an welche sich die Standhaftigkeit lehnet, sind lediglich allegorisch, für den Dichter also von keinem Nutzen. Die Waage in der Hand der Gerechtigkeit, ist es schon weniger, weil der rechte Gebrauch der Waage wirklich ein Stücke der Gerechtigkeit ist. Die Leier oder Flöte aber in der Hand einer Muse, die Lanze in der Hand des Mars, Hammer und Zange in den Händen des Vulcans, sind ganz und gar keine Sinnbilder, sind bloße Instrumente, ohne welche diese Wesen die Wirkungen, die wir ihnen zuschreiben, nicht hervorbringen können. Von dieser Art sind die Attribute, welche die alten Dichter in ihre Beschreibungen etwa noch einflechten, und die ich deswegen zum Unterschiede jener allegorischen, die poetischen nennen möchte. Diese bedeuten die Sache selbst, jene nur etwas ähnliches.(78)

XI

Auch der Graf Caylus scheinet zu verlangen, daß der Dichter seine Wesen der Einbildung mit allegorischen Attributen ausschmücken solle.(79) Der Graf verstand sich besser auf die Malerei, als auf die Poesie.

Doch ich habe in seinem Werke, in welchem er dieses Verlangen äußert, Anlaß zu erheblichern Betrachtungen gefunden, wovon ich das Wesentlichste, zu besserer Erwägung, hier anmerke.

Der Künstler, ist des Grafen Absicht, soll sich mit dem größten malerischen Dichter, mit dem Homer, mit dieser zweiten Natur, näher bekannt machen. Er zeigt ihm, welchen reichen noch nie genutzten Stoff zu den trefflichsten Schildereien die von dem Griechen behandelte Geschichte darbiete, und wie so viel vollkommner ihm die Ausführung gelingen müsse, je genauer er sich an die kleinsten von dem Dichter bemerkten Umstände halten könne.

In diesem Vorschlage vermischt sich also die oben getrennte doppelte Nachahmung. Der Maler soll nicht allein das nachahmen, was der Dichter nachgeahmet hat, sondern er soll es auch mit den nämlichen Zügen nachahmen; er soll den Dichter nicht bloß als Erzähler, er soll ihn als Dichter nutzen.

Diese zweite Art der Nachahmung aber, die für den Dichter so verkleinerlich ist, warum ist sie es nicht auch für den Künstler? Wenn vor dem Homer eine solche Folge von Gemälden, als der Graf Caylus aus ihm angibt, vorhanden gewesen wäre, und wir wüßten, daß der Dichter aus diesen Gemälden sein Werk genommen hätte: würde er nicht von unserer Bewunderung unendlich verlieren? Wie kömmt es, daß wir dem Künstler nichts von unserer Hochachtung entziehen, wenn er schon weiter nichts tut, als daß er die Worte des Dichters mit Figuren und Farben ausdrücket?

Die Ursach scheinet diese zu sein. Bei dem Artisten dünket uns die Ausführung schwerer, als die Erfindung; bei dem Dichter hingegen ist es umgekehrt, und seine Ausführung dünket uns gegen die Erfindung das Leichtere. Hätte Virgil die Verstrickung des Laokoon und seiner Kinder von der Gruppe genommen, so würde ihm das Verdienst, welches wir bei diesem seinem Bilde für das schwerere und größere halten, fehlen, und nur das geringere übrig bleiben. Denn diese Verstrickung in der Einbildungskraft erst schaffen, ist weit wichtiger, als sie in Worten ausdrücken. Hätte hingegen der Künstler diese Verstrickung von dem Dichter entlehnet, so würde er in unsern Gedanken doch noch immer Verdienst genug behalten, ob ihm schon das Verdienst der Erfindung abgehet. Denn der Ausdruck in Marmor ist unendlich schwerer als der Ausdruck in Worten; und wenn wir Erfindung und Darstellung gegen einander abwägen, so sind wir jederzeit geneigt, dem Meister an der einen so viel wiederum zu erlassen; als wir an der andern zu viel erhalten zu haben meinen.

Es gibt sogar Fälle, wo es für den Künstler ein größeres Verdienst ist, die Natur durch das Medium der Nachahmung des Dichters nachgeahmet zu haben, als ohne dasselbe. Der Maler, der nach der Beschreibung eines Thomsons eine schöne Landschaft darstellet, hat mehr getan, als der sie gerade von der Natur kopieret. Dieser siehet sein Urbild vor sich; jener muß erst seine Einbildungskraft so anstrengen, bis er es vor sich zu sehen glaubet. Dieser macht aus lebhaften sinnlichen Eindrücken etwas Schönes; jener aus schwanken und schwachen Vorstellungen willkürlicher Zeichen.

So natürlich aber die Bereitwilligkeit ist, dem Künstler das Verdienst der Erfindung zu erlassen, eben so natürlich hat daraus die Lauigkeit gegen dasselbe bei ihm entspringen müssen. Denn da er sahe, daß die Erfindung seine glänzende Seite nie werden könne, daß sein größtes Lob von der Ausführung abhange, so ward es ihm gleich viel, ob jene alt oder neu, einmal oder unzähligmal gebraucht sei, ob sie ihm oder einem anderen zugehöre. Er blieb in dem engen Bezirke weniger, ihm und dem Publico geläufig gewordener Vorwürfe, und ließ seine ganze Erfindsamkeit auf die bloße Veränderung in dem Bekannten gehen, auf neue Zusammensetzungen alter Gegenstände. Das ist auch wirklich die Idee, welche die Lehrbücher der Malerei mit dem Worte Erfindung verbinden. Denn ob sie dieselbe schon sogar in malerische und dichterische einteilen, so gehet doch auch die dichterische nicht auf die Hervorbringung des Vorwurfs selbst, sondern lediglich auf die Anordnung oder den Ausdruck.(80) Es ist Erfindung, aber nicht Erfindung des Ganzen, sondern einzelner Teile, und ihrer Lage unter einander. Es ist Erfindung, aber von jener geringern Gattung, die Horaz seinem tragischen Dichter anriet:

– – – Tuque

Rectius Iliacum carmen deducis in actus,

Quam si proferres ignota indictaque primus.(81)

Anriet, sage ich, aber nicht befahl. Anriet, als für ihn leichter, bequemer, zuträglicher; aber nicht befahl, als besser und edler an sich selbst.

In der Tat hat der Dichter einen großen Schritt voraus, welcher eine bekannte Geschichte, bekannte Charaktere behandelt. Hundert frostige Kleinigkeiten, die sonst zum Verständnisse des Ganzen unentbehrlich sein würden, kann er übergehen; und je geschwinder er seinen Zuhörern verständlich wird, desto geschwinder kann er sie intressieren. Diesen Vorteil hat auch der Maler, wenn uns sein Vorwurf nicht fremd ist, wenn wir mit dem ersten Blicke die Absicht und Meinung seiner ganzen Komposition erkennen, wenn wir auf eins, seine Personen nicht bloß sprechen sehen, sondern auch hören, was sie sprechen. Von dem ersten Blicke hangt die größte Wirkung ab, und wenn uns dieser zu mühsamen Nachsinnen und Raten nötiget, so erkaltet unsere Begierde gerühret zu werden; um uns an dem unverständlichen Künstler zu rächen, verhärten wir uns gegen den Ausdruck, und weh ihm, wann er die Schönheit dem Ausdrucke aufgeopfert hat! Wir finden sodann gar nichts, was uns reizen könnte, vor seinem Werke zu verweilen; was wir sehen gefällt uns nicht, und was wir dabei denken sollen, wissen wir nicht.

Nun nehme man beides zusammen; einmal, daß die Erfindung und Neuheit des Vorwurfs das vornehmste bei weitem nicht ist, was wir von dem Maler verlangen; zweitens, daß ein bekannter Vorwurf die Wirkung seiner Kunst befödert und erleichtert: und ich meine, man wird die Ursache, warum er sich so selten zu neuen Vorwürfen entschließt, nicht mit dem Grafen Caylus, in seiner Bequemlichkeit, in seiner Unwissenheit, in der Schwierigkeit des mechanischen Teiles der Kunst, welche allen seinen Fleiß, alle seine Zeit erfordert, suchen dürfen; sondern man wird sie tiefer gegründet finden, und vielleicht gar, was Anfangs Einschränkung der Kunst, Verkümmerung unsers Vergnügens, zu sein scheinet, als eine weise und uns selbst nützliche Enthaltsamkeit an dem Artisten zu loben geneigt sein. Ich fürchte auch nicht, daß mich die Erfahrung widerlegen werde. Die Maler werden dem Grafen für seinen guten Willen danken, aber ihn schwerlich so allgemein nutzen, als er es erwartet. Geschähe es jedoch: so würde über hundert Jahr ein neuer Caylus nötig sein, der die alten Vorwürfe wieder ins Gedächtnis brächte, und den Künstler in das Feld zurückführte, wo andere vor ihm so unsterbliche Lorbeeren gebrochen haben. Oder verlangt man, daß das Publikum so gelehrt sein soll, als der Kenner aus seinen Büchern ist? Daß ihm alle Szenen der Geschichte und der Fabel, die ein schönes Gemälde geben können, bekannt und geläufig sein sollen? Ich gebe es zu, daß die Künstler besser getan hätten, wenn sie seit Raphaels Zeiten, anstatt des Ovids, den Homer zu ihrem Handbuche gemacht hätten. Aber da es nun einmal nicht geschehen ist, so lasse man das Publikum in seinem Gleise, und mache ihm sein Vergnügen nicht saurer, als ein Vergnügen zu stehen kommen muß, um das zu sein, was es sein soll.

Protogenes hatte die Mutter des Aristoteles gemalt. Ich weiß nicht wie viel ihm der Philosoph dafür bezahlte. Aber entweder anstatt der Bezahlung, oder noch über die Bezahlung, erteilte er ihm einen Rat, der mehr als die Bezahlung wert war. Denn ich kann mir nicht einbilden, daß sein Rat eine bloße Schmeichelei gewesen sei. Sondern vornehmlich weil er das Bedürfnis der Kunst erwog, allen verständlich zu sein, riet er ihm, die Taten des Alexanders zu malen; Taten, von welchen damals alle Welt sprach, und von welchen er voraus sehen konnte, daß sie auch der Nachwelt unvergeßlich sein würden. Doch Protogenes war nicht gesetzt genug, diesem Rate zu folgen; »impetus animi«, sagt Plinius, »et quaedam artis libido«(82), ein gewisser Übermut der Kunst, eine gewisse Lüsternheit nach dem Sonderbaren und Unbekannten, trieben ihn zu ganz andern Vorwürfen. Er malte lieber die Geschichte eines Ialysus,(83) einer Cydippe und dergleichen, von welchen man itzt auch nicht einmal mehr erraten kann, was sie vorgestellet haben.

XII

Homer bearbeitet eine doppelte Gattung von Wesen und Handlungen; sichtbare und unsichtbare. Diesen Unterschied kann die Malerei nicht angeben: bei ihr ist alles sichtbar; und auf einerlei Art sichtbar.

Wenn also der Graf Caylus die Gemälde der unsichtbaren Handlungen in unzertrennter Folge mit den sichtbaren fortlaufen läßt; wenn er in den Gemälden der vermischten Handlungen, an welchen sichtbare und unsichtbare Wesen Teil nehmen, nicht angibt, und vielleicht nicht angeben kann, wie die letztern, welche nur wir, die wir das Gemälde betrachten, darin entdecken sollten, so anzubringen sind, daß die Personen des Gemäldes sie nicht sehen, wenigstens sie nicht notwendig sehen zu müssen scheinen können: so muß notwendig sowohl die ganze Folge, als auch manches einzelne Stück dadurch äußerst verwirrt, unbegreiflich und widersprechend werden.

Doch diesem Fehler wäre, mit dem Buche in der Hand, noch endlich abzuhelfen. Das schlimmste dabei ist nur dieses, daß durch die malerische Aufhebung des Unterschiedes der sichtbaren und unsichtbaren Wesen, zugleich alle die charakteristischen Züge verloren gehen, durch welche sich diese höhere Gattung über jene geringere erhebet.

Z. E. Wenn endlich die über das Schicksal der Trojaner geteilten Götter unter sich selbst handgemein werden: so gehet bei dem Dichter(84) dieser ganze Kampf unsichtbar vor, und diese Unsichtbarkeit erlaubet der Einbildungskraft die Szene zu erweitern, und läßt ihr freies Spiel, sich die Personen der Götter und ihre Handlungen so groß, und über das gemeine Menschliche so weit erhaben zu denken, als sie nur immer will. Die Malerei aber muß eine sichtbare Szene annehmen, deren verschiedene notwendige Teile der Maßstab für die darauf handelnden Personen werden; ein Maßstab, den das Auge gleich darneben hat, und dessen Unproportion gegen die höhern Wesen, diese höhern Wesen, die bei dem Dichter groß waren, auf der Fläche des Künstlers ungeheuer macht.

Minerva, auf welche Mars in diesem Kampfe den ersten Angriff waget, tritt zurück, und fasset mit mächtiger Hand von dem Boden einen schwarzen, rauhen, großen Stein auf, den vor alten Zeiten vereinigte Männerhände zum Grenzsteine hingewälzet hatten:

Η δ’ αναχασσαμενη λιϑον έιλετο χειρι παχειη,

Καιμενον εν πεδιω, μελανα, τρηχυν τε, μεγαν τε,

Τον ρη’ ανδρες προτεροι ϑεσαν εμμεναι ουρον αρουρης.

Um die Größe dieses Steins gehörig zu schätzen, erinnere man sich, daß Homer seine Helden noch einmal so stark macht, als die stärksten Männer seiner Zeit, jene aber von den Männern, wie sie Nestor in seiner Jugend gekannt hatte, noch weit an Stärke übertreffen läßt. Nun frage ich, wenn Minerva einen Stein, den nicht ein Mann, den Männer aus Nestors Jugendjahren zum Grenzsteine aufgerichtet hatten, wenn Minerva einen solchen Stein gegen den Mars schleidert, von welcher Statur soll die Göttin sein? Soll ihre Statur der Größe des Steins proportioniert sein, so fällt das Wunderbare weg. Ein Mensch, der dreimal größer ist als ich, muß natürlicher Weise auch einen dreimal größern Stein schleidern können. Soll aber die Statur der Göttin der Größe des Steins nicht angemessen sein, so entstehet eine anschauliche Unwahrscheinlichkeit in dem Gemälde, deren Anstößigkeit durch die kalte Überlegung, daß eine Göttin übermenschliche Stärke haben müsse, nicht gehoben wird. Wo ich eine größere Wirkung sehe, will ich auch größere Werkzeuge wahrnehmen.

Und Mars, von diesem gewaltigen Steine niedergeworfen,

Εππα δ’ επεσχε πελεϑρα – –

bedeckte sieben Hufen. Unmöglich kann der Maler dem Gotte diese außerordentliche Größe geben. Gibt er sie ihm aber nicht, so liegt nicht Mars zu Boden, nicht der Homerische Mars, sondern ein gemeiner Krieger.(85)

Longin sagt, es komme ihm öfters vor, als habe Homer seine Menschen zu Göttern erheben, und seine Götter zu Menschen herabsetzen wollen. Die Malerei vollführet diese Herabsetzung. In ihr verschwindet vollends alles, was bei dem Dichter die Götter noch über die göttlichen Menschen setzet. Größe, Stärke, Schnelligkeit, wovon Homer noch immer einen höhern, wunderbarern Grad für seine Götter in Vorrat hat, als er seinen vorzüglichsten Helden beileget,(86) müssen in dem Gemälde auf das gemeine Maß der Menschheit herabsinken, und Jupiter und Agamemnon, Apollo und Achilles, Ajax und Mars, werden vollkommen einerlei Wesen, die weiter an nichts als an äußerlichen verabredeten Merkmalen zu kennen sind.

Das Mittel, dessen sich die Malerei bedienet, uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Kompositionen dieses oder jenes als unsichtbar betrachtet werden müsse, ist eine dünne Wolke, in welche sie es von der Seite der mithandelnden Personen einhüllet. Diese Wolke scheinet aus dem Homer selbst entlehnet zu sein. Denn wenn im Getümmel der Schlacht einer von den wichtigern Helden in Gefahr kömmt, aus der ihn keine andere, als göttliche Macht retten kann: so läßt der Dichter ihn von der schützenden Gottheit in einen dicken Nebel, oder in Nacht verhüllen, und so davon führen; als den Paris von der Venus,(87) den Idäus vom Neptun,(88) den Hektor vom Apollo.(89)Und diesen Nebel, diese Wolke, wird Caylus nie vergessen, dem Künstler bestens zu empfehlen, wenn er ihm die Gemälde von dergleichen Begebenheiten vorzeichnet. Wer sieht aber nicht, daß bei dem Dichter das Einhüllen in Nebel und Nacht weiter nichts, als eine poetische Redensart für unsichtbar machen, sein soll? Es hat mich daher jederzeit befremdet, diesen poetischen Ausdruck realisieret, und eine wirkliche Wolke in dem Gemälde angebracht zu finden, hinter welcher der Held, wie hinter einer spanischen Wand, vor seinem Feinde verborgen stehet. Das war nicht die Meinung des Dichters. Das heißt aus den Grenzen der Malerei herausgehen; denn diese Wolke ist hier eine wahre Hieroglyphe, ein bloßes symbolisches Zeichen, das den befreiten Held nicht unsichtbar macht, sondern den Betrachtern zuruft: ihr müßt ihn euch als unsichtbar vorstellen. Sie ist hier nichts besser, als die beschriebenen Zettelchen, die auf alten gotischen Gemälden den Personen aus dem Munde gehen.

Es ist wahr, Homer läßt den Achilles, indem ihm Apollo den Hektor entrücket, noch dreimal nach dem dücken Nebel mit der Lanze stoßen: τρις δ’ηερα τυψε βαϑειαν.(90) Allein auch das heißt in der Sprache des Dichters weiter nichts, als daß Achilles so wütend gewesen, daß er noch dreimal gestoßen, ehe er es gemerkt, daß er seinen Feind nicht mehr vor sich habe. Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht, und das ganze Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand auch nicht in dem Nebel, sondern in der schnellen Entrückung. Nur um zugleich mit anzuzeigen, daß die Entrückung so schnell geschehen, daß kein menschliches Auge dem entrückten Körper nachfolgen können, hüllet ihn der Dichter vorher in Nebel ein; nicht weil man anstatt des entrückten Körpers einen Nebel gesehen, sondern weil wir das, was in einem Nebel ist, als nicht sichtbar denken. Daher kehrt er es auch bisweilen um, und läßt, anstatt das Objekt unsichtbar zu machen, das Subjekt mit Blindheit geschlagen werden. So verfinstert Neptun die Augen des Achilles, wenn er den Aeneas aus seinen mörderischen Händen errettet, den er mit einem Rucke mitten aus dem Gewühle auf einmal in das Hintertreffen versetzt.(91) In der Tat aber sind des Achilles Augen hier eben so wenig verfinstert, als dort die entrückten Helden in Nebel gehüllet; sondern der Dichter setzt das eine und das andere nur bloß hinzu, um die äußerste Schnelligkeit der Entrückung, welche wir das Verschwinden nennen, dadurch sinnlicher zu machen.

Den homerischen Nebel aber haben sich die Maler nicht bloß in den Fällen zu eigen gemacht, wo ihn Homer selbst gebraucht hat, oder gebraucht haben würde; bei Unsichtbarwerdungen, bei Verschwindungen: sondern überall, wo der Betrachter etwas in dem Gemälde erkennen soll, was die Personen des Gemäldes entweder alle, oder zum Teil, nicht erkennen. Minerva ward dem Achilles nur allein sichtbar, als sie ihn zurückhielt, sich mit Tätigkeiten gegen den Agamemnon zu vergehen. Dieses auszudrücken, sagt Caylus, weiß ich keinen andern Rat, als daß man sie von der Seite der übrigen Ratsversammlung in eine Wolke verhülle. Ganz wider den Geist des Dichters. Unsichtbar sein, ist der natürliche Zustand seiner Götter; es bedarf keiner Blendung, keiner Abschneidung der Lichtstrahlen, daß sie nicht gesehen werden;(92) sondern es bedarf einer Erleuchtung, einer Erhöhung des sterblichen Gesichts, wenn sie gesehen werden sollen. Nicht genug also, daß die Wolke ein willkürliches, und kein natürliches Zeichen bei den Malern ist; dieses willkürliche Zeichen hat auch nicht einmal die bestimmte Deutlichkeit, die es als ein solches haben könnte; denn sie brauchen es eben sowohl, um das Sichtbare unsichtbar, als um das Unsichtbare sichtbar zu machen.

XIII

Wenn Homers Werke gänzlich verloren wären, wenn wir von seiner Ilias und Odyssee nichts übrig hätten, als eine ähnliche Folge von Gemälden, dergleichen Caylus daraus vorgeschlagen: würden wir wohl aus diesen Gemälden, – sie sollen von der Hand des vollkommensten Meisters sein, – ich will nicht sagen, von dem ganzen Dichter, sondern bloß von seinem malerischen Talente, uns den Begriff bilden können, den wir itzt von ihm haben?

Man mache einen Versuch mit dem ersten dem besten Stücke. Es sei das Gemälde der Pest.(93) Was erblicken wir auf der Fläche des Künstlers? Tote Leichname, brennende Scheiterhaufen, Sterbende mit Gestorbenen beschäftiget, den erzürnten Gott auf einer Wolke, seine Pfeile abdrückend. Der größte Reichtum dieses Gemäldes, ist Armut des Dichters. Denn sollte man den Homer aus diesem Gemälde wieder herstellen: was könnte man ihn sagen lassen? »Hierauf ergrimmte Apollo, und schoß seine Pfeile unter das Heere der Griechen. Viele Griechen sturben und ihre Leichname wurden verbrannt.« Nun lese man den Homer selbst:

Βη δε και’ ουλυμποιο καρηνων χωομενος κηρ.

Τοξ’ ωμοισιν εχων, αμφηρεφεα τε φαρετρην.

Εκλαγξαν δ’αρ’ οισοι επ’ ωμων χωομενοιο.

Αυτου κινηϑεντος ό δ’ ηιε νυκτι εοικως

Εξετ’ επειτ’ απανευϑε νεων, μετα δ’ιον έηκε

Δεινη δε κλαγγη γενει’ αργυρεοιο βιοιο.

Ουρηας μεν πρωτον επωχετο, και κυνας αργους

Αυταρ επειτ’ αυτοισι βελος εχεπευκες εφιεις

Βαλλ’ αιει δε πυραι νεκυων καιοντο ϑαμειαι.

So weit das Leben über das Gemälde ist, so weit ist der Dichter hier über den Maler. Ergrimmt, mit Bogen und Köcher, steiget Apollo von den Zinnen des Olympus. Ich sehe ihn nicht allein herabsteigen, ich höre ihn. Mit jedem Tritte erklingen die Pfeile um die Schultern des Zornigen. Er gehet einher, gleich der Nacht. Nun sitzt er gegen den Schiffen über, und schnellet – fürchterlich erklingt der silberne Bogen – den ersten Pfeil auf die Maultiere und Hunde. Sodann faßt er mit dem giftigern Pfeile die Menschen selbst; und überall lodern unaufhörlich Holzstöße mit Leichnamen. – Es ist unmöglich die musikalische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören lassen, in eine andere Sprache überzutragen. Es ist eben so unmöglich, sie aus dem materiellen Gemälde zu vermuten, ob sie schon nur der allerkleineste Vorzug ist, den das poetische Gemälde vor selbigem hat. Der Hauptvorzug ist dieser, daß uns der Dichter zu dem, was das materielle Gemälde aus ihm zeiget, durch eine ganze Galerie von Gemälden führet.

Aber vielleicht ist die Pest kein vorteilhafter Vorwurf für die Malerei. Hier ist ein anderer, der mehr Reize für das Auge hat. Die ratpflegenden trinkenden Götter.(94) Ein goldner offener Palast, willkürliche Gruppen der schönsten und verehrungswürdigsten Gestalten, den Pokal in der Hand, von Heben, der ewigen Jugend, bedienet. Welche Architektur, welche Massen von Licht und Schatten, welche Kontraste, welche Mannigfaltigkeit des Ausdruckes! Wo fange ich an, wo höre ich auf, mein Auge zu weiden? Wann mich der Maler so bezaubert, wie vielmehr wird es der Dichter tun! Ich schlage ihn auf, und ich finde – mich betrogen. Ich finde vier gute plane Zeilen, die zur Unterschrift eines Gemäldes dienen können, in welchen der Stoff zu einem Gemälde liegt, aber die selbst keine Gemälde sind.

Οι δε ϑεοι παρ’ Ζηνι καϑημενοι ηγοροωντο

Χρυσεω εν δαπεδω, μετα δε σφισι ποτνια ’Ηβη

Νεκταρ εωνοχοει τοι δε χρυσεοις δεπαεσσι

Δειδεχατ’ αλληλους, Τρωων πολιν εισοροωντες.

Das würde ein Apollonius, oder ein noch mittelmäßigerer Dichter, nicht schlechter gesagt haben; und Homer bleibt hier eben so weit unter dem Maler, als der Maler dort unter ihm blieb.

Noch dazu findet Caylus in dem ganzen vierten Buche der Ilias sonst kein einziges Gemälde, als nur eben in diesen vier Zeilen. So sehr sich, sagt er, das vierte Buch durch die mannigfaltigen Ermunterungen zum Angriffe, durch die Fruchtbarkeit glänzender und abstechender Charaktere, und durch die Kunst ausnimmt, mit welcher uns der Dichter die Menge, die er in Bewegung setzen will, zeiget: so ist es doch für die Malerei gänzlich unbrauchbar. Er hätte dazu setzen können: so reich es auch sonst an dem ist, was man poetische Gemälde nennet. Denn wahrlich, es kommen derer in dem vierten Buche so häufige und so vollkommene vor, als nur in irgend einem andern. Wo ist ein ausgeführteres, täuschenderes Gemälde als das vom Pandarus, wie er auf Anreizen der Minerva den Waffenstillestand bricht, und seinen Pfeil auf den Menelaus losdrückt? Als das, von dem Anrücken des griechischen Heeres? Als das, von dem beiderseitigen Angriffe? Als das, von der Tat des Ulysses, durch die er den Tod seines Leukus rächet?

Was folgt aber hieraus, daß nicht wenige der schönsten Gemälde des Homers keine Gemälde für den Artisten geben? daß der Artist Gemälde aus ihm ziehen kann, wo er selbst keine hat? daß die, welche er hat, und der Artist gebrauchen kann, nur sehr armselige Gemälde sein würden, wenn sie nicht mehr zeigten, als der Artist zeiget? Was sonst, als die Verneinung meiner obigen Frage? Daß aus den materiellen Gemälden, zu welchen die Gedichte des Homers Stoff geben, wann ihrer auch noch so viele, wann sie auch noch so vortefflich wären sich dennoch auf das malerische Talent des Dichters nichts schließen läßt.

XIV

Ist dem aber so, und kann ein Gedicht sehr ergiebig für den Maler, dennoch aber selbst nicht malerisch, hinwiederum ein anderes sehr malerisch, und dennoch nicht ergiebig für den Maler sein: so ist es auch um den Einfall des Grafen Caylus getan, welcher die Brauchbarkeit für den Maler zum Probiersteine der Dichter machen, und ihre Rangordnung nach der Anzahl der Gemälde, die sie dem Artisten darbieten, bestimmen wollen.(95)

Fern sei es, diesem Einfalle, auch nur durch unser Stillschweigen, das Ansehen einer Regel gewinnen zu lassen. Milton würde als das erste unschuldige Opfer derselben fallen. Denn es scheinet wirklich, daß das verächtliche Urteil, welches Caylus über ihn spricht, nicht sowohl Nationalgeschmack, als eine Folge seiner vermeinten Regel gewesen. Der Verlust des Gesichts, sagt er, mag wohl die größte Ähnlichkeit sein, die Milton mit dem Homer gehabt hat. Freilich kann Milton keine Galerien füllen. Aber müßte, so lange ich das leibliche Auge hätte, die Sphäre desselben auch die Sphäre meines innern Auges sein, so würde ich, um von dieser Einschränkung frei zu werden, einen großen Wert auf den Verlust des erstern legen.

»Das verlorne Paradies« ist darum nicht weniger die erste Epopee nach dem Homer, weil es wenig Gemälde liefert, als die Leidensgeschichte Christi deswegen ein Poem ist, weil man kaum den Kopf einer Nadel in sie setzen kann, ohne auf eine Stelle zu treffen, die nicht eine Menge der größten Artisten beschäftiget hätte. Die Evangelisten erzählen das Factum mit aller möglichen trockenen Einfalt, und der Artist nutzet die mannigfaltigen Teile desselben, ohne daß sie ihrer Seits den geringsten Funken von malerischem Genie dabei gezeigt haben. Es gibt malbare und unmalbare Facta, und der Geschichtschreiber kann die malbarsten eben so unmalerisch erzählen, als der Dichter die unmalbarsten malerisch darzustellen vermögend ist.

Man läßt sich bloß von der Zweideutigkeit des Wortes verführen, wenn man die Sache anders nimmt. Ein poetisches Gemälde ist nicht notwendig das, was in ein materielles Gemälde zu verwandeln ist; sondern jeder Zug, jede Verbindung mehrerer Züge, durch die uns der Dichter seinen Gegenstand so sinnlich macht, daß wir uns dieses Gegenstandes deutlicher bewußt werden, als seiner Worte, heißt malerisch, heißt ein Gemälde, weil es uns dem Grade der Illusion näher bringt, dessen das materielle Gemälde besonders fähig ist, der sich von dem materiellen Gemälde am ersten und leichtesten abstrahieren lassen.(96)

XV

Nun kann der Dichter zu diesem Grade der Illusion, wie die Erfahrung zeiget, auch die Vorstellungen anderer, als sichtbarer Gegenstände erheben. Folglich müssen notwendig dem Artisten ganze Klassen von Gemälden abgehen, die der Dichter vor ihm voraus hat. Drydens Ode auf den Cäcilienstag ist voller musikalischen Gemälde, die den Pinsel müßig lassen. Doch ich will mich in dergleichen Exempel nicht verlieren, aus welchen man am Ende doch wohl nicht viel mehr lernet, als daß die Farben keine Töne, und die Ohren keine Augen sind.

Ich will bei den Gemälden bloß sichtbarer Gegenstände stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein sind. Woran liegt es, daß manche poetische Gemälde von dieser Art, für den Maler unbrauchbar sind, und hinwiederum manche eigentliche Gemälde unter der Behandlung des Dichters den größten Teil ihrer Wirkung verlieren?

Exempel mögen mich leiten. Ich wiederhole es: das Gemälde des Pandarus im vierten Buche der Ilias ist eines von den ausgeführtesten, täuschendsten im ganzen Homer. Von dem Ergreifen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeiles, ist jeder Augenblick gemalt, und alle diese Augenblicke sind so nahe und doch so unterschieden angenommen, daß, wenn man nicht wüßte, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man es aus diesem Gemälde allein lernen könnte.(97) Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Senne an, öffnet den Köcher, wählet einen noch ungebrauchten wohlbefiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die Senne, zieht die Senne mit samt dem Pfeile unten an dem Einschnitte zurück, die Senne nahet sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeiles dem Bogen, der große geründete Bogen schlägt tönend auseinander, die Senne schwirret, ab sprang der Pfeil, und gierig fliegt er nach seinem Ziele.

Übersehen kann Caylus dieses vortreffliche Gemälde nicht haben. Was fand er also darin, warum er es für unfähig achtete, seinen Artisten zu beschäftigen? Und was war es, warum ihm die Versammlung der ratpflegenden zechenden Götter zu dieser Absicht tauglicher dünkte? Hier sowohl als dort sind sichtbare Vorwürfe, und was braucht der Maler mehr, als sichtbare Vorwürfe, um seine Fläche zu füllen?

Der Knoten muß dieser sein. Ob schon beide Vorwürfe, als sichtbar, der eigentlichen Malerei gleich fähig sind: so findet sich doch dieser wesentliche Unterschied unter ihnen, daß jener eine sichtbare fortschreitende Handlung ist, deren verschiedene Teile sich nach und nach, in der Folge der Zeit, eräugnen, dieser hingegen eine sichtbare stehende Handlung, deren verschiedene Teile sich neben einander im Raume entwickeln. Wenn nun aber die Malerei, vermöge ihrer Zeichen oder der Mittel ihrer Nachahmung, die sie nur im Raume verbinden kann, der Zeit gänzlich entsagen muß: so können fortschreitende Handlungen, als fortschreitend, unter ihre Gegenstände nicht gehören, sondern sie muß sich mit Handlungen neben einander, oder mit bloßen Körpern, die durch ihre Stellungen eine Handlung vermuten lassen, begnügen. Die Poesie hingegen – –

XVI

Doch ich will versuchen, die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten.

Ich schließe so. Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: So können neben einander geordnete Zeichen, auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.

Gegenstände, die neben einander oder deren Teile neben einander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.

Doch alle Körper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort, und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen, und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden, und kann die Ursache einer folgenden, und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.

Auf der andern Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhängen. In so fern nun diese Wesen Körper sind, oder als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren koexistierenden Kompositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird.

Eben so kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen, und muß daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

Hieraus fließt die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter, und der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.

Ich würde in diese trockene Schlußkette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen bestätiget fände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur aus diesen Grundsätzen läßt sich die große Manier des Griechen bestimmen und erklären, so wie der entgegen gesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stücke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm überwunden werden müssen.

Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Körper, alle einzelne Dinge malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit einem Zuge. Was Wunder also, daß der Maler, da wo Homer malet, wenig oder nichts für sich zu tun siehet, und daß seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper, in schönen Stellungen, in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Körper, diese Stellungen, diesen Raum so wenig malen, als er will? Man gehe die ganze Folge der Gemälde, wie sie Caylus aus ihm vorschlägt, Stück vor Stück durch, und man wird in jedem den Beweis von dieser Anmerkung finden.

Ich lasse also hier den Grafen, der den Farbenstein des Malers zum Probiersteine des Dichters machen will, um die Manier des Homers näher zu erklären.

Für ein Ding, sage ich, hat Homer gemeiniglich nur einen Zug. Ein Schiff ist ihm bald das schwarze Schiff, bald das hohle Schiff, bald das schnelle Schiff, höchstens das wohlberuderte schwarze Schiff. Weiter läßt er sich in die Malerei des Schiffes nicht ein. Aber wohl das Schiffen, das Abfahren, das Anlanden des Schiffes, macht er zu einem ausführlichen Gemälde, zu einem Gemälde, aus welchem der Maler fünf, sechs besondere Gemälde machen müßte, wenn er es ganz auf seine Leinwand bringen wollte.

Zwingen den Homer ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzeln körperlichen Gegenstand länger zu heften: so wird dem ohngeachtet kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel folgen könnte; sondern er weiß durch unzählige Kunstgriffe diesen einzeln Gegenstand in eine Folge von Augenblicken zu setzen, in deren jedem er anders erscheinet, und in deren letztem ihn der Maler erwarten muß, um uns entstanden zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehn. Z. E. will Homer uns den Wagen der Juno sehen lassen, so muß ihn Hebe vor unsern Augen Stück vor Stück zusammen setzen. Wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel und Riemen und Stränge, nicht sowohl wie es beisammen ist, als wie es unter den Händen der Hebe zusammen kömmt. Auf die Räder allein verwendet der Dichter mehr als einen Zug, und weiset uns die ehernen acht Speichen, die goldenen Felgen, die Schienen von Erzt, die silberne Nabe, alles insbesondere. Man sollte sagen: da der Räder mehr als eines war, so mußte in der Beschreibung eben so viel Zeit mehr auf sie gehen, als ihre besondere Anlegung deren in der Natur selbst mehr erforderte.(98)

᾽Ηβη δ᾽αμφ᾽ οχεεσσι ϑοως βαλε καμπυλα κυκλα,

Χαλκεα οκτακνημα, σιδηρεω αξονι αμφις

Των ητοι χρυσεη ιτυς αφϑιτος, αυταρ ύπερϑεν

χαλκε᾽ επισσωτρα, προσαρηροτα, ϑαυμα ιδεσϑαι

Πλημναι δ᾽ αριγυρου εισι περιδρομοι αμφοτερωϑεν

Διφρος δε χρυσεοισι και αργυρεοισιν ίμασιν

Εντεταται δοιαι δε περιδρομοι αντυγες εισι

Του δ᾽εξ αργυρεος ρυμος πελεν αυταρ επ᾽ ακρω

Δησε χρυσειον καλον ζυγον, εν δε λεπαδνα

Καλ᾽ εβαλε, χρυσεια. – – – –

Will uns Homer zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen, so muß sich der König vor unsern Augen seine völlige Kleidung Stück vor Stück umtun; das weiche Unterkleid, den großen Mantel, die schönen Halbstiefeln, den Degen; und so ist er fertig, und ergreift das Szepter. Wir sehen die Kleider, indem der Dichter die Handlung des Bekleidens malet; ein anderer würde die Kleider bis auf die geringste Franze gemalet haben, und von der Handlung hätten wir nichts zu sehen bekommen.(99)

– – – Μαλακον δ’ ενδυνε χιτωνα,

Καλον, νηγαιεον, περι δ’ αυ μεγα βαλλετο φαρος

Ποσσι δ’ ύπαι λιπαροισιν εδησατο καλα πεδιλα.

Αμφι δ’ αρ’ ωμοισιν βαλετο ξιφος αργυροηλον,

Ειλειο δε σκηπτρον πατρωιον, αφϑιτον αιει

Und wenn wir von diesem Szepter, welches hier bloß das väterliche, unvergängliche Szepter heißt, so wie ein ähnliches ihm an einem andern Orte bloß χρυσειοις ήλοισι πεπαρμενον, das mit goldenen Stiften beschlagene Szepter ist, wenn wir, sage ich, von diesem wichtigen Szepter ein vollständigeres, genaueres Bild haben sollen: was tut sodann Homer? Malt er uns, außer den goldenen Nägeln, nun auch das Holz, den geschnitzten Knopf? Ja, wenn die Beschreibung in eine Heraldik sollte, damit einmal in den folgenden Zeiten ein anderes genau darnach gemacht werden könne. Und doch bin ich gewiß, daß mancher neuere Dichter eine solche Wappenkönigsbeschreibung daraus würde gemacht haben, in der treuherzigen Meinung, daß er wirklich selber gemalt habe, weil der Maler ihm nachmalen kann. Was bekümmert sich aber Homer, wie weit er den Maler hinter sich läßt? Statt einer Abbildung gibt er uns die Geschichte des Szepters: erst ist es unter der Arbeit des Vulcans; nun glänzt es in den Händen des Jupiters; nun bemerkt es die Würde Merkurs; nun ist es der Kommandostab des kriegerischen Pelops; nun der Hirtenstab des friedlichen Atreus, u.s.w.

–Σκηπτρον εχων το μεν Ηφαισος καμε τευχων

Ηφαισος μεν δωκε Διι Κρονιωνι ανακτι

Αυταρ αρα Ζευς δωκε διακτορη Αργειφοντη

Ερμειας δε αναξ δωκεν Πελοπι πληξιππω

Αυταρ ό αυιε Πελοψ δωκ’ Ατρει, ποιμενι λαων

Ατρευς δε ϑνησκων ελιπε πολυαρνι Θυεση

Αυταρ ό αυτε Θυεσ’ Αγαμεμνονι λειπε φορηναι,

Πολλησι νησιοισι και Αργει παντι ανασσειν.(100)

So kenne ich endlich dieses Szepter besser, als mir es der Maler vor Augen legen, oder ein zweiter Vulkan in die Hände liefern könnte. – Es würde mich nicht befremden, wenn ich fände, daß einer von den alten Auslegern des Homers diese Stelle als die vollkommenste Allegorie von dem Ursprunge, dem Fortgange, der Befestigung und endlichen Beerbfolgung der königlichen Gewalt unter den Menschen bewundert hätte. Ich würde zwar lächeln, wenn ich läse, daß Vulcan, welcher das Szepter gearbeitet, als das Feuer, als das, was dem Menschen zu seiner Erhaltung das unentbehrlichste ist, die Abstellung der Bedürfnisse überhaupt anzeige, welche die ersten Menschen, sich einem einzigen zu unterwerfen, bewogen; daß der erste König ein Sohn der Zeit, (Ζευς Κρονιων) ein ehrwürdiger Alte gewesen sei, welcher seine Macht mit einem beredten klugen Manne, mit einem Merkur, (Διακτορω Αργειφοντη) teilen, oder gänzlich auf ihn übertragen wollen; daß der kluge Redner zur Zeit, als der junge Staat von auswärtigen Feinden bedrohet worden, seine oberste Gewalt dem tapfersten Krieger (Πελοπι πληξιππω) überlassen habe; daß der tapfere Krieger, nachdem er die Feinde gedämpfet und das Reich gesichert, es seinem Sohne in die Hände spielen können, welcher als ein friedliebender Regent, als ein wohltätiger Hirte seiner Völker, ποιμην λαων sie mit Wohlleben und Überfluß bekannt gemacht habe, wodurch nach seinem Tode dem reichsten seiner Anverwandten (πολυαρνι Θυεση) der Weg gebahnet worden, das was bisher das Vertrauen erteilet, und das Verdienst mehr für eine Bürde als Würde gehalten hatte, durch Geschenke und Bestechungen an sich zu bringen, und es hernach als ein gleichsam erkauftes Gut seiner Familie auf immer zu versichern. Ich würde lächeln, ich würde aber dem ohngeachtet in meiner Achtung für den Dichter bestärket werden, dem man so vieles leihen kann. – Doch dieses liegt außer meinem Wege, und ich betrachte itzt die Geschichte des Szepters bloß als einen Kunstgriff, uns bei einem einzeln Dinge verweilen zu machen, ohne sich in die frostige Beschreibung seiner Teile einzulassen. Auch wenn Achilles bei seinem Szepter schwöret, die Geringschätzung, mit welcher ihm Agamemnon begegnet, zu rächen, gibt uns Homer die Geschichte dieses Szepters. Wir sehen ihn auf den Bergen grünen, das Eisen trennet ihn von dem Stamme, entblättert und entrindet ihn, und macht ihn bequem, den Richtern des Volkes zum Zeichen ihrer göttlichen Würde zu dienen.(101)

Ναι μα τοδε σκηπτρον, το μεν ουποτε φυλλα και οζους

Φυσει, επειδη πρωτα τομην εν ορεσσι λελοιπεν,

Ουδ’ αναϑηλησει περι γαρ ρά έ χαλκος ελεψε

Φυλλα τε και φλοιον νυν αυτε μιν ύιες Αχαιων

Εν παλαμης φορεουσι δικασπολοι, όι τε ϑεμισας

Προς Διος ειρυαται – – – –

Dem Homer war nicht sowohl daran gelegen, zwei Stäbe von verschiedener Materie und Figur zu schildern, als uns von der Verschiedenheit der Macht, deren Zeichen diese Stäbe waren, ein sinnliches Bild zu machen. Jener, ein Werk des Vulcans; dieser, von einer unbekannten Hand auf den Bergen geschnitten: jener der alte Besitz eines edeln Hauses; dieser bestimmt, die erste die beste Faust zu füllen: jener, von einem Monarchen über viele Inseln und über ganz Argos erstrecket; dieser, von einem aus dem Mittel der Griechen geführet, dem man nebst andern die Bewahrung der Gesetze anvertrauet hatte. Dieses war wirklich der Abstand, in welchem sich Agamemnon und Achill von einander befanden; ein Abstand, den Achill selbst, bei allem seinen blinden Zorne, einzugestehen, nicht umhin konnte.

Doch nicht bloß da, wo Homer mit seinen Beschreibungen dergleichen weitere Absichten verbindet, sondern auch da, wo es ihm um das bloße Bild zu tun ist, wird er dieses Bild in eine Art von Geschichte des Gegenstandes verstreuen, um die Teile desselben, die wir in der Natur neben einander sehen, in seinem Gemälde eben so natürlich auf einander folgen, und mit dem Flusse der Rede gleichsam Schritt halten zu lassen. Z. E. Er will uns den Bogen des Pandarus malen; einen Bogen von Horn, von der und der Länge, wohl polieret, und an beiden Spitzen mit Goldblech beschlagen. Was tut er? Zählt er uns alle diese Eigenschaften so trocken eine nach der andern vor? Mit nichten; das würde einen solchen Bogen angeben, vorschreiben, aber nicht malen heißen. Er fängt mit der Jagd des Steinbockes an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht worden; Pandarus hatte ihm in den Felsen aufgepaßt, und ihn erlegt; die Hörner waren von außerordentlicher Größe, deswegen bestimmte er sie zu einem Bogen; sie kommen in die Arbeit, der Künstler verbindet sie, polieret sie, beschlägt sie.

Und so, wie gesagt, sehen wir bei dem Dichter entstehen, was wir bei dem Maler nicht anders als entstanden sehen können.(102)

– – – Τοξον ευξοον, ιξαλου αιγος

Αγριου, όν ρα ποτ’ αυτος, ύπο σερνοιο τυχησας,

Πετρης εκβαινοντα δεδεγμενος εν προδοκησι

Βεβληκει προς σηϑος ό δ’ύπτιος εμπεσε πετρη

Του κερα εκ κεφαλης έκκαιδεκαδωρα πεφυκει

και τα μεν ασκησας κεραοξοος ηραρε τεκτων,

παν δ’ ευ λειηνας, χρυσεην επεϑηκε κορωνην.

Ich würde nicht fertig werden, wenn ich alle Exempel dieser Art ausschreiben wollte. Sie werden jedem, der seinen Homer inne hat, in Menge beifallen.