7

»Ich möchte gern Cosmo sprechen. Ich bin … eine Freundin von Bianca.«

Ich war noch nie zuvor bei einem Kreditgeber. Ich habe mich vom Flohmarkt direkt auf den Weg zur Pitkin Avenue gemacht, und der Laden erfüllt jedes Klischee. Verschmierte Scheiben, schlechte Beleuchtung: der moderne Letzte-Chance-Saloon. Aber so wie ich das sehe, ist dies momentan meine einzige Möglichkeit. Außerdem, wenn es für Bianca funktioniert hat, wird es auch für mich funktionieren, richtig?

Der Mann hinter der Theke – er sieht aus wie einer der Männer aus den alten Schwarz-Weiß-Filmen, die ständig einen Zahnstocher im Mundwinkel stecken haben – greift zum Telefon und wählt eine Nummer.

»Cosmo? Besuch für dich. Nö, die wird dir gefallen.«

Ich bin schrecklich nervös, aber ich versuche, so zu tun, als wäre es für mich alltäglich, pseudoshoppend in einem Pfandhaus herumzuhängen und die traurigen kleinen Verlobungsringe zu betrachten, die aufgereiht wie Waisenkinder in einer Vitrine liegen.

Ein paar Minuten später erscheint Cosmo auf der Bildfläche. Er trägt eine maßgeschneiderte Hose und ein perfekt gebügeltes Hemd, und sein Schädel ist frisch rasiert. Nicht attraktiv, aber eine gute Kombination, irgendwie weltmännisch. Er könnte alles zwischen dreißig und fünfzig sein. Sein Handschlag ist kräftig. Cosmo sieht mir direkt in die Augen und lächelt, wobei er blendend weiße Zähne und sehr rosarotes, gesundes Zahnfleisch entblößt.

»Cosmo Ferris.«

»Pia Keller.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Sollen wir nach hinten gehen? Dort können wir ungestört reden.« Er hat eine gepflegte Ausdrucksweise, mit einem weichen Brooklyner Akzent.

»Mir wäre das Lokal nebenan lieber.«

Cosmo scheint okay zu sein, aber ich glaube, dass Geschichten, die mit »So folgte sie dem Pfandleiher in das Hinterzimmer …« beginnen, in der Regel selten gut ausgehen, oder?

Wir gehen in das Diner nebenan und bestellen beide ein stilles Wasser. Ich versuche, einen möglichst professionellen Eindruck zu machen in Anbetracht der Tatsache, dass ich eine abgeschnittene Jeans anhabe und wahrscheinlich nach Bacon-Fett rieche. Das ist schließlich eine geschäftliche Unterredung.

»Ich habe einen hohen Flüssigkeitsbedarf«, sagt Cosmo. »Ich liebe Smart Water. Haben Sie es schon mal probiert?«

»O ja, es ist das Beste«, sage ich. Julia war letztes Jahr besessen von Smart Water.

»Ich trinke inzwischen nichts anderes mehr. Ich nehme regelmäßig an Triathlons teil. Mein Trainer hat mir Smart Water verordnet. Es führt dem Körper alle wichtigen Mineralstoffe zu, die er benötigt.«

Wow, ein Geldverleiher, der Triathlet ist. Das unruhige Gefühl in meinem Magen legt sich ein wenig. Irgendwie ist mir der Kerl sympathisch.

Als unsere Getränke kommen, nickt Cosmo ein paar Leuten im Lokal zu – er ist eindeutig im Viertel bekannt. Das ist definitiv ein gutes Zeichen. Cosmo ist nicht irgendein Unterweltkönig oder so. Nicht, dass ich einen Unterweltkönig erkennen würde, wenn ich über einen stolperte.

»Ich freue mich, dass Bianca mich Ihnen empfohlen hat.« Cosmo lächelt leutselig. »Tolles Mädchen. Also, hier ist mein Angebot. Ich bin ein Junge aus Brooklyn, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich führe ein erfolgreiches Sicherheitsunternehmen. Das ist mein Kerngeschäft und meine Haupteinnahmequelle, und mittlerweile, klopf auf Holz, läuft es praktisch von selbst. Seit ungefähr vier Jahren betreibe ich eine private Kreditvergabe, nachdem ich selbst einmal Schwierigkeiten hatte, von der Bank Geld zu bekommen, und erkannt habe, dass anständige, ehrliche Leute manchmal ein bisschen Hilfe nötig haben.«

»Genau«, sage ich und nicke.

Cosmo macht die Sätze viel komplizierter, als sie sein müssten. Ich frage mich, ob er glaubt, dadurch klug zu wirken. Es gibt eben Leute, die so reden.

»Sie erhalten von mir ein Darlehen, das Sie in wöchentlichen Raten abbezahlen, zuzüglich einer Ablösesumme am Ende der vereinbarten Laufzeit, und das natürlich zu einem vernünftigen Zinssatz, wie Sie sicher erwarten. Meine Zinsen sind vergleichbar mit denen der großen Banken oder niedriger, und ich bin mir sicher, dass ein schlaues Mädchen wie Sie sofort erkennt, dass die ganze Sache völlig unkompliziert ist.«

»Mhm.« Verschachtelte Sätze oder nicht, es klingt alles logisch. Außerdem verlangt er niedrigere Zinsen als die Bank. Das weiß ich schon.

»Also, wie viel brauchen Sie?«

»Nur neuntausend Dollar«, sage ich. »Ich möchte ein Unternehmen gründen. Es wird sofort Gewinn abwerfen, darum werden die Raten an Sie kein Problem sein.«

Food Trucks machen Bargeschäfte, was sofortiger Gewinn bedeutet, richtig? Phil hat heute ein paar tausend Dollar umgesetzt. Und es gibt keine Pacht und keine Betriebskosten, abgesehen von den Lebensmitteln und einem Stellplatz über Nacht … Dies ist die einzige Möglichkeit, mir eine Existenz aufzubauen, Geld zu verdienen und meine Eltern zu beeindrucken. Ein kurzfristiger Kredit für eine langfristige Lösung. Plötzlich schlägt mein Herz schneller vor Aufregung. Ich werde es wirklich wahr machen.

»Runden wir auf glatte Zehntausend auf«, sagt Cosmo.

»Okay.«

Er holt ein kleines Bilanzbuch hervor und fängt an zu schreiben.

»Mal sehen … zehntausend Dollar bei einem Zins von zehn Prozent und, sagen wir, einer Laufzeit von sechs Wochen mit einer Wochenrate von tausend Dollar. Danach sind nur noch die ursprünglichen Zehntausend fällig. Das ist ganz simpel.«

»Super!«, sage ich.

Die Zinsen kommen mir zwar doch ziemlich hoch vor, aber sobald ich jeden Tag ein paar Tausend Umsatz mache, wird das ein Klacks sein. Das ist Business.

Cosmo erklärt mir, dass sich bei einer Laufzeitverlängerung der Zinssatz erhöht. Aber falls ich die Zehntausend nicht rechtzeitig zusammenbekomme, verkaufe ich einfach den Truck vor Ablauf der Frist und zahle Cosmo so aus.

»Soll ich Ihnen das Geld jede Woche überweisen?«

»Nein, nein, das geht auch einfacher«, sagt er. »Ich komme jeden Sonntagabend um sieben bei Ihnen vorbei und hole es in bar ab, einverstanden?«

»Einverstanden«, sage ich. »Okay … und was passiert jetzt?«

»Ich notiere die Details, Sie lesen den Vertrag durch und unterschreiben, ich gebe Ihnen das Geld, und Sie können loslegen.« Und es ist tatsächlich so einfach.

Zwei Stunden und einen raschen Abstecher zu Francie später bin ich die stolze Besitzerin von Toto, dem Truck.

Toto und ich biegen in die Union Street, die Sonne geht langsam unter, und ich bin in Hochstimmung. Toto hat keine Klimaanlage, und das Radio wechselt alle halbe Meile den Sender. Aber mit perfektem Timing läuft nun Happy together von den Turtles. Ich singe lauthals mit.

»Imagine me and you, I do, I think about you day and night, it’s only right … So happy together!«

Ich spüre eine wunderbare innere Ruhe und Ausgeglichenheit, während ich die Union Street entlangfahre. Der beißend-süße Geruch von Grillfleisch hängt in der Luft, ein paar Kinder auf Fahrrädern schreien auf diese leicht hysterische Art, die für Kinder typisch ist, und zwei kleine Mädchen spielen Himmel und Hölle. Es ist eine fast absurde Idylle, die nur leicht gestört wird von Totos Motor, der wie ein kettenrauchender Bergmann hustet.

»Psch«, sage ich und parke mit großer Mühe direkt vor unserem Haus rückwärts ein.

Ich entdecke Julia, Madeleine und Coco auf der Eingangstreppe, wo sie bei einem Bier und einer Schüssel Doritos, die zwischen ihnen steht, fröhlich schnattern. Ich lehne mich aus dem Fenster, schiebe meine Sonnenbrille auf die Nasenspitze und rufe: »Hey!«

Julia blickt zu mir herüber, keucht und lässt ihr Bier fallen. Die Flasche kullert klirrend eine Stufe hinunter, der Schaum spritzt überallhin.

»Gefällt euch mein neuer Wagen?«, frage ich, nachdem ich ausgestiegen bin.

»Warum … wie … zum Teufel … kommst du zu diesem Wagen?«, stammelt Julia.

»Ich habe ihn gekauft«, antworte ich in freudigem Ton. »Sein Name ist Toto.« Alle drehen den Kopf zu Toto. Er sieht jetzt noch größer und rostiger aus als am Morgen auf dem Flohmarkt, der verwitterte Lack ist eine Mischung aus Hubba-Bubba-Pink und Ferkelrosa. »Ist er nicht einfach zum Verlieben?«

Francie war so begeistert davon, dass ich Toto kaufen wollte, dass es ihr nicht einmal etwas ausmachte, dass ich in ihre Verabredung im Good Fork platzte. Sie nahm mich mit in ihre Wohnung direkt um die Ecke, um mir sofort die Schlüssel und Wagenpapiere zu übergeben.

»Woher hattest du so viel Geld?«, fragt Julia und gibt mir ein PBR. Normalerweise trinke ich kein Bier, aber heute Abend ist es genau das, wonach mir der Sinn steht.

»Hab meinen Schmuck versetzt.« Ich möchte mir Madeleines abfällige Kommentare ersparen, weil ich bei einem Geldverleiher war.

»Er sieht aus wie ein Riesenpickel aus Metall«, sagt Madeleine wie aufs Stichwort.

»Sprich nicht so über Toto«, fauche ich sie an. Aber nicht einmal Madeleine kann mir meine gute Laune verderben. »Ihr werdet es nicht glauben! Ich eröffne einen eigenen Food Truck mit dem Namen SchlankMobil!«

Julias Kinnlade klappt herunter. »Bitte was?«

Ich berichte den Mädels kurz von meinem Tag und meiner Idee. »Ich fange ganz klein an – mit zwei Salaten, richtigen Proteinbomben. Dafür brauche ich nur abends den Salat vorzubereiten, dann kann ich am nächsten Tag losfahren und verkaufen! Darin habe ich heute den ganzen Nachmittag Erfahrung gesammelt, das ist nicht schwer! Was sagt ihr dazu?«

»Megaaffengeil!«, platzt Coco heraus. »Das ist das Coolste, was ich jemals gehört habe!«

»Wo wirst du die Lebensmittel einkaufen?«, fragt Julia. »Außerdem kannst du nicht kochen.«

»Auf dem Markt oder im Supermarkt, wo sonst?«, antworte ich vergnügt. »Im Übrigen kann ich Hühnerfleisch grillen, und einen Salat bekomme ich auch noch hin. Weißt du, ich bin schließlich nicht dämlich. Wie schwer kann das schon sein? Für Salate muss man nicht kochen können. Allerdings werde ich eventuell Cocos Hilfe benötigen, weil ich mit dem Gedanken spiele, ein zuckerarmes Dessert anzubieten.«

Ich lächle Coco hoffnungsvoll an, die daraufhin begeistert in die Hände klatscht. »LIEBEND gern!«

»Hast du dich schon um das ROI gekümmert?«, fragt Madeleine.

Ich beachte sie nicht und nehme mir insgeheim vor, das später nachzuschlagen.

»Brauchst du keine Genehmigung oder so?«, fragt Julia. »Musst du das Fahrzeug nicht anmelden?«

Ich winke ab. »Easy. Ich muss ein paar Formulare ausfüllen, bla, bla, bla. Der Truck hat bereits eine Zulassung als Totos Eisfabrik. Ich werde einfach ›SchlankMobil‹ darüberpinseln. Im Prinzip ändert sich nur der Name. Ich übernehme die Genehmigung der Vorbesitzerin, wie das so üblich ist.«

Francie hat alles mit mir durchgesprochen. Offenbar kann man mit der Betriebserlaubnis für einen Food Truck in New York ein wenig herumtricksen, was mir nur recht ist.

»Wo wirst du die Salate zubereiten?«

»In unserer Küche, bis ich genug Geld habe, um mir eine von diesen Profiküchen mieten zu können«, antworte ich. Mir ist bewusst, dass ich damit die Vorschriften ein bisschen dehne. »Im Wäscheraum steht doch dieser große Kühlschrank, der nicht genutzt wird. Ich werde natürlich auf sorgfältige Hygiene achten. Ihr wisst schon, Handschuhe, saubere Messer und so weiter … Falls das … für euch okay ist, Leute.«

»Sicher«, sagt Julia. »Es ist nur … Du? In der Imbissbranche?«

»Das ist das Lächerlichste, was ich jemals gehört habe. Wer würde schon bei dir essen wollen?«, sagt Madeleine.

Einen Augenblick lang sinkt mein Mut. Sie hat recht. Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht?

»Ich schon!«, sagt Coco. Ich stoße mit ihr an und schenke ihr ein dankbares Lächeln.

»Wisst ihr was? Ich auch«, sagt Julia bedächtig. »Es ist verrückt, aber ich würde bei dir kaufen, Pia. Kannst du dich nicht als Erstes in die Nähe meiner Bank stellen?«

»Ich geh duschen.« Madeleine stapft die Treppe hoch und knallt die Haustür hinter sich zu.

»Sie duscht mindestens dreimal am Tag. Das ist wirklich schräg«, sage ich. Julia bedeutet mir mit einem Blick, die Klappe zu halten. »Stimmt doch!«

»Na, wenn das mal nicht unsere Newcomer sind!«

Wir drehen alle die Köpfe und sehen unsere Nachbarn aus dem Erdgeschoss, Vic und seine Schwester Marie, auf dem Gehweg heranschlendern. Marie hat ein bisschen Ähnlichkeit mit Vic. Sie hat die gleichen großen, spitzen Ohren und ein faltiges Gesicht wie ein alter Liebesbrief. Ihre Haare sind blassrosa gefärbt. Es steht ihr. Sie sieht aus wie eine sehr alte Elfe.

»Hallo, Onkel Vic! Hallo, Tante Marie!«, rufen Julia und Coco im Chor und klingen dabei wie zwei Fünfjährige.

»Sieh dir das an«, sagt Vic zu Marie. »Ein rosaroter Truck!« Beide haben eine Eiswaffel in der Hand.

»Das ist meiner!«, sage ich stolz. »Er heißt Toto. Ich eröffne ein Geschäft. Ein Food-Truck-Geschäft!«

»Was sagt man dazu?«, erwidert Marie. »Der sieht genauso aus wie der Eiswagen, der früher immer auf Coney Island stand, der, wo es das leckere Zitroneneis gab.«

»Das ist derselbe Truck!«, rufe ich. »Na ja, er könnte es jedenfalls sein. Das war nämlich früher mal ein Eiswagen.«

»Das ist ein großartiger Stammbaum, Engelchen«, sagt Marie. »Oh, wir haben Coney Island geliebt, als wir jünger waren. Weißt du noch, Victor? Bei so einem Wetter wie heute sind wir immer ins Ravenhall. Das war mal ein Pool! Victor ist eine ganze Bahn getaucht, ohne einmal Luft zu holen, nur um Eleanor zu beeindrucken.« Vic zeigt keine Reaktion auf diese Anekdote, sondern genießt einfach weiter sein Eis. War Eleanor Vics Frau? Die, der er den Rosenstrauch geschenkt hat, die, die gestorben ist? »Oh, und danach haben wir immer einen Abstecher zu Williams Candy gemacht. Für das Karamell-Popcorn hätte ich sterben können. Weißt du, Victor, ich glaube, den Laden gibt es immer noch. Wir sollten mal wieder hinfahren.«

»Karamell-Popcorn und dritte Zähne – großartige Idee«, erwidert er. Dann sieht er mich an. »Soso, mir ist zu Ohren gekommen, dass es gestern Abend im Bartolo’s eine kleine Szene gab.«

War das wirklich erst gestern Abend? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit …

»O Gott, ja … O Vic, der Job hat mir wirklich Spaß gemacht, ich liebe die Atmosphäre im Bartolo’s«, sage ich aufrichtig. »Es tut mir so leid, ich nehme an, das wirft kein gutes Licht auf Sie …«

»Ich habe von Ricky und Vinnie heute im Club die ganze Geschichte erfahren.«

»Angelo ist viel zu nervös«, unterbricht Marie. »So war er schon immer. Er war schon als Kind nervös. Und seine Mutter erst, was für eine hektische Frau. Hypernervös! Ich wundere mich, dass sie es geschafft hat, ihn aus dem Haus zu bekommen …«

»Marie«, fällt Vic ihr warnend ins Wort. Sie rollt grinsend mit den Augen und widmet sich wieder ihrem Eis. Vic wendet sich zu mir und sagt überraschenderweise: »Nun, es ist jedenfalls gut, dass Sie sich verteidigen können. Und nun haben Sie also einen neuen Job, hm? Denken Sie, dass Sie dieses Mal länger durchhalten werden?«

»O ja«, sage ich. »Versprochen.«

»Wie geht es dir, Tante Marie?«, fragt Julia. »Was macht die Hüfte?«

»Oh, kein Grund zur Klage. Coco, Schätzchen, würdest du mir die Treppe hinaufhelfen? Ich möchte mich hinlegen. Victor, auch für dich ist es Zeit auszuruhen, hörst du?«

»Seit wann hast du hier das Sagen?«

Während Coco Marie behilflich ist, bietet Julia Vic ein Bier an, aber er lehnt ab. Er scheint damit zufrieden zu sein, sich an das Treppengeländer zu lehnen und einfach die Abendsonne zu genießen.

»Du hast sehr große Ähnlichkeit mit deiner Tante Jo, weißt du?«, bemerkt er Julia gegenüber. »Und Coco kommt ganz nach eurer Mutter.«

»Ich weiß«, erwidert Julia. »Je älter Coco wird, desto mehr erinnert sie mich an Mom. Ich glaube, das ist ihr selbst gar nicht bewusst.«

Coco stürmt in diesem Moment aus der Erdgeschosswohnung und rennt, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hoch. Wenige Sekunden später erscheint sie wieder unten mit einem Korb selbst gebackener Blaubeer-Muffins.

»Maries Lieblingsgebäck«, sagt sie und hüpft in Vics und Maries Wohnung.

»Jawohl, genau wie eure Mutter. Die hat auch immer leckere Sachen gebacken und war so hilfsbereit«, sagt Vic.

»Mom war die Beste«, erwidert Julia. Es entsteht eine kleine Pause, in der keiner etwas sagt.

»Gut, ich gehe mal besser rein und sehe nach diesen phänomenalen Muffins«, sagt Vic. »Ich darf nicht zulassen, dass meine Schwester alle allein verputzt. Zum Sonnenuntergang bin ich wieder hier.«

»Eine meiner frühesten Erinnerungen ist die, wie wir an Sommerabenden hier draußen saßen, zusammen mit Vic und Marie und meiner Mom, und die Welt beobachteten«, sagt Julia, halb zu sich selbst.

»Ich mag die beiden wirklich«, sage ich.

»Ich auch. Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, dass sie im Haus sind … Es ist, als würde es in Wirklichkeit ihnen gehören. Oder als würden sie zum Inventar gehören.«

»Hat Vic eigentlich Kinder?«, frage ich.

Julia schüttelt den Kopf. »Nein. Ich glaube, meine Familie mütterlicherseits ist Anfang der Sechziger hier eingezogen. Vic hat von Anfang an unten gewohnt, und Marie zog später bei ihm ein, als ihr Mann starb. Sie sind wie unsere Familie.« Sie fängt meinen Blick auf und lächelt, aber ihre Augen sind traurig.

Ich halte ihr meine Bierflasche entgegen. »Auf Freunde, die wie Familie sind.«

Wir stoßen an und trinken.

Eine Stunde später sitzt Coco wieder bei uns auf der Treppe, und ich bin ziemlich beschwipst von dem Bier. Ich habe einen Truck! Ich mache mich selbstständig! Ich starte eine neue Karriere!

Wir reden gerade über Männer. Beziehungsweise über, wie Coco sagt, Jungs.

Ich erzähle den beiden von Jonah. »Fazit: nicht mein Typ. Nicht einmal für ein kleines Abenteuer.«

»Du möchtest dich verlieben.« Coco nickt wissend.

»Auf keinen Fall. Ich wäre damit zufrieden, jemanden über einen längeren Zeitraum sympathisch zu finden. Und regelmäßig Sex zu haben.«

»Oh, bitte. Seit ungefähr vierzehn Monaten war niemand mehr an meiner Zuckerdose.« Julia blickt uns mit traurigen Katzenbabyaugen an.

»Ich wünschte, du würdest nicht Zuckerdose dazu sagen«, erwidere ich.

»Warum nicht? Soll ich etwa Mumu sagen so wie du?«

»Hey, beleidige nicht meine Mumu. Sie hat mich noch nie enttäuscht.« Ich unterbreche mich kurz. »Eigentlich enttäuscht sie mich ständig, das kleine Miststück.«

»Ich habe überlegt, ob ich in einen Verein eintreten oder einen Kurs belegen soll, um Männer kennenzulernen. Habt ihr schon mal von der Brooklyn Brainery gehört? Und in der Union Hall kann man Boccia spielen.«

»Ich denke, wir sollten uns auf ältere Männer konzentrieren«, sage ich. »Jungs in unserem Alter brauchen länger im Ofen.«

»Ja«, sagt Julia. »Wisst ihr, ich glaube, die halten mich ohnehin für seltsam, weil ich ehrgeizig bin und mein Job mir wichtig ist.« Sie runzelt die Stirn und knibbelt an dem Etikett ihrer Bierflasche.

»Alles, was man wirklich braucht, ist ein netter, schöner und schlauer Mann«, sage ich. »Aber es hat den Anschein, als würden die Männer immer nur zwei von den drei Kriterien erfüllen.«

»Außerdem muss er witzig sein«, sagt Julia.

»Und er muss Humor haben«, füge ich hinzu.

»Ganz deiner Meinung. Und er darf nicht weniger wiegen als ich, und es muss ein Akademiker sein.«

Coco beobachtet Julia und mich wie ein Kind bei einem Tennismatch, während wir die Liste der Attribute aufzählen.

»Aber wie sollen wir ältere Singlemänner finden, die nett sind, gebildet, witzig und schön?«, fragt Julia.

»Vielleicht bei dir in der Bank?« In meiner Vorstellung ist Julias Arbeitsplatz eine Mischung aus Wall Street 2 und American Psycho. »Komm schon. All diese durchtrainierten Männer in Anzügen …«

»Vergiss es«, sagt Julia. »Jedenfalls nicht in meiner Abteilung. Dort sitzen nur Angeber der allerschlimmsten Sorte. Und von den älteren Kollegen redet keiner mit mir. Es ist, als wäre ich Luft für die.«

»Wahrscheinlich verstößt das gegen die Geschäftsetikette«, spekuliert Coco. »Du weißt schon … sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.«

»Das bezweifle ich. Die meisten von denen haben nämlich was mit ihrer Sekretärin«, sagt Julia und seufzt. »Sie widern mich an. Was soll’s, ich würde sowieso nie was mit einem Kollegen anfangen. Ich kann es nur nicht leiden, ignoriert zu werden. Wie soll ich also einen Mann kennenlernen?«

»Auf der Smith Street ist eine Salsa-Schule«, sagt Coco.

»Salsa? Scheiße, bloß nicht«, sage ich. »Ganz einfach. Geh in eine Kneipe. Dort triffst du immer Männer. Such Blickkontakt. Warte zwanzig Minuten. Voilà.«

»Klar, als ob es so einfach wäre«, entgegnet Julia und rollt mit den Augen. »Und was für eine Art von Qualitätskontrolle soll das dann sein? Ich könnte an einen total blöden Typen geraten!«

»Die Welt ist voller Pissbacken«, sage ich und nicke. »Die Frage ist nur, wie heiß sie sind.«

Coco kichert, und Julia stöhnt.

»Ihr Süßen!«, sagt jemand. Es ist Angie, die hicksend und leicht schwankend auf uns zukommt. »Ich war den ganzen Nachmittag in … So… SoHo, in der Spring Lounge mit Lord Hugh. Die Drinks waren ziemlich st… stark.«

»Dann wird es wohl langsam ernst mit dem guten Lord?«

Ich würde Angie am liebsten auf ihre Auseinandersetzung mit dem Kerl auf dem Flohmarkt ansprechen, aber ich weiß, dass sie vor den anderen niemals den Mund aufmachen wird.

»Ah, Hugh … mein Herr und Erlöser«, sagt sie und sieht dann blinzelnd in den Himmel. »Sorry, Gott. Du weißt ja, das war bloß ein Sch… Boa!« Sie fällt von der Stufe. »Uups! Nein, schon gut, alles okay, hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter …«

»O Mann, die ist ja hackedicht«, sagt Julia.

Ach nee.

»Ich will ausgehen!«, schreit Angie. »Lasst uns einen draufmachen!« Sie fängt an schattenzuboxen, ihre Handtasche schwingt vor und zurück. »Au, au, aua. Schwerer Brusttreffer.«

Ich stehe auf und nehme ihren Arm, um sie die Treppe hochzugeleiten. Julia steht auch auf und stützt Angie von der anderen Seite. »Na los, du Schluckspecht. Hoch mit dir.«

»Ich bin nicht von der Sorte, verdammt noch mal …« Angie steigt ganz langsam die Treppe hoch. »Blowjobs sind ein Privileg, kein Recht«, brummelt sie vor sich hin.

»Was?«, sagen Julia und ich gleichzeitig und brechen in hysterisches Kichern aus.

»Ich werde ihr einen Toast und einen heißen Tee machen«, sagt Coco, die uns ins Haus folgt.

»Sie isst keinen Toast«, sagt Julia. »Kann vielleicht jemand einen Seebarsch für sie häuten?«

»Verdammt, ich hab Kohldampf«, schimpft Angie. »Her mit den Kohlenhydraten!«

Eine Stunde und sieben gebutterte Toastscheiben später verliert Angie das Bewusstsein. Ich muss sie im Auge behalten … Sie strahlt eine fatalistische Aura der Selbstzerstörung aus. Ich kenne das gut. Ich hatte das nach Eddie.

Coco und ich verziehen uns in die Küche, um über Backrezepte zu reden, während Julia und Madeleine sich im Wohnzimmer eine Nicholas-Sparks-Verfilmung anschauen. Ich kann mit so einem Gefühlszeugs nicht umgehen. Warum sollte ich heulen wollen? Und warum sitzen sie alle an einem Samstagabend zu Hause, obwohl Jules sich vorhin beschwert hat, dass sie keine Männer kennenlernt? Ich bin hier, weil ich arbeite. Das ist etwas völlig anderes. Und, seien wir ehrlich, saukomisch.

Coco kennt sich wirklich aus mit fettarmen Backrezepten. So verwendet sie für Kuchen zum Beispiel Dosenkürbis oder Apfelmus statt Öl und Butter. Wir sind uns beide einig, unter allen Umständen auf Maissirup wegen seines hohen Fruchtzuckergehalts und auf künstliche Süßstoffe (die meisten davon blähen mich auf wie ein Michelin-Männchen) zu verzichten. Coco schlägt als Ersatz biologischen Rohrzucker, Agavendicksaft oder Fruktose vor.

»Klingt perfekt. Ich werde morgen zwei einfache Salate vorbereiten«, überlege ich laut. »Dann muss ich nur noch die Beschriftung auf dem Truck ändern, damit ich gleich am Montagmorgen loslegen kann. Kinderleicht!«

»Kinderleicht«, zwitschert Coco mir fröhlich nach.

Ich mache eine Einkaufsliste für den Supermarkt morgen. Ich bin froh, dass ich noch tausend Dollar übrig habe von dem Kredit, nachdem ich den Truck bezahlt habe. Ich glaube, die werde ich brauchen.

»Das ist so aufregend!« Cocos Optimismus ist unglaublich. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ihre Worte in Wirklichkeit ironisch gemeint sind. »Ich bin überzeugt, dass deine Idee mit dem Truck total einschlagen wird.«

Sie streicht über den Rücken eines Buchs, das sie gerade liest: Anne & Rilla, Der Weg ins Glück von L. M. Montgomery. Vorsichtig schlägt sie den Einband auf und fährt mit den Fingerspitzen gedankenverloren über den Namen, der dort steht. Kim Lucalli. Ihre Mutter.

»Danke, Coco«, sage ich.

»Du hast überhaupt keine Angst. Das ist …«, sagt sie und blinzelt mich mit ihren riesigen blauen Augen an.

»Doch, manchmal habe ich schon Angst«, gestehe ich. »Aber ich versuche sie dann immer zu ignorieren, in der Hoffnung, dass sie wieder verschwindet. Aber ich bin auch total aufgeregt. Ich habe heute mindestens hundert Leute gesehen, die so einen Truck betreiben. Wenn die das können, kann ich das auch.« Davon bin ich wirklich überzeugt … und jedes Mal, wenn ich das denke, macht mein Herz einen kleinen Freudenhüpfer. SchlankMobil! Was für eine Idee!

»Und was ist mit dir, Süße? Wie läuft’s auf der Arbeit?«

Coco zuckt mit den Schultern. Sie redet nie über die Kindertagesstätte, in der sie arbeitet. Ich versuche es mit einem anderen Thema. »Und was macht die Liebe? Gibt es irgendeinen, der dich interessiert?«

»Ja! Äh … ich bin …«, ein tiefer Stoßseufzer, »… in meinen besten Freund Eric verliebt, seit ungefähr vier Jahren schon. Ich weiß, eines Tages werden wir zusammenkommen. Wir verstehen uns so gut …«

»Wirklich?«, frage ich. Meiner Erfahrung nach sind Frauen, die »Ich weiß, eines Tages werden wir zusammenkommen« sagen, nur wenige Schritte vom Wahnsinn entfernt.

»Wir haben früher in derselben Straße gewohnt. Ich hab ihn jeden Morgen zur Highschool mitgenommen, nachdem er sein Auto zu Schrott gefahren hatte, und wir haben immer stundenlang geredet … Das Problem ist, dass Eric mich nur als gute Freundin betrachtet. Ich bin nicht besonders toll im … du weißt schon … im Flirten. Und seit wir von der Highschool weg sind, ist es nicht leicht, den Kontakt zu halten.« Sie seufzt wieder. »Er hat mit Emily geschlafen, meiner ehemals besten Freundin.«

»Nein«, sage ich. »Wie mies.«

»Total mies«, bekräftigt Coco. »Aber er konnte nichts dafür. Er war betrunken, und sie hat das gnadenlos ausgenutzt.«

»Er ist bestimmt gestolpert und versehentlich in ihrer Vagina gelandet.«

Coco muss gegen ihren Willen lachen. »Nein! Ich wünschte, er hätte es nicht getan, aber er wusste ja nicht, wie viel er mir bedeutet. Emily dagegen schon … Ich kann einfach nicht anders, ich habe ihn immer noch gern.« Sie ist dem Wahnsinn doch nicht so nahe, wie ich befürchtet habe. Das ist beruhigend. »Warst du jemals richtig verliebt?«

»Nein«, antworte ich spontan. »Das heißt, schon, aber … Es ist unwichtig. Wo treibt Eric sich denn heute Abend rum? Vielleicht können wir irgendwohin gehen, wo wir ihn treffen.«

»O nein, er ist in Yale«, sagt sie ernst. »Aber du kannst mir vielleicht sagen, wie ich den Übergang von Freundschafts-SMS zu Flirt-SMS schaffen kann?«

»Sei ironisch. Sei smart. Männer lieben Überraschungen … ab und zu einen kleinen geistigen Schlagabtausch.«

Coco sieht mich mit gequältem Blick an, ihre Fingerspitzen trommeln auf Anne & Rilla herum. »Was meinst du damit?«

»Flirten ist nur ein Spiel. Es ist kinderleicht. Pass auf, ich zeige es dir.«

Ich schnappe mir mein Handy und blättere das Adressbuch durch. Mit wem kann ich üben? Thompson ignoriere ich zurzeit, was ihm scheinbar ohnehin nicht auffällt, Dave … nein! Jonah … zur Hölle, nein! Matt H. … klares Nein! Matt W. … nein! Mike.

Mike! Perfekt. Er hat in den letzten zwei Wochen ungefähr sechzehnmal angerufen oder gesimst, aber ich war einfach zu beschäftigt und zu sehr im Stress, um ihm zu antworten. Ich bin ihm was schuldig.

»Okay, ich würde also Folgendes schreiben, um seine Aufmerksamkeit zu wecken …«, sage ich, während ich tippe: Superstressige Woche. Belohne mich gerade mit Doritos und Bier. Werde ich allmählich alt?

»Das ist genial!« Coco lacht wieder.

»Und nun warten wir auf die Antwort.« Ich stehe auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. Das Glas ist noch nicht voll, als die Antwort kommt.

»Das ist aber einer von der schnellen Sorte!« Cocos Begeisterung ist deutlich größer als meine.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und lese laut vor: »Hm, das muss nichts heißen. Oder hast du dir in letzter Zeit einen Porsche und/oder eine Haartransplantation geleistet?«

Nun ziehe ich beide Augenbrauen hoch. Originelle Antwort. Hätte ich gar nicht von ihm erwartet.

»Schreib ihm, dass du dir einen Truck gekauft hast!«, quiekt Coco. »Frag ihn, ob er sich mit dem Schaltknüppel auskennt.«

»Das ist zu offensichtlich zweideutig, Süße … Okay, normalerweise würde ich nicht direkt antworten, aber für diese Lektion mache ich eine Ausnahme. Wie wäre es damit? Weder noch, sondern einen rosaroten Truck. Ich finde, der bringt meine Augenfarbe zur Geltung.

Und dann geht es munter hin und her:

Du verarschst mich. Das muss ich sehen

Wenn du brav bist, dann darfst du vielleicht, aber nur vielleicht, eines Tages auf dem Beifahrersitz mitfahren.

Wow. Bist du bestechlich? Wie wäre es mit einem Drink? Wann hast du Zeit?

»Siehst du?«, sage ich zu Coco und lege das Handy weg. »Kinderleicht. Jetzt bist du dran.«

»Aber für dich ist es einfacher. Er ist ja offensichtlich in dich verliebt«, erwidert Coco bedrückt.

»Nein, ist er nicht«, widerspreche ich entschieden. Das kann er gar nicht sein, richtig? Schließlich war es nur ein One-Night-Stand. »Also, was stand in deiner letzten SMS an Eric?«

»Äh … ich habe ihn gefragt, ob seine Mutter was für Weihnachtssterne übrig hat«, antwortet sie und beißt sich auf die Unterlippe. »Ich hatte schon länger nichts mehr von ihm gehört, darum wollte ich nur mal eben Hallo sagen, weißt du, einen kurzen Gruß schicken …«

»Ein kurzer Gruß hat in einer Flirt-SMS nichts zu suchen«, sage ich. »Und so leid es mir tut, Coco, aber solche Fragen in einer SMS sind meistens nur ein plumpes Heischen um Aufmerksamkeit.«

»Ich dachte, ich benötige einen legitimen Vorwand, um Kontakt aufzunehmen, weißt du?«

»Wir haben September. Bis Weihnachten ist es noch Monate hin. Egal. Was hat Eric geantwortet?«

Sie zeigt mir die Nachricht. Weiß nicht genau … frag lieber meine Schwester.

»Wow«, sage ich. »Ein Mann der wenigen Worte.«

»Ich überlege immer noch, was ich darauf antworten soll.«

»Wie wäre es mit: Wow, du wirst bestimmt Sohn des Jahres. Gute Arbeit, Tiger.«

»Ich kann doch nicht Tiger schreiben!«, kreischt Coco.

»Was hast du schon zu verlieren?«

Mit einem leisen »Au weia!« tippt Coco die SMS und sieht mich dann mit einem frechen Lächeln an. Sie ist bildhübsch mit ihren großen Kulleraugen und den naturblonden Haaren. Sie müsste sich nur ein bisschen schminken. Und vielleicht die Augenbrauen zupfen. Und aufhören, Klamotten anzuziehen, die vier Nummern zu groß sind. Coco hat eine tolle Figur, viel Oberweite und richtige Kurven. Früher in der Highschool, wo wir uns kennenlernten, war sie viel pummliger. Ich glaube, sie trägt immer noch dieses Bild von sich im Kopf.

Ihr Handy summt. Wer bist du? Die Elternpolizei?

»Ich sollte antworten: Ja, Beine auseinander!«, sagt Coco und lacht über ihre eigene Courage.

»Versuch es mit … Schon möglich. Oder auch nicht. Ich schätze, wir werden es nie erfahren.«

Eric antwortet umgehend. Wie bekommt dir eigentlich das Leben in der großen Stadt, Miss Coco?

»Jetzt ignorierst du ihn«, sage ich bestimmt.

»Was?«, entgegnet Coco. »Aber er hat mich was gefragt! Endlich! Sonst fragt er mich nie was in seinen SMS. Ich muss immer die Fragen stellen.«

»Trotzdem, du wartest bis morgen. Dann schreibst du ihm: Die große Stadt verpasst mir immer wieder einen schlimmen Brummschädel. Zumindest mache ich sie dafür verantwortlich. Es kann nicht am Alkohol liegen … Damit gibst du ihm zu verstehen, dass du samstagabends ausgehst.«

»Aber das stimmt nicht. Ich bin nämlich pleite. Ich hab noch genau fünfundsechzig Dollar. Damit muss ich bis übernächste Woche auskommen.«

»Das spielt keine Rolle. Eric soll ruhig glauben, dass er nur einer von vielen Männern ist, denen du SMS schickst. Warte bis morgen, und er wird den ganzen Abend an dich denken.«

»Ah …«, sagt Coco, der nun endlich ein Licht aufgeht. »Gott, wie cool ist das denn! Ich male mir oft aus, wie es zwischen uns funkt, nachdem wir jahrelang nur beste Freunde waren. Das wäre so romantisch. Meine Eltern waren auch jahrelang nur befreundet, bevor sie ein Paar wurden, hast du das gewusst? Irgendwann haben sie sich ineinander verliebt.« Sie stößt ein glückliches Seufzen aus. »Genau das wünsche ich mir auch.«

»Ich hasse Romantik«, sage ich. »Und Liebe hält nicht ewig.«

»Tut sie wohl!«, widerspricht Coco entrüstet. »Man muss nur dafür kämpfen!«

»Man sollte für gar nichts kämpfen müssen.«

Mein Handy summt wieder. Es ist eine Nachricht von Angie. PARRRTYYHHHJJKt887!

»Ich dachte, Angie wäre oben …«, murmle ich.

»Angie?«, sagt Coco. »Nein. Ich habe vorhin auf dem Weg zum Bad gesehen, wie sie aus dem Haus ging.«

»Scheiße.«

Wenn Angie nicht einmal richtig simsen kann, ist sie in keiner guten Verfassung.

Ich antworte: Bist du okay?

Sie antwortet: SCHEISSMMJA! 4 Griippetablett und Dr Peppetfw mit Tequilll. Im Taxi zur Lwer Eas tSde, Eckee Ludlow/Grand. Komms du?

Ich bin keine überfürsorgliche Freundin, wirklich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass hier was nicht stimmt. Also laufe ich nach oben, um ein Kleid ohne Essensspuren anzuziehen und hochhackige Schuhe. Wenn ich ganz ehrlich bin, freue ich mich, einen Vorwand zu haben, mich aufzustylen. Ist das oberflächlich? Was soll’s.

Bevor ich aufbreche, gehe ich noch kurz zu Coco in die Küche. Sie sitzt am Küchentisch mit einer heißen Schokolade und liest in ihrem Buch.

»Weißt du was?«, sage ich, »vielleicht gibt es doch etwas, für das man kämpfen sollte. Für seine Freunde.«