25

Defekte Bremsbeleuchtung.

Missachten einer roten Ampel.

Rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr.

Fahrerflucht nach einem Unfall.

Fehlende Betriebsgenehmigung.

»Es tut mir wirklich leid, Sir, die Lizenz läuft auf den Namen der Vorbesitzerin. Ich bin noch nicht dazugekommen, sie umschreiben zu lassen. Und das Bremslicht ist erst seit fünf Minuten kaputt. Äh … à propos … Da ist so ein Typ, ein Irrer, ich glaube, er steht unter Drogen, der fährt ein rotes Auto und ist gerade auf dem Weg zu unserem Haus auf der Union Street in Brooklyn.« Ich gerate ins Schwafeln, aber ich kann nicht anders. »Er wird alle Fenster einschlagen und meiner Mitbewohnerin vielleicht etwas antun …«

Der Polizist wirkt sehr zufrieden mit sich selbst. Ich nehme an, das ist für ihn ein Glücksfall: Er war zunächst einem anderen Wagen gefolgt, weil die Fahrerin einen betrunkenen Eindruck machte, und als ich über Rot fuhr und das Fahrzeug der Frau rammte, machte er einen doppelten Fang. Der betrunkenen Fahrerin geht es gut. Sie ist zwar kaum bei sich, aber unverletzt, Gott sei Dank.

»Das mag ja sein, Ma’am, aber wir werden Ihr Fahrzeug trotzdem beschlagnahmen müssen«, sagt der Polizist.

»Was?«, rufe ich. »Sind Sie verrückt? Das geht nicht! Ich muss dringend nach Hause!«

»Ma’am, bitte, beruhigen Sie sich.«

»Aber das können Sie nicht machen! Sie können nicht … ich kann nicht …« Ich sehe auf Toto, den schönen rosaroten Toto, blind mit seinen kaputten Scheinwerfern. »Lassen Sie mich einfach nach Hause fahren, und ich verspreche Ihnen, dass ich danach auf die Wache komme, damit wir alles klären können. Ich verspreche es.«

»Ma’am, beruhigen Sie sich.«

»Ich bin ruhig!« Ich klinge mit jedem Wort hysterischer. »Lassen Sie mich gehen! Das ist mein Ernst!«

»Ma’am, sprechen Sie bitte leiser und händigen Sie mir den Wagenschlüssel aus.«

Toto aushändigen? Den Schlüssel für die einzige Sache aushändigen, die zwischen mir, einem Kredithai und meinen Eltern steht? In der ein Umschlag mit zehntausend Dollar unter dem Sitz versteckt ist? Nein. Niemals.

Also mache ich den größten Fehler meines – seien wir ehrlich – von Fehlern erfüllten Lebens.

Ich nehme die Arme hoch und gebe dem Polizisten einen Schubs, nur ganz leicht. Zwanzig Minuten später sitze ich auf dem Rücksitz eines Streifenwagens, in Handschellen, während wir durch Manhattan brausen.

Es stellt sich heraus, mit einem Polizisten herumzustreiten, ihn zu schubsen und zu versuchen wegzulaufen, ist ungefähr dasselbe wie Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Beziehungsweise … genau dasselbe.

Die nächsten paar Stunden vergehen wie in einem Nebel. Ich werde durchsucht, von meinen Habseligkeiten befreit, dann werden mir meine Vergehen vorgelesen, ein Polizeifoto wird gemacht, und ich werde gefragt, ob ich auf Medikamente angewiesen bin oder auf andere Drogen. Ich kann mich auf das meiste kaum konzentrieren, die Worte rauschen einfach an mir vorbei, manche mit einer Bedeutung, andere ohne. »Gewahrsam« und »Anklageerhebung morgen früh« dringen heraus.

Und so kommt es, dass ich die Nacht in einer Sammelzelle im Manhattan Central Booking verbringen muss.

Ich bin so außer mir vor Angst wegen Nolan und Cosmo, dass ich zuerst gar nicht an die zehntausend Dollar denke, die unter Totos Sitz versteckt sind. Dann fällt es mir wieder ein, und mein Gehirn schnellt zwischen den beiden Sorgen hin und her wie ein Pingpongball. Ich kann mich weder mit dem einen noch mit dem anderen Problem an die Polizei wenden, weil es so dubios klingt. Ich bin von einem drogenabhängigen Schläger bedroht worden, der für einen Kredithai arbeitet? Ich meine, ist es überhaupt legal, mit einem Kredithai Geschäfte zu machen? Und was würde die Polizei wohl davon halten, dass unter dem Sitz meines Trucks zehntausend Dollar versteckt sind? Sie würden mich sicher für eine Drogendealerin halten.

Was für ein dämlicher Idiot manövriert sich in ein solches Chaos?

Spart euch die Antwort.

Aber der Polizeigewahrsam ist wahrscheinlich der sicherste Ort für zehntausend Dollar, oder? Wer beklaut schon die Polizei? Genau, niemand. Als ich schließlich in die fensterlose Zelle gebracht werde, in der ich wohl die Nacht verbringen darf, komme ich zu dem Schluss, dass ich mir nur wegen Nolan Sorgen machen muss. Und das ist schon mehr als genug.

Es ist kurz nach neun, als ich in die Zelle komme. Es ist kein dunkles, winziges Verlies, wie ich mir ausgemalt habe. Die Zelle ist ungefähr viereinhalb mal sechs Meter groß und grell erleuchtet von migräneverursachendem Neonlicht, das den anämischen schimmelgrünen Wänden nicht schmeichelt. Und es stinkt – dank der zugeschissenen Kloschüssel in der Ecke, wie ich annehme.

In der Zelle sind schon ungefähr sechzehn andere Frauen. Die Hälfte davon ist betrunken oder high. Die andere Hälfte sitzt still auf der Metallbank, die an den Wänden entlangläuft, mit geschlossenen Augen, als ein Versuch, sich in sich selbst zurückzuziehen. Ich nehme an, man findet unwillkürlich Privatsphäre, wenn man die Augen schließt, egal, wo man sich befindet.

»Willkommen in der Gruft, Bollywood!«, ruft jemand.

Ich ignoriere das und auch die Angst, die plötzlich in mir hochsteigt. Ich bin allein. Im Knast. Ich finde schnell heraus, dass das Münztelefon kaputt ist, also versuche ich, obwohl ich die anderen Frauen in der Zelle nicht stören möchte, die Aufmerksamkeit des Wachpersonals auf mich zu lenken.

»Entschuldigung, Ma’am?«, rufe ich zögernd. »Ich müsste mal telefonieren. Bitte! Ich muss dringend jemanden anrufen!«

Nichts. Kein Mucks.

Ich versuche es wieder.

»Verzeihung? Ma’am? Officer? Ich muss telefonieren! Ich muss dringend jemanden warnen!«

Nichts.

Ich räuspere mich und schreie: »HAAALLOOO

»HALT DIE SCHNAUZE

Ich wirble herum. Direkt hinter mir steht eine Frau. Eine hagere gelbblonde Erscheinung, das Wort PEACHES auf dem Hals tätowiert.

»Tut mir leid«, sage ich mit leiser Stimme.

Peaches sieht mich mit schmalen Augen an. »Fuck! Was ist dein verficktes Problem?«

Ich fange an zu stammeln. »Ich versuche nur, jemanden zu warnen … weil … da ist dieser Irre und …«

»Da ist immer ein Irrer«, ruft eine Frau aus der Ecke. »Wir haben es alle mit Irren zu tun!«

Die Frauen in der Zelle lachen, und mein Magen revoltiert vor Panik.

»Aber er … er ist gefährlich«, murmle ich.

Peaches starrt mich nieder. Sie riecht nach Zimtkaugummi und Bourbon.

»Gefährlich?«, sagt sie. »Tja, dann sollte man das Herzchen hier sofort rauslassen!«

Wieder kringeln sich alle vor Lachen.

»Ich brauche nur ein Telefon, okay?«, sage ich. »Ich muss dringend jemanden anrufen.«

»Warum? Was ist so wichtig, dass es nicht warten kann? Und woher kommst du überhaupt?«

Das reicht.

Ich sehe ihr direkt in die Augen. »Ich bin aus Brooklyn. Ich habe mir zehntausend Mäuse von einem Kredithai geliehen, der seine Schläger losgeschickt hat, um meinen Truck zu demolieren, mein Geschäft zu sabotieren und meine besten Freundinnen zu bedrohen, und wenn ich nicht ganz schnell telefonieren darf, werde ich die ganze Nacht herumbrüllen. Kapiert?«

Peaches dreht sich zu den Gitterstäben. »OFFICER! WIR BRAUCHEN SOFORT EIN VERDAMMTES TELEFON! MEDIZINISCHER NOTFALL!« Sie scheint zu wissen, wie man hier auf sich aufmerksam macht. Als ich aus der Zelle gehe, klatscht sie mich ab. »Viel Glück, Bollywood!«

Ich habe natürlich meine Handtasche nicht mehr, und ich kann keine einzige Nummer auswendig. Weiß heutzutage noch jemand eine Telefonnummer auswendig? Ich kann mir ja kaum meine eigene Nummer merken. Wie kann man sich in einer derart übervernetzten Welt so leicht verirren? Ich beschließe, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, und wähle den Operator.

»Vermittlung.«

»Ich möchte bitte ein R-Gespräch anmelden mit Julia Russotti, Union Street, Brooklyn.«

Es entsteht eine kurze Pause.

»Es gibt in Brooklyn keinen Eintrag unter diesem Namen, Ma’am.«

Mist, verdammter. Der Festnetzanschluss läuft nicht auf Julias Namen. Die Telefonrechnungen gehen direkt an ihren Vater – sie sind in der Warmmiete enthalten. Aber an dem Tag, als wir eingezogen sind, lag alte Post unter der Tür, adressiert an Julias Tante Jo … sie hieß Jo … Jo …

»Versuchen Sie es mit Jo Lucalli.«

Einen Moment später klingelt es in der Leitung, und dann nimmt eine atemlos klingende Julia das R-Gespräch an.

»Pia! O mein Gott. Gott sei Dank … Wo zum Teufel steckst du? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!«

»Ist das Haus okay? Geht es allen gut?«

»Ja, alles gut, wir sind okay. Wo bist du?«

»Ich bin … ich bin im Knast. Und ihr hattet keinen Besuch? Coco oder Vic oder Marie ist nichts passiert?«

»Nein, nichts, uns geht es allen gut … Sorry, was hast du eben gesagt, wo bist du?«

»Ich bin im Knast, Julia.«

Einen Sekundenbruchteil später wird mir bewusst, wie irrsinnig diese Aussage klingt, und ich lache unkontrolliert los. Pia Keller: verwöhnte Prinzessin, internationales Partygirl, Elite-Uni-Absolventin, gescheiterte PR-Frau, Kredithaikundin, Food-Truck-Besitzerin und nun … Knastschwester.

Es ist zum Totlachen.

Julia lacht allerdings nicht mit. Sie sagt immer wieder: »Was ist denn los? Was ist denn los?«

Schließlich habe ich mich wieder so weit beruhigt, dass ich normal sprechen kann.

»Also, kannst du bitte morgen kommen und ein Scheckheft mitbringen? Ich muss eine Geldstrafe zahlen. Es tut mir schrecklich leid, du bekommst es auch ganz schnell zurück. Ich hole das nächste Woche mit dem SchlankMobil wieder rein.« Gott sei Dank liegen meine zehntausend Dollar sicher unter Totos Beifahrersitz, irgendwo auf einem Abstellhof hinter Schloss und Riegel.

»Eine Geldstrafe? Ich meine … Ja, sicher kann ich morgen kommen, aber können wir nicht sofort etwas tun? Können wir dich sehen?«

»Nun, nein, ihr könnt nicht einfach vorbeischauen, um Hallo zu sagen, ich meine … Ich bin im Knast«, sage ich und fange wieder an zu lachen, völlig hysterisch.

»Pia, was zum Teufel ist passiert?«

Ich erkläre Julia alles so rasch wie möglich. Sie ist nicht allein – zwischendurch gibt sie meine Neuigkeiten stichwortartig an Coco, Angie und Madeleine weiter. Ich kann im Hintergund ihre Reaktionen hören: »O mein Gott!«, »Leck mich!« und »Sag ihr, sie soll sich die Hände waschen, nachdem sie das Telefon benutzt hat.«

»Also, Nolan war nicht hier«, sagt Julia, als ich fertig bin. »Von uns hat ihn keiner gesehen.«

»Nein? Seid ihr sicher?«

»Absolut sicher.«

»Und ihr seid wirklich alle okay?«, frage ich wieder.

Nolan ist nicht aufgetaucht? Was ist wohl passiert?

»Uns geht es gut«, antwortet Julia. »Wir sind alle hier. Wir sind einfach nur froh, dass dir nichts fehlt.«

»Oh … Ich vermisse euch.« Plötzlich wird mir bewusst, dass es nichts mehr zu sagen gibt. Und gleich werde ich in der fensterlosen Zelle sitzen bis zum Morgen. »O Gott … ich leg jetzt besser auf.«

»Kommst du klar?«, fragt Julia.

»Ja.« Meine Stimme klingt sehr hoch und erstickt. Tränen bilden sich in meinen Augen und überschwemmen meine Wangen, richtig dicke Kullertränen, die einfach nicht versiegen. »Vielen, vielen Dank. Du bist die Beste. Ihr seid die Besten … Ich wüsste nicht, was ich ohne euch tun würde. Ihr seid das Beste in meinem Leben.«

»Pass auf dich auf, ja?« Julia klingt, als würde sie gleich weinen. »Wir haben dich lieb. Wir kommen gleich morgen früh vorbei.«

»Okay«, sage ich. Ein schmerzhaft dicker Kloß hat sich in meiner Kehle gebildet. »Ich hab euch auch alle lieb.«

Ich lege auf, und eine Sekunde lang herrscht nichts außer Stille. Ein stiller Flur in einer stillen Polizeiwache in der lautesten Stadt der Welt. Dann bringt mich die Wache wieder zurück in die Zelle, während ich mir auf dem Weg hektisch das Gesicht abwische.

»Und, Bollywood? Hat sich dein Irrer blicken lassen?«, ruft Peaches.

»Er ist abgetaucht«, sage ich. »Ich habe keine Ahnung, wo er ist.«

»Der wird sicher wieder auftauchen«, entgegnet sie. »Das tun sie immer.«

Ich setze mich auf die Bank, abseits in einer Ecke der Zelle. Ich werde nicht mehr weinen. Das hier wird mich nicht zerbrechen.

Und dann schließe ich die Augen und konzentriere mich auf unser Heim. Ich denke an die abblätternde Rosentapete und an die knarrenden Holzdielen unter dem Teppichboden. Ich denke an den Ausblick von meinem Zimmer auf die Union Street und daran, wie sich der Couchbezug an meiner Wange anfühlt, wenn wir zusammen vor dem Fernseher abhängen. Ich denke an Vic und Marie, die unter uns wohnen und über uns wachen. Und ich denke an den Küchentisch und daran, wie es ist, wenn wir alle darum versammelt sind.

Und plötzlich werde ich ganz ruhig.

Ich werde das überstehen.