13

»Ich geh eine rauchen«, murmle ich Coco zu und verlasse eilig die Bar.

Draußen lehne ich mich gegen eine Mauer und versuche zu atmen und gleichzeitig zu denken. Das sollte eigentlich nicht so schwierig sein, aber für mich gerade schon. Eddie ist hier? In New York? Auf denselben Straßen unterwegs wie ich? Ein Teil von mir würde am liebsten zurücksimsen: Hat er nach mir gefragt? Wie sah er aus? Was hatte er an? War er in weiblicher Begleitung? Was hatte sie an? Und ungefähr eine Million weitere Fragen.

Aber ich will es gar nicht wissen. Augenblick, oder doch … Nein, nein, ich will es nicht wissen, ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er hat mir das Herz gebrochen. Ich habe ihm vertraut, und ich habe ihn geliebt, und das war das Dümmste, was ich jemals getan habe.

Eine Sekunde später kommt die nächste SMS. Gott sei Dank kann Angie meine Gedanken lesen. Habe nicht mit ihm gesprochen, nur kurz Hallo gesagt. Er kam gerade herein, als ich rausging … Er sieht aus wie früher. Ohne weibliche Begleitung.

Es kommt mir fast seltsam vor, dass Eddie existiert, absurd, dass er in den letzten vier Jahren irgendwo herumgelaufen ist, gefrühstückt und studiert und ein Leben gelebt hat, während ich um ihn getrauert habe. Ist das nicht schräg?

Ich stecke mir eine Zigarette in den Mund und zünde sie mit zitternden Händen an. Warum klopft mein Herz so laut? Wie kann es sein, dass ich nur den Namen »Eddie« zu hören brauche und er gleich wieder diese Wirkung auf mich hat?

Die nächste SMS von Angie. Süße, bist du noch da? Hätte ich dir das nicht sagen sollen? Möchtest du mich sehen?

Shit, ich sollte besser antworten. Ich muss sie glauben machen, dass alles okay ist. Los, Pia, reiß dich zusammen. Gib dich natürlich! Ja, nein, sicher, danke für die Info. Die Welt ist doch klein. Wir reden morgen.

Yep. Das war richtig natürlich.

Ich drücke meine Zigarette aus und gehe wieder hinein. Julia bestellt die nächste Runde Tequila. Genau. Alkohol. Alkohol ist gut.

»Mehr Tequila!«, rufe ich. »Und Whisky!«

Bloß gut, dass Julia und Coco nicht das Geringste von Eddie wissen. Ich habe nämlich keine Lust zu erklären, warum ich Jahre später bei der Neuigkeit, dass Eddie sich in New York aufhält, quasi einen Nervenzusammenbruch erleide. Viel lieber möchte ich darüber reden, warum Liebe manchmal so beschissen ist.

»Es macht keinen Sinn«, sage ich und kippe meinen – wievielten? – Tequila hinunter. »Überhaupt keinen Sinn. Entweder du verlässt ihn, oder er verlässt dich.«

»Was macht keinen Sinn?«, fragt Julia und hickst. »Und wer verlässt wen?«

»Männer, Liebe, Beziehungen«, sage ich. »Dann besser Single bleiben und nur, ihr wisst schon … Gettbespielen haben … Ich meine, Bettgespielen.«

Julia muss so sehr lachen, dass sie fast von ihrem Stuhl fällt.

»Doch, es macht wohl einen Sinn! Seelenverwandtschaft!«, protestiert Coco, entgeistert darüber, dass ich es überhaupt in Betracht gezogen habe, etwas anderes zu behaupten.

Ich schüttle den Kopf. »Seelenverwandtschaft gibt es nicht. Die Liebe hat nur was mit Hormonen und gutem Timing zu tun.«

Ich blicke mich um. Die Bar ist gefüllt mit attraktiven Brooklynisten, die in den Abend starten, und mein Magen knurrt.

»Hunger«, sage ich, da ein vollständiger Satz plötzlich sehr viel Anstrengung kostet. »Muss essen.«

Julia boxt in die Luft. »Yes! Wohin?«

»Ins Bartolo’s«, antworte ich, und der Gedanke heitert mich augenblicklich auf.

Hurra, in das zauberhafte Bartolo’s, mit dem zauberhaft schönen Jonah. Zum Glück sind wir nur Kumpels. Ich werde nie wieder eine feste Beziehung eingehen. Und ich werde aufhören, ständig an den blöden Eddie zu denken und genauso, wenn ich schon dabei bin, an den blöden Aidan, und ich werde außerdem meine Verliebtheit sofort abstellen. Liebe ist manchmal so beschissen.

Jules, Coco und ich verlassen die Minibar und gehen die Court Street entlang. Die Umgebung ist ein bisschen verschwommen, und es ist warm, und ich stolpere ständig über meine eigenen Füße. Händchen haltend marschieren wir zum Bartolo’s und direkt durch zur Theke, wo Jonah, der zauberhafte Bienenbändiger, gerade eine Flasche Wein entkorkt. Ich freue mich, ihn zu sehen.

»Jonah!«, sage ich und komme, gegen den Tresen prallend, zum Stehen. »Wie zur Hölle geht es dir, mein kleiner Cowboy? Hey, deine Haare sehen toll aus. Hast du sie gefärbt?«

»Du hast ja einen im Kahn!«, erwidert Jonah lachend.

Ich stelle ihm die Mädels vor. Coco und Julia beugen sich über die Theke und küssen ihn auf die Wangen. Mir wird bewusst, dass die beiden sehr betrunken sind. Bin ich auch betrunken?

»Wir haben tierischen Kohldampf«, flüstere ich, während mein Blick auf einen Teller Lasagne mit viel Käse fällt, der gerade an mir vorbeigetragen wird. »Und, arbeitet die Schlampe noch hier? Ich meine, Bianca?«

»Nein, sie hat gekündigt«, sagt Jonah, scheinbar irritiert über meine Ausdrucksweise. »Hey, weißt du was? Ich mache mich auch selbstständig! Als Bienensitter! Zurzeit ist es nämlich angesagt, in der Stadt seinen eigenen Honig zu züchten, weißt du? Aber keiner hat die Zeit oder das Know-how, um sich richtig um die Viecher zu kümmern. Ich werde eine Art Fachmann für Bienen.«

»Der Bienenflüsterer«, sage ich.

»Genau! Der Bienenflüsterer! Toller Name! Du bist gut. Kannst du mich nicht ein bisschen beraten, wie man so ein Start-up aufzieht?«

»Klar!«, sage ich, obwohl, sagt einem das nicht der gesunde Menschenverstand? Kunden gewinnen, ihre Wünsche erfüllen, Geld verdienen. »Jederzeit!«

Plötzlich bekomme ich einen Schluckauf. Ich stecke mir rasch die Finger in die Ohren und schlucke mehrmals (das funktioniert, ich schwöre). Julia beobachtet mich und fängt an, unbeherrscht loszuprusten.

»Hey, warum geht ihr nicht einfach nach hinten in die Küche? Vinnie und Ricky werden sich um euch kümmern.«

»Das ist genau wie in Goodfellas«, sagt Julia.

»Können wir etwas Antialkoholisches zu trinken bekommen?«, fragt Coco. »Ich fühle mich nicht besonders gut.«

»Du brauchst bloß was für den Magen«, erwidere ich. »Meine Jungs! Vincent! Richard!«

Vinnie und Ricky freuen sich witzigerweise über unseren Besuch, obwohl es sicher nicht angenehm ist, dass Betrunkene ihre Küche überfallen. Wir dürfen an einem kleinen Tisch in der Ecke Platz nehmen und bekommen gleich darauf viele kleine Probierteller serviert: frittierte Zucchini, Auberginen-Rollatini, Knoblauchbrot, Büffelmozzarella-Salat, Huhn Romano, Spaghetti Carbonara, Makkaroni-Auflauf, Linguine mit heller Muschelsoße, Mini-Pizzen in allen Variationen … Jeder einzelne Bissen ist köstlich, und wir mampfen in trunkener Begeisterung.

»Ich werde lernen, italienisch zu kochen, das schwöre ich«, sagt Coco.

»Es schmeckt einfach göttlich«, sage ich, den Mund voll mit Spinat-Ricotta-Pizza. »Superlecker.«

Jetzt, nachdem ich etwas gegessen habe, werde ich langsam nüchtern. Komisch, dass das manchmal passiert. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Angie Eddie begegnet ist. Ich frage mich, wo er wohnt beziehungsweise was er macht … Nein, nein, Pia, denk an etwas anderes.

»Eine Frau kann nicht nur von Salat leben«, sagt Julia. »Steck das in deinen Truck und lass es qualmen.«

»Das ergibt keinen Sinn. Außerdem habe ich nie behauptet, dass man nur von Salat leben kann. Beim SchlankMobil geht es um die Balance, schon vergessen? Die Balance.«

»Ja, ja, Balance, das sagst du mir immer wieder. Kann ich noch so ein Knoblauchdingsda haben?«

Ich drehe mich zu Vinnie und Ricky, die sehr beschäftigt sind mit der Essenszubereitung. »Ich bin ins Food-Truck-Geschäft eingestiegen, Jungs.«

»Ach ja? Und was bietest du an?«

»Salate mit vielen Proteinen, zucker- und fettarme Desserts …«

Ricky und Vinnie blicken verständnislos zu mir herüber. Wahrscheinlich haben sie in ihrem ganzen Leben noch nie die Begriffe »kohlenhydratarm, zuckerarm, fettarm« verwendet.

»Egal. Ihr kennt doch die Schl… ich meine, Bianca? Sie hat mir meine Idee geklaut! Sie verkauft jetzt auch Salate und fettarme Kuchen. Sie fährt durch Manhattan mit einem riesigen, glänzenden Darth-Vader.«

Vinnie und Ricky wechseln einen Blick.

»Diese Bianca ist nicht koscher«, sagt Vinnie. »Sie hat dauernd die Bestellungen durcheinandergebracht und es immer auf die Küche geschoben.«

»Blöde Kuh!«, hickst Julia fröhlich.

Ricky kommt zu mir herüber. »Dann machst du die ganzen Salate selbst, jeden Tag? Und du backst auch alles selbst? Das ist viel Arbeit, Pia.«

»Coco hilft mir beim Backen«, sage ich. Coco grinst stolz. »Aber es ist wirklich harte Arbeit. Ich habe absoluten Respekt vor richtigen Köchen wie euch.« Ich klimpere mit den Wimpern, und Vinnie wirft ein Stück Peperoni nach mir.

Ricky zeigt auf einen Karton in der Ecke. »Wirf mal einen Blick da rein. Wir haben eine große Küchenmaschine und einen Gastro-Fleischwolf aussortiert, mit dem man auch Gemüse ganz fein zerkleinern kann.«

»Ooh, wow, wirklich?«, sage ich. Damit könnte ich mein Dessertangebot verdoppeln und Karotten, Radieschen und Sellerie zu hauchdünnen Scheiben verarbeiten, meine Güte! »Seid ihr sicher, dass ihr sie nicht mehr braucht?«

»Nimm sie einfach mit«, erwidert Vinnie. »Und Pia, kauf dein Fleisch und das Gemüse nicht auf dem Markt. Da wirst du nur abgezockt.«

»Ja, allerdings«, bestätigt Ricky. »Wir können gern für dich mitbestellen. Wir zahlen nämlich nur ungefähr halb so viel wie normale Kunden. Du musst uns nur immer spätestens bis nachmittags um vier simsen, was du haben willst, dann kannst du die Ware am nächsten Morgen um sechs abholen.«

»Das wäre großartig!«, sage ich. Ich tippe rasch ihre Nummern in mein Handy. »Wird Angelo denn nichts dagegen haben?«

Beide zucken mit den Achseln. »Er hätte dich nicht feuern dürfen. Wir reden nicht mehr mit ihm.«

Oh. Machtspiele im Bartolo’s.

Julia lässt sich zurücksinken und lehnt den Kopf an die Wand, sie ist im Fresskoma. »Wow, das war … das intensivste Geschmackserlebnis meines Lebens.«

»O mein Gott!«, kreischt Coco plötzlich. »Er hat GEANTWORTET! Eric! Er will sich mit mir treffen! Ich muss los! Ich muss sofort gehen …« Sie starrt auf ihr Handy, ein Auge zugekniffen. »Er ist auf einer Hausparty. Windsor Court, Einunddreißigste Straße, Ecke Third Avenue.«

»Oh, das ist in Murray Hill«, sage ich. »Möchtest du, dass ich mitkomme?«

»Nein, nein, ich schaffe das allein. Ich fahre mit der U-Bahn«, antwortet sie. »Ich bin schließlich erwachsen …« Sie rülpst wie ein Trucker, dann schlägt sie mit erschrockenem Kichern die Hand vor den Mund.

»Pia, rate mal, wer hier ist!«, sagt Jonah, der nun in die Küche kommt.

Heilige Scheiße, es ist Bianca, die halb kahlgeschorene Punk-Hipster-Mischung. Sie schlendert in die Küche, als würde ihr der Laden gehören. Ich bin so verdattert, dass es mir die Sprache verschlägt.

»Hey, Leute«, sagt sie lässig, während Jonah, der absurderweise sehr mit sich zufrieden wirkt, zur Theke zurückkehrt. Ist er wirklich so naiv?

»Ich habe heute deinen Truck gesehen«, bringe ich schließlich stockend heraus.

»Danke«, sagt sie, schnappt sich vom Tisch ein Stück Pizza und schnuppert daran.

Plötzlich platze ich vor Wut. »Wie kannst du es wagen, mir meine Idee zu klauen? Und wie kannst du es wagen, hier einfach reinzuspazieren und so zu tun, als müsste dir dein kleiner Auftritt heute Mittag nicht peinlich sein? … Du bist nichts weiter als eine … eine … eine Trittbrettfahrerin!«

»Eine Trittbrettfahrerin?«, äfft sie mich lachend nach. »Wo sind wir hier, in der Grundschule? Was genau soll ich denn verbrochen haben, Prinzessin?«

»Brauchst du eine Kettensäge?«, murmelt Jules mir leise zu.

»Tu bloß nicht so unschuldig! Du weißt genau, was du verbrochen hast!« Ich höre mich wahrscheinlich gerade an wie meine Mutter und sehe auch so aus. »Du hast mein Geschäftskonzept kopiert!«

»Ich hatte die Idee schon lange vor dir, Pia. Fettarm, zuckerarm, das ist es doch, was die Leute wollen!«

»Du bist das Letzte!«

»Deine Kuchen sind alles andere als fettarm oder zuckerarm.« Cocos Stimme zittert vor Anspannung, sie hasst Konfrontationen genauso wie ich. »Das kann ich beweisen.«

Bianca verdreht die Augen. »Das möchte ich sehen, Herzchen. Vinnie, Ricky, ich brauche eure Hilfe. Könnt ihr meine Waren für mich mitbestellen, damit ich den Händleraufschlag spare?«

Die Jungs schütteln bedauernd die Köpfe.

»Das verstößt gegen die Regeln«, sagt Vinnie.

»Das geht nicht, Schwester«, bekräftigt Ricky.

»Oh, wie schade«, sage ich mit süffisantem Lächeln.

»Halt die Klappe, du verwöhntes Balg«, schnauzt sie mich an, schließlich doch die Beherrschung verlierend.

»Du hältst mich für ein verwöhntes Balg?« Ich werde laut. »Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, dass wir uns nie begegnet wären!«

»Soll das eine Drohung sein?«

»Ich warne dich!«

Wir schreien jetzt beide.

»Warum gehst du nicht zurück zu deinen reichen Eltern? Du gehörst nicht hierher!«

»Und ob ich hierher gehöre! Ich bin hier zu Hause!«

Jonah kommt hereingestürzt. »Was zum Teufel ist hier los? Das ganze Lokal kann euch hören!«

»Die Tussi spinnt total, J«, antwortet Bianca, die Unschuld in Person. »Die ist krank im Kopf.«

»Diesem Miststück sollte man einen Maulkorb verpassen«, gifte ich zurück.

Bianca wirbelt herum und, Gott ist mein Zeuge, ist drauf und dran, sich auf mich zu stürzen, aber Jonah hält sie an den Armen fest und befördert sie aus der Küche.

Wow! Der Adrenalinrausch einer Auseinandersetzung. »Ich bringe sie um!«, rufe ich.

»Das war echt stark!«, sagt Ricky. Offenbar haben er und Vinnie Spaß an dem Drama. »Diesem Miststück sollte man einen Maulkorb verpassen! Ha!«

»Trotzdem verschwindet ihr besser, bevor Angelo zurückkommt«, sagt Vinnie.

Wir verkrümeln uns durch den Notausgang in den Hinterhof.

Ich zünde mir eine Zigarette an. Ich habe in der letzten Zeit kaum geraucht, hauptsächlich weil ich nicht nach Qualm stinken will bei der Arbeit. Außerdem gibt es das Gerücht, dass Rauchen schädlich sein soll. Aber Mann, nach einem Streit kommt eine Kippe richtig gut. Und Bianca ist ein harter Brocken.

»O mein GOTT! Ich bin so aufgeregt, weil ich Eric gleich sehe!«, wispert Coco neben mir. »Fühl mal, wie feucht meine Hände sind.«

»Du machst das schon. Sei einfach du selbst.«

»Und was, wenn mein Selbst nicht gut genug ist? Wünschst du dir nicht auch manchmal, jemand anders zu sein? Gott, ich schon …«

Coco steuert auf den Eingang der U-Bahn-Station Bergen Street zu. »Coco, warum fährst du nicht mit dem Taxi? Das ist sicherer.«

»Ich … oh, ich habe nicht genügend Geld dabei«, antwortet sie.

Plötzlich wirkt sie unglaublich jung. Noch nie in meinem ganzen Leben hat jemand so sehr meinen Beschützerinstinkt geweckt. Dieser Eric sollte besser nett zu ihr sein.

»Nimm dir ein Taxi, Süße«, sage ich und drücke ihr einen Fünfziger in die Hand. »Das reicht für hin und zurück. Du gibst mir das Geld einfach wieder, sobald du kannst. Und ruf an, wenn du dich verlaufen hast oder sonst irgendwas ist, okay? Und vergiss nicht, amüsier dich gut, pass auf dich auf und … ja … das war’s.« Ich bin nicht so gut in mütterlichen Ratschlägen.

»Wo geht sie hin?«, fragt Julia überrascht. »Coco? Wo willst du hin?«

»Sie trifft sich mit ein paar Leuten, und du und ich, wir haben jetzt Feierabend«, antworte ich, nehme sie in den Polizeigriff und führe sie die Smith Street hoch.

»Ich will am Montag nicht ins College«, sagt sie leise.

»Du meinst zur Arbeit«, sage ich.

»Das ist das Gleiche. Bloß dass ich das College geliebt habe und die Arbeit hasse. Ich werde bald dreiundzwanzig, Pia. Dreiundzwanzig! Ich bin alt.«

»Quatsch! Dein Leben fängt doch gerade erst an!«

»Ich bin es leid, am Anfang zu stehen. Ich vermisse das College. Wünschst du dir nicht auch, wieder Student zu sein?«

Bloß nicht, denke ich. Ich liebe mein jetziges Leben. Ich liebe es, in unser Nest zu kommen und dieses Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zu spüren, das ich bisher nirgendwo gespürt habe. Ich liebe es, meine besten Freundinnen immer um mich zu haben. Und ich liebe es, mit Toto durch die Gegend zu kurven und jeden Tag mit neuen Menschen ins Gespräch zu kommen und mir weitere Sachen einfallen zu lassen, um das SchlankMobil zu einem Erfolg zu machen. Das passt einfach zu mir. Und das Leben hat davor nie zu mir gepasst.

Ich bin wirklich angekommen.

Aber ich behalte das für mich, um Julia nicht aufzuregen.

»Das Studentenleben würde uns bestimmt ziemlich schnell auf den Wecker gehen«, sage ich stattdessen. »Hast du schon die Duschräume vergessen? Und das Mensaessen? Komm schon. Das Leben der Großen, ich meine das der Erwachsenen, ist viel besser.«

Julia murmelt etwas Unverständliches und stolpert über einen Riss im Asphalt.

»Was?«

»Das Erwachsenenleben kann meinen herzförmigen Arsch mal küssen.«

»Woher weißt du, dass dein Arsch herzförmig ist?«

Ich kichere immer noch, als wir am Brooklyn Social vorbeikommen, und da fällt es mir plötzlich siedend heiß ein.

Mike!

Ich checke mein Handy. Vier entgangene Anrufe von ihm zwischen acht und neun … Jetzt ist es kurz nach zehn.

»Verdammter Mist«, sage ich. »Verdammter, verdammter Mist!« Ich wähle Mikes Nummer. Es klingelt siebenmal, bevor er rangeht.

»Hallo?«

»Mike? Hallo?«

»Ich habe eine Stunde gewartet«, sagt er schließlich. Seine Stimme klingt sehr weit entfernt, als wäre es ihm zu viel, in den Hörer zu sprechen.

»O Gott, das tut mir wirklich leid.«

»Ich hatte einen Korb mit Eiern dabei. Ich habe ausgesehen wie der verdammte Osterhase.«

Ich lache schallend los, bis mir bewusst wird, dass Mike das gar nicht witzig findet. Ups. Er hat offenbar was dagegen, sich zum Gespött zu machen.

»Mike, es tut mir leid. Ich habe es völlig vergessen. Ich war mit Julia und Coco aus, und danach waren wir was essen, und ich habe einfach … Es gibt keine Entschuldigung dafür. Verzeihst du mir?«

Mike sagt eine Weile nichts. »Dann bist du immer noch unterwegs?«

»Nein. Wir sind gerade auf dem Nachhauseweg.« Ich unterbreche mich, weil Julia ihre Handtasche fallen lässt und schwankend versucht, sie aufzuheben, wobei sie vornüberkippt. »Julia ist hackedicht.«

»Möchtest du, dass ich vorbeikomme?«

»O Gott, nein …«, sage ich, ohne zu überlegen, während ich mein Handy zwischen Schulter und Ohr klemme und gleichzeitig versuche, Julia hochzuziehen. »Ich meine … ich bin … ich bin hundemüde. Tut mir leid. Vielleicht …«

»Kein Problem«, fällt er mir ins Wort. »Bis dann. Ciao.«

Und er legt auf, einfach so.

Was soll’s. Ich werde keine weitere Zeit damit verschwenden, mir wegen Mike Gedanken zu machen.

Jules tut so, als würde sie auf der Union Street den Running Man tanzen.

»Jules, du bist total knülle.«

»Du bist knülle«, entgegnet sie.

»Gute Antwort.«

Als wir die Vordertreppe unseres Hauses erreichen, wendet Julia mir ihr Gesicht zu, einen flehenden Ausdruck in den Augen. »Sag mir, dass alles ein gutes Ende nehmen wird.«

»Alles wird ein gutes Ende nehmen«, sage ich und lege die Hände auf ihre Schultern. »Versprochen. Auf die eine oder andere Weise.«

Ich wünschte, ich könnte das glauben.

Julia stiert mich mit glasigen Augen an, dann steigt sie die Treppe hoch. »Pia, noch was, wegen dieser Bianca«, sagt sie über ihre Schulter hinweg.

»Ja?«

»Knöpfen wir uns das Miststück vor.«