9

Früher bin ich nicht gern allein aufgewacht. Selbst wenn ich neben dem falschen Typen wach wurde, war das immer noch besser als allein. Es ist erst zwei Wochen her, dass Mike hier neben mir lag und das Chaos in meinem Leben nach der Einweihungsfeier begann. Ich wünschte, ich hätte nicht mit ihm geschlafen. Großes Uups. Der erste Mann, mit dem ich geschlafen habe, war Eddie. Wir haben drei Monate gewartet, und schließlich an Thanksgiving, im Haus seiner Eltern, der erste Schnee fiel in dieser Nacht, ist es passiert – o Gott, warum denke ich jetzt daran? Das regt mich nur auf, und vor mir liegt schließlich ein großer Tag.

Es ist Zeit, dass das SchlankMobil auf Tour geht!

Aber zuerst Angie.

Ich klopfe an ihre Tür. Ein Stöhnen verrät mir, dass sie wach ist.

»Guten Morgen, mein Engel.«

Angies Zimmer riecht so schlimm, wie es aussieht: Es stapeln sich mehr Klamotten auf dem Boden als im Schrank, die Wände sind mit so vielen Bildern und Skizzen vollgepinnt, dass von der Tapete kaum etwas zu sehen ist.

»Ich brauche was Nahrhaftes«, stöhnt sie. »Ein Königreich für Pommes.«

»Du hast ein Königreich zu verschenken?«

Ich blicke auf sie hinunter. Sie streckt alle viere von sich, die Haare sind ein wildes Durcheinander, der Eyeliner ist verschmiert.

»Lass uns über dich sprechen, meine Kamikazefreundin. Da wir gerade von Absturz reden: Du warst gestern Abend total von der Rolle.«

Angie zuckt mit den Schultern. »Ich habe mich nachmittags betrunken, kam nach Hause, habe mir was zu essen reingezogen und das Bewusstsein verloren. Was ist schon dabei?«

»Äh …«

Mist, ich hasse es, Leute aufzuklären, die sich nicht erinnern können, was sie getan haben. Normalerweise ist es netter, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Aber ich denke, Angie sollte es wissen.

Also erzähle ich ihr von ihrer SMS, der Party, dem Koks und schließlich von ihrer akrobatischen Einlage auf dem Hummer. Als ich fertig bin, legt Angie sich das Kissen auf das Gesicht und kreischt laut hinein.

»Davon weiß ich nichts mehr!«, stöhnt sie.

»Was ist los mit dir? Ich weiß, du willst nicht, aber vielleicht sollten wir mal darüber reden«, sage ich so behutsam wie möglich. »Und da ist noch was … Ich habe dich gestern auf dem Flohmarkt gesehen. Du hast dich mit irgendeinem Typen gestritten. Sah aus wie ein Franzose.«

»Oh.«

»Und ich nehme an, du kannst dich nicht mehr erinnern, aber wir sind ihm später auf der Party begegnet.«

»Habe ich was gemacht?« Angie umklammert meinen Arm.

»Nein …«, sage ich. »Na ja, du hast ihn einen Wichser genannt, aber er hat so getan, als würde er dich nicht kennen.« Ich zögere kurz. »Er war mit einer anderen Frau da.«

Angie lässt sich zurückfallen, legt das Kissen wieder auf das Gesicht und brüllt hinein. Ich beuge mich vor und ziehe es weg.

»Rede. Sofort«, sage ich. »Ich will alles wissen.«

Sie seufzt, fischt eine Zigarette aus der Schachtel auf ihrem Nachttisch und steckt sie sich unangezündet in den Mundwinkel.

»Er heißt Marc. Wir haben uns letzten Sommer in Cannes kennengelernt, aber er lebt hier in SoHo. Weißt du noch, als ich dir erzählt habe, dass ich mit ein paar alten Freunden von der Uni Skiurlaub in Vail mache?«

Ich nicke.

»Das war gelogen. Ich habe die Woche mit Marc verbracht. Wir waren skifahren in Megève. Dort hat er mir gesagt, dass er verheiratet ist, aber getrennt lebt, und dass wir es vielleicht ein bisschen langsamer angehen lassen sollten, bis die Scheidung durch ist, bla, bla, bla.« Sie seufzt. »Dann … Egal, jedenfalls bin ich in den Semesterferien im Frühling auf den letzten Drücker mit Annabel nach Cannes geflogen, erinnerst du dich?« Angie nennt ihre Mutter grundsätzlich beim Vornamen. »Sie wollte den Urlaub nutzen, um unsere Mutter-Tochter-Bindung zu stärken oder irgend so was. Ich habe dort Marc mit seiner Frau gesehen. Ich habe ihn damit konfrontiert. Er hat es zugegeben und mir erklärt, dass er und seine Frau sich gerade im Trennungsjahr befinden und dass sie wegen einer Familienfeier in Cannes seien und dass er nur mich liebe … Gott, ich hasse ihn. Er ist wie mein gottverdammter Vater ein notorischer Lügner. Und ich bin eine dumme, leichtgläubige Kuh.«

»Bist du nicht! Und dieser Kerl ist ein mieses Arschloch!«, widerspreche ich.

Angie starrt an die Decke, in Gedanken versunken.

»Und … was war dann? Wie kam es, dass du ihm gestern auf dem Flohmarkt eine gescheuert hast?«

Sie wendet mir das Gesicht zu, die unangezündete Zigarette immer noch im Mundwinkel. »Am Freitagabend war ich mit Lord Hugh und seiner Clique verabredet, erinnerst du dich? Aber Hugh hat mich den ganzen Abend wie Luft behandelt. Also habe ich Marc eine SMS geschickt, bloß um mein Ego aufzupäppeln – beziehungsweise um die Abfuhr von Hugh zu verkraften oder was auch immer … Marc hat mir geantwortet, und als ich betrunken genug war, bin ich zu ihm gefahren.«

»Na ja, Sex ist nur Sex«, sage ich im Bemühen, sie aufzumuntern.

»Sex ist nie einfach nur Sex, Pia … Aber ich habe sowieso gerade meine Tage, und Marc steht nicht auf Blut. Wahrscheinlich habe ich mir den Kiefer ausgerenkt vom vielen Blasen.«

Sie massiert sich das Gesicht. Ich muss lachen, woraufhin sie mich mit einem Kissen schlägt. Einen Augenblick lang glaube ich, dass sie wieder okay ist, bis sie mich mit unbeschreiblich traurigen Augen ansieht.

»Ich habe ihn am nächsten Morgen genötigt, mit mir auf den Flohmarkt zu gehen. Wahrscheinlich wollte ich erzwingen, dass er sich mit mir in der Öffentlichkeit zeigt. Und dann hat er mir eröffnet, dass er sich mit seiner blöden französischen Frau versöhnt hat und dass sie am Nachmittag nach New York kommt. Und dass er es für das Beste hält, wenn wir uns nicht mehr sehen.« Angies Stimme bricht.

»Was fällt diesem europäischen Scheißkerl ein, dich so zu behandeln?« Ich koche auf einmal vor Wut. Ich hasse es, wenn meine Freundinnen mies behandelt werden. »Willst du dich rächen? Wir könnten sein Haus mit Eiern bewerfen.«

»Nein, das ist er nicht wert.« Angie seufzt. »Ich habe gewusst, dass die beiden zu der Party gestern Abend kommen würden. Ich habe nämlich ihre Facebook-Einträge verfolgt. Vermutlich habe ich mir in meinem Vollrausch gedacht, ich überrasche ihn. Traurig, nicht? Nachdem ich dich von deinem Eddie-Wahn in jenem Sommer kuriert habe …«

»Nein, das ist absolut verständlich.« Denk nicht an Eddie oder an jenen Sommer, Pia! »Ist das alles?«, frage ich. »Ich meine, ist das alles, was mit Marc passiert ist?«

Eine Pause entsteht. Angie schließt wieder die Augen. Ein Zeichen, dass das Gespräch beendet ist.

»Okay, du musst nicht darüber reden … Erzähl mir von der Spring Lounge.«

»Es war eine Geburtstagsfeier für jemanden von der Penn State University«, antwortet sie achselzuckend. »Die Party war bescheuert. Die haben mich rausgeschmissen, weil ich an der Bar einen Joint geraucht habe … Scheiß drauf! Ich hau hier sowieso bald ab. Dann kannst du mich in L. A. besuchen und wilden Sex mit heißen Schauspielern haben.«

»Klingt toll.«

Ich hatte gehofft, unser Nest wäre Angie ans Herz gewachsen so wie mir. Dass sie sich dort fühlen würde wie … keine Ahnung. Wie zu Hause. Offenbar nicht. Zeit, das Thema zu wechseln.

»Oh, ich habe mir übrigens einen Imbisswagen gekauft.«

»Wie bitte?«

Ich erzähle ihr die ganze Geschichte, den Part mit Cosmo lasse ich allerdings aus.

»Finde ich super«, sagt Angie. »Klingt nach einem todsicheren Erfolg. Vielleicht kannst du mich einstellen. Damit ich von der blöden Zicke wegkomme.«

»Ich kann mir keine Angestellten leisten. Und ich denke, du solltest deine Chefin nicht als blöde Zicke bezeichnen.«

»Warum nicht? Wenn sie doch eine ist. Zicke ist die fachlich korrekte Bezeichnung.«

»Hast du Lust, mir beim Einkaufen zu helfen und nachher beim Salatemachen?«

»Kann ich mich damit begnügen zuzuschauen und sarkastische Kommentare zu machen?«, erwidert sie und klettert aus dem Bett. Sie trägt immer noch ihr Kleid vom Vorabend.

»Wenn du vorher unter die Dusche gehst und dich umziehst, kannst du tun, was du willst.«

»O Gott.« Angie lässt sich wieder auf das Bett sinken. »Heilige Scheiße, hab ich einen Brummschädel.«

Als ich in mein Zimmer zurückkehre, sehe ich, dass meine Eltern zweimal versucht haben, mich zu erreichen. Sie haben keine Nachricht hinterlassen. Einen Augenblick lang spiele ich mit dem Gedanken zurückzurufen. Aber ich kann nicht. Nicht, weil ich keinen Bock auf Diskussionen habe, sondern einfach, weil ich eine Arbeit habe, um die ich mich kümmern muss.

Plötzlich fällt mir der Fremde in dem Taxi letzte Nacht ein. Aidan! Der perfekte Mann! Von der Straße! Unser Retter! Ich kann nicht glauben, dass er es war! Dieses Kribbeln war so merkwürdig, so stark …

Aber zuerst muss ich mein Leben in Ordnung bringen. Schritt eins: Lebensmittel besorgen.

Was ich zunächst für eine überschaubare Einkaufstour hielt, entwickelt sich zu einer Schnitzeljagd quer durch Brooklyn, nicht nur, um die richtigen Zutaten zu bekommen, sondern ebenso Einweggeschirr und Plastikbesteck und kleine Döschen für das Salatdressing und schließlich noch Farbe für den Truck. Angie ist dermaßen verkatert, dass sie es nur eine Stunde lang aushält, mich zu begleiten. Dann macht sie sich mit der Begründung, dass sie dringend eine Maniküre brauche, aus dem Staub.

Als ich vom Einkaufen nach Hause komme, ist es drei Uhr nachmittags, und ich habe den Tausender, der von Cosmos Zehntausend-Dollar-Kredit übrig war, bis auf den letzten Penny ausgegeben – plus einen guten Batzen von dem Geld, das ich im Bartolo’s und gestern mit Jonah verdient habe. Die Vorstellung, so viel Kohle in nur vierundzwanzig Stunden auf den Kopf zu hauen, ist furchterregend. Sie verursacht mir eine Art krankes Schwindelgefühl … finanzielle Höhenangst.

Aber man muss Geld investieren, um es zu vermehren, richtig? Das ist Business.

Ich entdecke Coco, Julia und Madeleine im Wohnzimmer, wo sie auf der Couch abhängen und sich eine Doku-Soap anschauen.

»Okay! Es kann losgehen!«, sage ich.

Keine Reaktion.

Ich gehe in die Küche, wasche mir die Hände, schiebe die Hähnchenbrustfilets in den Backofen und entwerfe meine Speisekarte. Ich habe beschlossen, sie im Grundschulstil zu schreiben.

Salat 1

Huhn + Avocado + Zuckererbsen + Rote Bete + Kirschtomaten + fettreduzierter Feta + junges Blattgemüse

Salat 2

Truthahn + Brunnenkresse + Mandeln + Apfel + Sellerie + fettreduzierter Cheddar + junges Blattgemüse

Dessert

Brownies (fettarm)

Ich würde diese Salate essen. Glaube ich.

Außerdem waren im Supermarkt fettreduzierte Käsestangen im Angebot, von denen ich gleich acht Großpackungen gekauft habe. Ich werde fünfundzwanzig Cent auf den Preis aufschlagen und so daran verdienen. Ich bin ziemlich stolz auf mich, weil ich diese Idee hatte.

Während meiner Einkaufstour durch Brooklyn habe ich Lara und Phil angerufen, um zu fragen, wie ich für Toto einen Stellplatz mieten kann. Sie haben mir die Nummer ihres Ansprechpartners gegeben. Auf dem Platz gibt es auch Mietküchen, wo ich meine Speisen vorbereiten kann. Die Zubereitung bei uns zu Hause verstößt nämlich ein winziges bisschen gegen die Hygieneverordnung. Obwohl ich natürlich absolute Sauberkeit einhalte.

»Warum tust du nicht ein paar Sonnenblumenkerne dazu? Oder kandierte Walnüsse?«, fragt Coco. Sie steht im Türrahmen, Daddy Langbein von Jean Webster aufgeklappt an ihrer Brust. Wahrscheinlich hat sie draußen auf der Treppe gelesen. »Oder Rosinen oder Cranberries?«

»Wegen der Kalorien«, antworte ich. »Ich meine, du hast recht, das schmeckt toll. Aber wir reden hier vom SchlankMobil. Ich muss halten, was ich verspreche. Die einzigen Kalorienbomben auf der Karte sind die Mandeln und die Avocados, aber die sind so verdammt gesund …« Ich gerate ins Schwärmen.

Dann blicke ich stirnrunzelnd auf das Salatmenü. »Ich wünschte, ich hätte mehr Ahnung vom Kochen. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, ob diese Varianten ankommen, weißt du?«

»Sie sehen beide toll aus«, versichert Coco mir.

Vorhin beim Einkaufen habe ich mit meinem Smartphone ein paar fettarme Dressingrezepte gegoogelt und daraufhin natives Olivenöl extra, Avocadoöl, Rotweinessig, Apfelessig, Himbeeressig, Worcestersoße, Vollkornsenf, Dijon-Senf, Zitronensaft und fettfreien Naturjoghurt besorgt.

Ich schätze, ich werde improvisieren.

Hm.

»Avocadoöl und Apfelessig«, sagt Julia.

Ich drehe mich um: Coco ist verschwunden, Julia steht im Türrahmen. Ich habe es nicht einmal mitbekommen – ich war zu sehr beschäftigt.

»Aber nichts darf viel Fett haben.« Ich mache ein gequältes Gesicht. »Ich meine, ein bisschen Fett muss sein als Geschmacksträger, sonst wird man nie richtig satt, aber …«

»Dann probier es mal mit einem Teil Öl und zwei Teilen Essig«, erwidert sie. »Und mit einem Teil Zitronensaft. Dazu Salz und Pfeffer. Nimm am besten ein Glas mit Schraubverschluss, zum Beispiel ein altes Erdnussbutterglas, das kannst du gut zum Mixen nehmen. Meine Tante Jo hat dort drüben im Einbauschrank jede Menge Einmachgläser gesammelt.«

Ich mische. Ich schüttle. Wir schmecken ab.

»Das ist super!«, sage ich überrascht. »Aber du kannst doch gar nicht kochen!«

»Ich bin ziemlich gut im Dressingmachen«, entgegnet Julia und grinst mich an. »Meine Mutter war da Spezialistin. Sie hat es mir gezeigt. Das war unser Ding.«

»Dann nennen wir es ›Kims Dressing‹«, schlage ich vor.

»Nein, nimm lieber ›Julia‹. Ich habe noch ein anderes, das wir ›Kim‹ nennen können«, sagt sie. »Olivenöl, Rotweinessig, Vollkornsenf, Salz, Pfeffer. Das war Moms Lieblingsdressing.«

Wir machen uns an die Arbeit.

»Echt lecker!«

Wir sitzen am Küchentisch, Jules wie immer am Kopfende, ich rechts von ihr (das ist mein Stammplatz; er ist für meinen Arsch reserviert), und kosten die Dressingvarianten.

Dann probiere ich mein eigenes Dressing: Zitrone, Dijon-Senf, Joghurt, Olivenöl und Essig.

»Fantastisch!«, sagt Julia und hebt die Hand, um mich abzuklatschen.

»Na gut, aber nur dieses eine Mal!«, sage ich.

Jules will uns wegen jeder verdammten Kleinigkeit abklatschen, es hat völlig überhandgenommen. Eigentlich hat es mich früher immer schon aufgeregt – mich und Madeleine. Einen winzigen Moment überkommt mich Wehmut. Ich wünschte, Madeleine und ich wären irgendwann wieder Freundinnen.

»Ha. Du kannst mich mal.« Julia greift nach meiner Hand und zwingt mich zu einem Give me five.

»Danke für deine Hilfe«, sage ich. »Ich habe nämlich keine Ahnung, was ich hier mache.«

»Wer hat die schon?«, erwidert Julia. »Wie viel wirst du für einen Salat verlangen?«

»Ich dachte an sechs Dollar«, antworte ich. »Wer kann schon Nein sagen zu einem Salat für sechs Dollar?«

»Ich bestimmt nicht! Kommst du morgen gleich als Erstes vor unser Büro?«, fragt sie. »Ich möchte gern deine erste Kundin sein.«

»Darauf kannst du Gift nehmen, Schwester!«, sage ich grinsend.

Es wird wirklich ernst! Ich werde meinen eigenen Food Truck fahren!

»Was riecht hier so verbrannt?«, fragt Madeleine, die nun in die Küche kommt.

»Verdammt! Die Hähnchenfilets!« Ich stürze hinüber zu dem qualmenden Backofen und reiße die Klappe auf. Perfekt nebeneinander aufgereiht liegt dort das verkohlte Fleisch. Rauch dringt aus dem Ofen und nebelt die Küche ein. Ich schnappe mir rasch einen Topflappen und nehme das Blech heraus. »Das war Fleisch im Wert von ungefähr hundert Dollar, gottverdammt!«

»Ich besorg dir neues, entspann dich«, sagt Julia und öffnet das Fenster. »Kümmere du dich um deine Salate. Ich bin in einer halben Stunde wieder da.«

»Mit dieser riesigen Rostlaube wirst du nie einen Parkplatz in Manhattan finden«, sagt Madeleine.

»Danke für den heißen Tipp«, erwidere ich, ohne mich umzudrehen.

Habe ich vorhin gedacht, dass ich mir wünsche, wir wären wieder Freundinnen? Tja, das nehme ich dann jetzt wohl zurück.

Als Julia mit dreißig Hähnchenbrustfilets zurückkehrt, werde ich plötzlich von dem quälenden Gefühl geplagt, dass ich mich übernommen habe. Ich beginne zu schwitzen. Jeder Zentimeter Arbeitsfläche, Tisch und Boden sind bedeckt mit Tüchern (Hygiene!). Offene Salatboxen stehen überall herum. Ich versuche, das klein geschnittene Gemüse gleichmäßig aufzuteilen, was nicht so einfach ist, denn meine Hygienehandschuhe sind eine Nummer zu groß. Ich stehe kurz vor dem Ausflippen.

»Danke! Aber bleib draußen!«, rufe ich Jules zu, die noch in der Tür steht. »Das ist ein steriler Bereich! Ich muss das Fleisch in den Backofen schieben!«

»Wie willst du das machen, wenn du nicht an den Herd kommst?«, fragt Julia.

»Wirf mir das Fleisch einfach rüber. Dieses Mal werde ich aufpassen, dass es nicht wieder anbrennt. Wenn es kalt ist, schneide ich es klein, verteile es auf die Boxen und fange dann mit dem zweiten Salat an«, sage ich und streife meine Hygienehandschuhe ab.

Julia sieht aus, als würde sie sich ein Lachen verkneifen, während sie mir die abgepackten Brustfilets eines nach dem anderen zuwirft. Ich lege sie in der Spüle ab, wasche mir die Hände, ziehe die Hygienehandschuhe wieder an, öffne die Verpackungen, nehme das Fleisch heraus, würze es mit ein bisschen Salz und Pfeffer, lege es auf die Backbleche, ziehe die Handschuhe aus, wasche mir wieder die Hände, schiebe die Salatboxen mitsamt den Tüchern ein kleines Stück zur Seite, um zum Backofen durchzukommen, verfrachte die Bleche darin, gehe vorsichtig rückwärts zur Spüle zurück und wasche mir wieder die Hände.

»Easy«, sage ich. »Siehst du? Das reinste Kinderspiel.«

Schließlich sind die Brustfilets perfekt gegart, gewürfelt und gleichmäßig auf die Salatboxen verteilt. Eine nach der anderen klappe ich sie zu. Eine nach der anderen klappen sie wieder auf.

Ich schreie laut.

»Was ist? Was ist passiert?« Angie und Coco stürmen in die Küche.

»Die Deckel bleiben nicht zu«, sage ich kläglich. »Seht selbst.«

Ich schließe eine der Plastikschalen und fädele die kleine Plastiklasche ein. Der Deckel springt sofort wieder hoch. Ich könnte heulen. Aber das würde auch nichts nutzen.

»Ich kann das nicht«, sage ich. »Was habe ich mir bloß dabei gedacht?«

»Gummiband?«, schlägt Coco vor. »Tesafilm?«

»Nein, Sticker!«, ruft Angie und läuft nach oben, um kurz darauf mit Dutzenden Etikettenblättern mit großen roten Herzaufklebern wiederzukehren.

»Was zum …«

»Aus dem Materialschrank im Atelier. Die sind süß.«

»Du hast sie von der Arbeit mitgehen lassen?«

»Kleinmaterial zählt nicht. Das ist wie mit dem Müsli in WGs.«

»Du hast dich von meinem Müsli bedient?«

Die Herzsticker sind die perfekte Lösung für die Salatboxen und sehen dazu noch verdammt hübsch aus. Mein Optimismus kehrt beinahe zurück. Vielleicht klappt es ja doch.

»Du hast den Feta vergessen«, sagt Angie, die gerade meine Speisekarte liest.

Ich stoße erneut einen Schrei der Verzweiflung aus.

Vorsichtig öffne ich jede einzelne Box und lege exakt sieben Würfel fettarmen Fetakäse hinein.

»Jetzt ist der zweite Salat dran!«, sage ich, bemüht, optimistisch und kämpferisch zu klingen. Ich schaffe das. Ich kann das. Es war vielleicht nicht der beste erste Tag aller Zeiten, aber egal. Illegitimi non carborundum, wie die junge Mutter im Bartolo’s gesagt hat.

»Äh … Pia?«, sagt Coco. »Können wir die Küche benutzen, um das Abendessen zu machen?«

Ich blicke bestürzt auf die Uhr. Wie kann das sein, dass es schon sieben Uhr abends ist? »O Gott! Tut mir leid. Bestellt euch Pizza. Ich bezahle. Oder Sushi. Was auch immer.«

»Sushi! Arigato!«, ruft Angie.

»Ich werde gleich im Bartolo’s anrufen!«, sagt Coco. »Aber erst muss ich die anderen fragen, was sie haben wollen.« Sie flitzt aus der Küche.

»Hier«, sage ich und gebe Angie ein Bündel Geldscheine. »Um die Pizza und das Sushi zu bezahlen.«

»Süße, dir muss doch langsam die Kohle ausgehen«, erwidert sie zweifelnd.

Ich mache eine wegwerfende Handbewegung, die eine Menge Zuversicht ausdrückt, die ich nicht spüre. »Egal. Das hole ich im Handumdrehen wieder rein.«

Der zweite Salat ist schneller zuzubereiten, dank der Unterstützung von Coco und Angie. Dann fülle ich das Dressing in die winzigen Becher und schreibe mit einem dicken Wäschemarker »Kim«, »Julia« oder »Pia« darauf, während die Mädels die Boxen verschließen.

»Du solltest geröstete Süßkartoffeln mit auf die Karte setzen«, sagt Angie. »Und Artischockenherzen.«

»Und Sprossen«, sagt Coco. »Und Bohnen! Bohnen sind der absolute Hammer.« Dann klingelt es an der Tür. »Das Essen ist da!«

Meine Stimmung hat sich merklich gehoben, jetzt, nachdem ich fast fertig bin. Ich verfrachte die Salatschalen in den zweiten Kühlschrank im Wäscheraum. Sie sehen so hübsch und ordentlich aus, alle aufeinandergestapelt.

Nun muss ich nur noch die fettarmen Brownies backen. Coco hat mir ein narrensicheres Rezept von ihrer Mutter gegeben. Ich benutze mein Handy, um die Mengenangaben mit drei zu multiplizieren, und verwende statt Butter eingelegten Kürbis, wie Coco mir empfohlen hat.

Ich werde damit ein verdammtes Vermögen machen. Das spüre ich. Und ich werde Cosmo alles pünktlich zurückzahlen und ein Bombengeschäft machen, und meine Eltern werden sich mit eigenen Augen davon überzeugen können, und das Leben wird großartig sein. Und ich werde nicht das einzig wahre Zuhause verlassen müssen, das ich jemals hatte.

Drei Stunden und vier Backbleche später (eine Ladung Brownies ist verbrannt, eine ist nicht richtig aufgegangen, eine ist auf den Boden gefallen, und eine ist perfekt) bin ich fast fertig. Ich schneide die Kuchenplatte in großzügige Rechtecke, lege sie in die Salatboxen – sie sehen darin ziemlich mickrig aus, ich muss kleinere Verpackungen besorgen – und verstaue sie neben den Salaten.

Dann lasse ich den Blick durch die Küche schweifen. Unser gemütlicher WG-Mittelpunkt sieht schlimmer aus als nach der Einweihungsfeier. Der Geruch von angebranntem Fleisch ist immer noch nicht verflogen. Und wie habe ich es eigentlich geschafft, Cocos gottverdammten Kräutergarten mit Schokoladenteig vollzusprenkeln? Und wie kommt es, dass unter dem Küchentisch lauter Fetakrümel liegen? Und – o mein Gott, ist das an der Decke auch Teig? Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. So als hätte ich einen Anschiss verdient.

»Tut mir leid«, murmle ich. »Ich werde mich sofort um dich kümmern, das schwöre ich.«

Ich schrubbe und fege jeden Zentimeter in der Küche. Ich wische sogar den Boden, etwas, das ich, glaube ich, noch nie in meinem Leben getan habe. Zum Schluss begutachte ich mein Werk, alles ist picobello. Ich spüre ein bizarres Gefühl der Befriedigung trotz der Erschöpfung.

Es ist fast Mitternacht. Die anderen sind schon im Bett. Hungrig futtere ich ein Stück übrig gebliebene Salamipizza und den Rest Sushi.

Vor meiner Zimmertür finde ich drei kleine Zettel. Der erste liegt auf ein paar ausgedruckten Seiten.

Ich habe ein bisschen recherchiert. Hier sind die Speisekarten der New Yorker Lokale, in denen es die besten Salate gibt. Zur Inspiration. Coco xxx

Auf dem zweiten Zettel steht:

Viel Glück morgen. Schnapp sie dir, Tiger. Jumanji x

Der dritte Zettel liegt auf einem Bündel Geldscheine, das verdächtig dem ähnelt, das ich vorhin Angie gegeben habe.

Dein Geld. Sorry, Süße, A. P. S. Für dich

Und darunter ist eine Karikatur von Toto gezeichnet, zusammen mit einer kleinen Comic-Pia, die sich aus dem Fahrerfenster lehnt. Die Aufschrift SchlankMobil ziert in fetten schwarzen Kursivbuchstaben Totos Flanke. Der Gesamteindruck ist ein bisschen Siebziger-like und improvisiert, mit lauter roten Herzen auf dem Truck und einem großen roten Lippenstiftmund auf dem Kühlergrill vorn. Darunter hat Angie geschrieben: Wir sind nicht mehr in Kansas, Toto!

Ich weiß, dass dies eine »Viel Glück!«-Karte von Angie sein soll, aber es ist gleichzeitig das perfekte Truck-Design. Albern und charmant – das ideale Gegenmittel zu all den Food Trucks mit ihren super-glamourösen Logos, die ich gestern auf dem Flohmarkt gesehen habe.

Angie hat so viel Talent. Ich wünschte, sie würde die Kunst noch ernst nehmen.

Im Zimmer fällt mein Blick auf mein Handy. Es lag den ganzen Tag auf dem Bett, was für mich völlig untypisch ist. Ich habe drei neue Nachrichten.

Hey, Prinzessin, hast du Lust, ins Seersucker zu kommen? Bin mit Bianca hier! Jonah

Urgh.

Wie war dein Wochenende? Was macht dein rosaroter Truck? Wie wäre es mit diesem einen Drink? Lg Mike

Doppel-Urgh.

Hallo, ich werde am nächsten Sonntag um neunzehn Uhr die erste Rückzahlung abholen. Freue mich auf unser Wiedersehen! Cosmo

Ist das nicht nett? Stellt euch vor, ich werde mich am Ende noch richtig dick mit meinem Geldverleiher anfreunden, wie hört sich das denn an?

Ich habe nicht die Energie zu duschen oder mir die Zähne zu putzen oder was auch immer. Ich war noch nie so erledigt, aber ich muss Toto noch neu beschriften und bemalen.

Ich gehe davon aus, dass ich mich morgen gegen halb zehn auf den Weg machen muss, damit ich genügend Zeit habe, um einen guten Parkplatz zu finden, folglich muss die Farbe bis spätestens halb neun aufgetragen sein, damit sie trocknen kann, und außerdem muss ich den Truck beladen, und ich muss unbedingt duschen, weil ich das heute nicht geschafft habe, glaube ich jedenfalls, obwohl ich mich nicht mehr richtig erinnern kann, und das heißt vierzig Minuten mit Haareföhnen, und leider bin ich nicht zum Wäschewaschen gekommen, und jetzt habe ich keine saubere Unterwäsche mehr, und ich muss noch Servietten kaufen und am besten auch ein paar Flaschen Wasser und Diät-Limonade, und ich brauche Wechselgeld für die Kasse, und o Mist, ich habe noch gar keine Kasse, was also bedeutet, dass ich spätestens um acht hier aufbrechen muss.

Ich stelle den Wecker auf halb sechs. Und dann falle ich wie eine Tote in den Schlaf.