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Als Julia gleich darauf die Treppe hochstapft, rot vor Wut, krampft sich mein Magen zusammen. Ich hasse Streit. Und Jules ist ziemlich gut im Streiten. Sie hätte Anwältin werden sollen.
»Vics Küchendecke ist ruiniert«, fährt sie mich an. »Ruiniert. Seiner Schwester ist heute Morgen ein Stück Putz auf den Kopf gefallen. Verdammt, Pia, die Frau ist über achtzig!«
»Ist sie okay? O mein Gott …«
»Es geht ihr gut«, fällt Julia mir ins Wort. »Offenbar war es nur ein kleines Stück. Aber Vic ist stinksauer.«
»Ich werde für den Schaden aufkommen«, sage ich. »Ich habe ungefähr noch tausendsechshundert auf dem Konto. Er kann alles haben.« Das ist wirklich der letzte Rest Geld von meinen Eltern, mehr habe ich nicht, aber im Moment muss ich Julia davon überzeugen, mich nicht rauszuschmeißen. »Es tut mir wahnsinnig leid, Julia. Ich hatte keine Ahnung, dass die Feier so ausartet.«
»Was dachtest du denn? Du weißt doch, dass nie was Gutes dabei herauskommt, wenn du Hochprozentigen ausgibst.«
»Ja … Ich dachte nur … Ich hielt es für eine lustige Idee … Alle sollten ihren Spaß haben.« Ich kann ihr nicht sagen, dass ich mich betrunken habe, weil gestern der 26. August war. Ich rede nie über Eddie. Nur Angie kennt die Geschichte. »Ernsthaft, Juju, es war nicht meine Absicht, dass jemand zu Schaden kommt … beziehungsweise die Decke von diesem alten Knaben … Ich meine, Vic.«
»Vic und Marie wohnen hier schon seit einer Ewigkeit. Lange bevor ich auf der Welt war oder meine Mom«, entgegnet Julia. »Sie sind für mich wie Familie, okay?«
Plötzlich verstehe ich. Julias Mutter ist in diesem Haus aufgewachsen. Sie starb vor ungefähr acht Jahren an Brustkrebs. Julias Vater hat sich seitdem in stummer Trauer vergraben, und dann starb ihre Tante Jo. Darum nehme ich an, dass Vic und Marie – und das Nest – eine Art Verbindung zu ihrer Mutter sind. Kein Wunder, dass sich Julias Beschützerinstinkt meldet.
»Ich werde den Schaden an der Decke reparieren lassen«, sage ich und greife nach Julias Hand. Sie zieht sie nicht zurück, was ich als ein gutes Zeichen auffasse. »Und ich werde einen Blumenstrauß besorgen und mich bei Vic und Marie entschuldigen. Heute noch. Und ich werde in Zukunft darauf achtgeben, dass dieses Haus nie wieder Schaden nimmt. Ehrenwort.«
Julia holt tief Luft und lehnt sich gegen die Wand, mit geschlossenen Augen. Sie bricht jeden Morgen um sechs zu ihrer Arbeit auf und kommt abends nicht vor sieben Uhr nach Hause. Sie arbeitet als Trainee in einer Investmentbank in Manhattan. Es ist Schritt eins ihres Plans, die Welt zu erobern. Julia wirkt so erschöpft, sie sieht richtig grau aus. Und dabei ist sie nicht einmal verkatert.
»Ich hatte übrigens gestern richtig Spaß.«
»Was?«, sage ich.
Sie öffnet ein Auge, den Hauch eines Grinsens auf den Lippen. »Die Party war super. Ich habe mich köstlich amüsiert. Bis zu dem Moment, in dem Coco anfing zu strippen – in der Küche.«
Ich schlage die Hand vor den Mund. »Nee, oder?«
»Ich habe sie nach oben gebracht. Egal, sag ihr nichts davon. Sie hat einen Filmriss. Ich denke, das ist besser so.«
»Oh, schon klar«, erwidere ich. »Du hast schließlich auf der Semesterparty letztens nicht mal ansatzweise deine Unterwäsche gezeigt.«
»Richtig. Mist, ich wünschte, ich hätte an dem Abend einen String getragen.«
Wir grinsen uns kurz an bei der Erinnerung. Das ist die Julia, die ich kenne und liebe. Die Frau, die hart arbeitet, aber auch hart feiert. Und die Frau, die immer alles in Ordnung bringen möchte. Aber ich kann ihr noch nicht sagen, was mit meinem Job und mit meinen Eltern ist. Ich muss das erst verarbeiten (sprich: so tun, als wäre nichts gewesen).
»Augenblick mal.« Julia mustert mich mit schmalen Augen. »Bettfrisur, Pandaaugen, gerötetes Kinn. Piepie, du hattest wohl eine heiße Nacht!«, ruft sie.
»Hatte ich nicht! Und nenn mich nicht Piepie!«
»Na, vertragen wir uns wieder?«, sagt Angie, die den Kopf aus Cocos Zimmer streckt. Sie schlingt das abgesehen von dem Moonboot nackte Bein um die Tür und bewegt es lasziv auf und ab wie eine Wetterfee beim Tabledance. »Sind wir jetzt alle wieder Freunde?«
»Das sind meine Stiefel«, kreischt Julia. »Warum hast du meine Stiefel an?«
»Hast du vielleicht vor, demnächst in Skiurlaub zu fahren? Wohl kaum.« Angie tänzelt an uns vorbei und stellt sich auf eine Treppenstufe. »Schließlich haben wir August. Du bekommst deine Boots in einwandfreiem Zustand zurück, sobald der Partymüll im Haus beseitigt ist, okay, Mami?«
Julia rollt mit den Augen und geht nach unten. »Fangt an zu putzen.«
Angie zeigt Julias Rücken den Mittelfinger.
»Sehr erwachsen, Angie.«
»Ach, lass mich doch in Ruhe!«
»Ich habe Hunger.«
»Du hast immer Hunger. Lass uns aufräumen.«
Irgendwie heitert mich das Herumalbern mit Angie in meinem verkaterten Zustand auf und lenkt mich prima von meinen »Verdammt, was mache ich jetzt nur?«-Gedanken ab. Angie stöhnt entsetzt bei jeder leeren Flasche und jeder Kippe, die sie entdeckt, auf, und wir kichern ausgelassen herum.
»Hier sieht es aus, als hätten wir ein Saufrodeo veranstaltet«, sagt Angie.
»Wenn ich später mal eine eigene Wohnung habe, kommt mir da kein Teppich rein«, sage ich. »Ein Teppichboden schreit geradezu nach Ärger.«
»Hat hier einer seinen Schuh verloren? Und warum laden wir jemanden zu unserer Party ein, der Mokassins trägt?«
»Ist das Rotwein oder Blut? Nein. Warte. Das ist Tomatensoße. Iihhh!«
»Willst du über den Knutschfleck reden, Süße?«
Ich erwidere Angies Blick und knabbere verlegen an meinem Zeigefinger.
»Du hattest also Sex? Du kleines Luder …«
»Mit ihrem Bruder«, flüstere ich und deute auf Madeleines Tür. »Das war ein Ausrutscher. Sag Jules nichts davon. Sie würde es nur Maddy erzählen, und dann haben wir den Salat.«
»Geht klar, Daaahling«, erwidert sie, eine perfekte Imitation ihrer Mutter, die mit britischem Akzent spricht. »Du warst gestern Abend richtig kamikazemäßig drauf.«
»Es war der 26. August. Das ist der Internationale Pia-auf-dem-Kamikazetrip-Tag, schon vergessen? Absturz vorprogrammiert.«
Es entsteht eine kurze Pause. »Oh, Süße, tut mir leid. Das habe ich ganz vergessen. Eddie.«
Ich kann mich nicht überwinden, Angie anzusehen. Nur sie hat mich an jenem Tag erlebt, nur sie weiß, wie schlimm es war. Sie nennt mich immer eine Dramaqueen, aber sie weiß, dass dieser Kummer echt war. So einen Zusammenbruch täuscht man nicht vor.
»Ich möchte nicht darüber reden«, sage ich.
Angie macht sich wieder ans Aufräumen. »Scheiß auf ihn, Pia. Okay? Scheiß auf Eddie! Das ist jetzt vier Jahre her.«
Ich nicke und schrubbe so fest, wie ich kann, an dem Tomatensoßenfleck herum. Es ist vier Jahre her, seit wir uns getrennt haben. Und ich sollte endlich darüber hinweg sein. Glücklicherweise wechselt Angie das Thema.
»Ich werde demnächst nach L. A. ziehen«, sagt sie. »Ich gehöre nicht wirklich hierher nach Brooklyn, weißt du?«
Diese Neuigkeit zieht mich noch mehr runter, aber es ist sinnlos, mit Angie zu diskutieren. Sie macht sowieso immer nur das, was sie will. Also schrubbe ich noch energischer, während wir uns Treppenstufe um Treppenstufe, Fleck um Fleck nach unten arbeiten. Angie macht Musik an, wir putzen zu dem Sound der Ramones. Ich höre, dass Julia und Coco in der Küche leere Flaschen einsammeln und hin und wieder spitze Schreie ausstoßen, wenn sie etwas Ekliges entdecken. O bitte, lieber Gott, bloß keine Drogen oder gebrauchte Kondome. Verschon mich einfach …
»Bis wie viel Uhr ging die Feier eigentlich?«, frage ich Angie.
»Bis fünf. Als Lord Hugh und ich die letzten Gäste verabschiedet haben, ging gerade die Sonne auf.«
»Er macht einen ziemlich … lordmäßigen Eindruck.«
»Er ist ein Lord.« Sie nickt. »Und er kennt sich aus mit Waschmaschinen.«
»Habt ihr etwa …«, ich zögere kurz und grinse sie an, »… eine volle Ladung durchgezogen?«
»Nur eine halbe. Aber wir haben gründlich gespült. Sehr gründlich … Oh, sieh mal, ein angerauchter Joint. Wie nett.«
Wir arbeiten uns bis in den ersten Stock hinunter und helfen anschließend Julia und Coco in der Küche, sämtliche Oberflächen von einem klebrigen Film zu befreien. Nichts klebt so gut wie Wodka auf siebzig Jahre altem Linoleumboden.
»Das war krass«, sagt Julia und wischt sich mit dem Unterarm über die Stirn. »Im Wäscheraum gab es eine Überschwemmung. Deshalb ist Vics Decke runtergekommen.«
»Ich regle das«, sage ich wieder.
»Oh, das weiß ich.«
»Ich habe die Bäder geputzt«, höre ich eine eisige Stimme. Ich hebe den Kopf und sehe Madeleine, die einen Mopp und einen Eimer trägt. »Es war absolut ekelhaft.«
»Danke, Moomoo«, sagt Julia.
Madeleine verdreht die Augen, als Julia sie bei ihrem Spitznamen nennt, den sie bekanntermaßen hasst, und drückt sich an ihr vorbei zur Spüle, wobei sie liebevoll an Julias Pferdeschwanz zieht. Eigentlich ist Madeleine richtig nett hinter dieser kühlen, kontrollierten Fassade, nur nicht zu mir, nicht mehr.
Okay, hier kurz die Geschichte mit Madeleine: Madeleine und ich waren früher einmal Freundinnen. Richtig gute Freundinnen. Tatsächlich waren Madeleine, Julia und ich ab dem ersten Semester praktisch unzertrennlich, dabei sind wir grundverschieden. Aber aus irgendeinem Grund hat es trotzdem zwischen uns gefunkt. Gegensätze ziehen sich nun einmal an. Dann, nach einem Jahr an der Uni, gab Madeleine sich zum allerersten Mal die Kante und erklärte mir aus heiterem Himmel, sie hasse mich. Während ich damit beschäftigt war, ihre Haare zurückzuhalten, weil sie sich übergeben musste, sagte sie wieder und wieder: »Ich hasse dich. Ich hasse dich, Pia. Ich hasse dich.« Dann wurde sie ohnmächtig. Am nächsten Tag versuchte ich, mit ihr darüber zu reden, aber sie machte dicht, und seitdem herrscht zwischen uns Kalter Krieg. Und nun liegt ihr Bruder nackt in meinem Bett.
Hmm.
Unter uns gesagt, ich wäre hier nicht eingezogen, wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich mit Madeleine unter einem Dach wohnen würde. Jules hatte wahrscheinlich gehofft, dass wir uns wieder versöhnen, dass aus uns allen beste Freundinnen würden wie in Eine für vier oder so. Ich kann mir das nicht vorstellen. Vor allem deshalb nicht, weil Julia inzwischen ihren eigenen Kalten Krieg mit Angie begonnen hat.
Eine Stunde später sind die Partyfolgen im Haus beseitigt, Brummschädel nicht inbegriffen.
»Perfekt«, sagt Julia lächelnd, und ihr Blick schweift durch das Wohnzimmer.
»Bitte? Die alte Bruchbude hat seit der Eisenhower-Regierung nicht mehr so geglänzt«, sagt Angie.
»Nenn dieses Haus nie wieder ›alte Bruchbude‹«, faucht Julia sie an. »Wenn du es hier so ätzend findest, kannst du ja ausziehen.«
»Wer hat gesagt, dass ich es hier ätzend finde?«, erwidert Angie.
»Ich mag das Haus genau so, wie es ist«, sage ich.
»Und ich liebe es. Genau wie Brooklyn. Aus mir wird noch eine eingefleischte Brooklynista.« Angie schenkt uns ein süßes Lächeln.
»Können wir was zu essen organisieren?«, frage ich, um von einem drohenden Streit abzulenken. »Ich habe tierischen Kohldampf.«
»Ich mache uns French Toast!« Typisch Coco. Sie versucht, uns mit Hausmannskost zwangszuernähren, seit wir hier wohnen. »Alle Mann Abmarsch in die Küche!«
Höchste Zeit, mich um Ihr-wisst-schon-wen zu kümmern. Ich husche über den Flur in mein Zimmer.
»Hey.« Mike streckt sich verschlafen in meinem Bett. Glatt rasiert und im gebügelten Hemd sieht er wesentlich besser aus. »Wo warst du so lange? Willst du kuscheln?«
Ich lache. »Kuscheln?«
»Das machen alle coolen Kinder. Komm schon …«
Ich setze meine Pilotensonnenbrille auf und hole tief Luft. »Mike, deine Schwester wird mich umbringen, wenn sie das mit uns rausfindet. Lass uns einfach … so tun, als wäre nichts passiert, okay?«
»Klar. Okay. Gut.«
Wow, er reagiert beleidigt, wenn es nicht nach seiner Nase läuft.
»Das ist mein Ernst. Sie kann mich nämlich nicht leiden.«
»Nein?«
»Nein …« Plötzlich wird mir bewusst, dass es nicht besonders schlau ist, mich bei Mike über seine Schwester auszulassen. »Äh … aber … du weißt schon. Wahrscheinlich interpretiere ich da nur was falsch.«
»Maddy ist ziemlich schwer zu durchschauen«, sagt er. »Sie kommt nie aus ihrer Deckung. Nicht einmal bei mir, und ich bin ihr Bruder. Ich glaube, sie ist einfach nur unsicher.«
Ich unterdrücke das Bedürfnis, die Augenbrauen hochzuziehen. Ich bin es leid, dass alles immer auf Unsicherheit geschoben wird. Das ist schließlich kein Freifahrschein.
»Wie auch immer. Wir sitzen alle unten in der Küche. Warte noch zehn Minuten. Dann kannst du verschwinden, ohne dass es jemand sieht.«
»Warum klettere ich nicht einfach aus dem Fenster und rutsche am Regenrohr runter?«
»Das wäre perfekt! Glaubst du, du schaffst das?«, erwidere ich, nur um seine Reaktion zu testen.
»Mhm.«
»Das war ein Scherz. Bis dann.«
Ein Glück, dass das erledigt ist. Ich habe wichtigere Dinge, über die ich mir Gedanken machen muss. Zum Beispiel darüber, dass ich arbeitslos, pleite und von der sogenannten Mom-und-Dad-Bank abgeschnitten bin und mir droht, New York bald verlassen zu müssen.
Wenn man eine Küche als großmütterlich bezeichnen könnte, dann wäre es diese hier. Sie ist riesig und trotzdem urgemütlich, wie aus einer alten Sitcom aus den Sechzigerjahren. Wisst ihr, die Sorte Küche, in der Kuchen und Kekse und Aufläufe gebacken werden. Meine Mutter hat noch nie gebacken.
Wir sitzen am Küchentisch, Lionel Ritchie singt im Hintergrund, und während wir uns Cocos unglaublichen French Toast mit karamellisierten Bananen schmecken lassen, schütte ich den anderen schließlich mein Herz aus. Wegen des Fotos auf Facebook, wegen meines Jobs, sogar wegen meiner Eltern.
»Kurz gesagt, ich habe unser Nest verwüstet, ich bin arbeitslos, nicht vermittelbar und pleite«, sage ich kläglich und schiebe den Toast auf meinem Teller hin und her. »Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wer wird schon nach einer Woche gefeuert? Ich bin so ein Loser … Wenn ich keinen neuen Job finde, werden meine Eltern mich zwingen, wieder bei ihnen zu wohnen.«
»Das kannst du nicht machen!«, sagt Angie, die es schafft, selbst dann cool zu wirken, wenn sie mit vollem Mund spricht. »Das würdest du niemals überleben. Die können dich zu nichts zwingen!«
»Du weißt doch, wie meine Eltern sind«, sage ich. »Ich komme nicht gegen sie an. Ich tue einfach immer, was sie sagen, und gehe ihnen aus dem Weg.«
»Klingt gesund«, bemerkt Julia.
Ich zucke mit den Achseln. Wer hat schon eine gesunde Beziehung zu seinen Eltern?
»Ich kann nicht glauben, dass man dich gefeuert hat!«, sagt Coco. »Das war bestimmt schrecklich.«
Sie beugt sich zu mir, um mich kurz in den Arm zu nehmen. Zum zweiten Mal muss ich heute Tränen wegblinzeln. Ich schwöre, ich fange eher an zu weinen, wenn man nett zu mir ist, als wenn man mich gemein behandelt.
»Ja«, sagt Madeleine. »Wer hätte gedacht, dass ein Oben-ohne-Tanz auf einer Party dermaßen nach hinten losgehen kann?«
»Ich hatte noch meinen BH an!«
»Pia, der war durchsichtig.«
»Lass gut sein, Maddy.« Julia spießt eine weitere Toastscheibe auf ihre Gabel und lädt sie auf ihren Teller. Mir wird bewusst, dass sie nichts darüber gesagt hat, dass ich ausziehen soll.
»Hör zu, Pia, ich habe genug Geld. Du musst also weder Hunger leiden noch Durst.« Angie nimmt sich mit den Fingern eine knusprige Bacon-Scheibe und tunkt sie in einen Klecks Ahornsirup, dann senkt sie ihre Stimme. »Außerdem glaube ich, die Überschwemmung im Wäscheraum war unsere … äh … meine Schuld. Ich werde den Schaden bezahlen.«
»Ich kann dir auch was leihen, Pia«, sagt Julia rasch. Ihr Konkurrenzdenken ist geweckt.
»Seid nicht albern.« Ich kann und werde keine Almosen annehmen. »Sollte ich tatsächlich dringend Geld brauchen, gehe ich zur Bank und nehme einen Kredit auf.«
»Bist du verrückt? Einen Kredit? Du müsstest Wucherzinsen bezahlen, und die Raten würden immer höher und höher steigen, bis sie dir über den Kopf wachsen! Dann ist deine Kreditwürdigkeit ganz im Eimer! Das würde dein Leben zerstören!« Wow, Julia regt sich wirklich auf über meine Idee mit dem Kredit.
»Schon gut, ich werde nicht zur Bank gehen«, sage ich. »Egal, darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass ich einen Job brauche. Und ich habe nicht den leisesten Schimmer, in welchem Bereich.«
»Was war denn dein Hauptfach?«, fragt Coco.
»Kunstgeschichte.«
»Du bist … Kunsthistorikerin?«
Alle am Tisch fangen an zu kichern.
»Ja, ich habe ein abstraktes Hauptfach gewählt. Und nein, ich weiß nicht, warum.«
»Wahrscheinlich, weil es cool klingt«, sagt Angie, die mir ihr bestes Ich-will-dir-nur-helfen-Lächeln schenkt.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Das ist nicht sehr hilfreich.«
»Ich könnte mir dich gut bei einer Modezeitschrift vorstellen«, sagt Coco und springt von ihrem Stuhl auf. »Noch jemand Kaffee?«
»Ja, ich, bitte«, antworten Julia und Angie gleichzeitig und sehen sich stirnrunzelnd an.
»Ich kann keine Texte schreiben«, sage ich. »Außerdem geht es da doch so Der-Teufel-trägt-Prada-mäßig zu. Neben den ganzen Models würde ich mir nur fett vorkommen.«
»Es ist sowieso verdammt schwer, in die Modebranche reinzukommen«, sagt Angie.
Einen Augenblick lang frage ich mich, ob sie aus persönlicher Erfahrung spricht, aber bevor ich sie fragen kann, nimmt sie ihr Handy, um eine SMS zu lesen, die sie gerade bekommen hat.
»Ja, und ich muss schnell Geld verdienen«, sage ich.
Mein Jahresgehalt in der PR-Agentur – nicht annähernd so cool wie ein Job in der Modebranche oder im Fernsehen oder wo auch immer – betrug fünfunddreißigtausend Dollar, was umgerechnet, zieht man die Kosten für Miete und Lebenshaltung ab, circa fünfundzwanzig Dollar am Tag macht. Ich meine, eine anständige Gesichtsbehandlung kostet in New York hundertfünfzig Dollar. Wie soll man mit diesem Hungerlohn überleben? Je cooler der Job, desto lausiger die Bezahlung.
Julia ist nun in ihrem Das-bringen-wir-in-Ordnung-Modus. »Lass uns eine Liste machen mit deinen Fähigkeiten und deinen Erfahrungen, die du in der PR-Agentur gemacht hast!«
Ich überlege. »Ich habe so getan, als würde ich nicht die ganze Zeit chatten, ich habe an Meetings teilgenommen, ohne ein Wort zu verstehen, und ich habe wie besessen auf die Uhr gestarrt … Ich schwöre, ich bin mindestens zwanzigmal beinahe an meinem Schreibtisch eingeschlafen.«
Alle (außer Madeleine) lachen, obwohl es, ehrlich gesagt, irgendwie deprimierend war. Ist das wirklich meine Bestimmung für den Rest meines Lebens?
»Wenn du dringend Geld brauchst, such dir einen Job, in dem du schnell verdienst«, sagt Julia. »Als Kellnerin oder Barfrau.«
Ich blinzle sie an. »Du meinst körperliche Arbeit?«
Madeleine stößt ein kurzes Schnauben aus, als würde sie ein Lachen unterdrücken. Ich ignoriere sie.
»Mit so einer Prinzessinneneinstellung kannst du es gleich ganz vergessen«, sagt Julia.
»Ich will einen richtigen Job. In einem Büro. Irgendeinen, mit dem ich meine Eltern beeindrucken kann.«
»Dann bewirb dich bei den Personalagenturen in Manhattan«, sagt Julia zuversichtlich. »Zeig denen, wie intelligent und schlau und genial du bist. Jede PR-Agentur in Manhattan könnte sich glücklich schätzen, dich zu beschäftigen!«
»Okay.«
Gott, manchmal ist es so gut, eine Freundin zu haben, die einen herumkommandiert.