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Seit dem Showdown am Vorabend in der Küche des Bartolo’s verfolge ich Biancas Einträge auf Twitter und Facebook.

Das Original und das Beste gibt es bei mir!, schreibt sie immer wieder. Hand hoch, wer das SchlankMobil hasst! Das SchlankMobil ist pure Verarsche! Probiert mein richtiges Essen mit viel Geschmack und wenig Kalorien!

Den ganzen Tag koche ich vor Wut, bis mir bewusst wird, dass Julia recht hat. Und Rache wird, wie Wodka, am besten sofort und eiskalt serviert.

Ich rufe Jonah an unter dem Vorwand, mich zu entschuldigen. »Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen wegen des Streits mit Bianca«, lüge ich. »Hast du vielleicht ihre Adresse? Ich würde mich gern bei ihr entschuldigen.«

»Das ist total süß von dir. Sie wird sich bestimmt freuen«, antwortet er.

Ich muss ein Prusten unterdrücken. Wieso durchschaut er Bianca nicht? Oder gehört Jonah zu diesen nervigen Leuten, die jeden sympathisch finden?

Am Abend sind wir alle in der Küche versammelt, ganz in Schwarz gekleidet, und bereiten uns auf die Operation vor. Wir sehen aus wie eine weibliche Ninja-Kampftruppe. Na ja, wie Ninja-Kämpferinnen mit unterschiedlich ausgeprägter Kondition und Entschlossenheit.

Julia liegt auf dem Boden und jammert über ihren aufgeblähten Bauch, während sie mit schwarzer Schuhcreme als Tarnfarbe zwei Querstreifen auf ihre Wangenknochen malt. Coco spült das Geschirr, es gab einen Makkaroni-Auflauf zum Abendessen. Madeleine schneidet eine Birne und isst die Schnitze sehr bedächtig. Und Angie ist verkatert, sie trägt immer noch ihre Sonnenbrille. Ich habe sie nicht auf Eddie angesprochen, dank einer übermenschlichen Selbstbeherrschung, die ich mir gar nicht zugetraut hätte.

»Okay, Team A und Team B, lasst uns noch mal den Plan durchgehen«, sage ich.

»Wir wissen schon, was wir zu tun haben! Himmel, seit wann bist du so ein Kontrollfreak?«, erwidert Julia und versucht, den Reißverschluss ihrer Hose zuzubekommen. »Ich bin total aufgeschwemmt. Oder meine Jeans sind eingegangen. Und mein BH auch.«

Coco strahlt mich an. »Ich bin total aufgedreht! Und ich hab ein bisschen Schiss. Aber nur vor Aufregung!«

Coco wäre auch begeistert, wenn ich vorschlagen würde, kleine Katzenbabys zu ertränken. Offenbar war Eric gestern Abend ziemlich betrunken, aber »wahnsinnig nett«. Zum Schluss hat er sie in ein Taxi gesetzt und sich mit einem Kuss auf die Lippen verabschiedet. Coco wähnt sich seitdem nur noch einen kleinen Schritt von seiner Liebeserklärung samt Heiratsantrag entfernt.

»Ich auch«, sagt Madeleine und kneift konzentriert die Augen zusammen, während sie den nächsten Birnenstreifen abschneidet.

»Und ich erst«, sagt Angie, obwohl ihr Ton etwas anderes vermuten lässt.

»Darf ich um Haltung bitten, Leute«, sage ich. »Okay, auf geht’s.«

Wir verlassen zusammen das Haus. Angie und ich gehen voran. Sie bietet mir eine Zigarette an, aber ich bin zu angespannt, um zu rauchen. Sie zündet sich eine an und hält sie dann zwischen Daumen und Zeigefinger wie die Jungs auf dem Gefängnishof. »Sehe ich gefährlich aus? Ich möchte einen gefährlichen Eindruck machen.«

Julia fängt an zu singen. »Hit the road, bitch, and don’t you come back no more, no more, no more, no more …«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ›Jack‹ heißt und nicht ›Bitch‹«, sagt Madeleine.

»Ich improvisiere.«

»Langsam werde ich nervös«, sagt Madeleine, die nun zu uns aufschließt und sich bei uns einhakt. Wow, sie taut richtig auf in letzter Zeit.

Wir nähern uns Gowanus, und die eleganten, gemütlichen Sandsteinhäuser von Carroll Gardens verschwinden. Die Gegend nimmt verwahrloste Züge an. Vergitterte Schaufenster, abblätternde Außenbeschriftungen und eine graffitiverschmierte Bahnunterführung, die kein Ende zu nehmen scheint.

»Im Film wäre das der perfekte Ort, um ermordet zu werden«, sagt Julia.

Angie runzelt die Stirn. »Ich glaube, ich war hier mal in einem Club ganz in der Nähe.«

An der nächsten Ecke biegt Team A (Coco, Jules und ich) rechts ab, Team B (Angie und Madeleine) geht geradeaus weiter bis zum nächsten Block.

In unserem bestmöglichen unauffälligen »Wer, ich, Officer?«-Gang erreichen wir drei von Team A das Haus mit der Nummer 144, das mit blauen Schindeln verkleidet ist und ein Stück abseits der Straße steht. Darth Vader parkt direkt davor. Es brennt kein Licht am Hauseingang, aber das muss nicht bedeuten, dass Bianca nicht da ist.

Plötzlich schlägt mir mein Herz bis zum Hals.

Ich schicke eine SMS an Team B. Die Luft ist rein. Seid vorsichtig.

Die Straße ist völlig verwaist, das einzige Geräusch stammt von einem Hund, der in der Nachbarschaft kläfft. Ich bewege mich so vorsichtig und lautlos wie möglich. Wie ein echter Ninja. Ich hebe die Hand und gebe mit zwei Fingern das »Vorwärts«-Signal, wie ich es in Actionfilmen schon oft gesehen habe.

Julia prustet leise los und fängt dann an zu beben, weil sie es kaum schafft, ihr Lachen zu unterdrücken.

»Sei still!«, zische ich. »Wir schlagen jetzt zu. Coco, du hältst Wache.«

Julia nimmt ihren Rucksack ab und holt die Spraydosen heraus, und wir machen uns daran, den ersten Schritt unserer Operation auszuführen.

Julia fängt wieder an zu kichern.

»Julia Russotti!«, schimpfe ich in gedämpftem Ton. »Sei endlich still, verdammt!«

Sie kann sich nicht kontrollieren. »Ich kann nichts dafür! Das ist so lustig!«

»Julia. Klappe. Sofort.«

Coco gelingt es, scharf zu klingen, obwohl sie flüstert. Wow. Dieses eindringliche und unheimliche Flüstern hat sie bestimmt während ihrer pädagogischen Ausbildung gelernt.

Nach ein paar Minuten sind wir fertig und laufen wieder an die Ecke Third Avenue. Ich schicke eine zweite SMS an Madeleine und Angie. Team A ist durch. Team B, Status melden.

Keine Antwort. Coco, Jules und ich wechseln einen besorgten Blick. Ich warte sechzig lange Sekunden, dann schicke ich die nächste SMS. Team B, Status melden, dringend.

Nichts.

»Sie sind erwischt worden!«, flüstert Julia.

»Niemals, dafür sind sie viel zu clever«, erwidert Coco noch leiser.

»Leute, ihr braucht hier nicht zu flüstern. Wir sind mehr als zehn Meter von ihrem verdammten Haus entfernt.«

Ich simse ein letztes Mal. Status melden, oder wir kommen euch holen.

Wir warten eine weitere Minute und sehen uns dann an. Kann man verhaftet werden, wenn man als Ninja verkleidet in einem fremden Garten herumschleicht? Mein Gefühl sagt mir Ja.

»Jules, du bleibst hier und stehst Schmiere«, sage ich. »Coco und ich werden sie suchen.«

»Ich will aber nicht allein hierbleiben!«, sagt Julia. »Die Gegend macht mir Angst.«

Dann höre ich einen Schrei.

»LOS! LOS

In der nächsten Sekunde kommen Madeleine und Angie aus der Dunkelheit auf uns zugerannt.

»LAUFT!«, brülle ich.

Ich führe den Sprint an, ich kann die Mädels hinter mir schnaufen und giggeln hören.

»Das ist albern«, stößt Angie keuchend aus.

Dann höre ich eine Polizeisirene.

»Die Bullen!«, schreit Julia.

Wir kreischen alle entsetzt auf.

Ich lege einen Zahn zu, spurte so schnell ich kann durch die Straßen von Brooklyn, die Mädels sind mir dicht auf den Fersen.

»Hier links rein! Sie sind hinter uns her!«, ruft Angie.

Ich renne so schnell, dass ich den Wind an meinen Ohren vorbeipfeifen höre. Die anderen sind hinter mir, unsere Schritte hallen in den Häuserschluchten wider. Ich bin jetzt richtig in Fahrt, ich fühle mich so stark. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so schnell gelaufen. Das ist fantastisch! Ich werde in Zukunft öfter joggen gehen, ich werde mich zu einem Lauftreff anmelden, ich werde …

»Das ist eine Sackgasse!«, schreit Madeleine plötzlich. »Du bist in eine Sackgasse gelaufen!«

Sie hat recht. Es ist eine Sackgasse. Ich fange an, unkontrolliert zu lachen, und stürze prompt. Dann stolpert Julia über mich, und wir fallen alle übereinander.

»Au«, jammere ich, trotzdem muss ich so sehr lachen, dass mein Bauch wehtut. »Ich glaube, ich habe mir den Ellenbogen aufgeschürft.«

»O mein Gott, das war knapp«, sagt Madeleine. »Ich konnte den Streifenwagen förmlich spüren!«

»Ich glaube nicht, dass die Polizei hinter uns her war, Süße«, sagt Angie.

»Mein Knie tut weh. Ich glaube, das ist meine alte Meniskusverletzung aus der Fußballerzeit«, sagt Julia. »Aber ich hätte es trotzdem problemlos bis nach Hause geschafft.«

Nun, da ich nicht mehr in Bewegung bin – und nicht mehr lache –, fühlt sich meine Brust an, als würde sie gleich zerspringen. Ich nehme alles zurück, was das Joggen betrifft. Ich habe Seitenstechen. Ich spüre, dass mein Gesicht feuerrot ist. Ich muss wirklich mit dem Rauchen aufhören.

Coco kommt schließlich wieder zu Atem. »Was war denn los? Warum seid ihr weggerannt?«

»Wir sind auf die Garage geklettert und von dort aus in den Garten, so wie wir es geplant haben«, antwortet Angie.

»Dann sind wir über den Zaun gestiegen und haben gesehen, dass im zweiten Stock Licht brennt«, fügt Madeleine hinzu.

»Also haben wir uns hinten auf die Terrasse geschlichen und ein paar Gartenmöbel aufeinandergestellt, um auf den Balkon zu klettern. Und dort bin ich dann auf Madeleines Schulter gestiegen und habe durch das Fenster geschaut.«

Madeleine nickt und massiert ihre rechte Schulter. »Wir haben Schere, Stein, Papier gespielt. Ich habe verloren.«

»Und?«

»Und … sie hat gerade gebacken. Und ihre Kuchen sind garantiert nicht fettarm.«

»Ich habe Fotos gemacht von großen Eimern mit Öl und Maissirup und Fertigei!«, sagt Angie.

»YES!« Wir brechen alle in Jubel aus.

»Noch besser, sie verwendet irgendwelche No-name-Fertigmischungen! Von wegen Biobackkunst, was zum Teufel das auch immer heißen soll …«

»Spitze!« Julia hüpft vor Begeisterung auf der Stelle, bevor sie plötzlich auf den Boden heruntersackt. »Au, mein Knie, au.«

»Okay«, überlege ich. »Ich könnte die Bilder morgen früh an alle Food-Truck-Blogs und Homepages mailen, um Bianca bloßzustellen und für einen Skandal zu sorgen … Oder geht das zu weit?«

»Ganz sicher nicht«, erwidert Angie im selben Moment, in dem Madeleine »Ach was!« sagt und Coco ruft: »Sie klaut dir deine Geschäftsidee und streitet es dann auch noch ab! Sie hat es nicht anders verdient.«

Zu Hause angekommen, hocken sich Coco und Julia vor den Fernseher, Angie und Madeleine verziehen sich in ihre Zimmer, und ich fühle mich inspiriert, weitere Salatrezepte herauszusuchen. Ich brauche neue Ideen, um allen anderen Salatverkäufern in New York voraus zu sein. Das SchlankMobil soll der Marktführer werden. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so eine große Verantwortung gefühlt. Ich denke, meine Eltern wären stolz auf mich. Ausnahmsweise einmal. Vielleicht.

Gegen elf klopft es an meiner Tür. Es ist Julia.

»Was gibt es, Schneckchen?«

»Pia, ich habe beschlossen, dass es Zeit für mich ist, einen Mann kennenzulernen.«

»Okay«, sage ich und setze mich gerade hin. Jules ist es offensichtlich sehr ernst.

»Mein Job ist ätzend, aber daran kann ich nicht viel ändern, richtig? Ich könnte natürlich in meiner Freizeit einen Fotografie- oder einen Kochkurs machen, aber weißt du, ich habe weder besonders viel künstlerisches Talent noch … kulinarisches.«

»Okay«, sage ich wieder.

»Was mir also fehlt, ist ein Mann.«

»Kapiert.« Ich bemühe mich, so ernst zu klingen, wie Jules das sicherlich von mir erwartet. »Wie wäre es mit den Partnerbörsen im Internet?«

Sie schüttelt den Kopf. »Vergiss es. Zu intensiv. Ich will es so machen wie du. In Kneipen gehen und Männer aufreißen.«

Ich lache. »Klar, weil das auch immer klappt.« Dann wird mir bewusst, dass sie keinen Scherz gemacht hat. »Okay, gut, du musst nur …«

»Ich weiß, ich weiß. Die Geschichte mit dem Blickkontakt, von dem du immer redest. Aber das funktioniert bei mir nicht, Pia. Ich sehe nicht so aus wie du.«

»Du ziehst dich nur nicht so an wie ich«, verbessere ich. »Das richtige Styling, die richtige Frisur und das richtige Make-up verleihen dir mehr Selbstvertrauen. Selbstvertrauen gleich Charisma und Charisma gleich männliche Aufmerksamkeit. Du fühlst dich gut, bist lockerer und lustiger. Du bist noch du selbst, aber in der bestmöglichen Version, verstehst du?«

»Und? Was heißt das jetzt? Brauche ich so ein blödes Umstyling?«

Ich grinse. »Ja. Bevor wir das nächste Mal wieder zusammen auf die Piste gehen, verpassen wir dir ein Verschönerungsprogramm.«

»Danke, Süße«, sagt sie. »Ich wusste, dass ich die Richtige frage.«

Sie verschwindet wieder. Ich bin glücklich: Julia hat sich bisher immer gegen meine Versuche gewehrt, sie ein bisschen aufzupeppen. Sie hat wunderschöne lange Haare, die sie aber immer zu einem Pferdeschwanz bindet, und eine tolle Oberweite, die sie aber immer unter einem Sport-BH versteckt (ich weiß, ich weiß). Und ihre Garderobe sieht aus, als würde sie einmal im Jahr einen Klamottengroßeinkauf in irgendeinem Kaufhaus machen. Ich glaube, das ist tatsächlich so.

Oje, ich hoffe, mein Rat zahlt sich aus. Es hat mir schon immer widerstrebt, anderen zu sagen, was sie tun sollen, weil ich mich dann für ihr Glück verantwortlich fühle. Und was, wenn es schiefgeht? Dann hasst Julia mich womöglich. Aber vielleicht ist das Blödsinn. Ich gelange allmählich zu der Erkenntnis, dass viele Sachen, die ich denke, irgendwie Blödsinn sind.

Auf einmal bin ich ganz rastlos. Ich schlüpfe in meine Lieblingspantoffeln, schnappe mir mein Buch und gehe nach unten, um mir eine Schale Müsli zu machen. Auf dem Weg in die Küche begegne ich Madeleine. Sie trägt … Laufkleidung?

»Willst du etwa jetzt noch joggen gehen? Madeleine, es ist mitten in der Nacht!«

»In Brooklyn Heights gibt es einen Mitternachtslauftreff«, erwidert sie und steckt sich Minikopfhörer in die Ohren.

»Wer geht denn um Mitternacht joggen?«

»Das hilft mir, den Kopf freizubekommen«, antwortet sie und joggt zur Tür hinaus.

Sie ist heute bereits gelaufen. Und sie war beim Yoga. Und sie hat dreimal geduscht. Seltsam, nicht? Ich muss immer wieder an dieses HÄSSLICH HÄSSLICH HÄSSLICH gestern auf dem Spiegel denken. Ich frage mich, ob Madeleine das war. Und falls ja, wie soll ich darauf reagieren? Es Julia erzählen? Wie spricht man jemanden auf etwas an, das vielleicht nur auf schlechte Laune zurückzuführen ist oder auf widerspenstige Haare oder so? Wir haben schließlich alle mal negative Gedanken. Man muss einfach dafür sorgen, dass die positiven Gedanken überwiegen.

Während ich Honey Flakes mit Cheerios mische und Milch darübergieße, höre ich ein Geräusch von der Veranda und spähe hinaus. Es ist Angie, die dort allein mit einem Drink und einer Zigarette sitzt. Ich öffne die Tür und gehe zu ihr. Sie sieht umwerfend aus in ihrem grünen Minikleid, das mir neu ist.

»Ist das von Marc Jacobs?«

»Richtig erkannt.«

»Wie zum Teufel kannst du dir die ganzen Designerklamotten leisten, wo doch deine Eltern deine Miete bezahlen müssen und du deiner Chefin Sushi klaust?«

Sie zuckt mit den Achseln und nimmt einen tiefen Zug. »Das hier war ein Geschenk. Aber es war zu lang, also habe ich es zwanzig Zentimeter gekürzt und mit dem Gürtel ergänzt. Gefällt es dir?«

»Super«, sage ich und beginne, mein Müsli zu mampfen.

Dann fällt mir auf, dass sie keine Zigarette raucht, sondern einen Joint. Und in ihrem Glas ist purer Wodka, garniert mit einer Gurkenscheibe.

»Angie, mal im Ernst. Ich weiß, ich bin nicht gerade die Richtige, um eine Anti-Drogen-Kampagne zu organisieren, aber Julia dafür schon. Und das Haus gehört ihr. Hättest du nicht warten können, bis du unterwegs bist?«

»Und verhaftet werden? Wohl kaum.«

Sie weicht meinem Blick aus. Irgendwas stimmt hier nicht, wird mir plötzlich bewusst. Irgendwas stimmt hier wirklich nicht. Soll ich was sagen? Vielleicht macht Angie ja dann den Mund auf, wie neulich.

»Alles okay? Ist was …«

»Halt mal«, sagt sie und steht auf. Sie nimmt eine Schere aus ihrer Handtasche, beugt sich vor und kürzt ihren Rocksaum um weitere zwanzig Zentimeter.

»Was zum …«

»Das ist noch besser«, sagt sie und lässt den Stoff auf den Boden fallen. »Okay, ich fahre nach TriBeCa in eine Bar. Kommst du mit?«

»Nee«, sage ich. »Angie …«

»Pech«, unterbricht sie mich wieder achselzuckend und trinkt schwankend ihr Glas aus.

»Hör zu, Angie, möchtest du reden? Ist es wegen Marc?«

»Möchtest du über Eddie reden?«, kontert sie.

Autsch.

Und fünf Sekunden später ist sie weg.

Dann, auf dem Weg zurück in mein Zimmer, begegnet mir Coco. Oje, sie hat geweint.

»Was ist? Was hast du? Coco?«

»Marley stirbt«, antwortet sie und holt zitternd Luft.

»Oh … Marley ist nur ein Hund. In. Einem. Film.«

»Außerdem hat Eric sich nicht mehr gemeldet«, sagt sie. »Wir haben uns geküsst, und jetzt … nichts. Ich habe ihm heute Abend zweimal gesimst, aber nichts!«

Sie beginnt wieder zu weinen. Aha, das ist also der eigentliche Grund.

»Okay, ignorier ihn einfach«, sage ich. »Die kalte Schulter wirkt auf Männer wie Katzenminze.«

»Aber was, wenn ich ihn ignoriere und er mich ignoriert, und das war’s dann? Was, wenn mehr daraus werden könnte, würde ich mich nur ein wenig mehr bemühen? Das kann es einfach nicht gewesen sein!«

Ich kenne diese verzweifelte Gedankenspirale. So was kann einen wahnsinnig machen. »Er meldet sich schon noch. Vertrau mir. Wahrscheinlich kuriert er bloß seinen Kater aus, oder er lernt für die Uni …«

Sie schüttelt den Kopf. »Er ist auf einer Party in Manhattan, Einundsiebzigste Straße, Ecke Lexington Avenue. Das hat er auf Facebook gepostet! Warum hat er mich nicht eingeladen mitzukommen?«

»Vielleicht sind auf der Feier keine fremden Gäste erwünscht«, sage ich.

Obwohl, wenn ein Mann Wert darauf legt, eine Frau zu sehen, wird ihn eine Kleinigkeit wie das Mitbringen von ungeladenen Gästen nicht davon abhalten.

»Nein, das ist, weil … oh, vergiss es. Das ist genau wie damals in der Highschool«, sagt sie und läuft die Treppe hoch.

»Coco!«, rufe ich ihr hinterher. »Möchtest du darüber reden?«

»Nein!«, ruft sie zurück. »Ist gut, ehrlich!«

Dann knallt sie ihre Tür oben zu.

Und ich dachte, ich wäre der einzige Loser hier, ich dachte, dass alle, die ich kenne, ein perfektes Leben führen … dass sie glücklich sind und etwas aus ihrem Leben machen, so wie sie sich das immer gewünscht haben.

Schätze, das war ein Irrtum.

Vielleicht müssen wir alle erst herausfinden, was für ein Leben wir uns vorstellen und wie wir es verwirklichen können. Und wir müssen uns gegenseitig helfen. Wir hängen alle gemeinsam drin – in diesem Leben, in dieser Zeit, in dieser Existenz. Und plötzlich ist mir sonnenklar, was ich will. Es geht nicht nur um das SchlankMobil. Es geht nicht nur um meine Eltern.

Ich möchte besser darin werden, ich zu sein, falls das einen Sinn ergibt. Ich möchte in meinem Leben mit harter Arbeit vorankommen. Und mit Ehrlichkeit. Und mit Fairness. Und dem ganzen anderen positiven Zeugs. Und nicht mit bedeutungslosem Sex und Almosen und Eddie-bedingtem Komasaufen. Und auch nicht damit, dass ich mache, was ich will, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Ich möchte die bestmögliche Version von mir selbst sein. Eine neue, bessere Pia.

Und ich bin die Einzige, die das verwirklichen kann.

Schritt eins: das Löschen aller Beweisfotos von dem Überfall auf Bianca heute Abend. Ihr einen Streich zu spielen, ist eine Sache, ihr Geschäft zu sabotieren, eine andere. Wir haben Biancas Truck mit Sprühfarbe umbenannt, vielleicht ist das ja Rache genug.

Es wird ihr bestimmt schwerfallen, Essen aus einem Food Truck zu verkaufen, der SOLLEN DIE ANDEREN DOCH EUNUCHEN FRESSEN! heißt.