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Gestern hat den großen Ederl die große Lust auf ein bisserl Zweisamkeit gepackt.

An normalen Tagen ist sein hormonelles Gleichgewicht nach dem Besuch einer der Peep-Shows am Gürtel wieder hergestellt, der Ederl lädt sich für die Zeit vor dem Einschlafen vielleicht noch die Theresa Orlowsky zu sich nach Hause ein, und damit ist das Problem für ihn und das Wiener Nachtleben aus der Welt.

Der gestrige Samstag war aber kein normaler Tag. Erstens war, so kurz nach Allerheiligen, in der Gärtnerei beim Baumgartner Friedhof nicht viel zu tun (Ederl der Große arbeitet dort wegen der Bewährungshilfe und der Sozialversicherung im Geschäft seines Bruders), zweitens machte sich ein daher vor überschüssigen Energien geradezu strotzender Ederl auf große Fahrt ins Peep-Vergnügen, und drittens war das Angebot an animierlicher Weiblichkeit an diesem Samstag so erbärmlich („Ollas Graten, ollas Bana“), daß Ederl der Große die Lokalitäten nicht beschwingt und erleichtert, sondern mit dem ganz großen Frust verließ.

Im gürtelnahen Tanga Club spülte er seine üble Laune mit einem Dutzend Bieren hinunter, übersah dabei aber anscheinend, daß hier ein einziges Import-Krügel so viel kostet wie ein solider Vollrausch bei seinem Stammwirten in der Abelegasse. Dafür bietet der Tanga Club dem alleinstehenden Herrn jedoch Anschluß. Ein halbes Dutzend charmanter, leicht bekleideter Damen aus dem In- und Ausland läßt sich gern auf den einen oder anderen Piccolo einladen, und es bedarf keiner großen Überredungskunst, eine Sirene namens Lorelei, Piroschka oder Angelique zu Spiel und Spaß in eines der Separees zu entführen. Vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld einstecken.

Der Ederl hatte sein Spielkapital aber bereits versoffen, als er zwei wissensdurstige Teenager aus dem einstigen Osten auf eine Französischstunde ins Hinterzimmer einlud. Und er verstand die Welt nicht mehr, als ihr Wissensdurst in massives Desinteresse umschlug, weil er das Schulgeld nicht zahlen konnte.

Wenn Ederl der Große die Welt nicht mehr versteht und noch dazu was getrunken hat, dann muß er das kleine Stückchen Welt, das er in die Finger kriegen kann, kurz-und kleinschlagen. Das hat ihm schon öfter Schwierigkeiten eingebracht, aber so ist er nun einmal, der Ederl, und die zehn Jahre Häfen konnten seinen Mangel an Verständnis für den Lauf der Welt auch nicht wirklich beheben.

Gestern im Tanga Club mußten das Nasenbein einer ungarischen Geheimprostituierten, der Handwurzelknochen ihrer aus der Ukraine gebürtigen Kollegin, ein rotweiß karierter Bettvorleger und das Waschbecken dran glauben, ehe drei Kavaliere das Separee stürmten, die beiden Mädchen aus den Klauen des randalierenden Ederl befreiten und ihn mit vereinten Kräften aus dem Lokal entfernten.

Auf der Straße fand dann jene Besprechung statt, der der Ederl sein derzeitiges, auf dem Polizeifoto dokumentiertes Aussehen verdankt. Und es wäre noch viel schlimmer, wenn nicht die Ankunft der ersten von insgesamt vier Funkstreifen die drei Kavaliere und den Störenfried in ihrer Unterhaltung unterbrochen hätte.

Der Ederl landete auf dem Kommissariat Tannengasse, und einer der Journalbeamten erkannte ihn sofort als den seit heute zur Fahndung ausgeschriebenen Eduard Jerabek. Daß der Verhaftete einen Führerschein und einen Personalausweis bei sich trug, der auf den Namen Ludwig Auer lautete, und auch steif und fest behauptete, dieser Ludwig Auer zu sein, brachte Ederl dem Großen nur ein paar herzhafte Lacher und Watschen der vom Samstagabendstreß gezeichneten Kieberer ein.

Nach der medizinischen Versorgung durch den Polizeiarzt und dreieinhalb Stunden Schlaf in der Ausnüchterungszelle wurde der Ederl ins Sicherheitsbüro überstellt, und Brunner begann sein Tagwerk.

Es gab Kaffee, Zigaretten und zwei Alternativen für den Ederl: entweder eine wirklich erstklassige und restlos überzeugende Demonstration seiner Sangeskunst, oder ein ganz zufälliges Wiedersehen mit den drei Kavalieren aus dem Tanga, ohne Zeugen, in einem schalldichten Raum des Hauses.

Der Ederl entschied sich zähneknirschend für den musikalischen Teil des Ultimatums.

Am Anfang, und der war am Donnerstag, stand ein Anruf in der Friedhofsgärtnerei. So um halb zehn. Ein Bekannter. Er hätte da was. Einen Job, der zwar kein Zinshaus bringt, bei dem sich der Ederl aber auch keinen Bruch heben wird. Einen Abtransport von Schallplatten und Videocassetten. Schnelle Marie. Noch dazu schleppt er nicht allein. Es gibt einen Buckel, eine Hilfskraft, die Näheres weiß über das Wann und Wo.

Der Ederl war dabei.

Um 19 Uhr traf er in einem Kaffeehaus in der Hütteldorfer Straße seinen Buckel, und der sah das etwas anders. Der Mann war ganz eindeutig der Boß und der Ederl sollte schleppen. Dem Ederl war das gar nicht so unangenehm. Erstens änderte die neue Rollenverteilung nix an der Höhe seiner Gage, und zweitens hat er eine gesunde Selbsteinschätzung. Der Ederl weiß, daß er nicht zur Führungskraft geboren ist.

Sein neuer Arbeitgeber hingegen war der geborene Chef. Und ein Vollprofi. Außerdem absolut schmähfrei und ungefähr so gesprächig wie ein Grab. Er gab dem Ederl ein paar Daten durch, in einem komischen Deutsch („Der Old Shatterhand trifft im Winnetou so einen halblustigen Trapper aus Germanien, und der redet genau so. „), und sprach für die Zeit ihrer Zusammenarbeit ein absolutes Alkoholverbot aus.

Der Ederl kassierte einen Vorschuß, den er umgehend zu seinem Wirten trug, war aber am Freitag pünktlich um 14 Uhr am vereinbarten Treffpunkt, dem neuen Parkhaus beim Westbahnhof.

Der Profi wartete in einem dunkelblauen VW-Bus mit altem Wiener Kennzeichen, und der Ederl lotste den offensichtlich nicht Ortskundigen durch das Baustellenchaos am Europaplatz in die Sechshauser Straße, wo sie den Bus vor der Hauseinfahrt neben dem Cafe Rallye parkten.

Während der Ederl vor dem Haustor auf seinen großen Auftritt wartete, verschwand der Chef im Lokal. Zirka fünf Minuten später kam er wieder, sagte was von“Keine Fragen, keinen Scheiß“, und sie gingen durch die Einfahrt in den Hof.

Ederls erste Aufgabe hätte an sich darin bestanden, das Vorhängschloß an der Tür des Holzschuppens aufzubrechen. Das Schloß war allerdings bereits aufgeschlossen, die Tür zum Schuppen stand einen Spalt offen, und drinnen brannte Licht.

Der Ederl freute sich über die leicht verdiente Marie und wollte seinen Auftraggeber fragen, ob nicht eine Fixanstellung möglich wäre, bei Aufträgen wie diesem wäre er auch zu unbezahlten Überstunden bereit.

Aber als sie den Schuppen betraten, sah der Chef so konzentriert und gefährlich drein, daß er beschloß, ihn jetzt besser nicht zu stören und sich die Anfrage für später aufzuheben.

Im Schuppen gab es Bierkisten, alten Krempel und einen jungen Burschen, der vor einem alten Verstärker oder sowas auf einer Kiste saß und eine Flasche Kapsreiter trank.

„Sie sind da falsch“, sagte der Bursch, als er den Ederl und seinen Chef bemerkte. „Das Gästeklo ist drüben im Lokal, die Tür neben dem Flipperautomaten.“

Dann ging alles wahnsinnig schnell. Zu schnell für den Ederl, und zu schnell für den jungen Mann mit dem Bier.

„Danke“, sagte der Profi.

Dann hatte er plötzlich ein Messer in der Hand, war mit einem Satz bei dem immer noch arglos und freundlich lächelnden Burschen und schnitt ihm die Kehle durch.

Der Ederl sah, wie der Bursch nach hinten von der Kiste kippte und eine rote Fontäne aus seinem Hals schoß. Der Profi wich dem dicken Blutstrahl blitzschnell aus, trotzdem kriegten die hellblauen Jeans ein paar Spritzer ab. Dann spritzte das Blut nicht mehr, es rann nur noch aus dem aufgeschlitzten Hals, und der Profi zog dem Toten den Pulli und das Hemd hoch bis zum Kragen.

Der Ederl glaubte zuerst, sein Chef wollte die klaffende Wunde notdürftig verbinden und die Blutung stoppen, weil das Ganze ein Irrtum war, ein Arbeitsunfall quasi: Der Chef wollte dem Burschen Angst einjagen, ihn einschüchtern und im Schach halten, bis ihre Mission erfüllt und die Schallplatten im Bus verladen waren, und dabei ist ihm sozusagen die Hand ausgerutscht, sowas kann jedem passieren, auch einem Vollprofi. Aber dann rammte der Vollprofi sein Messer dem Toten bis zum Heft in die Brust, zog es langsam wieder ein Stück heraus und schlitzte ihm den Oberkörper bis zum Hosenbund auf.

Den Ederl erinnerte das an die Sommerfrische in seiner Kindheit. Die Bauern, bei denen er mit seinen Eltern auf Urlaub war, machten das mit den frisch geschlachteten Viechern, um sie auszunehmen und ausbluten zu lassen.

„Keinen Scheiß jetzt“, sagte der Profi dann zum Ederl, wischte sein Messer an einem Hosenbein des Toten sauber und packte es wieder weg. Der Ederl bekam die Order, in Abänderung des Programms die Leiche verschwinden zu lassen, und der Chef wußte auch schon wo. Er zeigte auf die Tiefkühltruhe. Und während der Ederl an die Arbeit ging, durchsuchte der Chef den Schuppen. Der Ederl hörte ihn leise fluchen. Die ganze Aktion war anscheinend nicht ganz so professionell geplant, wie er das auf Grund der militärisch-kargen und präzisen Angaben seines Arbeitgebers angenommen hatte.

Irgendwas schien mit den Schallplatten nicht in Ordnung zu sein, die der Chef hinter dem Verstärker entdeckt hatte. Und von Videocassetten war im ganzen Schuppen keine Spur.

Nachdem der Ederl die Leiche in der Tiefkühltruhe verstaut hatte, durfte er sich dem eigentlichen Teil seiner Aufgabe widmen. Er wuchtete die drei Bananenkisten hoch, packte eine speckige, aber gut erhaltene Lederjacke oben drauf und wollte mit seiner Last eben hinaus in den Bus, als ihn ein weiterer ungebetener Gast bei der Arbeit störte.

Jetzt hatte der Profi die Situation nicht mehr ganz so souverän im Griff. Der Ederl registrierte den Schweiß auf seiner Stirn und ein unschlüssiges Zögern, das einer echten Spitzenkraft - und der Ederl hatte in seiner langen Karriere schon des öfteren die Ehre gehabt, für echte Spitzenkräfte den Buckel zu machen - ganz einfach nicht passieren darf.

Nach dieser Verzögerung von ein paar Sekunden ließ er das Messer in der Tasche, packte den stummen Gast von hinten an der Gurgel und faßte sich ein angeschimmeltes Sesselbein. Er zog es dem Alten über den Schädel und stieß ihn dann gegen einen Stapel Bierkisten.

Als der Stapel umstürzte und den Mann unter sich begrub, war der Ederl schon in der Tür.

Der Mordswirbel hinter ihm, das Scheppern und Klirren der zerbrechenden Flaschen, bestärkte ihn in seinem Verdacht, daß sein Chef von diesem Auftrag leicht überfordert war. Und er beeilte sich, die Kisten in den VW-Bus zu schaffen, ehe im Haus die ersten Fenster aufflogen und das Ende der unglückseligen Aktion vor vollen Rängen stattfand. Der Abgang blieb unbemerkt. Der Ederl lud die Kisten in den Bus, während der Profi den Wagen startete. Und dann ging die Fahrt zurück zum neuen Parkhaus hinter dem Westbahnhof. Der Ederl machte wieder den Lotsen, beklagte zuerst den Verlauf der Operation und klopfte dann bescheiden wegen einer Gagenerhöhung an (das mit der Fixanstellung hatte er sich mittlerweile anders überlegt), denn schließlich seien das Verladen einer Leiche in eine Tiefkühltruhe und der damit verbundene Streß nicht Gegenstand der Vereinbarung gewesen.

Aber in Geldangelegenheiten war der Profi wirklich professionell. „Halt’s Maul“, sagte er nur.

Bei einem anderen Geschäftspartner hätte der Ederl jetzt die Welt nicht mehr verstanden und aus dem Zahlungsunwilligen diverse Zulagen herausgeprügelt. Aber mit dem Profi wollte er sich doch lieber auf keine Diskussionen einlassen. Also kassierte er am Parkplatz hinter dem Westbahnhof sein Honorar und nahm als kleine Entschädigung die Lederjacke des Wickerl Auer mit.

Dann leistete er sich ein Taxi zu seinem Wirten und einen anständigen Rausch.

Auch Leute wie Ederl der Große wollen manchmal nur vergessen.