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„Servas, Trainer“, sage ich auf den Anrufbeantworter, der mir vor dem Pfeifton lang und breit erklärt hat, daß weder der Trainer noch die Familie mit mir reden wollen, daß ich aber jederzeit eine Botschaft auf Band sagen oder faxen darf.

„Servas, Kurtl“, keucht der Trainer, der anscheinend doch mit mir reden will. „Ich bin ziemlich im Streß. Was gibt’s?“

„Einen Toten.“

„Weiß ich. Roscoe Erheart. Slide- und Dobrospieler bei den Hill County Ramblers. Verkehrsunfall auf dem Weg zu einem Gig in Lubbock, Texas. Tragisch.“

„Ich erhöhe auf zwei Tote“, sage ich.

„Interessant“, sagt der Trainer nach einer kurzen Nachdenkpause. Daß ihm der Tod eines Musikanten entgangen sein könnte ist ihm gar nicht recht. Sein Informationsvorsprung geht ihm über alles.

In seiner Funktion als musikalischer Betreuer, Seelenmasseur und Rock-and-Roll-Nachschlagwerk auf Beinen ist er seit zehn Jahren bei jedem Konzert mit dabei und nimmt seinen Job dermaßen ernst, daß ihn in der Chefpartie längst niemand mehr mit seinem Namen anredet. Der Trainer ist der Trainer. Und wenn Sie mich jetzt auf die Schnelle fragen, wie er wirklich heißt, ich müßte ganz lang nachdenken und dann wahrscheinlich passen. Ich glaube ja außerdem, wenn er von einer Tournee heimkommt, bringen ihn Frau und Kinder erst wieder auf die Idee, daß er nicht Trainer heißt und auch einen Vornamen hat. Irgendwas aus dem Nibelungenlied. Nicht gerade Siegfried, aber fast so schlimm.

„Wen hat’s noch erwischt, und vor allem wann?“ sagt er, einen leisen Anflug von Hoffnung in der Stimme, ich würde ihm einen bereits vor Monaten Verblichenen auftischen, dessen Nachruf, komplett mit Eckdaten und Discografie, er mir jetzt triumphierend runterbeten könnte.

„Ludwig Auer. Genannt Wickerl. Vormals Bassist bei ‘Mom & Dead’. Ums Eck gebracht heute Nacht bei mir ums Eck in der Sechshauser Straße.“

„Wie heißt die Combo? Mom & Dad? Wie Mamas & Papas?“ ringt der Trainer um Kompetenz.

„Fast. Nur daß die Mama Alleinerzieherin weil verwitwet ist“, sage ich.

„Interessant“, sagt der Trainer, und das Klicken seines Zippo-Feuerzeugs macht die Pause nicht weniger peinlich. Ich mache dem grausamen Spiel ein Ende, indem ich dem Trainer meinen nächtlichen und frühmorgendlichen Alptraum in Kurzfassung durchgebe und ihn auf ein Bier beim Quell einlade.

„Grauslich“, sagt er und meint, so wie ich ihn kenne, nicht das Bier. Dann hustet er in den Hörer, hält hustend Rücksprache mit seiner Frau und verspricht schließlich, in spätestens einer Stunde im Gasthaus Quell zu sein, maximal in eineinhalb, denn er muß vorher noch zum Billa, Katzenfutter, Cola und Hühnerschnitzel fürs Abendessen besorgen, und außerdem erwartet er einen dringenden Rückruf vom Kohlen-Güntl, unserem Ton- und Zahlmeister.

Der Trainer ist, wie gesagt, der Trainer, und der ist unbezahlbar. Aber er hat (mindestens) ein großes Problem: Er ist nicht wirklich flexibel und ständig pleite. Was mit seiner Lebensführung in den spielfreien Monaten Zusammenhängen könnte. Da verbringt er die Tage nämlich damit, die hart verdiente Gage in Tonträgern, Videocassetten, Büchern und Zeitschriften anzulegen, und die Nächte, diese Anschaffungen - vorzugsweise simultan - zu konsumieren. Wenn dann die Einnahmen aufgebraucht sind (und das geht rasend schnell), verbringt er die Tage und Nächte damit, seinen Computer mit den eventuell gewonnen Erkenntnissen seiner Studien zu füttern und dem Kohlen-Güntl Vorschüsse auf die nächste Tour aus dem Bauch zu leiern. Denn seine Forschungsarbeit, argumentiert der Trainer, muß weitergehen, darf nicht an Profanem wie einem gesperrten Girokonto oder einer am Hungertuch nagenden Familie scheitern.

Die drei Themenkreise, die er unermüdlich und im Dienste der Chefpartie beackert, sind: Musik, Mord und Totschlag. Wenn die neue Spielsaison naht, weiß der Trainer nicht nur absolut Bescheid über Kondition, Spielerwechsel und Taktik sämtlicher um den Meistertitel mitspielenden Combos des In- und Auslandes, er verwöhnt uns während der stundenlangen Busfahrten auch mit verwirrenden Inhaltsangaben von Dirty-Harry-Filmen, James-Ellroy-Romanen oder schwarzweißen Fernsehkrimis („Das Halstuch“, „Stahlnetz“). Nach einem besonders gelungenen Konzert belohnt der Trainer die Mannschaft an der Hotelbar oft auch mit haarsträubenden Fallstudien amerikanischer Massenmörder und Serienkiller. Hiebei stützt er sich auf die kriminalhistorischen Arbeiten seines Freundes Doktor Trash, eines Privatgelehrten und Misanthropen, der von seinem Hauptquartier in der Kirchengasse via Fax-Modem nicht nur mit dem Trainer sondern auch direkt mit der Datenzentrale des Leibhaftigen in Dauerkontakt steht. Die dürfte am ganz anderen Ende der Welt untergebracht sein, denn der Doc und der Trainer haben, abgesehen von ihrer gemeinsamen Leidenschaft für das Böse, nur ein Thema: die unerschwingliche Höhe ihrer Telefonrechnungen.

Der Kohlen-Güntl, ein knallharter Rechner und Pragmatiker, sieht übrigens keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sex & Crime und Favoritn & Blues, und will die Privatinteressen des Trainers nur dann weiter aus der Bandkasse finanzieren, wenn dieser seinen Computer vermehrt in den Dienst der Allgemeinheit stellt.

Ein schlauer Schachzug, dem Sie, geneigter Leser, anmutige Leserin, diese Aufzeichnungen letztendlich zu verdanken haben. Denn natürlich sitze ich zur Abfassung dieser Zeilen nicht an einer Schreibmaschine, wie das der Poet und Dichter tut, sondern liege auf meiner Bettbank und rede halblaut vor mich hin. Das Cassettenteil meines Ghettoblasters nimmt alles zu Protokoll, und der Trainer hat die schöne aber auch schwere Aufgabe, vermittels seines Computers aus meinen Ausführungen etwas halbwegs Lesbares zu machen.

Heute brauche ich dringend den Rat und Zuspruch eines Fachmanns. Und die Umständlichkeit des Trainers geht mir auf die Nerven.

„Vergiß den Billa, vergiß den Kohlen-Güntl“, sage ich. „Die Lage ist ernst. Ich glaub, ich hab mein Gedächtnis verloren. Oder du hast dir auf meinen Namen einen Container voll Platten und Videos gekauft. Oder wir haben ein Problem, das mit dem Wickerl-Massaker seinen Anfang genommen hat und uns noch in des Teufels Küche bringen wird.“

„Wieso uns?“, fragt der Trainer.

„Uns!“ sage ich und weiß auch nicht wieso.

„Bin gleich da. In zehn Minuten. Maximal.“