9 »Sag denen, du putzt keine Parteiklos!«

Wie ich eines Abends beschließe, als Piratin nicht mehr jede Aufgabe zu übernehmen

»Du sollst für die Klos putzen?« Mein Freund lässt die Zeitung auf seine Knie sinken, offenbar habe ich gerade die Meldung über den Tod der berühmtesten Elefantenschildkröte der Welt getoppt. Angeekelt schaut er zu mir herüber. »Sag mal: Du hast doch heute nicht etwa schon Klos geputzt?« Gleich wird er aufspringen, zu dem kleinen Ladenlokal fahren, das sich Bundesgeschäftsstelle nennt, und dort meinen neuen Piratenfreunden einen langen Vortrag halten – oder sie wenigstens übel beschimpfen. So jedenfalls hört sich das für mich am Küchentisch gerade an.

»Nein, hab ich nicht«, sage ich. »Putzen soll man nur, wenn das Klo schlimm aussieht.« Ein super Argument, jetzt wird er sicher gleich einlenken. »Das ist doch absurd!«, empört sich mein Freund. »Sag diesen Typen, du putzt keine Parteiklos. Die sollen sich einen Reinigungsdienst holen.«

Es gebe ja eine Putzkraft, erwidere ich kleinlaut, aber die komme eben nicht jeden Tag. »Dann soll die halt öfter kommen!«, ruft er jetzt. »Wo ist das Problem? Glauben die etwa, Kloputzen hätte was mit Basisdemokratie zu tun?« Die Partei habe doch so wenig Geld, entgegne ich halblaut. Und das stimmt ja auch. »Was?« Mein Freund hat die Zeitung zusammengeklappt und auf dem Playmobil-Polizeiauto abgelegt, das während des Abendessens auf dem Tisch einen Einsatz absolviert hatte. »Hast du mir nicht am Wochenende erzählt: Deine Partei hat schon mehr als 30.000 Mitglieder? Von den Beiträgen kann man doch wohl jemanden fürs Putzen bezahlen! Außer …«, mein Freund macht eine kurze Pause, »außer, die können mit dem Geld nicht umgehen.«

Ich habe keine Ahnung, was die Piraten mit ihrem Parteivermögen anstellen. Laut der FAZ verfügt die Partei im Monat über etwa 100.000 Euro aus der Parteienfinanzierung und eigenen Einnahmen. Das ist ein Witz, verglichen mit den Millionenbudgets anderer Parteien. Allerdings steht im Partei-»Wiki« auch: Zuletzt hatten 42 Prozent der Mitglieder ihren Beitrag nicht gezahlt. Die eigene Partei zur Gratisveranstaltung erklären, sie wie eine File-Sharing-Plattform ausnutzen – natürlich geht das nicht. Ich frage mich, warum der Parteivorstand so etwas hinnimmt. Hat irgendjemand etwas davon, wenn die Partei größer wirkt, als sie eigentlich ist? Ist das womöglich ein PR-Trick?

Eigentlich seltsam: Wer keinen Beitrag zahlt, verliert in der Piratenpartei nur das Stimmrecht, wird aber nicht rausgeworfen. Ich verstehe das nicht. Für Härtefälle gibt es doch einen ermäßigten Jahresbeitrag von 12 Euro. Wem die Piratenpartei nicht einmal einen Euro im Monat wert ist – der sollte eigentlich gleich gehen. Oder rausfliegen. Aber was kann ich dafür, wenn das nicht passiert? Und überhaupt: Muss ich mich als Piratin jetzt etwa auch noch darum kümmern?

Im Kühlschrank steht Sekt. Eigentlich wollte ich heute mit meinem Freund anstoßen. Stattdessen bin ich wütend auf mich selbst. Wie konnte ich nur so blöd sein und mich freiwillig für diesen Parteizentralen-Job melden? In den Augen meines Freundes habe ich in sieben Wochen eine bemerkenswerte Karriere hingelegt: vom politischen Nobody zur Putzfrau der Partei. Das schafft nicht jede.

Kaum zu glauben, dass dieser Montag mit einer wirklich guten Nachricht begonnen hatte: »Herzlich Willkommen, wir freuen uns, dich an Bord begrüßen zu dürfen!« Die lang ersehnte Mail der Parteiverwaltung war nach sieben Wochen endlich eingetroffen. »Deine zukünftige Mitgliedsnummer wird die 39.120 sein«, stand da. Ich beschloss spontan, mich einfach zu freuen und die Details zu ignorieren. Zum Beispiel, dass ich der Partei am 2. Juni 2012 beigetreten sein soll – obwohl ich den ersten Mitgliedsantrag am 7. Mai in der Parteizentrale hinterlassen hatte. In einer Schreibtischablage, auf Papier, von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter per Hand gestempelt. Einmal falsch herum, einmal richtig herum.

Einen Monat später, am 2. Juni, hatte der Landesschatzmeister am Rande der Gebietsversammlung in Kreuzberg bereits den zweiten Mitgliedsantrag für mich übers Internet abgeschickt. Aber wen würde das von heute an noch interessieren? Ich werde für den handschriftlich ausgefüllten Papierbogen keine Vermisstenanzeige aufgeben. Die Hauptsache ist: Ich bin offiziell drin!

»Wann du deinen Mitgliedsausweis erhältst, kann ich im Moment noch nicht sagen«, schrieb mir die Mitgliederverwaltung weiter unten in der E-Mail. »Aber keine Sorge: Du brauchst keinen Mitgliedsausweis, um deine Rechte als Mitglied wahrnehmen zu können.« Und der Zugangscode für Liquid Feedback werde mir zugeschickt, sobald ich meinen Mitgliedsbeitrag bezahlt hätte. Großartig. Der Schatzmeister hat mein Geld schon am 2. Juni während der Gebietsversammlung in bar kassiert. Liquid Democracy – ich komme!

Sogar mein zweiter Einsatz in der Parteizentrale hatte sich heute früh zunächst erfreulich angelassen. Ich war pünktlich. Mein P9-Kollege Wuerfel empfing mich heiter gelaunt, zum schwarzen T-Shirt trug er einen dunkelblauen Kilt. An diesem Montag wollte er mich in die Routinen der Morgenschicht einarbeiten. Wir kurbelten einen Rollladen hoch. Ich sammelte die benutzten Handtücher ein. Und als Wuerfel mir erklärte, die Partei habe keine Waschmaschine, sondern die Wäsche werde von einem Piraten abgeholt und daheim gewaschen, fand ich das schon fast logisch.

Wuerfel forderte mich auf, das Hinterzimmer zu lüften (»Nicht kippen, stoßlüften ist besser!«), bevor er mich schließlich bat, die Sauberkeit der Toilettenräume zu kontrollieren. Warum nicht? Ich warf einen Blick durch die geöffnete Tür. »Nein«, sagte Wuerfel bestimmt, ich solle schon den Deckel hochmachen und reingucken. Die Mitglieder dieses Squads sorgten auch dafür, dass die Toiletten nicht zu übel aussähen. Falls jemand eine Katastrophe hinterlassen habe, solle man die bitte beseitigen.

Mitarbeit in der Parteizentrale – das hatte für mich nach Zentrum der Macht geklungen, nach Herz der Bewegung. Ich hielt das Erdgeschossbüro in Berlin-Mitte für einen Ort, wo große Entscheidungen fallen. Ich erwartete, mich dort auf interessante Weise nützlich zu machen und ganz nebenbei das Parteileben kennenzulernen. In meiner Fantasie war die Pflugstraße 9a der beste Ort, um in der »Mitmachpartei« heimisch zu werden und politisch vorwärtszukommen, wohin auch immer.

In Friedrichshain würde ich meine Crew beim Klein-Klein der Basisarbeit unterstützen, in Mitte die visionären Facetten der Landes- und Bundespolitik miterleben. So hatte ich mir das ausgemalt.

Womöglich war das ein Irrtum. Vielleicht bin ich vor lauter Enthusiasmus einer Verwechslung aufgesessen. Ich habe Mitmachen gehört und an Politikmachen gedacht. Ich habe übersehen: Nicht alle, die fleißig helfen, haben am Ende auch Gestaltungsmacht. Das muss kein Drama sein. Aber ich möchte eigentlich etwas bewegen, wenn ich in eine Partei eintrete, sie finanziell unterstütze und mich darin engagiere. Ich finde daran nichts verwerflich.

»Was da läuft, ist schlicht Zeitverschwendung«, doziert mein Freund inzwischen, während er gedankenverloren die Playmobil-Radarfalle neben einer Tüte Bio-Salzbrezeln aufbaut. »Du bist doch nicht bei den Piraten, um für die zu putzen.« Ich stelle die Spülmaschine an und setze mich zu ihm an den Tisch. Er könnte meinen heutigen Einsatz zum Wohle der Partei ja auch einfach mal toll finden. Schließlich habe ich sogar schon den ersten Anruf in der Bundesgeschäftsstelle angenommen.

»Die Piratenpartei, Astrid Geisler, guten Tag!« Für mich klang dieser Satz phänomenal. Als ich den Hörer abnahm, war ich stolz und ein wenig nervös: Würde ich mich als Anfängerin blamieren? Die Sorge verflüchtigte sich schnell.

Ich war zwar ahnungslos – aber zugleich kompetenter, als der Partei lieb sein konnte. Denn der Mann am anderen Ende der Leitung hatte ein Problem, das mir bekannt vorkam: Schon seit Anfang April versuche er, Pirat zu werden. Es klappe nicht. Er habe einen Mitgliedsantrag nach Berlin abgeschickt, er habe seinen Mitgliedsbeitrag überwiesen, aber einfach nichts von der Partei gehört. Was solle er jetzt machen?

Gute Frage. Die Piraten mögen so liebenswert wie innovativ sein – womöglich sind sie sogar wichtig für unsere Demokratie. Aber Verwaltung ist definitiv nicht ihr Lieblingsfach. Nur wollte ich den Anrufer nicht verschrecken. Ich erzählte also spontan von meinem verschollenen Mitgliedsantrag, dem heutigen Happy End und schlug ihm vor: Er solle doch einfach auch einen zweiten Antrag abschicken – diesmal nicht an die Parteizentrale, sondern an seinen Landesverband. Die Idee erschien mir pragmatisch und Erfolg versprechend.

Mit ein paar Stunden Abstand frage ich mich: Wenn halbwissende Freiwillige noch unwissendere Piraten beraten – was bringt das der Partei? Vermutlich unter anderem neue Probleme, ohne dass die alten gelöst werden.

Ich entsinne mich an die ersten E-Mails von Denis, dem Kapitän meiner Crew Prometheus. Wenn die Piraten mir mal nicht die Heimat böten, die ich mir erhofft hätte, schrieb er, »dann gibt dir das piratige Mandat jederzeit die Gelegenheit, etwas daran zu ändern«. Niemand werde mir sagen, »was du tun sollst, du schlägst es selbst vor, suchst es dir selbst aus oder tust es selbst«.

Vielleicht ist es so weit. Denn ich bin überzeugt: Als WG ist die Parteizentrale nicht zukunftsfähig. Jedenfalls nicht, wenn diese Partei einen Bundestagswahlkampf bestehen und künftig mit den Grünen oder der Linkspartei mithalten will. Politisches Engagement bei den Piraten kann auch heißen: sich für eine Professionalisierung dieser Partei einsetzen.

Klar, man könnte mir unterstellen, ich sei mir zu schade für bestimmte Aufgaben. Andersherum stimmt es: Die Piraten sollten es sich gut ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht leisten, ihre Kapazitäten zu verschwenden. Kein Geld? Kürzlich hat die Partei eine offizielle Spendenkampagne gestartet, um 100.000 Euro für neue IT-Hardware zu sammeln. Bis heute sind immerhin 56.677 Euro zusammengekommen. Was spricht gegen eine ähnliche Aktion für ein angemessenes Hauptquartier? Mit professioneller Verwaltung, Geschirrspüler, Waschdienst, täglicher Putzkraft. Dass die Wähler nach Jahrzehnten der Glitzerfassadenpolitik wieder das Improvisierte lockt? Dass sie den Piraten ihr Kreuzchen schenken, weil die so herrlich unfertig und antietabliert sind? Mag sein. Aber sicherlich wird niemand im Herbst 2013 die Piraten wählen, weil sie ihre Parteiklos noch selber putzen.

Die Piraten fürchten, sie könnten gentrifizieren wie die Grünen? Ich verstehe diese Sorge. Nicht unwahrscheinlich, dass es so kommt. Aber wenn es eines Tages so weit ist, dann sollten sie nicht so tun, als seien daran die Spülmaschine und der bezahlte Kollege in der Verwaltung schuld.

Ich sehe die Risiken an anderer Stelle. Eben verkündet der Berliner Piraten-Abgeordnete Pavel Mayer bei Twitter: »Krass: Wenn wir in den Bundestag einziehen, kann der Fraktionsvorsitzende und der Parteivorsitzende die Flugbereitschaft nutzen.« Die Reaktionen aus der Community lassen, wie gewohnt, nicht lange auf sich warten: »Wenn das mal kein Grund für die Trennung von Amt und Mandat ist!« Oder: »Wobei Jetset nur wirklich Spaß macht, wenn keine öden Transparenz-/Rechenschaftspflichten existieren. ;-)« Klar. Alles nur Scherze.

Am Sonntag findet das nächste Treffen des Parteizentralen-Squads statt. Wenn ich mich in dieser Partei nützlich machen will, dann sollte ich auf das Ende der WG-Ära drängen. Und: Nicht das Klo putzen. Oder ahnungslos ans Telefon gehen.

»Mal sehen, ob die dich rausschmeißen«, sagt mein Freund. Er klingt kampfeslustig. »Wäre ja auch okay.«