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Übers Wochenende kamen mir Zweifel. Am Montag war ich entschlossen, mit ihm zu reden. Ich entdeckte ihn gleich vor Unterrichtsbeginn. Er war mit seinen Freunden zusammen, Cheryl Diggs saß auf seinem Schoß, und seine Hände liefen geschäftig wie Ameisen über ihren Körper. Sie war auch nicht zurückhaltender. Aus der Entfernung sah es aus, als hätte er mich gesehen. Er hielt kurz inne, dann drehte er Cheryls Gesicht zu sich herum und küsste sie mit gierig geöffneten Lippen.
Irgendwas in mir machte klick, als ich ging, irgendein tief vergrabener Schmerz, der nun als alles verschlingende Sehnsucht nach Liebe und Zuwendung an die Oberfläche trat.
Ich war wie besessen, und Chris wusste es genau. Und wie er es wusste! Die nächsten drei Monate verwickelte er mich in ein grauenvolles Hab-ich-dir-doch-gesagt-Spielchen, und je mehr er mich folterte, umso gieriger sog ich alles in mich auf. Ich wusste, dass ich den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte, als ich mich selber beim Flirten mit Steve Anderson überraschte. Und schon ging ich auch zu den Partys.
Die Partys.
Irgendwo war immer sturmfreie Bude bei jemandem, dessen Eltern gerade verreist waren. Es gab Drogen bis zum Abwinken, der Alkohol floss in Strömen, und es kam häufig und in aller Offenheit zu Sex. Chris streckte sich auf dem Fußboden aus, eine Hand in Cheryls Bluse, die andere in ihrer Hose. Sie fummelte mit den Händen in seinem Schritt herum, bis er eine enorme Erektion bekam. Ich sah weg.
Aber ich ging immer wieder hin. Alles, was ich zu meiner Verteidigung sagen kann, ist, dass ich mich nie in aller Öffentlichkeit von Steve habe anfassen lassen. Ich bewahrte mir zwar meine Jungfräulichkeit wie mit einem Keuschheitsgürtel, aber es blieb mir trotzdem nichts anderes übrig, als Steve irgendwas zu geben, wenn ich ihn halten wollte. Und ich musste ihn halten, weil er meine Verbindung zu Chris war. Ich hasste das, was ich mit ihm tat, und fragte mich, ob er wohl seinen Freunden von mir erzählte. Ich fragte mich, ob er Chris davon erzählte. Wie ich mich verabscheute!
Aber ich war immer wieder mit dabei, weil ich Chris sehen musste. Was ich tatsächlich sah, war ein angehender Alkoholiker – mein früherer Schüler, der die Drinks runterkippte, ohne abzusetzen. Der Alkohol machte Chris gesellig – was in meinen Augen überhaupt nicht zu ihm passte. Dann lächelte er und riss Witze und wurde der tolle Kumpel mit einem Haufen Anhänger. Sehr viel Alkohol machte Chris liebestoll. Dann tobte er eine Stunde herum und verschwand schließlich mit Cheryl in einem Hinterzimmer.
Und er achtete immer darauf, dass ich auch sah, wie er mit ihr raus ging.
Meine Noten wurden schlechter. Mich verließ der Mut. Wie ein Sack lag ich in meinem Bett, hörte Vivaldis Vier Jahreszeiten und dachte an Selbstmord. Aus lauter Verzweiflung und weil ich sonst niemanden hatte, an den ich mich wenden konnte, verfiel ich aufs Beten – auf meine Beichtpflicht. Und so umnebelt ich auch war, ging mir schließlich doch ein Licht auf. Es war gar nicht, dass ich nackt für Chris posiert hatte. Hätte er mich geliebt, wie er es hätte tun sollen, wäre ich bereitwillig für ihn gestorben. Der Punkt war, dass ich mich für einen Jungen erniedrigte, der mich wie Dreck behandelte.
Ich redete mir alles von der Seele, bat Jesus um Vergebung und Verständnis. Die Beichte war für mich immer ein schmerzlicher Prozess gewesen, selbst als ich regelmäßig hingegangen war. Jetzt, nachdem ich meine spirituellen Verpflichtungen ein Jahr lang vernachlässigt hatte, schämte ich mich aber noch mehr und fühlte mich schuldiger. Aber ich zog es durch und tat Buße vor Gott. Hinterher fühlte ich mich besser. Trotzdem nagte die Schuld immer noch an mir, denn mein Herz sehnte sich nach wie vor nach Chris.
Aber man muss erst einmal das Richtige tun. Vielleicht würden die Gedanken später nachfolgen.
Ich ging auf Totalentzug. Ich machte mit Steve Anderson Schluss. Keine Partys mehr, keine Folter. Ich begann sogar, Chris aus dem Weg zu gehen. Das war am schlimmsten bei den Orchesterproben. Er hatte immer einen Haufen Leute um sich und war ein Meister darin, meinen Blick aufzufangen.
Dann lenkte eines Tages irgendetwas meinen Blick von ihm ab. Vielleicht war es Jesus, der meiner Seele einen neuen Weg wies. Vielleicht hatte ich auch nur ein anderes verwundetes Tier gerochen, wie ich selbst eins war.
Sein Name war Daniel Reiss. Außer im Orchester waren wir auch noch in Mathematik im selben Kurs. Er war ein Computerfreak, fast schon ein Genie, dem ständig die Brille auf die Nasenspitze rutschte. Er war dünn, aber wenigstens groß, und er starrte zu Chris hinüber, in jeder Hand einen Teil seiner Flöte. Sein Blick war nicht bösartig, nur perplex und besagte: Wieso erschafft Gott jemanden wie Chris und gleichzeitig jemanden wie mich?
Mit meiner Geige in der Hand ging ich zu Daniel hinüber. »Wenn du sie nicht zusammensetzt, wird’s wohl nichts werden mit dem Spielen.«
Er drehte sich langsam zu mir herum, völlig erstaunt, dass ich überhaupt mit ihm sprach.
»Du musst die Teile ineinander stecken.« Ich lächelte kurz. »Und dann reinblasen.«
Ich ging wieder.
Er kam hinterher.
Daniel war so wunderbar einfach. Er war süß und sanft und erwartete sexuell überhaupt nichts. Also wurde alles, was ich ihm gab, mit ungezügelter Begeisterung aufgenommen. Er gab mir mein Selbstwertgefühl zurück, und deshalb wollte ich, dass der Schulabschlussball für uns beide etwas ganz Besonderes werden sollte.
Mit dem Geld, das ich verdient hatte, hätte ich mir so ungefähr jedes Kleid kaufen können. Aber irgendwas Gekauftes war mir nicht gut genug. Ich wollte etwas Einzigartiges – etwas Handgemachtes.
Und das bedeutete, von mir gemacht. Jeden Tag nach der Schule blätterte ich alte Modehefte durch. Als ich mich für einen Schnitt entschieden hatte, begann ich die Stoffläden zu durchforsten. Schließlich stieß ich auf einen Ballen taubenblauen Taft mit Goldfäden, der nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Preises kostete.
Ich schnitt und kettelte und nähte. Ich begradigte und steckte ab, bis meine Augen nicht mehr mitmachten. Aber als ich fertig war, hatte ich mein Einzelstück – ein rückenfreies, trägerloses Corsagenkleid mit figurbetontem Minirock, in dem ich total sexy aussah.
Aber irgendetwas fehlte.
Es brauchte noch eine Verzierung. Es brauchte eine Schleife. Aber nicht irgendeine Schleife. Eine Riesenschleife, die ich knapp unterhalb der Taille anheftete. Wenn ich mich bewegte, wippte sie mit. Sie verlieh mir etwas Dynamisches. Aus dem übrig gebliebenen Stoff machte ich mir eine passende Stola. Den letzten Pfiff bekam das Ganze durch ein schwarzes Spitzentäschchen, schwarze Spitzenhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern und schwarze Seidenstrümpfe mit Strapsen. Beim Schmuck blieb ich schlicht – ein Kreuz um den Hals und Chris’ Perlenohrstecker – eine nette kleine, ironische Note.
Am Abend des Abschlussballs fühlte ich mich so begehrenswert wie eine Kurtisane. Und doch war ich innerlich rein … na ja, vielleicht nicht ganz rein. Aber wenigstens würde ich die Highschool als Jungfrau verlassen.
Daniel war sprachlos. Ihm zitterten die Hände, als er mir sein Sträußchen an die Corsage steckte. Als wir zum Auto gingen, nahm ich seinen Arm. Er hatte eine Limousine mieten wollen, aber ich sagte ihm, er solle dafür kein Geld verschwenden. Sein sechs Jahre alter Volvo wäre völlig ausreichend. Ich fühlte mich absolut umwerfend, als ich die Turnhalle betrat.
Ich konnte die Blicke spüren – männliche und weibliche. Die Mädchen sahen auf mein Kleid, die Jungs auf das, was drin war. Ich hörte sie tuscheln, während ich mit Daniel hinüberging, um mich fürs Erinnerungsfoto anzustellen. Nach außen hin blieb ich vornehm gelassen, aber innerlich schwebte ich.
All die Jahre hatte ich mich zurückgehalten. Aber nicht heute Abend. Heute war ich mal dran.
Angelegentlich schaute ich mich im Raum um.
Ich sah ihn, bevor er mich sah. Er war umwerfend – völlig zu Hause in seinem formellen Anzug. Ich dachte mir, dass er wohl schon bei einigen Hochzeiten gewesen war. Er sprach mit seinen Freunden, Cheryl war an seiner Seite. Aber sie hielten Abstand. Kein Körperkontakt.
Dann nahm sie ihn am Arm, und er erstarrte. Sie machte ein enttäuschtes Gesicht.
Ich fühlte mich mies.
Er drehte sich um und sah in meine Richtung.
Ich fing seinen Blick auf.
Plötzlich wich jede Regung aus seinem Gesicht – es war kalt und ausdruckslos wie die Augen eines toten Fisches. Ich sah weg und rückte ein wenig näher an Daniel heran. Als ich wieder aufsah, war er nicht mehr da.
Ich tat, als wäre nichts geschehen. Ich tanzte, ich lachte, flirtete, ich trank Bowle und aß Gurkensandwiches. Als der Abend halb vorüber war, sah ich ihn wieder, wie er sich einen Weg durch die Menge zum Seitenausgang bahnte. Ohne nachzudenken, entschuldigte ich mich bei Daniel und jagte hinterher. Ich fand ihn allein unter einem Baum, mit hochgezogenen Knien – in derselben Position, in der ich für seine Zeichnungen gesessen hatte. Ich setzte mich neben ihn und schlang die Arme um mich, weil mir kalt war.
»Ziemlich stickig da drin«, sagte ich.
Er antwortete nicht.
»Gefallen dir meine Ohrringe?«
Er bewegte sich nicht.
»Hör mal, Chris …«, versuchte ich es noch einmal. »Es tut mir Leid, dass es so schlimm ausgegangen ist. Es tut mir Leid, dass am Ende alles so verzwickt war. Du warst ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben. Ich empfinde sehr viel für dich, und …«
»Trägst du eine Strumpfhose oder Strapse?«, fragte er.
Ich war einen Moment lang sprachlos. »Wie bitte?«
Jetzt sah er mich zum ersten Mal an. Seine Stimme war ganz ruhig. »Ich habe gefragt, ob du eine Strumpfhose trägst oder Strapse.«
Ich starrte ihn an.
Er zuckte die Achseln. »Wenn ich mir vorstelle, wie ich mit dir vögel, will ich wenigstens, dass die Details stimmen.«
Ich machte den Mund auf – und gleich wieder zu. Wortlos erhob ich mich und ging in die Turnhalle zurück. Daniel hatte nach mir gesucht und fragte, wo ich gewesen sei. Ich antwortete nicht. Ich war fix und fertig.
Dann eine Stunde lang so tun, als ob nichts gewesen wäre.
Jemand legte Tom Petty auf.
Oh my my. Oh hell yes.
Honey, put on that party dress.
In meinem Kopf begann es zu hämmern.
Last dance with Mary Jane
One more time to kill the pain …
Ich bat Daniel, mit mir in ein Restaurant zu gehen. Ich wusste, dass es noch ziemlich früh war, aber ich musste unbedingt hier raus.
Er sagte, mein Wunsch sei ihm Befehl.
Wir waren bei seinem Volvo, schon beinahe eingestiegen, als wir hörten, wie Chris Daniels Namen rief. Wir drehten uns um.
»Hey, Reiss«, sagte er laut. »Kann ich dein Mädchen fünf Minuten sprechen, bevor du sie entführst?«
Ich fühlte, wie die Wut mit mir durchging. »Warum fragst du ihn um Erlaubnis, wenn du mit mir reden willst?«
Er wandte sich mir zu, sein Gesicht war schweißnass. Die Augen gingen unstet hin und her. Er wurde von einem Gefühl bewegt, das ich noch nie an ihm gesehen hatte. Er war nervös.
»Nur fünf Minuten, Terry. Danach lass ich dich in Ruhe, ich schwör’s.«
Ich verdrehte die Augen und sah Daniel an. Er lächelte verlegen. »Na, dann geh ich wohl mal und hol mir noch ein Glas Bowle.«
»Danke«, sagte Chris.
Wir sahen ihm beide hinterher. Als er außer Sichtweite war, wischte Chris sich mit einem Taschentuch übers Gesicht, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Füßen.
»Es tut mir Leid.«
Ich zuckte die Achseln.
»Terry, ich hab mich wirklich idiotisch benommen. Nicht nur heute Abend, sondern die ganzen letzten Monate. Ich war wütend über meine eigene Situation und hab es an dir ausgelassen. Aber ich will mich nicht entschuldigen. Ich habe mich wie ein absolutes Oberarschloch benommen.«
Ich zuckte wieder die Achseln. »Hat sich irgendjemand beschwert?«
Er atmete hörbar. Dann rieb er sich den Nacken und lachte. »Das war ziemlich heftig, Terry.«
»Wenn du Absolution willst, Chris, geh zur Beichte.«
»Weißt du, Terry, wir haben einander wirklich verdient.
Ich bin ja vielleicht ein Mistkerl. Aber du bist ganz tief im Innern auch ein ziemliches Aas.«
Dann stürzte er sich auf mich. Er schob mich gegen den Volvo und machte sich mit animalischer Gier über meinen Mund her. Ich hätte protestieren können. Und ich wusste auch, dass er dann aufgehört hätte. Aber ich tat es nicht.
Weil ich es wollte.
Ich umklammerte seinen Nacken und sog alles von ihm in mich auf. Seine Zunge, die sich mit meiner stieß und sie umschlang und meinen Hals hinunterwanderte, bis sein Mund zwischen meinen Brüsten angekommen war. Er ließ die Hände in mein Kleid gleiten, legte meine Haut frei und zog meine Brustwarze zu seinem Mund heran. Er leckte und stöhnte und ich mit ihm.
Er riss mein Kleid hoch, hob mich auf und setzte mich auf die Kühlerhaube. Während er mir mit der Zunge im Mund herumfuhr, spreizte er mir die Beine und presste sich auf mich. Ich fühlte das kalte Metall des Volvo im Rücken, aber mein Inneres war glühend heiß. Ich schlang die Beine um seine Hüften und zog ihn enger an mich. Er bewegte sich auf mir, dass ein süßer Schmerz meinen Unterleib erfüllte. Unser heißer Atem vermengte sich, während seine Lippen mit meinen spielten.
»Bleib bei mir, Engel«, flüsterte er. »Ich lasse sie sausen, du lässt ihn sausen …«
»Chris …«
»Wir lieben uns, bis die Sonne aufgeht.«
Er steckte die Hand in meinen Slip. Ich war tropfnass. »Ich bringe dich hier weg, mein Süßes. Ich bringe uns beide für immer hier weg! Irgendwohin, wo deine Eltern uns nicht finden können und wo mein Onkel uns nicht finden kann, wo wir durch nichts und niemanden erreichbar sind außer in unseren eigenen Umarmungen.«
»Chris …«
»fetzt oder nie, Terry.«
»O mein Gott!«
»Sag ja!«
»Ja!« Ich stieß ihn von mir und versuchte zu Atem zu kommen. Ich setzte mich auf und nahm die Beine zusammen. »Ja. Okay?«
Er starrte mich an, schnaufend und mit hochrotem Gesicht. »Meinst du das wirklich ernst?«
»Ich meine es ernst.« Ich atmete schwer. »Meinst du es ernst?«
»Ja.«
»Was ist mit Lor …«
»Zum Teufel mit ihr. Zum Teufel mit allen außer uns! Ich kann nicht ohne dich leben, Terry. Ich will nicht ohne dich leben. O Gott, ich liebe dich so sehr, dass es weh tut. Baby, sag mir, dass du mich liebst.«
»Ich liebe dich.« Ich holte tief Luft. »Ich liebe dich, liebe dich, liebe dich. Hilf mir runter.«
Er legte mir die Arme um die Taille und stellte mich mit einem Schwung auf den Boden. Ich versuchte mich wieder herzurichten. Ich zupfte meinen Rock gerade, strich das Haar glatt und zog den Lippenstift nach. Er kam auf mich zu, aber ich schubste ihn weg. »Daniel wird in einer Minute zurück sein.«
Chris rieb sich den Nacken. »Was wirst du ihm sagen.«
»Ich weiß nicht. Himmel, er war so gut zu mir.« Ich sah ihn flehentlich an. »Kannst du mir nur heute Abend mit ihm geben? Es wäre so grausam …«
Meine Stimme verebbte.
Chris holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Ach, zum Teufel. Gönn dem Kerl was. Geh mit ihm zum Dinner. Wir haben das ganze Leben vor uns.«
Mein Herz machte einen Sprung bis in den Himmel. »Meinst du das wirklich?«
Sein Lächeln war betörend. »Ja, das meine ich wirklich!«
Er hatte meine Betonung nachgeahmt. Mein Lachen mischte sich mit Tränen. Ich wischte ihm Lippenstift aus dem Mundwinkel, dann strich ich ihm über die Wange. Ich war hoffnungslos verliebt.
Ich sagte: »Übrigens glaube ich, dass Cheryl auch ganz gut mal eine Pause vertragen könnte.«
»Ja, irgendwas könnte sie vertragen.« Er ließ die Schultern kreisen. »Sie wird nicht jung sterben, weil sie zu schnell alt wird.«
»Jetzt hast du wenigstens deine Antwort«, sagte ich.
»Verzeihung?«
»Du weißt jetzt, ob ich eine Strumpfhose anhabe oder Strapse.«
Er lachte. »Na, das wird mir weiterhelfen.« Er hielt inne. »Das war’s nicht, was ich von dir wollte. Ich meine, das wollte ich natürlich auch, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, wie viel Zeit ich verschwendet habe. Diese blöden Psychospielchen. Ich bin wirklich besser im Rache nehmen als im Lieben.«
»Das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
»Es ist lieb, dass du das sagst.« Er sah mich an. »Wusstest du eigentlich, dass ich immer in deinen Spind eingebrochen bin, nachdem du mich abserviert hattest?«
Ich starrte ihn an. »Warum?«
»Um an deiner Jacke oder deinem Lunchpaket oder an deinen Büchern zu riechen. Ich habe jedes Stück Papier aufbewahrt, das du mir je gegeben hast. Jeden Kuli oder Bleistift, jeden …« Er lachte. »Jeden Radiergummikrümel, den du bei mir hinterlassen hast. Du hast einen Pullover in meinem Schrank vergessen. Damit habe ich immer geschlafen, so besessen war ich von dir. Ich bin immer noch besessen. Ich habe nie aufgehört, dich anzusehen, Teresa Anne McLaughlin. Nicht einmal, als du mich nicht mehr ansahst.«
»Ich bin froh, dass du besessen von mir bist. Ich bin es nämlich auch von dir.« Ich schwieg einen Moment. »Wie hast du mein Vorhängeschloss aufgekriegt?«
»Ich habe bisher noch jedes Schloss geknackt«, sagte Chris. »Das hab ich von meinem Vater, wohlgemerkt, nicht von meinem Onkel Joey. Darum habe ich auch damals in New York solche Probleme wegen Einbrüchen gehabt. Ich war einfach besser, als mir gut tat.« Er küsste mich wieder. »Ich verzehre mich nach dir, mein Engel. Willst du wirklich den Rest des Abends mit diesem Reiss zusammen sein?«
»Nein. Will ich nicht. Aber ich bin ihm etwas schuldig, Chris.«
Er bedachte mich mit einem eisigen Blick. Ich ignorierte es und sah zum tiefschwarzen Himmel empor. »Soll ich dich anrufen, wenn ich heimkomme?«
»Lass mich dich anrufen«, sagte er.
Ich zögerte. »Wirst du das auch? Das ist jetzt kein Spiel für dich?«
»Gütiger Himmel, nein, Terry! Das hier ist kein Spiel! Es ist die aufrichtigste Sache, die ich in meinem ganzen Leben gemacht habe!«
»Was wird mit deinem Onkel?«
»Der gute alte Joey.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich weiß nicht. Aber mir wird schon was einfallen.« Er küsste mich auf die Stirn. »Ich ruf dich gegen ein Uhr an.«
»Ehrenwort?«
Er bekreuzigte sich. »Ehrenwort.«
Ich kam um Viertel vor eins nach Hause und wartete.
Um vier Uhr dreißig in der Nacht konnte ich nicht mehr. Ich nahm den Hörer und rief ihn an. Er nahm nach dem dritten Klingeln ab und murmelte ein schläfriges Hallo. Ich brachte kein Wort heraus. Er fluchte irgendetwas in sich hinein, aber in den Hörer sagte er ruhig und deutlich: »Terry, leg nicht auf. Lass mich erklären …«
Ich warf den Hörer auf die Gabel, dann legte ich ihn neben den Apparat. Bei Sonnenaufgang schlief ich ein.