8
Und es war exakt wie vorher. Chris blieb bei seiner Gruppe und merkte scheinbar gar nicht, dass ich ihn sehnsuchtsvoll aus der Ferne betrachtete, während Cheryl Diggs ihm den Nacken massierte. Es spielte sich absolut nichts zwischen uns ab, nicht einmal, wenn wir allein waren. Ich gab ihm einfach nur Nachhilfe. Als ob er seine Gefühle für mich eingeschlossen und im Kühlfach verstaut hätte.
Seine Teilnahmslosigkeit verwirrte mich zuerst, dann wurde ich wütend. Am Ende hatte er mich nur ausgetrickst. Ich fühlte mich beschämt und gedemütigt durch das, was ich für ihn getan hatte, weil ich auf seine süßen Worte und seine Schmeicheleien hereingefallen war. Am Freitag hatte ich dann beschlossen, dass ich ihn nicht mehr treffen wollte. Als ich an diesem Abend zu ihm kam, riss er die Tür auf, zog mich hinein und ließ sie wieder ins Schloss fallen.
Er war außer Atem und tigerte im Wohnzimmer auf und ab. »Ich bin ein bisschen spät dran. Mein Onkel. Diese verdammte Nervensäge, entschuldige meine Ausdrucksweise. Wenn Joey anruft, muss ich alles andere zurückstellen. Der Typ war total in Hektik. Er ist immer in Hektik. Und ich, ich bin sein verdammter Laufbursche. O Gott, wie ich den Kerl hasse.«
Plötzlich blieb er stehen und sah mich an. »Ich bin fast fertig mit den Vorbereitungen. Ich habe Kaffee gemacht. Trink eine Tasse, bis ich soweit bin.«
Ich starrte ihn an. »Vorbereitungen für was?«
Er machte große Augen, dann lächelte er. »Du willst mich auf den Arm nehmen, stimmt’s?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Terry, jetzt komm aber.« Sein Lächeln wurde etwas dünner. »Heute ist unser Abend, schon vergessen?«
»Ah«, sagte ich. »Verstehe. Ich bekomme den Freitag, und Cheryl Diggs kriegt Samstag bis Donnerstag. Danke, ich verzichte.«
Er machte ein betretenes Gesicht. »Wovon redest du?«
Angriff war die beste Verteidigung. Ich würde mir nichts vormachen lassen. »Chris, mir geht’s nicht gut. Wir sehen uns am Montag. Oh, gratuliere zur Mathearbeit. Farrell hat mir gesagt, dass du gut abgeschnitten hast.«
Ich wandte mich zum Gehen, aber er kam hinterher und hielt mich am Arm fest. Ich schaute weg, wehrte mich aber nicht gegen seinen Griff.
»Terry«, flüsterte Chris. »Cheryl bedeutet mir …«
»O bitte!«, unterbrach ich ihn. »Cheryl bedeutet dir nichts, Lorraine bedeutet dir nichts. Was ist das, was du da machst? Umgibst du dich mit Mädchen, die dir nichts bedeuten? Und was sagt das dann über mich aus, Chris? Und lass gefälligst meinen Arm los.«
Langsam lockerte er seinen Griff. Ohne ihn anzusehen, sagte ich, wir würden uns später sehen.
»Ich habe ein Stück für dich komponiert«, platzte er heraus.
Wie praktisch. Ich drehte mich um und sah ihn an, so gut es mir gelingen wollte, denn meine Augen schauten mehr nach innen als alles andere, so sehr war ich damit beschäftigt, sie zu verdrehen.
»Nein, wirklich. Ich lüge nicht.« Er streckte einen Finger in die Luft als Zeichen, dass ich warten sollte. Dann ging er an den Schrank im Flur und kam mit einem schmalen Hefter zurück. Er gab ihn mir.
Mein Blick glitt über die Titelseite.
Ein Gedicht für Teresa
In Dankbarkeit für unseren Herrn Jesus Christus,
weil er meiner Seele eine wahre Liebe geschenkt hat.
Möge Gott sie behüten und für immer alles Übel
von ihr fern halten.
In der linken Ecke befand sich eine Zeichnung, die einem Holzschnitt aus dem vierzehnten Jahrhundert hätte entstammen können. Ein junges Mädchen im roten Kleid, deren Kopf in Goldstift von der Aureole des Heiligen Geistes umstrahlt war. Langes, kastanienbraunes Haar, die Augen geschlossen, die Hände im Gebet gefaltet, den Kopf sittsam auf die Brust gesenkt.
Es war mein Kopf.
Mir stiegen die Tränen in die Augen, als ich die Seiten durchblätterte. Sechs Notenblätter mit vielen Korrekturen. Chris nahm sie mir aus der Hand. »Es ist fertig, aber noch nicht ganz ausgefeilt. Aber nachdem, was du für eine Laune hast … da dachte ich mir, ich fahre besser gleich die schweren Geschütze auf.«
Ich lachte unter Tränen. Er hob mein Kinn, bis ich ihm in die Augen sah. »Lass mich dir vorspielen, was ich bisher habe, in Ordnung?«
Ich nickte. Er strahlte. »Also gut, setz dich.« Er führte mich zum Sofa. »Okay. Setz dich hin. Warte.«
Er ging in sein Schlafzimmer und schleppte sein Cello und einen Hocker an. »Also gut.« Er ließ sich direkt mir gegenüber nieder und nahm das Instrument zwischen die Knie, wobei sich der Stachel in den weißen Teppichboden grub. »Du hast mein Rowland Ross noch nie gehört. Ein Teufelsinstrument. Also gut. Also gut. Denk aber immer daran, dass es noch nicht den allerletzten Schliff hat, in Ordnung?«
Ich lächelte. »In Ordnung?«
»Und ich werde mich wahrscheinlich oft verspielen. Ich kann’s noch nicht ganz auswendig. Also üb Nachsicht, ja.«
»Nein, ich werde an allem herummeckern«, sagte ich und wischte mir die Tränen ab.
»Also, bist du jetzt wieder glücklich?«
»Ja. Ich bin glücklich.«
»Gut. Ich spiele nämlich besser, wenn du glücklich bist.«
»Ich bin ganz verrückt vor Freude. Jetzt spiel schon.«
Ein Lächeln zum Fressen. Dann schloss er einen Moment lang die Augen, um seinen Atem zu kontrollieren. Als der Bogen die Saiten berührte, machte ich die Augen zu.
Der Raum wurde von einem so reinen, heiligen Klang erfüllt, dass mir das Herz weh tat und Schauer durch meinen ganzen Körper liefen. Denn was er spielte, war keine Musik. Es war ein Gebet. Leise, klagende Reuegebete, die durch Gottes allumfassende Güte beantwortet wurden. Als er fertig war, konnte ich nichts sehen und nichts sagen. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war gelähmt vor Rührung.
»Gefällt es dir?«, fragte er.
Ich machte die Augen auf und schluckte trocken. »Es ist …« Meine Wangen waren nass von Tränen. »Es ist absolut … grandios.«
»So wie du.«
»Kaum.«
»Sieh mich an, Terry.«
Ich tat es.
Er sagte: »Ich möchte für dich tun, was Beethoven für Elise getan hat. Ich möchte dich unsterblich machen.«
Mir stand das Herz still, ich konnte ihm nicht antworten.
»Deshalb habe ich dieses Stück geschrieben; deshalb male ich dich.« Er legte sein Cello auf die Seite und kam zu mir herüber. Seine Lippen strichen mit so zarter, vergeistigter Berührung über meine Stirn wie das Wasser bei der Taufe. »Du bist mir heilig. Unsere Beziehung ist mir heilig. Verstehst du?«
Ich nickte.
Er gab mir das Titelblatt. »Behalt es. Und immer, wenn du an mir zweifelst, schau es dir an. Denn so fühle ich wirklich. Ich liebe dich. Teresa. Mehr als du dir vorstellen kannst.« Er hielt inne. »Wirst du mich dich heute Abend zeichnen lassen? Ganz?«
Ich trocknete meine Augen und nickte.
Er flüsterte. »Geh in mein Schlafzimmer, zieh deine Sachen aus und leg dir einen von meinen Morgenmänteln um. Ich bin in einer Minute bei dir, in Ordnung?«
Ich stand auf und tat, worum er mich gebeten hatte. Er kam wieder herein, beschäftigte sich etwa fünf Minuten mit Vorbereitungen und drehte sich dann zu mir um. Ich sah ihm in die Augen. Ich suchte nach einem Fenster zu seiner Seele, traf aber nur auf Bleiglas. Ich räusperte mich. »Soll ich den Mantel jetzt ausziehen?«
Er nickte.
Langsam löste ich den Gürtel und ließ das Kleidungsstück von den Schultern gleiten. »Soll ich mich genauso hinsetzen wie beim letzten Mal?«
Er schüttelte den Kopf. »Heute Abend will ich etwas anderes.«
»Anderes?«
»Ich möchte dich fesseln.«
Meine Hände fuhren automatisch zum Hals. »Was?«
»Ich möchte dich fesseln.«
Stille senkte sich über den Raum. Ich fing an zu zittern. »Warum?«
Er breitete die Arme aus und ließ den Kopf zur Seite fallen. »Du bist meine künstlerische Vision von Christus am Kreuz. Ich kann dich nicht kreuzigen. Fesseln ist das Nächstliegende.«
Ich war zu perplex, um etwas darauf zu sagen.
»Sag nein, wenn du zu zimperlich bist.«
»Chris, ich bin nicht zimperlich …«
»Dann tu’s.« Er kam zum Bett und drapierte seinen Morgenmantel um meine Schultern. »Bitte, Terry, bitte. Es ist furchtbar wichtig für mich.«
Ich sah zur Decke. »Du bist eindeutig der wunderbarste und seltsamste Junge, der mir in meinem ganzen Leben begegnet ist.«
Er lächelte betreten. »Verbuch es unter künstlerischer Eigenart.« Sein Blick traf meine Augen. Er senkte den Kopf und küsste meine Füße. »Ich bitte dich inständig. Tust du’s? Bitte?«
Ich ließ mich rückwärts auf die Matratze fallen. »Ich muss ja wohl verrückt sein …«
»Du tust es?«
»Ja, ich tu’s.«
Ohne weitere Umschweife stand Chris vom Bett auf, ging an seinen Schrank und holte ein Dutzend Krawatten heraus. Ich spürte mein Herz wild schlagen. Ich stotterte los. »Du hast das schon mal gemacht?«
Er antwortete nicht.
»Schwör mir nur, dass du kein Serienmörder bist.«
»Ich bin kein Serienmörder. Leg dich hin.« Er wartete, ich wartete. Dann schubste er mich sanft gegen die Schulter. »Bitte.«
Als ich mich auf sein Bett legte, nahm er mir den Umhang ab und band meinen rechten Arm mit einer seiner Krawatten am Bettpfosten fest. Dann machte er das Gleiche mit dem linken. Ich fühlte mich so machtlos wie ein ausgenommenes Hühnchen. Ich ließ die Finger spielen.
»Zu fest?«, fragte er.
»Nein … das Blut fließt noch … so gerade eben.«
»Wenn deine Glieder zu kitzeln anfangen, sag’s mir. Ich will dir nicht weh tun.«
»Na, das ist wenigstens beruhigend.«
Sein Gesicht wurde undurchdringlich. »Terry, es würde mich nur einen Atemzug kosten, dir den Hals umzudrehen.
Aber ich will dir nichts tun. Ich zeichne dich als Ausdruck meiner Liebe zu dir. Glaubst du mir das?«
»Natürlich, aber …«
»Gut, dann leg die Füße übereinander.«
»Du bindest mir die Füße auch noch fest?«
»Jesus war gefesselt und gebunden, als er starb. Leg die Füße übereinander.«
Ich legte die Füße übereinander. Er band sie zusammen. Dann nahm er noch eine Krawatte und machte sie am Fußende des Bettes fest. Ich war völlig bewegungsunfähig und begann zu zittern. Er warf die Decke über meinen Körper und fing an, meine Haare zu drapieren.
»Willst du mir noch einen falschen Bart ankleben?«
Er antwortete nicht und strich ein paar Haarsträhnen glatt. Er drehte meinen Kopf zur einen, dann zur anderen Seite. Er forderte mich auf, nach oben zu sehen und nach unten, die Augen zu schließen, wieder zu öffnen, zu lächeln und die Stirn in Falten zu legen, dann sollte ich verzückt aussehen. Schließlich stand er auf und zog mir die Decke vom Körper. Chris betrachtete mich eine lange Zeit.
Er ging zu seiner Staffelei und zeichnete zwanzig Minuten lang, dann hielt er inne. »Der Blickwinkel stimmt nicht. Es ist eine zu starke Draufsicht.«
»Vielleicht möchtest du ein Kreuz für mich bauen, und wir versuchen es nächste Woche noch mal.«
Seine Stimme klang plötzlich unwirsch. »Mach dich nicht über mich lustig.«
Ich schwieg, spürte die Tränen in mir aufsteigen. Er starrte mich einen Moment lang an, dann warf er den Kohlestift quer durch den Raum. »Verdammte Scheiße!«
Er stapfte herüber und band meine Arme los. Er war wütend und frustriert. Ich fühlte mich, als hätte ich versagt, ihn im Stich gelassen. Schlimmer noch, ich fühlte mich, als hätte ich an der Kunst versagt.
Als ich von meinen Fesseln befreit war, schüttelte ich meine Glieder, während er mutlos auf der Bettkante saß. Ich hüllte mich in seine Tagesdecke, setzte mich neben ihn und griff nach seiner Hand. Er wurde starr bei meiner Berührung. Ich zog meine Finger zurück.
Ich sagte: »Es ist noch früh, Christopher. Lass es uns noch einmal versuchen.«
Er sah auf die Uhr. »Es ist fast neun. Wie viel Zeit hast du?«
»So viel wie du brauchst.«
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Mein Gott, was bin ich für ein selbstsüchtiges Schwein. Du bist blass. Du musst hungrig sein. Lass mich dich zum Essen einladen.«
»Nein, das ist schon in Ordnung. Wir wollen einfach weitermachen.«
»Nicht, bevor ich nicht irgendwas Nahrhaftes in dich reinbekommen habe.« Er stand auf. »Zieh einen von meinen Morgenmänteln an, und dann mach ich dir was. Ich werde ein paar Bücher über religiöse Kunst durchblättern, während du isst. Klingt das gut?«
»Ja, das klingt prima.«
Er beugte sich herunter und küsste mich auf die Stirn. »Du bist ein guter Kumpel.«
»Danke«, murmelte ich. »Das kannst du mir ja dann als Nachruf auf den Grabstein schreiben.«
Er ging, ohne zu antworten. Ich bebte. Ich bedauerte, dass ich mir die spitze Bemerkung nicht verkniffen hatte.
Nach der Pause ging Chris mathematisch an die Proportionen heran. Er maß Entfernungen und Winkel – von meiner Schulter zur Hand, von meiner Hand bis zum Kopfteil seines Bettes. Er rang mit verschiedenen Stellungen, bis er ein paar Posen gefunden hatte, die ihm gefielen. Als er dann schließlich mit dem richtigen Zeichnen anfing, war es fast elf. Um ein Uhr morgens zerriss Chris das Blatt, an dem er gerade arbeitete.
»Ich lasse nach.« Er hielt inne. »Du siehst auch müde aus.«
Ich war erschöpft. Ich hatte nicht gewusst, dass Modellsitzen so eine harte Arbeit war. Er band mich los. Ich schüttelte die Glieder; ich fühlte mich taub und ausgelaugt. Er legte mir die Decke um die Schultern und forderte mich dann auf, mich wieder anzuziehen.
Er sah nicht, wie ich ins Wohnzimmer kam. Ich sah, dass er seinen Anrufbeantworter abhörte. Die letzte Nachricht war von einem Mädchen, er solle seinen Hintern zu Tom rüberschwingen, weil er nämlich eine super Party verpasse. Ich kannte die Stimme. Sie war hübsch und ungezwungen – zwei Eigenschaften, die sie sehr beliebt machten. Kurzes, blondes Haar und strahlend blaue Augen. Die Sexgöttin von der Central West Valley High.
»Cheryl Diggs«, sagte ich.
Chris schaltete den Apparat aus und drehte sich zu mir um. »Du hast ein besseres Ohr, als ich dachte.«
»Für manche Dinge schon.« Ich rieb mir die Augen. »Was spielt sich zwischen euch beiden ab. Warum massiert sie dir ständig den Nacken?«
»Was willst du in Wirklichkeit wissen, Terry? Willst du wissen, ob ich mit ihr geschlafen habe? Ja, habe ich.«
Ich sah fort. Chris sagte: »Soll ich dich genauso behandeln wie sie, Terry?«
»Nein, aber …«
Er wartete, dass ich meinen Satz beenden würde.
Ich setzte mich aufs Sofa. Er setzte sich neben mich. Ich sah ihn nicht an. »Ich bin keine Nonne, Chris. Ich habe sexuelle Empfindungen …«
»Das weiß ich …«
»Ich habe auch menschliche Empfindungen. Ich werde eifersüchtig.«
»Und genau deshalb schlafe ich nicht mit dir. Ich will dir nicht wehtun.«
Und was sollte ich dazu sagen? »Cheryl weh zu tun macht dir nichts aus?«
»Cheryl ist hartgesotten. Wenn ich morgen weg wäre, würde ihr das nicht das Geringste ausmachen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es.«
»Ja, weil du Gedanken lesen kannst.«
»Nein, kann ich nicht. Ich weiß, dass es ihr nichts ausmachen würde, weil sie promisk ist. Terry, ich wäre lieber mit dir zusammen. Aber bei dir ist das kompliziert. Bei Cheryl nicht. Deshalb bin ich mit ihr zusammen. Noch Fragen?«
Ich antwortete nicht. Er schnaufte. »Hör mal, wir sind beide sehr müde. Wie wär’s, wenn wir das Ganze nächste Woche noch mal versuchen?«
Schließlich stieß ich die Worte hervor. »Ich glaube besser nicht. Ich bin eine Nachhilfelehrerin, Chris, kein Aktmodell. Ich fühle mich nicht wohl dabei, auch nicht um der Unsterblichkeit Willen.«
»Aber du bist ein großartiges Modell.«
»Danke, aber das tut nichts zur Sache.«
»Ich werde dir ein paar von den Zeichnungen zeigen. Vielleicht änderst du dann deine Meinung.«
Er sprang auf, aber ich hielt ihn am Arm fest. Wenigstens erstarrte er nicht. Ich sagte: »Es wird meine Meinung nicht ändern.«
Er stampfte mit dem Fuß auf. »Hör zu, du verdienst fünfzehn pro Stunde mit Nachhilfe, stimmt’s? Ich zahle dir fünfzig pro Stunde, wenn du für mich Modell sitzt.« Er sah auf seine Uhr. »Die Sitzung heute Abend wären dann einfach mal so zweihundertundfünfzig. Das wäre für jeden eine Menge Kohle.«
Ich funkelte ihn an. »Glaubst du, ich tue das des Geldes wegen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich hab nur versucht, dich zu motivieren.«
»Indem du mir Geld anbietest? Ich bin keine Nonne, Christopher, aber eine Hure bin ich auch nicht.«
Es wurde still im Raum. Da lief irgendwas schief.
Ich sagte: »Weißt du, Chris, du machst dich inzwischen ganz gut in der Schule. Vielleicht wäre es besser …«
»Nein, nein, nein, nein, nein.« Er lächelte schwach. »Ich werde mich beherrschen. Vergiss die ganze Geschichte mit dem Modellsitzen. Ich hätte dich nicht … lass uns da weitermachen, wo wir vorher waren.«
In meinem Kopf schwirrte es. »Chris, das ist nicht möglich …«
»Natürlich ist es das.« Er begann auf und ab zu tigern. »Es ist nur eine Frage der Perspektive, Terry. Mehr nicht. Ich kann dich so betrachten. Oder von einer anderen Seite. Du kannst meine Freundin sein. Oder meine Nachhilfelehrerin. Oder du kannst mein Modell sein. Es geht nur um die Perspektive, die Zuordnung. Verstehst du, was ich sagen will?«
Ich stand auf und nahm meine Tasche. »Nein, bestimmt nicht.«
»Terry, bitte, geh nicht.« Er griff nach meiner Hand. »Setz dich einen Augenblick hin, ja?«
Widerwillig setzte ich mich wieder. Er kam neben mich. Dann sagte er ruhig: »Sag mir einfach, was du willst.«
»Ich will gar nichts, Chris. Es ist alles in Ordnung.«
»Na, wenn alles in Ordnung ist, dann fangen wir noch mal von vorne an. Du bist meine Nachhilfelehrerin, ich dein Schüler. Dann sehen wir uns Montag.«
Ich rang die Hände. »Ich glaube …« Ich räusperte mich. »Es wäre wirklich besser, wenn du dir eine andere Nachhilfelehrerin suchen würdest.«
Es war still und kalt im Raum. Ich begann zu zittern. Er rieb meine Arme.
»Ist es das, was du willst, Teresa?«
Meine Augen wurden feucht. »Ich weiß nicht.«
»Wir sind beide zu müde, um irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Lass uns Montag darüber reden.«
»Chris, die letzte Woche war wirklich heftig. Ich brauche eine Pause. Wie wär’s, wenn du mich in einer Woche anrufst, okay?«
Er sah mich lange unverwandt an.
»Bitte, Christopher. Wenn es Liebe ist, kann es auch eine Woche warten.«
Chris fixierte mich mit Blicken. Wer als Erster wegschauen würde. Schließlich zuckte er die Achseln. »Klar. Ich ruf dich in einer Woche an.«
Plötzlich konnte ich wieder atmen. »Bist du nicht böse?«
»Böse auf dich?« Er lächelte breit, aber abwesend. »Ich könnte niemals böse auf dich sein. Klar, ich ruf dich in einer Woche an.«
Wir wussten beide, dass er nie mehr anrufen würde. Er ließ meine Hände fallen und kratzte sich am Kopf. »Bis dahin … also ich hab dir ein paar Dinge ganz im Vertrauen gesagt.«
»Du weißt, dass ich sehr verlässlich bin.« Ich lachte nervös. »Und ganz nebenbei hast du ein paar ziemlich detaillierte Zeichnungen von mir. Wenn’s ums Kräfteverhältnis geht, bist du klar im Vorteil.«
Er lachte laut los. »Ja, da hast du Recht.«
»Kann ich die Bilder haben, Chris?« Ich sah ihn so ernst an, wie ich nur konnte. »Bitte?«
Aber er schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen. Ich schließe sie gut weg. Niemand wird sie je zu Gesicht bekommen.« Er bekreuzigte sich. »Das kann ich dir schwören.«
»Warum darf ich sie nicht haben?«
Ein Lächeln breitete sich ganz langsam auf seinem Gesicht aus. »Weil es meine sind.«