33

Der Fürstenhof war Stein und lebendiger Wald zugleich, er war Garten und Skulptur, Bauwerk und Wiese und leise murmelnder Bach.

Der gewellte Rand einer Mauer erhob sich über den Bäumen zu Cullens Linker wie die Schwinge eines riesigen Vogels. Zu seiner Rechten, ungefähr sechs Meter entfernt, befand sich eine Treppe. Zwischen Mauer und Treppe wuchs Gras – dick, dicht und strahlend grün. Als ob nicht überall sonst das Gras braun und vertrocknet gewesen wäre. Cullen überquerte den riesigen Rasengrund, der Leerahans Haupthalle war, zusammen mit der Lehnsherrin von Rohen, zwanzig Sidhe aus Rohen, einem Höllenhund, der aussah wie ein Mann, und zwei Frauen. Eine dieser Frauen war so etwas Ähnliches wie eine Telepathin.

Auf dem Weg hierhin hatten sie Zeit zum Reden gehabt. Nicht so viel wie erwartet, denn Theil hatte die Wahrheit gesagt, als sie behauptet hatte, ihre Leute seien, wenn sie wollten, sehr schnell. Es war nicht ganz einfach gewesen, bei vollem Galopp eine Unterhaltung zu führen. Aber er hatte erfahren, welche Gabe Kai Tallman hatte und warum sie hier war.

Es war der Höllenhund gewesen, der ihnen Zutritt bei Hof verschafft hatte. Ohne ihn hätte Aduello vielleicht Theil und ihre Schwester empfangen, aber nicht so viele ihrer Leute. Und sicherlich nicht Cullen. Aber niemand schlug dem Höllenhund eine Bitte ab.

Nicht, weil Nathan Hunter ein Höllenhund war – oder gewesen war? –, sondern weil er Winters Hund war. „Winter“ in einem bestimmten Ton ausgesprochen, konnte nur eins bedeuten: die Winterkönigin, eine der beiden Unsterblichen, die über das Feenreich herrschten. In Edge regierten die Königinnen nicht, aber wenn Winters Hund den Hof von Leerahan zu besuchen wünschte, zusammen mit zwei Menschenfrauen, zwanzig Sidhe aus Rohen, ihrer Lehnsherrin und einem verwahrlosten Lupusmagier von der Erde, fühlte sich niemand genötigt, ihn abzuweisen.

Am anderen Ende der Wiese befand sich ein zehn Meter langes Steinpodium. Kein bearbeiteter Stein und auch kein richtiges Podium, denn eigentlich war es Bühne und Möbelstück in einem. Es sah aus, als sei dem Felsboden befohlen worden, sich zu erheben und sich in Formen zu legen, auf denen man sitzen, stehen und liegen konnte, was auch immer dem, der hier wartete, behagte. Kissen lagen überall in den Vertiefungen und Ausbuchtungen, auf den breiten Sitzen und Stufen.

Aduello lag entspannt auf einer Steinbank, die mit einem dicken, weißen Fell bedeckt war. Er war ein großer Sidhe von träge-verführerischer und erwartungsgemäß übermenschlicher Schönheit – schwarzes, silbrig gesträhntes Haar, das ihm wie Regen bis zur Taille hinunterfiel. Er trug eine tief sitzende, weite schwarze Hose aus Seide, ein locker fallendes Hemd und eine reich bestickte kurze Weste. Drei Mitglieder seines Hofstaates standen in seiner Nähe – zwei Männer und eine Frau, alle mit Schwertern bewaffnet, genauso wie die meisten Sidhe, die rund um den Rasengrund Aufstellung genommen hatten und sie beobachteten.

Neben ihm saß Cynna. Und trug ein Kleid.

Lang, hauchdünn und in der Farbe der Hershey’s Kisses, die Gan so sehr mochte. Der Anblick erschütterte Cullen. Er begann zu zweifeln. Sie spielt ihm etwas vor, sagte er sich. Sie hat zugelassen, dass er sie anzog, wie es ihm gefiel, weil sie so tat, als stehe sie unter seinem Bann und sei nicht in der Lage, sich von seinem Feenzauber zu befreien.

Sie sah umwerfend aus. Ein dünner karmesinroter Schal war über ihren Brüsten gekreuzt und dann um ihre Hüfte geschlungen worden, sodass ihre Amazonenfigur voll zur Geltung kam. Ein langer Schlitz auf der Seite ließ viel von ihrem Bein sehen. Er wollte seine Lippen dieses Bein hochwandern lassen.

Aduello streichelte Cynnas Arm, so beiläufig, als sei sie eine Katze. Sie machte keine Bewegung, sah Cullen noch nicht einmal an. Ihr Gesichtsausdruck war leer, nichtssagend. „Theil“, sagte Aduello mit einem höflichen Nicken. „Es ist wie immer schön, Euch zu sehen, aber Ihr kommt in seltsamer Begleitung. Oder sollte ich sagen: in seltsam zahlreicher. Und Ihr, Sir“, er nickte auch Hunter zu, „ich weiß nicht, wie ich Euch nennen soll.“

Hunter trat vor. „Mein letzter Name war Hunter. Das genügt. Ich danke Euch, dass Ihr uns Zutritt zu Eurem Land gewährt habt, Fürst Aduello.“

„Mir wurde gesagt“ – wieder streichelte er langsam Cynnas Arm – „dass Ihr nicht gekommen seid, um die zu jagen, die das Gesetz der Königin gebrochen haben.“

„Ich bin nicht auf der Jagd, Sir. Aber ich bin auf Geheiß der Königin hier, um die zu begleiten, die sie auf eine Mission geschickt hat. Ich stelle Euch Kai Tallman vor.“

Die große, breitschultrige Frau trat vor und neigte den Kopf einmal kurz. „Fürst Aduello, ich höre, die Frau neben Euch ist nicht die Einzige, die ihr vor den Ahk gerettet habt.“

„Das ist richtig.“

„Ich bitte Euch, auch die anderen herzubringen.“

„Ach ja?“ Er nahm Cynnas Hand und spielte mit ihren Fingern. Die Berührung schien sie wieder zu sich zu bringen. Sie neigte den Kopf und lächelte Aduello mit schweren Lidern an. „Ich verspüre so gar keine Lust dazu.“

Plötzlich ergriff Cynna das Wort. „Sie sind unverletzt.“ Sie lächelte immer noch einfältig, aber wenigstens sah sie sie jetzt an und nicht mehr den Mann, der mit ihren Fingern spielte. „Es geht ihnen gut. Aduello hat ihnen die Rosenquartzsuite gegeben – so nenne ich sie. Ihr solltet sie sehen. Sie ist wunderschön. Aber …“ Sie sah den Sidhe an ihrer Seite an. „Aduello, sie würden gerne Cullen sehen. Können sie nicht kommen und ihn sehen? Eigentlich …“ Sie runzelte leicht die Stirn, als sei sie verwirrt. „Vielleicht möchten sie mit Cullen und diesen Leuten von hier fortgehen. Sie sind nicht so glücklich hier wie ich.“

„Ah, nun ja.“ Nachsichtig tätschelte er ihre Hand. „Warum nicht, wenn Ihr es wünscht. Ertho, kümmert Ihr Euch darum?“ Flüchtig lächelte er einem der Männer zu, die sich bei ihm auf dem Podium befanden. Der Mann verschwand durch einen geschickt versteckten Spalt in der Steinwand hinter ihnen.

„Fürst Aduello“, sagte Kai Tallman mit klarer Stimme, „ich muss Euch bitten, Euch nicht mit Euren Leuten in Gedankensprache zu verständigen. Gebt Eure Anweisungen mit lauter Stimme, ich bitte Euch.“

Er erstarrte für eine Sekunde. Er lächelte nicht mehr, als er sie ansah – sehr viel aufmerksamer als noch kurz zuvor. „Ich habe nie einen Menschen getroffen, der Gedankensprache beherrschte, geschweige denn sie verstand, wenn ein anderer sie benutzte. Ich glaube, Ihr bildet Euch etwas ein.“

„Ich benutze keine Gedankensprache. Aber ich weiß, wenn jemand sie benutzt. Und ich weiß, wann jemand lügt.“

Aduello zog die Augenbrauen hoch. „Das macht Euch sicher nicht zu einer angenehmen Gesellschaft“, sagte er, und sein höflicher Ton verriet Unglauben. „Aber wo habe ich nur meine Gedanken! Ich habe Euch ja gar keine Erfrischung angeboten.“ Er sah sich suchend um, als habe er einen Diener zwischen den Kissen verlegt.

„Aduello.“ Theil bedachte ihn mit einem Lächeln. „Ihr wisst, warum wir gekommen sind. Nicht der Erfrischungen wegen.“

Er machte ein überraschtes Gesicht. „Um die Menschen zu holen, die ich mir geholt habe? Und die andere … die, die einer Gnomin ähnelt, aber noch keine ist.“

„Wir sind wegen des Medaillons hier.“

Das war deutlich. Für eine Sidhe schockierend deutlich.

Aduello verlor sein träges Lächeln nicht. „Selbstverständlich. Ihr hattet es selbst auf meine liebreizende Cynna abgesehen, nicht wahr? Habt versucht, sie zu töten – mithilfe der Obab.“ Er schüttelte den Kopf. „Was für eine schrecklich grobe Vorgehensweise, meine Liebe. Ihr müsst recht verzweifelt gewesen sein. Es sieht Euch gar nicht ähnlich, so vollständig auf Finesse zu verzichten.“

„Das“, sagte Kai kühl, „ist eine Lüge.“

Aduello hob leicht die Brauen. „Ihr werdet lästig.“

„Was mich vermuten lässt, dass Ihr derjenige wart, der versucht hat, sie zu töten. Woher sonst solltet ihr von den Obab wissen?“

„Aber Cynna sagt mir doch alles.“ Er streichelte ihr die Wange. „Nicht wahr, mein Schatz?“

Sie hatte wieder den verwirrten Blick aufgesetzt. „Die Obab … Das sind die Schneckenmänner, nicht wahr? Die man nicht berühren durfte, weil sie giftig waren?“ Sie sah sie wieder an – sah Cullen direkt an. Und ihr Lid senkte sich langsam. Sie zwinkerte ihm zu.

Siegesrausch erfasste ihn, stark und wild.

„Selbstverständlich hat Aduello das nicht getan“, fuhr Cynna fort. „Ich weiß nicht, warum er Sie dessen beschuldigt hat, Madame, denn er weiß, wer es getan hat. Die Menschen.“ Sie seufzte. „Es gibt eine Gruppe von Menschen, die nicht zufrieden sind mit ihrer Stellung hier in Edge. Sie haben versucht, mich zu töten, weil sie hofften, selbst das Medaillon in die Hände zu bekommen, die bemitleidenswerten Dummköpfe.“

Sie umfasste Aduellos Arm und schenkte dem Mistkerl ein Lächeln, so zuckersüß, dass Cullen sich beherrschen musste, um nicht laut aufzulachen. Oder sie zu warnen, nicht zu dick aufzutragen. „Aduello würde mir nie wehtun.“

Aduello sah nicht, was Cullen sah. Vielleicht, weil er nicht danach suchte. Er tätschelte Cynna geistesabwesend, die Aufmerksamkeit ganz auf die vor ihm Stehenden gerichtet. „Ich werde Euch gestatten, meine übrigen Gäste mitzunehmen, wenn sie mit Euch gehen wollen. Ich werde Euch gestatten, Cynna wegen des Medaillons zu befragen – das ist es doch, was Ihr wollt, nehme ich an? Ich wünsche Euch sogar viel Glück bei Eurer Suche. Aber dann muss ich darauf bestehen, dass Ihr geht.“

Kai blickte Cynna an. „Ms. Weaver, wissen Sie, wo das Medaillon ist?“

Cynna sah zuerst Aduello an. Er nickte. Dann sah sie Kai in die Augen und sagte ruhig: „Nachdem die Ahk uns gefangen genommen haben, habe ich entschieden, dass ich nicht zulassen konnte, dass sie es finden. Ich habe sie getäuscht. Als wir die Berge verließen, waren wir weit von der Fährte des Medaillons abgekommen.“

Kai wandte den Blick wieder ihnen zu. „Sie sagt die Wahrheit.“

„Aber ich weiß, wo es ist.“

Bildete Cullen es sich nur ein, oder fasste Aduello Cynnas Arm plötzlich fester?

„Wenigstens glaube ich, es zu wissen“, fuhr sie fort. „Die Fährte führt zurück zu …“ Ihr Blick hob sich, als Cullen Geräusche zu seiner Linken hörte, neben der großen Treppe. Sie sah in diese Richtung, wo ihr Vater, Gan und Steve erschienen … und lächelte. Ein echtes Lächeln, ein Cynna-Lächeln, herausfordernd und leichtsinnig. „… diesem Mistkerl neben mir.“

Sie riss ihren Arm los, stand auf und sprang.

„Er ruft sie!“, schrie Kai.

Die Sidhe, die entlang der Mauern gestanden hatten, setzten sich in Sekundenschnelle in Bewegung und stürzten sich mit blitzenden Schwertern auf sie.

Cynna kam im Gras am Fuße des Podiums auf und rollte sich ab. Ein Feuerstrahl schoss aus Aduellos geballter Faust und verfehlte sie nur um Zentimeter.

Und die Frau, die schweigend neben Cullen gestanden hatte – die kräftig gebaute Frau, die nicht gesprochen hatte und die niemand Aduello vorgestellt hatte – verwandelte sich in ein zwei Meter fünfzig großes, wütendes Kätzchen.

Die Sidhe umgaben Cullen mit einem vorher abgesprochenen Verteidigungskreis – aber Cynna war nicht in diesem Kreis.

Und auch Cullen noch nicht. Er marschierte nach vorn, ganz auf Feuer konzentriert. Feuer gehörte zu ihm, verdammt – genauso wie die Frau, die dieser Mistkerl immer noch zu verbrennen versuchte. Er streckte die Hand aus und schickte einen Feuerstrahl dem entgegen, der Cynna bedrohte.

Die zwei Flammen trafen sich. Prallten aufeinander. Cullen spürte, wie Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. Der Kerl war stark. Er öffnete den Diamanten an seinem Finger. Seine Flamme, die orangefarben gewesen war, wurde blau … und die Spitzen flackerten schwarz. Aduello sah ihn an, erschrocken und wütend. Er sprach ein Wort, machte eine Geste, und das Feuer erlosch – dafür schoss plötzlich eine Wasserwand aus dem Boden empor.

Magisches Feuer konnte alles verbrennen. Sogar Wasser. Aber es war sehr gefährlich, mit magischem Feuer zu spielen, Aduello war nicht sein Ziel. Er musste Cynna schützen, und die musste sich gerade gegen einen Sidhe zur Wehr setzen, der sie mit einem ein Meter zwanzig langen Schwert aufschlitzen wollte.

Cullen drosselte die Energie und schickte das Feuer in ihre Richtung. Der Sidhe schrie und ließ von ihr ab. Cullen rannte zu Cynna. „Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“

„Vorsicht!“, schrie sie.

Er fuhr herum und schickte einen Feuerstrahl zu den beiden Sidhe, die auf ihn zukamen. Dann rief er ihn schnell zurück, als eine riesige silbergraue Katze das Paar ansprang.

„Mein Vater“, rief Cynna. „Und Steve und … He! Der kann ja was!“

Sobald das Kampfgetümmel ausgebrochen war, hatte der Höllenhund sein Schwert gezogen und war zu Steve und Daniel gelaufen, die unter dem Vorsprung der Treppe standen. Eine einzelne Wache, die den Nutzen von Geiseln begriffen hatte, hielt Daniel ihr Schwert an die Kehle … nur einen Moment lang. Dann lag sie im Gras und tränkte es mit ihrem Blut.

Erstaunlich. Hunter war so schnell wie er selbst. Und konnte sehr viel besser mit einem Schwert umgehen.

Wieder näherten sich zwei Sidhe Cullen und Cynna. Es gab keine Möglichkeit für ihn und Cynna, in den schützenden Kreis zu gelangen, den die Sidhe aus Rohen gebildet hatten. Zu viele Angreifer bedrängten sie mit Schwertern und Magie. Viel Magie. Die Luft war schwer davon. Theil, die Magie aus ihrer Verbindung zu ihrem Land ziehen konnte, trug die Hauptlast des Kampfes von ihrer Position neben Kai aus.

Also legte Cullen den Arm um Cynna – und zog einen Kreis aus Feuer um sie beide. Das würde die mit den Schwertern abhalten, und für kurze Zeit bedrängte sie auch niemand mit Magie. Möglicherweise, weil sie wussten, woher die wahre Bedrohung kam. Denn ihr Lehnsherr wusste es. Von der reglosen, schweigenden Frau in der Mitte des Rohen-Kreises.

Kai Tallman tat nichts Erkennbares, nicht einmal für Cullens magischen Blick. Ihre Macht war von solcher Art, die er nicht sehen konnte. Die Macht des Geistes.

Aduellos Wasserwand verschwand. Er zog eine Kette unter seinem Hemd hervor und schloss die Hand um das silberne Medaillon, das daran hing. Sein Blick war hochkonzentriert.

Nichts geschah.

„Nathan!“, rief Kai. „Ich kann ihn nicht halten!“

„Was hält sie?“, keuchte Cynna.

„Seine Gedanken. Sie hindert ihn daran, Energie aus dem Medaillon zu ziehen, um … oh, gut.“

Der Höllenhund machte einen Satz auf den Lehnsherrn von Leerahan zu, auf den ein Lupus stolz gewesen wäre. Er stieß sich aus dem Stand ab, flog durch die Luft und in einem Bogen über Aduello hinweg – und das glänzende schwarze Schwert schlug einmal schnell und präzise zu.

Aduellos Kopf flog auf das Steinpodium, eine Sekunde bevor Hunter landete, und sein Körper kippte eine Sekunde später um. Ein Blutstrahl schoss aus seinem Hals.

Alles erstarrte.

Hunter trat an den Rand des Podiums und sprach laut. „Der Lehnsherr von Leerahan war wahnsinnig, in den Wahnsinn getrieben von dem, was er versuchte, in Besitz zu nehmen. Meine Gefährtin hat versucht, seinen Wahnsinn auszutreiben, aber es gelang ihr nicht. Ich habe ihn getötet. Wenn jemand der Anwesenden mein Urteil nicht anerkennt, muss er es mit meiner Königin ausmachen.“

„Das“, sagte Cullen sehr leise, „war Teil der Abmachung. Nur Höllenhunden ist es erlaubt, Sidhe-Lords hinzurichten. Ein Lehnsherr ist kein Lord, aber doch sehr nahe dran.“

Eine dunkelhaarige Sidhe – die erste, der Cullen begegnete, die wirklich alt aussah – trat vor. „Ich werde Raellian gerufen. Ich erkenne Euer Urteil an. Mein Bruder hat versucht, das Medaillon mithilfe der Energie, die ihm der Bund mit unserem Land gegeben hat, zu beherrschen.“ Flüchtig war auf dem Gesicht der Sidhe ein Zeichen von Erregung zu sehen. „Er hat sich verändert. Er begann zu glauben … Dinge zu tun, die keinen Sinn ergaben. Ich war zwar durch meinen Treueeid an ihn gebunden, aber ich versuchte, mit ihm zu sprechen … er wollte nicht hören. Das Medaillon hat ihn in den Wahnsinn getrieben.“

Ein Stimmengemurmel erhob sich. Es hörte sich an, als würden die meisten ihr zustimmen.

„Leerahan“, rief Theil laut. „Ich erhebe keinen Anspruch auf Euer Land, aber Euer Land ruft nach dem Bund. Euer Lehnsherr ist tot. Einer von Euch muss die Verbindung eingehen. Die drei Tage, die ihr dazu habt, beginnen jetzt. Rohen wird bleiben, um es zu bezeugen, falls ihr es wünscht.“

Das Gemurmel bekam einen neuen Ton.

Raellian ergriff das Wort. Ihre Stimme klang nun fester. „Was wird mit dem Medaillon? Selbst ich höre seinen Ruf. Seine Stimme wird nur lauter werden, wenn sein Drang stärker wird. Wer kann es sicher zu den Gnomen zurückbringen?“

Cullen seufzte. Jetzt kam der Teil, den er gefürchtet hatte. „Das wäre dann wohl ich.“

„Was?“ Cynnas Kopf fuhr herum. Sie sah ihn mit finsterem Blick an. „Du lässt schön die Finger von dem Ding.“

„Schutzschilde“, sagte er einfach. „Niemand hat Schilde wie meine. Ich bin der Einzige, der …“

„Das wird nicht nötig sein“, sagte Kai. „Seht.“

Ein kleiner orangefarbener Buddha saß auf dem Podium und ließ die Beine über den Rand hängen. Er lächelte. Die Silberkette um seinen Hals war mit Blut befleckt, genauso wie die reich gravierte Scheibe, die an ihr hing. „Hey“, sagte Gan und baumelte mit den Beinen. „Das ist echt cool.“

„Gan!“ Cynna klang, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. „Oh nein, Gan. Oh nein.“ Sie ging zu dem Podium. „Was hast du getan?“, flüsterte sie.

Kai ging zu Cynna und legte den Arm um sie. „Es geht ihr gut. Sie ist die rechtmäßige Besitzerin. Ich sehe bereits, wie sich das Band bildet, und es ist … es ist wirklich sehr hübsch.“

„Ist schon gut, Cynna Weaver“, sagte Gan freundlich. „Ich habe auch erst gedacht, dass es nicht gut wäre, als die Erste Ehrenwerte Rätin mir gesagt hat, was ich tun sollte, falls Bilbo getötet würde. Ich wollte es erst nicht tun. Die Erste Ehrenwerte Rätin glaubte, dass das Medaillon mich nicht fressen würde, weil ich immer noch zum Teil eine Dämonin bin, aber es wäre ja möglich gewesen, dass es mich doch gefressen hätte. Sie war sich nicht ganz sicher, also wollte ich es nicht tun. Aber dann hat Steve Timms mein Leben gerettet, und du hast ihm dabei geholfen, und da habe ich verstanden. Eine Seele zu haben, tut weh, weil du dann Freunde hast, und wenn ihnen wehgetan wird, wird auch dir wehgetan. Ich konnte nicht zulassen, dass etwas den Verstand meiner Freunde frisst. So wie Steve Timms nicht zulassen konnte, dass die Ahk Steine nach mir warfen und mich töteten. Weil nämlich ich vielleicht überleben würde, aber keiner von euch.“

Dann sah sie Cullen, und es lag noch etwas in ihren Augen … mehr. „Und du auch nicht, Cullen Seabourne. Deine Schilde sind gut, aber das Medaillon ist sehr einsam gewesen und sehr verwirrt. Es hätte gerufen und immer weiter gerufen, und man hätte dich getötet, um in seinen Besitz zu gelangen. Ich bin doch eine von euch, deshalb konnte ich es nicht zulassen.“ Sie kicherte. „So wie es aussieht, bin ich jetzt eine von vielen, aber das ist okay. Es ist ein gutes Gefühl. So, als wenn ich viele Freunde hätte. He.“ Sie legte den Kopf schief. „Cynna Weaver? Hast du noch etwas von der Schokolade übrig?“