32

Cullen rutschte auf seinem Sattel herum. Das Pferd stampfte auf. Es spürte seine Unruhe. Er versuchte, den Kopf auszuschalten, doch es gelang ihm – oh Wunder – nicht. Sein widerspenstiger Verstand arbeitete ganz von alleine weiter und grübelte darüber nach, was hätte sein können, was vielleicht geschehen war und noch geschehen konnte.

Cynna war nicht tot, sagte er seinem Verstand. Sie war nicht tot. Sie hatten keinen Grund gehabt, sie zu töten, sondern vielmehr allen Grund, sie am Leben zu lassen.

Sein Verstand hielt dagegen, dass in einem Kampf auch Leute starben, ohne dass es beabsichtigt war. Und dies hier war erst kürzlich ein Schlachtfeld gewesen, auf dem viele Leute gestorben waren, dem Gestank von Blut und Tod, der den Boden durchtränkte, nach zu urteilen, selbst wenn die Toten aus irgendeinem Grunde fahnenflüchtig geworden waren.

Aber nicht Cynna. Die Ahk – mochten sie alle im tiefsten Kreis der Hölle schmoren – waren Krieger, die selbst die Sidhe respektierten. Sie hätten sicher ihre Beute beschützt.

Doch es hatte auch tote Ahk gegeben. Und es blieb die Tatsache bestehen, das irgendjemand versucht hatte, Cynna auf dem Schiff zu töten. Jemand, der in der Lage war, Obab-Killer anzuheuern, um das Problem für ihn zu regeln. Jemand, der nicht wollte, dass sie das Medaillon fand.

Trotz der Furcht und der Unruhe, die ihn quälten, gab Cullen keinen Ton von sich. Er wollte nicht, dass die, die gerade einen Blick in die jüngste Vergangenheit warfen, abgelenkt würden. Zwei Sidhe – identisch bis auf die Tatsache, dass einer ein Mann, die andere eine Frau war – standen mitten auf dem niedergetrampelten, blutgetränkten Boden und hielten sich an den Händen. Sie hatten die Augen geschlossen. Die Magie, die um sie herumwirbelte, war vor allem purpurfarben, mit einem Hauch von Gold. Dann und wann wurde es zu einem Schlammbraun.

Es hatte Tage gedauert, bis sie endlich angekommen waren – verdammte lange Tage, die sie damit verschwendet hatten, sich zu streiten, zu täuschen und zu manipulieren, um dabei die ganze Zeit scharf darauf zu achten, nicht selbst manipuliert zu werden. Was wahrscheinlich ohnehin nicht gelungen war. Die Sidhe schätzten Subtilität, und Manipulation war nichts anderes als subtile Kriegsführung. Und da sie Jahrhunderte Zeit gehabt hatten, aneinander zu üben, hatten sie die Manipulation zu einer hohen Kunstform entwickelt.

Er war während dieser komplizierten Verhandlungen in vielerlei Hinsicht im Nachteil gewesen, doch sein größter Trumpf war, dass er wusste, was er wollte. Über die Ziele seiner Verhandlungspartner konnte er nur Vermutungen anstellen. Aber da sie Sidhe waren, waren diese sicher vielfältig und änderten sich laufend. Am Ende war der Handel, den sie anscheinend eingegangen war, überraschend einfach. Er würde für sie tanzen, und sie würden Cynna retten.

Die Sidhe schätzten Subtilität, aber ihre Leidenschaft galt der Schönheit in jeder Form. Doch Cullen machte sich nichts vor. Die Tatsache, dass er ein Lupus war und schön, machte ihn interessant für sie, aber nicht interessant genug, dass sie ihr Leben für ihn riskiert hätten. Er tanzte gut, aber ihre eigenen Tänzer waren die Anmut selbst. Nein, entweder war sein Auftritt ein Vorwand, das zu tun, was sie ohnehin vorgehabt hatten, oder eine Tarnung für das, was die Lehnsherrin der Rohen in Wahrheit wünschte. Oder beides.

Aber was wünschte Theil von Rohen in Wahrheit? Er warf einen Blick auf die große Frau, die so locker auf ihrem rauchfarbenen Pferd saß, umgeben von den Mitgliedern ihres Hofes. Er war sich nicht sicher – woher auch? –, aber er dachte, er läge richtig mit seiner Vermutung. Sie wollte das Medaillon, das war richtig, aber noch wichtiger war ihr, dass kein anderer der Lehnsherren in Edge es bekam. Sie behauptete, dass das Medaillon mit Absicht von einer Person zur anderen wanderte, weil es auf der Suche nach seinem rechtmäßigen Besitzer war. Möglicherweise sagte sie die Wahrheit, wenn auch nicht die ganze.

Aber Cullen war davon überzeugt, dass sie noch auf etwas anderes aus war, etwas, das ihr mindestens genauso wichtig war. Er hatte Schutzschilde, die die Sidhe nicht überwinden, denen sie nichts anhaben konnten. Das erste Mal, als Theil sich an seinen Schilden versucht hatte, hatte er Bestürzung in ihren Augen gelesen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Er hatte den Verdacht, dass sie unbedingt erfahren wollte, wie er an diese Schilde gekommen war.

Natürlich hatte sie ihn nicht direkt gefragt. Zwar hatte sie seine Schilde immer wieder aufs Neue getestet, leicht und sanft, aber sie hatte sie nur ein einziges Mal erwähnt, drei Tage nachdem der Zauber ihn an den Hof zu Rohen gebracht hatte. Erstaunlich, hatte sie gesagt, mit einem leichten Lächeln, das immer ihre Lippen umspielte, solche Schilde bei einem Erdenbewohner zu finden. Haben alle Lupi natürliche Schilde?

Mit dieser Frage hatte sie sich schließlich verraten. Sie wusste, dass die Schilde künstlich waren und keine angeborene Fähigkeit. Cullen wusste nicht genau, wie die Sidhe Magie wahrnahmen. Nicht so wie er – so viel wusste er. Sie nahmen sie eher auf einer Gefühlsebene wahr oder mit einem Sinn, den er nicht kannte.

Wenn er dumm genug gewesen wäre, danach zu fragen, hätten sie ihm ohnehin nicht geantwortet. Aber Theil hätte den Unterschied zwischen einer angeborenen Fähigkeit und einer erworbenen erkannt, egal, wie gut er sie beherrschte.

„Ganz und gar nicht“, hatte er der Lehnsherrin von Rohen geantwortet, „tatsächlich ist mit meinen Schilden eine interessante Geschichte verbunden. Vielleicht kann ich Euch auf unserer Reise damit unterhalten. Uns müsste genug Zeit dafür bleiben. Cynna ist mehr als einen Tagesritt von uns entfernt.“

„Vielleicht ein bisschen weniger als einen Tag“, hatte Theil lächelnd gesagt. „Wenn wir es wünschen, können wir sehr schnell reisen.“

Cullen hatte anhand einer Karte – ihrer – und eines Haares gesehen, wo Cynna sich gerade befand. Cynnas Haar. Gebleicht und dunkel an der Wurzel. Es hatte an seinem Hemd gehangen, und war mit ihm durch den qualvollen Sog der Translokation gegangen.

Diese Art zu reisen mochte er nicht besonders. Als er am Hof von Rohen angekommen war, hatte er sich als Erstes beinahe übergeben müssen. Es war nur seiner Sturheit zu verdanken, dass er seinen Mageninhalt so lange hatte bei sich behalten können, bis die Übelkeit wieder abgeklungen war.

Die Liebe der Sidhe zu Umwegen war nicht alleine schuld an der Verzögerung. Er hatte zwei Tage gebraucht, um allein das Lokalisierungsritual zusammenzustellen. Das Haar nahm er als Fokus. Und sie hatten sich entgegenkommend gezeigt und ihm alle Zutaten gegeben, die er gebraucht hatte. Theera hatte sogar den einen oder anderen hilfreichen Vorschlag gemacht … und sich wahrscheinlich insgeheim über ihn amüsiert. Sein Zauber musste ihnen sehr simpel vorgekommen sein.

Sie hatten sogar angeboten, Cynna zu lokalisieren und ihre ohne Zweifel kunstvolleren Zauber zu benutzen. Er hatte höflich abgelehnt. Wenn er ihr Haar aus der Hand geben und sie sie finden lassen würde, warum sollten sie ihn dann noch mitnehmen?

Er glaubte nicht, dass Theil hinter dem Mordanschlag auf dem Schiff steckte, aber mit Sicherheit wusste er es nicht. Er hatte Cynnas Haar für sich behalten, und selbstverständlich hatten sie keinen Versuch unternommen, es ihm wegzunehmen. Das hätte das Gesetz der Gastfreundschaft verletzt – die bei den Sidhe tatsächlich durch ein Gesetz geregelt war.

Oh, er war gut behandelt worden. Theera hatte ihm vielleicht nicht die Wahrheit über die Wirkung des Zaubers gesagt, den sie ihm gegeben hatte – und es hatte sich herausgestellt, dass es zwar nur wenige Translokationszauber gab, wenn auch nicht nur einen, wie Bilbo geglaubt hatte –, aber als er ihn erst einmal benutzt hatte, war er in den Genuss ihrer Gastrechte gekommen. Er hätte jederzeit gehen können.

Sie wussten natürlich, dass er das nicht tun würde. Nicht, solange sie ihm Cynnas Rettung in Aussicht stellen konnten. Er war zu dem Schluss gekommen, dass sie nichts anderes beabsichtigten, als ihn mit ihrer Hilfe zu locken und ihn von ihr fernzuhalten.

Er hatte um ein Pferd gebeten, um sie verlassen zu können. Sie waren seiner Forderung sofort nachgekommen und hatten ihn nur ersucht, sich zuerst von ihrer Lehnsherrin zu verabschieden. Da Höflichkeit den Sidhe beinahe so wichtig war wie Schönheit, hatte er gewusst, dass er darum nicht herumkommen würde. Sie hatte ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, um das Vergnügen seiner Gesellschaft gebracht zu werden, und erwähnt, wie gerne sie ihn tanzen sehen würde, bevor er sie verließe … das hatte dann irgendwie zu ihrer Bemerkung über seine Schilde geführt und zu ihrem Handel. Er würde für ihren Hofstaat tanzen; sie würde seiner Dame mit zwanzig Reitern zu Hilfe kommen.

Mit keinem Wort wurde erwähnt oder auch nur angedeutet, dass Cynna für sie das Medaillon finden sollte. Aber sie würde nicht die gleichen Gastrechte wie Cullen genießen. Wenn sie Rohen einmal verlassen hatten, würden keine Gesetze sie mehr binden, und Theils Wort verpflichtete sie nur, Cynna zu retten. Darüber war sich Cullen sehr wohl im Klaren.

Er machte sich Sorgen darüber, was er tun sollte, wenn sie Cynna gefunden hatten. Was – bitte, Dame! – hoffentlich sehr bald geschehen würde. Oder er lief Gefahr, sich weniger höflich als bisher zu zeigen. Der Drang, etwas in Brand zu setzen, irgendetwas, wurde immer stärker.

Sein Pferd stampfte unruhig. Er verlagerte sein Gewicht auf die andere Seite des Sattels. Wer hätte gedacht, dass er sich jemals so sehnlich das Band der Gefährten wünschen würde? Mit diesem Band hätte er gewusst, wo Cynna sich befand. Und ob sie am Leben war.

Sie musste einfach noch am Leben sein.

Cullens einfacher kleiner Lokalisierungszauber hatte gewirkt, bis Cynna die Berge verlassen und Leerahan betreten hatte. Leerahans Lehnsherr hatte so etwas wie ein „Sieh mich nicht“ über sein gesamtes Land gelegt – so fühlte es sich zumindest an. Als wenn er eine Decke über das ganze Gebiet gebreitet hätte, die Cullens Lokalisierungszauber erstickte.

Aber es war nicht schwer gewesen, den Spuren von dreißig Pferden zu folgen. Dabei waren sie den Ahk bis an diese Stelle nachgeritten. Wo die Ahk angegriffen worden waren.

Endlich öffneten die händchenhaltenden Zwillinge die Augen. „Es tut uns leid, Fürstin Theil“, sagte der weibliche Teil, „aber …“

„Wir bekommen nur einzelne Bilder von dem, was hier geschehen ist, zu sehen“, fuhr der männliche Teil fort. „Leerahans Oduelo ist hier sehr dicht. Aber wir haben gesehen, wer die Ahk angegriffen hat.“

„Leerahan natürlich“, sagte seine Schwester. „Seitdem haben wir zweimal geruht. Sie hatten ihre Ankunft verhüllt und einige Kehlen aufgeschlitzt, bevor die Ahk sie bemerkt haben. Es ist sehr ungewöhnlich, dass Ahk-Krieger Leerahan betreten, aber vielleicht …“

„… dachten sie, dass sie unbemerkt bleiben würden. Es gibt Spuren eines Verhüllungszaubers, nicht aus Sidhe-Hand, wie Ihr sicher bereits wisst. Leerahan hat selbstverständlich gesiegt. Danach sind die Bilder nur noch bruchstückhaft …“

„… aber wir haben uns, wie Ihr befohlen habt, auf die Menschenfrau konzentriert. Sie verließ diesen Platz lebend …“

„… und freiwillig, auf dem Pferd von Leerahans Lehnsherr, der manchmal auch Aduello gerufen wird.“

„Aber wir sehen nicht, welchen Weg sie genommen haben. Denn dieser ist gut versteckt unter dem Oduelo.“

Theil blickte Cullen an, und es lag ein Hauch von Mitgefühl in ihren kühlen blauen Augen. „Cynna Weaver steht natürlich unter dem Einfluss von Feenzauber. Aduellos Magie ist sehr kunstvoll, ganz wunderbar. Ein Mensch würde sich nicht dagegen wehren können. Es sei denn, sie hat Schilde wie die Euren.“

Cullen schüttelte den Kopf. „Nein. Aber sie ist am Leben. Das ist das, was zählt.“

Es gab noch etwas anderes, was gegen Feenzauber wirksam war. Etwas, das nichts mit Schilden zu tun hatte, sondern mit einer sehr alten Geschichte, von der es sehr viele Versionen gab … „Wir werden früh genug erfahren, ob er sie hypnotisiert hat, nicht wahr? Vorausgesetzt, dass Ihr mich weiter begleitet“, ergänzte er höflich. „Vielleicht glaubt Ihr, dass Cynna nun nicht mehr Eure Hilfe benötigt, da sie in der Gewalt der Sidhe und nicht mehr der der Ahk ist.“

„Selbstverständlich begleiten wir Euch. Ich ziehe es vor, mein Versprechen nicht durch Vermutungen zu gefährden. Ihr wisst, dass es keinen Kampf geben wird? Ich führe keinen Krieg mit einem Bruderlehnsherrn.“

„Kampf kann viel bedeuten, Fürstin Theil. Für manche Kämpfe braucht es körperlichen Kontakt. Für andere nicht.“

Theera, die auf einer wunderschönen weißen Stute neben ihrer Schwester ritt, betrachtete ihn mit Mitgefühl, beinahe schon Mitleid. Theera mochte ihn nicht. „Ich hoffe, Ihr wisst auch, dass wir Euren Liebling Aduello nicht entreißen können, wenn sie es nicht wünscht. Selbst wenn dieser Wunsch zum Teil das Resultat einer sexuellen Hypnose ist, müssen wir ihn respektieren. Feenzauber bringt niemanden dazu, gegen seine eigentliche Natur zu handeln.“

„Das ist wahr“, sagte Cullen freundlich. Und beließ es dabei, weil Theera damit nichts anderes gesagt hatte, als dass er sich von ihrem Zauber hatte befreien können, weil sie zu begehren gegen seine Natur gewesen wäre.

Das war nicht ganz richtig. Genauso wenig wie ihr falsches Mitgefühl.

Möglicherweise lag ein Hauch von Belustigung in Theils Blick, als sie ihr Pferd gen Westen lenkte. „Wir können ihre Fährte nicht magisch aufnehmen. Aber ihre Pferde haben eine Spur hinterlassen …“ Sie wandte den Kopf, als einer ihrer männlichen Sidhe einen leisen Ruf ausstieß.

Zwei Reiter kamen über den vor ihnen liegenden Hügel auf sie zu. Auf seiner Kuppe machten sie eine Pause, als wenn sie sichergehen wollten, dass sie auch gesehen würden. Einer war männlich, und seine kupferfarbene Haut und sein schwarzes Haar erinnerten Cullen an Benedict. Er trug eine Wildlederjacke, wie man sie überall sah. Der andere Reiter war eine Frau und hatte sich gegen die Kälte in eine Winterjacke eingepackt, von der er hätte schwören können, dass sie von L.L. Bean war.

Nach einer kurzen Pause setzten sie ihre Pferde wieder in Bewegung. Die Frau führte zusätzlich noch ein Packpferd am Zügel. Niemand rührte sich. Als sie am Fuße des Hügels angekommen waren, sagte Theil klar und deutlich, aber die Stimme nur gerade so gehoben, dass sie gehört wurde: „Mein Wachtposten hat mir Eure Ankunft nicht angekündigt.“

„Euer Wachtposten ist unversehrt“, sagte der Mann in der Hochsprache. „Ich wünschte bis jetzt, nicht gesehen zu werden.“

„Ihr …“ Theil brach ab. Ihre Augen weiteten sich.

Eine Sekunde später schnappte Theera nach Luft. Erst dann roch Cullen etwas, nur ganz schwach und hauchdünn, einen Geruch, den er bisher noch nie gerochen hatte. Einen Geruch, bei dem sich ihm die Haare im Nacken aufstellten.

Die zwei Reiter lenkten ihre Pferde durch die starrenden, reglosen Sidhe. Die Frau war ein Mensch. Cullen war sich dessen sicher, obwohl sie eine Gabe besaß, die ihm noch nie zuvor begegnet war. Er hatte keine Ahnung, was der Mann war, aber er hatte Macht. Sehr viel Macht.

„Fürstin Theil“, sagte der Mann höflich. „Ich möchte Euch Kai Tallman Michalski von der Erde vorstellen und Euch zwei meiner Namen sagen. Man kennt mich als Nathan Hunter.“

Der Gesichtsausdruck der Lehnsherrin verriet nicht das geringste Gefühl. „Ich grüße Euch, Nathan Hunter und Kai Tallman Michalski. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bin … außerordentlich neugierig … was Eure Gestalt und den Grund Eurer Anwesenheit angeht.“

„Sicher habt ihr die Legende von meiner Gestalt gehört.“

„Winters Hund“, flüsterte einer der Sidhe.

Theil erstarrte. Sie warf dem, der gesprochen hatte, einen Seitenblick zu. Der Mann sprang von seinem Pferd herunter auf die Knie. „Ich bitte um Verzeihung. Ich hätte nicht … Ich habe nicht nachgedacht.“

Der Mann mit dem Namen Nathan nickte einmal. „Euch sei vergeben. Meine Identität ist für die Sidhe kein Geheimnis.“

„Aber für mich“, sagte Cullen gedehnt.

Theil warf ihm einen Blick zu, der geeignet gewesen wäre, ihn in zwei Hälften zu schneiden.

Nathan Hunter lächelte nur verzeihend. „Eure Art konnte meinen Geruch noch nie ertragen. Ich fordere Euch nicht heraus, Wolf. Also beruhigt Euch.“

„Ihr weicht mir aus. Aber egal, wie Ihr genannt werdet – was seid Ihr?“

Der Mann tauschte einen Blick mit der Frau, und sie ergriff das Wort zum ersten Mal – in fehlerfreiem Englisch mit einem leichten texanischen Akzent. „Er ist ein Höllenhund. Ich weiß, er sieht nicht so aus, aber das ist eine lange Geschichte, und die Zeit läuft uns davon. Wenn wir Eure Finderfreundin retten und Edge davor bewahren wollen, in Chaos zu versinken, müssen wir uns beeilen. Was meinst du, Nathan?“ Sie warf ihrem Begleiter einen fragenden Blick zu.

„Ja, das glaube ich auch. Ich möchte Euch noch jemanden vorstellen“, sagte er zu ihnen. „Ihr Name ist Dell.“

Auf dem Hügel hinter ihnen bewegte sich eine mit Gras bewachsene Erhebung. Und stand auf. Eine riesige Katze von kräftiger Statur und mit den überdimensionalen Pfoten eines Luchses kam auf sie zu. Eine Katze, die ihm unmöglich hatte entgehen können, und trotzdem war es so. Eine Katze, die ganz genauso aussah wie die, die er glaubte, kurz nach dem Angriff der Dondredii gesehen zu haben.

„Ich wurde hierher gesandt“, sagte Kai, „weil die Welten sich verschoben haben. Mit dieser Verschiebung haben sich auch die Bedürfnisse des Medaillons geändert. Es sucht nach einem neuen Besitzer. Ich soll dabei helfen, den richtigen zu finden.“

„Ihr?“ Theils linke Augenbraue hob sich ganz leicht in kaum merklicher Verachtung. „Ihr seid doch ein Mensch.“

„Die Welten haben sich verschoben“, wiederholte Kai Tallman Michalski. „Und ich wurde von der Winterkönigin geschickt. Vielleicht sieht sie etwas in mir, das Ihr nicht seht.“

Ob ihr klar war, dass sie sie beleidigt und herausgefordert hatte, wie es eine Sidhe nicht raffinierter hätte machen können? Cullens Reittier trat von einem Huf auf den anderen. Sein Sattel knarrte. „Ich folge Cynnas Fährte“, sagte Cullen unvermittelt und lenkte sein Pferd in die Richtung der Spuren. „Ihr seid willkommen, mir zu folgen, wenn Ihr genug geplaudert habt.“

Auf einmal lachte Theil. Das Geräusch war wie Silber, wie der Wind, und plötzlich hatte er das Bild eines Falken, der auf seine Beute herabstieß, vor Augen. „Kir el abathium!“, rief sie – was so etwas Ähnliches hieß wie Warum nicht, verdammt! „Auf geht’s, Rohen!“

Ihr Pferd wirbelte herum und fiel in Galopp. Es dauerte nur einen einzigen Herzschlag, dann taten es ihr die anderen nach.