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Die Sommersonne steht hoch am wolkenlosen Himmel, als ich mich ans Steuer setze, nachdem ich die Mädchen hinten im Auto angegurtet habe.

Es ist vier Uhr, und Harald hat noch nichts von sich hören lassen. Den ganzen Tag über habe ich immer wieder versucht, ihn anzurufen, aber jedes Mal nur seine Mailbox erreicht. Sein Telefon im Büro war zur Sekretärin durchgestellt. Sobald ich ihre Stimme hörte, habe ich aufgelegt. Die Angestellten werde ich bestimmt nicht fragen, wo sich mein Mann herumtreibt. Allerdings bin ich heute Nachmittag, bevor ich die Mädchen von der Schule abgeholt habe, kurz an der Firma vorbeigefahren.

Sein Auto stand nicht davor.

Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meiner Mutter für heute abzusagen. Aber vor einer Stunde hat sie mich angerufen und mir mitgeteilt, dass sie mich erwarte, schon »auf gepackten Koffern« sitze und sich unglaublich auf die kommende Woche freue. Ich brachte es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen. Außerdem möchte ich meine Mutter gerne um mich haben, falls es Probleme geben sollte.

»Hey, da kommt Papa!« Fleur hat die graue Kühlerfront von Haralds Wagen noch vor mir entdeckt.

Langsam öffnet sich das Tor, und Harald fährt die Auffahrt hinauf.

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich schalte den Motor wieder aus und ziehe die Handbremse an.

Harald parkt seinen Jaguar vor der Scheune, steigt aus und kommt auf uns zu.

Ich lasse das Fenster herunter. »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Ich habe mir schon die größten Sorgen gemacht! Ich habe tausendmal versucht, dich anzurufen, aber dein Handy ist ausgeschaltet.«

Er runzelt die Stirn und greift in seine Brusttasche. Seine beigefarbene Hose hat Flecken, die er offenbar vergeblich zu entfernen versucht hat.

Harald zieht sein Handy heraus und schaut auf das Display. »Akku leer«, murmelt er und steckt es in die Hosentasche. Dann sieht er mich an. »Wo fährst du hin?«

»Meine Mutter abholen, erinnerst du dich? Hast du vergessen, dass du heute Nachmittag auf die Kinder aufpassen solltest?«

Harald schüttelt den Kopf. »Nein, hab ich nicht vergessen«, antwortet er leise.

Ich will ihn schon fragen, wo er gewesen ist, denke aber rechtzeitig daran, dass die Kinder hinten im Auto sitzen. Später. »Was sind das denn für Flecken auf deiner Hose?«

Mit ärgerlichem Gesicht winkt er ab, als verjage er eine Fliege. Dann nähert er sich meinem Auto und öffnet die hintere Tür. »Fahr jetzt lieber, sonst steckst du gleich im Stau. Ich komme schon mit den beiden zurecht.«

»Wir haben Babykätzchen«, verkündet Charlotte, während sie sich aus dem Sicherheitsgurt windet. »Mama sagt, sie sehen aus wie Fleischkroketten. Willst du sie sehen?«

»Ja, natürlich«, antwortet Harald. »Wie viele sind es denn?«

»Zwei. Aber du darfst sie nicht anfassen«, plappert Fleur, »Reddy hat jetzt Instinkte, sagt Mama, und davon ist sie ganz böse geworden.«

Zum Beweis zeigt Fleur ihre verbundenen Arme. Die halbe Klasse hat darauf unterschrieben, als seien es Gipsarme. Schon beim Aussteigen erzählt sie aufgeregt, was passiert ist.

Harald schlägt die Tür zu. »Bis gleich«, verabschiedet er mich.

Abscheu
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