Fünf
Fassadenarchitektur – Von Fassadenarchitektur spricht man, wenn die (Prunk-)Fassade bei dem Entwurf eines Gebäudes eine entscheidende Rolle spielt. Von innen ist das Gebäude in der Regel viel schlichter, als die Fassade vermuten lässt.
Ich mag zwar buchstäblich auf einer Art Insel leben und Claire und ich können so tun, als gäbe es die Welt um uns herum nicht und als spiele sie keine Rolle – in meinem Beruf existieren solche Inseln nicht. In der Maklerbranche hängt der Erfolg von den richtigen Kontakten ab. Man muss dafür sorgen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und mit den richtigen Leuten zu reden, und natürlich stehen den ganzen Tag über sowohl die sozialen als auch die geschäftlichen Antennen auf Empfang. Wenn man es richtig anstellt, erfährt man auf diese Weise ein wenig früher von einem anstehenden Verkauf als die Konkurrenten und kann ihnen dadurch zuvorkommen. Ich lasse mich daher an vielen Orten sehen, auch wenn ich dort scheinbar nichts zu suchen habe.
Heutzutage brauche ich mich nicht mehr so sehr anzustrengen wie früher. Wenn bei uns in der Gegend eine Vernissage stattfindet, ein Empfang oder was für ein Ereignis auch immer, bei dem die Leute mit Geld, Geschmack und hohen Ansprüchen zu finden sind, stehe ich stets auf der Gästeliste. Für mein Geschäft sind diese Art von Einladungen lebenswichtig.
Ich habe an allen Fronten hart gearbeitet, um auf diesen Gästelisten zu landen und mir diesen Grad von Respekt zu verdienen.
Als mein Vater noch lebte, habe ich ihn selbstverständlich zu allen Partys und Empfängen begleitet. Das gehörte zu meiner Ausbildung, die mein Vater sehr ernst nahm. Nach seinem Tod kühlten diese Beziehungen jedoch in einem beunruhigend schnellen Tempo ab. Ich war noch sehr jung, stand plötzlich allein da, und ich vermute, dass die Leute erst einmal abwarten wollten. Abwarten, wie lange es dauern würde, bis dieses emporgekommene Reicheleutesöhnchen, das nicht mal einen Universitätsabschluss geschafft hatte, die Firma seines Vaters und Großvaters in den Sand gesetzt hatte.
In einer idealen Welt stehen immer Menschen bereit, um einen aufzufangen, aber bei uns in der Gegend konnte ich lange nach einem Sicherheitsnetz suchen. Nein, man wollte mich lieber fallen sehen, so hart und gnadenlos wie möglich. Viele hätten sich vielleicht sogar darüber gefreut. Dieser Eindruck ist mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben.
Mein Vater war fachlich und menschlich sehr stark präsent, niemand kam um ihn herum. Ich kann nicht ausschließen, dass er hier und da jemandem empfindlich auf die Füße getreten ist und manchen in seiner Persönlichkeit gekränkt hat. Was also wäre eine schönere Genugtuung gewesen, als seinen einzigen Sohn hoffnungslos versagen zu sehen? Claire schärft mir immer ein, dass ich so nicht denken darf. Sie findet, dass ich alles viel zu schwarzsehe, und hat sich sogar schon einmal offen gefragt, ob diese Feindseligkeiten vielleicht nur in meiner Einbildung existieren. Daher habe ich nicht mehr mit ihr darüber geredet. Aber ich denke durchaus noch darüber nach. Auch auf so einer Gartenparty mit Leuten von der Bank und von der Stadt liegt das Bewusstsein, dass ein Teil von ihnen mich lieber am Boden gesehen hätte, fast greifbar in der Luft.
Bei der Rechnung des Partyservices ist mir der Schreck eiskalt in die Glieder gefahren. Diesen Betrag kann ich momentan eigentlich nicht entbehren. Schon für die Hälfte hätte man ein wunderbares Fest ausrichten können. Wenn ich aber mal nicht an die Geldausgabe denke, hat Claire völlig richtig gehandelt. Im Grunde tut sie das immer. Sie hat für viele Situationen genau das richtige Gespür. Wahrscheinlich sage ich es ihr nicht oft genug, aber sie ist wirklich ein Goldschatz.
Claire hat Taittinger, Antipasti und Blauflossenthunfisch auffahren lassen. Bei den van Santfoorts zu Hause gibt es keinen drittklassigen Schaumwein und Supermarkthäppchen. Ja, uns geht es wirklich außergewöhnlich gut, vielen Dank.