Kapitel 7

Seufzend klappte Claire den Deckel des letzten Koffers zu, schob ihn unters Bett und klemmte sich die schmutzige Wäsche unter den Arm. Sie war gerade dabei, die erste Ladung in die Maschine zu stopfen, als die Türglocke anschlug.

Ein rascher Blick auf die Uhr informierte sie darüber, daß es bereits auf neun Uhr abends zuging. Himmel, wo war bloß die Zeit geblieben!

"Ich gehe schon!" rief Melanie aus dem Flur. Bevor Claire es verhindern konnte, hatte Mel die Tür aufgerissen, um die Besucher einzulassen.

Beim Anblick von Hilde-Maries verkniffenem Gesicht und Bertrams verlegenen Grinsen, hätte sie die Tür beinahe wieder zugeworfen.

"Ist Claire denn etwa immer noch nicht zurück?" Hilde-Marie konnte sagen, was sie wollte, es klang immer vorwurfsvoll.

Melanie versuchte zu lächeln.

"Doch, sie ist nur im Badezimmer." Einladend trat sie zur Seite. "Kommen Sie doch herein."

"Und was suchen Sie hier?" Hilde-Marie musterte Melanie mit einem unfreundlichen Blick, während sie an ihr vorbei in die Diele trat. "Claire hat uns nicht gesagt, daß sie gleich nach ihrer Rückkehr Logierbesuch erwartet."

"Das konnte sie auch nicht", erwiderte Melanie, mit süßlicher Kleinmädchenstimme, die vor Spott vibrierte. "Ich habe mich nämlich ganz kurzfristig dazu entschlossen, meinen gähnlangweiligen Ehemann zu verlassen und meine Freundin zu besuchen. Hätte ich allerdings geahnt, daß Ihr Besuch ins Haus steht, hätte ich anders disponiert."

Hilde-Marie schnappte empört nach Luft, aber sie hatte sich sofort unter Kontrolle.

"Claire!" Ihre Stimme durchschnitt den Frieden der behaglichen Wohnung. "Claire, Bertram und ich, wir möchten dich begrüßen!"

Claire biß beim Klang dieses Organs die Zähne zusammen. Sie würde sich nie an Hilde-Maries Tonlage gewöhnen. Allein die Vorstellung, diese Stimme bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hören zu müssen, reichte aus, alle Gedanken an eine Hochzeit mit Bertram aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Vielleicht sage ich ihm ja demnächst, daß es aus ist, bloß weil ich Hilde-Marie nicht mehr sprechen hören kann. Mit diesem Gedanken einigermaßen gestärkt, wagte Claire sich endlich aus dem Badezimmer herauszukommen.

Hilde-Marie stand mitten im Wohnzimmer, die unvermeidliche Handtasche nach Queen-Elisabeth-Art am Henkel gepackt. Hilde war nicht groß, sie maß gerade mal einen Meter fünfundsechzig, aber ihre überragende Persönlichkeit reichte aus, das ganze Zimmer zu füllen. Daran konnten auch die einhundertsechsundachtzig Zentimeter ihres Sohnes Bertram nichts ändern. Man hatte automatisch den Eindruck, daß er hinter der Machtfülle seiner Mutter verschwand.

"Da bist du ja." Leichte Verärgerung schwang in Hilde-Maries Stimme, als Claire den Raum betrat. Sie streckte der zukünftigen Schwiegertochter auffordernd die Hand entgegen, während sich ihr Sohn Bertram automatisch noch ein bißchen mehr in sich selbst zurückzog. Man sah ihm deutlich an, daß er es nicht gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen, jedenfalls nicht, im Beisein seiner Mutter. "Wie schön, daß du endlich wieder da bist. Wir haben dich vermißt. Drei Monate sind eine lange Zeit, besonders, wenn man sie in einem fremden Land verbringt."

Das war Hilde live! Diese Frau schaffte es, eine drei Seiten lange Anklageschrift, gespickt mit Vorwürfen in nur drei Sätze zu verpacken und dabei auch noch huldvoll zu lächeln.

Claire schluckte mühsam ihren Zorn hinunter, während sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter einen angedeuteten Kuß auf die gepuderte Wange hauchte. Erst, nachdem sich Hilde-Marie ausreichend begrüßt fühlte, erlaubte sie durch eine kleine, verzichtende Geste, daß sich Claire ihrem Verlobten zuwandte.

Sobald seine Mutter in den Hintergrund trat, blühte Bertram auf. Seine Schultern strafften sich, seine Haltung wurde gerade, die Miene bekam genau die Spur Hochmütigkeit, die allen anderen sagte: Ich bin wer!

Seine Hände wanderten zum Revers seines dunkelblauen Anzugs. So, den linken Fuß ein wenig vorgestellt, den Kopf stolz erhoben, erwartete er Claire, die sanft seinen Unterarm berührte.

"Hallo Bert."

Erst jetzt ließ sich Bertram herab, ihr seine Wange zum Kuß zu reichen.

"Ich freue mich, daß du wieder da bist", schnarrte er, in dem gleichen distanzierten Ton wie seine Mutter. "Du warst sehr lange fort. Wir haben uns viele Sorgen um dich gemacht."

"Oh Mann, das sehe ich mir nicht länger an!" hörte man im Hintergrund Melanies Stimme so laut flüstern, daß es jeder im Raum hören mußte.

"Setzt euch doch!" rief Claire hastig, um die Situation zu überspielen, doch das vernehmliche Zuschlagen von Melanies Zimmertür machte diesen Versuch zunichte.

"Wieso hast du dieser Person erlaubt, bei dir zu wohnen?" ereiferte sich Bertram, während er zu der bequemen Sitzgruppe stakste. "Hast du nach deiner Rückkehr nichts besseres zu tun, als dich um diese Frau zu kümmern?"

Melanie und er waren sich beim ersten Ansehen spinnefeind gewesen und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Aber im Grunde mochte Bertram keine oder keinen von Claires Freundinnen und Freunden.

Claire seufzte resigniert. Er hatte ihr also immer noch nicht verziehen!

"Melanie ist doch nur zu Besuch. Sie wird nicht lange bleiben."

"Sie hat uns erzählt, daß sie ihren Mann verlassen habe", meldete sich Hilde-Marie, die gerade auf dem Sofa Platz nahm. "Weißt du, weshalb?"

"Nein, und es interessiert mich auch nicht", erwiderte Claire schärfer als beabsichtigt. "Kann ich euch etwas anbieten? Oh, ich habe euch etwas mitgebracht. Wartet mal."

Froh, für ein paar Minuten der unbehaglichen Stimmung zu entkommen, eilte sie aus dem Zimmer und stürzte nach nebenan, um die Mitbringsel zu holen. Sie ließ sich Zeit, um sich für den weiteren Abend mit den beiden Kleefisch zu wappnen.