Kapitel 14
Bertram legte den Hörer mit einem bekümmerten Seufzer auf den Apparat zurück und wandte sich zu Hilde-Marie um, die ihn aufmerksam beobachtete.
"Und?" fragte sie streng, als ihr Sohn keine Anstalten machte, sich zu äußern.
Bertram riß sich zusammen.
"Sie sagt, daß sie keine Zeit hat." Rasch hob er die Hände, als befürchte er, seine Mutter könne jeden Augenblick einen Revolver zücken. "Ja, ja, ich weiß, Mama. Aber was soll ich denn machen?"
Hilde-Marie verzog spöttisch die Mundwinkel.
"Wenn du das nicht weißt, mein Lieber..." Sie drehte sich um und ging zu der schweren Ledergarnitur, die den Raum beherrschte. Das gesamte Zimmer war in wuchtig-dunkler Eiche und Leder gehalten. Schwere Vorhänge und voluminöse Schabracken engten die Fenster ein. Als einziger Farbklecks, der die düstere Atmosphäre auflockern sollte, fungierte eine bauchige Bodenvase, in der künstliche Sonnenblumen gegen den Staub ankämpften.
"So geht das nicht weiter", seufzte Hilde-Marie, als sie sich bequem zurechtgesetzt hatte. "Die Verwandtschaft tuschelt schon, weil du mit deinen fünfunddreißig Jahren immer noch nicht verheiratet bist. Da nützt es auch nichts, wenn ich ihnen erzähle, daß du seit drei Jahren verlobt bist."
"Was soll denn mit mir nicht stimmen?" fragte Bertram erstaunt, worauf seine Mutter bedeutsam die Augen verdrehte.
"Welche Gründe gibt Claire denn für ihr Fernbleiben an?" erkundigte sie sich mißtrauisch.
Bertram setzte sich in einen der ausladenden Sessel und schlug die langen Beine übereinander.
"Sie sagt, daß sie morgen eine größere Warenlieferung erwartet, die ausgepackt und etikettiert werden muß. Sie will das am Abend mit ihrer Angestellten erledigen."
Hilde-Marie stieß einen ungeduldigen Laut aus.
"Diese Spielerei mit der Boutique muß bald ein Ende haben!" bestimmte sie mit strenger Stimme. "Bertram, sorge dafür, daß ihr beiden euch einig werdet. Ich möchte auch mal an mich denken und mich ein wenig schonen dürfen."
Bertram ließ den Kopf sinken, bis sein Kinn auf der Brust lag. "Und wenn Claire mich gar nicht mehr heiraten möchte?"
Seine Frage ließ Hilde-Marie wie unter einem Nadelstich zusammenzucken.
"Hat sie sich etwa derartig geäußert?"
"Nein." Hastig schüttelte Bert den Kopf. "Nein, sie hat nichts dergleichen gesagt. Nur..." Hilflos hob er die Schultern. "...manchmal habe ich so den Eindruck, als ob sich Claire nicht mehr so sicher ist."
"Dann solltest du das schnellstens herausfinden." Hilde-Maries Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. "Du wirst in kürze sechsunddreißig, da ist es nicht mehr so einfach, eine Frau zu finden. Jedenfalls keine, die nicht schon gebunden ist oder war. Und für meinen Sohn wünsche ich mir eine Frau ohne Vergangenheit."
Bertram war unter den Worten seiner Mutter noch mehr in sich zusammengesunken.
"Ja, Mutter", murmelte er unglücklich. Natürlich konnte er verstehen, daß sich Mutter Entlastung wünschte. Sie hatte ja wirklich viel zu tun. Da war einmal das Geschäft, das Hilde-Marie mit eiserner Hand führte, und dann das große Haus und nicht zuletzt er selbst, um den sie sich kümmern mußte.
Zugegeben, heimlich dachte er manchmal, daß er sich auch sehr gut um sich selbst kümmern könnte. Und wenn Hilde ihn endlich ließe, würde er wohl auch mit dem Schreibwarenladen fertig werden. Aber Hilde behauptete steif und fest, daß er dazu nicht in der Lage sei. Er brauchte eine leitende Hand, die ihn durchs Leben führte, und diese leitende Hand besaß sie.
Weshalb sie dazu die Hilfe einer Schwiegertochter benötigte, hatte Bertram bis heute nicht begriffen. Erstens konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß seine Mutter einer anderen Frau die Pflege ihres Sohnes, Leitung ihres Geschäfts und des Haushalts überlassen würde und zweitens mochte sich Bertram lieber nicht die Szenen ausmalen, die sich mit einem zweiten weiblichen Wesen im Hause abspielen würden. Der Leidtragende wäre unter Garantie er, der zwischen den beiden Hyänen zerrieben werden würde.
"Eigentlich sind wir doch so, wie es momentan ist, auch sehr zufrieden", wagte es Bertram aus diesen Überlegungen heraus, vorsichtig zu erwähnen. "Ich meine, eine dritte Person würde im Grunde doch nur stören..."
Er verstummte erschreckt, als Hilde-Marie aufsprang.
"Schluß damit!" fuhr sie ihn an. "Ich will endlich dem Gerede in der Verwandtschaft ein Ende machen, daß du vielleicht..." Sie verstummte und schüttelte ärgerlich den Kopf. "Nein, es wird Zeit, daß du heiratest. Ende der Diskussion!"
Bertram schwieg verschüchtert. Daß Claire gar nicht daran dachte, sie am kommenden Samstag zu Tante Henni zu begleiten, sagte er seiner Mutter vorläufig lieber nicht. Hilde-Marie hätte ihm wahrscheinlich den Kopf abgerissen. Also beschloß er, sich lieber hinter Schweigen zu verschanzen und die Dinge erst einmal auf sich zukommen zu lassen.
Vielleicht würde das Schicksal ja von sich aus eine Lösung all seiner Probleme finden.