Kapitel 3

Bis zu dreißig Zentimeter dieser weißen Pracht hatte der Sturm in der vergangenen Nacht auf die Veranda geweht. Davids Schaukelstuhl war unter der weichen Last nur noch als sanftgerundeter Hügel zu erkennen gewesen.

"Du wirst nicht fliegen können." Davids Augen strahlten vor Freude über diese Möglichkeit. "Bei solchem Schneetreiben hebt kein Hubschrauber ab, das weiß ich. Tja, da wirst du wohl nun doch bei mir bleiben müssen."

"Hör auf!" Claire lief ans Fenster, in der Hoffnung, der Schneesturm könnte sich gelegt haben. "Mein Flug geht erst um acht Uhr. Vielleicht hat sich das Wetter ja bis dahin beruhigt."

"Und wenn nicht, dann mußt du eben bleiben." David trat hinter sie. Als seine Hände ihren Körper berührten, stieg dieses altbekannte Gefühl des Begehrens in ihr auf. Noch nie hatte sie derartig stark auf einen Mann reagiert und David, dieser alte Schlawiner, wußte das.

"Von mir aus kann es bis zum Sankt Nimmerleinstag so weiterschneien", flüsterte er ihr ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelte die empfindliche Stelle an Claires Hals. Sie spürte, wie sich ihr ganzer Körper mit einer feien Gänsehaut überzog. "Ich würde mich mit dir bestimmt nicht langweilen."

"Oh Gott, Dave, laß das!" Mit letzter Kraft riß Claire sich von ihm los und floh aus seiner erregenden Nähe. "Sieh, wir haben jetzt schon so oft darüber gesprochen. Ich muß nach Deutschland zurück. Ich kann nicht bleiben. Es gibt einen Haufen Dinge, die ich dort zu regeln habe und dann..." Sie hob die Schultern. "Laß uns nicht wieder streiten, bitte. Versuche einfach, meine Entscheidung zu akzeptieren, wenn du sie schon nicht verstehen kannst."

Davids Miene verfinsterte sich.

"Das fällt mir schwer, um nicht zu sagen, daß es mir unmöglich ist", murmelte er unzufrieden. "Ich meine, okay, ich verstehe, daß du drüben nicht alles liegen und stehen lassen kannst und einfach hierbleiben. Aber wenn ich daran denke, daß dort der andere auf dich wartet..."

Bei der Erinnerung an Bertram mußte Claire unwillkürlich lachen. Bertram und auf sie warten! Er schmollte immer noch, weil sie ohne seine ausdrückliche Erlaubnis für sage und schreibe ganze drei Monate nach Amerika gegangen war.

"Ich kann ihm nicht einfach unseren Verlobungsring zuschicken und glauben, damit sei alles vorbei", versuchte Claire, David begreiflich zu machen. "Wir sind immerhin vier Jahre zusammen. Da trennt man sich auf andere Weise. Ich bin es ihm schuldig, Dave, egal, was ich über ihn denke oder wie ich jetzt für ihn fühle."

"Trotzdem bin ich eifersüchtig", behauptete David stur. Wenn er wollte, konnte er sich wie ein kleiner Junge benehmen, der einfach nicht einsehen mochte, daß Zucker Karies verursacht. "Mit ihm hast du dich verlobt. Meine Heiratsanträge lehnst du jedes Mal ab."

"Ich lehne sie nicht...Verdammt, ich will nicht schon wieder darüber diskutieren!" Claire hatte genug. Ihre Nerven waren seit ein paar Tagen nicht gerade die besten. Die bevorstehende Abreise, die Trennung von liebgewordenen Freunden und vor allem von David, das alles machte ihr mehr zu schaffen, als sie zugeben mochte. "Das mit Bertram und mir, das, das geht dich nichts an und außerdem - ach zum Teufel, David Sundrove, wieso zwingst du mich immer dazu, mich zu rechtfertigen?!"

David grinste wie ein Lausejunge.

"Weil ich so gerne mit dir streite." Er kam näher und zog Claire, ihren Widerstand ignorierend in seine Arme. "Die Versöhnung ist immer so herrlich."

Diesmal ließ Claire sich küssen. Himmel, was für eine verrückte, tolle, erregende Beziehung! Sie hatte diesen Mann gesehen und schon hatte es in ihrem Inneren "Klick" gemacht. Obwohl sich Claire sonst immer zu den Vernunftmenschen gezählt hatte, die jeden als irren Träumer bezeichnete, der von der Liebe auf den ersten Blick faselte, war ihr mit David genau das passiert. Und das Verrückteste an der Geschichte war, daß es Dave genauso ergangen war.

Sein Kuß ließ vorübergehend die Gedanken an den bevorstehenden Abschied ins Dunkel des Vergessens versinken. Dort waren sie erst wieder herausgekrochen, als sich das Paar endlich voneinander löste. Noch ganz atemlos von der stürmischen Umarmung, drehte Claire sich in Davids Armen auf die Seite und sah verträumt aus dem Fenster.

Draußen lachte eine blankgeputzte Sonne vom Himmel.

Mit einem Satz war Claire aus dem Bett gesprungen.

"Mein Flug!"

In Windeseile begann sie ihre Sachen zusammenzuräumen. David half ihr, widerstrebend zwar, aber immerhin. Er begleitete sie auch auf dem Flug nach Denver.

In der kleinen Abfertigungshalle des Lufttaxis hatten alle Freunde gewartet, um sich von Claire zu verabschieden. Bunte Luftballons, die sie leider nicht mit an Bord nehmen konnte, tanzten auf langen Fäden, unzählige Blumensträuße wurden Claire in die Arme gelegt. Und dann waren sie losgeflogen.