Kapitel 20

Der Ausbruch hatte etwas Befreiendes gehabt. Claire hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Sonst hatte sie sich nach einem Streit immer mies, schuldig und irgendwie klein gefühlt. Aber diesmal kam sie sich vor, als hätte sie Sekt getrunken. Sie fühlte sich so fit, daß sie sogar beschloß, jetzt gänzlich reinen Tisch zu machen.

Sie rief Sonny an, bat sie, die Boutique aufzuschließen und fuhr dann zu Kleefisch's Buch- und Schreibwarenhandlung, die in der Fußgängerzone lag.

Der Laden war hoffnungslos unübersichtlich eingerichtet. Da sich Hilde-Marie gegen jede Neuerung wehrte, sah es hier noch genauso aus wie vor zwanziger Jahren. Selbst die Verkäuferinnen, die Hilde-Marie wie ein Feldwebel regierte, schienen aus dieser Zeit zu stammen.

"Ich möchte bitte Herrn Kleefisch sprechen", teilte Claire der vertrockneten Twinset-Figur mit, die eilfertig auf sie zugewieselt kam. "Sagen Sie ihm, es sei wichtig."

In den grauen Augen leuchtete kurz Verwunderung auf, dann trippelte das Twinset-Faltenrock-Ensemble davon. Gleich darauf trat Hilde-Marie aus einem der Nebenräume. Bei Claires Anblick verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem falschen Lächeln.

"Was kann ich für dich tun?"

"Nichts." Claire maß sie mit einem eiskalten Blick. "Ich möchte Bertram sprechen. Würdest du ihm das bitte ausrichten?"

Das Lächeln auf Hilde-Maries Gesicht fiel zusammen und machte dem urspünglich bitteren Ausdruck Platz.

"Ich schätze es gar nicht, wenn meine Angestellten während der Arbeitszeit Privatbesuche empfangen", schnarrte sie ärgerlich. "Und da mache ich auch bei meinem Sohn keine Ausnahme."

Claire überlegte einen Moment, dann wurde sie von etwas abgelenkt, das sich irgendwo im Hintergrund regte. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich dieses Etwas als Bertram, der gerade versuchte, ungesehen im Hinterzimmer zu verschwinden.

Claire trat vor, schob Hilde-Marie zur Seite und stand gleich darauf ihrem Verlobten gegenüber, der sie ängstlich musterte.

"Ich muß mit dir reden." Claire zog den Vorhang, der den Raum von der Verkaufsfläche trennte, mit einem Ruck zu. Direkt vor Hilde-Maries empörtem Gesicht. "Wie ist es, muß ich dich an Kopf und Kragen hier rausschleppen oder schaffst du es alleine, mit nach draußen zu kommen?"

Bertram sah verlegen auf seine Schuhspitzen.

"Mutter..." druckste er herum.

"Also gut." Claire war nicht in der Stimmung, sich seine lahmen Ausreden anzuhören.

"Okay, es wird ohnehin schnell gehen!" unterbrach sie Bertrams Gestammel. "Ich muß dir etwas mitteilen. Ich bin schwanger."

Man konnte deutlich hören, wie Bertram schluckte. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick ohnmächtig werden.

Die Messingringe rasselten heftig, als Hilde-Marie den Vorhang zurückriß.

"Das erlaube ich nicht!" Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Hysterie. "Ich dulde keine Kleinkinder in meinem Haus. Bertram, habe ich dir nicht tausendmal gesagt, daß du dich zurückhalten sollst? Daß Kinder nur Ärger und Arbeit machen, daß du lieber verzichten sollst, als deinen Wünschen..."

Claire fuhr herum.

"Halt endlich den Mund!" Ihre Stimme war bis auf die Straße hinaus zu hören. "Verdammt, halt dich nur einmal, ein einziges Mal in deinem Leben aus einer Sache raus, ja! Ich rede mit deinem Sohn, nicht mit dir."

Hilde-Marie war unter dem Anpfiff merklich geschrumpft.

"Aber..." stammelte sie, deutlich beeindruckt.

"Nichts aber." Claire packte sie an den Schultern, drehte sie herum und schob sie aus dem Raum.

Kaum hatte seine Mutter das Zimmer verlassen, brach Bertram in helle Tränen aus.

"Mutter, ich will aber kein Kind. Ich will überhaupt niemanden um mich haben. Und ich habe Angst vor schwangeren Frauen. Ich..."

"Halt die Klappe, Bert." Claire knallte ihren Verlobungsring auf den Schreibtisch. "Du kannst aufatmen. Ich denke nicht daran, dich zum Vater zu machen. Das Baby ist nicht von dir. Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, daß es aus ist."

Bertrams Stimmung schlug sofort um.

"Schlampe!" schrie er Claire an, plötzlich mutig geworden. "Das mir, der ich dir immer treu war. Der dich geliebt und verehrt hat, mir tust du das an!"

"Blas dich nicht auf, Bertram Kleefisch!" brüllte Claire zurück. "Du hast mich weder geliebt, noch verehrt. Ich war bloß die einzige Frau, vor der du keine Angst hattest, das war alles. Du warst glücklich, weil ich dich in Ruhe gelassen habe und dir nicht ständig mit irgendwelchen Reglements in den Ohren lag. Das war alles, was dir an mir gefiel und du wußtest schon lange, daß wir beide niemals wirklich heiraten wollten."

"Natürlich wollte ich dich heiraten", behauptete Bertram im Brustton der Überzeugung. "Frag' meine Mutter. Mutter!"

"Danke, ich kann Hilde-Marie jetzt nicht sehen." Claire machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Aufenthaltsraum. "Glaube mir, Bertram, ich tue dir mit unserer Trennung nur einen Gefallen. Bleib bei deiner Mutter und werde glücklich. Ich schicke dir demnächst deine Geschenke zurück."

"Vergiß die Sammeltassen nicht, die Mutter dir von unseren Urlauben mitgebracht hat!" rief Bertram ihr zum Abschluß hinterher.

Claire stockte für einen Moment der Herzschlag. Himmel, die Sammeltassen! Die hatte sie - ja, wo hatte sie die denn gelassen?

Zum Teufel mit den geschmacklosen Dingern! war ihr nächster Gedanke. Um einiges erleichtert eilte sie aus dem Laden.