8

Solvadale ging voraus und schritt so zügig aus, daß die meisten von uns nur eine kleine Weile später am Ende ihrer Kräfte schienen. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Menschen und Lasttiere sich durch die Felsen kämpften.

»Solvadale!« rief Zabrze, und der Weise drehte sich um.

»Es tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht«, sagte er. »Ich hatte es eilig, weil… Naldi?« rief er.

»Ja, Weiser?«

»Ich möchte die vier und Zabrze in die Kluft bringen. Bleibst du hier bei den anderen und führst sie? Ich sage unterwegs den anderen Wächtern Bescheid und schicke sie dir zur Hilfe.«

»Ja, Weiser.«

»Wartet«, sagte Isphet, und als Kiath uns erreichte, nahm sie ihm Zhabroah ab.

»Ein Säugling?« fragte Solvadale. »Wessen Kind ist das?«

Seine Augen glitten über unsere kleine Gruppe.

»Mein Sohn«, sagte Zabrze. »Und der meiner Frau, Neuf. Sie starb vor etwa drei Wochen bei seiner Geburt.«

»Ah, ich dachte mir, daß ich nicht fühlen konnte…«

Und Solvadale setzte sich wieder in Bewegung ohne weiterzusprechen.

Diesmal ging er nicht so schnell, und wir schafften es, ihm mühelos zu folgen. Die Sonne erklomm den Bergkamm vor uns und wurde heißer, als sie an Kraft gewann.

»Bald haben wir es geschafft«, sagte Solvadale, als er unseren Schweiß sah. »Bald.«

Ich warf einen Blick auf Isphet. Ihr Gesicht war gerötet, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß das allein von der körperlichen Anstrengung kam. Sie hatte Zhabroah in eine aus ihrer Decke gemachten Schlinge gesetzt, und jetzt ruhte er schlafend an ihrer Brust. Ich lächelte. Ich hätte nie gedacht, Isphet je so mütterlich zu sehen.

Solvadale führte uns in eine enge Schlucht. Hier mußte selbst er langsamer gehen, denn die Felsen lagen so verstreut, als hätten Riesen Ball gespielt und hinterher nicht aufgeräumt.

Fetizza war die einzige von uns, die es mühelos schaffte und schließlich sogar vor Solvadale hüpfte.

»Bald«, hörte ich Isphet flüstern, dann wandte sie sich mir zu.

»Oh, Tirzah, du kannst dir nicht vorstellen, was uns erwartet!«

Jedenfalls hatte mich niemand auf das vorbereitet, was wir gleich sehen würden. Isphet hatte bemerkenswert wenig über ihre Heimat in den Bergen erzählt, diese geheimnisvolle Kluft.

Vielleicht war sie so in Geheimnisse gehüllt, daß sie nicht darüber sprechen durfte. Vielleicht…

Welchen Gedanken ich auch immer als nächsten denken wollte, er erstarb, als ich stolpernd hinter Zabrze und Solvadale zum Halten kam. Ich starrte mit offenem Mund. Isphet hatte nichts gesagt, weil sie uns den ersten verblüffenden Blick auf ihr Zuhause nicht hatte verderben wollen.

Die kargen Berge wichen zurück, nach Norden, Süden und Osten.

Aber im Osten erst… bevor sie gespalten worden waren.

Solvadale hatte uns an den Rand einer großen… Bergkluft gebracht.

Es war ein sauberer Schnitt, so sauber, daß ich hätte schwören können, daß der Felsrand über seine ganze Länge so scharf wie eine Schwertklinge war. Der Einschnitt war etwa fünfzig Schritt breit und erstreckte sich weiter nach Norden und Süden, als ich sehen konnte.

Aber es war die Tiefe – und was man mit dieser Tiefe gemacht hatte –, die so eindrucksvoll war. Sie stürzte eintausendzweihundert Schritt nach unten, wie Isphet mir später verriet. Vom Rand aus gesehen lag der Boden in Dunkelheit und Nebel.

Boaz legte mir den Arm um die Taille; vermutlich genauso sehr, um mich zu halten wie um selbst Halt zu finden. »Bei allen Wundern des Universums«, sagte er. »Sieh nur, was sie mit den Wänden gemacht haben!«

Die Felsen wiesen einen hellen, rosenfarbenen Schimmer auf.

Ihre Wände stürzten nicht senkrecht in die Tiefe, sondern waren im Verlauf einer Zeit, die Jahrhunderte umfassen mußte, zu einer Unzahl von Baikonen und Ebenen gemeißelt worden, die immer weiter in die Schlucht hineinragten, je tiefer sie wurde. Stufen, wurde mir klar, denn mir fiel wieder ein, daß Isphet dem Weisen gesagt hatte, sie käme von der Vierzigsten Stufe. Diese Stufen begannen vielleicht hundert Schritt unter uns, dann tauchten sie in den Nebel ein. Hinter ihnen mußten Wohnungen und Schulen und Säle sein, aus den Felsentiefen herausgeschlagen.

In bestimmten Abständen verbanden gewölbte Brücken aus rosenfarbenen Steinen die Wände der Kluft miteinander, und auf mehreren konnte ich Leute gehen sehen.

»Oh!« sagte ich. »Das ist erstaunlich!«

»Der Nebel löst sich auf, wenn die Sonne ihren Mittagsstand erreicht«, sagte Solvadale. Er blickte zum Himmel. »Gleich ist es soweit.«

Fetizza saß genau an der Kante, hielt sich mit ihren Zehen fest, und starrte mit funkelnden Augen in die Tiefe. Plötzlich gab sie ein lautes Quaken von sich…

… und sprang ins Leere.

Sie fiel wie ein Stein.

»Fetizza!« schrie Boaz, und ich schlang die Arme um ihn, denn einen schrecklichen Augenblick lang glaubte ich, er würde ihr hinterher springen.

»Sei still!« befahl Solvadale. »Sie wird keinen Schaden nehmen. Was sollte sie suchen, Boaz?«

»Wasser.«

»Oh.« Er blinzelte Isphet zu. »Dann hat sie es für euch gefunden. Jetzt folgt mir.«

Er führte uns ein paar Schritte von dem Abgrund zurück zu einem Felsvorsprung.

»Wieso habe ich noch nie etwas hiervon gehört, Solvadale?«

fragte Zabrze. »Ich hatte gute Lehrer, und ich habe Karten dieser Gegend studiert. Nichts von dem, was ich gesehen oder gehört habe, gibt einen Hinweis auf die Existenz dieser Kluft oder auf dein Volk.«

»Wir verbergen uns und unsere Geheimnisse mit großer Sorgfalt«, erwiderte der Weise. »Wie auch diese Berge gut vor zufälligen Blicken verborgen sind… und die meisten sehen auch gar nicht genau hin. Kommt jetzt, wir müssen weiter.«

Unter dem Felsvorsprung befand sich ein dunkler Spalt im Felsen, kopfhoch und gerade breit genug für eine Person.

»Wie bringen wir alle hier hinunter?« fragte ich, als ich hindurchtrat und den Weisen an einem runden Treppenaufgang warten sah.

»Es gibt noch andere Eingänge, die breiter und besser geeignet sind. Aber diese Treppe ist etwas Besonderes. Für unsere kleine Gruppe ist sie bestens geeignet.«

Die Windungen waren eng und die Stufen schmal und tief, und ich klammerte mich am Geländer fest.

»Tirzah«, sagte Boaz hinter mir, »laß mich vorausgehen, dann fühlst du dich sicherer.«

Ich lächelte dankbar, als er sich an mir vorbeischob, und ich fühlte mich tatsächlich sicherer, als ich seinen Körper vor mir hatte. Ich legte die Hand auf seine Schulter und wagte einen Blick nach hinten.

Isphet folgte mir, aber ihre Anmut und ihre Zuversicht verrieten mir, daß sie vermutlich schon von Kindesbeinen an diese Treppe hinuntergestiegen war. Zabrze kam hinter ihr, und ich glaube, sein Gesicht war genauso blaß wie meines.

Wir stiegen eine halbe Stunde in die Tiefe, dann kamen wir zu einem schmalen Absatz, der zu einem Balkon führte, und Solvadale führte uns dort hin.

Ich stöhnte entzückt auf. Wir befanden uns etwa zehn oder fünfzehn Ebenen unter der obersten Stufe, und ich ging zur Brüstung und schaute nach oben. Die Sonne stand fast genau über uns.

Als ich den Blick senkte, hielt ich vor Staunen den Atem an.

Der Nebel hatte sich aufgelöst, und ich konnte sehen, daß sich ein breiter Fluß durch die Kluft wand. Zu beiden Seiten erstreckten sich schmale Felsstreifen, aber der Boden war fast vollständig mit dunkelgrünem Wasser bedeckt.

»Niemand hat je seine Tiefen ergründet«, sagte Isphet leise neben mir. »Die Kluft führt weiter in die Tiefe.« Sie warf Boaz einen Seitenblick zu. »Vielleicht sogar bis in die Unendlichkeit.«

»Es ist ein Ort großer Macht«, sagte Solvadale. »Noch viel größerer Macht, als du denkst, Isphet.«

Und damit führte er uns wieder zurück zur Treppe und stieg weiter hinab.

Er legte alle halbe Stunde eine Pause ein, immer an einem Balkon, damit wir zu Atem kommen und die müden Beine ausruhen konnten. An allen Absätzen zweigten Gänge ab. Ich ging davon aus, daß man uns am Ende in einer der Stufen zu unseren Unterkünften führen würden.

Wie sich herausstellte, war es die nächste.

Als wir zu dem Absatz kamen, ging ich wie von selbst auf den Balkon zu.

»Nein«, sagte Solvadale scharf. »Warte. Hier verlasse ich euch. Isphet, morgen darfst du deinen Freunden die Kluft zeigen. Doch heute nach dem Mittagessen möchte ich, daß du Yaqob, Tirzah und Boaz in den Wassersaal bringst; dort wollen ich und einige andere Weise mit euch sprechen. Weißt du noch, wo er ist? Kannst du den Weg dorthin finden?«

»Ja, Weiser.«

»Gut.« Er lächelte. »Dann begrüße deinen Vater.«

Sie stieß einen leisen Schrei aus und fuhr in die Richtung herum, in die Solvadale blickte.

Ein Mann kam aus einem der Gänge. Hager und mit grauen Augen hatte er Isphets zwingenden Blick und Ausstrahlung.

»Vater!« Isphet warf sich dem Mann in die Arme, und er drückte sie fest an sich.

Ich wollte sie nicht stören und sah zu der Stelle zurück, an der Solvadale gestanden hatte, aber er war verschwunden. Ich runzelte die Stirn. Er hätte an mir vorbeigehen müssen, um einen der Durchgänge zu erreichen, erst recht die Treppe.

»Ein Kind, Isphet?« hörte ich ihren Vater fragen und drehte mich wieder um.

»Ach«, sagte Zabrze und trat zu ihnen. »Das sollte ich erklären.«

Und das tat er dann auch.

Isphet stellte uns Eldonor, ihren Vater, vor, und er ergriff unsere Hände mit echter Freude, obwohl ich sehen konnte, wie sehr er sich wünschte, mit Isphet allein sein zu können.

»Solvadale bat mich, euch eure Unterkünfte zu zeigen«, sagte er. »Folgt mir.«

Eldonor führte uns durch einige geräumige und gut erleuchtete Gänge, die nicht nur von in die Felswände geschnittenen Fenstern erhellt wurden, sondern auch durch Lichtschächte, wie es sie in der Pyramide gab. Mich fröstelte, und ich zwang mich, nicht mehr an die Pyramide zu denken.

Das Gestein wies überall dieselbe rosenfarbene Tönung auf – im Inneren war die Farbe vielleicht etwas kräftiger als an den Außenwänden der Kluft – und schimmerte warm im Sonnenlicht.

Eldonor blieb am Eingang zu einem Raum stehen und wies ihn Yaqob zu. Zwei Türen weiter blieb er wieder stehen und zeigte auf Boaz und mich.

Eldonor hatte eine scharfe Beobachtungsgabe, denn keiner hatte etwas von unserer Beziehung gesagt. Aber vielleicht hatten die Weisen es auch aus der Ferne gesehen und ihn dementsprechend angewiesen.

»Hier könnt ihr euch frischmachen«, sagte Eldonor und deutete auf das geräumige Gemach. »Am Ende dieses Ganges ist ein kleiner Speisesaal. Bitte gesellt euch als meine Gäste zu mir, sobald die Sonne untergegangen ist.«

Damit verließ er uns.

Das Gemach war schlicht aber ausreichend möbliert; davon zweigte ein kleinerer Raum ab, in dem man sich waschen konnte. Er enthielt ein großes, in den Boden eingelassenes Bad, und ich seufzte selig, als ich es entdeckte. Im Hauptraum lagen frische Leinentücher und Gewänder bereit, und in einer Schale auf einem niedrigen Tisch trieben Blumen im Wasser – rosa und goldene Wasserlilien.

Boaz und ich teilten uns das Bad, wuschen einander die Haare und lachten, als die Seife in unsere Augen rann. Es tat gut, sich den Staub von drei Wochen abwaschen zu können.

»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich dich das letzte Mal für mich alleine gehabt habe«, sagte er und küßte den Schaum von meiner Schulter.

»Aber du darfst dich nicht daran gewöhnen«, erwiderte ich.

»Ich habe daran gedacht, Zabrze und Isphet anzubieten, auf Zhabroah aufzupassen. Sie können nicht ernsthaft den Wunsch haben, Tag und Nacht von einem schreienden Kleinkind gestört zu werden.«

Er legte die Hände um meine Taille. »Du scherzt doch hoffentlich!«

»Überhaupt nicht!« rief ich in gespielter Entrüstung und lachte dann, als sich sein Griff verstärkte. »Nun…«

»Wie viel Zeit haben wir, bevor es dunkel wird, Tirzah?«

flüsterte er in mein nasses Haar.

»Genug, Boaz. Genug.«

Wir genossen ein angenehmes Mahl mit Yaqob, Zabrze, Isphet und Eldonor. Er war ein guter Gastgeber, nie zu drängend und mit viel Feingefühl stellte er uns Fragen und erzählte seinerseits fast genauso viel von sich selbst. Isphet saß neben ihrem Vater, und sie strahlte vor Freude, ihn noch am Leben gefunden zu haben.

Als wir schließlich aus Kelchen süßen schwarzen Wein schlürften und an scharfem Käse knabberten, bat Eldonor seine Tochter, von ihrem Leben als Sklavin bei der Pyramide zu erzählen.

Er war entsetzt über das, was er hörte, und vergoß ein paar Tränen. Auch Zabrze war nie klar gewesen, wie schlimm dieses Leben für uns gewesen war, und er senkte den Kopf, als Isphet und dann Yaqob berichteten.

Boaz hielt das Gesicht abgewandt.

Keiner von ihnen hielt etwas zurück. Sie sprachen über ihre Erniedrigungen – Isphets Jahre, in denen sie sich für Magier bereithielt, die mit ihr schlafen und sie erniedrigen wollten, die Prügel, die Yaqob oft in seiner Jugend bezogen hatte, weil er zu offen sprach –, aber auch über die Freuden. Die Freundschaft und Unterstützung, die sie bei ihren Mitsklaven gefunden hatten, die Freude an der Herstellung von Glas, auch wenn es für einen finsteren Zweck bestimmt war.

»Ich habe dich für tot gehalten«, sagte Eldonor schließlich und räusperte sich. »Keiner von uns hatte etwas von dir gehört.

Jahre vergingen. Wir dachten, sollten Isphet und Banwell noch leben, daß sie dann etwas von sich hätten hören lassen.« Er holte tief Luft. »Letzte Nacht kam der Weise Solvadale in meine Gemächer und sagte ›Isphet kommt‹, und ich fiel auf die Knie und weinte vor Freude.

Aber Banwell ist gestorben. Es tut mir leid, Isphet. Du hast ihn geliebt.«

Sie nickte, senkte den Blick und sagte kein Wort.

»Aber er war ein ungestümer Mensch. Er traf die Entscheidung, daß es ein Abenteuer sein würde, ein Leben außerhalb der Kluft zu suchen.«

»Und ich willigte ein, Vater«, sagte Isphet. »Mach nicht Banwell dies zum Vorwurf.«

Eldonor schwieg, während ein Diener unsere Kelche nachfüllte und dann ging. Wie weit bin ich doch gekommen, dachte ich, seit ich die Eingeweide dieses dreckigen Walfängers verlassen habe.

»Aber wie ich sehe, hast du eine andere Liebe gefunden«, sagte Eldonor. »Und er nimmt eine höhere Stellung ein. Er wird Chad sein – oder ist es schon.«

Er schürzte die Lippen. »Zabrze, du wirst ein mächtiger Mann sein, Herrscher über eines der reichsten Länder der bekannten Welt. Und doch hast du dir meine Tochter ins Bett geholt, eine entflohene Sklavin. Was willst du aus ihr machen?

Wirst du sie erneut versklaven? Oder sie zu deiner Geliebten machen? Oder zu einer Konkubine, die neben deiner nächsten hochrangigen Gemahlin sitzt? Oder wirst du sie einfach verstoßen, wenn du dein Reich von dem Ungeheuer befreit hast, das es beherrscht?«

»Ich werde sie zu meiner Gemahlin machen«, sagte Zabrze ruhig und erwiderte Eldonors Blick.

»Nein«, stammelte Isphet. »Das kannst du nicht tun. Ich…«

»Isphet«, sagte Zabrze und nahm ihre Hand. »Wir wissen beide, was zwischen uns ist. Willst du es abstreiten?«

Sie schwieg, sah ihn nur mit großen Augen an.

»Und du hast mehr von einer Chad’zina als alle Herrscherinnen, Begums und Matriarchinnen, die ich im Laufe der Jahre das Unglück hatte, als Besucherinnen zu unterhalten.

Ich werde diesmal aus Liebe heiraten, und du bist die einzige Frau, die dafür in Frage kommt. Nun, was hältst du davon?«

Auf Eldonors Gesicht breitete sich ein leichtes Lächeln aus.

Yaqob grinste über das ganze Gesicht. Boaz und ich konnten jedoch wie Isphet nur ungläubig schauen.

Schließlich lächelte sie, aber es kostete sie große Anstrengung. Ich glaube, hätte Zabrze sie nicht gedrängt, hätte sie dort noch Stunden gesessen und gegen die Überraschung angekämpft.

»Ich sage ja, Zabrze. Ja.«

Alle Anspannung fiel von ihm ab. »Du wirst bei Hof deine Auffassungen einführen und verbreiten, Isphet, meine Geliebte. Es wird… spannend werden.«

In diesem Augenblick begriff ich zum ersten Mal, warum die Soulenai zu Isphet gesagt hatten, sie würde Gelegenheit zum Erleuchten bekommen. Als Elementenmeisterin und Chad’zina würde es ihre Aufgabe sein, in einem ganzen Land das Licht der Geheimnisse der Soulenai erneut strahlen zu lassen.

Als Boaz und ich viel später in unser Gemach zurückkehrten, entdeckten wir, daß unser Bett gemacht worden war.

Boaz grinste trocken. »Was werden sie nur von uns denken, daß wir die Laken so kurz nach unserer Ankunft durcheinandergebracht haben?«

»Sie werden denken, daß wir uns sehr lieben«, sagte ich und setzte mich.

»Tirzah.« Er ließ sich neben mich auf das Bett sinken.

»Zabrze hat mich eben mit der öffentlichen Bekundung seiner Liebe zu Isphet beschämt. Er hat sie immer nur ehrenvoll behandelt, aber ich…«

»Boaz…«

»Nein, laß mich ausreden. Ich habe dich so schlecht behandelt, nicht nur einmal, sondern oft, daß ich nicht weiß, was ich tun soll, um das wieder gutzumachen, oder wie ich dir beweisen soll, daß ich dich wirklich liebe.«

Ich legte ihm den Finger auf die Lippen. »Ich brauche doch keinen Beweis.«

»Und doch muß ich ihn anbieten. Tirzah, ich schwöre, daß ich dir irgendwo und irgendwann die Tiefe meiner Liebe beweisen werde, und wie sehr ich mich danach sehne, daß du mir verzeihst.«

»Nein! Boaz, dieses Versprechen ist nicht nötig.« Verlust, ich konnte nur an Verlust denken. »Ich habe dich schon lange Zeit verstanden, bevor du dich selbst verstanden hast. Es gibt nichts zu verzeihen…«

Jetzt war er es, der meine Lippen zum Schweigen brachte.

»Doch, das gibt es, Tirzah. Yaqobs Versuch, mich zu töten, hat mir gezeigt, wie tief das Bedürfnis nach Vergebung ist. Nicht nur, was dich angeht, sondern bei allen, die ich als Magier so viele Jahre lang mißhandelt habe.«

Ich wäre fast in Tränen ausgebrochen. »Nein, Boaz. Du gehst zu weit… zu weit.«

Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. »Aber im Augenblick kann ich nur das tun, was Zabrze bei Isphet getan hat, ich kann dich bitten, meine Frau zu werden.«

»Ja, ja. Das reicht, Boaz. Das ist alles, was ich will.«

Aber der Ausdruck in seinen Augen war traurig, als er sich nach unten beugte, um mich zu küssen, und unser Liebespiel in dieser Nacht war mehr Weinen als Lachen.

Ich blieb am Morgen erst einmal still daliegen, da mir leicht übel war. War es der Wein gewesen? Die bittere Traurigkeit der Nacht?

Dann wurde ich in der Tiefe meines Unterleibes von einem schon fast vergessenen Krampf überfallen, und ich riß die Augen auf. Ich hatte keine monatliche Blutung mehr gehabt, seit Boaz nach der ersten Nacht, in der er mich in sein Bett geholt hatte, seiner Macht in mir freien Lauf gelassen hatte.

Vor vielen… vielen Monaten.

Vorsichtig drückte ich mit den Fingern in meinen Unterleib.

Mein Schoß, der so lange wie ein hartes Geschwür gewesen war, war jetzt weich und nachgiebig.

Der Krampf kam erneut, schlimmer als zuvor. Seufzend entwand ich mich der Umarmung des noch immer schlafenden Boaz und kümmerte mich um das Nötige.