3
Wir gingen langsam, zuversichtlich, Kiamet und ich ein kleines Stück hinter Boaz. Ein paar Magier grüßten Boaz, und einer blieb stehen, um mit ihm über die Vorbereitungen für den Ritus zu plaudern.
Er war kurz angebunden und ungeduldig. Aber das war normal für den Herrn der Baustelle, und keiner, der mit ihm sprach, erkannte, daß das nur an seiner Nervosität lag.
Wir hatten gerade das Tor erreicht, da ertönte hinter uns ein Ruf.
»Exzellenz!«
Wir zuckten zusammen, und Kiamets Hand glitt zum Schwertgriff. Aber als er erkannt hatte, daß es Holdat war, ließ er ihn wieder los.
»Exzellenz!« Holdat keuchte. »Was tut Ihr da?«
Boaz öffnete den Mund, zweifellos um ihn anzuschnauzen, aber Holdat nahm ihm den Kasten aus der Hand und schaffte es dabei zugleich, kriecherisch und respektvoll auszusehen.
»Exzellenz! Ihr müßt mich das tragen lassen!«
»Das ist eine gute Idee, Exzellenz«, sagte Kiamet leise.
Ich betrachtete Holdat liebevoll. Zweifellos würde er uns bald mit der Enthüllung überraschen, daß er Zabrzes seit langem verschollener Zwillingsbruder war.
Aber nein. Als wir durch das Tor schritten und Gesholme betraten, flüsterte er mir zu, daß er einiges von dem mitbekommen hatte, was in der Nacht in Boaz’ Residenz geschehen war. »Und ich wollte dich nicht ohne Koch gehen lassen!« Er blinzelte mir zu.
Ich unterdrückte ein Lächeln. Holdat würde nützlich sein.
Falls wir entkommen konnten. Meine gute Laune schwand, und ich warf vorsichtig einen Blick über die Schulter auf die Pyramide. Sie ragte hell und selbstbewußt in den Morgen auf.
Die Sonne stand ein gutes Stück über dem Horizont.
»Verdammt, Tirzah, wo geht es lang?« Boaz’ leise Stimme schnitt durch meine Gedanken.
Ich verneigte mich ein wenig, da ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, jeder – von der Pyramide bis zum niedersten Sklaven – würde uns anstarren, und führte die Gruppe eine Straße entlang und dann in eine Gasse. Mir drehte sich der Magen um; es war Wochen her, daß ich in Isphets Wohnhaus gewesen war. Was würde sie sagen? Was würde sie tun? Würde sie uns überhaupt helfen?
Wir erreichten unser Ziel ohne Zwischenfälle. Kiamet trat zur Tür, wie es unter normalen Umständen völlig natürlich gewesen wäre, und hämmerte dagegen. Unwillkürlich mußte ich an die Nacht meiner Ankunft zurückdenken, als Ta’uz mich hergebracht hatte.
Ein leises Schlurfen ertönte, genau wie damals, dann riß Isphet die Tür auf.
»Ja?« fragte sie.
Aber ich konnte in ihren Augen erkennen, daß sie glaubte, ich hätte sie verraten. Warum sonst sollte der Herr der Baustelle an ihrer Tür erscheinen?
Sie starrte mich feindselig an, dann Boaz. »Seid Ihr gekommen, um Futter für die Siebzehn
zusammenzubekommen, Exzellenz?« fragte sie. »Muß die Pyramide heute wieder gefüttert werden?«
Boaz ignorierte sie, während Kiamet ihr etwas ins Ohr flüsterte und dann in der Gasse verschwand. Vermutlich, um mit Azam zu sprechen.
Sobald Kiamet gegangen war, richtete Boaz seine Aufmerksamkeit auf Isphet.
»Laß mich hinein«, sagte er und drängte sich an ihr vorbei.
Ich schloß mich ihm schnell an, dann folgte Holdat, der noch immer den Kasten fest umklammerte.
»Isphet«, sagte ich, als sie die Tür schloß. »Es ist nicht so, wie du…«
»Du Miststück!« fauchte sie. »Du hast uns verraten! Warum?
Wofür? Tätschelt er dafür deinen Kopf? Füttert er dich mit Süßigkeiten? Drehst du dich auf den Rücken und läßt dir den Bauch kraulen?«
»Isphet…«
»Sie hat dich nicht verraten, Isphet«, sagte Boaz. »Sie hat ihr Leben mehr als einmal riskiert, um dich zu retten.«
Sie starrte ihn böse an. »Was wollt ihr?«
Kiath und Saboa hatten sich in eine Ecke zurückgezogen, fest davon überzeugt, daß die Dauer ihres Lebens bestenfalls noch wenige Stunden betrug.
»Wir sind gekommen, um euch bei der Flucht zu helfen«, sagte Boaz.
»Isphet, Boaz muß ausgebildet werden. Er ist ein Elementenmeister. Wir brauchen deine Hilfe. Du mußt uns…«
»Was?« Isphet bemühte sich zu lachen. »Was? Bist du zu lange in der Sonne gewesen, Mädchen? Ist das eine Falle?
Ein…«
»Ach, sei still, Frau!« fauchte Boaz. Er gewann schnell sein Gleichgewicht wieder, nachdem sich seine eigene Verwirrung gelegt hatte. »Warum erwartest du eine Falle? Wenn ich dich vernichten wollte, genau wie alle anderen Elementisten in deiner Werkstatt, oder Yaqob und Azam wegen ihres geplanten Aufstandes, hätte ich das ohne jede Warnung veranlassen können, und ihr alle wärt jetzt tot. Laß Tirzah ausreden!«
Isphet starrte ihn an, jetzt noch bestürzter, da er Yaqob und Azam genannt hatte.
»Setz dich, Isphet«, sagte ich und führte sie zu einem Hocker, zog mir selbst einen heran und fing an zu erzählen.
Ich redete, bis die Sonne kräftig durch die Fenster schien.
Boaz setzte sich auf den Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, den Blick auf Isphets Gesicht geheftet. Holdat stand mit verschränkten Armen in der Nähe, den Kasten zu seinen Füßen.
»Es war Boaz«, sagte ich abschließend, »der mir die Locken gegeben hat. Er hat Druses Steinlocke verwandelt, und er hat mir befohlen, sie dir zu bringen.«
Isphet sah mich an, dann Boaz. Ich konnte ihr nicht übelnehmen, daß sie es nicht glaubte.
»Und doch hat er dir so viel Schmerzen zugefügt, daß du nie mehr Kinder bekommen wirst, und hat dich acht Tage lang in ein Loch geworfen, daß du fast gestorben wärst. Verrate mir eines, Tirzah, warum sollte ich dir noch vertrauen, nachdem du so viele Geheimnisse für dich behalten hast? Warum?«
»Ich kann dir nur einen Grund nennen, Isphet. Unsere Freundschaft. Bitte, vertrau mir.«
»Kiamet, mein Leibwächter«, sagte Boaz, »ist zu Azam gegangen. Euer Aufstand soll mehr Unterstützung bekommen, als ihr je geglaubt hättet. Prinz Zabrze wird euch helfen, wenn ihr ihm helft, die Pyramide zu vernichten.«
Isphet schaffte es schließlich, ein rauhes Gelächter hervorzustoßen. »Nach den vielen Jahren, Exzellenz, in denen wir über dem heißen Glas geschuftet haben, jetzt sagt Ihr mir, daß wir alle zu dieser verfluchten Pyramide marschieren und sie zerstören?«
»Isphet«, fing ich wieder an und wollte ihr von dem Buch der Soulenai erzählen, aber da flog die Hoftür auf und Yaqob, Azam und Kiamet traten ein. Yaqob hatte einen wilden Blick, und er war wie Azam bewaffnet.
»Yaqob!« Ich sprang auf die Füße. Boaz erhob sich langsamer, er ließ Yaqob nicht aus den Augen.
»Azam hat mich mit der wilden Geschichte hierher geholt, daß sich Prinzen mit Sklaven verbünden und Magier verkleidete Elementisten sind«, sagte Yaqob. »Ich hätte ihm beinahe nicht geglaubt, aber Kiamet hat sich uns angeschlossen, und in der Gasse wartet eine Abteilung Wachen des Chad auf uns, und wie ich sehe, hat es diese Made geschafft – und dabei funkelte er Boaz an – aus ihrem Dunghaufen zu kriechen, um mit den Sklaven zu plaudern.
Isphet, was haben sie dir erzählt?«
Das »sie« ließ mich zusammenzucken.
»Daß Boaz ein Elementenmeister sei…«
Yaqob starrte sie ungläubig an. Offensichtlich hatte Kiamet diesen Begriff nicht benutzt.
»… und daß er und Zabrze uns in unserem Freiheitskampf unterstützen wollen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Ich würde ja sagen, das ist eine Falle«, sagte Yaqob, »aber das hier ist so verwickelt, daß ich mich frage, was das soll? Die Unterhaltung, bevor mit der Erweckung der Pyramide der wahre Spaß losgeht? Was, Boaz? Warten die Magier und Chad Nezzar draußen und fangen an zu klatschen, wenn ich mit meinem traurigen Haufen komme, um für die Freiheit zu kämpfen? Ja?«
»Yaqob«, fing Boaz an, aber Azam unterbrach ihn.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Yaqob. Isphet, bleib hier und verriegle alles, bis wir dich holen. Wenn es brenzlig wird, dann flieht zum Lhyl. Vielleicht könnt ihr ein Boot stehlen.«
Er hielt inne und sah sich um. »Yaqob und Kiamet, ihr kommt mit mir.«
Aber Yaqob starrte mich an. »Tirzah«, sagte er, »erinnerst du dich an das, was ich dir einst gesagt habe?«
»Was denn, Yaqob?«
»Ich habe gesagt, Tirzah, daß an dem Tag, an dem wir um unsere Freiheit kämpfen, du und ich, ich Boaz töten würde.«
Und bevor jemand von uns eingreifen konnte, hatte er sein Schwert gezogen und war mit einem Sprung neben Boaz.
Ich schrie auf und sprang auch, aber da war es schon zu spät.
Boaz war überrascht und unbewaffnet, und ich sah nur Stahl aufblitzen, als Yaqob die Klinge in Boaz’ Leib rammte.
»Das«, knurrte Yaqob und beugte sich nahe an Boaz’ Gesicht heran, »ist für die Schmerzen und die Qual, die du Tirzah und mir bereitet hast.«
Dann trat er zurück, riß das Schwert heraus, packte mich und gab mir einen harten Kuß. »Bis bald, Tirzah«, sagte er. »Bis bald.« Und dann war er weg.
Ich kam Kiamet nur einen Augenblick zuvor. Dann war auch er an Boaz’ Seite.
»Boaz«, rief ich und versuchte ihn zu halten, als er zu Boden sank.
Hinter mir stieß Isphet Azam aus der Tür. »Geh!« sagte sie.
»Geh! Hier gibt es nichts für dich zu tun.«
Kiamet war hilflos. Er war ausgebildet worden, Wunden zuzufügen, nicht sie zu heilen, und Isphet legte die Hand auf seine Schulter und riß ihn buchstäblich zurück. Er taumelte und verlor sein Gleichgewicht.
Boaz hatte noch immer kein Wort gesagt. Sein Gesicht trug einen verblüfften Ausdruck, während er auf seine Hände starrte, die er vor seinen Leib gepreßt hatte. Zwischen den Fingern sickerte Blut hervor.
»Boaz!« jammerte ich erneut. »Isphet, tu etwas!«
»Dumm, dumm, dumm«, murmelte sie, und ich glaube, sie meinte damit das ganze Leben, nicht nur die Tragödie, die sich da vor unseren Augen abspielte. »Dumm! Tirzah, nimm seine Hände dort fort, halte sie fest. Ich muß sehen können…«
Sie riß an seinem Gewand, benutzte das kleine Messer, das wir zum Fischausnehmen genommen hatten, um den Stoff wegzuschneiden. »Kiath! Zerreiß etwas für Verbände. Los, schnell!«
Isphet entblößte Boaz’ Bauch, und ich unterdrückte einen Aufschrei. Yaqob hatte ein kleines Stück neben dem Nabel zugestochen, eine glatte Wunde, die heftig blutete.
Boaz stöhnte, als der erste Schmerz den Schock ablöste.
»Isphet!« wimmerte ich, und sie drehte sich um und schlug mir fest ins Gesicht.
»Sei ruhig, Mädchen! Dein Gejammer kann ich jetzt nicht auch noch hören!«
Sie untersuchte schnell den Einstich, dann nahm sie das Verbandszeug, das Kiath ihr reichte. »Im Moment kann ich nicht viel tun, Exzellenz… Boaz… außer die Blutung zu stillen. Später untersuche ich die Wunde genauer. Sehe nach, wie groß der Schaden ist. Aber eine Wunde im Leib…«
Sie brauchte keinem von uns zu sagen, wie gefährlich das war. »Es kommt darauf an, was Yaqob getroffen hat. Tirzah, hilf ihm, sich aufzusetzen, ich muß das um ihn herumwickeln.
Gut.«
Boaz grunzte, als ich ihn nach vorn setzte, dann seufzte er erleichtert auf, als Isphet fertig war. »Isphet«, sagte er mit einer Stimme, die vor Schmerzen immer heiserer wurde.
»Schaff Tirzah hier weg, falls…«
»Ich verlasse dich nicht!« sagte ich. »Niemals!«
»Noch geht niemand irgendwo hin«, sagte Isphet. »Tirzah, drück da… ja, das ist gut. Halt diesen Druck aufrecht. Es wird helfen, die Blutung zum Stillstand zu bringen.«
Sie ließ sich wieder auf ihre Fersen nieder; ihr Gesicht war blaß und am Kinn blutbeschmiert, wo sie es mit der Hand berührt hatte. Ihr Blick huschte zwischen Boaz und mir hin und her. »Es hat den Anschein«, sagte sie leise, »als ob sich Yaqob über mehr Sorgen machen muß als über die Frage, ob der Magier seinen Aufstand verhindern will.«
»Ich liebe Boaz, Isphet. Schon seit Monaten.«
»Dann ist es eine Schande, daß du Yaqob nicht gesagt hast, daß deine Zuneigung für ihn erloschen ist, Tirzah! Er ist ein zu guter Mann und ist auch zu dir zu gut gewesen, um so behandelt zu werden. Du hast ihm die Hoffnung und einen Traum gegeben, um viele finstere Tage zu überstehen. Jetzt…«
Sie sah Boaz voller Abscheu an. »Jetzt wird ihn diese Erkenntnis schwer treffen.«
»Dann hoffe ich, er läßt es nicht wieder an mir aus«, murmelte Boaz, und seine Hand deutete zitternd auf den blutgetränkten Verband um seinen Bauch, »wenn das hier bloß das Resultat einer leichten Verstimmung war.«
»Ruh dich aus«, sagte Isphet abrupt und stand auf, ging zur anderen Seite des Raumes und ließ sich auf ihre Pritsche sinken. Ihr Blick ließ uns dabei keinen Augenblick los.
»Boaz?« flüsterte ich. »Boaz?«
»Hmm?« Er verlor immer wieder das Bewußtsein.
»Boaz, verlaß mich nicht.«
»Vielleicht hatte Isphet recht. Yaqob wäre besser für dich… nach all dem, was ich getan habe… Yaqob wäre besser…«
»Boaz«, flüsterte ich. »Verlaß mich nicht!«
Wir saßen eine Stunde oder länger da und warteten, ohne zu wissen, worauf wir warteten. Kiamet und Holdat saßen neben Boaz, genauso hilflos wie ich, aber ihre Anwesenheit gab mir Kraft.
Schließlich stand Isphet auf und kam zu uns herüber. Boaz schlief jetzt – oder war bewußtlos – und sie befahl mir, den Druck auf seinen Bauch zu lockern.
»Er hat dich mit seiner Macht innerlich zerrissen, Tirzah«, flüsterte sie. »Und jetzt erleidet er Ähnliches. Ich halte das nicht für einen Zufall.« Und damit ging sie wieder.
Ich senkte den Kopf und weinte, erinnerte mich an das, was die Soulenai mir gesagt hatten.
Tirzah, wenn jemand einer anderen Person einen solchen Schmerz zufügt, dann wird dieser Schmerz eines Tages auf ihn zurückfallen. Das ist der Preis, den er schließlich zahlen muß.
»Nein, bitte nicht«, flüsterte ich. Aber es war zu spät. Ich konnte nur hoffen, daß der Preis, den er zahlen mußte, nicht zu hoch sein würde.
Die Zeit verging, und die Luft in dem Raum wurde immer heißer. Boaz schwitzte und warf sich in meinen Armen herum, und ich flüsterte ihm Albernheiten zu, die das Fieber sicherlich nur noch steigerten. Holdat holte ein feuchtes Tuch und kühlte Boaz’ Stirn, und ich lächelte ihn dankbar an.
»Da draußen sind Kämpfe«, sagte Isphet plötzlich und unterbrach damit meine Gedanken.
Ich hob den Kopf und lauschte.
Zuerst war nichts zu hören, dann waren da leise Rufe, und das Klirren von Stahl. »Zabrze muß sich seinen Weg zur Pyramide freikämpfen«, sagte ich apathisch.
»Und wir kämpfen an seiner Seite.« Isphet stand jetzt, das Ohr an die Tür gedrückt. »Kiath. Geh aufs Dach und sage mir, was du siehst.«
Kiath schlüpfte aus der Tür, und ich hörte ihre schnellen Schritte auf der Treppe.
Sie blieb lange weg, und in der Zwischenzeit kam der Kampflärm näher. Gelegentlich sah Isphet besorgt zu mir und Boaz herüber. Wo war Yaqob? Azam?
Würden wir ohne sie gehen müssen?
Ich betete zu den Göttern, daß das nicht so sein würde. Wie sollten wir Boaz transportieren? Er durfte nicht bewegt werden.
Sei verflucht, Yaqob, dachte ich, daß du die Hilfe nicht annehmen konntest, die man dir bot! Deine Eifersucht sei verflucht! Aber dann fragte ich mich, ob die Schuld an Yaqobs Tat nicht mir zur Last gelegt werden sollte. War es falsch von mir gewesen, so lange zu schweigen?
Kiath kehrte zurück.
»Und?« fauche Isphet.
»In den Straßen westlich von hier gibt es schwere Kämpfe«, sagte Kiath. »Ich glaube nicht, daß Prinz Zabrze es geschafft hat, nahe an die Pyramide heranzukommen. Seine Männer und die unsrigen, die mit ihm kämpfen, werden zurückgedrängt.«
»Wo steht die Sonne, Kiath?« fragte ich. »Wie hoch?«
»Noch eine Stunde bis zum Mittag.«
»Isphet!« rief ich und vergaß meine Bedenken, hier zu verschwinden. »Wir müssen hier weg! Wenn wir am Mittag noch hier sind…!«
»Es gibt noch Schlimmeres«, sagte Kiath.
»Raus damit, Mädchen!«
»Gesholme brennt.«
Wir alle starrten sie an, und mir wurde bewußt, daß sogar Boaz die Augen geöffnet hatte. Feuer! Oh, ihr Götter!
»Dann haben wir keine Wahl«, sagte Isphet und ging neben Boaz in die Hocke. Sie drehte grob seinen Kopf zu sich.
»Magier, kannst du laufen?«
»Sein Name ist Boaz«, sagte ich leise, aber mein Blick war hart.
Isphet ignorierte mich. »Nun?«
»Wenn mir jemand hilft, dann ja«, erwiderte er.
»Nun, wenn du hier bleibst, dann stirbst du. Kiamet, hilf ihm hoch.« Und sie erhob sich und packte ein paar ihrer Sachen in eine Decke, dann besprach sie sich schnell mit Kiath und Saboa.
Boaz gab keinen Laut von sich, als Kiamet ihm auf die Beine half, aber er wurde blaß, und ich packte ihn, da ich befürchtete, er würde ohnmächtig werden. Holdat befahl ich, sich um den Kasten zu kümmern. »Und um den Kelch auch, wenn du es schaffst.«
Er nickte, wickelte Kasten und Kelch in eine Decke, die Kiath ihm gab, und dann stand Isphet auch schon an der Tür.
»Fertig?«
Wir alle nickten bis auf Boaz; er war zu sehr damit beschäftigt, aufrecht stehenzubleiben.
»Isphet«, sagte ich drängend, als sie die Tür öffnete.
»Was denn?«
»Wir müssen uns vor dem Schatten der Pyramide in acht nehmen, so gut das geht. Bleib in schmalen Gassen. Wenn sie uns sieht…«
Sie starrte mich an, aber sie verstand. »Gut. Dann komm jetzt, die Gasse ist leer…«
Es waren keine Menschen da, aber über die Dächer trieb Rauch, und der Lärm der drei oder vier Straßen weit entfernten Kämpfe hallte in unseren Ohren.
»Schnell!« zischte Isphet.
»Was ist mit den anderen?« fragte Saboa. »Die Häuser sind voller Leute.«
»Ich habe keine Zeit, die ganze Welt zu retten«, fauchte Isphet. »Schon unsere kleine Gruppe hier wird meine ganze Kraft beanspruchen.«
Aber sie hämmerte unterwegs gegen die Türen und rief den Leuten zu, sich am Fluß in Sicherheit zu bringen.
Wir stolperten hinter ihr her; Kiamet stützte den größten Teil von Boaz’ Gewicht, während er sich darauf konzentrierte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, den Arm schwer auf meine Schultern gelegt. Bitte stirb nicht, Boaz, betete ich.
Bitte.
Wir erreichten das Ende unserer Gasse, und Isphet bedeutete uns, stehenzubleiben. »Da runter, glaube ich«, murmelte sie und zeigte auf eine Straße, die links von uns abzweigte.
»Aber…«, fing Kiamet an.
»Ich weiß, daß der Weg länger ist«, sagte sie, »aber er ist auch übersichtlicher und leerer, und ehrlich gesagt ziehe ich eine Viertelstunde Gefahr auf einer freien Straße dem Tod in einer überfüllten vor.«
Ich sah besorgt zum Himmel hinauf, suchte den Stand der Sonne zu bestimmen. Aber der Rauch hing dicht und schwer in der Luft, und ich konnte nur einen hellen Fleck erkennen.
Und so stolperten wir weiter. Isphet führte uns gut, nahm schmale Gassen und Wege, von deren Existenz ich nicht einmal etwas geahnt hatte. Gruppen anderer Sklaven begegneten uns, einige bewaffnet, die zu den Kämpfen eilten, andere, die wie wir vor den Flammen und den Kämpfen flohen.
Ich fragte mich, was mittlerweile in der Pyramide vor sich ging.
»Boaz!« flüsterte ich, als mir ein Gedanke kam. »Mit dem vielen Rauch am Himmel kann die Sonne doch gar nicht durchbrechen!«
Boaz murmelte eine Erwiderung, sein Gesicht war grau und naß vor Schweiß, und Kiamet antwortete.
»Der Wind bläst aus Nordosten, Tirzah. Die Pyramide wird frei stehen.«
Isphet hielt unter einem Sonnensegel an. »Zieht Boaz das blaue Übergewand aus.« Ich wollte protestieren, aber ihr Blick brachte mich zum Schweigen. »Wir nähern uns dem Fluß. Dort sind zweifellos Hunderte von Sklaven. Ich kann nicht sagen, was sie tun werden, wenn sie Boaz erkennen.«
Entsetzt, daß ich nicht selbst daran gedacht hatte, zog ich Boaz das blaue Gewand und die Schärpe aus, während Kiamet ihn stützte, dann knüllte ich alles zusammen und stopfte es in das Bündel, das Holdat unermüdlich vor sich hertrug. Boaz’ weißes Untergewand war verschmutzt mit Blut und Dreck, aber das war gut, denn das machte ihn nur noch unkenntlicher.
»Kiamet, erlaube«, murmelte ich und griff nach dem Dolch in seinem Gürtel. Mit zwei schnellen Schnitten trennte ich Boaz’ Zöpfe ab und warf sie weg, dann wirbelte ich sein Haar durcheinander und rieb Staub von der Straße in sein Gesicht.
»Schnell!« zischte Isphet, und wir setzten uns wieder in Bewegung.
Ganz in der Nähe waren jetzt brennende Gebäude, und der Rauch war dicht und erstickend. Funken flogen durch die Luft, und meine Augen tränten.
Hinter einer Ecke ertönten Rufe und Schreie und das Klirren von Stahl, und Isphet ließ uns erneut anhalten.
»Ich weiß nicht, was wir tun sollen«, sagte sie. »Vor uns wird gekämpft…«
Plötzlich stürmte ein halbes Dutzend Männer in unsere Gasse. Zwei waren Sklaven, die anderen trugen die Farben und Insignien der Armee des Chad. Einer trug kaum mehr als einen blauen Lendenschurz, der zerrissen und blutig war, und einen Goldreifen an seinem Schwertarm.
»Zabrze!« schrie ich. »Oh, Zabrze! Hilf uns! Bitte!«
»Tirzah?« Er stolperte heran, und ich sah, daß er an Brust und Armen mehrere Wunden davongetragen hatte. »Shetzah! Ist das Boaz?«
»Ich hatte keinen guten Tag, Zabrze«, murmelte Boaz und war kaum in der Lage, den Kopf zu heben, um seinen Bruder anzusehen.
»Verdammt, Kiamet!« knurrte Zabrze. »Wie konntest du zulassen…«
»Keiner von uns hätte das verhindern können«, sagte Isphet und hielt Zabrze am Arm fest, als würde sie befürchten, er könnte Kiamet schlagen. Zabrze starrte sie an, dann riß er sich los.
»Es war eine überstürzte Tat, die von lang geschürtem Haß ausgelöst wurde«, fuhr Isphet fort und blieb völlig ruhig angesichts Zabrzes Wut, »und eigentlich hätte er mit so etwas rechnen müssen. Aber was ist geschehen, Zabrze? Wir wissen nichts, nur daß es brennt und gekämpft wird.«
Zabrze schaute sie wegen des vertraulichen Gebrauchs seines Namens böse an, aber er wußte, daß jetzt keine Zeit für Auseinandersetzungen war. »Der größte Teil der Armee steht treu zu Chad Nezzar, der völlig der Macht ergeben ist, die ihm die Magier versprochen haben, und der Macht der Eins durch die Pyramide.«
Zabrze warf Boaz einen wütenden Blick zu, war aber zu besorgt um ihn, um fortzufahren. »Ein paar Einheiten stehen hinter mir, mehr nicht. Wir haben einen Angriff auf die Pyramide versucht, unterstützt von Azam und Yaqob und etwa zweitausend Sklaven, aber es war sinnlos. Wir sind nicht weiter als bis zum Tor des Pyramidenbezirkes gekommen, und wurden dann Straße um Straße zurückgeschlagen.«
Er sah mich an. »Tirzah, wir müssen zum Fluß. Wir müssen von hier fliehen. Hier können wir nichts mehr tun. Wir müssen Boaz in Sicherheit bringen.«
»Es muß gleich Mittag sein, Zabrze.«
Er nickte gedankenverloren. »Ja. Ich helfe euch durchzukommen, aber… aber Neuf…«
»Oh, ihr Götter, Zabrze!« rief ich. »Wo ist sie?«
Seine Miene war besorgt. »Ich glaube, noch immer in der Siedlung der Magier. Ich muß zurück und sie holen.«
»Zabrze! Du kannst nicht… es ist zu spät… zu gefährlich!«
»Ich kann sie nicht zurücklassen!« rief Zabrze. »Und ich werde sie nicht zurücklassen!«
Ein Dutzend anderer Bewaffneter gesellte sich zu uns, unter ihnen Azam. »Hoher Herr. Wir müssen zum Fluß.«
Zabrze nickt. »Ja, ja. Nehmt diese Gruppe, und paßt auf, daß mein Bruder keinen weiteren Schaden mehr nimmt. Ich glaube, er ist der einzige, der je dazu fähig sein wird, diese Monstrosität zu zerstören!«
Noch mehr Männer stießen dazu, und meine Hoffnung wuchs. Noch immer drang Kampflärm zu uns, aber er hatte sich jetzt in eine andere Straße verlagert.
»Der Weg ist frei«, sagte Isphet.
»Dann beeilt euch!« rief Zabrze. »Ich stoße zu euch, so bald ich kann.« Und er eilte zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Ohne nachzudenken winkte ich einen der Soldaten herbei und übergab ihm Boaz. Boaz war jetzt in größerer Sicherheit als vorher, und auch wenn es mir das Herz brach, ihn zu verlassen, schuldete ich Zabrze zu viel, um ihn jetzt dieser Frau wegen in den Tod rennen zu lassen. Und ich wollte ihn lebendig und auf unserer Seite wissen, denn mir war klar, daß er für Boaz’ Überleben genauso wichtig war wie Isphet oder sonst jemand von uns.
»Isphet«, stieß ich hervor, »kümmere dich um Boaz! Versprich es!«
Sie nickte. »Was…?«
»Ich komme zurück«, rief ich, und dann rannte ich auch schon los, raffte den Rock bis über das Knie, als ich Zabrze hinterherstürmte.
Ich holte ihn ein, als er gerade in eine Sackgasse einbiegen wollte.
»Dummes Ding!« rief er. »Geh zurück zu…«
»Dich wird ein Schwert töten oder ein zusammenstürzendes Gebäude, wenn ich dich allein in Gesholme herumlaufen lasse! Und das wird Neuf nicht retten. Komm schon! Hier entlang!«
Und ich packte seine königliche Hand und zog ihn in die entgegengesetzte Richtung.
Es war ein einziger Alptraum.
Um uns herum quoll dichter Rauch, und ich riß ein Stück Stoff aus meinem Kleid, damit Zabrze und ich ihn uns vor das Gesicht halten konnten. Viele Leute waren auf den Straßen, aber die meisten wanderten bloß ziellos und verwirrt in dem Rauch und der Hitze und der immer dichter werdenden Dunkelheit über uns umher.
Die Pyramide, die ihren Schatten immer weiter warf.
»Zabrze!« rief ich, als ich zurücksah und bemerkte, daß sein Blick sich durch die gleiche Verwirrung zu trüben drohte.
»Denk an Neuf oder Boaz. Aber laß dich nicht von der Pyramide verwirren. Widerstehe ihr!«
Er schüttelte den Kopf, dann nickte er. »Welchen Weg nehmen wir?«
»Hier entlang. Schnell!«
Die Tore zur Magiersiedlung waren unbewacht offen, und wir stolperten ungehindert hinein.
»Wo war sie, Zabrze? In eurer Residenz?«
Ich sah ihn nicken – hier war der Rauch nicht so schlimm, und als ich nach Nordosten blickte, stand da die Pyramide klar ins Sonnenlicht getaucht. Bald. Bald.
Die Residenz war wie die Tore unbewacht; vermutlich waren alle Soldaten und Wächter unterwegs, beschützten entweder die Pyramide oder kämpften gegen die Rebellen.
»Wo ist sie?« keuchte ich.
Zabrze übernahm die Führung, drängte sich an mir vorbei und führte mich durch den Hauptgang. Er überprüfte Räume, durch die wir kamen, aber von Neuf war nichts zu sehen.
Wenn sie woandershin geflohen war, würden wir sie nie finden.
Aber das war sie nicht. Schließlich entdeckten wir sie in einer Speisekammer neben der Küche, wo sie sich verbarg. Ihre Augen waren weit aufgerissen und verängstigt, ihre zusammengefalteten Hände zitterten.
»Zabrze! Was geschieht hier? Ich habe Gerüchte gehört, daß du Männer gegen die Magier geführt hast?«
»Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen«, sagte Zabrze. »Wenn du hier bleibst, wirst du sterben. Wir müssen dich zum Fluß schaffen.«
Erst jetzt nahm Neuf mich wahr. »Mädchen! Was hast du…«
»Shetzah, Neuf! Beeil dich!« Und Zabrze zerrte sie in die Küche, aber sie sträubte sich.
»Zabrze«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich will nicht mit dir gehen, wenn du mich in irgendeinen verrückten Aufstand führst. Ich werde es nicht tun. Ich werde hier sicher sein. Ich werde nicht mit Sklaven gehen…«
Zabrze fluchte erneut, diesmal noch obszöner, und hob Neuf einfach auf seine Arme. Sie protestierte schrill, aber er beachtete sie einfach nicht. »Tirzah. Raus. Los.«
Ich gehorchte, wünschte aber im Stillen, wir hätten diese zeternde Frau einfach ihrem Schicksal überlassen.
Ich rannte aus der Residenz, dann durch die Magiersiedlung und nach Gesholme hinein. Zabrze keuchte hinter mir her.
Stell sie auf die Beine und laß sie selbst laufen, dachte ich, aber das hätte uns nur behindert, denn ich wußte, daß Neuf sich dann weigern würde, auch nur einen Schritt zu tun, der sie näher an den Fluß heranbringen würde.
In den Straßen herrschte jetzt wieder mehr Ruhe. Selbst der Rauch trieb fort, auch wenn ich irgendwo noch Flammen prasseln hören konnte.
Ich blieb beunruhigt stehen. »Zabrze…«
»Hör zu«, keuchte er und blieb kurz neben mir stehen. »Es ist fast Mittag, und ich will so weit weg wie möglich von der Pyramide sein. Komm schon, Mädchen, ich will leben.«
Und so liefen wir.
Niemand hielt uns auf, obwohl wir an einigen Einheiten von Soldaten vorbeikamen, die meiner Ansicht nach mit Chad Nezzar und der Pyramide verbündet waren. Aber sie starrten wie gebannt an uns vorbei – auf die Pyramide.
»Nicht hinsehen, Tirzah«, sagte Zabrze und bedeckte die Augen der protestierenden Neuf mit der Hand. »Sieh bloß nicht hin.«
Ich hatte nicht vor, dorthin zu sehen, und führte uns in eine Reihe schmaler, dunkler Gassen, die uns zum Fluß bringen würden, und zwar außer Sicht dessen, was auch immer geschehen würde.
Wir legten gerade die letzten hundert Schritt zurück, als die Pyramide erbebte.
Ein greller Blitz zuckte auf, der Zabrze und mich in den Straßenstaub schleuderte. Die Sonne mußte ihren höchsten Stand erreicht haben. Sie goß ihre Kraft durch den Schlußstein in die Kammer zur Unendlichkeit und lud die Pyramide mit Macht auf. Ich konnte mir vorstellen, was geschah – die ganze Pyramide explodierte in einen Lichtschwall. Jeder, der sie betrachtete, war sicherlich eine Zeitlang geblendet.
Die Brücke zum Tal war geschlagen. Es war vollendet.
Und etwas Unnennbares kam über sie herüber.
Die Stille, die über der Baustelle hing, war jetzt so greifbar, daß ich fühlen konnte, wie sie auf mir lastete, versuchte, mich auf den Boden zu drücken. Zabrze hielt noch immer Neuf auf seinen Armen – jetzt protestierte sie nicht mehr –, und er und ich kämpften gegen den Druck an, krochen auf die nördliche Gassenmauer zu, beteten, daß das Grauen, das aus der Pyramide kroch, uns nicht sah.
Seht mich an, ihr Erdenwürmer, und seht euren Gott!
Ich wimmerte vor Entsetzen. Die Stimme hatte jede Mauer durchdrungen – doch völlig lautlos.
»Tirzah!« flüsterte Zabrze. »Bitte, wir haben es fast geschafft!«
Ich stemmte mich auf Hände und Knie und kroch ein paar Schrittlängen weiter.
Seht mich an, ihr elenden Geschöpfe, und erzittert bei der Stimme eueres Gottes!
Und die Pyramide donnerte und brüllte.
Mir wurde immer übler, und ich hörte Zabrze ein paar Schritte vor mir aufschluchzen. Neuf war bewußtlos und hing leblos in seinen Armen. Ich kroch zu ihm, und er legte einen Arm von Neuf um mich, und wir lagen dort, während der furchtbare Laut um uns und durch uns brüllte.
Seht mich an, Männer und Trauen, und erkennt euren Gott!
Wisset, daß ich die Eins bin, und wisset, daß mein Name Nzame ist!
»Nzame?« flüsterte Zabrze. »Konnte er sich nichts Besseres ausdenken?«
Ich hätte gelacht, aber ich mußte zu sehr weinen. Zabrzes Worte hatten den Bann gebrochen, und irgendwie gelang es uns, wieder auf die Füße zu kommen. Neuf stöhnte leise in den Armen ihres Gemahls, und er stolperte mit ihr die Gasse entlang in Richtung Lhyl. Hinter uns sprach die Pyramide weiter.
Seht meine Macht und unterwerft euch!
Zu meiner Rechten sah ich die Prachtallee, auf der Hunderte Menschen auf Knien zur Pyramide krochen.
Kommt demütig zu eurem Gott, und euch wird unvorstellbare Macht gehören.
»Nzame! Nzame!« Tausende nahmen den Ruf auf.
Und dann blieb ich ungläubig stehen. Chad Nezzar eilte die Allee entlang auf die Pyramide zu und schrie dabei aus vollem Hals.
»Nzame! Ich bin Euer! Nehmt mich!«
Unterwegs riß er Hände voll Juwelen und Armreifen und Ketten ab und warf sie fort. »Nzame! Nzame!«
Als er die Juwelen und Ketten aus seinem Körper riß, riß er auch Wunden, aber Chad Nezzar merkte es in seiner Ekstase nicht. »Nzame! Nzame! Ich bin Dein! Auf ewig Dein!«
Zabrze packte grob mein Haar und riß mich von dem Anblick fort.
Kommt zu mir und betet mich an!
»Ja! Ja!« Die Rufe hallten durch die Straßen.
Gebt alles, was ihr habt, und die Unendlichkeit soll Euer sein.
»Nzame! Nzame!«
Gebt euch selbst, ich will mich an euch sättigen.
Und hinter uns war ein merkwürdiges Knacken zu hören, dann barst etwas und wurde zu einem Grollen. Neuf stand jetzt wieder auf eigenen Füßen, sie schluchzte, einer von Zabrzes Armen war fest um ihre Taille gelegt, seine andere Hand war noch immer in meinem Haar vergraben und zerrte mich weiter.
Ich glaube, ohne ihn wäre ich verloren gewesen.
Das Grollen wurde lauter, und ich schrie.
»Tirzah, schneller! Die Schiffe legen ab!«
Ich weiß nicht, wo der Schrei herrührte, ob von Zabrze oder von jenen auf den Booten, aber wir waren jetzt nahe genug am Kai, um sehen zu können, daß alle Schiffe tatsächlich ablegten und die Ruder ins Wasser eintauchten.
Von den Schiffen starrten verängstigte Gesichter in unsere Richtung. Sie sahen nicht uns, sondern das, was hinter uns war.
Das Grollen war jetzt ein lautes Rauschen, das auf uns zueilte. Eilte, um uns zu erwischen, uns zu verschlingen.
Ich will mich an euch sättigen!
Ich fühlte, wie etwas… Unsagbares nach meinem Knöchel griff, und ich riß mich los, machte zwei gewaltige Schritte zum Rand des Kais.
Gefangen. Alle Boote hatten abgelegt.
Hinter mir warf sich das Verderben auf uns.
Und verfehlte uns, denn Zabrzes Hand, die noch immer in mein Haar vergraben war, riß mich mit sich, als er ins Wasser sprang.
Wir landeten mit einem lauten Klatschen in dem kühlen, grünen Wasser. Mir schossen die großen Wasserechsen durch den Kopf, aber nach dem, was mich beinahe auf dem Kai erwischt hätte, wären sie vermutlich ein Nichts gewesen.
Ich kämpfte mich an die Oberfläche, dann griffen Hände aus einem kleinen Boot zu, und wir wurden an Bord gehievt.
Ich kauerte mich eine Minute lang auf dem Deck zusammen, erbrach das Flußwasser, das ich verschluckt hatte, dann kam mir in den Sinn, nach oben zu schauen, während das Ufer vorbeihuschte.
Im Norden funkelte die Pyramide.
In einer Entfernung von fünfhundert Schritt um die Pyramide war alles in Stein verwandelt worden. Alles. Häuser, Leitern, die noch am Ufer festgemachten kleinen Boote, sogar die Vögel, die auf der Erde überrascht worden waren.
Menschen gab es nicht mehr.
Ich sah noch einmal zur Pyramide.
Sie flackerte.