5
Drei Tage später näherten wir uns dem Juitsee. Ich stand mit Boaz und Zabrze am Bug des Schiffes, und Zabrze erklärte mir, daß der See nach den rosa- und scharlachroten Juitvögeln benannt war, die das Marschland und seine Umgebung durchstreiften.
»Der See ist riesig«, sagte er und beschattete die Augen, während er nach Süden blickte. »Niemand hat ihn jemals mit einem Schiff durchmessen.«
»Und das Marschland erstreckt sich meilenweit über die Ufer landeinwärts«, fügte Boaz hinzu. Das war der erste Tag, an dem er hatte aufstehen können; er war blaß und abgemagert, aber seine Augen waren klar, seine Haut hatte die Fieberflecken verloren und sein Bauch spannte sich wieder flach und kühl. Die Wunde war wieder verschorft, nur diesmal sah es gesund aus, und auch wenn Boaz sich schwer auf meine Schulter stützte, glaubte ich nicht, daß es daran lag, daß er meinen Halt so dringend brauchte.
»Das Marschland ist über und über mit Schilf bedeckt, das die heiße, feuchte Luft bewahrt. In der Dämmerung ist es oft von Nebel verhüllt«, fuhr Boaz fort. »Die Wassertiefe ist höchst unterschiedlich. Am sichersten bewegt man sich dort mit einem flachen Kahn und einer Stange zum Staken.«
»Nicht, daß das jemand tun würde«, bemerkte Zabrze. »In dem grenzenlosen Schilf kann man sich schnell verirren.
Manchmal kommen die Fischer hierher, um die hier lebenden Aale zu fangen. Viele sind nie mehr zurückgekehrt. Ich glaube, sie sind über den Rand der Welt gestürzt. Oder zusammen mit den Göttern in einem Ort himmlischer Freuden gefangen.«
»Es muß leicht sein, hier den Gesang der Frösche zu hören«, meinte ich und beugte mich noch näher zu Boaz hinüber. Er erholte sich mit jedem Atemzug, den er tat, aber meine eigenen Verletzungen durch seine nahe Begegnung mit dem Tod waren noch lange nicht verheilt.
»Ich glaube, wir können hier an jeder Stelle an Land gehen.«
Isphet gesellte sich zu uns, begleitet von Azam. Neuf blieb in einer der Kammern zurück und ruhte sich aus; sie war noch immer erschöpft von der Flucht durch Gesholme. Yaqob hatte sich vor zwei Tagen entschieden, auf einem der anderen Schiffe zu reisen. Es war traurig, daß er das Gefühl hatte, dies tun zu müssen, aber so war es für alle von uns erträglicher.
Zabrze dachte kurz nach, dann sah er Boaz an. »Nein, Isphet. Wir segeln noch einen Tag weiter. Bis wir ganz nahe am Juitsee sind.«
»Das bringt uns möglicherweise etwas zu weit nach Süden«, meinte Isphet. »Wir sind eine Tagesreise nördlich vom See auf den Lhyl gestoßen. Ich halte es für besser, wenn…«
»Isphet.« Zabrze streckte die Hand aus und strich ihr sanft über die Wange. Isphets Augen blitzten auf, und ich bin fest davon überzeugt, genauso überrascht ausgesehen zu haben wie Boaz und Azam. »Vertrau mir. Dort gibt es eine kleine Anlegestelle, eigentlich ist sie zu klein für so viele Schiffe, und wir müssen sie sorgfältig steuern, damit sie nicht zusammenstoßen und die Frösche verschrecken, aber diese kleine Anlegestelle…«
Er sah wieder seinen Bruder an. »Du weißt doch sicherlich, wovon ich spreche?«
»Viele Adlige haben Residenzen am Juitsee«, sagte Boaz.
»Vom Wasser kommt immer eine sanfte Brise, und so ist es dort sehr angenehm. Und es ist weit weg von allen Hofintrigen.« Er grinste Zabrze an. »Zabrze kommt nur selten her, und Neuf war nicht ein einziges Mal hier!« Das Grinsen verblaßte. »Aber unsere Mutter liebte das Land und den See. Sie hat ein Haus fast am Ufer des Juitsees geerbt, dort wo der Fluß, das Marschland und der See zusammentreffen. Dort wurde ich geboren, und dort verbrachte ich die ersten drei Jahre meines Lebens. Ich bin seitdem nie wieder dort gewesen.«
»Wir beide haben gefühlsmäßige Bindungen an dieses Haus«, fuhr Zabrze fort, »aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich lieber dort statt ein Stück weiter flußaufwärts anlegen will. Das Haus ist zwar auch groß, aber wichtiger noch ist das dazugehörige Land jetzt für uns.«
»Das Anwesen am Juit ist das größte der Familie«, sagte Boaz. »Und es hat uns früher immer sehr gut mit Nahrung und Kleidung versorgt. Es wird uns mit vielen Dingen ausrüsten können, die wir für unsere Reise brauchen.«
»Wir sind fast fünftausend, Zabrze«, sagte Azam. Wie bei den meisten ehemaligen Sklaven leuchtete seine Haut nun mit dem Glanz der Freiheit, und die Falten um Augen und Mund und ließen nun eher an Lachfalten statt an den Gram der Unterdrückung denken. »Selbst ein reiches Anwesen dürfte Schwierigkeiten damit haben, so viele zu ernähren.«
»Es ist besser als nichts, Azam«, erwiderte Zabrze, »und vielleicht schicke ich ein paar von diesem Haufen zum Fischen… ja!« Er lachte und versetzte Azam einen freundschaftlichen Klapps auf den Rücken. »Genau das werde ich tun. Getrockneter Fisch mag wenig appetitlich sein, aber er sollte uns zu Isphets abgeschiedener Heimat bringen!«
Am nächsten Tag legten wir gegen Abend an der Anlegestelle des schönsten Hauses an, das ich je gesehen hatte. Im Süden konnte ich die Weiten des Juitsees sehen, im Westen die breiten Streifen Marschlandschaft, während sich im Osten das Anwesen erstreckte.
Das Haus stand etwa achtzig Schritt vom Ufer entfernt auf einer kleinen Anhöhe. Es war aus Ziegeln aus gebranntem Flußschlamm erbaut, und die Mauern waren geglättet aber unbemalt geblieben, so daß sie in der untergehenden Sonne rostrot leuchteten. Es war lang und niedrig, mit getrocknetem und gebündeltem Flußschilf gedeckt, dessen Farbe im Verlauf der Jahrzehnte zu hellem Bernstein verblichen war. Nord- und Westseite wurden von schattenspendenden Veranden umgeben, an den beiden anderen Seiten bildeten die verlängerten Dachbalken zusammen mit Ziegelsäulen herrliche Lauben; sie waren ganz mit Schlingpflanzen zugewachsen.
Fenster und Türen strahlten mit ihren kristallklaren, rechteckigen Glasscheiben in dunkelgrünen Fassungen.
»Oh, Boaz!«
»Es ist sehr alt«, sagte er. »Sehr alt. Einmal in jeder Generation wird das Dach neu gedeckt, aber davon abgesehen muß man sich wenig darum kümmern. Die Räume sind dämmrig und kühl. Ich erinnere mich so gut daran.«
»Und doch bist du nie wieder zurückgekehrt?«
»Für den Magier war es zu nahe bei den Fröschen«, sagte er und grinste.
Ein Mann eilte den Weg vom Haus zur Anlegestelle entlang.
Schon älter, aber vital. Er war sehr wütend.
»Und da bekommt man keine Nachricht?« rief er. »Keine Ankündigung, und ihr bringt den ganzen Hof? Wer ist es? Wer? Zabrze? Boaz?«
Er war jetzt nahe genug heran, um zu sehen, wer an Deck der Boote stand, und er blieb mit weit aufgerissenen Augen stehen.
»Wer kommt hier zu Besuch?«
»Ich und mein Reich«, rief Zabrze und sprang mit einem Satz von Deck auf die steinerne Anlegestelle. »Willst du mir keine Achtung erweisen, Memmon? Muß ich dir zehn Tage vorher Bescheid geben?«
»Memmon ist der Aufseher«, murmelte Boaz neben mir. »Er reist einmal im Jahr nach Setkoth, um die Bücher zur Inspektion vorzulegen, aber in Wirklichkeit will er sehen, was Zabrze und ich für Unsinn treiben. Er wäre genauso wütend, wenn wir ihm vor sechs Monaten Bescheid gegeben hätten, aber fünf Minuten zu spät kämen.«
Zabrze legte dem Mann beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte ihm leise etwas ins Ohr. Schließlich zuckte Memmon mit den Schultern, nickte, dann ging er eilig den Pfad zurück.
»Er ruft die Diener und Feldarbeiter zusammen«, rief Zabrze.
»Kommt jetzt, die Rampen runter!«
Und die ersten drei Schiffe – mehr konnte die Anlegestelle nicht auf einmal bewältigen –, fingen an, genau das zu tun.
Ich liebte das Haus von dem Moment an, in dem ich es betrat.
Es war ein richtiges Heim, voller liebevoller Erinnerungen.
Selbst Neuf gewann etwas von ihrer Lebhaftigkeit zurück, als sie durch die Eingangstür trat – und etwas von ihrem Eigensinn.
»Es könnte eine zweite Etage gebrauchen«, murmelte sie und massierte sich mit beiden Händen das Kreuz, während sie sich umsah, »und diese Veranden müssen natürlich weg.«
Zabrze und Boaz protestierten sofort, und ich lächelte und ging allein auf Entdeckungsreise.
Ich spähte neugierig in die Küche, dann grinste ich, als ich Holdat bereits dort sah, mit dem Hauptkoch über einem dampfenden Topf in eine lebhafte Diskussion verstrickt. Der Raum hatte hohe Fenster, die auf die sich weit in die Ferne erstreckenden Felder hinauswiesen, und ich konnte die kleine Gestalt Memmons sehen, der die Menschen dirigierte, während sie das Schiff verließen. Feldarbeiter eilten mit Planen und Pfählen umher; nach Einbruch der Dunkelheit würden ein paar Zelte stehen, aber die Nacht war so mild, daß viele bestimmt nichts dagegen haben würden, unter freiem Himmel zu schlafen. Sie würden sich sowieso bald daran gewöhnen müssen.
Es gab Empfangsräume, Speisesäle und Schlafgemächer – und ein Schwimmbecken, das von einer Veranda umgeben war –, aber bevor ich alle Schätze erkunden konnte, fand mich Boaz, wie ich in einem der Hausgänge umherwanderte, und führte mich in das Hauptwohnhaus zurück.
»Zabrze braucht uns«, sagte er. »Es gibt Schwierigkeiten.«
Die Schwierigkeiten waren in Gestalt eines halb verhungerten und halb verrückten Sklaven von der Baustelle erschienen. Er war von einem der Schiffe gefallen, als unsere Flotte nach Süden geflohen war, und hatte sich dann bis zum Abend im Fluß verborgen, in der Nähe der versteinerten Schilfbänke. In der Nacht hatte er dann ein kleines Boot gefunden, das aus Schilf bestand – es war in der Hast des Aufbruchs fortgetrieben und nicht in Stein verwandelt worden –, und er war uns nachgefahren.
Als der Wind nachgelassen hatte, war er gerudert. Er erweckte nicht den Anschein, sich in den vergangenen Wochen häufig ausgeruht zu haben. Uns einen halben Tag nach unserem Anlegen einzuholen kündete von einer verzweifelten Eile.
»Ich bringe Neuigkeiten von der Pyramide«, hatte der Mann gesagt, der Quebez hieß. Und da brachte Azam ihn zum Haus.
Wir versammelten uns in einem der luftigen vorderen Räume.
Neuf war da, saß in Zabrzes Nähe, ich saß genauso nah bei Boaz. Isphet und Yaqob saßen an einem der Fenster, Azam stand neben dem Stuhl, auf dem Quebez saß. Zeldon, der auf einem der kleineren Schiffe gereist war, stand jetzt mit verschränkten Armen in der Tür zum Garten. Mit Ausnahme von Quebec waren wir wohl die Anführer der riesigen Menschenmenge, die sich draußen in Memmons eilig aufgeschlagenem Lager tummelte.
»Hoher Herr.« Quebez hatte ohne zu zögern Zabrze als den Anführer unserer Gruppe erkannt. »Ich habe… ich hörte…«
Azam legte Quebez die Hand auf die Schulter. »Wenn du dich gerne eine Stunde ausruhen möchtest…«
»Nein, Hoher Herr…«
»Sag Azam zu mir«, knurrte dieser, aber ich nahm an, daß er sich daran gewöhnen mußte, von den Leuten so angesprochen zu werden.
»Nein, ich muß jetzt sprechen. Ich muß berichten, was ich gesehen habe.«
Wir schwiegen, und Quebez holte tief Luft und berichtete von den Schrecknissen, die er aus seinem Versteck im Fluß beobachtet hatte.
»Ich hielt mein Leben für beendet, als das letzte eurer Schiffe ohne mich fortsegelte. Entweder würde mich… Nzame… erwischen oder eine der großen Wasserechsen. Aber irgendwie gelang mir die Flucht. Irgendwie.«
Ich fragte mich, ob die Frösche ihm geholfen hatten.
»Ich klammerte mich an dem Steinschilf fest, und während ich mich festhielt, trieb seine Stimme durch meinen Verstand.
Er sprach zu jenen, die sich ihm ergeben hatten. Sie müssen sich alle um ihn geschart haben, denn wenn ich es wagte, den Kopf zu heben, um nach Luft zu schnappen, konnte ich niemanden in den Straßen sehen, aber ich konnte hören, wie viele Tausende seinen Namen riefen. Nzame! Nzame!
Tausende.
Nzame verlangte viele Dinge von jenen, die ihre Verehrung für ihn verkündeten. Er verlangte nach Nahrung. Er verlangte nach viel Nahrung, denn sein Hunger sei der der Eins, und er würde immer größer.«
»Die Primzahlen«, murmelte ich, und Boaz nickte.
»Bis in die Unendlichkeit«, sagte Quebez. »Niemals endend, immer größer werdend.«
Ich fühlte, wie Boaz erschauderte, und ich blickte mich um.
Jeder sah erschüttert aus, sogar Neuf.
»Nzame sagte, wenn er gespeist würde, dann würde seine Macht entsprechend der Nahrung wachsen, und die Versteinerung würde sich kreisförmig um ihn herum immer weiter ausbreiten, ihr Durchmesser würde sich steigern im Verhältnis zu der Primzahl, die man ihm zur Mahlzeit vorsetzen würde.«
»Shetzah!« stieß Zabrze hervor. »Bedeutet dies etwa, was ich vermute?«
»Er sagte«, und Quebez’ Stimme drohte zu versagen, »wenn die Primzahlen größer würden, würde sich das Steinern vollständig über das Land ausbreiten. Alles würde zu Stein werden. Alles seinem Willen unterworfen sein.«
»Nzame wird nicht nur ganz Ashdod in Stein verwandeln, er wird auch jeden dort Lebenden fressen!« sagte Azam.
»Nicht nur«, flüsterte Quebez. »Nzame sagte, daß es in Ashdod nicht genügend Lebewesen geben würde, um seinen Hunger zu stillen oder das ganze Land in Stein zu verwandeln.
Er würde mehr brauchen.«
»Und wie will er das schaffen?« fragte Zabrze leise.
»Nachbarreiche werden für die Mahlzeiten sorgen, Hoher Herr.«
»Ach ja?« sagte Zabrze. »Und rechnet er damit, daß sich, sobald sich die Nachricht von Nzames Existenz verbreitet, unsere Nachbarn gern ihre Einwohner schicken werden, um den Hunger der Bestie zu stillen?«
Quebez schüttelte den Kopf. »Nzame hat willige Helfer, Hoher Herr. Tausende rufen seinen Namen und eilten herbei, um ihm zu huldigen. Viele tausend. Eine Armee.«
»Eine Armee kann besiegt werden…«, begann Zabrze.
»Nicht diese, Hoher Herr. Nzame hat die meisten von ihnen verwandelt. Als die Nacht hereinbrach und ich den Lhyl hinunterruderte, wandte ich mich noch einmal um. Ich war gerade noch rechtzeitig aufgebrochen, denn ein Dutzend von denen, die einst Menschen gewesen waren, drängten sich auf der Anlegestelle.«
»Was meinst du damit – ›die einst Menschen gewesen sind‹?« fragte Boaz.
»Nzame hat sie in Stein verwandelt, Hoher Herr.
Daherstapfende, zerbröckelnde, stöhnende Menschen aus Stein. Sie wird er aussenden, um seinen Willen durchzusetzen.«
Völlige Stille war eingekehrt.
»Als ich schwamm und mittlerweile fast schon hoffte, daß mich eine Wasserechse fressen würde, hörte ich Nzame ein letztes Wort rufen.«
»Ja?« fragte Zabrze. »Setkoth.«
Azam brachte Quebez in die Küche, damit er etwas zu essen bekam, dann kehrte er zurück. Keiner von uns hatte in seiner Abwesenheit etwas gesagt. Ich wagte es nicht, Zabrze oder Neuf anzusehen. Ihre sieben Kinder warteten auf sie in Setkoth.
Es war Zeldon, der schließlich das Schweigen brach. »Boaz, verrate uns, wer ist dieser Nzame? Ist er wirklich die Eins?«
»Nein. Die Eins hat nicht Persönlichkeit oder Verstand, und sie würde sich mit Sicherheit selbst keinen Namen geben.
Nzame hat sich die Idee der Eins zu eigen gemacht, aber er ist nicht die Eins.«
»Wer ist er dann, Bruder?«
Boaz sah genauso entsetzt wie Zabrze aus. »Er oder es ist aus dem Tal gekommen.«
»Die Magier sind schlimmer als Narren, Boaz, eine solche Brücke zu schaffen«, sagte Isphet. »Was hast du dazu zu sagen?«
»Ich kann nur sagen, daß ich mein Bestes tun werde, um das Unrecht wieder gutzumachen, zu dem ich beigetragen habe, Isphet.«
»Wenn du dieser Elementenmeister bist, wie Tirzah behauptet hat.«
»Dann weise mir den Weg dahin, Isphet! Im Augenblick bin ich noch völlig hilflos!«
Isphet wollte etwas erwidern, aber Zabrze hielt sie auf. »Es reicht! Ich will, daß ihr jetzt darüber nachdenkt, was wir tun können und nicht, wer die Schuld trägt.«
»Boaz muß unterwiesen werden in den Künsten«, sagte ich.
»Die Soulenai haben gesagt, daß er die Pyramide… Nzame aufhalten wird. Isphet, kannst du das übernehmen?«
»Ich kann ihm die Grundsätze der Magie der Elemente beibringen, aber wenn er die Voraussetzungen zum Elementenmeister hat, dann braucht er unsere Weisen, damit die ihn unterrichten. Allein sie haben die Macht dazu. Ich muß ihn zu mir nach Hause bringen.«
»Wir müssen alle gehen«, sagte Zabrze. »Wir alle. Dieses Haus steht zu nahe bei der Pyramide, um sicher zu sein…«
»Nein!« rief Neuf. »Ich gehe keinen Schritt weiter…«
»Verdammt, Neuf!« Zabrze packte sie bei den Schultern, um sie zu zwingen, ihm in die Augen zu schauen. »Dieses Haus ist nicht länger sicher! Ich werde nicht zulassen, daß du und unser Kind einer Gefahr ausgesetzt seid!«
Sie schlug die Augen nieder und gab nach.
»Zabrze, können wir irgend etwas tun, um Nzame und seine Armee aufzuhalten?«
»Der größte Teil der Armee ist bei der Pyramide. Zusammen mit den Sklaven, die zurückgeblieben sind, wird Nzame zehntausend Mann haben, die er sich gefügig gemacht hat.
Und wir hier? Ich habe ein paar Hundert Soldaten und etwa viertausend Männer und Frauen, die ein paar Waffen führen und denen es an jeglicher Fähigkeit mangelt, gegen Stein zu kämpfen… verflucht! Keiner von uns hat die Fähigkeiten, gegen ein Heer aus Steinmännern zu kämpfen. Wie tötet man Stein?« Er lachte rauh. »Ich weiß es nicht!«
Er fing sich wieder. »Nein. Wir können jetzt nicht kämpfen, nicht bevor Boaz uns etwas an die Hand geben kann, mit dem wir kämpfen können. Aber ich kann die Menschen warnen. Ich will sechzig Läufer ausschicken, Boten, nach Ashdod und in die Nachbarstaaten, um zu berichten, was geschehen ist. Um zu warnen und Hilfe zu erbitten.«
»Und glaubst du, wir bekommen Hilfe?« fragte Yaqob. Er hatte die ganze Zeit über geschwiegen, und seine Stimme klang ruhig und vernünftig. Er erschien beherrschter, und ich fragte mich, ob Isphet mit ihm gesprochen hatte.
»Ja«, sagte Zabrze. »Ich glaube, zumindest einer unserer Nachbarn wird uns helfen. Darsis, ein Staat im Osten, hat eine große und gut ausgerüstete Armee, und wir hatten immer gute Beziehungen zueinander.«
»Nicht wenn Nzame anfängt, seine Einwohner zu verspeisen«, murmelte Zeldon, und ich warf ihm einen gereizten Blick zu.
»Ich habe mich immer gut mit seinem Oberhaupt verstanden, Prinz Iraldur«, fuhr Zabrze fort. »Wenn ich selbst eine Botschaft schicke, dann hoffe ich, daß er uns hilft. Es wird zu seinem eigenen Besten sein, Bruder.« Er wandte sich Boaz zu.
»Vielleicht glauben diese Soulenai, daß du als einziger die Pyramide zerstören kannst, aber du mußt lebendig und in einem Stück reinkommen. Gib mir ein paar Monate, und ich hoffe eine Streitmacht aufbauen zu können, die das für dich in die Wege leitet.«
Dann überlegten wir gemeinsam, was getan werden mußte, um unsere Tausende Schutzbefohlenen für ihre Reise über die Ebene von Lagamaal in den Südosten vorzubereiten. Weder Zabrze noch Boaz kannten diese Gegend gut, und sie befragten Isphet ausführlich darüber.
»Gibt es dort Wasser?« fragte Zabrze. »Es wird schwierig sein, genug Wasser für fünftausend Menschen mitzuführen.«
»Wir sollten etwas mitnehmen, doch wir werden auch welches dort finden. Aber Nahrung ist rar. Auf der Lagamaal gibt es Hasen, aber nicht genug, um fünftausend Menschen zu ernähren. Und solange ihr keinen Geschmack an Mäusen, Käfern und Schlangen entwickelt…«
Es gab ein paar Kamele und Maultiere, die wir als Lasttiere benutzen konnten, aber sehr viele waren es wiederum auch nicht; das Anwesen konnte uns jedoch mit einigen zusätzlich versorgen, und Zabrze glaubte, noch mehr in den Nachbarstaaten kaufen zu können.
»Wir werden ein paar Hundert zusammenbekommen«, sagte er, »aber die, die kräftig genug sind, werden ebenfalls Lasten tragen müssen. Die Pferde, die wir haben, brauche ich für unsere Boten.«
Dann rief Zabrze Memmon herein. Allem Anschein nach hatte das Anwesen große Getreidevorräte, zumindest groß genug, um uns drei Wochen lang zu ernähren, aber sonst gab es kaum etwas.
»Fisch gibt es zur Genüge«, sagte Zabrze. »Ich will, daß wir in fünf Tagen zur Abreise bereit sind. Ich wage es nicht, länger zu warten. Azam und Zeldon können vielleicht Gruppen zusammenstellen, die während der nächsten drei Tage fischen gehen. Und andere, die den Fisch trocknen?«
Sie nickten.
»Und Schilf, das getrocknet und zu Körben geflochten werden muß«, fuhr Zabrze fort, »und…«
»Das alles kann morgen früh angeordnet werden«, sagte Isphet. »Da ist noch etwas anderes, das getan werden muß, solange wir hier sind, und am besten sage ich jetzt, was es ist.«
Sie drehte sich ein Stück auf ihrem Stuhl. »Boaz, ich habe gehört, daß du ein Elementist sein sollst. Daß dich die Soulenai zum Elementenmeister ausbilden wollen, damit du die Pyramide zerstörst. Nun, ich habe noch keinen Beweis deiner Fähigkeiten erlebt, und du mußt noch den Soulenai vorgestellt werden. Bevor ich mich für eine solch schwere Reise entscheide, und bevor ich meine Heimat einer möglichen Gefahr aussetze, will ich genau wissen, wer und was du wirklich bist.«
Isphet hatte recht. In den Augen vieler Leute war Boaz noch immer der Magier, und es würde das Beste sein, wenn seine wahren Fähigkeiten offenbart würden.
»In zwei Tagen will ich Boaz in die Kunst der Elementenmagie einführen… falls die Soulenai zustimmen. Yaqob, sprichst du mit den Elementisten unter uns? In der Morgendämmerung, in drei Tagen.«
Yaqob nickte, und nachdem wir uns noch ein wenig unterhalten hatten, erhoben wir uns und nahmen eine Mahlzeit zu uns, die man für uns zubereitet hatte, dann gingen wir schlafen. Die nächsten paar Tage würden für uns alle sehr anstrengend werden.
Yaqob hielt uns an, als wir zu dem uns zugeteilten Schlafgemach gingen. Er war ängstlich und unsicher, und uns ging es ähnlich. Mir entging nicht, daß Boaz’ Blick zu Yaqobs Händen glitt, als würde er einen weiteren Angriff erwarten.
»Ich sollte mich für das entschuldigen, was ich…«
»Nein«, unterbrach Boaz ihn. »Nein, das solltest du nicht. Ich habe dich und Tirzah viele Monate lang durch meine Worte und Handlungen beschämt. Als ich ständig das Bewußtsein verlor, als du und Zabrze versucht habt, etwas von dem Unrecht wieder gutzumachen, das ich verursacht habe, da habe ich gehört, daß Isphet zu Tirzah sagte, daß ich mit meiner Macht ihr Inneres zerrissen hätte und darum das gleiche erlitt.
Sie hielt das nicht für einen Zufall, und ich jetzt auch nicht mehr. Vielleicht haben andere Hände als die deinen das Schwert in meinen Leib geführt. Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen solltest. Nichts.«
Boaz verstummte, suchte nach Worten. »Wenn jemand um Verzeihung bitten muß, dann bin ich es. Aber ich kann nicht darum bitten, ich kann sie mir nur verdienen. Ich hoffe, daß ich am Ende wenigstens etwas von dem Bösen und dem Unglück wieder gutmachen kann, das ich mit in die Welt gesetzt habe.«
»Boaz«, murmelte ich und nahm seinen Arm; ich wünschte mir, er hätte mir das unter vier Augen gesagt, aber ich wußte, daß er es vor Yaqob hatte aussprechen müssen.
Yaqob starrte Boaz an, dann mich. »Zerstöre die Pyramide«, sagte er, »und behandle Tirzah wie einen kostbaren Schatz.«
Er zögerte verlegen, dann verschwand er in einem dunklen langen Gang.
Wir sahen ihm nach, und ich hoffte, daß an diesem Abend eine Wendung zum Guten eingetreten war.
Unter den Tausenden, die vor der Pyramide geflohen waren, befanden sich nur drei Dutzend Elementisten. Mir wurde klar, daß diese Zahl ziemlich genau der Gesamtzahl aller Elementisten entsprechen mußte, die es auf der Baustelle gegeben hatte. Im Lauf der Jahre hatte Isphet es geschafft, die Mehrzahl in ihrer Werkstatt zu versammeln. Sie war eine außergewöhnliche Frau, und die meisten Elementisten waren von ihr angezogen worden.
An diesem Morgen sollte ich wie alle anderen herausfinden, wie außergewöhnlich sie war.
Ich fragte mich, was Isphet nehmen würde, um die wirbelnden Farben zu beschwören und den Ritus einzuleiten, wo sie doch kein geschmolzenes Glas mehr hatte.
In der Nacht vor dem Dämmerungsritus sprach Isphet mit einigen Ruderern des Anwesens, und als wir in der kühlen Dunkelheit kurz vor der Morgendämmerung aufstanden, warteten an der Anlegestelle achtzehn kleine Stechkähne auf uns. Wir stiegen wortlos ein, zwei in jeden Kahn, und Boaz nahm die Stange und stieß den Kahn, in dem wir beide saßen, von der Anlegestelle ab. Ich beobachtete ihn aufmerksam, da ich glaubte, es könne zu anstrengend für ihn sein, aber er kam mühelos damit zurecht.
Isphet und Yaqob führten die Prozession in den See an. Wir schwiegen und nur die Laute des erwachenden Landes waren zu hören. Nebel trieb über dem See und verfing sich in den großen Schilfbänken zu beiden Seiten, aber er war nicht dicht, und als am östlichen Horizont rosafarbenes Licht erschien, wichen die Schilfbänke zurück und wir fanden uns auf einem offenen Gewässer wieder, das noch immer seicht genug für unsere Stangen war.
Isphet führte uns zu einer Stelle so weit draußen auf dem See, daß die Schilfbänke zu einem grünen Strich in der Ferne geworden waren. Sie gab ein Zeichen, und die Boote wurden zu einem weiten Kreis zusammengeführt und die Stangen in die Boote genommen. Ich befürchtete, daß sich der Kreis wieder öffnen würde, aber vielleicht war die Magie unter uns bereits stark, denn der Kreis blieb erhalten.
Bei Isphets nächstem Zeichen standen die von uns auf, die gesessen hatten, und wandten sich dem Kreisinneren zu, und die Kähne schwankten kaum. Wir alle trugen hellblaue Gewänder, keinen Schmuck, keine Gürtel und keine Schärpen.
Das Haar fiel lose herab, so daß die kühle Brise mit ihm spielte.
Alle Augen waren auf Isphet gerichtet. Sie war ganz in Weiß gekleidet, und mit ihrem schwarzen Haar, das ihr über die Schultern floß, und ihren ungewöhnlich dunklen Augen sah sie wie eine große Zauberin aus.
Sie hielt uns alle in ihrem Bann.
Wir standen ruhig da, die Blicke fest auf sie gerichtet.
Langsam hob sie den Arm, dann, mit einer schnellen Bewegung, schwenkte sie die Hand in einem großen Bogen über das Wasser.
Und Millionen von rosaroten und dunkelroten Juitvögeln erhoben sich mit einem Schlag aus den Schilfbänken in den Himmel, und es klang wie ein mächtiges Rauschen. Ich starrte Isphet an; in meinen Augen sah die rosa- und rotfarbige Woge hinter ihr wie ein großer Flammengürtel aus.
Dann erregte eine andere Bewegung meine Aufmerksamkeit.
Das Wasser innerhalb des Kreises unserer Kähne wirbelte wie ein Mahlstrom herum, obwohl sich keines der Boote an seinem Rand bewegte. Die Morgendämmerung tauchte uns nun in ihr Licht, und ich konnte sehen, daß sich das grüne Wasser in der Mitte des Kreises schwarz verfärbte.
Isphet warf Metallpulver mitten hinein, und Farben wirbelten nun in dem Rund: Blau, dann auf Isphets Befehl Rot, dann Gold und schließlich helles Smaragdgrün.
»Nehmt die Farben in euch auf«, flüsterte sie über dem Kreis,
»lauscht ihren Stimmen, Boaz, hörst du, wie wir sie verstehen?«
Ja.
Ja, das tat er. Er war einer von uns und hatte im Gegensatz zu mir keine Angst, als er das erste Mal in die Macht der Farben eintauchte. Er ließ sich mühelos und ohne zu zögern von der Macht umfangen.
Ja.
Ich konnte ein Brausen hören – das Wasser, das immer wilder wurde, aber ich beachtete es nicht und ließ mich ebenfalls von der Macht mitreißen.
Dann waren die Soulenai mitten unter uns.
Ich erbebte, denn ihre Gegenwart war anders als je zuvor, stärker. Viel lebendiger.
Gib nach, Boaz, fühlte ich Isphet drängen, laß dich von ihrer Macht erfüllen, dich bereichern.
Als ich mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken legte und mich von ihrer Gegenwart durchdringen ließ, fühlte ich, wie Boaz das gleiche tat.
Wieder ging er in ihnen auf, ohne zu zögern.
Gib dich hin… Diesmal sprachen die Soulenai, und ich konnte die Neugier spüren, als sie durch Boaz wogten, ihn erforschten, Nähe zu ihm suchten.
Er ließ es geschehen.
Sie bewegten sich durch jeden von uns und auch zwischen uns – etwas, das sie noch nie zuvor getan hatten.
Ich schlug die Augen auf. Wandelten die Soulenai unter uns?
So fühlte es sich an, oh ja, denn das war eine Macht, die ich noch nicht kannte. Sie waren lebendig an diesem Ort, sehr stark, und ich fragte mich, warum das so war.
Dann sprachen sie.
Im Land sterben die Elementenkünste. Der Krieg ist wieder da, und das Land verwandelt sich erneut in Stein. Am Ende wird sogar das Lied der Frösche sterben. Dann wird alles verloren sein. Ihr alle, die ihr euch hier versammelt habt, sollt die Steine wieder zum Leben erwecken und das Land erneuern.
Ihr seid unsere geliebten Kinder, und ihr werdet die Verantwortung dafür tragen.
Aber unter euch sind einige, die eine größere Last als andere werden tragen müssen. Hört zu und wisset. Isphet…
Und die Soulenai wandelten unter uns. Ich konnte sie jetzt sowohl sehen als auch fühlen. Ein Licht umgab Isphet, und ich konnte darin kaum ihre Gestalt erkennen.
Isphet. Du Starke, Schöne, du hast an einem Ort aus Stein und Tod die Hoffnung aufrechterhalten. Dafür danken wir dir, und wir wollen dir eine weitere Pflicht auferlegen. Reise in deine Heimat und suche den Rat der Weisen, denn du wirst eine große Elementenmeisterin werden, und es wird deine Aufgabe sein, deinem Volk das Licht der Erleuchtung zu bringen. Du bist auserwählt unter vielen.
Wir alle fühlten ihr Erstaunen. Isphet hatte sich nie für wert befunden, die höchste Ebene der Magie der Elemente zu erklimmen, eine Elementenmeisterin zu werden, aber ich war nicht überrascht. Sie verdiente diese Ehre.
Und wenn die Zeit kommt, wirst du dann uns und deiner Aufgabe treu ergeben sein? Gelobe es.
Ich gelobe es, flüsterte sie, und wir fühlten uns geehrt, es für sie mitzubezeugen.
Yaqob. Jetzt umgab der helle Schein Yaqob, und Tränen der Freude und Erleichterung traten in meine Augen.
Yaqob. Auch du wirst von den Weisen die Künste und Wertigkeiten der Elementenmeister lernen. Du hast gelitten und wirst vielleicht noch mehr leiden. Nutze das Erlebte, um Stärke zu schaffen und Leidenschaft zu schmieden. Du sollst lehren, und die Erkenntnis wird in dir reifen, wenn ein Jahr ums andere ins Land gegangen ist.
Und sie verlangten von ihm das gleiche Gelöbnis wie von Isphet, und er legte es ab und wir bezeugten es.
Tirzah.
Eine solch unermeßliche Schönheit und Glückseligkeit durchdrang mich, daß ich sie fast nicht ertragen konnte, aber die anderen stützten mich, und ich nahm sie an.
Tirzah. Lerne mit den anderen, doch was du lernen wirst, wird zu der Macht gehören, über die du bereits gebietest. Du wirst eine große Elementenmeisterin sein. Nur wenige werden deine Macht übertreffen. Doch du wirst Verluste erleiden. Du sollst an ihnen wachsen. Gelobst du, uns zu folgen und deine Aufgabe getreulich zu erfüllen, Tirzah?
Ich gelobe es. Ich fühlte, wie mich die Soulenai liebkosten, aber das gab mir nur wenig Trost. Verluste? Verluste?
Boaz, du bist der vierte, und du ahnst die Last deiner Aufgabe, aber sie wird schon bald klar vor dir stehen. Du wirst als Elementenmeister eine Macht erringen, die sich nicht einmal dein Vater hätte träumen lassen. Selbst er, der so wißbegierig war, würde die Orte fürchten, die du erforschen wirst. Du wirst mehr als jeder andere die Wege der Erkenntnis beschreiten müssen. Lerne das Lied der Frösche verstehen, verstehen in seinem tieferen Sinn. Gelobst du uns, das zu tun?
Ich gelobe es. Ich konnte Boaz’ Gefühle spüren. Mit diesem Gelöbnis schüttelte er die letzten Bedenken ab, die der Magier in ihm errichtet hatte. Ich gelobe es.
Dann siehe, Boaz… sehet ihr alle…
Und wir taten für einen kurzen, einen winzigen Moment einen Blick auf die Zuflucht im Jenseits. Dann wurde mir mit einem Mal der Mann bewußt, der in der Mitte des Mahlstroms stand.
Er lächelte Boaz an, und ich sah, daß es Avaldamon war.
Seine Gestalt war nicht mehr so flüchtig wie bei seinem Erscheinen in Boaz’ Residenz, doch er war noch immer geistergleich. Nur eine Erscheinung, kein Körper.
Er streckte die Hand aus, dann machte er einen Schritt und dann noch einen, und er ging über das Wasser auf die Boote zu.
Er war atemberaubend, nicht allein durch sein Aussehen, sondern durch die Macht und das Wissen, das in seinen Augen leuchtete. Er hob die Hand, liebkoste Boaz’ Wange, dann zog er seinen Sohn an sich. Für diesen flüchtigen Augenblick der Umarmung erschien Avaldamon wie aus Fleisch und Blut, und Boaz erzählte mir später, daß er einen Mann in seinen Armen gehalten hatte und keinen Geist.
Laß dich segnen, Boaz. Er wandte sich von Boaz ab und deutete mit der Hand auf den ganzen Kreis. Laß euch alle segnen. Und dann war er verschwunden.
Der Mahlstrom beruhigte sich, und wir setzten uns wieder in die Kähne, aber wir bewegten uns nicht, noch sprachen wir.
Und so saßen wir viele Stunden lang dort, bis die Sonne vom Himmel brannte und ein neugieriger Juitvogel über Isphets Kopf flog und sie und uns aus der Versunkenheit weckte.
Jeder war durch dieses Erlebnis verändert worden, nicht nur wir vier, die wir auserwählt worden waren.
Wir saßen da, blinzelten und lächelten. Zögernd umarmten wir einander und reichten uns die Hand von Boot zu Boot.
Es gab Gelächter und auch Tränen der Freude… und dann ertönte eine Stimme.
Ich sehe euch. Ich sehe euch genau, und ich kenne euch.
Wir erstarrten.
Die Stimme war aus dem Norden gekommen. Nzame.
Ich hungere nach euch.