KAPITEL 11
»NEHMT DAS ZURÜCK!«
»Nehmt das zurück!«
Cassius Clay gegen Sonny Liston, 1964.
Nachdem man Clays Geisteszustand für normal befunden hatte, machte er ein Nickerchen. Und während er schlief, rief sein Arzt Ferdie Pacheco die örtlichen Boxbehörden an, um ihnen mitzuteilen, daß der Zustand des Herausforderers wieder normal sei und daß der Kampf auf jeden Fall stattfinden könne.
Doch dann dachte Pacheco an die bevorstehende Nacht und daran, was passieren könnte. Anders als Geraldine Liston, Jack McKinney und sehr wenige andere, die nahe genug waren, um zu sehen, wie komplex Liston in Wirklichkeit war – ein höllisches Gebräu aus Entbehrung und Wut, sein ständiger Drang, sich als würdig zu beweisen –, war Liston für Pacheco bedrohlich, furchteinflößend. Pacheco hatte sich jahrelang in Boxräumen in ganz Florida aufgehalten und dabei keinen gesehen, der auch nur annähernd so schonungslos und stark war, im Ring wie außerhalb. Pacheco war ein ziemlich guter Hobbymaler – er malte Historienbilder von Mexiko, von den Zigarrenrollerinnen in seiner Heimatstadt Tampa –, und wenn er an Liston dachte, fielen ihm als Farben ein rohes Umbra und Preußischblau ein. »Ich hatte nie den Eindruck, daß an Sonny graue Flächen waren«, sagte er. Wie viele andere in Clays Camp machte Pacheco sich Sorgen, daß der Kampf nicht nur mit einer Niederlage, sondern auch mit einer ernsten Verletzung enden könnte.
Dundee hatte da eine ganz andere Einstellung, immer positiv, immer optimistisch; er glaubte eher daran, daß der »Stil den Kampf entscheidet«, und daß Clay den Stil hatte, Liston zu schlagen. »Ich glaubte, er würde einfach schneller sein und schneller denken als er und ihn in elf, zwölf Runden zermürben«, sagte Dundee. Pacheco hingegen hatte das Gefühl, daß Liston, ein großer Champion, wegen der vielen angehäuften Demütigungen – den Witzeleien in der Presse, den Spottversen und nun auch noch den Mätzchen beim Wiegen – jetzt so wütend auf Clay war, daß er Clay nicht einfach nur k. o. schlagen, sondern ihn richtiggehend zusammenschlagen und verletzen wolle. Und so traf Pacheco Vorkehrungen, daß alles bereit war. Besonders am Herzen lagen ihm die schnellsten Wege zu den verschiedenen Krankenhäusern in der Umgebung. Welches war das nächste? Wo war die beste Notaufnahme? Wer hatte Dienst? Kannte er die Ärzte? Schließlich fiel seine Wahl auf das Mount Sinai, wo er selbst 1958 Assistenzarzt gewesen war.
Am Spätnachmittag aß Clay ein Steak mit Salat und Gemüse, und am Abend schlüpfte er in einen Smoking und brach mit Dundee, Pacheco, dem Masseur Luis Sarria, Bundini und noch einigen anderen zur Arena auf. Er ging früher hin, als nötig gewesen wäre, weil er sich noch seinen Bruder Rudy ansehen wollte, der in einem Vorkampf gegen Chip Johnson boxte, einen handwerklich soliden Schwergewichtler.
Die Arena, die 15744 Menschen faßte, war nahezu leer, als Rudy in den Ring stieg. Bei Titelkämpfen gilt es als unfein, sich zu viele Vorkämpfe anzusehen, daher waren die leeren Sitze kein Schock. Es war das Pech des Promoters Bill MacDonald, daß es auch so bleiben sollte. Nur 8297 Eintrittskarten waren verkauft. Die vordersten Plätze waren ausverkauft, doch auf den mittleren und oberen Rängen herrschte gähnende Leere. Obwohl Clay und seine Finanziers 630000 Dollar übernahmen und Liston und seine Sponsoren sich 1,3 Millionen Dollar teilten, verlor MacDonald über 300000 Dollar. Es war schwer zu sagen, was das Publikum mehr dezimierte: die abschreckende Quote zugunsten Listons, die Gerüchte von Clays Übertritt zur Nation of Islam oder die heftigen Regenfälle, die gerade über Miami niedergingen. Harold Conrad konnte machen, was er wollte, es gelang den Promotern nicht, Clay zu einem rechtschaffenen, moralisch einwandfreien Neger zu stilisieren; es gelang ihnen nicht, die Marketingposse des Kampfs Patterson gegen Liston, also Guter Neger gegen Bösen Neger, noch einmal zu inszenieren. Für die meisten Weißen Floridas (und wer sonst konnte sich einen Platz leisten?) war dies eine Auseinandersetzung zwischen einem Muslim-Quatschkopf und einem furchterregenden Schläger.
Clay stand im Gang ein größeres Stück vom Ring entfernt und sah zu, wie sein Bruder kämpfte. Rudy war kein besonders guter Boxer, und er wurstelte sich mit Mühe und Not durch die erste Runde. Die Journalisten, die sich zu Rudys Kampf aufgerafft hatten, lenkten ihre Aufmerksamkeit ebensosehr auf Clay, der seinen Bruder lautstark unterstützte, wie auf den Kampf selbst. Am Ende siegte Rudy knapp nach Punkten, doch sehr eindrucksvoll war er nicht gewesen. Er war ziemlich übel verprügelt worden, und gegen einen härteren Gegner wäre die Sache sicher schlimmer ausgegangen. Es schmerzte Clay, mit anzusehen, wie sein Bruder im Ring vermöbelt wurde.
»Von heute abend an, Rudy«, sagte er, »wirst du nicht mehr kämpfen müssen.«
Allmählich strömte das wenige Publikum in die Arena. Malcolm X, der am Vortag nach Miami zurückgekehrt war, nahm seinen Platz ein. Wie immer trug er einen konservativen dunklen Anzug, eine dunkle Krawatte und ein weißes Hemd. Trotz der Unruhe um ihn herum, trotz seines Konflikts mit der Nation und dem häßlichen Krach mit MacDonald war Malcolm bester Stimmung, und er plauderte mit den Reportern, die zu ihm kamen. Wahrscheinlich war niemand in der Arena zuversichtlicher, daß es eine Überraschung geben würde. Am Abend vor dem Kampf hatte sich Malcolm mit Murray Kempton getroffen, der damals seine Kolumne für die New York World-Telegram schrieb. Kempton sagte, er hoffe, Clay werde vor Angst nicht zu sehr gelähmt sein, wenn er gegen Liston in den Ring stieg.
»Muslim sein«, belehrte Malcolm daraufhin Kempton, »heißt, keine Furcht zu kennen.«
Doch Kempton, der mit der schärfsten Beobachtungsgabe unter den Presseleuten, sah an jenem Abend etwas anderes bei Clay. Als er Clay beobachtete, wie er die Arena überblickte, wirkte Clays Blick »leer« und schweifend auf ihn. »Plötzlich entstand ein grauenhaftes Bild«, schrieb Kempton, »wie Cassius Clay in seinem Smoking kurz vor dem Hauptkampf, wenn die berühmten Gäste angekündigt würden, in den Ring sprang, noch einmal brüllte, er sei der Größte, und danach die Treppe hinabstieg und aus der Arena und aus den Augen der Menschheit verschwand. Umstehende schrien ihm Beschimpfungen zu, seine Betreuer schoben ihn zurück in die Kabine, steif, die Schritte zögernd. Am Morgen hatte man ihn für hysterisch gehalten; jetzt hielt man ihn für katatonisch.«
Im Umkleideraum zog Clay sich langsam um. Er wartete, bis man ihm die Hände eingebunden hatte, dann lockerte er sich allmählich, schlug Jabs in die Luft. Er hatte sich alles genau zurechtgelegt: Zwei, drei Runden lang herumtänzeln und jabben, Liston langsam mürbe machen, es dann eine Weile langsamer angehen lassen, warten, bis Liston erschöpft war, dann in der achten oder neunten auf den K.-o.-Schlag gehen. Meistens mußte Dundee darauf achten, daß Clay sich nicht schon vor dem Kampf in der Kabine verausgabte; er war so voller Energie, so ungeduldig, daß es endlich losging, daß er einen Hagel von Schlägen abschoß und tänzelte, bis er schweißüberströmt war. Nun aber waren seine Bewegungen vorsichtig, ernst. Vor ihm lag keine Inszenierung, sondern ein Kampf.
»Bei allen Scherzen und Clownereien am Morgen«, sagte Dundee, »wußte er, daß es nun ernst wurde. Die ganze Zeit hatte er nur davon geträumt, und nun stand ihm ein ganz harter Bursche im Weg.
»Er war sehr nervös, das sah man«, sagte Pacheco. »Ich war gegen Joe Frazier dabei, alle drei Kämpfe, gegen George Foreman in Zaire, bei allen war ich dabei, und jetzt war es wirklich das einzige Mal, daß er nervös war. Zum ersten und letzten Mal. Danach war es, na ja, das war wie neulich abend: Ich sah mir die Benny Goodman Story an, und da kam eine Szene, wo jemand zu Bennys Mutter sagt: ›Benny muß heute abend das Klarinettenkonzert von Mozart spielen – ist er denn nicht nervös?‹ Und sie sagt: ›Was? Soll das ein Witz sein? Die Klarinette ist sein Leben. Man stellt ihm die Musik hin, und er wird damit fertig. Er ist nie nervös. Das übrige Leben könnte ein Problem sein.‹ Genau wie bei Ali. Er boxte eben. Im Ring konnte er mit allem fertig werden. Verwirrend konnte das übrige Leben sein. Außer beim ersten Kampf gegen Liston. Er war ja noch jung, und an dem Abend hatte er keine Ahnung, ob er auch wirklich das tun konnte, was er die ganze Zeit behauptet hatte.«
Clay war nicht nur wegen Liston und der Aussicht auf Schmerzen und Scham nervös, ihn beunruhigten auch die Gerüchte, die man ihm ins Ohr geflüstert hatte.
»Paß auf«, hatte Captain Sam Saxon zu ihm gesagt. »Das weiße Machtgefüge ist hinter dir her.«
»Paß auf«, hatten ihm einige andere Muslims gesagt. »Dundees Mafia. Du kannst ihm nicht trauen, und Pacheco und den anderen weißen Typen auch nicht.«
Clay saß nun in der Kabine und war hibbelig.
»Laut Plan gingen wir rein, schlossen ab und ließen keinen mehr rein«, sagte Pacheco. »Einem der irrwitzigsten Gerüchte zufolge, die in Umlauf waren, wollte die Mafia unser Wasser vergiften. Es war völlig lächerlich, doch Muhammad war besorgt. Also füllten wir eine Flasche voll Wasser und verschlossen sie mit einem Klebeband. Muhammad ließ die Flasche nicht von uns, sondern von den Muslims füllen. Wir waren über eine Stunde drin. Wir waren nur zu fünft, Luis Sarria und Bundini, beide schwarz, Angelo und ich, beide weiß, und Rudy. Und wenn wir das Wasser aus dem Blick ließen, sagte Muhammad: ›Schüttet das Wasser weg und füllt neues rein.‹ Das geschah drei-, viermal. Schließlich sagte ich: ›Wer soll dich denn vergiften, Angelo oder ich? Ich bin dein Arzt. Wenn ich dich vergiften wollte, dann hätte ich es mit einer Spritze getan.‹ Und Angelo, der hat es nie verwunden, daß die Muslims ihm ständig sagten, Angelo sei Italiener und habe Verbindungen zu Frankie Carbo, genau wie Listons Leute. Bei keinem kann man eine Paranoia schneller aufbauen als bei einem Boxer. Nur mit einem kleinen Hinweis. Es war doch so, daß in den vierziger und fünfziger Jahren jeder im Boxgeschäft Verbindungen zu Frankie Carbo hatte. Das wußte jeder, der sich im Boxen auskannte. Die Muslims aber waren einfach Leute aus Chicago, die keine Ahnung vom Boxen hatten. Schon vom Boxen an sich hielten die überhaupt nichts, bis Ali ihnen ein üppiges Leben verschaffte. Und so wurde die Wasserflasche immer wieder ausgeleert.«
Als der Kampf näher rückte, überlegten Cassius und Rudy, wo Osten war, und als sie es herausbekommen hatten, knieten sie nieder und beteten, gemeinsam mit Malcolm X, zu Allah. Als Muhammad Ali betete er dann in den kommenden Jahren vor dem Anfangsgong in seiner Ecke, den Kopf gesenkt, die Handschuhe vor dem Gesicht, doch an dem Abend war er noch Cassius Clay, und das wenige, was von seinem Geheimnis noch übrig war, versuchte er zu wahren.
In Listons Kabine herrschte eine zuversichtliche Ruhe. »Sosehr Clay auch Sonny auf die Nerven ging, glaubten wir doch alle, daß der Abend gut verlaufen würde«, sagte einer von Listons Betreuern. Willie Reddish und Joe Pollino streiften T-Shirts mit einer Werbung des Thunderbird Hotels in Las Vegas über. Liston zog weiße Satinshorts mit schwarzem Besatz an und ließ sich von seinen Helfern Handtücher über Schultern und Brust legen, so daß er fast wie eine Mumie aussah. Dann schlüpfte er in seinen Mantel und schlug die Kapuze hoch – den »Scharfrichtermantel«, wie Willie Reddish ihn nannte.
Um zehn Uhr stiegen die Kämpfer in den Ring: zuerst Clay, dann der Champion. Clay hüpfte und jabbte in seiner Ecke, Liston streckte sich, machte sich langsam zur Arbeit bereit. Der Ringrichter, ein massiger Mann namens Barney Felix, stand in der neutralen Ecke, die Wurstarme auf den Seilen. Ein Q-Tip hinterm Ohr, zeigte Dundee Listons Ecke beharrlich den Rücken, sah nur auf Clay und erinnerte ihn unablässig daran, er solle sich, wenn er in die Ringmitte gehe, um sich Felix’ Belehrung anzuhören, aufrecht hinstellen.
»Er wird dich anstarren, versuchen, dich einzuschüchtern«, sagte Dundee. »Zeig ihm, daß du größer bist als er.«
Am Ring begannen Steve Ellis und Joe Louis ihre landesweite Übertragung.
Der Ringsprecher, Frank Waymon, zog das Mikrofon von der Decke herab.
»Guten Abend, meine Damen und Herren! Willkommen in Miami Beach, Florida! Miami Beach Convention Hall! Ich möchte Ihnen gern erst ein paar Boxer vorstellen, die Sie in der Vergangenheit gesehen haben und wahrscheinlich sehen Sie sie auch in der Zuuu-kunft!« Und da kamen sie auch schon: Clays alte Freunde, der ehemalige Meister im Weltergewicht, Luis Rodriguez, und der Meister im Halbschwergewicht – »der tanzende Meister!« – Willie Pastrano. Dann Sugar Ray Robinson in einem todschicken karierten Jackett. Clay verneigte sich zweimal zu seinem irdischen Mentor hin.
»Und nun … der Herausforderer aus Louisville, Kentucky, in weißer Hose mit roten Streifen, er wiegt vierundneunzigeinhalb Kilogramm, der frühere Olympiasieger im Halbschwergewicht … Cassius Clay!«
Das Publikum, so klein es war, erzeugte doch ein beachtliches Pfeif- und Buhkonzert. Clay war unbeeindruckt, hantierte mit seinem Mundschutz und hüpfte, hüpfte auf den Fußballen.
»… und sein Gegner, aus Denver, Colorado, er wiegt neunundneunzig Kilogramm, trägt die weiße Hose mit dem schwarzen Besatz, der Weltmeister im Schwergewicht, Charles … Sonny … Liston!«
Barney Felix forderte die beiden Kämpfer auf, zu der rituellen »Belehrung« in die Ringmitte zu kommen. Wenn der Ringrichter bei einem Titelkampf noch einmal die Verbote aufzählt, also nach dem Gong noch zu schlagen oder auf den Unterleib zu zielen, ist das ungefähr so, als sagte man den Top-Anwälten des Landes, man werde ihnen nun noch einmal die Beweisregeln verkünden; das Ritual ist rein psychologischer Natur. Liston heftete den Blick auf Clay, und egal, wie lax Liston trainiert hatte, nun war klar, daß er nur eines wollte, ihn verletzen. Der Blick konnte nicht anders als vollkommen ernst gemeint sein. In Clay steckte noch die Furcht – »Ehrlich gesagt, ich hatte Angst!« –, doch er ließ sich nichts anmerken. Er starrte zurück und sah auf Liston herab. Das war entscheidend. Er sah auf Liston herab und vermittelte damit eine physische Information: Er war schnell, aber er war auch groß. Kurz vor Ende der Belehrungslitanei (»Verstehen Sie das, meine Herren?«) machte Clay zum ersten Mal an dem Abend Liston gegenüber den Mund auf.
Er sagte: »Jetzt hab ich dich, du Drecksack.«
In der Ecke sagte Willie Reddish zu Liston, er solle sich Zeit lassen. Geh nicht zu schnell auf den K. o. Früher oder später packst du ihn.
Doch wenn Liston in dem Moment eines wußte, dann das, daß er nicht unbegrenzt Zeit hatte, um Clay abzufertigen. Es mußte früher geschehen, nicht später. Er hatte auf sechs, sieben Runden trainiert, höchstens; danach würde es Liston schlechter gehen, er würde merken, wie seine Schultern und Beine schwer würden, er würde die bittere Galle im Mund schmecken, vor allem aber würde er sein Alter spüren – was auch immer.
Der Gong ertönte zur ersten Runde.
Clay ging los, um Punkte zu machen, vor allem einen. Er wollte Liston zeigen, daß er nicht getroffen werden konnte, jedenfalls nicht leicht. Er wollte Liston gleich zeigen, wie lang die Nacht werden würde. Er wollte, daß er gleich von Anfang an einen Hauch der kommenden Müdigkeit spürte.
Clay begann, im Uhrzeigersinn in einer Art betäubendem Trab im Ring herumzutänzeln, wobei er immer wieder stehenblieb und dann mit dem Oberkörper hin und her pendelte, eine schnelle Scheibenwischerbewegung, die den Versuch des Gegners, einen Angriff aufzubauen, erschwerte. Liston stapfte hinter ihm her und mußte binnen Sekunden erkannt haben, um wieviel schneller das alles von nahem war, wie schwierig es werden würde, ihn zu treffen. Liston versuchte es mit der rechten Geraden – vielleicht konnte er die Sache ja gleich beenden! –, doch Clay war schon weg, bevor der Arm gerade war. Dann verfehlte Liston ihn mit einem Jab, dann noch einem. Er verfehlte ihn um einen Viertel-, einen halben Meter.
»Ich bin einfach immer nur gelaufen und habe dabei seine Augen beobachtet«, sagte Clay später. »Listons Augen geben einem einen Wink, kurz bevor er zu einem schweren Schlag ausholt. Irgendwie flackern sie so.«
Schließlich landete Liston doch einen ordentlichen Körpertreffer, eine Linke in das Fleisch unterm Brustkorb. Der Handschuh schien zu verschwinden, ein schmerzhafter Treffer, doch Liston konnte nicht nachsetzen. Clay wirbelte aus Listons Reichweite und ließ ihn so unbeholfen aussehen wie noch kein anderer zuvor. »Sonny mußte erkennen, wie unglaublich Clays Reflexe waren«, sagte Jack McKinney. »Er wich Sonny aus, indem er zurückging, manchmal blieb er auch mit den Füßen stehen, aber dann beugte er sich zurück, so daß der Jab einen Millimeter zu kurz kam. Sonny hatte die verheerendste Gerade der Geschichte, eine aufsteigende Gerade, die wie eine Schrotflinte war – mit dieser Geraden hob er manche vom Boden ab –, und ihr wich Clay aus. Liston war ein hervorragender Athlet mit hervorragenden Reflexen, schnell zu Fuß, doch wenn man sich diese erste Runde ansieht, kann man nur lachen und staunen. Clay weicht zurück, und Liston schlurft hinterher, schickt die Gerade ab – und jede Gerade erreicht Clay um ein Haar nicht.« Liston hatte schon vorher gegen schnelle Boxer gekämpft – Marty Marshall, Eddie Machen, Zora Folley –, aber wer hatte so etwas schon einmal gesehen?
Als dann noch ungefähr eine Minute in der ersten Runde zu boxen war, begann Clay, der Keilerei auch seine Schläge dazuzugeben. Er fing an, seinen Jab gegen Listons Brauen zu schnippen – erst einen Jab auf einmal, dann einen ganzen Wirbel davon, zwei, drei, vier in Folge, dann Jabs, denen ein rechter Cross oder ein linker Haken folgte. Es war, als zeige Clay eine Waffe nach der anderen, um Liston so noch mehr zu demoralisieren, um ihm vorzuführen, daß sein Arsenal und Listenreichtum unbegrenzt waren.
Ungefähr vierzig Sekunden vor Ende der Runde befand Liston sich nur noch in der Deckung, ganz benommen davon, daß Clay viel schneller war als er, aber auch von den Treffern selbst. Ganz am Ende der Runde traf Clay Liston mit acht Jabs hintereinander, und als Liston sich schließlich aus seiner Kauerstellung aufrichtete, um sich umzusehen, wonach er schlagen konnte, war Clay schon wieder weg.
Der Gong ertönte und beendete die erste Runde, doch die beiden Männer schlugen weiter, bis Felix schließlich dazwischenging.
»Ich weiß noch, wie ich in meine Ecke kam und dachte: ›Der sollte mich ja eigentlich umbringen. Also, noch lebe ich‹«, sagte Clay ein paar Tage nach dem Kampf zu Alex Haley. »Angelo Dundee arbeitete über mir, redete ohne Punkt und Komma. Ich sah einfach zu Liston hin, der war so sauer, der hat sich nicht mal hingesetzt. Da dachte ich: ›Du wirst dir noch wünschen, du hättest dich ganz gehörig ausgeruht, wenn wir die nächste Runde hinter uns haben.‹ Ich konnte einen Radio- oder Fernsehexperten hören, ganz aufgeregt war der, Sie wissen ja, wie die schnattern. Die Sensation war, daß ich noch nicht ausgezählt war.«
Am Ring saß Joe Louis, der geistig und finanziell in Listons Ecke war, und konnte kaum fassen, was er gesehen hatte. Er hakte eine langsame erste Runde bei einem Champion eher ab und ging davon aus, daß er mit der Zeit stärker würde, doch er hielt mit seinem Lob für Clay nicht hinterm Berg. Er wußte, daß im Ring etwas Bedeutungsvolles ablief, etwas, was er noch nie zuvor gesehen hatte, weder als Kämpfer noch als Kommentator. »Ich glaube, wir haben soeben eine der größten Runden seit langer Zeit erlebt«, sagte er den Zuschauern. »Meiner Ansicht nach hat Clay Sonny Liston in dieser Runde völlig deklassiert …«
»Wer hat die Runde gewonnen?« fragte Clay seine Ecke.
»Du!« brüllte Bundini.
»Du hast die Runde gewonnen«, sagte Dundee, »und du gewinnst auch das ganze Ding.«
Die Angst verzog sich. Clay öffnete nun weit den Mund, unwahrscheinlich weit, zu einem dunklen, ovalen Maul, und blickte hinab zu den Schreibern am Ring. Mir den Mund stopfen? Das könnt ihr nicht!
Liston ging voller Verzweiflung in die zweite Runde, setzte schwere Schläge an, immer jeweils einen. Er schlug böse daneben. Er versuchte, Clay gegen die Seile zu drängen, wo er dessen schwindelerregende Bewegungen abstellen, zielen und feuern könnte. Einen Augenblick sah es so aus, als könnte diese Strategie aufgehen, doch dann tanzte Clay, nachdem er ein paar Schläge eingesteckt und einige andere mit den Handschuhen abgefangen hatte, von den Seilen weg und nahm sein Kreisen wieder auf, jenen Trab im Uhrzeigersinn, der Liston zunehmend desorientierte. Er war wie einer, der schon einen Sechserpack intus hatte und versuchte, eine Fahrt auf der Achterbahn, den Magenumdreher, den Zyklon zu überstehen, die Attraktion mit dem größten Übelkeitspotential, die der Rummelplatz zu bieten hat. Einmal schlug Liston mit einem linken Haken so weit daneben, daß er statt dessen ein Seil traf. Das Seil schlackerte umher als rappelnder Spott, und Liston war verlegen. Was konnte er tun? Wie standen die Chancen, daß Clay, der so jung und fit war, langsamer würde? Wie die Chance, daß Liston mit den sich hinziehenden Runden besser würde?
Clay begann nun, seinen Jab auf die fleischigen Polster unter Listons Augen einzuschießen, und plötzlich wölbte sich zur Bestürzung aller, die nahe genug waren, um es zu sehen, eine Schwellung unter Listons linkem Auge. Die Schwellung verlieh dem Champion ein übertriebenes Aussehen nicht von Schmerzen, sondern von Alter, von Müdigkeit. Clay entwischte nicht jedem Schlag, doch nun war klar, daß die erste Runde kein Ausreißer gewesen war, nicht das Ergebnis des Hyperschwungs eines aufgeputschten, übermütigen Herausforderers.
»Er hat mich ein paarmal getroffen, aber unter den meisten seiner Schläge habe ich mich weggeschlängelt und weggeduckt«, sagte Clay in einem Interview mit dem Playboy. »Ich weiß noch, als er mich einmal mit dem Arm am Nacken streifte, dachte ich – es war, als würde ich es mir selbst zubrüllen: ›Das muß ich jetzt bloß durchziehen.‹ Und ich tauchte unter ihm hervor und erwischte ihn mit ein paar Linken und Rechten. Dann sah ich die erste Platzwunde, oben auf dem Wangenknochen. Die erste Wunde sieht immer hellrosa aus. Dann sah ich das Blut, und da wußte ich, daß dieses Auge ab jetzt mein Ziel sein mußte. Und weil ich mich so sehr auf diese Wunde konzentrierte, mußte ich den härtesten Treffer von ihm einstecken, diese lange Linke. Die hat mich zurückgestoßen. Aber entweder merkte er nicht, wie gut er mich getroffen hatte, oder er wurde schon langsam müde, jedenfalls nutzte er es nicht aus. Danach habe ich den Gong dann sehr wohl gehört. Ich mußte in meine Ecke, um wieder klar im Kopf zu werden.«
»In der zweiten«, sagte Dundee, »versuchte Liston, bei den Schlägen zuzulegen, aber mein Mann ließ das nicht so einfach mit sich machen. Ich sage Ihnen, Liston hätte Tyson in Bestform geschlagen. Er war ein großer, kräftiger Mann, er hatte Schultern, die bis über den Ring hinausgingen, er war schneller als Tyson. Doch er stand einem verzwickten Burschen gegenüber. Muhammad war noch stärker als er, er stieß ihn im Clinch herum, dann rannte er wieder auf und ab und schenkte ihm ein.«
»Meine Zweifel verflogen in der ersten und zweiten Runde, als ich sah, wie Ali mit Liston umging«, sagte Pacheco. »Bap-bap, und weg war er. Liston fand keine Lösung dafür. Nach der ersten sah man ganz deutlich, daß er in seine Ecke ging und dachte: ›Verflucht, was mach ich denn jetzt?‹ Sonny schlug immer nur Rechts-links-Jabs, genau wie Joe Louis. Doch Sonny hatte nichts, wonach er schlagen konnte, er schlug Löcher in die Luft.«
In Listons Ecke arbeitete Joe Pollino an der Schramme seines Kämpfers, doch in der dritten Runde wurde sie zu einer offenen Platzwunde. Clay kam flachfüßig heraus, um für seine härteren Schläge einen besseren Stand zu haben, und binnen einer halben Minute machte er sich wie ein Bildhauer, der sich einen Marmorklotz vornimmt, daran, das Auge zu bearbeiten. Beinahe jedesmal ließ er seinem Jab eine klatschende Rechte folgen, die von Listons Kopf abprallte – den gleichen Schlag, von dem Archie Moore gesagt hatte, er habe »seine Gedanken getrübt«. Nach einer Kombination bekam Liston weiche Knie und ging um ein Haar zu Boden. Liston schaffte es, sich auf den Beinen zu halten, die Seile zu packen und sich zu stabilisieren, doch nun gab es wohl keinen mehr in der Arena oder unter den Zuschauern in den Kinos, der nicht davon überzeugt war, daß Clay den Kampf vollkommen dominierte.
»Komm schon, du Nulpe«, schrie Clay durch den dämpfenden Mundschutz.
So eine Dreistigkeit! Sekunden nach diesem höhnischen Ausruf ging Liston auf Clay los, doch der wehrte jeden Körperschlag mit Ellbogen und Handschuhen ab, genauso wie er es sich gegen »Shotgun« Sheldon wochenlang im Sparring beigebracht hatte. Das Blut floß bei Liston jetzt nicht nur aus der Wunde unterm Auge, sondern auch noch aus der Nase.
»Zu Beginn der dritten Runde sah ich seinen Gesichtsausdruck, wie erschüttert er war, daß wir immer noch da waren und er derjenige war, der eine Wunde hatte und blutete«, sagte Clay später. »Er wußte nicht, was er tun sollte. Aber ich wurde dabei nicht unvorsichtig wie Conn damals gegen Joe Louis. Es sollte eigentlich eine meiner langsameren Runden werden, aber die Zeit konnte ich mir nicht nehmen. Ich brauchte noch einen guten Treffer, mußte bei seinem Auge auf Nummer Sicher gehen. Also testete ich erst mal, als der Gong ging, ob er schon müde wurde, das war so, und dann drängte ich ihn gegen die Seile. Ich brauchte bloß eine gute Kombination. Meine Linke ging voll auf sein rechtes Auge, und eine Rechte unter sein linkes öffnete einen tiefen Riß. Ich wußte, der war tief, das Blut spritzte nur so heraus. Ich sah sein Gesicht von ganz nah, als er mit dem Handschuh über den Riß fuhr, und sah das Blut. In dem Augenblick, das sage ich Ihnen jetzt, sah er so aus, wie er in zwanzig Jahren mal aussieht.«
Der Gong beendete die dritte Runde, und Liston trottete in seine Ecke zurück. Er ging wie einer, der sich inmitten von Schneewehen verirrt hat. Er war völlig erschöpft, nicht nur davon, daß er hinter Clay herjagen mußte, sondern auch von den vielen eigenen Schlägen, die ins Leere gegangen waren.
»Die Schläge, die danebengehen, die machen einen fertig«, sagte Dundee. »Gehen genug daneben, macht einen das nach und nach im Kopf und auch körperlich fertig.« Jack Nilon spähte durch die Seile zu Liston hin. Liston saß auf seinem Hocker und atmete so schwer, daß er kaum mehr als zwei Wörter auf einmal sagen konnte. Seine Lungen pumpten wie ein Blasebalg. Er blickte hoch in die Scheinwerfer. Joe Pollino bearbeitete ihn. Die beiden Männer wechselten Worte. Niemand am Ring konnte sie hören.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich im Kampf einen Vorteil zu verschaffen, und die Trainer kennen sie alle. Einer der großen – und nie bewiesenen – Boxmythen ist, daß Jack Dempseys Leute ihm die Hände in Gipsverbände wickelten und ihm sagten, er solle eine Faust machen; dann tauchten sie die Hände in Wasser, ließen sie trocknen und zogen die Handschuhe drüber. Derart ausgestattet, zerschmetterte Dempsey Jess Willard die Hälfte seiner Gesichtsknochen. Andere Trainer, die weniger extrem gestimmt waren, versuchten, die Wattierung des Handschuhs von den Knöcheln herab Richtung Handgelenk zu ziehen, so daß der Treffer desto härter wurde.
Und so sagte denn Liston nach der brutalen und frustrierenden dritten Runde zu seinem Trainer Pollino, er solle sich auf ihren ganz speziellen Vorteil besinnen. Die Beweise sind vom Hörensagen (Liston, Pollino und Reddish sind alle tot), aber so zuverlässig, wie im Boxen überhaupt nur möglich. »Das ist ganz einfach«, sagte Jack McKinney, der Reporter der Philadelphia Daily News, der Liston und Pollino sehr nahe stand. »Unmittelbar nach dem Kampf redete sich Joe, mit dem ich gut befreundet war, mir gegenüber alles von der Seele. Er sagte mir, Sonny habe ihm gesagt, er solle was auf die Handschuhe tun, was er auch tat. Darüber hinaus sagte er auch noch, daß sie das immer getan hätten, wenn Gefahr drohte, und daß sie es in den Kämpfen gegen Eddie Machen und Cleveland Williams getan hätten.« Pollino sagte McKinney nicht, mit welcher Substanz er Listons Handschuhe einrieb – ein linimentartiges Öl aus Wintergrün oder Eisenchlorid, womit man Platzwunden behandelte –, allerdings sagte er, es sei eine stechende Lösung, die Clay so lange blenden sollte, bis Liston sich auf ihn einstellen und ihn k. o. schlagen konnte. »Pollino sagte mir, er habe das Zeug auf Sonnys ausdrückliche Anweisung auf die Handschuhe aufgetragen und es dann so weit er konnte unter die Ringverkleidung geschoben«, sagte McKinney. »Joe hatte deswegen erhebliche Gewissensbisse. Er war dazu gedrängt worden, aber er wußte, wenn er damit je auspacken würde, würde er nie wieder arbeiten.«
In der vierten Runde boxte Clay wieder nach Plan. Er ließ es langsam angehen. Er lief durch den Ring, aber langsamer, lässiger, gerade so, daß Liston in Atem blieb und vorbeischlug. In dieser Runde richtete er wenig Schaden an, doch es genügte, um Liston auf Trab zu halten und ihn noch mehr zu ermüden. Er hatte vor, ihn weiter zu ermüden, bis es wieder an der Zeit war, zum Angriff überzugehen. Doch ganz am Ende der Runde begannen Clays Augen zu brennen, und als die Runde vorüber war und er auf seinem Hocker saß, war ihm, als hätte er Nadeln in den Augen. Clay war auch schon vorher getroffen worden – Banks und Cooper hatten ihn niedergeschlagen, Jones hatte ihn aus der Fassung gebracht –, doch diesen Schmerz konnte er nicht identifizieren. Und plötzlich, während der Schmerz immer größer wurde, war Clay fast blind. Er griff sich ins Gesicht, versuchte, die Schmerzen aus den Augen zu schütteln. Er war in Panik.
»Ich kann nicht sehen! Mach sie ab!« schrie Clay in die Leere, in den Lärm der Menge. »Ich kann nicht sehen! Mach die Handschuhe ab!«
Das sollte nun die wichtigste Minute in Dundees zwei Jahrzehnten mit Clay werden. Ohne diese eine Minute, ohne Dundees instinktive Reaktion, hätte es vielleicht nie einen Muhammad Ali gegeben. Sonny Liston hätte einem, der ihn so gedemütigt, der ihn gezwungen hatte, seine Handschuhe zu präparieren, wohl kaum einen Revanchekampf gewährt; auch die Öffentlichkeit hätte sich nicht sonderlich darum bemüht, einem Angehörigen einer religiösen Sekte, die das weiße Amerika haßte, Boxgerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Während sein Kämpfer ihn anbrüllte und verlangte, er solle ihn aufgeben lassen, blieb Dundee ruhig. »Ich hatte das Problem schon einmal«, sagte er. »Ist Erfahrung nicht etwas Wunderbares? Ich hatte das nun achtundvierzig Jahre lang gemacht. Man kann da nicht selber hysterisch werden und die Ruhe verlieren. Dann hilft man dem Boxer nicht weiter.« Dundee ahnte, wie schmerzhaft die Substanz war. Er hatte den Zeigefinger in Clays Augenwinkel getupft und sich den Finger dann selbst aufs Auge gelegt. Es brannte wie Feuer. Doch er nahm das nicht so einfach hin.
»Hier geht’s ums Ganze, daddy!« brüllte Dundee Clay ins Ohr. »Laß die Scheiße! Wir geben jetzt nicht auf.«
Dundee versuchte, Clay mit dem Schwamm so viel sauberes Wasser wie nur möglich in die Augen zu träufeln. Er hatte keine Ahnung, wie das passiert war – bis zum heutigen Tag weigert er sich zu glauben, daß Listons Ecke die Handschuhe präpariert hat; fast ist er zu nett dazu –, und es war ihm auch egal. Wichtig war der Kampf und daß sein Schützling die nächste Runde überstand.
»Du gehst jetzt raus und läufst!«
In diesen hektischen Sekunden hatte Dundee auch noch die Black Muslims am Hals, die unterhalb der Ecke saßen. Dundees Bruder rannte zu ihm hin und sagte ihm, die Muslims seien nun überzeugt, Angelo selbst habe Clay geblendet, und zwar wegen der italienischen Gangster, die hinter Liston standen.
Pacheco und Dundee konnten die Muslims brüllen hören: »Dieser Weiße da versucht, Clay zu blenden! Das ist eine Verschwörung! Eine Verschwörung!«
Dundee glaubte, seine Unschuld nur dadurch beweisen zu können, daß er den Schwamm nahm und sich selbst Wasser in die Augen rieb.
Barney Felix bemerkte die Unruhe in Clays Ecke und setzte sich dorthin in Bewegung. Dundee wollte nicht, daß Felix Clays Klagen hörte, also stellte er sich so hin, daß er zwischen dem Ringrichter und seinem Schützling war.
Der Gong ertönte zur fünften Runde.
»Du gehst jetzt raus und läufst!« brüllte Dundee.
»Halt ihn auf Distanz, Champ!« brüllte Bundini. »Auf Distanz!«
Clay sollte also ständig herumlaufen und Liston mit seiner linken Geraden so lange von sich abhalten, bis die Lösung aus seinen Augen gewaschen war. Clay erhob sich, richtete sich auf und ging langsam los.
»Da hat sich Angelo sein Geld wirklich verdient«, sagte Pacheco. »Er sagte: ›Du gehst da raus und läufst.‹ Das war gefährlich, aber als der Gong dann ertönte, war er ja nicht völlig blind. Man braucht nicht beide Augen, um sich von Liston fernzuhalten. Man braucht eines und zwei gute Beine. Sonny hatte sein Pulver schon verschossen.«
Leicht gesagt für Pacheco. Clay ging mit brennenden Augen und wie verrückt blinzelnd in die fünfte Runde. Er konnte seinen Gegner nur in verschwommenen Konturen sehen. Liston stürmte sofort auf Clay los. So müde er auch war, wußte er doch genau, daß das nun seine Chance war. Clays einzige Hoffnung war, immer in Bewegung zu bleiben und den »Zollstock« zu benutzen – er streckte die Linke aus und versuchte, sie in Listons Gesicht zu halten, als Meßstab wie auch als Ablenkung.
»Ich hab nur gebetet, daß er nicht dahinterkam, was los war«, erzählte Clay Alex Haley. »Aber er mußte einfach sehen, daß ich blinzelte, also haute er mir eine schwere Linke an den Kopf und viele Schläge gegen den Körper.« Am Anfang der Runde attackierte Liston insbesondere Clays Körper mit großen, schweren Haken gegen Rippen und Bauch, und viele fanden ihr Ziel. »Ich hab einfach nur versucht, am Leben zu bleiben, und gehofft, daß mir die Tränen die Augen ausspülten. Ich konnte sie nur für einen kurzen Blick auf Liston aufmachen, dann tat es so weh, daß ich wieder blinzelte und sie zumachte. Liston schnaufte wie ein Pferd. Er hat versucht, mich voll zu treffen, und ich bin immer bloß in der Gegend rumgelaufen, weil ich wußte, wenn er einen richtigen landet, kann es gleich vorbei sein.«
Liston drosch auf Clay ein, und die Runde ging auch an ihn, aber er war einfach zu fertig – und Clay zu geschickt –, um den entscheidenden Treffer anzubringen. Monate später beschrieb Clay im Rückblick auf diese schmerzhafte fünfte Runde, wie es ist, von einem Schwergewichtler getroffen zu werden: »Nehmen Sie einen steifen Ast und schlagen Sie damit auf den Boden, Sie merken, wie die Hand doingg macht. Tja, und wenn man getroffen wird, fährt einem so ein Stoß durch den ganzen Körper, und man braucht wenigstens zehn oder zwanzig Sekunden, bis er weggeht. Kriegt man davor wieder einen Treffer, macht es wieder doingg … Man ist einfach taub und weiß nicht, was los ist. Man empfindet keinen Schmerz, nur dieses Stoßgefühl. Aber ich weiß automatisch, was ich tun muß, wenn mir das passiert, ganz ähnlich, wie so ein Sprinkler angeht, wenn es brennt. Wenn es mich erwischt, ist mir nicht richtig bewußt, wo ich bin oder was los ist, aber dann sag ich mir immer, ich muß tanzen, laufen, den andern klammern oder den Kopf tief halten.«
Genau das tat Clay. Er blieb immer in Bewegung, hielt Liston auf Distanz, und wenn Liston traf, schlang Clay seine langen Arme so um ihn, daß er keinen Wirkungstreffer mehr anbringen konnte. Diese Strategie funktionierte nicht lange, dazu war Liston einfach zu stark, aber sie brachte Clay die zwei, drei Minuten, die er brauchte. Eine halbe Minute vor Ende der Runde wurden Clays Augen wieder klar. Das war der entscheidende Augenblick des Kampfs, der Augenblick, in dem Liston erkannte, daß er den Zeitraum, als sein Gegner geblendet war, nicht genutzt hatte. Liston war ein Rabauke. Im Ring wie auch als Gorilla beim Mob hatte er sich immer auf seine Einschüchterung verlassen, darauf, daß die anderen kniffen. Doch Clay kniff nicht. Und wenn Rabauken, Kämpfer, die von ihren Gegnern immer nur die Kapitulation erwarten, Widerstand spüren, geben sie auf. Viele Jahre später hörte Roberto Duran, als er gegen Sugar Ray Leonard im Ring stand, mitten im Kampf auf und sagte: »No más«, statt sich weiter demütigen zu lassen.
Zur sechsten trat Clay wieder mit klarem Blick und frischem Schwung an. Er verzichtete auf seine Choreographie und machte sich, nahezu die ganze Runde flachfüßig, daran, Liston zu bearbeiten, verdoppelte seine Jabs, brachte Kombinationen, linke Haken, rechte Uppercuts im Clinch – und alle fanden ihr Ziel. Liston hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Er bezahlte nun für jeden Hotdog und Whiskey, für jeden Nachmittag mit den Prostituierten in der Collins Avenue, für jeden Lauf, den er aus Arroganz abgekürzt hatte. Er wußte nun, daß nicht einmal Betrügereien etwas brachten. Clay hatte geglaubt, es werde wohl acht Runden dauern, bis Liston so müde, so zerschlagen war, doch nun wußte er, daß er sich nicht mehr zurückzuhalten brauchte.
»Einmal«, erinnerte sich Clay, »traf ich ihn achtmal hintereinander, bis er sich vornüber krümmte. Ich weiß noch, daß ich ungefähr dachte: ›So, du alter Drecksack! Und du willst so groß und böse sein!‹ Es war aus mit ihm. Er wußte, daß er nicht mehr weiter konnte … Ich verfehlte ihn mit einer Rechten, die ihn umgehauen hätte. Aber ich hämmerte einen Jab nach dem anderen auf die Platzwunde unter seinem Auge, bis sie weit offen war und schlimmer als zuvor blutete. Ich wußte, daß es nun nicht mehr lange dauern würde.« Kurz vor Ende der Runde schoß Clay zwei linke Haken auf Listons Kopf ab, und es war ein Wunder, daß der Champion da noch nicht zu Boden ging.
»Inzwischen mußte auch dem hartnäckigsten Clay-Zweifler klar sein, daß da etwas Besonderes geschah«, sagte Robert Lipsyte. »Sonnys Gesicht sah grauenhaft aus, und er konnte der scheußlichen Geschichte, die da mit ihm ablief, nichts mehr entgegenhalten.«
Der Gong ertönte, die sechste Runde war zu Ende. Liston ging mit leerem Blick in seine Ecke.
»Jetzt reicht’s«, sagte er und setzte sich hin.
Zum ersten Mal an dem Abend verspürten Pollino und Reddish so etwas wie ein Aufbäumen. Jetzt reicht’s. Jetzt würde Sonny sich endlich in den Kampf stürzen, dachten sie. Jetzt würde er diesem Knaben zeigen, daß man nicht mit ihm spielte. Endlich war er wütend genug, um zu gewinnen. Beide Männer machten sich an die Arbeit. Liston hatte über Schmerzen in den Schultern geklagt, also massierten sie ihm die Schultern und den Rücken, sie gaben ihm Wasser und schmierten ihm Vaseline auf die Brauen. Dann setzte Pollino Liston das Mundstück ein.
Liston spuckte es wieder aus.
»Ich … hab gesagt … jetzt reicht’s!«
Da begriffen Pollino und Reddish, was Liston meinte. Er hatte aufgegeben. Sie redeten auf ihn ein, sagten, er könne den Titel doch nicht einfach so auf dem Hocker aufgeben, er müsse jetzt gegen Clay kämpfen, den Kampf an sich reißen und gewinnen. Aufgeben war undenkbar, zumal in einem Titelkampf im Schwergewicht. Liston war kein einziges Mal k. o. geschlagen worden, und jetzt wollte er aufgeben? Das letzte Mal, daß ein Schwergewichtler so abgetreten war, war am 4. Juli 1919 in Toledo gewesen, als Willard auf den Gong zur vierten Runde gegen Dempsey nicht mehr reagierte. Willard hatte aber keine Schmerzen in der Schulter und auch keine zwei Platzwunden gehabt; sein Kiefer war gebrochen, seine Rippen angeknackst, und auf der Matte lagen zwei Zähne von ihm.
Liston schien das egal zu sein. Er starrte geradeaus, durch seine Betreuer hindurch.
»Jetzt reicht’s.«
Reddish atmete tief aus und seufzte. »Tja«, sagte er, »dann vielleicht ein andermal.«
Reddish hielt die Hand hoch und winkte. Barney Felix verstand das Signal sofort.
Clay saß auf seinem Hocker und wartete auf die siebte Runde: er hörte das Stimmengewirr der Reporter, konnte Gesprächsfetzen ausmachen, daß ausgerechnet er, dieser absurde Junge, Sonny Liston verprügelte, ist das zu fassen? Clay drehte sich um, beugte sich hinab und brüllte: »Ich werde die Welt erschüttern!«
»Das vergesse ich nie, wie ihre Gesichter da zu mir hoch glotzten, als könnten sie es nicht fassen«, sagte er später zu Haley. »Als der Warnsummer ertönte, sah ich zufällig gerade zu Liston rüber, und ich konnte es nicht fassen, als er seinen Mundschutz ausspuckte. Ich konnte es einfach nicht glauben – aber da lag er. Und dann sagte mir irgend etwas, daß er nicht mehr antrat! Ich stoße einen Juchzer aus und spring von dem Hocker hoch, als wäre er rotglühend. Komisch, aber ich dachte dabei gar nicht an Liston – ich dachte an nichts anderes als an diese scheinheilige Presse. Alle, wie sie da unten saßen, hatten so viel über mich geschrieben, wie mich die großen Fäuste da bestimmt umbringen würden.«
Clay war nun aufgestanden, er hatte die Hände über den Kopf gereckt. Er wußte sogleich, was Reddishs Winken bedeutete.
»Ich bin der König!« brüllte er. »Ich bin der König! König der Welt! Nehmt das zurück! Nehmt das zurück!«
Eat your words. Nehmt das zurück.
Clays Hysterie am Morgen war künstlich gewesen, doch sein jetziger Überschwang hätte echter nicht sein können. Steve Ellis und Howard Cosell hielten ihm fürs Fernsehen bzw. Radio ihre Mikrofone unter die Nase, und Clay brüllte nonstop: »Der allmächtige Gott war mit mir! Jeder soll Zeugnis ablegen! Ich bin der Größte! Ich habe die Welt erschüttert! Ich bin das Größte, das je gelebt hat! Ich habe keine Schramme im Gesicht, und ich habe Liston erschüttert, und ich bin gerade erst zweiundzwanzig geworden. Ich muß der Größte sein! Ich hab’s der Welt gezeigt! Ich spreche täglich mit Gott! Ich bin der König der Welt!«
Red Smith von der Herald Tribune, der am Ring saß und Kolumne für Kolumne den jungen Clay angezweifelt und verspottet hatte, konnte den Hohn des neuen Champions deutlich hören. Eat your words. Nehmt das zurück. Und nachdem Smith es gehört hatte, begann er zu schreiben: »Niemand hat je ein größeres Recht dazu gehabt. In einem Mund, der noch trocken ist vor Aufregung angesichts der ungeheuerlichsten Umwälzung seit vielen wilden Jahren, schmecken die Worte nicht gut, aber immer noch besser, als sie sich lesen. Die Worte, die hier und praktisch überall geschrieben wurden, bis das Unmögliche zur unglaublichen Wahrheit wurde, besagten, daß Sonny Liston Cassius Clay wie eine Wanze zerquetschen werde …«
Smith wertete den Kampf überwältigend zugunsten Clays, er gab ihm die erste, dritte, vierte und sechste Runde. Die zweite fand er strittig, und in der fünften war Clay natürlich praktisch blind gewesen.
Andere dagegen, die Clay verunglimpft hatten, konnten sich nur schwer zu dem Eingeständnis durchringen, daß sie bei ihm falsch gelegen hatten. Dick Youngs Kolumne in der Daily News war voller Ressentiments, so als handelte es sich beim Ausgang des Kampfs um eine Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu beleidigen. »Wenn Cassius Clay von mir verlangt zu sagen, er sei der Größte, na schön, dann sage ich es«, moserte Young in seinem Artikel, »aber ich sage auch, daß er den größten Rückzugssieg errungen hat, seit die Russen Napoleon in eine Schneewehe lockten. Joe Louis habe ich nie weglaufen und siegen sehen, auch nicht Rocky Marciano, und bestimmt hat mein Vater auch nicht Jack Dempsey weglaufen und siegen sehen, und mein Großvater hat John L. Sullivan nicht weglaufen und siegen sehen. Wenn Cassius also richtig bewertet werden will, dann soll er mal lange genug stillstehen.«
Clay hatte nicht vor, für überhaupt jemanden stillzustehen. Er hüpfte im Ring herum, Bundini und Dundee neben sich. Er hörte nicht auf zu brüllen und auf die Reporter zu zeigen. Welche Ekstase! »Glühbirnen schienen hinter den großen Lagunen seiner Augen aufzuleuchten, so wie Mondschein Wasser sprenkelt«, schrieb Jimmy Cannon.
Rocky Marciano, der neben Cannon saß, schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und sagte: »Verdammt, was war das denn?« Cannon nahm den Satz als Überschrift für seine Kolumne am nächsten Tag. Cannon räumte ein, Clay habe mit einer »Würde« gekämpft, die er nie erwartet hätte, doch der Grundton seines Artikels war Enttäuschung, Verachtung. Liston hatte ihn im Stich gelassen und damit auch etwas Fremdem und Seltsamem die Tür geöffnet. Als Listons Ecke bekanntgab, er habe aufgegeben, weil seine Schulter nicht mehr hielt, nahm Cannon, wie andere auch, diese Entschuldigung nicht an: »Der alte Gauner, der Clay abschätzig als große Sprechpuppe lächerlich gemacht hatte, erklärte, er habe sich die linke Schulter in der ersten Runde eines Kampfs ausgerenkt, der selbst nach den Maßstäben dieses miesen Geschäfts als eigenartig eingestuft werden muß.«
Das Publikum in den Kinos im ganzen Land konnte einen Sieg des Underdogs akzeptieren, nicht aber den Anblick eines Champions, zu dem man als dem härtesten Mann auf dem Planeten aufblickte und der dann auf seinem Hocker sitzend aufgab. Im Gefängnis von Jefferson City, wo Liston boxen gelernt hatte, hatte der Direktor einige Fernsehgeräte aufstellen und den Kampf gegen eine Gebühr einspeisen lassen. Als die Häftlinge sahen, daß Liston seinen Titel im Sitzen aufgab, war das Hohngeschrei so laut, daß es noch außerhalb der Mauern durch die kalte Dunkelheit hallte. Zweifellos schmerzten Liston die Schultern. (»Ein so starker Mann kann gar nicht so oft ausholen und vorbeischlagen und sich nicht dabei weh tun«, sagte McKinney.) Doch indem Nilon, Pollino und die anderen Betreuer die Schulter als Entschuldigung angaben, erzählten sie eine Geschichte, die, wie sie selbst wußten, nur die halbe Wahrheit war.
Liston weinte, als Pollino ihn aus der Kabine zu einem Auto geleitete. Er trug den linken Arm in einer Schlinge, und unter dem linken Auge hatte er einen Verband. Auf dem Weg hinaus sagte Liston, die Niederlage erzeuge bei ihm dasselbe Gefühl wie damals, als Kennedy erschossen wurde, doch dann sagte er, sie sei einfach nur »eines der kleinen Dinge, die eben vorkommen können«. Untypischerweise dankte er den Reportern und fuhr davon.
»So widerlich Sonny auch war, bei einer Niederlage war er immer ein Schmusekätzchen«, erinnerte sich Robert Lipsyte.
Liston wurde ins Krankenhaus St. Francis gebracht. Mort Sharnik war der einzige Reporter, der ihn dort erreichte. »Im Krankenhaus lag Sonny Liston auf einem Tisch; er sah aus, als wäre er über Nacht zehn Jahre gealtert«, sagte Sharnik. »Er sah aus wie ein Lastwagenfahrer mittleren Alters, der gerade gegen eine Wand gefahren war. Er hatte überall Schwellungen; an den Augen, im ganzen Gesicht, am ganzen Körper. Er lag einfach nur da, und Nilon tätschelte ihm die Schulter und sagte: ›Den kriegen wir noch.‹ Während die Ärzte Liston versorgten, sagte Nilon, er wolle Sonny einen Job bei Nilon Brothers verschaffen, einer Firma, die bei Baseballspielen Hotdogs verkaufte. Sonny sah aus wie ein Lehmklumpen. Er hatte einfach überall Schwellungen.«
Dr. Alexander Robbins, der Kommissionsarzt, gab bekannt, Liston habe sich an der linken Schulter verletzt, eine Sehne sei gerissen, doch die Frage, die durch die ganze Presse lief, war, ob die Schulterverletzung kampfentscheidend war. Sie war es nicht. »Das war alles Quatsch«, gab einer von Listons noch lebenden Betreuern zu. »Wir hatten mit Clay eine Rückkampfklausel, und wenn du sagst, dein Mann hat einfach aufgegeben, wer gibt dir da noch einen Rückkampf? Wir haben uns das Ding mit der Schulter gleich dort noch ausgedacht.« Die Schulter war wohl verletzt, aber Liston hatte schon schlimmere körperliche Schmerzen ertragen; was er in Miami nicht ertragen konnte, war, noch mehr gedemütigt zu werden.
Als Liston auf seinem Klinikbett saß, sagte er zu Nilon und Sharnik mit einer leisen, rauhen Stimme, die sie kaum verstehen konnten: »Das war nicht der Mann, gegen den ich kämpfen sollte. Der Mann konnte schlagen.«
Alle schwiegen sie nun eine Weile, dann sagte Nilon: »Was machen wir jetzt mit Sonny?«
Jeder, der Liston kannte, befürchtete, daß er schon bald wieder seine schlimmsten und selbstzerstörerischsten Angewohnheiten aufnehmen würde. Alles, wofür er gearbeitet hatte, jeden Hauch von Stolz, den er sich erworben hatte, das alles war in Miami zurückgeblieben.
Am frühen Morgen, als Jimmy Cannon seine Kolumne zu Ende geschrieben hatte, ging er zurück ins Fontainebleau, wo er dem großen Leichtgewichtler Beau Jack begegnete, der als Schuhputzer im Hotel arbeitete.
»Besser, Sonny wär tot«, sagte Beau Jack zu Cannon. »Wie kann so einer noch in den Spiegel gucken, was soll der seinen Kindern und seiner Frau sagen?«
Clay nahm seine Manie, es der Presse zu zeigen, vom Ring mit ins Interviewzimmer. »… Was sagt ihr nun? Ich überstehe nicht die erste Runde? Der geht in der zweiten k. o.? Wie viele Herzinfarkte hat es gegeben? Oh, ich bin schön. Ich hab ihn böse geschlagen, und das ist sooo guut. Der Bär konnte mir nichts anhaben, hat mich nicht mal angekratzt …«
Clay schwadronierte weiter und weiter, bis er schließlich sagte, er wolle Gerechtigkeit von den Reportern, die um ihn herum versammelt waren.
»Ich zeig euch jetzt, wie groß Reporter sind«, sagte er. »Wer ist der Größte?«
Keine Antwort.
»Keine Gerechtigkeit. Ich kriege keine Gerechtigkeit. Keiner gibt mir Gerechtigkeit. Ich geb euch noch eine Chance. Wer ist der Größte?«
Eine Pause entstand. Dann murmelten ein paar Reporter: »Sie.«
Jackie Gleason, der Reporter spielte, indem er Kolumnen für die New York Post durchgab, war wahrscheinlich als einziger der Presseleute zerknirscht. In seiner Kolumne am nächsten Morgen schrieb er: »Also schlucke ich nun die Kröte, die nicht unbedingt das beste Gericht der Welt ist. Es sind weniger die 600 Dollar, die ich verloren habe (wenn ich hinter einem stehe, dann stehe ich auch dahinter), sondern vielmehr die Nebenwette … in der ich versprochen habe, für jede Runde, die Old Blabbermouth auf den Beinen war, fünf Old Overshoe zu kippen. Daher muß ich den Zustand, in dem ich mich befand, als das Ende kam, wohl nicht weiter erklären. Der gute Cassius konnte sich an mir rächen, ohne einen Finger krumm zu machen.«
Als Clay gerade die Arena verlassen wollte, sah sich Gordon Davidson, der Anwalt der Louisville Sponsoring Group, der nur gehofft hatte, sein Kämpfer werde den Kampf überleben, vor der Aufgabe, eine unerwartete Siegesfeier zu improvisieren. »Daran hatten wir überhaupt nicht gedacht«, sagte er, »und plötzlich telefonierten wir so gegen Mitternacht mit dem Roney Plaza, wo die Küche schon zu war, und versuchten, sie zu überreden, uns ein Essen und Champagner und so weiter hinzustellen. Eine Menge Leute zogen dorthin – unsere Gruppe, ein paar Reporter, Budd Schulberg, George Plimpton, Norman Mailer und andere –, doch Cassius entschied sich, nicht mitzukommen.«
Clay fuhr ins Hampton House Motel, wo er eine Weile mit Malcolm X und Jim Brown, dem großen Running Back der Cleveland Browns, zusammensaß und ein riesiges Vanilleeis verdrückte. Clay machte noch ein Nickerchen auf Malcolms Bett und ging dann nach Hause. Nun werde manches anders werden, sagte er seinen Freunden. »Ich habe den nötigen Lärm gemacht, als ich auf Wahlkampftour war«, sagte er. »Jetzt ist die Wahl gelaufen, und ich habe gewonnen. Nun lasse ich es eine Weile ruhiger angehen.«