KAPITEL 4

ENTBLÖSST

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Sonny Liston.

 

 

22. JULI 1963

Liston flog in die Wüste, um für den zweiten Kampf gegen Patterson zu trainieren. Der Kampf war ursprünglich in Florida angesetzt gewesen, wurde dann aber nach Las Vegas verlegt, da Liston eine Zerrung im Knie auskurieren mußte, die er sich beim Golfspielen zugezogen hatte. Zu der Zeit war Las Vegas noch eine »Essen-Sie-soviel-Roastbeef-wie-Sie-wollen«-Stadt: es gab noch kein Spago, keine Pyramiden, keine Sphinx, keine Freiheitsstatue oder Brooklyn Bridge. Es gab noch keine »Schlemmerhallen«, keinen Kinderservice. An Hotels gab es das Dunes, das Tropicana, das Hilton, das Desert Inn, das Stardust und das Thunderbird. Wer lebte da schon außer den Bardamen und Tellerwäschern, den Mobtypen und den Iguanas? Genau deswegen, weil es dort so leer war, sahen die Promoter dort Chancen. Das Fernsehen machte die ganzen kleinen Arenen kaputt: die Laurel Gardens und die Meadowbrook Bowl in Newark, St. Nick’s, Eastern Parkway und Sunnyside Gardens in New York. Einem Gesetz zufolge durfte jedoch in der Stadt, in der der Kampf stattfand, dieser nur dann ausgestrahlt werden, wenn die Arena auch garantiert ausverkauft war. Den Sendern lag nicht allzu viel daran, auf einen Markt wie Chicago oder New York zu verzichten. Und wenn man den Kampf in Las Vegas stattfinden ließ, auf wen verzichtete man da? Auf die Gürteltiere? Als Gegenleistung für kostenlose Publicity stellten die Kasinos nur zu gern ermäßigte Zimmer, Trainingseinrichtungen und eine Behelfsarena auf einem sonnendurchglühten Parkplatz bereit. Las Vegas war ein gutes Geschäft.

Listons neuester Manager Jack Nilon (zuvor im Lebensmittelkonzessionsgeschäft in Philadelphia) wollte, daß sein Kämpfer in der Abgeschiedenheit trainierte, vielleicht in einem stillen Wüstencamp weit außerhalb der Stadt. Liston wollte davon nichts wissen. Sollte es einmal eine Zeit gegeben haben, als er ein vorbildlicher Champion werden wollte, ein artiger und gebildeter Gentleman wie Joe Louis oder Floyd Patterson, so hatte er sie überwunden. In Las Vegas lernte Liston einen Spieler und schlimmen Finger namens Irving »Ash« Resnik kennen, der »Sportdirektor« des Thunderbird war. Resnik war in Brooklyn aufgewachsen und ein Basketballstar gewesen. Allerdings ein Basketballstar, der Freiwürfe trainierte, die daneben gingen, sollte je die Notwendigkeit entstehen, einen Punkt nicht zu machen. Einem seiner engsten Freunde zufolge ging Resnik vor allem deswegen nach Las Vegas, weil er Albert Anastasia über 7000 Dollar schuldete und es mit der Rückzahlung nicht sehr eilig hatte. Die Schuld war inzwischen so alt, daß Anastasia ihm einen Killer auf den Hals gehetzt hatte. Er war erst gerettet, als ein Freund aus dem Fleischgeschäft, Milton Berke, den Schuldschein beglich und ein anderer Freund, Charlie »the Blade« White, ein Teilhaber des Capri in Havanna, ihm Jobs in Las Vegas besorgte – erst im El Rancho, später im Thunderbird. Die Kasinos waren damals allesamt vom Mob kontrolliert.

Resnik war ein Riese, über einhundertzehn Kilo schwer, und wenn er am Würfeltisch verlor, schmiß er schon mal gern den Tisch um. »Ach, Ash war ein toller Typ, aber eben ein bißchen launisch«, sagte mir Lem Banker, ein Freund und ein bekannter Handikapper aus Las Vegas. Wegen der Publicity und aus Egogründen wollte Resnik, daß Liston im Thunderbird wohnte und trainierte, und so machte er sich daran, es ihm schmackhaft zu machen. Bei einem seiner ersten Treffen mit Liston sorgte Resnik dafür, daß einer seiner Lakaien kam, sie unterbrach und sagte, sein Schneider sei in seiner Suite und erwarte ihn.

»Ach, das hab ich ja ganz vergessen«, sagte Resnik zu Liston. »Sonny, möchtest du mitkommen? Ich muß mir ein paar Anzüge anpassen lassen. Wir können uns ja dort weiterunterhalten.«

Als sie in dem Zimmer waren, forderte Resnik Liston auf, sich das Musterbuch anzusehen, die Kaschmir- und Seidenstoffe zu befühlen und sich selbst einen Stoff auszusuchen.

»Nur zu«, sagte Resnik. »Laß dir auch ein paar Anzüge machen. Die gehen auf mich.«

Inzwischen hatte Liston so die Nase voll davon, wie man ihn in Philadelphia und bei der Presse behandelte, daß er einwilligte. Er fand, daß ihm das als Weltmeister zustand.

Als Resnik und Liston mit dem Schneider fertig waren, gingen sie wieder ins Kasino, wo Geraldine Freudenschreie ausstieß und Luftsprünge vollführte.

»Charles! Charles! Du glaubst nicht, was passiert ist! Ich hab den Jackpot erwischt! Zwei Jackpots!«

Einer von Resniks Lakaien stand dabei und lächelte wissend.

Liston verstand, was da ablief, aber wer sonst machte ihm schon Angebote? Als Nilon darauf beharrte, daß sie in die Wüste gingen und in asketischer Abgeschiedenheit trainierten, fuhr Liston ihm über den Mund.

»Halt die Klappe«, sagte er zu Nilon. »Wir bleiben hier.«

Und so kam es, daß Liston Ash Resniks Gastfreundschaft annahm. Nachdem er Patterson das letzte Mal in zwei Minuten und sechs Sekunden abgefertigt hatte, machte er sich um das Training für den Revanchekampf keine weiteren Gedanken. Er zog sein übliches Ritual durch – Seilspringen zum Klang von »Night Train«, gegen Bretterbirne und Sandsack schlagen –, doch er sparrte wenig und auch nicht sehr hart. Wenn sich ein Boxer für jeden Kampf voll austrainiert, hält er nicht lange durch, und obwohl Liston seinen Titel noch nicht verteidigt hatte, war er gewillt, es sich gutgehen zu lassen. Liston aß im wesentlichen immer das gleiche zu Abend: Krabbencocktail, mindestens ein großes Steak, Ofenkartoffel und Käsekuchen. Liston liebte Käsekuchen.

Es würde nicht leicht sein, das Interesse an dem Rückkampf zu wecken. Jerry Izenberg, ein bedächtiger Kolumnist vom Newarker Star-Ledger, entwickelte ein ungewöhnliches Vertrauensverhältnis zu Liston und wagte es daher, ihm die Frage zu stellen, die allen Reportern auf der Seele brannte.

»Der Mann hat Sie im ersten Kampf ja gar nicht getroffen«, sagte Izenberg. »Kann der Kampf jetzt denn besser werden?«

Liston machte eine lange Pause, ein Gesprächstick von ihm, und sagte dann sehr deutlich: »Wer für diesen Kampf Eintritt bezahlt, ist dumm. Dieser Kampf wird noch schlechter als der erste.«

Je mehr Liston mit Resnik zusammensteckte, desto weniger schien er geneigt, die Vorsätze, die er gegenüber der Presse und im Flugzeug von Chicago nach Philadelphia geäußert hatte, in die Tat umzusetzen. Gegenüber der Presse wurde er sogar noch gereizter, und die Hilfskräfte behandelte er wie Dreck. Robert H. Boyle, ein Reporter von Sports Illustrated, der über den Kampf berichten sollte, schrieb: »Liston trägt den Titel jetzt seit beinahe einem Jahr, und in dieser Zeit ist er unerträglich geworden. Alle Beleidigungen, die er je einstecken mußte, zahlt er jetzt zurück. Gutes Benehmen betrachtet er als Zeichen von Schwäche, wenn nicht gar Feigheit, und Geschenke und Gefälligkeiten nimmt er so gut gelaunt entgegen wie ein Sultan, der seinen Tribut einfordert. Die meiste Zeit ist er verdrießlich. Ein verächtliches Grunzen gilt als Redebeitrag. Fast jedem gegenüber verhält er sich so. Natürlich kann er der Presse zu Recht vorwerfen, daß er wegen seiner Vergangenheit unfair behandelt wurde. Was jedoch zählt, ist sein Verhalten gegenüber Schuhputzern, Gepäckträgern, Zimmermädchen, Kellnerinnen. Da er ja selbst einmal ein Nichts war, sollte man meinen, daß er weiß, wie man sich da fühlt. Dennoch zeigt er auch in seinem öffentlichen Leben die schikanöse und überhebliche Art, mit der er seine Gegner im Ring einzuschüchtern pflegt.« Der Reporter zitierte einen ungenannten Hilfskellner aus dem Thunderbird Hotel: »Sonny Liston ist einfach zu mies, um unter anständige Menschen gelassen zu werden. Man sollte ihn nach Afrika zurückverfrachten. Nein, lieber nach Mississippi.«

Nicht einmal den Konventionen der alten Boxwelt wollte er sich fügen. An einem Abend in New York, als Liston im Toots Shor’s gerade ein Steak verzehrte, kam der Publicity-Mann Harold Conrad in Begleitung Shors an den Tisch des Champions. Jahrzehntelang hatte Shor alle bedeutenden Kolumnisten und Sportler bewirtet: Jimmy Cannon und Joe DiMaggio, Earl Wilson und Joe Louis waren allesamt gute Freunde von ihm. Zudem hatte Shor, bevor er sein eigenes Geschäft aufmachte, in einer Schummerkneipe namens Five O’Clock Club angefangen, die den Mobstern Owney Madden und George »Big Frenchy« LaMange gehörte. Er und Liston hatten also wahrlich ein paar gemeinsame Interessen. Und dennoch fand Liston nicht die Zeit, von seinem Steak aufzublicken.

»Ich geb keinem die Hand, wenn ich beim Essen bin«, sagte Liston.

Shor stapfte wütend davon. Der Besitzer von Mekka war von einem unverschämten Pilger abgewiesen worden. Shor sagte zu Harold Conrad: »Bringen Sie mir diese Nulpe ja nicht noch mal her.«

 

Ein paar Tage vor dem Kampf flog Cassius Clay mit seinem Trainer Angelo Dundee nach Las Vegas. Es ist üblich, daß ehemalige Champions und neue Herausforderer einem Titelkampf beiwohnen. Clay jedoch kam nicht um der Tradition willen, sondern in dem Geist, in dem Jack Johnson Tommy Burns nach Australien folgte. Johnson wollte den zögernden Champion in Verlegenheit bringen, ihn so beschämen, daß er sich zum Kampf stellte. Clay wollte Liston verspotten, sich als den Herausforderer Nummer eins verkaufen, auch wenn ein Großteil des Pressecorps ihn noch immer für wenig mehr als einen Schreihals mit einem leichten Punch hielt.

Eines Nachmittags stand Listons Freund Jack McKinney mit einem der Sparringspartner des Champions, Leotis Martin, im Ring. Liston stand an der Ringverkleidung und sah McKinney zu, als Clay hereinkam.

»Hey, Sonny«, brüllte er über den Ring, »du könntest ja nicht mal McKinney schlagen!«

»Das ist Liston ganz schön an die Nieren gegangen«, erinnerte sich McKinney. »Alle haben sich schlapp gelacht, und das hat Sonny überhaupt nicht gefallen. Er fand es nicht besonders lustig.«

Ein paar Abende später war Liston in einem der Kasinos beim Würfeln. Clay war auch da; er entdeckte ihn und ging sogleich quer durch den Raum zu dem Tisch. Liston war vierhundert Dollar in den Miesen. Clay erfreute sich an Listons Kummer.

»Nun seht euch diesen großen häßlichen Bären an, der kann ja nicht mal würfeln«, verkündete Clay allen, die es hören wollten.

Liston machte ein finsteres Gesicht. Er warf die Würfel erneut. Wieder nichts.

»Seht euch diesen großen häßlichen Bären an! Nichts kann er richtig.«

Liston schmiß seine Würfel hin und ging zu Clay.

»Hör mal, du Niggerschwuchtel«, sagte er. »Wenn du nicht in zehn Sekunden draußen bist, reiß ich dir deine dicke Zunge raus und schieb sie dir in den Arsch.«

Einige Zeit später sah Liston, daß Clay noch immer im Kasino war.

»Jetzt paß mal auf«, sagte Liston zu seinem Freund McKinney.

Der Champion ging zu Clay und verpaßte ihm eine schallende Ohrfeige, was diesem weniger weh tat als ihn verblüffte.

Clay riß die Augen auf.

»Warum hast du das gemacht?« Clay glaubte, es sei ein großes Spiel gewesen, eine Scharade, ein Reklamegag, um den Vorverkauf anzukurbeln. Aber nicht für Liston.

»Warum?« sagte Liston. »Weil du mir zu frech bist.« Und beim Weggehen sagte er: »Dem sein Herz hab ich.« Und das stimmte auch. Clay gab es Dundee und seinen Freunden gegenüber zu. Er hatte Angst gehabt.

Es war eine Gefängnissituation, jedenfalls für einen Sträfling, eine Situation, in der man nicht kneift, dafür tut es der andere, und damit hat er verloren und ist der Feigling und der Sklave und man hat sein Herz, sein alles, und alles gehört einem, für alle Zeit. Das glaubte Liston.

 

Die Szene im Kasino war für den Champion zweifellos schwieriger als der zweite Kampf mit Patterson. Liston verbrachte die erste halbe Minute des Kampfs damit, herauszufinden, ob Patterson etwas Neues zu bieten hatte. In Anbetracht seines Trainings und seiner langen vacances au soleil wollte er nicht länger warten, und nachdem er sich von der mangelnden Inspiration des Herausforderers überzeugt hatte, fegte er ihn mit einem fürchterlichen Uppercut an den Kiefer und einer rechten Geraden zu Boden.

In einem ruhigeren Augenblick theoretisierte Liston über die Macht seines Punchs und den Schaden, den er anrichten konnte. Er hatte ein Bild von der empfindlichen menschlichen Physiognomie im Kopf, deren Gleichgewicht und wie sie durch die Wucht der Faust für immer verändert werden kann. »Siehst du, die verschiedenen Teile des Gehirns sitzen so in kleinen Bechern. Wenn du einen schlimmen Treffer kriegst, flutscht das Gehirn aus den Bechern – plopp! –, und du bist k. o. Dann geht das Gehirn wieder in die Becher zurück, und du kommst zu dir. Wenn das aber oft genug passiert, manchmal aber auch schon bei einem Mal, wenn der Schlag hart genug ist, geht das Gehirn nicht wieder richtig in die Becher zurück, und dann braucht man andere Leute, die einem durchs Leben helfen.«

Nach der Leere in Pattersons Augen zu urteilen, war sein Gehirn aus den Bechern geflutscht und erst wieder bei neun zurückgegangen. Er kam auf die Beine und war dem schnellsten Exitus in der Geschichte der Titelkämpfe im Schwergewicht gerade noch entronnen.

Eine gute Minute später deckte Liston ihn mit einem Sperrfeuer ein, unter dem Patterson zusammenbrach und reglos liegenblieb. Liston hatte völlig richtig kalkuliert. Er hatte überhaupt nicht viel trainieren müssen. Der Kampf dauerte vier Sekunden länger als der erste, wobei fairerweise gesagt werden muß, daß sein Gegner in dieser Zeit zweimal nach Niederschlägen bis acht angezählt wurde. Patterson war diesmal mit dem festen Entschluß, auf seine Trainer zu hören, in den Ring gegangen, also zu boxen, warm zu werden, Listons Ausdauer zu testen – und wieder hatte er dann alles vergessen.

»Es war genauso wie beim letzten Mal«, sagte Cus D’Amato. »Wir hätten ihm in der Ecke zwischen den Runden was gesagt, um ihn zu korrigieren, doch der Kerl hat ihn k. o. geschlagen, bevor wir überhaupt die Chance dazu hatten.«

»Bis zu dem Treffer hab ich mich gut gefühlt«, sagte Patterson. Aber als er dann den letzten Treffer erhielt, verlor er vorübergehend die Fähigkeit, die Phantasie von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Irgendwie gaukelte ihm das Gefühl, ausgeknockt zu sein, vor, daß jeder in der Arena bei ihm im Ring war, wie eine Familie um ihn herumstand. »Du empfindest allen gegenüber eine große Zuneigung«, sagte er zu Talese. »Und du willst sie alle küssen – die Männer und die Frauen …« Nachdem er wieder zu sich gekommen und in die Kabine gegangen war, sagte Patterson, er boxe gern, und da er ja erst achtundzwanzig sei, fange er nun »bei Null wieder an, ganz von vorn«. Es sei sinnlos, Liston in nächster Zeit wieder herauszufordern. Wer würde dafür bezahlen wollen, sich einen dritten Kampf Patterson gegen Liston anzusehen?

Patterson ließ das Ritual der Niederlage über sich ergehen: die Umarmungen von Familie und Freunden, die Pressekonferenz. Doch er beabsichtigte nicht, noch sehr lange zu bleiben. Nach seiner ersten Niederlage gegen Liston hatte Patterson fliegen gelernt und sich eine kleine Cessna gekauft. Er fuhr zum Flughafen in der Hoffnung, bald zu Hause zu sein. Doch kaum waren Patterson und sein Kopilot Ted Hanson, der zuvor Schädlingsbekämpfungseinsätze geflogen war, über der Wüste von Nevada aufgestiegen, zeigten die Instrumente an, daß die Maschine überhitzte; ihr Gepäck war zu schwer. Sie flogen zum Flughafen von Las Vegas zurück, und während sich Hanson nach einem Flugzeug umsah, das sie mieten konnten, versteckte sich Patterson vor den Boxfans, die auf ihre Maschine warteten. Sein falscher Bart war irgendwo in seinem Gepäck vergraben. Statt dessen versteckte er sich im Dunkeln, wie früher als Kind in den Gassen von Bed-Stuy, in dem Schuppen in der U-Bahnstation High Street.

Auf dem langen Rückflug nach New York (mit Zwischenlandungen in New Mexico und Ohio) versuchte Patterson, sich aufs Fliegen zu konzentrieren, doch immer wieder mußte Hanson ihn aus seinen Träumereien reißen. Patterson dachte: ›Wie konnte das gleiche zweimal passieren? … Wie? … Hab ich die Leute die ganzen Jahre zum Narren gehalten? … War ich denn je ein Champion?‹ Und er erinnerte sich, wie er sich nach dem Kampf ein paar Minuten im Badezimmer eingeschlossen hatte und die Presse gegen die Tür hämmerte und die Betreuer gegen die Tür hämmerten und brüllten: »Komm raus, Floyd, komm raus«, und er nur denken konnte: ›Was ist da passiert?‹ Die ganzen Monate nur laufen, getrennt von den Kindern leben, die ganzen Kämpfe im Boxraum, die Angst, der Schmerz, und dann ist es ruckzuck vorbei.

»Was ist da passiert?«

 

Der denkwürdigste Auftritt des Abends geschah vor dem Kampf und unmittelbar danach. Patterson war zerstört, und Liston hatte einen Auftritt abgeliefert wie ein Erwachsener, der einen Hund prügelt – überzeugend, aber nicht sehr schön anzusehen.

Vor dem ersten Gong, als die verschiedenen Kämpfer der Vergangenheit und Zukunft auf eine Verbeugung in den Ring heraufgebeten wurden, das alte Ritual, sprang Clay, angetan mit einem hochmodisch karierten Jackett, in den Ring. Er schüttelte Patterson einigermaßen ehrfürchtig die Hand, doch als er in Listons Ecke kam, riß er in gespieltem Entsetzen die Hände hoch. Falls er es nach dem Vorfall im Kasino mit der Angst zu tun bekommen hatte, sorgte er nun dafür, daß alle sahen, daß er sich nicht mehr fürchtete: Seine Augen waren zu groß, als daß sein Entsetzen etwas anderes als ein Gag gewesen wäre. Liston starrte ihn an. Patterson lachte, als hätte er gerade Chaplin auf einer Bananenschale ausrutschen sehen.

Patterson war kaum wieder auf den Beinen, als Clay schon wieder in den Ring gesprungen kam. Er stürzte sich auf die Fernsehmikrofone, auf das Radiomikro, das von Howard Cosell gehalten wurde.

»Der Kampf war eine Schande!« brüllte Clay. »Liston ist ein Tramp! Ich bin der Champ! Ich will diesen großen häßlichen Bären!«

Clay wollte in Listons Ecke stürmen, doch drei Polizeibeamte hielten ihn zurück.

»I’ll whup him in eight! Don’t make me wait! I’ll whup him in eight!« (»Ich mach ihn fertig in der achten! Ich will nicht warten!«) schrie er und hielt acht Finger in die Luft.

Clay war mit Requisiten zum Kampf gekommen. Er zog eine falsche Zeitung hervor, auf der in riesigen Lettern die Schlagzeile stand: »Clay Has a Very Big Lip That Sonny Will Sure Zip.« (»Clay hat ein sehr großes Maul, das Sonny bestimmt stopfen wird.«) Sonny Liston sah mit schmalen Augen zu ihm hin. Er stupste seinen Trainer, Willie Reddish, an und sagte: »Ist das zu fassen? Der kommt als nächster dran.« Als ein Reporter Liston später fragte, wie lange er brauchen werde, um Clay zu schlagen, sagte er: »Zwei Runden – eineinhalb, um ihn zu fangen, und eine halbe, um ihn zu versohlen.«