KAPITEL 8

HYPE

 

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Miami, 1963.

 

 

 

Der Promoter des Kampfs Liston gegen Clay war William B. MacDonald, ein ehemaliger Busschaffner, der es zu einem so großen Vermögen gebracht hatte, daß er nun in zwei Rolls-Royce und einer Achtzehnmeteryacht namens Snoozie herumgondelte. MacDonald wurde 1908 in Butte geboren und behauptete, von Generationen von Schafdieben abzustammen. Da es in Butte nur wenige Schafe zu stehlen gab, kam er nach Miami, wo er sein Geld mit Parkplatzvermietungen machte, dann mit Wäschereien und chemischen Reinigungen, dann im Restaurantmanagement, im Speditionsgewerbe, mit Wohnwagen und einer Hypothekenfirma mit Sitz in San Juan. Er heiratete eine Polin namens Victoria und kaufte sich einfach zum Spaß ein Gestüt in Delray Beach sowie eine D-klassige Baseballmannschaft namens Tampa Tarpons. MacDonald verschenkte goldene Manschettenknöpfe wie McNuggets. Er lebte in einem eine Viertelmillion Dollar teuren Haus in Bal Harbour und hielt sich einen Assistenten namens Sugar Vallone, ehedem im Barkeepergewerbe. Seine Großzügigkeit als Vater war ohnegleichen. Er baute seiner Tochter ein Baumhaus mit Vorhängen und einem Teppichboden, der zum Haupthaus paßte, und zu ihrem achten Geburtstag stellte er ihr eine Musikbox in den Baum. Bill MacDonald ließ es sich gutgehen. Er paffte seine Zigarren und aß seine Steaks. Er spielte Golf und schmückte seine Wände mit den zahlreichen Marlins, die er aus dem Atlantik gezogen hatte. Wenn er auf dem Golfplatz in seiner Karre herumfuhr, hielt er in der Linken eine Dose Coke und in der Rechten eine Limonade und lenkte mit Unterarmen und Bauch. Er war sehr dick.

MacDonald hatte im Boxgeschäft bislang immer gute Erfahrungen gemacht. Als Promoter des dritten Kampfs Patterson gegen Johansson hatte er etwas Geld verdient, wenn auch nicht viel. Als er sich das erste Mal mit Chris Dundee über einen Titelkampf Liston gegen Clay unterhielt, schien die Sache ohne Verluste aufzugehen. Es lag Geld drin, wenn man die ganzen Touristen, bei denen das Geld locker saß, und überhaupt die vielen Besucher in Miami im Februar einkalkulierte. Wie konnte das floppen? Liston war schon die furchterregendste Gestalt im Boxen seit Louis und Marciano, und mit Clay und seinem losen Mundwerk ließen sich so viele Eintrittskarten verkaufen, wie die Brandvorschriften in Miami zuließen. Kein Verlust. Und so setzte MacDonald, der 800000 Dollar in den Kampf investiert hatte, das teuerste Ticket fröhlich auf nie dagewesene 250 Dollar an.

MacDonald sah einen großen Abend vor sich, am Ring die ganzen Filmleute und die üblichen Ganoven mit den dicken Dollarbündeln. Er wollte die ganz Großen ganz vorn haben. »Zum Beispiel ruft mich einer an, will einen Hundert-Dollar-Platz für Andy Williams kaufen«, sagte er einem Reporter der Sports Illustrated. »Ich sag ihm, Andy Williams gehört nach vorn zu den Großen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er hinten bei den Kleinen sitzt. Der gehört doch zu den Rädern, nicht zu den Radkappen.«

Obwohl MacDonald nicht eben viel vom Boxen verstand, war er doch so clever, den Journalisten zu sagen, ihm sei die Möglichkeit einer Überraschung bei dem Kampf doch intensiv bewußt. »Ich schätze mal, daß Clay gewinnt«, sagte er. »Wenn er auf Distanz bleibt, wenn er jabbt und läuft, holt er den Titel, aber der junge Spritzer ist ja so egoistisch – der wird noch hysterisch –, der glaubt, er kann Liston die Nase krumm schlagen. Wird wahrscheinlich eklig anzusehen sein, aber wenn Clay bis zur siebten oder achten durchhält, gewinnt er wahrscheinlich.« Man konnte den Hintersinn, wenn nicht gar die Spitzfindigkeit von MacDonalds Manöver verstehen. Man verkauft keine Karten, wenn David von vornherein gegen Goliath nicht zum Schuß kommt.

MacDonald ging nicht davon aus, daß Liston sich vor dem Kampf auf einen Verbalkrieg mit Clay einlassen würde. Liston hatte sich so sehr daran gewöhnt, sich als den unüberwindlichen Champion, als den Favoriten mit einer Quote von mindestens sieben zu eins bezeichnet zu hören, daß er im Surfside Civic Auditorium in North Miami Beach mit seiner üblichen nüchternen Selbstgefälligkeit trainierte. Anders als Clay in seiner ziemlich heruntergekommenen Umgebung im Fifth Street Gym, sparrte Liston klimatisiert. Ein Ansager intonierte die nächste Station auf dem Kreuzweg – »Der Champion am Sandsack« –, worauf Liston ein Weilchen dagegenschlug. Dann eilten seine Betreuer, allen voran Willie Reddish, hinzu und trockneten ihn ab, als wäre er Kleopatra. Reddish rammte ihm ein dutzendmal einen Medizinball in den Bauch, danach machte er Seilhüpfen zu »Night Train«, wie er es schon in der Ed Sullivan Show gezeigt hatte.

»Beachten Sie, daß der Champion den Boden nie mit den Fersen berührt«, verkündete der Conferencier. »Er macht alles mit den Zehen.«

Liston trainierte, wie Liberace Klavier spielte; es war eine gruselige Darstellung eines Boxers bei der Arbeit. Wenn Liston Clay überhaupt ernst nahm, war das kaum zu sehen. Er ließ sich nicht einmal dazu herab, so zu tun, als haßte er seinen Herausforderer. »Ich hasse Cassius Clay nicht«, sagte er. »Ich liebe ihn so sehr, daß ich ihm zweiundzwanzigeinhalb Prozent der Einnahmen abgebe. Clay bedeutet mir sehr viel. Er ist mein Baby, mein Millionen-Dollar-Baby. Ich hoffe, er bleibt gesund, und vor allem hoffe ich, er kommt.« Listons einzige gesundheitliche Sorge galt, wie er einräumte, dem Schicksal seiner gerühmten linken Faust: »Die fährt ihm so weit den Hals hinab, daß ich eine Woche brauche, um sie wieder rauszuziehen.«

Die Kolumnisten mochten Liston nicht besonders gern gehabt haben, doch als Kämpfer respektierten sie ihn. Sie gingen davon aus, daß er Clay klar besiegte. Lester Bromberg vom New York World-Telegram meinte, der Kampf werde »dem Schema« der beiden Kämpfe Listons gegen Patterson folgen, der einzige Unterschied werde der sein, daß dieser länger dauern werde: »Er wird fast die ganze erste Runde dauern.« Nahezu sämtliche Kolumnisten waren mittleren Alters, sie waren mit Joe Louis aufgewachsen, und sie mochten Clay eher noch weniger als Liston. Jim Murray von der Los Angeles Times prophezeite, der Kampf Liston gegen Clay werde »der populärste seit Hitler gegen Stalin – 180 Millionen Amerikaner halten die Daumen für einen doppelten K. o. Das einzige, worin Clay Liston schlagen kann, ist im Wörterbuchlesen … Seine öffentlichen Äußerungen haben die Bescheidenheit eines deutschen Ultimatums an Polen, seine öffentlichen Leistungen ähneln jedoch eher Mussolinis Marine.«

Im Fifth Street Gym verwandte Clay natürlich beträchtliche Energie auf seine Pressekonferenzen nach dem Training. Tag um Tag beschrieb er, wie er die ersten fünf Runden damit verbringen werde, »den großen häßlichen Bären« zu umkreisen, ihn müde zu machen und ihn dann mit Haken und Uppercuts auseinanderzunehmen, bis Liston schließlich auf allen vieren niedersinke und aufgebe. »Ich schick den großen häßlichen Bären auf die Bretter, und nach dem Kampf bau ich mir ein hübsches Haus und nehm ihn als Bärenfell. Liston riecht sogar wie ein Bär. Wenn ich ihn verhauen hab, spende ich ihn dem Zoo hier. Die Leute denken, ich mache Witze. Aber ich mache keine Witze. Ich mein’s ernst. Das wird der leichteste Kampf meines Lebens.« Den Gastreportern sagte er, sie hätten jetzt die Chance, »auf den Zug aufzuspringen«. Er merke sich die Namen, sagte er, bleibe den Neinsagern auf der Spur, und wenn er gesiegt habe, »veranstalte ich eine kleine Feier, und da wird dann einiges zurückgenommen«. Tag um Tag wiederholte er seine Hommage an Gorgeous George, wenn er beschrieb, was er tun würde, falls Liston gewönne: »Sagen Sie das Ihrer Kamera, Ihrer Zeitung, Ihrem Fernsehmann, Ihrem Radiomann, sagen Sie das der Welt: Wenn Sonny Liston mich verhaut, dann küsse ich ihm im Ring die Füße, krieche auf den Knien aus dem Ring, sage ihm, daß er der Größte ist, und düse mit der nächsten Maschine aus dem Land.« Das spektakulärste aber war das Gedicht, gewiß sein bestes, das er aus diesem Anlaß geschrieben hatte. Im Lauf der Jahre ließ Clay einige seiner lyrischen Werke von andern anfertigen. »Wir haben alle hier und da schon mal ein paar Zeilen geschrieben«, sagte Dundee. Dieses aber stammte ausschließlich von Clay. Vorgeblich war es eine prophetische Vision der achten Runde, und kein Gedicht vorher oder nachher übertraf es an poetischem Schwung, an präziserem Metrum und Witz. Es war sein »Lied über mich«:

Clay comes out to meet Liston

And Liston starts to retreat

If Liston goes back any further

He’ll end up in a ringside seat.

Clay swings with a left,

Clay swings with a right,

Look at young Cassius

Carry the fight.

Liston keeps backing

But there’s not enough room

It’s a matter of time.

There, Clay lowers the boom.

Now Clay swings with a right,

What a beautiful swing,

And the punch raises the bear,

Clear out of the ring.

Liston ist still rising

And the ref wears a frown,

For he can’t start counting,

Till Sonny comes down.

Now Liston disappears from view.

The crowd ist getting frantic,

But our radar stations have picked him up.

He’s somewhere over the Atlantic.

Who would have thouht

When they came to the fight

That they’d witness the launching

Of a human satellite?

Yes, the crowd did not dream

When they laid down their money

That they would see

A total eclipse of the Sonny!

I am the greatest!

(»Clay tritt an gegen Liston, / Und Liston weicht zurück. / Liston landet noch unten im Publikum, / Geht er zurück nur ein Stück. / Clay schlägt mit links, / Clay schlägt mit rechts, / Seht nur, wie der junge Cassius / Ist Herr des Gefechts. / Liston auf dem Rückzug, / Doch es ist nicht genug Platz, / Es ist eine Frage der Zeit. / Da, Clay geht auf Hatz. / Jetzt schwingt Clay die Rechte, / Wie schön sie doch schwingt, / Und der Punch hebt den Bären / Ganz hinaus aus dem Ring. / Liston steigt immer weiter / Der Ringrichter ist ganz beklommen, / Denn er kann ja erst zählen, / Wenn Liston ist heruntergekommen. / Schon ist Liston nicht mehr zu sehen: / Die Menge wogt hin und her, / Doch unser Radar hat ihn erfaßt. / Er ist schon weit überm Meer. / Wer hätte geglaubt, / Als zum Kampf sie schritten, / Daß er erlebte den Start / Eines menschlichen Satelliten? / Ja, keiner hätt’ sich’s erträumt / Vor dem Kampf ganz gewiß, / Daß er Zeuge würde / Einer totalen Sonnyfinsternis! / Ich bin der Größte!«)

Nahezu alle Schreiber betrachteten Clays Schwulst, gereimt oder nicht, als die Phantastereien eines Wahnsinnigen. Doch Clay hatte nicht nur ein Gefühl dafür, wie er die Notizblöcke der Reporter und damit auch dem Promoter die Arena füllen konnte, er konnte auch sich selbst einschätzen. Die Wahrheit (und es war eine Wahrheit, die fast niemand sonst kannte) war, daß Clay bei all seinen Fähigkeiten, bei all seiner Schnelligkeit und Raffinesse wußte, daß Liston ein Gegner war, wie er noch keinen gehabt hatte. Mit Liston trat er gegen einen Mann an, der seine Gegner nicht einfach nur schlug, sondern ihnen weh tat, sie beschädigte, sie mit demütigend schnellen Knockouts beschämte. Liston konnte einen mit seiner Geraden weghauen; mit Tänzeln hatte er nicht viel im Sinn, aber auch Joe Louis hatte das nicht. Liston war der Prototyp des idealen Schwergewichtlers: Er warf eine erbarmungslose Bombe nach der anderen. Wenn er jemanden in den Solarplexus schlug, schien sein Handschuh bis zum Anschlag zu verschwinden; er war zu mächtig, um zu klammern und zu clinchen; ihn warf nichts um. Clay war zu klug und hatte zu viele Filme gesehen, um das nicht zu wissen. »Deshalb wußte ich immer, daß Clays Prahlereien eine Art waren, sich selbst zu überzeugen, daß er das, was er tun wollte, auch konnte«, sagte mir Floyd Patterson Jahre später. »Sein Geprahle hat mir nie gefallen. Es dauerte lange, bis ich begriff, mit wem Clay da sprach. Clay sprach mit Clay.«

Sehr wenige wußten, wie wahr das war und wie sehr Clay Liston fürchtete. Eines Abends, kurz vor der Unterzeichnung der Kampfverträge, besuchte er die Redaktion von Sports Illustrated im zwanzigsten Stock des Time-Life-Hauses in Manhattan. Es war halb acht, und Clay stand am Fenster und blickte nachdenklich auf die funkelnden Lichter auf der Sixth Avenue und noch weiter hinab. Er schwieg lange.

Schließlich sagte der Redakteur Mort Sharnik: »Cassius, alles, was Sie da über Liston sagen, meinen Sie das wirklich? Glauben Sie wirklich, Sie können ihn schlagen?«

»Ich bin Christoph Kolumbus«, sagte er langsam. »Ich glaube, ich gewinne. Ich war noch nie im Ring mit ihm, aber ich glaube, die Welt ist rund, und alle anderen glauben, die Welt ist flach. Vielleicht falle ich ja am Horizont von der Welt, aber ich glaube, die Welt ist rund.«

Clay hatte Zweifel, doch er nutzte diese Zweifel wie ein Träger des schwarzen Gürtels im Judo das Gewicht eines Angreifers. Wochen vor dem Kampf trat er an Listons Manager Jack Nilon heran und sagte: »Hören Sie, ich hab das Maul aufgerissen, um diesen Kampf zu einem Erfolg zu machen. Mein Tag der Abrechnung steht bald an. Wenn das Schlimmste passiert, möchte ich schnell raus da. Ich möchte meinen Bus mit Proviant volladen und schnell verschwinden.« Dann bat er Jack Nilon um 10000 Dollar für den Proviant.

»Keiner blickte bei dem Jungen durch«, sagte Sharnik. »Man wußte einfach nicht, ob er der verrückteste Junge war, den es gab, oder der schlaueste.«

 

Bill MacDonald hatte nie die Hoffnung, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Clay sei ein bescheidener Bursche, so wie vor ihm Joe Louis, er hatte allerdings die Hoffnung, die Schreiber würden glauben, er könne kämpfen. Sie glaubten es nicht. Einer Umfrage zufolge sagten dreiundneunzig Prozent der bei dem Kampf akkreditierten Journalisten einen Sieg Listons voraus. Was die Umfrage nicht registrierte, war die Festigkeit der Voraussagen. Arthur Daley, der Kolumnist der New York Times, schien moralische Bedenken gegen den Kampf zu haben, als wäre er ein schreckliches Verbrechen an Kindern und Schnöseln: »Dem Großmaul aus Louisville werden wohl einige bombastische Angebereien von einer prallen Faust, die Sonny Liston gehört, in den Hals gestopft …«

In den späteren Stadien seiner Karriere hatte Muhammad Ali seinen Platz am Fernsehhimmel, und sein Boswell war Howard Cosell. Doch in den Tagen vor seinem Kampf mit Sonny Liston in Miami war Cassius Clay noch nicht Muhammad Ali, und Howard Cosell war ein glatzköpfiger, näselnder Bursche im Radio, der seine Kollegen mit seinen gewichtigen Fragen und seinem massigen Tonbandgerät nervte, das er den Leuten ständig in die Rippen rammte. Damals waren die Zeitungen noch die dominierende Kraft im Sport; die Kolumnisten – weiße Kolumnisten – waren die dominierenden Stimmen, und der König der Kolumnisten war Jimmy Cannon, vormals bei der New York Post und seit 1959 beim New York Journal-American. Cannon war der erste Tausend-Dollar-die-Woche-Mann, Hemingways Liebling, Joe DiMaggios Kumpel und Joe Louis’ Ikonograph. Red Smith, der für die Herald Tribune schrieb, pflegte einen Stil von eleganter Zurückhaltung, der die anspruchsvolleren Leser für ihn einnahm, doch Cannon war der populäre Liebling: eine weltverdrossene Stimme der Großstadt. Cannon war der König, und Cannon hatte für Clay nichts übrig. Er glaubte nicht einmal, daß er kämpfen konnte.

Eines Nachmittags kurz vor dem Kampf saß Cannon mit George Plimpton im Fifth Street Gym und sah Clay beim Sparren zu. Clay schwebte durch den Ring wie eine Feder im Wind und jagte seinem Partner immer mal wieder einen Jab ins Gesicht. Plimpton war von Clays Bewegungen, von seiner Lässigkeit tief beeindruckt, Cannon dagegen konnte kaum hinschauen.

»Nun sieh dir das an!« sagte Cannon. »Das ist doch grauenhaft. Damit kommt er nicht durch. Unmöglich.« Es war schlicht undenkbar, daß Clay Liston schlagen konnte, indem er herumrannte, die Hände auf Hüfthöhe hielt und sich einfach durch Ausweichen verteidigte.

»Vielleicht macht er das ja durch seine Schnelligkeit wett«, warf Plimpton hoffnungsvoll ein.

»Der ist der fünfte Beatle«, sagte Cannon. »Bloß, das stimmt auch nicht. Die Beatles sind kein Mumpitz.«

»Ein guter Name«, sagte Plimpton. »Der fünfte Beatle.«

»Stimmt aber nicht«, sagte Cannon. »Der ist doch bloß Schau und heiße Luft … Nichts Ehrliches.«

Clay beleidigte Cannons Gefühl dessen, was recht war, ähnlich wie die Flugmaschinen die Generation seines Vaters beleidigt hatten. Er warf sein Weltverständnis durcheinander.

»In gewisser Weise ist Clay eine Abnormität«, schrieb er vor dem Kampf. »Er ist ein Bantamgewichtler, der über neunzig Kilo wiegt.«

Cannons Vorbehalte gingen über den Ring hinaus. Sein Held war Joe Louis, und für Louis schuf er den unsterblichen Satz, er mache »seiner Rasse Ehre – der menschlichen Rasse«. Er bewunderte Louis’ »barbarische Würde«, seine Ruhe im Leiden, seine stille Befriedigung im Sieg. Und als Louis schließlich doch zu weit ging und, weit jenseits seiner Höchstform, gegen Rocky Marciano antrat, hielt er eine Eloge auf den gebrochenen alten Kämpfer, wie die metaphysischen Dichter sie auf eine gemordete Maitresse gehalten hätten: »Das Herz, das im Körper wie ein wilder Vogel schlug, der geblendet und eingesperrt war, schien unfähig, das kalte Blut durch die Arterien von Joe Louis’ rebellischem Körper zu treiben. Seine siebenunddreißig Jahre waren eine Krankheit, die ihn lähmte.«

Cannon wurde 1910 im, wie er es nannte, »nicht so verrückten Teil von Greenwich Village« geboren. Sein Vater war ein unbedeutender, aber freundlicher Angestellter in Tammany Hall. Die Familie lebte in Kaltwasserwohnungen im Village, und Cannon kannte bald die ganze Nachbarschaft und die Arbeiter, die Eismänner, die Kohlenjungen. Nach der neunten Klasse verließ Cannon die Schule und fing als Botenjunge bei der Daily News an, wonach er das Zeitungsgewerbe nie mehr verließ. Als Jungreporter fiel er Damon Runyon auf, als er Berichte über den Prozeß um die Entführung des Lindbergh-Babys für den International News Service schrieb.

»Die beste Art, eine Nulpe zu sein und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist, über Sport zu schreiben«, sagte Runyon zu Cannon und verschaffte ihm dann eine Stelle bei einem Hearst-Blatt, dem New York American. Wie seine Helden Runyon und der Broadway-Kolumnist Mark Hellinger neigte Cannon der Welt des »Delicatessen-Adels« zu, Buchmachern und Wettfuzzis, den Pferdewettern und Talentsuchern, die sich im Toots Shor’s und Lindy’s, dem Stork Club und El Morocco herumtrieben. Als Cannon nach Europa ging, um Kriegsberichte für The Stars and Stripes zu schreiben, entwickelte er seinen typischen Stil: blumig-schwülstige, sentimentale Prosa, unterlegt mit einer abgebrühten Weisheit, ein urbaner Stil, den er in Süßwarenläden und Nachtclubs, bei Runyon, Ben Hecht und Westbrook Pegler aufgeschnappt hatte. Nach seinen Feldzügen mit George Pattons Dritter Armee kehrte Cannon heim und fing bei der Post an. Seine Sportkolumne, ein Vierteljahrhundert lang die beliebteste der Stadt, begann 1946 und war mit »Jimmy Cannon Says« überschrieben.

Cannon war ein besessener Arbeiter, der als ehemaliger Säufer mehr Kaffee als Balzac trank. Er lebte allein – erst im Edison Hotel, dann in der Central Park West und schließlich in der Fifty-fifth Street. Er war ein kauziger Egomane, dessen Ego mit dem Alter nur noch zunahm. Jede Kolumne kostete ihn Mühe. Wenn er nicht gerade bei einem Baseballspiel oder an seinem Schreibtisch war, trieb er sich die ganze Nacht herum, zog von einem Nachtclub zum anderen, immer auf der Suche nach Tips, nach Gesprächsfetzen, die er in seiner Kolumne verarbeiten konnte. »Seine Kolumne ist sein Leben«, sagte einer seiner Kollegen, W. C. Heinz von der New York Sun. »Er hat keine Familie, treibt keinen Sport, spielt nicht. Wenn er schreibt, ist er die Konzentration selbst. Er dreht sich durch den Gefühlswolf. Ich habe keine Ahnung, was Jimmy machen würde, wenn er diese Kolumne nicht schriebe, er wäre einfach ganz einsam.«

In der Rassenfrage galt Cannon für seine Zeit als aufgeklärt. Das heißt, daß er sich im Gegensatz zu vielen anderen Kolumnisten über die schwarzen Sportler, über die er berichtete, nicht lustig machte und auch ihre Sprechweise nicht imitierte. Er respektierte sie. Sosehr er DiMaggio verehrte, eroberte doch auch ebenso leicht ein Kämpfer wie Archie Moore sein schmalzverstopftes Herz.

»Jemand müßte ein Lied über Archie Moore schreiben, der Bobo Olson im Polo Grounds in drei Runden k. o. schlug. Ich meine nicht große Komponisten wie Harold Arlen oder Duke Ellington. Es müßte ein Lied sein, das aus dem Hinterzimmer eines verlebten Saloons in einer nachtgetränkten Straße im morgenunruhigen Teil einer miesen Stadt dringt. Der Kerl, der es schreibt, muß ein Pianist sein, dem es Würde verleiht, wenn er aus dem Morast der Sägespäne auf dem Fußboden einen Vierteldollar zieht. Tot sind sie, die meisten dieser Pianisten, ihr Mund ist voller Staub statt voller Lieder. Archie aber könnte in jeder Stadt, in der er mal geboxt hat, einen ausgraben. Bestimmt.«

Cannon beherrschte auch den unvollständigen Barhockersatz. Sehr häufig gab er seiner Kolumne Titel wie »Mich hat ja keiner gefragt, aber …«, wonach er einige Dutzend seiner Gedanken zur Auswahl stellte:

»Ich habe größeres Vertrauen in unwirsche Ärzte als in ölige.«

»Wenn Sie sich an Larry Simon, den Komiker, erinnern, sind Sie mittleren Alters.«

»El Morocco ist immer noch der beste Nachtclub im ganzen Land.«

»Klingt Marty Glicksman, der Sportansager, nicht wie ein Auktionator auf der Promenade von Atlantic City?«

»Leute, die anderer Leute Kaffeeuntertasse als Aschenbecher benutzen, müßten in der Öffentlichkeit verboten sein …«

Andere Kolumnen begann er, indem er den Leser in den Schädel und die Montur eines Baseballprofis versetzte (»Sie sind Eddie Stanky. Sie sind langsamer als der andere gerannt …«), und an anderer Stelle sonderte er in der Stimme von El Morocco um drei Uhr morgens Weisheiten über das Thema ab, von dem er wohl am wenigsten verstand – Frauen: »Jeder Mann bekommt Probleme, wenn er sich in eine Frau verliebt, die er nicht mit dem ersten Schlag niederschlagen kann.« Oder: »Man merkt gleich, wenn ein Weib anfängt, einen Kämpfer zu managen. Was macht ein blödes Weib plötzlich schlau? Nicht mal in einen Verein wie Yale lassen sie Weiber. Aber kaum macht ein Kämpfer ein paar Mücken, werden sie helle.«

Es gibt nicht viele Schreiber, in welchem Bereich auch immer, die nicht schnell veralten, und journalistisches Schreiben veraltet, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ebenso schnell wie das Zeitungspapier, auf das es gedruckt ist. Sogar manches von Mencken veraltet, und Cannon war kein Mencken. Die oberschlauen Witzchen und weltverdrossene Sentimentalität hatten ihre Zeit und ihren Ort, und mit zunehmendem Alter wehrte sich Cannon knurrig gegen die neuen Trends im Sportjournalismus und im Verhalten der Sportler. Auf der Pressetribüne begegnete er einer neuen Generation von Reportern und Kolumnisten, Männern wie Maury Allen und Leonard Schecter von der Post. Deren Art mochte er nicht besonders. Cannon nannte die Jüngeren »Backenhörnchen«, weil sie unablässig auf der Pressetribüne schnatterten. Er verabscheute ihre Frechheit, ihre Respektlosigkeit, ihr Bestreben, über den Sport hinauszugehen und sich in die Köpfe derjenigen zu versetzen, über die sie schrieben. Cannon hatte immer gesagt, sein Ziel als Sportjournalist sei es, »die Welt über die Tribüne hereinzubringen«, doch er konnte nicht begreifen, daß diese Generation im großen und ganzen dasselbe wollte. Er konnte ihren mangelnden Respekt vor den alten Wahrheiten nicht ertragen. »Die stellen sich hin und pöbeln die Leute mit groben Fragen an«, sagte Cannon einmal über die Backenhörnchen. »Die kommen sich groß vor, wenn sie zu einem Sportler hingehen und ihn mit einer Frage beleidigen. Für die ist das so eine Art Tapferkeit.«

Ein Teil von Cannons Besorgnis war schiere Rivalität. In New York gab es damals sieben Tageszeitungen, und die Konkurrenz war riesengroß, immer mußte man die Nase vorn haben, originell sein, einen Knüller landen, ein zusätzliches Detail bringen. Doch die Backenhörnchen wußten, daß ihre Konkurrenz weniger die Kollegen waren als vielmehr die wachsende Macht des Fernsehens. Anders als Cannon, der nahezu völlig Autodidakt war, waren diese jungen Männer (und es waren alles Männer) aufs College gegangen, und zwar im Zeitalter Freuds. Sie interessierten sich für die Psychologie eines Sportlers (»Die verborgenen Ängste Kenny Sears’« war der Titel eines der längeren Artikel von Milton Gross). Mit der Zeit wirkte auch das nicht mehr sonderlich angesagt – bald fragte jeder Trottel, der ein Mikrofon halten konnte, den Sündenbock des Tages: »Was dachten Sie, als Sie den Ball verfehlten?« –, doch vorerst waren die Backenhörnchen noch sehr en vogue, und Cannons geschwollene Sätze, die einstmals so vergnüglich waren, wirkten zunehmend weniger sonor und ein bißchen antiquiert.

Ein Teil von Cannons Generationsangst war, daß er über die Baseballspieler in einem elegischen Tonfall schrieb. Die Schurken im Sport – Jim Norris, Frankie Carbo, Fat Tony Salerno – verachtete er zutiefst, allerdings erfuhr man von ihm nicht, daß DiMaggio vielleicht der herrischste Mensch im ganzen Sport war oder daß Joe Louis als Pensionär allmählich dem Drogenwahnsinn verfiel und gegen eingebildete Häscher vom Finanzamt oder der CIA die Luftschlitze seiner Klimaanlage mit Baumwolle verstopfte und die Fenster mit Vaseline zuschmierte.

Die neue Generation, Männer wie Pete Hamill und Jack Newfield, Jerry Izenberg und Gay Talese, bewunderte Cannons Unmittelbarkeit, Cannon hingegen mißgönnte ihnen ihre neue Sehweise, ihre Bildung, ihre Jugend. Ende der fünfziger Jahre schrieb Talese zahllose elegante Features für die Times und später, in den sechziger Jahren, für Esquire eine Serie noch eindrucksvollerer Porträts über Patterson, Louis, DiMaggio, Frank Sinatra und den Theaterdirektor Joshua Logan. Keiner dieser Artikel war das, was die Schreiber »Trashjobs« nannten – sie waren voller Zuneigung zu der Person und Bewunderung für ihre Kunstfertigkeit –, aber sie befaßten sich auch mit Pattersons Ängsten, Louis’ schrecklichem Niedergang, Sinatras Gemeinheit und Logans Nervenzusammenbrüchen. Talese vereinte die Techniken von Reportage und Literatur; er schrieb seine Notizbücher mit Fakten, Interviews und Beobachtungen voll, strukturierte seine Essays aber wie Kurzgeschichten.

Als Talese noch bei der Times war und über seine Lieblingsthemen Patterson und Cus D’Amato schrieb, galt er als Exzentriker. In der Nachrichtenredaktion trug er makellose Maßanzüge; er sah, in den Worten eines Kollegen, »blendend gut« aus. Doch bei allem äußeren Schliff, bei aller Jugend näherte er sich seiner Arbeit wie ein Reporter, ging auf die Baseballspieler zu, lernte sie kennen. Zu jener Zeit war das im Sportressort der Times sehr unüblich. Daley, seit den vierziger Jahren der dominierende Kolumnist, leitete sein Prestige vom Blatt selbst ab; wenn er den Pulitzerpreis bekam, grummelten viele seiner Kollegen, daß eher Red Smith von der Herald Tribune oder Cannon von der Post ihn hätte bekommen sollen. Daleys Stil war fade, doch ihn las die Pulitzerjury nun mal, wenn sie denn überhaupt Sport las. Die meisten anderen Sportjournalisten der Times gaben sich nicht weniger majestätisch: Sie führten sich auf, als wären sie der Botschafter der New York Times am Hofe des Baseball oder des Basketball. Als Allison Danzig über die US-Open in Forest Hills berichtete, ließ er sich nicht herab, einen Tennisspieler zu einem Interview zu bitten; der Spieler ging zu Allison Danzig. Nicht wenige der Redakteure und Reporter waren über das unorthodoxe Auftreten Gay Taleses entsetzt und konnten nicht begreifen, warum der Ressortchef, Turner Catledge, ihn auf die Sportwelt losgelassen hatte.

Als Talese 1965 das Blatt verließ, um Bücher und längere Zeitschriftenessays zu schreiben, hatte er schon einen Nachfolger, einen Reporter Mitte Zwanzig namens Robert Lipsyte. Wie Cannon war Lipsyte in New York aufgewachsen, doch er war ein Mittelschichtjude aus Rego Park in Queens. Er ging von der vorletzten Klasse an der Forest Hills High School direkt zur Columbia University, wo er 1957 seinen Abschluß machte. Nachdem er geschwankt hatte, ob er Drehbuchautor oder Englischprofessor werden sollte, bewarb sich Lipsyte als Botenjunge bei der Times und bekam die Stelle zu seiner Verblüffung auch. »Damals sagten sie meistens, sie nähmen Leute von der Rhodes«, sagte er. Als Botenjunge bewunderte Lipsyte Talese wegen seines innovativen Stils und weil er es schaffte, in die eintönigen Seiten der Times eine unverwechselbare Stimme einzubringen. Mit einundzwanzig wurde Lipsyte dann Redakteur; er hatte Biß bewiesen: Eines Tages schickte der Kolumnist für Jagen und Angeln seine Kolumne nicht rechtzeitig aus Kuba ab, also setzte Lipsyte sich hin und haute termingerecht eine seltsame und witzige Kolumne hin, wie Fische und Vögel gegen Angler und Jäger zurückschlugen. Lipsyte schrieb über High-School-Basketballspieler wie Connie Hawkins und Roger Brown. Zusammen mit Louis Effrat, einem Times-Mann, der die Berichterstattung über die Dodgers verloren hatte, als diese aus Brooklyn wegzogen, schrieb er über die 1962er Mets. Effrats Bewunderung für seinen jüngeren Kollegen war, um das mindeste zu sagen, zögernd: »Kleiner, in New York sagen sie, du kannst richtig gut schreiben, aber du hast keinen Schimmer, worüber du da schreibst.«

Wenn es ein Thema gab, in das sich Lipsyte unbedingt einarbeiten wollte, dann war es das Rassenthema. 1963 lernte er Dick Gregory kennen, einen der witzigsten Komiker des Landes, der ständig in der Bürgerrechtsbewegung präsent war. Die beiden Männer wurden enge Freunde, und bald half Lipsyte Gregory, seine Autobiographie Nigger zu schreiben. Sogar als Sportjournalist bewerkstelligte Lipsyte es, über die Rassenfrage zu schreiben. Er schrieb über die Blackstone Rangers-Bande, er lernte Malcolm X und Elijah Muhammad kennen. Er berichtete über Kundgebungen, auf denen schwarze Demonstranten ihre Empörung über ein Land äußerten, das seine Schwarzen nur feierte, wenn sie einen Football trugen oder in einem sechs mal sechs Meter großen Ring boxten.

Im Winter 1963/64 verkündete der eigentliche Boxreporter der Times, Joe Nichols, der Kampf Liston gegen Clay werde ein Flop, und er selbst werde die Saison damit verbringen, über die Pferderennen in Hialeah zu berichten. Also wurde Lipsyte damit beauftragt.

Anders als Jimmy Cannon und die anderen Dorfältesten war er fasziniert von Clay. Für ihn war er ein witziger, gutaussehender, gewandter junger Mann, der einem das Notizbuch in einer Viertelstunde füllen konnte.

»Clay war einzigartig, aber für mich war er kein Wesen aus dem Weltall«, sagte Lipsyte. »Für Jimmy Cannon war er, verzeihen Sie den Ausdruck, ein schnöseliger Nigger, und damit kam er nicht zurecht. Die Schwarzen, die er mochte, waren Schwarze aus den dreißiger und vierziger Jahren. Die wußten, wo sie hingehörten. Joe Louis nannte Jimmy Cannon lange ›Mr. Cannon‹. Er war ein bescheidener Junge. Und da kommt nun Cassius Clay, reißt das Maul auf, ist aggressiv und laut, und das war für so manche Sportjournalisten wie Cannon ein Schock. Es war eine Übergangszeit. Bei Clay mußten die Leute aufstehen und sagen, auf welcher Seite sie standen.

Clay brachte die natürliche Ordnung der Dinge in zweierlei Hinsicht aus den Fugen. Die Vorstellung, daß er ein lauter Prahlhans war, brachte diesen edlen Sport in Mißkredit. Das jedenfalls sagten Leute wie Cannon. Da war es dann egal, daß Rocky Marciano ein Bauer war, der bei Sportveranstaltungen im T-Shirt auftauchte, damit die Leute dort ihm erst mal was Gutes zum Anziehen kauften. Sie sagten, Clay mangele es an ›Würde‹. Clay vereinte Little Richard und Gorgeous George. Er war nicht das niedliche dumme Schätzchen, das die Sportjournalisten gewöhnt waren. Clay brauchte sie auch nicht als Prisma, um seinen Weg zu finden. Er transzendierte die Sportpresse. Jimmy Cannon, Red Smith und viele andere waren einfach entsetzt. Die haben den Spaß daran nicht gesehen. Und das war es vor allem, ein großer Spaß.«

 

Eine Woche vor dem Kampf legte Clay sich auf einen Massagetisch im Fifth Street Gym und sagte zu den Reportern, die um ihn versammelt waren: »Ich mache Geld, der Popcornmann macht Geld und auch der Biermann, und ihr habt was, worüber ihr schreiben könnt.«

Am nächsten Tag hörte Lipsyte, daß die Beatles im Fifth Street Gym vorbeischauen würden. Der Besuch war natürlich von dem unentwegt ausgeschlafenen Harold Conrad arrangiert, der für MacDonald die PR-Arbeit machte. Die Beatles waren in Miami, um in der Ed Sullivan Show aufzutreten. Sogar Liston war dort gewesen und war nicht sonderlich beeindruckt. Als die Beatles ihre neueste Single herunterspielten, wandte sich der Champion zu Conrad und meinte: »Sind das die Wichser, wegen denen die Leute so rumkreischen? Mein Hund spielt besser Schlagzeug als dieser Gnom da mit der dicken Nase.« Conrad glaubte, Clay könne ein bißchen mehr Verständnis aufbringen.

Lipsyte war sechsundzwanzig, Mitglied der Rock and Roll-Generation, und er erkannte, daß eine Begegnung Clays mit den Beatles, auch wenn alles fauler Zauber war, ein Zusammentreffen zweier Vertreter des Neuen war, die die Sechziger prägen würden. Die älteren Kolumnisten paßten, er aber sah eine Geschichte darin.

Die Beatles kamen. Sie waren noch in ihrer Pilzkopfphase, waren sich ihrer Wirkung aber durchaus bewußt. Von Clay war nichts zu sehen, und Ringo Starr war sauer.

»Wo is’n dieser Clay, verflucht?« sagte er.

Um ein bißchen die Zeit totzuschlagen, stellte Ringo Lipsyte und einigen Reportern die Bandmitglieder vor, wobei er allerdings George Harrison als Paul und Lennon als Harrison vorstellte. Schließlich riß Lennon der Geduldsfaden.

»Kommt, wir hauen ab«, sagte er. Doch zwei Nationalgardisten aus Florida versperrten ihnen den Weg und sorgten dafür, daß sie so lange blieben, bis Clay auftauchte.

»Hallo, Beatles«, sagte Cassius Clay. »Wir müßten mal ein paar Tourneen zusammen machen. Wir würden reich werden.«

Die Fotografen stellten die Beatles im Ring auf, und Clay markierte einen Schlag, mit dem er sie alle niederstreckte: den Dominoschlag.

Nun begannen die Zukunft der Musik und die Zukunft des Sports über das Geld zu reden, das sie machten, und das Geld, das sie noch machen würden.

»Ihr seid gar nicht so dumm, wie ihr ausseht«, sagte Clay.

»Nein«, sagte Lennon, »aber du.«

Clay sah genau hin, ob Lennon lächelte; er tat es.

Die jungen Schreiber wie Lipsyte sahen Clay tatsächlich als den fünften Beatle, allesamt Parallelspieler in dem großen sozialen Generationsumbruch der amerikanischen Gesellschaft. Das Land befand sich mitten in einer gewaltigen Umwälzung, einem Erdbeben, und dieser Boxer aus Louisville und diese Band aus Liverpool waren ein Teil davon, sogar ihre Anführer, ob sie es schon wußten oder nicht. Die Mischung der Beatles aus schwarzem R & B und Liverpooler Pop und Clays Mischung aus Trotz und Witz veränderten den Sound der Zeit, ihr Wesen; neben dem Marsch auf Washington und den Sümpfen Vietnams wurden sie auf ihre Weise zu einem wesentlichen Teil der Phantasmagorie der sechziger Jahre.

Für die meisten der älteren Kolumnisten jedoch war dieser PR-Gag im Fifth Street Gym nur ein Teil all dessen, was auf dieser Welt alles im argen lag, mehr Lärm, mehr Respektlosigkeit, mehr Unverschämtheiten von jungen Männern, die sie nicht mehr verstehen konnten. »Clay ist ein Teil der Beatles-Bewegung«, schrieb Jimmy Cannon Jahre später so wunderbar. »Er paßt zu den berühmten Sängern, die keiner mehr hören kann, und den Kerlen mit den Motorrädern, die sich Eiserne Kreuze an die Lederjacke stecken, und Batman und den Jungen mit den langen dreckigen Haaren und den Mädchen mit dem ungewaschenen Aussehen und den College-Kindern, die nackt auf geheimen Partys in irgendwelchen Wohnungen tanzen, und zu der Revolte jener Studenten, die an jedem Monatsersten von Daddy einen Scheck bekommen, und zu den Malern, die das Etikett auf Suppendosen abmalen, und den Surfdeppen, die nicht arbeiten wollen, und dem ganzen verhätschelten stilbildenden Kult der gelangweilten Jugend.«