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Timor mortis conturbat me
Als wir der Armee der Hochländer auf ihrem Rückzug nach Norden folgten, stießen wir immer wieder auf Soldaten und ihre Spuren. Wir überholten kleinere Gruppen, die verbissen zu Fuß dahinstapften, den Kopf vor dem Regen gebeugt, den ihnen der Wind ins Gesicht peitschte. Andere lagerten in Gräben und unter Hecken, zu erschöpft, um weiterzuwandern. Kriegsgerät und Waffen säumten die Wege: hier lag ein umgestürzter Wagen, die Säcke aufgerissen, das Mehl in der Nässe verdorben; dort stand unter einem Baum eine kleinere Feldschlange, deren Doppellauf bedrohlich aus dem Schatten ragte.
Das schlechte Wetter hemmte unser Fortkommen. Wir schrieben den 13. April. Auf Schritt und Tritt begleitete mich ein nagendes Gefühl der Beklemmung. Lord George und die Clanoberhäupter, der Prinz und seine wichtigsten Berater hatten sich nach Culloden House zurückgezogen. Zumindest hatte uns das ein Mann vom Clan der MacDonalds erzählt, dem wir unterwegs begegnet waren. Mehr wußte er nicht, und wir hielten ihn nicht auf, als er davonstolperte. Bereits vor einem Monat, als mich die Engländer gefangengenommen hatten, waren die Lebensmittelvorräte knapp gewesen, und seitdem hatte sich die Lage verschlimmert. Die Männer, die wir trafen, kamen nur noch langsam voran, viele konnten sich vor Hunger und Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. Doch allesamt zogen sie auf Befehl ihres Prinzen trotzig nach Norden. Hin zu einem Ort, den die Schotten Drummossie-Moor nannten. Nach Culloden.
Einmal wurde der Weg so schlecht, daß die erschöpften Pferde nicht mehr vorankamen. Es sah so aus, als würden wir sie um ein kleines Wäldchen und durch regennasse Heide führen müssen, bis der Pfad wieder passierbar wurde.
»Du kommst schneller voran, wenn du den Wald durchquerst«, sagte Jamie und nahm mir die Zügel aus der Hand. Er wies auf das Kiefern- und Eichenwäldchen, von dessen Boden der süße, kühle Duft nasser Blätter aufstieg. »Geh dort entlang, Sassenach! Wir treffen dich auf der anderen Seite wieder.«
Ich war zu müde, um zu widersprechen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen, war Anstrengung genug, und auf dem weichen Waldboden würde es mir zweifellos leichter fallen als in der sumpfigen, trügerischen Heide.
Im Wald war es still, weil das Heulen des Windes von den Baumwipfeln gedämpft wurde. Das bißchen Regen, das sie durchließen, tröpfelte sanft auf eine dicke Schicht ledriger Eichenblätter, die sogar noch raschelten, wenn sie naß waren.
Vor einem großen, grauen Felsen, nur wenige Schritte vom Ende des Wäldchens entfernt, sah ich ihn liegen. Das blaßgrüne Moos auf dem Stein hatte die gleiche Farbe wie sein Tartan, und dessen Brauntöne verschmolzen mit den Blättern, die ihn zur Hälfte zugedeckt hatten. Er schien ein Teil des Waldes zu sein, und ich wäre über ihn gestolpert, hätte mich nicht ein leuchtendblauer Farbfleck gewarnt.
Weich wie Samt bedeckte der seltsame Pilz die nackten bleichen Glieder. Er hatte sich über die Knochen und Muskeln des Toten ausgebreitet wie die Gräser und Bäume eines Waldes, die Ödland eroberten.
Es war ein lebhaftes, magisches und fremdartiges Blau, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Doch es erinnerte mich an die Erzählungen eines alten Soldaten, den ich im Lazarett gepflegt hatte.
»Wir nennen ihn Fichtenspargel« hatte er gesagt. »Blau, leuchtendblau. Den findet man nur auf dem Schlachtfeld - an den Gefallenen. Ich habe mich immer gefragt, wo er sich aufhält, wenn es keinen Krieg gibt.«
In der Luft vielleicht, wo die unsichtbaren Sporen darauf warten, bis ihre Stunde gekommen ist, dachte ich. Das Blau war intensiv, auffällig, leuchtend wie das Färberwaid, mit dem sich die Vorfahren dieses Mannes das Gesicht bemalt hatten, bevor sie in den Krieg zogen.
Ein Windstoß fuhr durch die Bäume und wirbelte die weichen Haare des Mannes auf, so daß sie plötzlich lebendig wirkten. Hinter mir raschelten Blätter. Ich zuckte zusammen und erwachte aus der Trance, in die ich beim Betrachten des Leichnams verfallen war.
Jamie trat neben mich und sah den Soldaten an. Schweigend nahm er mich am Ellenbogen und führte mich aus dem Gehölz.
 
Nachdem wir uns und die Pferde unbarmherzig zur Eile angetrieben hatten, trafen wir am Vormittag des 15. April am Culloden House ein. Auf den Landstraßen hatte reges Treiben geherrscht, aber der Hof lag seltsam verlassen da.
Jamie sprang vom Pferd und reichte Murtagh die Zügel.
»Wartet einen Augenblick«, sagte er. »Ich glaube, hier stimmt was nicht.«
Murtagh blickte auf die offenstehende Stalltür und nickte. Fergus, der inzwischen auch vom Pferd gestiegen war, wollte sich Jamie anschließen, doch Murtagh hielt ihn mit einem knappen Befehl zurück.
Mit steifen Gliedern ließ ich mich vom Pferd gleiten und lief Jamie hinterher. Es herrschte wirklich eine eigenartige Stimmung, doch erst als ich ihm in den Stall folgte, erkannte ich, woran es lag: Es war zu still.
In dem stillen, düsteren Gebäude fehlten die Wärme von Tieren und der übliche Umtrieb. Dennoch war der Stall nicht ganz ohne Leben, denn hinten im Schatten regte sich eine dunkle Gestalt, die für eine Ratte oder einen Fuchs zu groß war.
»Wer ist da?« Jamie trat vor, um mich zu schützen. »Alec, bist du das?«
Langsam hob der Mann den Kopf, und sein Plaid rutschte zur Seite. Der Oberstallmeister von Burg Leoch hatte nur noch ein Auge; die leere Höhle, die nach einem Unfall vor vielen Jahren zurückgeblieben war, verbarg er unter einer schwarzen Klappe. Normalerweise hatte er keine Mühe, sich mit dem verbliebenen, funkelnden Auge bei Stallknechten und Pferden, Burschen und Reitern Respekt zu verschaffen.
Doch jetzt war Alec McMahon MacKenzies Auge matt wie Schiefer. Der mächtige, einst so kräftige Körper lag zusammengekrümmt auf dem Boden, und seine Wangen waren vor Hunger eingefallen.
Da Jamie wußte, daß der alte Mann bei feuchtem Wetter unter Arthritis litt und ihm jede Bewegung Schmerzen bereitete, kniete er sich neben ihn.
»Was ist geschehen?« fragte er. »Wir sind gerade erst angekommen. Was ist hier los?«
Der alte Alec brauchte eine lange Zeit, um die Frage aufzunehmen und seine Antwort in Worte zu fassen. Vielleicht lag es an der Stille in dem leeren, schattigen Stall, daß seine Worte hohl klangen, als er sie endlich aussprach.
»Es ist alles fehlgeschlagen«, sagte er. »Vor zwei Nächten sind sie nach Nairn marschiert, und als sie gestern zurückkamen, waren sie auf der Flucht. Seine Hoheit hat befohlen, daß wir auf dem Cullodenmoor Stellung beziehen. Lord George ist schon dort, mit allen Soldaten, die er um sich scharen konnte.«
Als der Name Culloden fiel, konnte ich ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Jetzt war es soweit. Trotz all unserer Bemühungen war es Wirklichkeit geworden. Und wir steckten mittendrin.
Auch Jamie fuhr ein Schauer durch den Körper; die roten Haare auf seinem Unterarm hatten sich aufgestellt. Doch seine Stimme verriet nichts von der Angst, die er verspüren mußte.
»Aber die Soldaten sind viel zu schlecht versorgt, um zu kämpfen. Hat Lord George denn nicht eingesehen, daß sie erst einmal Ruhe und Verpflegung brauchen?«
Das Krächzen, das der alte Alec hören ließ, erinnerte nur entfernt an ein Lachen.
»Was Seine Lordschaft einsieht, spielt keine Rolle, mein Junge. Das Heer untersteht dem Kommando Seiner Hoheit. Und der hat nun einmal den Befehl gegeben, daß wir uns bei Culloden den Engländern stellen. Was die Verpflegung betrifft...« Die dichten, buschigen Augenbrauen des Alten waren in den letzten Jahren fast völlig ergraut. Jetzt zog er eine davon so langsam in die Höhe, als würde ihn selbst das erschöpfen. Mit einer knorrigen Hand wies er auf den leeren Stall.
»Im letzten Monat haben sie die Pferde geschlachtet«, sagte er schlicht. »Und seitdem hat es kaum noch etwas zu essen gegeben.«
Jamie fuhr hoch und lehnte sich an die Wand. Entsetzt blickte er zu Boden. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, doch sein Körper war steif wie ein Brett.
»Aye«, sagte er schließlich. »Aye. Haben meine Männer wenigstens ihren gerechten Anteil erhalten? Donas... Donas war recht groß und müßte... einiges abgegeben haben.« Seine Stimme klang ruhig, doch an der plötzlichen Schärfe in Alecs einäugigem Blick erkannte ich, daß er wie ich spürte, wie mühsam sich Jamie beherrschte.
Langsam erhob sich der Alte aus dem Heu. Dann legte er tröstend eine Hand auf Jamies Schulter.
»Donas haben sie am Leben gelassen«, sagte er leise. »Sie haben ihn aufgehoben für Prinz Tcharlach, damit er als triumphierender Sieger in Edinburgh einreiten kann. O’Sullivan hat gemeint, es schickt sich nicht für einen König, daß er... daß er zu Fuß geht.«
Jamie vergrub das Gesicht in den Händen und stand mit zuckenden Schultern gegen eine Box gelehnt.
»Ich bin ein Narr«, sagte er, als er keuchend nach Luft rang. »O Gott, was bin ich doch für ein Narr!« Er ließ die Hände sinken, und auf seinem Gesicht zeichneten sich zwischen all dem Reiseschmutz helle Tränenspuren ab. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen, doch seine Augen strömten über, als hätte er jede Gewalt über sich verloren.
»Der Krieg ist verloren, meine Männer sollen sich abschlachten lassen, die Toten vermodern in den Wäldern, und ich weine um ein Pferd! O Gott!« flüsterte er kopfschüttelnd. »Was bin ich doch für ein Narr!«
Der Alte seufzte tief. Langsam ließ er seine Hand über Jamies Arm gleiten.
»Wenigstens kannst du noch weinen, Junge«, sagte er. »Ich habe keine Tränen mehr.«
Vorsichtig ließ sich Alec auf die Knie sinken und legte sich wieder ins Heu. Jamie verweilte einen Augenblick und sah den alten Mann an. Noch immer strömten ihm die Tränen ungehindert über das Gesicht, doch es sah aus, als würden Regentropfen über polierten Granit fließen. Ohne ein Wort nahm er meinen Arm und führte mich fort.
An der Stalltür drehte ich mich noch einmal nach Alec um. Er saß reglos da, eine dunkle, gebückte Gestalt, und das blaue Auge war ebenso blind wie das andere.
 
Die erschöpften Männer hatten auch den letzten Winkel des Hauses mit Beschlag belegt. Im Schlaf suchten sie den nagenden Hunger zu vergessen und das Wissen um die bevorstehende Katastrophe zu verdrängen. Frauen gab es hier nicht; die Oberhäupter, die mit ihren Damen zum Feldzug aufgebrochen waren, hatten sie in ihr sicheres Heim zurückgeschickt - das Unheil hatte lange Schatten vorausgeworfen.
Jamie ließ mich mit einer Entschuldigung vor der Tür stehen, die zum Quartier des Prinzen führte. Meine Anwesenheit wäre jetzt keine Hilfe gewesen. Leise ging ich durch die Räume, die von dem schweren Atem der Schlafenden und einer fast greifbaren Verzweiflung erfüllt waren.
Unter dem Dach fand ich eine kleine Abstellkammer. Da sie mit Gerümpel und ausrangierten Möbeln vollgestopft war, hatte sich hier noch niemand eingenistet. Als ich mich in diesen Hort der Absonderlichkeiten zurückzog, fühlte ich mich wie eine Maus, die sich verkriecht, während draußen in der Welt ungeheure und unerklärbare Gewalten ihr Werk der Zerstörung verrichten.
Das einzige kleine Fenster zeigte nichts als trüben, grauen Nebel. Mit der Ecke meines Umhangs wischte ich die Scheibe sauber, doch auch danach war der Ausblick nicht klarer. So lehnte ich die Stirn gegen das kühle Gras. Irgendwo dort draußen lag das Schlachtfeld von Culloden, doch ich sah nur die dunklen Umrisse meines Spiegelbilds.
Inzwischen hatte die Nachricht vom grausamen, rätselhaften Tod des Herzogs von Sandringham auch Prinz Charles erreicht. Als wir uns auf unserem Weg nach Norden sicher genug fühlten und es wieder wagten, mit Passanten zu reden, war das Ereignis in aller Munde gewesen. Was genau hatten wir eigentlich angerichtet? Hatten wir in jener Nacht die Pläne der Jakobiten ein für allemal durchkreuzt, oder hatten wir Prinz Charles ungewollt vor einer Falle der Engländer gerettet? Eine weitere Frage auf meiner Liste, die ich wohl nie würde klären können.
Es verging eine lange Zeit, wie mir schien, bis ich endlich das Knarren der blanken Bodendielen auf der Treppe vor meinem Zufluchtsort hörte. Als ich die Tür öffnete, trat Jamie gerade auf den Absatz. Ein Blick auf sein Gesicht, und ich wußte Bescheid.
»Alec hatte recht«, sagte Jamie ohne Umschweife. Hunger und Zorn ließen seine Wangenknochen deutlich hervortreten. »Unsere Soldaten ziehen nach Culloden - soweit sie dazu in der Lage sind. Seit zwei Tagen haben sie weder gegessen noch geschlafen, und für die Kanone gibt es keine Geschosse. Aber sie ziehen weiter.« Übermannt von seiner Wut, schlug er mit der Faust auf ein schwächliches Tischlein. Ein Stapel Messingteller, der neben anderem Hausrat darauf aufgetürmt war, ging scheppernd zu Boden.
In seinem Ärger griff Jamie nach seinem Dolch und rammte ihn mit aller Kraft in die Holzplatte, wo er zitternd steckenblieb.
»Auf dem Lande heißt es, wenn ein Mann Blut an seinem Dolch sieht, ist er dem Tod geweiht.« Scharf sog er den Atem ein. »Nun, jeder von uns sieht Blut an seinem Dolch - Kilmarnock, Lochiel und die anderen. Das hilft uns aber auch nicht weiter.«
Er stützte sich auf den Tisch, senkte den Kopf und starrte den Dolch an. Jamie wirkte viel zu groß für diese winzige Kammer, und er war so wütend und aufgebracht, daß zu befürchten stand, er würde jeden Augenblick in Flammen aufgehen. Doch er richtete sich auf, ließ sich auf eine klapprige Bank fallen und vergrub den Kopf in den Händen.
»Jamie«, sagte ich und schluckte. Die nächsten Worte wollten mir nicht über die Lippen kommen, doch sie mußten gesagt werden. Schon vorher war mir klar gewesen, welche Nachrichten er bringen würde, und mir war eine, die letzte Möglichkeit eingefallen, die uns noch blieb. »Jamie, wir können noch etwas tun - wir haben noch eine Chance.«
Sein Kopf war gesenkt. Ohne mich anzusehen, schüttelte er den Kopf.
»Es gibt keinen Ausweg«, sagte er. »Der Prinz hat es sich in den Kopf gesetzt. Murray und Lochiel haben versucht, ihn umzustimmen. Desgleichen Balmerino und ich. Doch in diesem Augenblick beziehen unsere Männer Stellung auf dem Feld. Cumberland befindet sich auf dem Weg nach Drummossie. Es gibt keinen Ausweg.«
Das Heilen ist eine Kunst, die Macht mit sich bringt, und jeder Arzt, der sich auf den Gebrauch heilender Mittel versteht, kennt auch jene, die dem Körper Schaden zufügen. Ich hatte Colum das Zyankali gegeben, das er dann nicht mehr hatte nehmen können. Als man seinen Leichnam auf dem Bett fand, hatte ich das Gift wieder in meinen Besitz gebracht. Jetzt lag es in meinem Medizinkasten.
Mein Mund war so ausgetrocknet, daß ich kein Wort über die Lippen brachte. In meiner Feldflasche war noch ein Rest Wein, aber als ich ihn trank, schmeckte er bitter wie Galle.
»Doch, es gibt einen Ausweg«, erklärte ich. »Einen gibt es noch.«
Jamie saß reglos wie zuvor. Unser Ritt war anstrengend gewesen, und nach dem Gespräch mit Alec hatte sich zu seiner Erschöpfung noch Niedergeschlagenheit gesellt. Wir hatten Umwege gemacht, um zu seinen Männern zu stoßen, und einen elenden, zerlumpten Trupp vorgefunden. Und dann, zur Krönung des Ganzen, das Gespräch mit Charles.
»Aye?« fragte er.
Ich zögerte, doch mir blieb keine Wahl. Wir mußten die Möglichkeit in Erwägung ziehen, ganz gleich, ob Jamie - oder ich - sie in die Tat umsetzen könnten oder nicht.
»Alles hängt von Charles Stuart ab«, stotterte ich schließlich. »Wirklich alles. Die Schlacht, der Krieg - alles liegt in seiner Hand. Verstehst du?«
»Aye.« Endlich blickte Jamie zu mir auf.
»Wenn er tot wäre...«, flüsterte ich nach einer Weile.
Jamie hatte die Augen geschlossen, und alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen.
»Wenn er stirbt... jetzt, heute. Ohne Charles gibt es nichts, für das wir kämpfen müssen. Niemand, der die Armee nach Culloden schickt. Es würde nicht zur Schlacht kommen.«
Jamie schluckte schwer. Dann öffnete er die Augen und blickte mich entsetzt an.
»Herr im Himmel«, stammelte er. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Meine Hand schloß sich um den goldgefaßten Kristall an meiner Kette.
Vor der Schlacht von Falkirk hatten sie mich herbeigerufen, um den Prinzen zu untersuchen. O’Sullivan, Tullibardine und die anderen. Seine Hoheit war erkrankt - eine Indisposition, wie es hieß. Und so hatte ich Charles aufgesucht, ihn angewiesen, Brust und Arme zu entblößen, hatte ihm in den Mund geschaut und das Weiß seiner Augen untersucht.
Er litt an Skorbut und anderen Symptomen von Unterernährung, und das hatte ich auch gesagt.
»Unsinn!« hatte Sheridan empört erwidert. »Seine Hoheit kann doch nicht am... Jucken erkrankt sein wie ein gewöhnlicher Bauer.«
»Er ißt aber wie einer«, hatte ich entgegnet. »Eigentlich ernährt er sich sogar noch schlechter.« Während sich die Bauern Tag für Tag mit Kohl und Zwiebeln zufriedengeben mußten - weil sie nichts anderes hatten -, aßen der König und seine Berater, die für solch derbe Kost nur Verachtung übrig hatten, nichts als Fleisch. Fast jedes der Gesichter, die mich so vorwurfsvoll anblickten, zeigte Anzeichen von Mangelerscheinungen. Lockere oder fehlende Zähne, blutendes Zahnfleisch - und den eiternden, juckenden Ausschlag, der die königliche Haut in so verschwenderischem Ausmaß zierte.
Eigentlich war ich nicht bereit, meinen kostbaren Vorrat an Hagebutten und getrockneten Beeren zu opfern, aber letztlich erbot ich mich dann doch, Seiner Hoheit daraus einen Tee zu bereiten. Man lehnte mein Angebot jedoch nicht sehr höflich ab und ließ mich wissen, daß man Archie Cameron mit seiner Schüssel Blutegel und seiner Lanzette herbeigerufen hätte, um dem königlichen Jukken mit einem Aderlaß Linderung zu verschaffen.
»Ich wüßte schon, wie ich es anfangen würde«, sagte ich jetzt zu Jamie. Das Herz klopfte mir bis zum Halse, so daß ich kaum Luft bekam. »Ich würde ihm ein Elexier mixen, und ich glaube, ich könnte ihn bewegen, es zu trinken.«
»Damit er stirbt, nachdem er deine Medizin getrunken hat? Himmel, Claire, sie würden dich auf der Stelle umbringen!«
Ich schob mir die Hände unter die Achselhöhlen, um sie zu wärmen.
»Sp... spielt das eine Rolle?« Verzweifelt bemühte ich mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Denn in Wahrheit tat es das weiß Gott. Gerade im Augenblick war mir mein Leben weitaus kostbarer als die Hunderte, die ich durch diese Tat vielleicht retten würde. Zitternd vor Angst ballte ich die Hände zu Fäusten.
Im nächsten Augenblick war Jamie mir zu Hilfe geeilt. Da meine Beine unter mir nachgaben, brachte er mich zu der Bank, wo wir uns gemeinsam setzten und er mich fest umschlang.
»Du hast den Mut einer Löwin, mo duinne«, flüsterte er mir ins Ohr. »Einer Bärin oder einer Wölfin. Aber ich lasse nicht zu, daß du das tust.«
Das Zittern ließ etwas nach, aber mir war immer noch kalt, und bei dem Gedanken an das, was ich da vorschlug, wurde mir übel.
»Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg«, sagte ich. »Es gibt kaum noch etwas zu essen, und das, was da ist, wird dem Prinzen vorgesetzt. Da dürfte es eigentlich nicht schwer sein, unbemerkt etwas in seine Gerichte zu mischen - vor allem, wo es hier drunter und drüber geht.« Damit hatte ich recht, denn in jedem Raum, auf dem Boden und auf Tischen, lagen Soldaten und schliefen, zum Teil sogar in Stiefeln und mit Waffen, da sie zu müde gewesen waren, sich auszuziehen. Außerdem herrschte im Haus ein reges Kommen und Gehen. Daher wäre es die einfachste Sache der Welt, einen Dienstboten lange genug abzulenken, um das tödliche Pulver unter die Abendmahlzeit Seiner Majestät zu mischen.
Auch wenn mein Entsetzen nicht mehr ganz so lebendig war, schien mein Vorschlag doch wie giftiger Hauch im Raum zu schweben, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Mit Charles Stuarts Tod wäre die Erhebung noch nicht vorüber; dazu hatte sie schon zu weite Kreise gezogen. Lord George Murray, Balmerino, Kilmarnock, Lochiel, Clanranald - wir alle waren Abtrünnige. Wir hatten unser Leben verwirkt, und unser Besitz würde an die Krone fallen. Die Hochlandarmee war zerrüttet, und ohne ihre Galionsfigur würde sie sich im Handumdrehen auflösen. Die Engländer hingegen, die wir in Preston und Falkirk das Fürchten gelehrt hatten, würden keine Minute zögern, die Flüchtigen zu verfolgen, ihre Schmach zu rächen und ihre Ehre mit Blut reinzuwaschen.
Es war unwahrscheinlich, daß Henry von York, Charles’ frommer jüngerer Bruder, der bereits durch geistliche Gelübde gebunden war, anstelle von Charles für die Wiedereinsetzung der Stuarts kämpfen würde. Wie man es drehte und wendete, vor uns lagen Unheil und Elend, und wir konnten einzig das Leben jener Männer retten, die morgen auf dem Schlachtfeld sterben sollten.
Selbstherrlich hatte Charles die Entscheidung getroffen, in Culloden zu kämpfen - so wie er den Rat seiner Generäle trotzig mißachtet hatte und nach England vorgedrungen war. Jetzt spielte es auch keine Rolle mehr, ob Sandringham sein Angebot ernst gemeint hatte - er war tot. Aus dem Süden gab es keine Unterstützung - anders als erwartet, scheuten sich die Jakobiten dort, sich unter dem Banner ihres Königs zu versammeln. Gegen seinen Willen zum Rückzug gezwungen, war Charles zum letzten erbitterten Widerstand entschlossen. Er trieb die schlecht bewaffneten, erschöpften, halb verhungerten Soldaten zur Entscheidungsschlacht auf das regengetränkte Moor, damit sie sich Cumberlands Kanonen entgegenstellten. Wenn Charles Stuart tot wäre, würde es wahrscheinlich nicht zur Schlacht von Culloden kommen. Ein Leben gegen zweitausend. Ein Leben - aber das eines Königssohns, der zudem nicht im Kampf sterben sollte, sondern durch kaltblütigen Mord.
Der kleine Raum, in dem wir saßen, hatte zwar einen Kamin, doch ein Feuer brannte nicht - es gab keinen Brennstoff mehr. Jamie starrte auf die Feuerstelle, als könnte er dort eine Antwort finden. Mord. Nicht nur gewöhnlicher Mord, sondern Königsmord. Und zu allem Überfluß noch an einem Mann, den er einmal seinen Freund hatte nennen dürfen.
Dennoch - die Clansmänner der Highlands versammelten sich bereits frierend auf dem offenen Feld, schlossen die ausgedünnten Reihen, während der Schlachtplan ausgearbeitet, verworfen und neu aufgestellt wurde, da immer neue Nachzügler eintrafen. Unter ihnen die MacKenzies von Leoch und die Frasers von Beaufort, insgesamt vierhundert, mit denen Jamie verwandt war. Und dazu seine eigenen dreißig Männer von Lallybroch.
Während er nachdachte, zeigte sein Gesicht keine Regung, doch seine Hände waren fest ineinander verschlungen. Ich wagte kaum zu atmen, so gespannt wartete ich auf seine Entscheidung.
Schließlich ließ er die Luft mit einem fast unhörbaren Seufzer entweichen, und mit unendlicher Trauer blickte er mich an.
»Ich kann es nicht«, flüsterte er. Er strich mir über die Wange. »Ich wünschte bei Gott, ich könnte es tun, aber ich kann es nicht.«
Die Woge der Erleichterung, die mich durchströmte, raubte mir fast den Atem.
»O Jamie, ich bin ja so froh darüber!« flüsterte ich.
Er legte den Kopf auf meine Hände, und ich legte die Wange auf sein Haar. Doch mitten in der Bewegung erstarrte ich.
Im Türrahmen stand Dougal MacKenzie und musterte uns haßerfüllt.
Ruperts Tod, die schlaflosen Nächte voller fruchtloser Debatten und der kräftezehrende Feldzug der letzten Monate hatten ihn altern lassen. Hinzu kam die Bitterkeit über die bevorstehende Niederlage. Sein roter Bart war mit silbrigen Fäden durchsetzt, seine Haut wirkte grau, und sein Gesicht zeichneten scharfe Linien, die im November noch nicht dagewesen waren. Erschrocken stellte ich fest, wie sehr er seinem Bruder Colum ähnelte. Dougal hatte Anführer sein wollen. Und nun, wo er die Nachfolge seines Bruders angetreten hatte, mußte er einen bitteren Preis dafür zahlen.
»Du schmutzige... verräterische... buhlerische... Hexe!«
Jamie fuhr auf, als wäre er von einer Kugel getroffen worden, und sein Gesicht war weiß wie der Schneeregen vor dem Fenster. Auch ich sprang auf und riß dabei die Bank um.
Dougal MacKenzie trat langsam auf mich zu. Dabei schob er die Falten seines Umhangs beiseite, so daß er sein Schwert packen konnte. Die Tür zu unserer Kammer mußte angelehnt gewesen sein, denn ich hatte nicht gehört, wie sie geöffnet wurde. Wie lange mochte er dort draußen gestanden und unser Gespräch belauscht haben?
»Du«, sagte er leise. »Ich hätte es wissen müssen. Schon im ersten Moment hätte ich es wissen müssen.« Eisern hielt er den Blick auf mich geheftet, und in dem trüben Haselnußbraun seiner Augen sah ich Angst und Wut.
Plötzlich nahm ich neben mir eine Bewegung wahr, und Jamie, der mir die Hand auf den Arm gelegt hatte, drängte mich zurück, so daß ich hinter ihm zu stehen kam.
»Dougal«, sagte er. »Es ist nicht so, wie du denkst. Es...«
»Nein?« fiel Dougal ihm ins Wort. Er wandte den Blick von mir ab, und dankbar versteckte ich mich hinter Jamie.
»Nicht so, wie ich denke?« Noch immer sprach er leise. »Da höre ich, wie diese Frau dich überreden will, einen Mord zu begehen - einen Mord an unserem Prinzen! Und nicht nur einen schändlichen Mord, sondern auch Verrat! Und dann willst du mir einreden, es wäre nicht so, wie ich denke?« Er schüttelte den Kopf, so daß ihm die verfilzten roten Locken auf den Schultern tanzten. Auch Dougal litt an Unterernährung. Scharf traten seine Wangenknochen hervor, und die brennenden Augen lagen tief in den Höhlen.
»Ich gebe dir keine Schuld, mein Junge!« Plötzlich klang seine Stimme müde, und mir wurde bewußt, daß er in den Fünfzigern war. »Es ist nicht dein Fehler, Jamie. Sie hat dich in ihren Bann geschlagen, das sieht doch jeder!« Verächtlich verzog er den Mund, als er den Blick wieder auf mich richtete.
»Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sie dich bearbeitet hat. Mit der gleichen Hexerei hat sie es seinerzeit auch bei mir versucht.« Mir kam es so vor, als würde sein Blick mich versengen. »Eine verlogene, mordlüsterne Schlampe wie die packt einen Mann bei seinem Schwanz und führt ihn in den Untergang. Das ist der Zauber, den sie anwenden, Junge - sie und diese andere Hexe. Sie zerren dich in ihr Bett, und wenn du den Kopf zum Schlummer auf ihre Brust legst, stehlen sie dir die Seele. Sie stehlen dir die Seele und verschlingen deine Männlichkeit, Jamie.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Noch immer starrte er mich an, die Hand unerbittlich um den Schwertgriff geschlossen. »Tritt beiseite, Junge. Ich werde dich aus den Klauen dieser englischen Hure befreien!«
Jamie stellte sich vor mich, so daß ich Dougal nicht mehr sah.
»Du bist müde, Dougal«, sagte er beruhigend. »Du bist müde und siehst Gespenster. Geh nach unten. Ich werde...«
Doch weiter kam er nicht. Dougal achtete nicht auf ihn. Die tiefliegenden Augen unverwandt auf mein Gesicht gerichtet, zog das Oberhaupt der MacKenzies seinen Dolch aus dem Gürtel.
»Ich schneide dir die Kehle durch«, raunte er mir zu. »Das hätte ich schon tun sollen, als du mir das erstemal begegnet bist. Das hätte uns allen viel Kummer erspart.«
Da mochte er vielleicht sogar recht haben. Trotzdem hatte ich nicht die Absicht, ihm meine Kehle darzubieten. Rasch trat ich drei Schritte nach hinten, bis ich gegen den Tisch stieß.
»Zurück, Mann!« Jamie hatte sich vor mich geworfen und hielt schützend den Arm erhoben. Aber Dougal setzte zum Sprung an.
Das Oberhaupt der MacKenzies schüttelte den mächtigen Kopf.
»Sie gehört mir«, sagte er heiser. »Hexe! Verräterin! Zur Seite, Junge. Ich will dir keinen Schaden zufügen, aber, bei Gott, wenn du sie schützen willst, dann töte ich auch dich.«
Er drängte sich an Jamie vorbei und packte mich am Arm. Trotz der Erschöpfung und seines Alters war er gut bei Kräften, und seine Finger gruben sich tief in mein Fleisch.
Ich schrie vor Schmerz und wehrte mich verzweifelt, als er mich zu sich heranzog. Doch er packte mich an den Haaren und zwang meinen Kopf nach hinten. Heiß und sauer blies mir sein Atem ins Gesicht. Mit einem Aufschrei schlug ich nach ihm und grub ihm die Nägel in die Wange.
Im nächsten Augenblick rammte ihm Jamie mit aller Wucht die Faust in die Rippen. Pfeifend entwich die Luft aus Dougals Lungen. Bei Jamies zweitem Schlag, einem gezielten Hieb mitten auf die Schulter, lockerte sich sein Griff in meinem Haar. Ich taumelte und fiel nach hinten gegen den Tisch, wobei ich vor Schreck und Schmerz aufstöhnte.
Dougal wirbelte herum, um sich Jamie zu stellen, den Dolch noch erhoben.
»So soll es denn sein«, sagte er schwer atmend. Er verlagerte sein Gewicht, um eine möglichst vorteilhafte Stellung zu finden. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, du verdammter Fraser-Sproß. Verrat liegt dir im Blut. Komm her zu mir, Flegel! Um deiner Mutter willen schenke ich dir einen schnellen Tod.«
Die kleine Dachstube ließ keinen Raum für Manöver. Kein Ort, an dem man ein Schwert ziehen konnte. Da Jamies Dolch noch immer in der Tischplatte steckte, war er praktisch unbewaffnet. Dennoch ging auch er in Kampfstellung und blickte wachsam auf die Klinge, die ihn bedrohte.
»Leg den Dolch nieder, Dougal«, sagte er. »Da du meine Mutter erwähnt hast - hör mich an, um ihretwillen.«
Anstatt zu antworten, wagte Dougal, die scharfe Klinge aufwärts gerichtet, einen Ausfall.
Jamie sprang zur Seite. Im nächsten Augenblick hechtete er zur anderen, um Dougals nächstem Ausfall auszuweichen. Zwar verfügte Jamie über die Beweglichkeit der Jugend, doch Dougal führte die Waffe.
Mit einem Satz war Dougal bei Jamie, und der Dolch traf Jamie seitlich, fuhr durch sein Hemd und hinterließ einen dunklen Kratzer in seiner Haut. Scharf zog Jamie die Luft ein. Dann sprang er nach hinten und griff nach Dougals Handgelenk. Er konnte die Attacke im letzten Moment abwehren.
Die Klinge blitzte noch einmal auf, und dann war sie zwischen den Kämpfenden verschwunden. Sie rangen, ineinander verschlungen wie Liebende. Die Luft war von dem Geruch nach Schweiß und Wut erfüllt. Plötzlich eine hastige Bewegung und ein Ruck, ein angestrengtes Stöhnen und ein Schmerzenslaut. Mit verzerrtem Gesicht taumelte Dougal nach hinten. Aus seiner Kehle ragte der Griff des Dolches.
Jamie stützte sich keuchend auf den Tisch. Seine Augen waren dunkel vor Entsetzen, sein Haar schweißnaß, und sein aufgerissenes Hemd saugte sich mit dem Blut aus seiner Wunde voll.
Dougal stieß einen schrecklichen Laut aus, einen röchelnden Entsetzensschrei. Er taumelte, doch Jamie fing ihn auf und wurde von dem Gewicht selbst in die Knie gezwungen. Dougals Kopf lag auf seiner Schulter, und Jamie hielt seinen Pflegevater fest in den Armen.
Ich ließ mich neben den beiden auf die Knie sinken, um zu sehen, ob ich Dougal noch helfen konnte. Aber es war zu spät. Der mächtige Körper erschlaffte, bäumte sich auf und glitt aus Jamies Armen. Zuckend lag Dougal auf dem Boden. Er rang um Atem wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Jamie hatte Dougals Kopf auf sein Knie gebettet. Dougals Gesicht war verzerrt, dunkelrot, und die Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Er bewegte die Lippen, als wollte er mit letzter Kraft etwas sagen, doch aus seiner durchschnittenen Kehle kam nichts außer einem bluterstickten Krächzen.
Jamie war aschgrau. Offensichtlich wußte er, was Dougal uns sagen wollte. Mit aller Macht versuchte er, den zuckenden Körper still zu halten. Nach einem letzten gewaltigen Aufbäumen und einem furchterregenden Rasseln blieb Dougal MacKenzie reglos liegen. Noch immer hatte Jamie seine Hände so fest um Dougals Schultern gekrallt, als wollte er ihn daran hindern, sich zu erheben.
»Heiliger Michael, schütze uns!« Das heisere Flüstern kam von der Türschwelle. Dort stand Willie Coulter MacKenzie, einer von Dougals Männern, und blickte schreckensbleich auf den Leichnam seines Clanführers. Mit starrem Blick bekreuzigte sich der Mann.
»Willie!« Jamie stand auf und strich sich zitternd über das Gesicht. »Willie!« Der Angesprochene wirkte wie betäubt. Fassungslos starrte er Jamie an.
»Ich brauche ein paar Stunden, Mann!« Jamie legte Willi Coulter die Hand auf die Schulter und schob ihn aus dem Raum. »Ein paar Stunden, um meine Frau in Sicherheit zu bringen. Dann komme ich zurück und gebe euch Rechenschaft. Du hast mein Wort darauf, bei meiner Ehre. Aber diese paar Stunden brauche ich noch. Läßt du sie mir, bevor du etwas sagst?«
Willie leckte sich über die trockenen Lippen und blickte außer sich vor Angst von seinem Anführer zu dessen Neffen. Schließlich nickte er. Augenscheinlich hatte er keine Ahnung, was er sonst hätte tun können.
»Gut!« Jamie schluckte schwer und wischte sich das Gesicht mit seinem Plaid ab. Dann klopfte er Willie auf die Schulter. »Bleib du hier. Bete für seine Seele«, er wies auf die reglose Gestalt am Boden, »und für meine.« Er drängte sich an Willie vorbei, griff nach seinem Dolch, zog ihn aus der Tischplatte und schob mich aus der Tür und die Treppe hinunter.
Auf halbem Weg blieb er stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Sein Atem ging so schwer, als würde er gleich das Bewußtsein verlieren, und voller Angst legte ich ihm die Hand auf die Brust. Sein Herz schlug wie wild, und er zitterte. Doch nach einem Augenblick richtete er sich wieder auf, nickte mir zu und nahm meinen Arm.
»Ich brauche Murtagh«, sagte er.
Wir fanden ihn vor der Tür. Er kauerte unter einem Dachvorsprung und hatte sich zum Schutz vor dem Schneeregen in sein Plaid gehüllt. Fergus hockte neben ihm und döste vor sich hin.
Murtagh warf einen Blick auf Jamies Gesicht und erhob sich, zu allem bereit.
»Ich habe Dougal MacKenzie umgebracht«, sagte Jamie ohne weitere Vorrede.
Murtaghs Gesicht wurde vollkommen ausdruckslos. Doch schon bald nahm es wieder die gewohnte Miene mürrischer Verbissenheit an.
»Aye«, sagte er. »Und was tun wir jetzt?«
Jamie griff in seine Felltasche und beförderte einen zusammengefalteten Bogen zutage. Mit zitternden Fingern nestelte er daran herum, bis ich ihm das Papier aus der Hand nahm und es im Schutz der Dachgauben auseinanderfaltete.
»Übertragungsurkunde« stand oben auf dem Bogen. In knappen Worten wurde darin das unter dem Namen Broch Tuarach bekannte Anwesen einem gewissen James Jacob Fraser Murray überschrieben. Als Treuhänder besagten Gutes sollten die Eltern des besagten James Murray fungieren, nämlich Janet Fraser Murray und Ian Gordon Murray, bis besagter James Murray die Volljährigkeit erreicht hatte. Unter dem Dokument prangte Jamies Unterschrift, und darunter befanden sich zwei freie Zeilen, jeweils mit dem Wort »Zeuge« gekennzeichnet. Datiert war es auf den 1. juli 1745 - einen Monat, bevor Charles Stuart seinen Aufstand begonnen und Jamie Fraser zu einem Verräter an der Krone gemacht hatte.
»Ich brauche Claires und deine Unterschrift«, sagte Jamie, während er mir das Dokument aus der Hand nahm und es Murtagh reichte. »Aber das bedeutet, daß du wegen des Datums ein falsches Zeugnis ablegst, und ich habe kein Recht, das von dir zu verlangen.«
Murtaghs dunkle Knopfaugen glitten rasch über die Urkunde. »Nein«, sagte er trocken. »Das Recht hast du nicht. Aber daß ich es unterzeichne, steht wohl außer Frage.« Er stieß Fergus mit dem Fuß an, und der Junge fuhr blinzelnd auf.
»Troll dich und hole deinem Herrn Tinte und Feder aus dem Haus, Junge«, sagte Murtagh. »Und spute dich!«
Fergus schüttelte sich, wartete auf Jamies bestätigendes Nicken und verschwand.
Von dem Dachvorsprung tropfte mir Wasser in den Nacken. Fröstelnd fuhr ich zusammen und zog mir das Wolltuch fester um die Schultern. Wann mochte Jamie die Urkunde verfaßt haben? Durch das falsche Datum wurde der Eindruck erweckt, daß er seinen Besitz übereignet hatte, bevor er zum Verräter geworden war, dessen Hab und Gut jederzeit beschlagnahmt werden konnte. Wenn die Urkunde nicht angefochten wurde, würde das Gut ungehindert an den kleinen Jamie übergehen. Dann konnten wenigstens Jenny und ihre Familie im Gutshaus bleiben.
Irgendwann hatte Jamie erkannt, daß er diese Vorbereitungen treffen mußte. Da er das Dokument nicht schon vor unserem Aufbruch aus Lallybroch verfaßt hatte, schien er zunächst gehofft zu haben, daß er zurückkehren und seinen angestammten Platz wieder einnehmen würde. Doch dies war nun ausgeschlossen, und so wollte er wenigstens das Gut retten. Niemand konnte sagen, wann die Urkunde tatsächlich unterzeichnet worden war - niemand außer den Zeugen: Murtagh und mir.
Da erschien Fergus und schwenkte stolz ein kleines Tintenfaß und einen zerzausten Federkiel. Nacheinander leisteten wir unsere Unterschrift, nachdem wir sorgfältig den Federkiel ausgeschüttelt hatten, um keine Tintenflecken auf der Urkunde zu hinterlassen. Murtagh hieß mit mittlerem Namen, wie ich las, Fitz Gibbons.
»Soll ich das Papier zu deiner Schwester bringen?« fragte Murtagh, als ich es zum Trocknen hin und her schwenkte.
Jamie schüttelte den Kopf. Die Regentropfen bildeten auf seinem Plaid große runde Flecken und glitzerten an seinen Wimpern wie Tränen.
»Nein, das macht Fergus.«
»Ich?« Erstaunt riß der Junge die Augen auf.
»Ja, du.« Jamie nahm mir den Bogen aus der Hand, faltete ihn zusammen und schob ihn unter Fergus’ Hemd.
»Du mußt es unverzüglich zu meiner Schwester bringen, zu Madame Murray. Es ist mehr wert als mein Leben - und auch mehr als deins.«
Daß er mit einer so bedeutenden Aufgabe betraut wurde, raubte Fergus praktisch den Atem. Die Hände vor der Brust verschränkt, richtete er sich auf.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Herr.«
Ein schwaches Lächeln zog über Jamies Gesicht. Er legte die Hand auf den weichen Schopf des Jungen.
»Das weiß ich, und dafür möchte ich dir danken.« Dann zog er den Ring, den er von seinem Vater bekommen hatte, von seinem linken Ringfinger. »Hier«, sagte er, während er ihn Fergus gab. »Geh zu den Ställen und zeig dies dem alten Mann, den du dort findest. Sag ihm, er soll dir Donas geben. Nimm das Pferd und reite nach Lallybroch. Du darfst nur haltmachen, wenn es sich nicht vermeiden läßt, also wenn du schlafen mußt. Und verstecke dich gut.«
Wie gebannt sah Fergus ihn an. Murtagh hingegen runzelte zweifelnd die Stirn.
»Glaubst du, er wird mit einem Teufel wie Donas fertig?« fragte er.
»Aye, das wird er«, erklärte Jamie fest. Überwältigt stammelte Fergus ein paar Worte. Dann sank er auf die Knie und küßte Jamie stürmisch die Hand. Doch im nächsten Augenblick war er wieder auf den Füßen und schoß in Richtung der Ställe davon - eine kleine Gestalt, die rasch vom Nebel verschluckt worden war.
»Und dich, mo caradh, brauche ich, um die Männer zu sammeln.«
Murtagh runzelte die Stirn, doch er nickte gehorsam.
»Aye«, erwiderte er. »Und dann?«
Jamie blickte erst mich und anschließend seinen Patenonkel an. »Inzwischen müssen sie wohl mit dem jungen Simon im Moor eingetroffen sein. Sorge dafür, daß sie zusammenbleiben. Ich bringe meine Frau in Sicherheit und dann«, er zögerte und zuckte die Achseln, »werde ich euch finden. Wartet meine Ankunft ab.«
Murtagh nickte noch einmal und wandte sich zum Gehen. Doch dann blieb er stehen und wandte sich zu Jamie um. Seine schmalen Lippen zuckten, als er sagte: »Um eins möchte ich dich bitten, mein Junge. Laß es die Engländer sein und nicht dein eigenes Volk.«
Jamie fuhr zusammen, doch nach einem Augenblick nickte er. Wortlos streckte er die Arme nach dem Älteren aus. Kurz hielten sie sich umschlungen, dann war auch Murtagh fort.
Ich war der letzte Punkt auf Jamies Tagesordnung.
»Komm, Sassenach«, sagte er und nahm meinen Arm. »Wir müssen aufbrechen.«
Niemand hielt uns auf. Auf den Wegen herrschte so reges Treiben, daß man von uns keine Notiz nahm, solange wir uns in der Nähe des Moores befanden. Als wir uns weiter entfernten und von der Landstraße abbogen, begegneten wir keiner Menschenseele mehr.
Jamie schwieg und konzentrierte sich ganz auf seine Aufgabe. Auch ich blieb still, denn ich war noch viel zu aufgewühlt, um mich unterhalten zu wollen.
Ich bringe meine Frau in Sicherheit. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, doch als er sein Pferd zwei Stunden später Richtung Süden wandte und der steile grüne Berg namens Craigh na Dun vor uns auftauchte, wurde es mir klar.
»Nein!« rief ich, als ich begriff, was er vorhatte. »Nein, Jamie! Ich gehe nicht zurück!«
Er antwortete nicht. Statt dessen gab er seinem Pferd die Sporen und ließ mir keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
Meine Gefühle waren in Aufruhr, denn zu dem Grauen vor der anstehenden Schlacht und dem Entsetzen über Dougals Tod gesellte sich nun noch die Aussicht, durch den Stein zu gehen. In den Zauberkreis zu treten, durch den ich hierhergekommen war. Jamie hatte nichts anderes im Sinn, als mich in meine eigene Zeit zurückzuschicken - wenn das überhaupt möglich war.
Aber sollte er sich in den Kopf setzen, was er wollte. Ich biß die Zähne zusammen und folgte ihm auf dem schmalen Pfad durch die Heide. Keine Macht der Erde konnte mich dazu bringen, ihn jetzt zu verlassen.
 
Wir standen nebeneinander an der Schwelle der verfallenen Kate, die am Fuß des Berges lag. Sie war schon seit Jahren unbewohnt, denn die Einheimischen glaubten, der Berg sei verzaubert - ein Feenhügel.
Jamie hatte mich den Weg entlanggezerrt, ohne meine Einwände zu beachten. Doch vor der Kate hatte er angehalten und sich schweratmend vom Pferd gleiten lassen.
»Gut«, sagte er endlich. »Uns bleibt noch ein wenig Zeit. Hier wird uns keiner finden.«
Er setzte sich auf den Boden und hüllte sich in sein Plaid. Zwar hatte der Regen vorübergehend ausgesetzt, doch von den nahegelegenen Bergen mit ihren schneebedeckten Gipfeln blies ein kalter Wind. Erschöpft ließ Jamie den Kopf auf die Knie sinken.
Ich hockte mich neben ihn und kuschelte mich in meinen Umhang. Allmählich wurde sein Atem ruhiger. Lange saßen wir so da und schwiegen. Hier oben fanden wir etwas Ruhe nach all dem Durcheinander, das dort unten herrschte - ein Durcheinander, das ich selbst mitgeschaffen hatte, wie mir schien.
»Jamie«, sagte ich schließlich. Ich streckte die Hand aus, um ihn zu streicheln, doch dann zog ich sie zurück und ließ sie sinken. »Jamie - verzeih mir.«
Er starrte unentwegt hinaus in die fahle Dunkelheit, die sich über dem Moor unter uns ausbreitete. Im ersten Augenblick dachte ich, er hätte mich nicht gehört. Aber dann schloß er die Augen und schüttelte langsam den Kopf.
»Nein«, sagte er leise. »Dazu besteht kein Grund.«
»Doch.« Der Schmerz drohte mich zu überwältigen, aber ich wollte ihm unbedingt klarmachen, daß ich wußte, was ich ihm angetan hatte.
»Ich hätte damals zurückgehen sollen, Jamie. Wenn ich zurückgegangen wäre, als du mich von Cranesmuir hierhergebracht hast, vielleicht...«
»Aye, vielleicht«, fiel er mir ins Wort. Er fuhr herum und heftete seinen Blick auf mich. Ich las darin Verlangen und eine Trauer, die ebensogroß war wie meine, aber keinen Zorn, keinen Vorwurf.
Jamie schüttelte noch einmal den Kopf.
»Nein«, wiederholte er. »Ich weiß, was du meinst, mo duinne. Aber so ist es nicht. Wenn du damals gegangen wärst, hätten sich die Dinge vielleicht genauso entwickelt. Hier haben noch andere Leute die Hand im Spiel, und ich lasse nicht zu, daß du die ganze Schuld auf dich nimmst.«
Sanft strich er mir das Haar aus dem Gesicht. Eine Träne rollte mir über die Wange, und er fing sie mit dem Finger auf.
»Das meine ich nicht«, erwiderte ich. Mit der Hand beschrieb ich einen Bogen, der die beiden Heere, Charles, die hungernden Männer in den Wäldern und die bevorstehende Schlacht umfaßte. »Nicht das. Ich rede über das, was ich dir angetan habe.«
Er lächelte mich mit unendlicher Zärtlichkeit an und legte seine warme Hand an meine Wange.
»Aye. Und was ist mit dem, was ich dir angetan habe, Sassenach? Ich habe dich aus deinem Heim herausgerissen, in die Armut, in das Dasein eines Geächteten, und ich habe dich über Schlachtfelder geführt und dein Leben in Gefahr gebracht. Wirfst du mir das vor?«
»Du weißt genau, daß ich das nicht tue.«
»Und ich ebensowenig, Sassenach.« Als er zur Bergkuppe hochblickte, schwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Der Steinkreis selbst war vor unseren Blicken verborgen, doch ich spürte die Bedrohung, die von ihm ausging.
»Ich gehe nicht, Jamie«, wiederholte ich hartnäckig. »Ich bleibe bei dir.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. Er sagte es sanft, aber seine Stimme war fest und ließ keinen Widerspruch zu. »Ich muß zu meinen Männern zurückgehen, Claire.«
»Jamie, das darfst du nicht.« Verzweifelt klammerte ich mich an seinen Arm. »In der Zwischenzeit haben sie Dougal gefunden. Willie Coulter hat es den anderen bestimmt erzählt.«
»Natürlich hat er das.« Er legte die Hand auf meinen Arm und tätschelte ihn. Auf unserem Ritt hatte er seine Entscheidung getroffen; ich las es ihm am Gesicht ab, aus dem Entschlossenheit und eine unermeßliche Trauer sprachen. Doch zum Trauern hatte er jetzt keine Zeit.
»Wir könnten versuchen, nach Frankreich zu fliehen«, schlug ich vor. »Jamie, das müssen wir tun!« Doch noch während ich das sagte, wußte ich, daß ihn nichts von der einmal getroffenen Entscheidung abbringen würde.
»Nein«, sagte er leise. Er wies auf das dunkle Tal unter uns und die Berge, die sich dahinter abzeichneten. »Dieses Land befindet sich im Aufstand, Sassenach. Alle Häfen sind geschlossen. O’Brien ist schon zum drittenmal bei dem Versuch gescheitert, ein Schiff nach Schottland einzuschleusen, das den Prinzen nach Frankreich und damit in Sicherheit bringen könnte. Das hat Dougal mir erzählt, bevor...« Ein Zittern lief über sein Gesicht, und seine Züge verkrampften sich schmerzerfüllt. Doch er schob seine Gefühle beiseite und sprach mit fester Stimme weiter.
»Charles Stuart wird von den Engländern gejagt. Doch mir werden nicht nur die Engländer, sondern auch die Clans auf den Fersen sein. Ich habe beide Seiten verraten, bin ein Aufständischer und ein Mörder. Claire...« Er hielt inne und rieb sich mit der Hand den Nacken. »Claire, mich erwartet der sichere Tod.«
Tränen strömten mir über die Wangen, und das kalte Naß brannte auf meiner Haut wie Feuer.
»Nein«, sagte ich erneut, aber ohne große Wirkung.
»Wie du weißt, ist meine Erscheinung nicht gerade unauffällig«, scherzte er gequält, während er sich mit der Hand durch die rostroten Locken fuhr. »Der rote Jamie würde wohl nicht weit kommen. Aber du...« Mit einem Finger zog er die Form meiner Lippen nach. »Dich kann ich retten, Claire, und daran wird mich niemand hindern. Das ist das Wichtigste. Und dann gehe ich zurück und bringe meine Männer in Sicherheit.«
»Die Männer von Lallybroch? Wie willst du das anstellen?«
Jamie runzelte die Stirn und strich gedankenverloren über seinen Schwertgriff.
»Ich glaube, ich kann sie fortschaffen. Auf dem Moor wird ein großes Durcheinander herrschen. Wahrscheinlich laufen Soldaten und Pferde wie wild hin und her, und die Kommandeure rufen widersprüchliche Befehle in die Gegend. So eine Schlacht ist eine wirre Angelegenheit. Und selbst wenn sich bis dahin herumgesprochen hat, was... was ich getan habe, wird mich niemand aufhalten, wenn uns die Engländer gegenüberstehen und alle auf den Befehl zum Angriff warten. Aye, ich kann es schaffen.« Entschlossen ballte er die Hände zu Fäusten.
»Sie werden mir folgen, ohne Fragen zu stellen - Gott, auf diese Weise sind sie ja überhaupt erst in diesen Schlamassel hineingeraten. Murtagh hat sie sicher bereits versammelt, und ich werde sie vom Schlachtfeld fortführen. Wenn sich mir jemand in den Weg stellt, verweise ich auf mein Recht, meine Männer selbst in die Schlacht zu führen. Nicht einmal der junge Simon kann mir das verwehren.«
Er holte tief Luft. Seine gerunzelte Stirn verriet, daß er sich die Szene auf dem Schlachtfeld bildlich vorstellte.
»Und dann führe ich sie fort, in Sicherheit. Das Feld ist groß, und dort sind Soldaten genug. Niemand wird merken, daß wir nicht etwa eine neue Stellung bezogen haben. Ich werde sie bis zur Straße nach Lallybroch geleiten.«
Er schwieg, als wäre sein Plan bis dahin gediehen und nicht weiter.
»Und dann?« fragte ich. Die Worte waren mir entschlüpft, obwohl ich die Antwort nicht hören wollte.
»Und dann kehre ich zurück nach Culloden«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. Unsicher lächelte er mich an. »Ich habe keine Angst vor dem Tod, Sassenach.« Wehmütig verzog er den Mund. »Nun, zumindest keine große Angst. Aber einige Todesarten...« Obwohl ein Schauer durch seinen Körper fuhr, hörte er nicht auf zu lächeln.
»Wahrscheinlich habe ich mir das Privileg verscherzt, durch einen Meister seines Fachs zu sterben. Andererseits könnten es sowohl Monsieur Forez als auch ich etwas... etwas peinlich finden, wenn mir jemand das Herz aus dem Leib schneidet, mit dem ich bei einem Glas Wein zusammengesessen habe.«
Mit einem gequälten Aufschrei riß ich ihn in meine Arme und hielt ihn fest umschlungen.
»Ist schon gut«, flüsterte er. »Ist schon gut, Sassenach. Eine Musketenkugel. Oder vielleicht die Klinge eines Schwertes. Und dann ist es rasch vorbei.«
Ich wußte, das war gelogen; dazu hatte ich zu viele Gefallene gesehen. Jamie hatte einzig darin recht, daß es besser war, als auf den Henker zu warten. Die Angst, die mich seit unserem Aufbruch von Sandringhams Landsitz begleitet hatte, wallte in mir auf und schnürte mir die Luft ab. Mein eigener Herzschlag dröhnte mir in den Ohren.
Doch plötzlich wich alle Angst von mir. Ich konnte ihn nicht verlassen, und ich würde ihn nicht verlassen.
»Jamie«, sagte ich, den Kopf an seine Brust geschmiegt, »ich kehre mit dir zurück.«
Er machte sich von mir los und funkelte mich wütend an.
»Den Teufel wirst du!«
»Doch!« Eine ungeheure Ruhe hatte mich erfaßt, nicht der geringste Zweifel plagte mich. »Ich nähe mir aus meinem Umhang einen Kilt. Es gibt so viele Jungen im Heer, daß ich leicht für einen durchgehen kann. Du meinst selbst, daß große Verwirrung herrschen wird. Und so wird es auch niemand bemerken.«
»Nein, Claire«, sagte er. »Nein!« Er hatte das Kinn vorgeschoben und funkelte mich wütend an. Doch es lag auch Angst in seinem Blick.
»Wenn du keine Angst hast, habe ich auch keine«, beharrte ich, wobei ich gleichfalls das Kinn vorreckte. »Du hast doch selbst gesagt, daß es... daß es schnell vorbei ist.« Trotz meiner Entschlossenheit begann meine Stimme zu zittern. »Jamie... ich möchte... ich kann... ich kann ohne dich nicht leben!«
Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Um Fassung ringend, schüttelte er den Kopf. Über die Bergkuppen senkte sich die Dämmerung, während die Wolken noch dunkelrot schimmerten. Endlich streckte er die Arme aus und zog mich an sich.
»Glaubst du etwa, das wüßte ich nicht?« fragte er leise. »Was mir bevorsteht, ist der leichtere Teil. Denn wenn du das gleiche für mich fühlst wie ich für dich - dann verlange ich von dir, daß du dir das Herz aus dem Leibe reißt und ohne es weiterlebst.« Er strich mir über den Kopf.
»Aber du mußt gehen, mo duinne. Meine tapfere Löwin. Du mußt.«
»Warum?« Ich fuhr zurück und blickte ihn fragend an. »Als du mir beim Prozeß in Cranesmuir zur Flucht verholfen hast, hast du gesagt, du wärst notfalls auch mit mir auf den Scheiterhaufen gegangen.«
Er nahm meine Hand und blickte mich eindringlich an.
»Aye, das wäre ich«, erwiderte er. »Aber ich trug auch nicht dein Kind unterm Herzen.«
Ich zitterte. Der Wind hatte mich ausgekühlt, redete ich mir ein, und es war nur die Kälte, die mir den Atem raubte.
»Das kann man noch nicht sagen«, entgegnete ich nach einer Pause. »Dazu ist es noch viel zu früh.«
Er schnaubte, und in seinen Augen zeigte sich ein amüsiertes Funkeln.
»Ich bin auf dem Land großgeworden, Sassenach. Seit ich zum erstenmal bei dir gelegen habe, hat sich deine Blutung kein einziges Mal verspätet. Aber seit der letzten sind jetzt sechsundvierzig Tage vergangen.«
»Du Hund!« rief ich wütend. »Du hast mitgezählt! Mitten im blutigsten Krieg hast du mitgezählt!«
»Du etwa nicht?«
»Nein!« Ich hatte mir nicht eingestehen wollen, daß mein sehnlichster Wunsch jetzt und damit viel zu spät in Erfüllung gegangen war.
»Außerdem«, wandte ich ein, »heißt das noch gar nichts. Es könnte auch an der schlechten Ernährung liegen.«
Er blickte mich skeptisch an und legte seine große Hand sanft unter meine Brust.
»Aye, dünn bist du wirklich. Aber obwohl man deine Rippen zählen kann, sind deine Brüste rund und prall, und die Warzen haben die Farbe von Champagnertrauben. Du vergißt, daß ich das schon einmal gesehen habe. Ich habe keinen Zweifel - und du ja wohl auch nicht.«
Ich kämpfte gegen eine Welle von Übelkeit an - die sich so leicht auf Angst und Hunger hätte zurückführen lassen -, und plötzlich fühlte ich das zarte Gewicht in meinem Unterleib. Obwohl ich rasch die Zähne zusammenbiß, wurde die Übelkeit stärker.
Jamie ließ meine Hand los und baute sich, die Fäuste in die Seiten gestemmt, vor mir auf, so daß sich seine Umrisse deutlich vor dem dunkelgrauen Himmel abzeichneten.
»Claire«, sagte er ruhig, »morgen werde ich sterben. Dieses Kind ist alles, was von mir bleibt - dieses Kind, und sonst nichts. Claire, ich bitte dich, ich flehe dich an, bring es in Sicherheit.«
Mir wurde schwarz vor Augen, und im selben Moment hörte ich, wie mein Herz brach - ein leiser, sauberer Laut, wie wenn man einen Blumenstiel abknickt.
Schließlich beugte ich mich ihm.
»Ja«, flüsterte ich, während der Wind in meinen Ohren klagte. »Ich werde gehen.«
Mittlerweile war es fast dunkel. Jamie trat hinter mich und umschlang mich mit den Armen. Ich lehnte mich gegen ihn, und gemeinsam blickten wir über das Tal. In der Ferne wurden Wachfeuer entzündet; sie flackerten wie kleine schimmernde Punkte. Schweigend sahen wir zu, wie die Nacht hereinbrach. Es war still auf dem Berghang; ich hörte nichts anderes als Jamies gleichmäßigen Atem, der mir mit jedem Zug kostbarer wurde.
»Ich werde dich finden«, flüsterte er mir ins Ohr. »Das verspreche ich dir. Und wenn ich im Fegefeuer schmoren muß - zweihundert Jahre ohne dich. Das soll die Strafe für meine Sünden sein. Ich habe gelogen und getötet, gestohlen und mein Wort gebrochen. Doch es gibt eine Sache, die vieles ausgleicht. Wenn ich vor den Herrn hintrete, kann ich einen Punkt zu meinen Gunsten anführen.«
Er sprach so leise, daß ich ihn kaum noch verstand. Dafür umschlang er mich noch fester.
»Herr, du hast mir eine wunderbare Frau gegeben. Und, Herr, ich habe sie von Herzen geliebt.«
 
Er liebkoste mich langsam und zärtlich, und ich erwiderte seine Liebkosungen voller Behutsamkeit. Jede Berührung, jeden Augenblick mußte ich im Gedächtnis bewahren, als kostbaren Schatz für die Jahre ohne ihn.
Ich strich über jede Mulde, jeden geheimen Winkel seines Körpers. Spürte die Anmut und Kraft seiner Glieder, die Macht seiner Muskeln, die sich flach und geschmeidig über seine Schultern spannten.
Ich spürte den salzigen Schweiß in der Grube unter seiner Kehle, roch den warmen Moschusduft in den Haaren zwischen seinen Lenden, küßte seinen großen, weichen Mund, der nach getrockneten Äpfeln und bitteren Wacholderbeeren schmeckte.
»Meine Einzige, du bist so schön!« flüsterte er mir zu, als er über die feuchte, zarte Haut zwischen meinen Schenkeln strich.
Sein Kopf war nicht mehr als ein großer dunkler Fleck auf meiner weißen Haut, denn die Risse im Dach ließen nur ein wenig Licht von dem verhangenen Himmel in die Kate fallen. Das leise Donnergrollen eines Frühlingsgewitters ließ die Wände erzittern. Sein Penis lag hart in meiner Hand. So stark war sein Verlangen, daß er bei meiner Berührung schon fast schmerzlich aufstöhnte.
Als er nicht mehr länger warten konnte, nahm er mich, und sehnsüchtig, leidenschaftlich erstürmten wir den höchsten Gipfel der Vereinigung. Einen Gipfel, den wir ersehnten und den wir fürchteten, denn dahinter lag die Trennung.
Wieder und wieder brachte er mich zum Höhepunkt, während er sich selbst schweratmend und bebend zurückhielt. Schließlich strich ich ihm übers Gesicht, fuhr mit den Händen durch sein Haar, preßte ihn an mich und bäumte ihm fordernd die Hüften entgegen.
»Komm«, flüsterte ich zärtlich. »Begleite mich! Jetzt gleich.«
Wir umklammerten uns leidenschaftlich und verzweifelt zugleich, und unsere Schreie schienen in der Dunkelheit der alten Steinkate endlos widerzuhallen.
Danach lagen wir reglos aneinandergeschmiegt. Sein köstliches Gewicht war mir Schutz und Schild zugleich. Konnte es wirklich sein, daß aus dem Körper, der so kräftig, so warm, so pulsierend war, in den nächsten Stunden alles Leben weichen sollte?
»Horch mal«, sagte er nach einer Weile. »Hörst du es auch?«
Zuerst vernahm ich nichts als den Wind und den Regen, der durch die Löcher im Dach in die Kate tropfte. Dann hörte ich das regelmäßige, langsame Klopfen seines Herzens direkt an meinem, und meins an seinem, zwei Herzen im Einklang, vereint im Rhythmus des Lebens.
So lagen wir lange Zeit engumschlungen, warm und geborgen unter Plaid und Umhang, mit unseren Kleidern als Matratze. Schließlich löste sich Jamie von mir, drehte mich auf die andere Seite und legte seine Hand auf meinen Bauch. Sein warmer Atem strich über meinen Nacken.
»Schlaf ein wenig, mo duinne«, flüsterte er. »Ich möchte noch einmal so daliegen und dich und das Baby in den Armen halten.«
Ich hätte nicht gedacht, daß ich Schlaf finden würde, doch die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Ohne Wellen aufzuwirbeln, tauchte ich in das Vergessen. Als ich in der Morgendämmerung erwachte, hielt Jamie mich noch immer umschlungen, und ich sah zu, wie die Dämmerung die freundliche, schützende Dunkelheit vertrieb.
Da drehte ich mich auf die Seite, um ihn zu betrachten. Ich wollte sehen, wie das Tageslicht sein markantes, aber im Schlaf so unschuldiges Gesicht erhellte, wollte sehen, wie die aufgehende Sonne in seinem Haar einen Funkenregen aufsprühen ließ - zum letztenmal.
Der Schmerz, der mich durchzuckte, war so heftig, daß ich aufstöhnte, und er öffnete die Augen. Als er mich sah, lächelte er, und forschend glitt sein Blick über meine Züge. Er tat es mir gleich, wollte sich mein Gesicht einprägen.
»Jamie«, sagte ich. Vom Schlaf und den vielen Tränen, die ich hinuntergeschluckt hatte, war meine Stinmme heiser. »Jamie, ich möchte ein Zeichen von dir tragen.«
»Wie bitte?« fragte er verwundert.
In meiner Reichweite entdeckte ich den kleinen sqian dhu, den Jamie immer im Strumpf trug. Dunkel hob sich sein Griff aus geschnitztem Hirschhorn von dem Kleiderhaufen ab, auf dem er lag. Ich hob ihn auf und gab ihn Jamie.
»Schneide mich«, drängte ich ihn. »So tief, daß ich eine Narbe behalte. Wenn ich gehe, möchte ich ein Zeichen von dir mitnehmen, etwas, was mir immer bleibt. Es macht nichts, wenn es weh tut. Nichts kann mehr schmerzen als unsere Trennung. Dann kann ich wenigstens später darüberstreichen und ein Zeichen von dir spüren, wo immer ich bin.«
Er legte seine Hand auf meine, die das Messer umschlossen hielt. Nach kurzem Nachdenken drückte er sie und nickte. Als er die rasiermesserscharfe Klinge nahm, streckte ich ihm meine rechte Hand entgegen. Unter unseren Decken war es warm, doch in der kalten Luft des Raumes bildete unser Atem kleine Wölkchen.
Jamie drehte meine Handfläche nach oben und untersuchte sie sorgfältig. Dann hob er sie an die Lippen und küßte sie sanft. Doch gleich darauf sog er scharf an meiner Daumenwurzel. Als er sie freigab, schnitt er rasch in das gefühllose Fleisch. Ich spürte nicht mehr als ein leichtes Brennen, doch auf der Stelle quoll Blut aus dem Schnitt. Rasch führte er meine Hand an seinen Mund und hielt sie dort, bis das Blut versiegt war. Dann verband er die mittlerweile schmerzende Wunde sorgsam mit einem Taschentuch, doch zuvor zeigte er mir den Schnitt - ein etwas schiefes »J«.
Als ich aufblickte, hielt er mir das kleine Messer entgegen. Ich nahm es und griff zögernd nach der Hand, die er mir entgegenstreckte.
Jamie schloß die Augen und preßte die Lippen zusammen. Trotzdem entfuhr ihm ein schmerzliches Stöhnen, als ich die Messerspitze in die fleischige Wölbung seiner Daumenwurzel drückte. Der Venushügel, so hatte mir eine Handleserin gesagt, steht für Leidenschaft und Liebe.
Erst als ich den kleinen, halbkreisförmigen Schnitt vollendete, merkte ich, daß er mir die linke Hand gegeben hatte.
»Ich hätte die andere nehmen sollen«, sagte ich. »Es wird weh tun, wenn du dein Schwert führst.«
Er lächelte leicht.
»Was könnte schöner sein, als daß ich in meinem letzten Kampf deine Berührung spüre.«
Ich löste das blutgetränkte Taschentuch und preßte meine Wunde fest gegen seine. Als sich unser Blut vermischte, schlangen sich unsere Finger ineinander.
»Blut von meinem Blute...«, flüsterte ich.
»... und Fleisch von meinem Fleische«, antwortete er leise. Keiner von uns beiden war in der Lage, den Schwur mit den Worten »bis wir unser Leben aushauchen« zu vollenden, doch mit schmerzhafter Deutlichkeit hingen sie im Raum. Schließlich lächelte er wehmütig.
»Über den Tod hinaus«, sagte er fest und zog mich wieder an sich.
 
»Frank«, sagte er irgendwann seufzend. »Ich überlasse es dir, was du ihm von mir erzählst. Wahrscheinlich wird er nichts hören wollen. Wenn doch, und wenn du in der Lage bist, so mit ihm zu reden, wie du mit mir über ihn gesprochen hast, dann sage ihm... sage ihm, daß ich ihm danke. Und daß ich ihm vertraue, weil ich keine andere Wahl habe. Und sage ihm...«, fest schlossen sich seine Finger um meinen Arm, und er klang zugleich amüsiert und bitterernst, »sag ihm, daß ich ihn hasse bis ins Mark.«
Wir hatten uns angekleidet, und die Morgendämmerung war dem hellen Tag gewichen. Ein Frühstück, mit dem wir den Tag beginnen konnten, gab es nicht. Es war alles gesagt... und es blieb nichts mehr zu tun.
Um rechtzeitig am Moor von Drummossie einzutreffen, mußte Jamie mich jetzt verlassen. Der Augenblick des Abschieds war gekommen, doch wir wußten beide nicht, wie wir Abschied nehmen sollten.
Schließlich lächelte er traurig, beugte sich zu mir herab und küßte mich sanft.
»Man sagt...«, setzte er an, hielt jedoch inne, um sich zu räuspern. »Früher hieß es, wenn ein Mann auszieht, um Heldentaten zu vollbringen, solle er eine weise Frau aufsuchen und um ihren Segen bitten. Er muß in die Richtung blicken, in die er aufbrechen will. Sie stellt sich hinter ihm auf und spricht für ihn ein Gebet. Wenn sie geendet hat, muß er geradewegs weggehen und darf sich nicht umsehen, denn das bringt Unglück.«
Er strich mir noch einmal über das Gesicht und wandte sich dann ab, so daß er durch die offene Tür nach draußen blickte. Die Morgensonne schien herein und ließ sein Haar in tausend Funken aufleuchten. Rasch straffte er die Schultern, die sich breit unter seinem Plaid abzeichneten, und holte tief Luft.
»Segne mich, weise Frau«, sagte er, »und dann geh!«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und suchte nach Worten. Jenny hatte mich einige der alten gälischen Bittgebete gelehrt, und jetzt kramte ich in meiner Erinnerung nach ihrem Wortlaut.
»Heiliger Herr Jesus«, stammelte ich heiser, »ich rufe dich an. Heiliger Apostel Johannes, ich rufe dich an und alle Heiligen. Sie mögen dich schützen im Kampf, der dir bevorsteht...«
Weiter kam ich nicht. Von unten drangen Geräusche in die Kate. Stimmen und Schritte.
Jamie erstarrte. Dann wirbelte er zu mir herum und schob mich zu der eingefallenen Rückwand des Häuschens.
»Da lang«, raunte er mir zu. »Das sind Engländer. Lauf, Claire!«
Mit zugeschnürter Kehle lief ich zu der Öffnung in der Wand, während Jamie zur Tür zurückkehrte, die Hand am Schwertgriff. Ich blieb stehen, um noch einen letzten Blick auf ihn zu werfen. Er wandte sich um, sah mich und war plötzlich bei mir. In einem Aufwallen der Verzweiflung drängte er mich gegen die Wand. Stürmisch zog er mich an sich, so daß ich seine Erektion an meinem Bauch und den Griff seines Dolches an meiner Hüfte spürte.
»Einmal noch. Es muß sein! Aber rasch!« flüsterte er heiser in mein Ohr. Er drückte mich an die Wand, und als er seinen Kilt hochzog, raffte ich meine Röcke. Es war keine liebevolle Umarmung, er nahm mich hastig und brutal, und in Sekundenschnelle war es vorüber. Mittlerweile schienen die Stimmen nur noch wenige hundert Meter entfernt.
Er küßte mich noch einmal, so hart, daß ein salziger Blutgeschmack in meinem Mund zurückblieb. »Nenne ihn Brian«, flüsterte er, »nach meinem Vater.« Mit einem Stoß schob er mich zur Maueröffnung. Als ich darauf zulief, blickte ich mich noch einmal um. Jamie stand mit halb gezogenem Schwert in der einen und gezücktem Dolch in der anderen Hand in der Tür.
Da die Engländer damit gerechnet hatten, daß die Kate unbewohnt war, hatten sie keinen Fährtensucher ausgesandt. Der Hang hinter dem Häuschen war menschenleer, und so überquerte ich ihn im Laufschritt, bis mich der Erlenhain unterhalb der Bergkuppe vor allen Blicken verbarg.
Keuchend kämpfte ich mich durch die Zweige und das Unterholz, und blind vor Tränen stolperte ich über Wurzeln und Steine. Von der Kate drangen Rufe und das Klirren von Waffen zu mir herauf. Meine Schenkel waren glitschig und feucht von Jamies Samen. Ich hatte das Gefühl, als würde ich die Bergkuppe niemals erreichen, als müßte ich mich für den Rest meines Lebens durch dieses Dickicht kämpfen.
Plötzlich knackte es hinter mir im Gebüsch. Also hatte mich doch jemand aus der Kate fliehen sehen. Ich wischte die Tränen fort, und da der Hang jetzt steiler wurde, kroch ich auf allen vieren voran, so schnell ich konnte. Ich hatte den Felsvorsprung aus Granit erreicht, an den ich mich noch erinnerte. Dann sah ich auch das Gestrüpp, das aus den Felsspalten wuchs, und das Geröll.
Am äußeren Rand des Steinkreises blieb ich stehen und blickte nach unten. Verzweifelt versuchte ich zu erkennen, was dort geschah. Wie viele Soldaten waren zur Kate gekommen? Hatte Jamie sich retten und zu seinem Pferd durchschlagen können, das weiter unten angebunden war; ohne Reittier würde er nicht mehr rechtzeitig am Moor eintreffen.
Plötzlich wurden weiter unten die Zweige geteilt, und eine Gestalt in Rot brach aus dem Unterholz. Ein englischer Soldat. Keuchend überquerte ich die Grasnarbe im Steinkreis und zwängte mich durch den gespaltenen Stein.
Die Geliehene Zeit
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