9
Die Pracht von versailles
Leise zog ich die Tür des Salons hinter mir zu und blieb einen Moment lang stehen. Um Mut zu schöpfen und um mich zu beruhigen, holte ich tief Luft, doch unter dem Einfluß des engen Fischbeinkorsetts entwich mir der Atem mit einem erstickten Keuchen.
Jamie, der das hörte, blickte von dem Stapel Versandformulare auf, in den er sich vertieft hatte. Er riß die Augen auf und erstarrte. Dann öffnete er den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus.
»Gefällt es dir?« Geziert nahm ich die Schleppe auf und trat mit leichtem Hüftschwung, den mir die Näherin gezeigt hatte, in die Mitte des Raumes, um die hauchdünnen Keile aus Seidenplissee, die in den Rock eingesetzt waren, in ihrer ganzen Pracht zu zeigen.
Jamie schloß den Mund und blinzelte.
»Es ist... es ist rot, nicht wahr?« stellte er fest.
»Ziemlich.« Sang-du-Christ, um genau zu sein. Das Blut Christi, die modischste Farbe der Saison, wie man mir zu verstehen gegeben hatte.
»Nicht jede Frau kann das tragen, Madame«, hatte die Näherin gesagt, die sich von den Stecknadeln, die sie zwischen die Lippen geklemmt hatte, nicht hatte stören lassen. »Aber Sie, mit Ihrem Teint! Mutter Gottes, die Männer werden den ganzen Abend versuchen, unter Ihren Rock zu kriechen.«
»Sollen sie nur! Dann trete ich ihnen auf die Finger«, erklärte ich. Denn das war gewiß nicht die beabsichtigte Wirkung. Ich wollte lediglich auffallen. Jamie hatte mich gedrängt, mir ein Kleid anfertigen zu lassen, das mich aus der Masse heraushob. Trotz seiner morgendlichen Benommenheit hatte sich der König offensichtlich an Jamies Auftritt beim Lever erinnert und uns zu einem Ball in Versailles eingeladen.
»Ich muß bei den Reichen Gehör finden«, hatte Jamie erklärt, als wir Pläne schmiedeten. »Und da ich weder über Einfluß noch über Macht verfüge, muß ich dafür sorgen, daß sie meine Gesellschaft suchen.« Damals hatte er mich, die ich ihm in meinem alles andere als kleidsamen wollenen Nachthemd gegenübersaß, mit einem tiefen Seufzer angeblickt.
»Und in Paris heißt das wohl leider, daß wir uns aufs gesellschaftliche Parkett begeben und sogar bei Hof erscheinen, wenn es sich einrichten läßt. Jeder weiß, daß ich Schotte bin, und deshalb ist es nur natürlich, wenn mich die Leute über Prinz Charles ausfragen oder wissen wollen, ob die Schotten die Rückkehr der Stuarts sehnsüchtig erwarten. Dann kann ich ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit erklären, daß es den meisten Schotten eine stattliche Summe wert wäre, wenn die Stuarts nicht zurückkämen - obwohl es mir widerstrebt, das zu sagen.«
»Ja, du mußt wirklich diskret sein«, gab ich ihm recht. »Sonst hetzt Bonnie Prince Charles noch die Hunde auf dich, wenn du ihn das nächstemal aufsuchst.« Da Jamie ein Auge auf Charles und seine Aktivitäten haben wollte, hatte er dem jungen Prinzen in der letzten Zeit einmal wöchentlich seine Aufwartung gemacht.
Auf Jamies Gesicht zeigte sich die Andeutung eines Lächelns. »Aye. Soweit es Seine Hoheit und seine Anhänger betrifft, bin ich der Sache der Stuarts treu ergeben. Und solange ich bei Hof empfangen werde und Charles nicht, besteht wenig Gefahr, daß er erfährt, was ich dort sage. Grundsätzlich bleiben die Jakobiten in Paris unter sich. Unter anderem, weil sie nicht die Mittel haben, sich in den feinen Kreisen zu bewegen. Wir hingegen schon, Jared sei Dank!«
Jared hatte - aus völlig anderen Gründen - in Jamies Vorschlag eingewilligt, die geschäftlichen Unternehmungen seiner Firma auszudehnen, damit der französische Adel und die wohlhabenden Bankiersfamilien den Weg zu uns fanden, wo sie mit Rheinwein, angenehmer Unterhaltung, allerlei Kurzweil und großen Mengen schottischen Whiskys verwöhnt und umgarnt werden sollten. Den Whisky hatte Murtagh in den vergangenen zwei Wochen über den Kanal bis in unsere Keller gebracht.
»Du kannst sie nur locken, wenn du ihnen Unterhaltung bietest«, hatte Jamie erklärt, während er auf der Rückseite einer der Balladentexte, die Bänkelsänger verkaufen - dieser befaßte sich mit der Affäre zwischen dem Comte de Sevigny und der Frau des Ministers für Landwirtschaft -, seinen Plan entwarf. »Der Adel schert sich nur um Äußerlichkeiten. Deshalb müssen wir ihnen zuerst etwas bieten, was sich anzusehen lohnt.«
Seinem verblüfften Ausdruck nach zu urteilen, war mir der Anfang gelungen. Ich tänzelte auf der Stelle, so daß der weite Rock hin und her schwang.
»Hübsch, nicht wahr?« fragte ich. »Zumindest ist es auffällig.«
Endlich fand Jamie seine Stimme wieder.
»Auffällig?« krächzte er. »Himmel, man kann jeden Zentimeter deiner Brust bis hinunter zur dritten Rippe sehen!«
Ich blickte an mir hinunter.
»Nein, kann man nicht. Das unter der Spitze, das bin nicht ich, das ist eine Unterlage aus weißem Stoff.«
»Mag schon sein, aber es sieht nicht danach aus.« Er trat auf mich zu, um das Mieder des Kleides zu inspizieren. Dann spähte er in mein Dekollete.
»Himmel, man sieht deinen Nabel! Du hast doch wohl nicht etwa vor, dich so in der Öffentlichkeit zu zeigen?«
Das ärgerte mich. Die Offenherzigkeit des Kleides hatte auch mir ein gewisses Unbehagen bereitet, obwohl mich die Näherin davon überzeugt hatte, daß es in jeder Hinsicht der Mode entsprach. Doch Jamies Bemerkung trieb mich in die Enge, worauf ich von jeher widerborstig reagierte.
»Du hast mir doch selbst gesagt, ich soll auffallen!« erinnerte ich ihn. »Und im Vergleich zum letzten Schrei am Hofe ist dies noch gar nichts. Glaub mir, gegen Madame de Perignon und die Duchesse de Rouen wirke ich wie die Sittsamkeit in Person.« Ich stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihn kalt. »Oder soll ich etwa in meinem grünen Samtkleid bei Hofe erscheinen?«
Jamie wandte seinen Blick von meinem Dekollete ab und preßte die Lippen zusammen.
»Mmmmpf«, murmelte er und schaute höchst schottisch aus.
Zum Zeichen der Versöhnung trat ich näher an ihn heran und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Komm«, sagte ich, »du warst doch schon früher am Hof. Du weißt, was die Damen dort tragen. Nämlich Kleider, gegen die dieses hier geradezu zugeknöpft wirkt.«
Mit einem beschämten Lächeln blickte er auf mich herab.
»Aye«, sagte er. »Aye, du hast recht. Es ist nur... du bist meine Frau. Und ich mag es nicht, wenn andere Männer dich so ansehen, wie ich die Damen dort angesehen habe.«
Ich lachte, schlang ihm die Arme um den Hals und zog ihn zu mir herab, so daß ich ihn küssen konnte. Er faßte mich um die Taille, und ohne es zu merken, strich er mit dem Daumen über die weiche Seide meines Mieders. Seine Hand fuhr über den glatten Stoff hinauf zu meinem Nacken. Mit der anderen umfaßte er meine runde Brust, die sich oberhalb des engen Mieders unter der üppigen Freiheit einer einfachen Lage Seide wölbte. Dann ließ er sie los, richtete sich auf und schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Wahrscheinlich mußt du es anziehen, Sassenach, aber, um Himmels willen, hüte dich!«
»Mich hüten? Wovor?«
Sein Mund verzog sich zu einem zaghaften Lächeln.
»Anscheinend hast du keine Vorstellung, wie du in dem Kleid aussiehst, Mädchen! Ich würde dich am liebsten auf der Stelle ins Bett schleifen. Und diese verdammten Gallier verfügen nicht über meine Willenskraft.« Er zog die Stirn kraus. »Könntest du nicht... könntest du es nicht oben ein wenig verhüllen?« Er zeigte auf sein üppiges Jabot, das mit einer rubinbesetzten Anstecknadel befestigt war. »Mit... einer Spitze oder etwas Ähnlichem? Einem Taschentuch vielleicht?«
»Männer!« seufzte ich. »Von Mode keine Ahnung! Aber mach dir keine Sorgen, die Näherin hat mir erklärt, daß wir zu diesem Zweck unsere Fächer haben.« Ich klappte den passenden spitzenbesetzten Fächer auf und ließ ihn mit einer Anmut, die mich fünfzehn Minuten harten Übens gekostet hatte, über meinen Busen flattern.
Jamie blickte wie in Trance auf meine Darbietung. Dann holte er meinen Umhang aus dem Schrank.
»Tu mir einen Gefallen, Sassenach«, sagte er. »Nimm einen größeren Fächer.«
 
In punkto Auffälligkeit war das Kleid ein uneingeschränkter Erfolg. Was die Auswirkungen auf Jamies Blutdruck betraf, war der Effekt nicht ganz so wünschenswert.
Er wich mir nicht von der Seite und funkelte jeden Mann, der in meine Richtung sah, wütend an, bis Annalise de Marillac uns entdeckte und mit einem süßen Begrüßungslächeln auf den zarten Zügen auf uns zuschwebte. Annalise de Marillac war eine »Bekannte«, wie Jamie sich ausdrückte, aus seiner früheren Zeit in Paris. Außerdem war sie wunderschön, reizend und ausgesprochen graziös.
»Mon petit sauvage!« begrüßte sie Jamie. »Da ist jemand, den du kennenlernen mußt. Eigentlich sind es sogar mehrere.« Mit ihrem Porzellanpuppenkopf wies sie auf eine Gruppe von Männern, die sich um einen Schachtisch versammelt hatten und hitzig debattierten. Ich erkannte den Duc d’Orléans und Gerard Gobelin, einen bekannten Bankier. Einflußreiche Leute demnach.
»Komm und spiel mit ihnen Schach«, drängte Annalise und legte Jamie bittend die Hand auf den Arm. »Es wäre nicht schlecht, wenn Seine Majestät dich dabei antrifft.«
Der König wurde erwartet, sobald das Diner zu Ende war, zu dem er geladen hatte, also in ein bis zwei Stunden. In der Zwischenzeit schlenderten die anderen Gäste durch den Raum, trieben Konversation, bewunderten die Gemälde an den Wänden, kokettierten hinter Fächern, verspeisten Konfekt und Törtchen, tranken Wein und zogen sich in diskreten Abständen in die eigenartigen, durch Vorhänge geschützten kleinen Alkoven zurück. Diese waren so geschickt in die Wandvertäfelung eingelassen, daß man sie kaum wahrnahm, wenn nicht gerade eindeutige Geräusche daraus hervordrangen.
Als Jamie zögerte, zog ihn Annalise am Arm.
»Komm schon«, schmeichelte sie. »Um deine Dame brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Sie warf einen anerkennenden Blick auf mein Kleid. »Die bleibt nicht lange allein.«
»Das fürchte ich ja gerade«, stieß Jamie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Nun gut, in einem Augenblick.« Er machte sich aus Annalises Griff frei und beugte sich hinunter, um mir ins Ohr zu flüstern.
»Wenn ich dich in einem dieser Alkoven finde, Sassenach, hat für deinen Begleiter das letzte Stündlein geschlagen. Und was dich angeht...« Unwillkürlich fuhr seine Hand zu seinem Schwertgehenk.
»O nein, das wirst du nicht«, entgegnete ich. »Du hast auf deinen Dolch geschworen, daß du mich nie wieder schlägst.«
Widerstrebend verzog sich sein Mund zu einem Grinsen.
»Nein, ich werde dich nicht schlagen, sosehr es mir dann auch in den Fingern juckt.«
»Gut. Was hast du statt dessen vor?« fragte ich neckend.
»Ich werde mir schon etwas einfallen lassen«, erwiderte er grimmig. »Ich weiß zwar noch nicht, was, aber es wird dir nicht gefallen.«
Nach einem letzten wütenden Blick in die Runde und einem besitzergreifenden Druck auf meine Schulter ließ er sich von Annalise fortführen.
Annalise hatte sich nicht geirrt. Kaum war ich Jamies schutzspendender Nähe beraubt, scharten sich die Herren des Hofes um mich wie ein Schwarm Papageien um eine reife Passionsfrucht.
Wiederholt küßte man mir die Hand und drückte sie bedeutungsvoll, ich wurde mit blumigen Komplimenten geradezu überschüttet, und das Defilee der Kavaliere, die mir Becher mit gewürztem Wein reichten, riß nicht ab. Nach einer halben Stunde schmerzten mir die Füße. Und vom vielen Lächeln kurz darauf die Gesichtsmuskeln. Und schließlich auch meine Hand, die den Fächer führte.
Ich schuldete Jamie einen gewissen Dank, daß er in der Sache mit dem Fächer so eisern geblieben war. Letztlich hatte ich den größten mitgebracht, der sich in meinem Besitz befand, ein fast dreißig Zentimeter langes Ungetüm, auf das so etwas wie Rothirsche, die durch die schottische Heide sprangen, gemalt war. Jamie hatte die künstlerische Ausführung kritisiert und das Format gelobt. Nachdem ich damit anmutig und erfolgreich die Aufmerksamkeiten eines kühnen jungen Mannes in purpurrotem Gewand abgewehrt hatte, breitete ich ihn unauffällig unter meinem Kinn aus, während ich ein mit Lachs belegtes Stück Toast aß.
Nicht nur die Brotkrumen hielt ich mir damit vom Leib. Während Jamie von seinem günstigen Aussichtspunkt - er war etwa einen Kopf größer als ich - behauptet hatte, meinen Nabel zu sehen, blieb diese Region den französischen Höflingen, die meist kleiner waren als ich, verborgen. Andererseits...
Immer wieder hatte ich mich an Jamies Brust gekuschelt und meine Nase in die kleine Mulde geschmiegt, die dafür wie geschaffen schien. Ein paar der kühneren Geister unter meinen Bewunderern schienen nun geneigt, eine ähnliche Erfahrung zu machen. Insofern hatte ich alle Hände voll zu tun, ihnen durch den Wind, den mein Fächer aufwirbelte, die Locken aus der Stirn zu blasen, oder, wenn sie sich dadurch nicht entmutigen ließen, ihnen mit zusammengeklapptem Fächer auf den Schädel zu klopfen.
Deshalb empfand ich es als ausgesprochene Erleichterung, als sich der Lakai an der Flügeltür aufrichtete und verkündete: »Sa Majesté, Le Roi Louis!«
Zwar hieß es, der König würde bei Morgengrauen aufstehen, doch zu vollem Leben erwachte er offensichtlich erst nachts. Obwohl er nicht viel mehr maß als einsfünfundfünfzig, erweckte er durch seine Haltung den Eindruck, weitaus größer zu sein. Unter huldvollem Nicken nach links und rechts nahm er die Begrüßung seiner Untertanen entgegen, die sich tief vor ihm verneigten.
Er kam der Vorstellung, die ich mir von einem König machte, weitaus näher als Bonnie Prince Charlie. Zwar war er nicht besonders ansehnlich, doch er verhielt sich wahrhaft königlich - ein Eindruck, der nicht nur durch seine prachtvolle Kleidung unterstrichen wurde, sondern auch durch die Art und Weise, wie sein Hofstaat ihm begegnete. Louis trug eine modische Perücke, und sein Rock war aus feinem, mit Hunderten von schillernden Seidenschmetterlingen bestickten Samt. Die Rockschöße waren zurückgeschlagen und enthüllten eine cremefarbene Seidenweste mit Diamantenknöpfen. Dazu trug er Schuhe mit überdimensionalen, ebenfalls schmetterlingsförmigen Schnallen.
Unruhig glitt sein verschleierter Blick durch den Saal. Die arrogante Bourbonennase hielt er erhoben, als könnte er damit jeden Gegenstand von Interesse wittern.
Angetan mit Kilt und Plaid, dazu aber Rock und Weste aus steifer gelber Seide, mit seiner flammendroten Mähne, die ihm nach alter schottischer Sitte in einem schlichten Zopf auf die eine Schulter fiel, war Jamie eindeutig ein geeignetes Objekt. Zumindest glaubte ich, daß es Jamie galt, denn Le Roi Louis schwenkte von seiner Bahn ab und steuerte direkt auf uns zu, wobei sich der Hofstaat vor ihm teilte wie das Rote Meer vor Moses. Madame Nesle de La Tourelle, die ich von einer früheren Gesellschaft her wiedererkannte, folgte ihm dicht auf den Fersen.
Das rote Kleid hatte ich ganz und gar vergessen. Seine Majestät blieb direkt vor mir stehen und verbeugte sich, die Hand elegant an die Hüfte gelegt.
»Chère, Madame«, sagte er. »Wir sind entzückt.«
Ich hörte, wie Jamie hinter mir scharf die Luft einsog. Dann trat er vor und verbeugte sich vor dem König.
»Darf ich Euch meine Frau vorstellen, Eure Majestät - die Herrin von Broch Tuarach.« Jamie richtet sich auf und trat zurück. Ich fragte mich derweilen, warum er mir mit den Fingern auf den Rücken trommelte. Erst dann begriff ich, daß er mir damit zu verstehen geben wollte, einen Hofknicks zu machen.
Rasch ließ ich mich in die Knie sinken und zwang mich, die Augen zu Boden zu richten. Zugleich fragte ich mich, wohin ich nach meinem Auftauchen blicken sollte. Madame Nesle de la Tourelle, die gleich hinter Louis stehengeblieben war, beobachtete unsere Vorstellung gelangweilt. Dem Klatsch nach zu urteilen, war die »Nesle« die gegenwärtige Favoritin des Königs. Sie trug, der letzten Mode entsprechend, ein Kleid, dessen Ausschnitt unterhalb der Brüste endete. Das bißchen glitzernde Gaze darüber konnte kaum zum Wärmen oder Verhüllen, sondern lediglich als Schmuck dienen.
Doch es waren weder das Kleid noch der Ausblick, die mich aus der Fassung brachten. Die fülligen, hübschen Brüste der »Nesle« mit dem großen, braunen Warzenhof wurden von einem Paar diamantener Brustwarzen geschmückt, die ihre Umgebung zur Bedeutungslosigkeit verdammten. Unter gefährlichem Schaukeln streckten sich zwei juwelenbesetzte Schwäne mit Rubinaugen die Hälse entgegen. Die Handarbeit war ausgezeichnet, das Material höchst kostbar, doch was mich überwältigte, war die Tatsache, daß ihre Brustwarzen für die Goldnadel der Fassung durchstochen waren. Sie hatten sich bedenklich kontrahiert, was jedoch durch die großen Perlen, die an einer dünnen Goldkette von der Nadel herabhingen, auf das eleganteste kaschiert wurde.
Mit rotem Kopf und hustend erhob ich mich, stammelte eine Entschuldigung und hielt mir bei meinem Abtritt höflich ein Taschentuch vors Gesicht. Fast wäre ich über Jamie gestolpert, der die Mätresse des Königs musterte, ohne sein Staunen zu verbergen.
»Sie hat Marie d’Arbanville erzählt, Maitre Raymond habe ihr die Brustwarzen durchstochen«, flüsterte ich Jamie zu. Dieser staunte immer noch.
»Soll ich einen Termin ausmachen?« fragte ich. »Im Austausch gegen das Rezept für Kümmeltinktur ist er sicher dazu bereit.«
Endlich schaute Jamie mich an. Mit einem festen Griff um die Ellenbogen steuerte er mich auf einen Erfrischungsalkoven zu.
»Wenn du mit Maitre Raymond auch nur sprichst«, zischte er mir aus dem Mundwinkeln zu, »dann durchsteche ich dir deine Brustwarzen selbst - und zwar mit den Zähnen.«
Der König hatte sich mittlerweile in den Salon d’Apollon begeben, während die anderen Gäste aus dem Speisesaal in den freien Raum nachströmten, den seine Passage hinterlassen hatte. Da Jamie mit Monsieur Genet, dem Oberhaupt einer wohlhabenden Reedersfamilie, in ein Gespräch vertieft war, blickte ich mich suchend nach einem Örtchen um, wo ich mir für einen Moment die Schuhe ausziehen konnte.
Einer der Alkoven in meiner Nähe schien leer zu sein. Ich schickte den Bewunderer, der sich an meine Fersen geheftet hatte, fort, um mir einen Becher Wein zu holen, und huschte dann in die Nische.
Angesichts der Couch, des Tischchens und der zwei Stühle, die wohl eher als Kleiderablage denn als Sitzgelegenheit gedacht waren, bestand kaum noch ein Zweifel, welchem Zweck das Kämmerchen dienen sollte. Nichtsdestotrotz ließ ich mich auf einem der Stühle nieder, schlüpfte aus meinen Schuhen und legte die Füße erleichtert auf den anderen Stuhl.
Das Klimpern der Vorhangringe hinter mir verkündete, daß mein Rückzug doch nicht so unbeachtet geblieben war, wie ich geglaubt hatte.
»Madame! Endlich sind wir allein!«
»Und das ist höchst bedauerlich!« erwiderte ich seufzend. Einer der zahllosen Comtes, dachte ich. Dann fiel mir ein, daß man ihn mir als den Vicomte de Rambeau vorgestellt hatte. Er war einer von der kleineren Sorte, denn dunkel erinnerte ich mich, wie mich seine Knopfaugen von unten her bewundernd angefunkelt hatten.
Er verlor keine Zeit, glitt auf den anderen Stuhl und nahm meine Füße auf den Schoß. Glühend drückte er meine seidenbestrumpften Zehen an seinen Unterleib.
»Ah, ma petite! Welch zarte Glieder! Ihre Schönheit raubt mir den Verstand!«
Das mußte sie wohl, denn anders ließ es sich nicht erklären, daß er meine Füße als zart bezeichnete. Jetzt hob er einen an seine Lippen und knabberte an meinen Zehen.
»C’est une cochon qui vit dans la ville, c’est une cochon qui vit...«
Hastig entzog ich ihm mein Bein und stand auf, ein Unterfangen, das wegen meiner voluminösen Unterröcke nicht gerade einfach war.
»Wenn wir schon von Ferkeln reden, die in der Stadt leben«, bemerkte ich reichlich beunruhigt, »ich glaube nicht, daß mein Gatte entzückt wäre, Sie hier zu finden.«
»Ihr Gatte? Pah!« Mit einer Handbewegung verdammte er Jamie zur Bedeutungslosigkeit. »Ich bin überzeugt, er ist in der nächsten Zeit vollauf beschäftigt. Und wenn die Katze aus dem Haus ist... komm zu mir, ma petite souris, du sollst quietschen vor Lust!«
Um sich für den Angriff zu stärken, zog der Vicomte eine emaillierte Schnupftabaksdose aus der Tasche, streute sich eine Spur dunkler Körnchen auf den Handrücken und führte sie elegant an die Nase.
Dann atmete er mit erwartungsfroh funkelnden Augen tief ein und warf den Kopf nach hinten. Plötzlich wurde mit einem lauten Scheppern der Messingringe der Vorhang aufgezogen. Da die Störung die Zielsicherheit des Vicomte beeinträchtigte, nieste er mit aller Wucht auf meinen Busen.
»Sie Widerling!« kreischte ich und zog ihm meinen geschlossenen Fächer übers Gesicht.
Mit tränenden Augen taumelte der Vicomte nach hinten. Dabei stolperte er über meine Schuhe, Größe einundvierzig, die auf dem Boden lagen, und in Jamies Arme, der im Eingang Stellung bezogen hatte.
 
»Du bist derjenige, der alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat«, sagte ich schließlich.
»Pah«, entgegnete Jamie. »Der salaud kann froh sein, daß ich ihm nicht den Kopf abgerissen und in den Mund gestopft habe.«
»Das hätte jedenfalls ein interessantes Schauspiel abgegeben«, erwiderte ich trocken. »Aber ihn in den Brunnen zu werfen war fast genausogut.«
Jamie blickte auf, während sich ein widerstrebendes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.
»Aye. Aber schließlich habe ich ihn doch nicht ersäuft.«
»Ich nehme an, der Vicomte weiß deine Zurückhaltung zu schätzen.«
Jamie schnaubte. Er stand in der Mitte des Salons, der zu einem kleinen appartement gehörte. Dieses hatte uns der König, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte, für die Nacht zugewiesen, damit wir nicht noch am selben Abend die weite Rückreise nach Paris antreten mußten.
»Schließlich, mon chevalier«, hatte er gesagt, während er den Blick über Jamie gleiten ließ, der tropfnaß auf der Terrasse stand, »wären wir außerordentlich betrübt, wenn Sie sich eine Unterkühlung zuzögen. Das würde den Hof sicherlich einer großartigen Unterhaltung berauben, und Madame könnte mir sicher nie verzeihen. Nicht wahr, meine Teure?« Louis streckte die Hand aus und kniff Madame de La Tourelle neckisch in die Brust.
Seine Mätresse schien zwar leicht verärgert, doch sie lächelte gehorsam. Sobald der König seine Aufmerksamkeit von ihr abwandte, ruhte ihr Blick allerdings auf Jamie, hatte ich festgestellt. Das war ihr nicht zu verdenken, denn wie er so tropfend im Schein der Fackeln dastand und ihm die Kleider am Körper klebten, sah er wirklich eindrucksvoll aus. Trotzdem hätte ich es ihr am liebsten verboten.
Jetzt entledigte sich Jamie seines nassen Hemdes und ließ es auf den Haufen mit den anderen durchweichten Kleidungsstücken fallen. Mit nacktem Oberkörper sah er sogar noch beeindruckender aus.
»Noch mal zu dir«, meinte er mit einem finsteren Blick. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich von den Alkoven fernhalten?«
»Doch. Aber hast du nützliche Bekanntschaften gemacht, bevor du aufgetaucht bist, um deine ehelichen Rechte zu verteidigen?«
Er rieb sich verbissen das Haar trocken. »O ja, ich habe eine Partie Schach gegen Monsieur Duverney gespielt. Und sogar gewonnen! Hat ihn ganz schön geärgert.«
»Klingt verheißungsvoll. Und wer ist Monsieur Duverney?«
Grinsend schob Jamie mir das Handtuch herüber. »Der Finanzminister Seiner Majestät, Sassenach.«
»Aha! Und deshalb findest du es erfreulich, ihn geärgert zu haben!«
»Er war wütend auf sich selbst, weil er verloren hat«, erklärte Jamie mir. »Jetzt findet er keine Ruhe mehr, ehe er nicht gegen mich gewonnen hat. Am Sonntag kommt er zu uns, und wir spielen um die Revanche.«
»Prima!« entgegnete ich. »Und im Verlauf seines Besuchs wirst du ihm versichern, daß es mit den Aussichten der Stuarts nicht gerade zum besten steht. Bestimmt kannst du ihn davon überzeugen, daß Louis seinem Cousin besser keine finanzielle Unterstützung gewährt, Blutsbande hin oder her.«
Jamie nickte und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Weil im Kamin kein Feuer brannte, fröstelte er ein wenig.
»Wo hast du Schachspielen gelernt?« fragte ich neugierig. »Ich wußte gar nicht, daß du es beherrschst.«
»Colum MacKenzie hat es mir beigebracht«, erklärte er. »Im Alter von sechzehn habe ich ein Jahr auf Burg Leoch gewohnt. Für Französisch, Deutsch, Mathematik und so weiter hatte ich meine Hauslehrer. Doch jeden Abend habe ich eine Stunde lang mit Colum Schach gespielt. Allerdings brauchte er gewöhnlich keine Stunde, um mich zu schlagen.«
»Kein Wunder, daß du ein so guter Spieler bist.« Jamies Onkel Colum litt an einer entstellenden Krankheit, die ihn nahezu unbeweglich machte. Er kompensierte seine Behinderung mit einem wahrhaft machiavellistischen Intellekt.
Jamie stand auf und löste sein Schwertgehenk. Wütend funkelte er mich an. »Glaub bloß nicht, du kannst mich für dumm verkaufen. Du lenkst mich mit deinen Fragen ab und gehst mir um den Bart wie einer dieser Höflinge. Habe ich dich nicht vor den Alkoven gewarnt?«
»Doch, aber du hast auch gesagt, du würdest mich nicht schlagen«, erinnerte ich ihn, während ich in meinem Sessel ein wenig nach hinten rutschte, um ganz sicherzugehen.
Er schnaubte erneut, warf sein Schwertgehenk auf die Kommode und ließ den Kilt neben dem nassen Hemd zu Boden fallen.
»Sehe ich so aus, als würde ich eine Schwangere schlagen?«
Ich musterte ihn mißtrauisch. Splitternackt, mit dem roten Haar, das ihm in feuchten Löckchen auf die Schultern fiel, und den Narben, die seinen Körper überzogen, wirkte er wie ein Wikinger, der gerade von seinem Schiff gesprungen war und nichts anderes im Sinn hatte als Plündern und Frauenschänden.
»Wenn man dich so sieht, könnte man dir alles zutrauen«, entgegnete ich. »Na gut, du hast mich vor den Alkoven gewarnt. Wahrscheinlich hätte ich nach draußen gehen sollen, um mir die Schuhe auszuziehen. Aber wie hätte ich denn wissen können, daß dieser Idiot mir folgt und anfängt, an meinen Zehen zu knabbern? Und wenn du mich nicht schlagen willst, was hast du dann im Sinn?« Ich klammerte mich an den Armlehnen meines Sessels fest.
Jamie streckte sich auf dem Bett aus und grinste mich an.
»Zieh dieses Hurengewand aus und komm ins Bett.«
»Warum?«
»Nun, da ich dir weder den Hintern versohlen noch dich im Brunnen ertränken darf, wollte ich dir eigentlich eine saftige Strafpredigt halten.« Bedauernd zuckte er die Achseln. »Aber jetzt kann ich die Augen nicht mehr offenhalten.« Er gähnte ausgiebig, dann blinzelte er und grinste mich an. »Erinnere mich daran, daß ich es morgen früh nachhole.«
 
»Ist es jetzt besser?« Jamies blaue Augen waren dunkel vor Sorge. »Ist das in Ordnung, wenn dir ständig so übel ist, Sassenach?«
Ich strich mir das Haar aus der feuchten Stirn und tupfte mir das Gesicht mit einem nassen Handtuch ab.
»Ob es in Ordnung ist, weiß ich nicht«, erklärte ich matt. »Aber zumindest ist es normal. Manchen Frauen geht es die ganze Zeit so.« Im Augenblick nicht gerade eine berauschende Vorstellung.
»Fühlst du dich in der Lage, zum Frühstück nach unten zu gehen, Sassenach? Oder soll ich das Zimmermädchen bitten, uns etwas heraufzubringen?«
»Nein, es geht mir wieder gut.« Und das war nicht gelogen. Wie es so üblich war, fühlte ich mich, nachdem die Übelkeit ihr Recht gefordert hatte, wieder pudelwohl. »Ich will mir nur noch rasch den Mund ausspülen.«
Als ich mich über die Waschschüssel beugte und mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, klopfte es an der Tür. Wahrscheinlich der Dienstbote, den wir zu unserem Haus nach Paris geschickt hatten, um frische Kleidung zu holen.
Zu meiner Überraschung war es jedoch ein Höfling mit einer schriftlichen Einladung zum Mittagessen.
»Seine Majestät diniert heute mit einem Herrn aus dem englischen Adel«, erklärte der Höfling, »der gerade erst in Paris eingetroffen ist. Aus diesem Grund hat Seine Majestät einige der wichtigsten englischen Kaufleute aus der Cite zum Mittagessen gebeten, denn er möchte dem Herzog die Gesellschaft seiner Landsleute bieten. Jemand hat Seine Majestät darauf hingewiesen, daß Madame, Ihre Frau, gleichfalls englischer Herkunft ist und eingeladen werden sollte.«
»Vielen Dank«, sagte Jamie, nachdem er mir einen kurzen Blick zugeworfen hatte. »Sagen Sie Seiner Majestät, daß es uns eine Ehre ist zu bleiben.«
Kurz darauf traf, mürrisch wie immer, Murtagh ein und brachte uns ein großes Bündel sauberer Kleider und meinen Medizinkasten, um den ich gebeten hatte. Jamie ging mit ihm in den Salon, um ihm Anweisungen für den Tag zu geben, während ich mich hastig in mein Kleid zwängte und zum ersten Mal bedauerte, keine Kammerzofe engagiert zu haben. Meinem ohnehin schon widerspenstigen Haar hatte eine Nacht in engster Umarmung mit einem großen feuchten Schotten nicht gerade zum Vorteil gereicht. In wilden Büscheln stand es nach allen Seiten ab und widersetzte sich hartnäckig jedem Angriff mit Kamm und Bürste.
Schließlich stellte ich mich, rot und erschöpft, doch mit halbwegs frisiertem Haar den Augen der Öffentlichkeit. Jamie sah mich an und murmelte leise etwas von Stachelschweinen. Doch nachdem ich ihm einen scharfen Blick zugeworfen hatte, war er vernünftig genug, den Mund zu halten.
Auf unserem Spaziergang durch das Gartenparterre mit seinen Springbrunnen und ornamental gestalteten Beeten gewann ich allmählich mein seelisches Gleichgewicht zurück. Die meisten Bäume hatten noch keine Blätter, doch für Ende März war der Tag ungewohnt warm, und in der Luft hing ein berauschender Duft nach Knospen und frischem Grün.
Ich blieb vor der Statue eines halbnackten Jünglings mit Trauben im Haar und einer Flöte an den Lippen stehen. Eine große, seidige Ziege fraß von den Trauben, die aus den Marmorfalten seines Gewands herabhingen.
»Wer ist das?« fragte ich. »Pan?«
Jamie schüttelte lächelnd den Kopf. Obwohl er jetzt wieder seinen alten Kilt und den abgewetzten, aber bequemen Rock trug, sah er weitaus besser aus als die herausgeputzten Höflinge, die in Grüppchen an uns vorbeikamen.
»Nein, eine Panfigur gibt es auch, aber diese hier steht für eines der vier Temperamente.«
»Nun, er schaut recht temperamentvoll aus«, bemerkte ich und schaute zu dem fröhlichen Ziegenfreund auf.
»Du als Heilerin, Sassenach, solltest die Lehre von den vier Temperamenten eigentlich kennen. Jedes Temperament ist einem Körpersaft zugeordnet. Dies hier ist der Sanguiniker, zu ihm gehört das Blut«, er wies zuerst auf den Flötenspieler und dann auf den Weg, »und dort ist der Melancholiker oder die schwarze Galle.« Er meinte einen großen Mann in einer Art Toga, der ein aufgeschlagenes Buch in der Hand hielt.
Dann zeigte Jamie auf die andere Wegseite. »Und das ist der Choleriker, die gelbe Galle...«, ein nackter, muskulöser junger Mann, der wirklich sehr wütend dreinschaute, ohne den Löwen, der ihn in die Wade beißen wollte, zu beachten, »und dort hinten steht der Phlegmatiker, ihm ist der Schleim zugeordnet.«
»Tatsächlich? Herr im Himmel!« Phlegma war ein bärtiger Kerl mit Hut, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und zu dessen Füßen eine Schildkröte saß.
»Lernen die Heiler in eurer Zeit nichts über die Körpersäfte?« fragte Jamie interessiert.
»Nein, wir haben statt dessen Bazillen.«
»Wirklich? Bazillen!« Er ließ das Wort auf der Zunge zergehen. »Und wie sehen die aus?«
Ich betrachtete die Figur der »Amerika«, eine junge Frau im heiratsfähigen Alter mit Gewand und Kopfschmuck aus Federn, zu deren Füßen ein Krokodil lungerte.
»Nun, so hübsche Statuen würden sie jedenfalls nicht abgeben.«
Das Krokodil zu Amerikas Füßen erinnerte mich an Maître Raymonds Apotheke.
»Möchtest du wirklich, daß ich Maitre Raymond nicht mehr aufsuche?« fragte ich Jamie. »Oder willst du nur verhindern, daß er mir die Brustwarzen durchsticht?«
»Vor allem natürlich letzteres«, erklärte er fest, nahm mich beim Ellenbogen und bugsierte mich rasch weiter, damit ich angesichts der blanken Brüste Amerikas nicht auf dumme Gedanken käme. »Aber ich sehe es prinzipiell nicht gern, wenn du zu Maitre Raymond gehst. Um seine Person ranken sich so mancherlei Gerüchte.«
»Wie praktisch um jeden in Paris«, stellte ich fest, »und ich gehe jede Wette ein, daß Maitre Raymond sie samt und sonders kennt.«
»Aye, das glaube ich auch. Aber das, was ich wissen muß, kann ich auch in den Salons und Tavernen erfahren. Man sagt, Maitre Raymond sei der Mittelpunkt eines gewissen Kreises. Und damit meine ich nicht die Jakobiten.«
»Wirklich? Wen denn sonst?«
»Kabbalisten und Okkultisten. Vielleicht auch Hexenmeister.«
»Jamie, du hast doch nicht ernstlich Angst vor Hexen und Dämonen?«
Wir waren in dem Teil des Gartens angelangt, der sich »Tapis Vert« nannte. Zu dieser Jahreszeit zeigte der weitläufige Rasen erst einen blassen grünen Schimmer. Dennoch hatten sich zahlreiche Höflinge darauf ausgebreitet, um den milden Tag zu genießen.
»Nicht vor Hexen«, antwortete Jamie. Er hatte für uns ein Plätzchen unter einer Forsythienhecke gefunden und ließ sich auf dem Boden nieder. »Wohl aber vor dem Comte de St. Germain.«
Ich dachte an den Ausdruck in den dunklen Augen des Comte in Le Havre, und trotz des Sonnenscheins und meines warmen Wollschals fuhr mir ein Schauder über den Rücken.
»Glaubst du, er steht mit Maitre Raymond in Verbindung?«
Jamie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Aber du hast mir doch selbst von den Gerüchten erzählt, die über den Comte im Umlauf sind, nicht wahr? Und wenn Maitre Raymond diesem Kreis angehört, dann solltest du ihm aus dem Weg gehen.« Er schmunzelte. »Schließlich möchte ich dich in nächster Zeit nicht noch mal vor dem Scheiterhaufen retten müssen.«
Die Schatten unter den Bäumen erinnerten mich an das kalte Diebesloch in Cranesmuir. Mich fröstelte, und ich rückte näher an Jamie und damit weiter ins Sonnenlicht.
»Das geht mir nicht anders.«
Vor einem Forsythienbusch in voller Blüte umwarben sich die Tauben. Die Damen und Herren des Hofes, die sich auf den von Skulpturen gesäumten Wegen des Schloßparks ergingen, hatten sich der gleichen Beschäftigung verschrieben. Nur daß die Tauben dabei nicht so stark lärmten.
Eine Erscheinung in wasserblauer Seide ließ sich in lautstarker Verzückung darüber aus, wie göttlich das Stück vom Vorabend gewesen sei.
»Superb! Einfach superb, die Stimme der La Couelle!«
»O ja, superb! Wunderschön!«
»Großartig, einfach großartig! Superb, ein anderes Wort wird ihr nicht gerecht!«
»O ja, superb!«
Die Stimmen - und zwar alle vier - waren schrill wie schepperndes Glas. Der Täuberich in meiner Nähe hingegen ließ ein weiches, honigsüßes Gurren ertönen. Dabei verbeugte er sich immer wieder, als wollte er seiner Angebeteten, die bis dahin noch recht unbeeindruckt wirkte, sein Herz zu Füßen legen.
Ich blickte über die Tauben hinweg auf den wasserblauen Höfling, der zurückgeeilt war. Gerade bückte er sich nach dem spitzenbesetzten Taschentuch, das eine seiner Begleiterinnen als Köder kokett hatte fallen lassen.
»Die Damen nennen ihn ›L’Andouille‹«, bemerkte ich. »Weißt du, warum?«
Jamie grunzte und öffnete ein Auge, um der davonschlendernden Gruppe nachzublicken.
»Ach, das ›Würstchen‹! Weil er seinen Schlingel nicht in der Hose lassen kann!«
 
Ich hätte es vielleicht überstanden, wären da nicht die verdammten Nachtigallen gewesen. Wegen der vielen Höflinge und Zuschauer war es im Speisesaal heiß und stickig. Eines der Stäbchen meines Korsetts hatte sich gelöst und stach mir bei jedem Atemzug in die linke Niere. Und zu allem Überfluß litt ich unter der schlimmsten Plage der Schwangerschaft, dem Drang, alle fünf Minuten Wasser lassen zu müssen. Dennoch hätte ich es wahrscheinlich durchstehen können. Schließlich bedeutete es einen ernstlichen Verstoß gegen die Etikette, vor dem König die Tafel zu verlassen, selbst wenn ein Mittagessen im Vergleich zu den festlichen Abendbanketts noch eine relativ zwanglose Angelegenheit war - hatte man mir zumindest zu verstehen gegeben. Aber »zwanglos« ist ein dehnbarer Begriff.
Sicher, es gab nur drei Sorten eingelegtes Gemüse und nicht acht. Und nur eine klare Suppe, keine sämige. Das Wildbret war nur gegrillt und wurde nicht en brochette serviert; und der Fisch, der zwar aufs leckerste in Wein gedünstet war, wurde filetiert angeboten, nicht im ganzen und auf einem Meer von Krabben in Aspik.
Als ob er seiner Enttäuschung ob einer derart frugalen Speisenfolge Ausdruck verleihen wollte, hatte einer der Köche ein ganz bezauberndes hors d’œuvre zubereitet - ein kunstvoll aus Teigstreifen gefertigtes und mit echten blühenden Apfelzweigen geschmücktes Nest, auf dessen Rand zwei gerupfte und gegrillte, mit Zimtäpfeln gefüllte und dann wieder mit ihrem Federkleid versehene Nachtigallen thronten. In dem Nest saß ihre Brut, die winzigen Flügelchen braun und knusprig, die zarte Haut mit Honig glasiert, die schwarzen Schnäbel aufgerissen, so daß man einen Ausblick auf die Mandelfüllung bekam.
Nachdem das Kunstwerk unter dem bewundernden Gemurmel der Gäste einmal um den Tisch getragen worden war, stellte man die Platte vor den König. Dieser unterbrach sein Gespräch mit Madame de la Tourelle gerade lange genug, um einen der Zöglinge aus dem Nest zu pflücken und ihn in den Mund zu stecken.
Knirschend mahlten die Zähne Seiner Majestät, und wie gebannt starrte ich auf seinen Hals, als er schluckte. Ich meinte zu spüren, wie die zarten Knochen meine Speiseröhre hinabglitten. Dann griff Ludwig geistesabwesend nach dem nächsten Vögelchen.
An diesem Punkt kam ich zu dem Ergebnis, daß es Schlimmeres gäbe, als Seine Majestät durch einen vorzeitigen Aufbruch zu beleidigen, und ergriff die Flucht.
Als ich mich einige Minuten später im Gebüsch wieder aufrichtete, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich erwartete einen zu Recht wütenden Gärtner, doch als ich mich schuldbewußt umwandte, begegnete ich dem Blick meines wütenden Ehemanns.
»Verdammt, Claire, kannst du nicht einmal damit aufhören?« schimpfte er.
»Kurz gesagt - nein«, erwiderte ich, während ich mich erschöpft auf den Rand eines reichgeschmückten Brunnens sinken ließ. Meine Handflächen waren feucht, und ich rieb sie an meinem Rock trocken. »Oder glaubst du, ich tue das zu meinem Vergnügen?« In meinem Kopf drehte es sich, und ich schloß die Augen, um wenigstens mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden.
Plötzlich spürte ich eine Hand in meinem Rücken, und als Jamie sich neben mich setzte und mich umschlang, ließ ich mich in seine Arme sinken.
»O mein Gott! Es tut mir leid, mo duinne. Geht es jetzt wieder?«
Ich schob ihn weit genug von mir fort, um ihn ansehen zu können. Dann lächelte ich.
»Ich bin schon wieder in Ordnung. Nur ein wenig benommen, das ist alles.« Ich strich ihm über die Stirn, um die tiefe Sorgenfalte fortzuwischen, die sich dort abzeichnete. Jamie lächelte mich an, doch die dünne, senkrechte Linie zwischen den dichten Augenbrauen blieb. Er streckte die Hand ins Wasser und benetzte meine Wangen. Ich mußte wirklich ziemlich blaß gewesen sein.
»Bitte entschuldige, Jamie, aber ich konnte wirklich nichts dagegen tun.«
Mit der feuchten Hand massierte er mir fest und unerschütterlich den Nacken, und auf mein Haar fiel ein feiner Tröpfchenschleier, der von dem Strahl aus dem Schlund eines Delphins mit Glotzaugen zu mir herübergeweht wurde.
»Achte nicht auf das, was ich sage, Sassenach. Ich wollte dich nicht anfahren. Es ist nur...« - hilflos ließ er die Hand fallen - »ich komme mir vor wie ein Dummkopf. Ich sehe dich in deinem Elend und weiß, daß ich dir das angetan habe. Aber es gibt nicht die kleinste Möglichkeit, wie ich dir helfen kann. Und deshalb gebe ich dir die Schuld und schimpfe dich aus. Warum erklärst du mir nicht einfach, ich soll mich zum Teufel scheren?« brach es aus ihm heraus.
Ich lachte, bis mir die in dem engen Mieder gefangenen Rippen weh taten.
»Scher dich zum Teufel, Jamie!« sagte ich schließlich, während ich mir die Augen trocknete. »Scher dich zum Teufel. Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie nicht zweihundert Dollar ein!«
»Gut, das werde ich«, entgegnete er, schon weitaus fröhlicher als zuvor. »Wenn du anfängst, seltsam daherzureden, weiß ich, daß es dir wieder besser geht. Geht es dir besser, Sassenach?«
»Ja«, sagte ich, setzte mich auf und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung. Der Park von Versailles war offen für die Allgemeinheit, und so mischten sich unter die farbenfroh gekleideten Adeligen auch Gruppen von Kaufleuten und Arbeitern, um das schöne Wetter zu genießen.
Plötzlich wurden die Türen zu der nahegelegenen Terrasse geöffnet, und unter lautem Schwatzen ergossen sich die Gäste des Königs ins Freie. Der Abgang war wohl von einer neu eingetroffenen Abordnung beschleunigt worden. Offensichtlich war sie gerade den zwei großen Kutschen entstiegen, die ich in der Ferne am Park entlang zu den Ställen fahren sah.
Die Kleidung der Neuankömmlinge wirkte im Vergleich zu den farbenprächtigen Höflingen, die sie umringten, gedeckt. Doch es war nicht so sehr ihr Anblick, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog, als vielmehr der Klang ihrer Stimmen. Eine Gruppe von Franzosen, die sich in einer gewissen Entfernung unterhält, klingt wie eine Schar schnatternder Gänse oder Enten. Engländer hingegen sprechen langsamer und ohne die lebhafte Intonation der Franzosen. Aus der Ferne klingen sie wie das dumpfe, freundliche, monotone Bellen eines Hirtenhundes. Und der allgemeine Eindruck, den der Massenexodus erweckte, war der von einer Schar gackernder Gänse, die von einer Hundemeute zu Markte getrieben wurde.
Mit einer gewissen Verspätung waren die Gäste aus England eingetroffen. Zweifellos komplimentierte man sie jetzt taktvoll in den Park, während die Küchenmannschaft hastig ein Mahl für sie bereitete und die riesige Tafel neu gedeckt wurde.
Neugierig betrachtete ich die Eingetroffenen. Den Herzog von Sandringham hatte ich bereits auf Burg Leoch kennengelernt. Seine quadratische Figur war unverkennbar, während er an Louis’ Seite marschierte und den Kopf mit der modischen Perücke in höflicher Aufmerksamkeit geneigt hielt.
Die anderen waren mir fremd, obwohl die elegant gekleidete Dame mittleren Alters, die eben durch die Tür trat, niemand anders sein konnte als die Herzogin von Claymore, die erwartet worden war. Zur Feier ihres Besuchs hatte man sogar die Königin herbeizitiert, die ansonsten auf irgendeinen Landsitz verbannt war, um sich dort nach bestem Vermögen die Zeit zu vertreiben. Jetzt sprach sie mit ihrem Gast, wobei ihr zartes, ängstliches Gesicht angesichts der ungewohnten Aufgabe vor Aufregung glühte.
Doch am meisten interessierte mich das junge Mädchen, das hinter der Herzogin stand. Trotz ihrer schlichten Kleidung war sie von einer zarten Schönheit, die alle Blicke auf sich zog. Sie war klein und zierlich, aber hübsch gerundet. Mit ihrem dunklen, glänzenden, ungepuderten Haar, der außergewöhnlich hellen Haut und ihren rosig angehauchten Wangen erinnerte sie an ein Blütenblatt.
Ich dachte an ein Kleid aus einem leichten Baumwollstoff, bedruckt mit roten Mohnblumen, das ich einmal besessen hatte. Diese Erinnerung rief unerwarteterweise einen heftigen Anfall von Heimweh in mir hervor, und während in meinen Augen Tränen der Sehnsucht brannten, klammerte ich mich an der Lehne einer Marmorbank fest. Es mußte am Klang der englischen Sprache liegen. Nachdem ich monatelang nichts anderes gehört hatte als das schleppende Schottisch und das Gegacker der Franzosen, erweckte das Englisch der Besucher in mir heimatliche Gefühle.
Und dann sah ich ihn. Während meine Blicke ungläubig über die elegante Form des Schädels und die unter all den gepuderten Perükken hervorstechenden dunklen Haare glitten, wich alles Blut aus meinem Kopf. Alarmglocken schrillten in meinem Kopf wie die Luftschutzsirenen in London, und widersprüchliche Stimmen stritten in mir, wie dieser Anblick zu deuten war. Bei der Krümmung der Nase rief mein Unterbewußtes: »Frank!«, und jede Faser in mir sehnte sich danach, auf ihn zuzueilen und ihm in die Arme zu fallen. »Das kann nicht sein«, tönte mein Geist. Gleichzeitig beobachtete ich wie erstarrt das vertraute halbe Lächeln, das den Mund umspielte. »Du weißt genau, daß es nicht Frank ist!« Und dann verknotete sich mein Magen in einem plötzlichen Anfall von Panik, als die Logik Instinkt und Wissen überholte. Das Undenkbare wurde zur Gewißheit. Frank konnte es nicht sein. Doch wenn es nicht Frank war, dann...
»Jonathan Randall!« Dies kam nicht von mir, sondern seltsam ruhig und beherrscht von Jamie. Aufmerksam geworden durch mein eigenartiges Verhalten, war er meinem Blick gefolgt und hatte das gleiche gesehen wie ich.
Kein Muskel regte sich in ihm. Soweit ich das in meiner Panik beurteilen konnte, holte er nicht einmal Luft. Am Rande nahm ich wahr, wie ein Dienstbote in unserer Nachbarschaft neugierig auf die hohe Gestalt des schottischen Kriegers blickte, der erstarrt war wie eine Statue des Mars. Doch meine Sorge galt einzig und allein Jamie.
Er wirkte wie ein Löwe auf der Pirsch, der mit der Steppe verschmilzt und den Blick starr und ungerührt auf sein Ziel gerichtet hält. Doch in den Tiefen seiner Augen funkelte es. Die Anspannung einer Raubkatze, die sich anschleicht; das winzige Beben in der Schwanzspitze, bevor sie zum Angriff ansetzt.
Vor den Augen des Königs die Waffe zu ziehen bedeutete den sicheren Tod. Murtagh befand sich in einem Teil des Parks, der zu weit entfernt lag, um ihn zu Hilfe zu rufen. Zwei Schritte nur, und wir wären in Randalls Reichweite. Nahe genug, um ihn anzugreifen. Ich legte Jamie die Hand auf den Arm. Der war ebenso hart wie der Schwertgriff, den er umklammert hielt. Das Blut toste in meinen Ohren.
»Jamie«, sagte ich. »Jamie!« Und dann verlor ich das Bewußtsein.
Die Geliehene Zeit
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