43
Falkirk
Ich konnte die Männer um mich herum in der
Dunkelheit spüren. Neben mir ging ein Dudelsackpfeifer. Der
Windsack, den er unter dem Arm trug, quietschte, und hinter ihm
waren die Umrisse der Bordunröhren sichtbar. Sie bewegten sich im
Rhythmus seiner Schritte, so daß es aussah, als trüge er ein
kleines, zuckendes Tier.
Ich kannte ihn; er hieß Labhriunn MacIan. In
Stirling begrüßten die Dudelsackpfeifer der Clans reihum den Tag.
Gemessenen Schrittes ging der Pfeifer dann im Feldlager auf und ab.
Das Klagen der Bordunröhren hallte zwischen den windigen Zelten
wider und weckte die Schläfer.
Auch am Abend kam wieder ein Dudelsackpfeifer
heraus und schritt langsam über den Hof. Dann wurde es ruhig im
Lager, das Stimmengewirr erstarb, und die Männer hörten zu, während
die Glut der untergehenden Sonne auf den Zelten verblaßte. Die
hohen, wehklagenden Töne der Dudelsackmelodien riefen die Schatten
vom Moor herbei, und wenn der Pfeifer ging, kam die Nacht.
Ob morgens oder abends, Labhriunn MacIan spielte
mit geschlossenen Augen, überquerte sicheren Schrittes den Hof, den
Ellbogen fest gegen den Sack gedrückt, die beweglichen Finger auf
den Grifflöchern der Melodiepfeifen. Trotz der Kälte saß ich abends
manchmal draußen und ließ die schmerzlichen Klänge in mein Herz
dringen. Denn MacIan legte seine Seele in die Musik.
Es gibt kleine, irische Sackpfeifen, mit denen man
im Haus musiziert, und die großen, schottischen Dudelsäcke, mit
denen man im Freien das Signal zum Wecken gibt oder die Krieger im
Kampf anfeuert, und MacIan spielte diesen großen Dudelsack.
Eines Abends wartete ich, bis er die restliche Luft
mit einem ersterbenden Ton aus dem Windsack gepreßt hatte, und ging
an seiner Seite durch das Tor in die Burg zurück.
»Guten Abend, Mistress«, sagte MacIan. Seine Stimme
war sanft, und seine Augen waren weich vom Zauber seiner
Musik.
»Guten Abend, MacIan«, erwiderte ich seinen Gruß.
»Ich habe mich gefragt, warum Sie mit geschlossenen Augen
spielen.«
Lächelnd kratzte er sich am Kopf, antwortete mir
aber bereitwillig.
»Ich glaube, weil es mich mein Großvater so gelehrt
hat, Mistress. Er war blind. Beim Spielen sehe ich ihn immer vor
mir, wie er die Küste entlangwandert, sein langer Bart flattert im
Wind, und die blinden Augen sind zum Schutz vor dem beißenden Sand
geschlossen, und er lauscht dem Echo seines Dudelsacks, das von den
Klippen widerhallt, damit er weiß, wie weit er auf seiner Wanderung
gekommen ist.«
»Wenn Sie ihn vor sich sehen, dann spielen Sie wie
er für die Klippen und das Meer? Woher kommen Sie, MacIan?« fragte
ich. Seine Sprache war noch breiter und reicher an Zischlauten als
die der übrigen Hochländer.
»Von den Shetlands, Mistress«, erwiderte er. »Von
weit her.« Er lächelte und verneigte sich kurz, als wir das
Gästequartier erreichten, in dem ich wohnte. »Aber ich glaube, Sie
kommen von noch weiter her, Mistress.«
»Das ist wahr«, sagte ich. »Gute Nacht,
MacIan.«
Einige Tage später fragte ich mich, ob ihm sein
Talent, mit geschlossenen Augen zu spielen, hier in der Dunkelheit
half. Eine große Gruppe marschierender Männer verursacht Lärm, ganz
gleich, wie leise sie sich bewegt, doch mir schien, daß diese
Geräusche im Heulen des auffrischenden Windes untergingen. Die
Nacht war mondlos, aber helle Wolken zogen über den Himmel, und ein
eisiger Schneeregen fiel.
Die Männer der Hochlandarmee hatten sich in Gruppen
zu zehn oder zwanzig über das Gelände verteilt und bewegten sich
stoßweise vorwärts, als wüchsen hier und da plötzlich kleine Hügel
aus dem Boden. Meine Neuigkeiten waren von anderer Seite bestätigt
worden: Ewan Camerons Spione hatten ebenfalls von Hawleys
Truppenbewegungen berichtet, und die schottische Armee hatte sich
nun in Marsch gesetzt, um ihm südlich von Stirling
entgegenzutreten.
Jamie hatte es aufgegeben, mich zur Rückkehr zu
bewegen. Ich
hatte versprochen, nicht im Weg zu sein, aber wenn es zum Kampf
kam, mußten sich die Armeeärzte bereit halten. Jamie saß auf Donas,
und er war selbst in der Finsternis als Schatten erkennbar. Als er
den Arm hob, lösten sich zwei dunkle Gestalten aus der Gruppe der
Marschierenden und traten an seinen Steigbügel heran. Die Männer
besprachen etwas im Flüsterton, dann richtete sich Jamie im Sattel
auf und drehte sich zu mir um.
»Die Späher sagen, daß wir entdeckt worden sind.
Englische Wachen sind nach Callendar House geeilt, um General
Hawley zu warnen. Wir werden nicht länger warten; ich nehme meine
Männer und ziehe an Dougals Truppen vorbei auf die andere Seite des
Falkirk Hill. Wir fallen dann von hinten ein, während die
MacKenzies von Westen kommen. Auf dem Berg zu deiner Linken,
vielleicht eine Viertelmeile von hier entfernt, steht eine kleine
Kirche. Dort wartest du auf mich, Sassenach. Reite jetzt dorthin
und bleibe dort.« In der Dunkelheit tastete er nach meinem Arm und
drückte ihn.
»Ich komme zu dir, wenn ich kann, und wenn nicht,
schicke ich Murtagh. Falls die Sache schiefläuft, geh in die Kirche
und suche dort Asyl. Etwas Besseres fällt mir nicht ein.«
»Mach dir um mich keine Sorgen.« Meine Lippen waren
kalt, und ich hoffte, daß meine Stimme nicht so unsicher klang, wie
ich mich fühlte. Ich schluckte das »Sei vorsichtig« hinunter, das
mir auf der Zunge lag, und begnügte mich damit, ihn zu berühren.
Seine Wange fühlte sich kalt wie Metall an.
Ich lenkte mein Pferd nach links, und da ich nun
von nachrückenden Männern umgeben war, mußte ich sorgfältig auf
meinen Weg achten. Das Gedränge beunruhigte den Wallach, er warf
den Kopf zurück, schnaubte und tänzelte nervös. Wie Jamie es mir
gezeigt hatte, hielt ich die Zügel kurz, als die Steigung kam.
Einmal blickte ich zurück, aber Jamie war schon in der Nacht
verschwunden, und ich brauchte meine ganze Aufmerksamkeit, um in
der Dunkelheit die Kapelle zu finden.
Es handelte sich um ein kleines, reetgedecktes
Steingebäude, das sich auf der Kuppe in eine Bodensenke duckte wie
ein ängstliches Tier. Genauso fühlte ich mich auch. Von hier oben
sah man die Wachfeuer der Engländer durch den Schneeregen funkeln,
und aus der Ferne hörte ich Stimmen - ob Schotten oder Engländer,
konnte ich nicht sagen.
Dann setzten die Dudelsäcke ein, ein dünnes,
unheimliches Geheul. Schrill und gespenstisch erklangen ihre Töne
an verschiedenen Stellen auf dem Hügel. Ich stellte mir vor, wie
die Spieler die Windsäcke aufbliesen - der Brustkorb, der sich in
hastigen Atemzügen weitete, blaue Lippen, eng um das Mundstück
geschlossen, klamme Finger, die versuchten, harmonische Klänge zu
erzeugen.
Als der Wind drehte und mir der Schneeregen
entgegenschlug, wurden die Rufe lauter. Die Kapelle hatte keinen
Vorbau, und auf dem Berg standen keine Bäume, die Schutz vor dem
Wind gewährt hätten. Mein Pferd drehte sich um und senkte den Kopf
gegen den Sturm, so daß mir seine eisverkrustete Mähne ins Gesicht
schlug.
Die Kirche bot nicht nur vor den Engländern
Zuflucht, sondern auch vor der Gewalt der Elemente. Ich stieß die
Tür auf und zog das Pferd am Zügel hinter mir hinein.
Drinnen war es stockfinster. Das einzige, mit
Öltuch bespannte Fenster zeichnete sich als milchiger Fleck über
dem Altar ab. Im Vergleich zu draußen war es warm, aber es war
stickig und roch nach Schweiß. Es gab keine Bänke, die das Pferd
hätte umstoßen können. Beunruhigt von dem durchdringenden Geruch
nach Menschen, blieb das Pferd stehen und schnaubte.
Vorsichtshalber behielt ich es im Auge, als ich wieder zur Tür ging
und den Kopf hinausstreckte.
Was auf dem Falkirk Hill geschah, konnte man nur
ahnen. Hie und da sah man Geschützfeuer im Dunkeln aufblitzen. Von
ferne hörte ich Waffen klirren und dann und wann eine dumpfe
Explosion. Auch die Schreie von Verwundeten drangen an mein Ohr,
hoch wie das Pfeifen eines Dudelsacks, ganz anders als das gälische
Kriegsgeschrei. Hin und wieder schlug der Wind um, und die
Geräusche der Schlacht verstummten.
Die Schlacht von Prestonpans hatte ich nicht
beobachten können. Da ich nur die schwerfälligen Bewegungen
gewaltiger Heere kannte, die an Panzer und Schützengräben gebunden
waren, ahnte ich nicht, wie schnell es in einer offenen
Feldschlacht mit Nahkampf und kleinen, leichten Waffen zu einer
Entscheidung kommen konnte.
Die erste Warnung, die ich vernahm, war ein Schrei
aus nächster Nähe. »Tulach Ard!« Im Tosen des Windes hatte
ich nicht gehört, wie sie den Hügel heraufgekommen waren.
»Tulach Ard!« Das war der Schlachtruf der MacKenzies; einige
von Dougals Leuten waren
in Richtung meiner Zufluchtsstätte gedrängt worden. Ich zog mich
zurück, ließ die Tür aber einen Spalt offen, so daß ich
hinausspähen konnte.
Das Häuflein Männer stürmte auf die Hügelkuppe zu,
eindeutig Hochländer. Plaids, Bärte und Haare flatterten im Wind,
so daß sie wie schwarze Wolken aussahen, die vom Wind den baumlosen
Hang hinaufgetrieben wurden.
Ich sprang zurück in die Kirche, als der erste von
ihnen durch die Tür stürmte. In der Dunkelheit konnte ich sein
Gesicht nicht sehen, aber als er mit meinem Pferd zusammenstieß,
erkannte ich seine Stimme.
»Herrgott!«
»Willie!« rief ich. »Willie Coulter!«
»Jesus, Maria und Josef! Wer ist da?«
Für eine Antwort fand ich keine Zeit, da die Tür
abermals aufgestoßen wurde und zwei weitere schwarze Gestalten in
den kleinen Kirchenraum drängten. Erzürnt über den Lärm, bäumte
sich mein Pferd auf und wieherte, was entsetzte Schreie seitens der
Eindringlinge zur Folge hatte. Offenbar hatten sie gedacht, das
Gebäude sei leer.
Als noch mehr Männer eintraten und das
Durcheinander größer wurde, gab ich es endgültig auf, das Pferd
beruhigen zu wollen. Inzwischen hatte ich mich ans andere Ende der
Kirche zurückgezogen und wartete, eingezwängt zwischen Altar und
Wand, daß sich die Lage klärte.
»Ruhe jetzt!« brüllte jemand in einem Ton, der
keinen Widerspruch duldete. Alle außer dem Pferd gehorchten, und
als sich der Lärm legte, wurde auch das Tier ruhiger, verzog sich
in eine Ecke und schnaubte nur noch ab und zu mißmutig.
»Hier ist MacKenzie von Leoch«, verkündete die
befehlsgewohnte Stimme. »Wer ist sonst noch hier?«
»Ich bin’s, Dougal, Geordie, mit meinem Bruder«,
sagte eine zutiefst erleichterte Stimme. »Wir haben auch Rupert
mitgebracht, er ist verwundet. Bei Gott, ich dachte, hier hat sich
der Leibhaftige verkrochen!«
»Gordon MacLeod von Ardsmuir«, meldete sich ein
anderer, den ich nicht kannte.
»Und Ewan Cameron von Kinnoch«, sagte ein dritter.
»Wessen Pferd ist das?«
»Meins.« Vorsichtig trat ich hinter dem Altar
hervor. Der Klang meiner Stimme löste einen neuen Tumult aus, aber
Dougal brachte die Leute mit seiner kräftigen Stimme zum
Schweigen.
»RUHE! Verdammt sollt ihr sein! Bist du das, Claire
Fraser?«
»Die Königin ist es jedenfalls nicht«, entgegnete
ich gereizt. »Willie Coulter ist auch hier, oder er war es noch vor
einer Minute. Hat jemand eine Zunderdose dabei?«
»Kein Licht!« befahl Dougal. »Wenn die Engländer
uns verfolgen, werden sie die Kirche kaum übersehen, aber falls sie
die Verfolgung aufgegeben haben, sollten wir ihre Aufmerksamkeit
nicht auf uns lenken.«
»Gut«, sagte ich und biß mir auf die Lippen.
»Rupert, kannst du sprechen? Sag etwas, damit ich dich finde.« Ob
ich im Dunkeln viel für ihn tun konnte, wußte ich nicht, ich konnte
nicht einmal meinen Medizinkasten holen. Aber ich konnte ihn
schließlich nicht einfach auf dem Boden verbluten lassen.
Von der andern Seite des Raumes hörte ich ein
gequältes Husten, und eine heisere Stimme sagte: »Hierher, Mädel.«
Darauf folgte wieder ein Husten.
Leise fluchend ertastete ich mir einen Weg durch
die Kirche. Schon allein das gurgelnde Geräusch dieses Husten sagte
mir, daß es schlimm um den Verletzten stand. So schlimm, daß ich
auch mit Medizinkasten nicht viel würde ausrichten können. Kurz vor
dem Ziel ging ich in die Hocke und legte die letzten Schritte
geduckt zurück, wobei ich mit ausladenden Armbewegungen Hindernisse
zu ertasten versuchte.
Da streifte ich einen warmen Körper, und eine große
Hand hielt mich fest. Das mußte Rupert sein, er gab beim Atmen
gurgelnde Geräusche von sich.
»Hier bin ich«, sagte ich und tätschelte ihn blind,
was beruhigend wirken sollte. Scheinbar hatte ich die richtige
Stelle erwischt, denn er kicherte und drückte meine Hand an seinen
Körper.
»Mach das noch mal, Mädel, und die Musketenkugel
ist vergessen«, meinte er.
Ich entzog ihm meine Hand.
»Später vielleicht«, bemerkte ich trocken. Um
seinen Kopf zu finden, tastete ich über seinen Körper, bis mir der
borstige Bart zeigte, daß ich mein Ziel gefunden hatte. Behutsam
fühlte ich unter den struppigen Haaren nach der Halsschlagader. Der
Puls ging
fliegend, aber immer noch ziemlich regelmäßig. Der Schweiß stand
Rupert auf der Stirn, aber seine Haut fühlte sich klamm an. Ich
streifte seine Nasenspitze, die noch von der Winterluft draußen
kalt war.
»Schade, daß ich kein Hund bin«, meinte er und
lachte keuchend. »Kalte Nase... wäre ein gutes Zeichen.«
»Ein noch besseres Zeichen wäre es, wenn du
aufhören würdest zu reden«, mahnte ich. »Wo hat dich die Kugel
getroffen? Nein, sag es nicht, nimm meine Hand und führ sie zu der
Wunde... und wenn du sie anderswo hinlegst, Rupert MacKenzie,
kannst du hier sterben wie ein Hund, und wir hätten eine Sorge
weniger.«
Der mächtige Brustkorb unter meiner Hand vibrierte
vor unterdrücktem Lachen. Er führte meine Hand vorsichtig unter
seinen Plaid, während ich mit der anderen den hinderlichen Stoff
beiseite schob.
»Gut. Ich hab’s«, flüsterte ich. Ich ertastete das
Loch in seinem Hemd und riß den Stoff auf. Als ich ihm behutsam
über die Brust strich, fühlte ich erst die Gänsehaut und dann die
Einschußwunde. Es war ein bemerkenswert kleines Loch, verglichen
mit Ruperts bulliger Gestalt.
»Ist die Kugel irgendwo wieder herausgekommen?«
wisperte ich. Abgesehen von dem Pferd, das sich noch nicht ganz
beruhigen wollte, herrschte in der Kirche Grabesstille. Durch die
geschlossene Tür war der Schlachtenlärm von draußen nur gedämpft zu
hören. Man konnte nicht beurteilen, wie nah die Engländer
herangekommen waren.
»Nein«, erwiderte Rupert und hustete wieder. Ich
merkte, wie er sich an den Mund griff, und bewegte meine Hand mit
einem Zipfel seines Plaids in dieselbe Richtung. Obwohl sich meine
Augen nun, so gut es ging, an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah
ich Rupert nur als dunkle Gestalt vor mir auf dem Boden. Vieles
konnte man jedoch ertasten. Die Wunde selbst blutete kaum, aber das
Tuch, das ich ihm an den Mund hielt, sog sich sofort mit warmem
Blut voll.
Die Kugel hatte mindestens eine Lunge durchlöchert,
vielleicht auch beide, und seine Brust füllte sich allmählich mit
Blut. Mit dieser Verletzung konnte Rupert noch ein paar Stunden
überleben, wenn wenigstens eine Lunge normal arbeitete, blieb ihm
noch ein Tag. Falls auch der Herzbeutel getroffen war, würde es
schneller
gehen. Aber retten konnte ihn nur eine Operation, und zwar eine,
die ich nicht durchführen konnte.
Ich merkte, wie jemand hinter mich trat. Ich
streckte die Hand aus, und er griff danach. Dougal MacKenzie.
Er ging neben mir in die Hocke und legte seine Hand
auf den ausgestreckt daliegenden Rupert.
»Wie steht’s, Mann?« fragte er leise. »Kannst du
gehen?« Da meine andere Hand noch auf Ruperts Brust lag, merkte
ich, daß er den Kopf schüttelte. Die übrigen Männer in der Kirche
hatten begonnen, sich im Flüsterton zu unterhalten.
Dougals Hand legte sich schwer auf meine
Schulter.
»Was brauchst du, um ihm zu helfen? Deinen kleinen
Kasten? Ist er auf dem Pferd?« Er hatte sich erhoben, bevor ich ihm
sagen konnte, daß nichts aus meinem Medizinkasten Rupert helfen
konnte.
Ein lautes Krachen vom Altar her setzte dem
Geflüster ein Ende, und die Männer tasteten hastig nach ihren
Waffen. Es krachte noch einmal, und das Öltuch im Fenster riß
entzwei. Frische, kalte Luft und wirbelnde Schneeflocken wehten
herein.
»Sassenach! Claire! Bist du da?« Als ich die leise
Stimme vom Fenster her hörte, war ich sofort auf den Beinen. Rupert
hatte ich vorübergehend vergessen.
»Jamie!« Die anderen atmeten erleichtert auf und
ließen die Schwerter und Tartschen scheppernd zu Boden fallen. Der
schwache Lichtschein, der von draußen hereindrang, wurde kurz von
Jamies Kopf und Schultern verdunkelt. Behende sprang er vom
Altar.
»Wer ist hier?« fragte er mit gedämpfter Stimme und
sah sich um. »Dougal, bist du’s?«
»Aye, ich bin’s, mein Junge, außerdem deine Frau
und noch ein paar Männer. Hast du da draußen irgendwo die
englischen Bastarde gesehen?«
Jamie lachte auf.
»Warum, glaubst du wohl, bin ich durchs Fenster
reingekommen? Unten am Hügel sind ungefähr zwanzig von der
Sorte.«
Dougal gab ein mißbilligendes Grunzen von sich.
»Die Hunde, die uns von der Haupttruppe abgeschnitten haben, würde
ich sagen.«
»Genau. Ho, mo cridh! Ciamar a tha thu?« Als
mein Pferd in
dem Durcheinander eine vertraute Stimme hörte, warf es mit einem
freundlichen Wiehern den Kopf hoch.
»Still, du Mistvieh!« wies Dougal das Tier zurecht.
»Willst du, daß uns die Engländer hören?«
»Ihn werden die Engländer wahrscheinlich nicht
aufhängen«, bemerkte Jamie trocken. »Und um zu merken, daß du hier
bist, brauchen sie keine Ohren, sondern nur Augen im Kopf. Der Hang
ist matschig, und eure Fußstapfen sind nicht zu übersehen.«
»Mmmpf.« Dougal warf einen Blick in Richtung
Fenster, aber Jamie schüttelte bereits den Kopf.
»Das hat keinen Sinn, Dougal. Das Gros steht
südlich von hier, und Lord George Murray zieht ihnen entgegen, aber
auf dieser Seite tummeln sich immer noch einige Engländer von dem
Trupp, auf den wir gestoßen sind. Ein paar von ihnen haben mich
über den Hügel gejagt. Ich habe mich seitwärts in die Büsche
geschlagen und bin zur Kirche gekrochen, aber ich denke, daß sie
damit beschäftigt sind, das Gelände über uns durchzukämmen.« Er
streckte die Hand nach mir aus. Sie fühlte sich kalt und klamm an,
aber ich war einfach nur froh, ihn zu berühren, ihn bei mir zu
haben.
»Gekrochen, so, so? Und wie willst du wieder
herauskommen?« fragte Dougal.
Jamie zuckte die Achseln und wies mit dem Kopf auf
das Pferd.
»Ich hatte vor, auszubrechen und sie
niederzureiten. Von dem Pferd wissen sie ja nichts. Und in dem
Durcheinander, das dann entsteht, hätte Claire vielleicht unbemerkt
davonschlüpfen können.«
Dougal lachte verächtlich. »Aye, und dich würden
sie von deinem Pferd pflücken wie einen reifen Apfel.«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, bemerkte Jamie
trocken. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr alle euch
unauffällig aus dem Staub macht, und wenn ich noch soviel Wirbel
mache.«
Wie um Jamies Worte zu bekräftigen, stöhnte Rupert
laut auf. Auf der Stelle hockten sich Dougal und ich neben ihn, und
auch Jamie sank auf die Knie.
Rupert war noch nicht tot, aber besser ging es ihm
auch nicht. Seine Hände fühlten sich eiskalt an, und sein Atem ging
keuchend und pfeifend.
»Dougal«, flüsterte er.
»Ich bin da, Rupert. Sei still, Freund, du bist
bald wieder gesund.« Der Clanführer der MacKenzies nahm rasch sein
Plaid ab und faltete daraus ein Kissen, das er Rupert unter Kopf
und Schultern schob. So gestützt, tat er sich mit dem Atmen
leichter, aber unter seinem Bart ertastete ich frische Blutflecken.
Etwas Kraft war ihm noch geblieben, denn er streckte die Hand aus
und griff nach Dougals Arm.
»Wenn... sie uns sowieso finden... dann gib mir
Licht«, sagte er keuchend. »Ich will dein Gesicht noch einmal
sehen, Dougal.«
Ich spürte, wie Dougal vor Schmerz zusammenzuckte,
als er den Sinn dieser Worte begriff. Leise erteilte er einen
Befehl, und nach einigem Hin und Her schnitt jemand eine Handvoll
Reet ab, das man zu einer Fackel drehte. Dann wurden mit Feuerstein
Funken geschlagen, bis sie Feuer fing. Sie brannte schnell
herunter, spendete mir aber genug Licht, um Rupert zu untersuchen.
Währenddessen schlugen die Männer aus den Dachbalken einen langen
Span heraus, der eine dauerhaftere Fackel abgeben sollte.
Rupert war käseweiß, sein Haar schweißnaß, und an
seiner Unterlippe trockneten Blutreste. Auf dem schwarzen Bart
zeigten sich dunkle Flecken, aber er lächelte, als ich mich über
ihn beugte, um noch einmal seinen Puls zu fühlen. Er ging leichter
und sehr schnell, und manchmal setzte er kurz aus. Ich strich
Rupert das Haar aus dem Gesicht, und er streichelte dankbar meine
Hand.
Dougal legte seine Hand um meinen Ellbogen. Ich
setzte mich auf die Fersen und wandte mich zu ihm um. So war ich
ihm schon einmal gegenübergesessen, über einem Mann, den ein Eber
tödlich verwundet hatte. Damals hatte er mich gefragt: »Wird er
überleben?« Ich sah, wie ein Schatten der Erinnerung über Dougals
Gesicht huschte. Dieselbe Frage las ich jetzt in seinen Augen, aber
diesmal stand ihm die Angst ins Gesicht geschrieben. Rupert war
sein bester Freund, sein Verwandter, der zu seiner Rechten ritt und
focht, wie Ian es für Jamie tat.
Diesmal brauchte ich die Antwort nicht selbst zu
geben; Rupert tat es an meiner Statt.
»Dougal«, sagte er und lächelte, als sich der
Freund besorgt über ihn beugte. Er schloß die Augen und atmete so
tief ein, wie er konnte, um noch einmal Kraft zu schöpfen.
»Dougal«, sagte er wieder und schlug die Augen auf.
»Trauere nicht um mich.«
Dougals Lippen zuckten im Feuerschein. Ich sah, daß
es ihm auf der Zunge lag, den Tod zu leugnen.
»Ich bin dein Anführer, Mann«, sagte er schließlich
mit einem zittrigen Lächeln. »Du erteilst mir keine Befehle. Ich
werde um dich trauern, wie es mir gefällt.« Er packte Ruperts Hand,
die auf seiner Brust lag, und hielt sie fest.
Rupert gab ein leises, pfeifendes Kichern von sich,
im nächsten Augenblick hustete er und spuckte einen Schwall
Blut.
»So traure denn um mich, wenn es dir gefällt,
Dougal«, sagte er dann. »Und es stimmt mich froh. Aber trauern
kannst du erst, wenn ich tot bin, nicht wahr? Ich will lieber durch
deine Hand sterben, mo caraidh, als durch die Hand eines
Fremden.«
Dougal zuckte zusammen. Jamie und ich tauschten
hinter seinem Rücken einen entsetzten Blick.
»Rupert...«, begann Dougal hilflos, aber Rupert
fiel ihm ins Wort, umklammerte seine Hand und schüttelte sie
sanft.
»Du bist mein Anführer, Dougal, und es ist deine
Pflicht«, raunte er. »Komm schon. Tu es. Das Sterben tut mir weh,
Freund, ich will es hinter mir haben.« Seine Augen wanderten
ruhelos umher und fielen schließlich auf mich.
»Willst du mir die Hand halten, wenn ich gehe,
Mädel?« fragte er. »Ich würde es mir wünschen.«
Mehr konnte ich für ihn nicht tun. Langsam, wie in
Trance, nahm ich die breite, schwarzbehaarte Hand und drückte sie,
als könnte ich das erkaltende Fleisch mit meiner Wärme
beleben.
Ächzend drehte sich Rupert zur Seite und sah Jamie
an, der neben ihm saß.
»Sie hätte mich heiraten sollen, mein Junge, als
sie die Wahl hatte«, keuchte er. »Du bist zwar ein Kümmerling, aber
tu dein Bestes.« Er zwinkerte ihm zu. »Nimm sie einmal für mich in
die Arme, mein Junge.«
Die schwarzen Augen kehrten zu mir zurück, und er
grinste mir zum Abschied zu.
»Leb wohl, mein Mädel«, sagte er leise.
Dougals Dolch traf ihn unter dem Brustbein, hart
und schnell. Ruperts stämmiger Leib krümmte sich und fiel zur
Seite. Doch der jähe Schmerzensschrei kam aus Dougals Kehle.
Wie erstarrt verharrte das Oberhaupt der
MacKenzies, die Augen geschlossen, den Schaft seines Dolchs fest
umklammert.
Schließlich erhob sich Jamie, nahm ihn, gälische
Trostworte murmelnd, bei den Schultern und drehte ihn fort. Fragend
sah mich Jamie an, ich nickte und breitete meine Arme aus. Sanft
schob er Dougal in meine Richtung, und ich zog ihn an mich. Auf dem
Boden kauernd, hielten wir beide ihn fest, während er weinte.
Auch Jamie liefen die Tränen übers Gesicht, und ich
hörte, wie die anderen Männer aufseufzten und schluchzten. Besser,
sie weinten um Rupert als um sich selbst, dachte ich bei mir. Wenn
die Engländer uns hier fanden, würden wir alle wegen Verrats am
Galgen enden. Es war leichter, um Rupert zu trauern, der seine
letzte Reise schon angetreten hatte - auf den Weg geschickt von der
Hand eines Freundes.
Doch in dieser langen Winternacht sollten sie uns
nicht finden. Wir drängten uns an einer Mauer zusammen, deckten uns
mit Plaids und Umhängen zu und warteten. Ich döste unruhig, an
Jamies Schulter gelehnt, während Dougal schweigend an meiner
anderen Seite saß. Ich hatte den Eindruck, daß beide nicht
schliefen, sondern die ganze Nacht über Ruperts Leichnam wachten,
der still unter seinem Plaid mitten in der Kirche ruhte, jenseits
des Abgrunds, der die Lebenden von den Toten trennt.
Wir sprachen wenig, aber ich wußte, was die anderen
dachten. Ebenso wie ich fragten sie sich, ob die englischen
Soldaten abgezogen waren, um sich unten in Callendar House mit dem
Gros der Armee zu vereinigen, oder ob sie noch draußen auf der
Lauer lagen, damit niemand im Schutze der Dunkelheit aus der
Kapelle entkam. Wenn, dann würden sie wohl erst bei Tagesanbruch
zur Tat schreiten.
Als es dämmerte, bekamen wir die Antwort auf diese
Frage.
»Holla, ihr da in der Kirche! Kommt heraus und
ergebt euch!« Die kräftige englische Stimme kam von weiter
unten.
Mit einem Schlag waren die Männer auf den Beinen,
und das Pferd, das in seiner Ecke gedöst hatte, warf den Kopf hoch
und schnaubte beunruhigt. Jamie und Dougal tauschten einen Blick.
Als hätten sie sich abgesprochen, erhoben sich beide und stellten
sich Schulter an Schulter vor die geschlossene Tür. Auf eine Geste
Jamies hin verschwand ich wieder in meinem Versteck hinter dem
Altar.
Auch auf den zweiten Ruf von draußen antworteten
wir nicht.
Jamie zog seine Steinschloßpistole und überprüfte die Ladung so
gelassen, als hätte er alle Zeit der Welt. Dann ließ er sich auf
ein Knie nieder und zielte auf die Tür.
Mit gezogenem Schwert und schußbereiter Pistole
bewachten Geordie und Willie das Fenster am hinteren Ende. Aber der
Angriff würde wahrscheinlich von vorn kommen; der Hügel hinter der
Kirche stieg so steil an, daß sich zwischen Hang und Kirchenmauer
kaum ein Mann hindurchzwängen konnte.
Ich hörte das leise Klirren von Waffen und
Schritte, die sich der Tür näherten. In einiger Entfernung
erstarben die Geräusche, und dann ertönte wieder die Stimme,
diesmal lauter und näher.
»Im Namen Seiner Majestät König George, kommt
heraus und ergebt euch! Wir wissen, daß ihr da drin seid!«
Jamie feuerte. Ohrenbetäubend hallte der Knall im
Innern der Kirche nach. Auch von draußen mußte die Wirkung
beeindruckend sein. Den Geräuschen nach zu urteilen, zogen sich die
Soldaten überstürzt und leise fluchend zurück. Das Geschoß hatte
ein kleines Loch in die Tür geschlagen. Dougal trat vorsichtig
heran und spähte hinaus.
»Verdammt«, sagte er leise. »Es sind viele.«
Jamie warf mir einen Blick zu. Dann preßte er die
Lippen zusammen und lud seine Pistole nach. Offenbar hatten die
Schotten keineswegs die Absicht, sich zu ergeben. Und ebensowenig
beabsichtigten die Engländer, die Kirche zu stürmen, deren Eingänge
leicht zu verteidigen waren. Sie wollten uns doch nicht etwa
aushungern? Gewiß würde die Hochlandarmee Männer aussenden, um nach
den Verwundeten der Schlacht zu suchen. Wenn sie eintrafen, bevor
die Engländer eine Kanone herbeischaffen konnten, um die Kirche zu
beschießen, waren wir vielleicht gerettet.
Doch leider hatten wir es mit einem klugen Kopf zu
tun. Wieder näherten sich Schritte, und dann ertönte eine
befehlsgewohnte Stimme.
»Ihr habt noch eine Minute Zeit, um herauszukommen
und euch zu ergeben«, sagte er, »dann zünden wir das Dach
an.«
Entsetzt sah ich nach oben. Die Mauern der Kirche
waren aus Stein, aber das Reet würde innerhalb kürzester Zeit in
Flammen aufgehen, auch wenn es von Regen und Schnee durchweicht
war, und sobald das Feuer richtig in Gang kam, würden ein
Flammenregen und qualmende Dachbalken auf uns niedergehen. Ich
erinnerte
mich nur zu gut, wie rasch das Reet in der vergangenen Nacht
abgebrannt war; als schauerliches Andenken lagen die verkohlten
Überreste noch neben Ruperts verhülltem Leichnam auf dem
Boden.
»Nein!« brüllte ich. »Verdammte Hunde! Dies ist
eine Kirche! Habt ihr noch nie von Kirchenasyl gehört?«
»Wer ist das?« fragte die Stimme schroff. »Habt ihr
eine Engländerin bei euch?«
»Ja!« rief Dougal und sprang zur Tür. Er drückte
sie einen Spaltweit auf und bellte die englischen Soldaten an. »ja!
Wir halten eine englische Dame gefangen! Setzt das Reet in Brand,
und sie stirbt mit uns!«
Am Fuße des Hügels wurden Stimmen laut, und die
Männer in der Kirche gerieten in Bewegung. Jamie wirbelte herum und
blickte Dougal finster an. »Was...!«
»Es ist die einzige Möglichkeit!« zischte Dougal.
»Gib sie ihnen im Tausch gegen unsere Freiheit. Sie werden ihr
nichts antun, solange sie glauben, sie sei unsere Geisel. Später
holen wir sie zurück!«
Ich trat aus meinem Versteck hervor, ging zu Jamie
und packte ihn am Ärmel.
»Tu es!« forderte ich. »Dougal hat recht, wir haben
keine Wahl!«
Hilflos sah er mich an. Angst und Wut standen ihm
ins Gesicht geschrieben. Aber darunter glaubte ich eine Spur von
Heiterkeit zu erkennen, denn schließlich entbehrte die Situation
nicht einer gewissen Ironie.
»Daß ich eine sassenach, eine Engländerin,
bin, läßt sich nun mal nicht leugnen«, sagte ich.
Mit wehmütigem Lächeln streichelte er mein
Gesicht.
»Aye, mo duinne. Aber du bist meine
sassenach.« Er wandte sich an Dougal und straffte die
Schultern. Dann holte er tief Luft und nickte.
»Gut. Sag ihnen, wir haben sie«, er fuhr sich mit
der Hand durchs Haar und überlegte rasch, »gestern abend auf der
Straße nach Falkirk gefangengenommen.«
Dougal nickte, besann sich nicht lange und
schlüpfte zur Kirchentür hinaus, wobei er zum Zeichen seiner
friedlichen Absichten ein weißes Taschentuch schwenkte.
Stirnrunzelnd sah mich Jamie an, dann warf er einen
Blick auf die Tür, hinter der immer noch englische Stimmen zu hören
waren, obwohl wir die Worte nicht verstanden.
»Ich weiß nicht, was du ihnen sagen sollst, Claire.
Vielleicht ist es besser, so zu tun, als stündest du unter Schock
und könntest über deine Erlebnisse nicht sprechen. Jedenfalls
gescheiter, als ihnen einen Bären aufzubinden. Denn wenn sie
herausbekommen, wer du bist...« Jäh hielt er inne und strich sich
über die Stirn.
Wenn sie herausbekamen, wer ich war, würden sie
mich nach London bringen, in den Tower - und die Hinrichtung würde
wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen. Doch die
Flugschriften, die über die Stuart-Hexe herzogen, erwähnten mit
keinem Wort, daß sie Engländerin war.
»Keine Sorge.« Ich merkte selbst, wie dumm diese
Bemerkung klang, doch mir fiel nichts Besseres ein. Als ich die
Hand auf Jamies Arm legte, spürte ich, wie rasch sein Puls ging.
»Du holst mich zurück, bevor sie auch nur das Geringste merken.
Glaubst du, sie bringen mich nach Callendar House?«
Er nickte halbwegs gefaßt. »Aye, das glaube ich.
Wenn es geht, richte es so ein, daß du kurz nach Einbruch der
Dunkelheit allein an einem Fenster sitzt. Dann hole ich
dich.«
Für mehr blieb uns keine Zeit. Dougal kehrte zurück
und schloß vorsichtig die Tür.
»Topp«, sagte er, von mir zu Jamie blickend. »Wir
geben ihnen die Frau, und dafür dürfen wir unserer Wege ziehen.
Keine Verfolgung. Wir behalten das Pferd. Das brauchen wir für
Rupert«, sagte er entschuldigend zu mir.
»Schon gut.« Ich blickte auf den kleinen, schwarzen
Kreis in der Tür, den die Kugel geschlagen hatte und der nicht
größer war als das Loch in Ruperts Brust. Mein Mund war trocken,
und ich schluckte schwer. Ich war ein Kuckucksei, das nun ins
falsche Nest gelegt werden sollte. Zögernd verharrten wir drei an
der Tür.
»Dann gehe ich jetzt wohl besser.« Ich versuchte
das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. »Sie werden sich
fragen, was wir so lange machen.«
Jamie schloß kurz die Augen, nickte und trat auf
mich zu.
»Du solltest lieber ohnmächtig werden, Sassenach«,
sagte er. »Dann ist es leichter.« Er beugte sich über mich, nahm
mich in die Arme und trug mich durch die Tür, die Dougal ihm
aufhielt.
Mein Ohr lag an seinem pochenden Herzen, und ich
spürte, wie seine Arme zitterten. Nach der stickigen Kirche, in der
es nach Schweiß, Blut, Schwarzpulver und Pferdemist stank, raubte
mir die kühle, frische Morgenluft fast den Atem. Zitternd schmiegte
ich mich an Jamie. Seine Hände schlossen sich noch fester um meine
Knie und Schultern, fest wie ein Versprechen. Niemals würde er mich
gehen lassen.
»Mein Gott«, sagte er leise, und dann waren wir bei
ihnen. Scharfe Fragen, undeutliche Antworten, seine Hände, die sich
widerstrebend von mir lösten, als er mich auf den Boden legte, und
dann seine Schritte, die sich durchs nasse Gras entfernten. Ich war
allein unter Fremden.