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Ein Kapitel, in dem allerhand schiefgeht
Ich kauerte mich näher ans Feuer und streckte meine Hände aus, um sie aufzutauen. Sie waren schmutzig, weil ich den ganzen Tag die Zügel gehalten hatte, und ich fragte mich, ob es der Mühe wert war, zum Fluß zu gehen und sie zu waschen. Manchmal überstieg es einfach meine Kräfte, moderne Hygienevorstellungen beizubehalten. Es war verdammt noch mal kein Wunder, wenn die Menschen so oft krank wurden und früh starben, dachte ich mißmutig. Häufig erlagen sie nur ihrer Unwissenheit und schlichtem Dreck.
Die Vorstellung, im Schmutz zu verenden, brachte mich trotz meiner Müdigkeit auf die Beine. Das Ufer des kleinen Flusses, der am Lager vorbeifloß, war sumpfig, und meine Schuhe sanken tief in den Morast ein. Nachdem meine Hände sauber und meine Füße naß waren, schleppte ich mich zurück zum Feuer, wo Korporal Rowbotham mit einer Schale, die angeblich Eintopf enthielt, auf mich wartete.
»Mit den besten Empfehlungen vom Hauptmann, Madam«, sagte er mit einer ehrerbietigen Verneigung, als er mir das Schüsselchen reichte, »und ich soll Ihnen auch sagen, daß wir morgen in Tavistock sind. Da gibt es ein Gasthaus.« Er war in den mittleren Jahren und hatte ein rundes, freundliches Gesicht. Zögernd sah er mich an, dann fügte er hinzu: »Der Hauptmann entschuldigt sich für das schlechte Quartier, Madam, aber für heute nacht haben wir Ihnen ein Zelt aufgestellt. Nichts Besonderes, aber vielleicht hält’s wenigstens den Regen ab.«
»Danken Sie dem Hauptmann in meinem Namen«, erwiderte ich, so freundlich ich konnte. »Und auch Ihnen danke ich«, fügte ich etwas herzlicher hinzu. Mir war vollkommen klar, daß mich Hauptmann Mainwaring als lästige Bürde betrachtete und keinen Gedanken daran verschwendete, wie ich die Nacht verbrachte. Das Zelt - ein Stück Leinwand, sorgfältig über einen Ast gespannt und an beiden Seiten mit Pflöcken befestigt - war zweifellos das alleinige Werk von Korporal Rowbotham.
Der Unteroffizier entfernte sich. Ich blieb allein zurück und verzehrte bedächtig angebrannte Kartoffeln und sehniges Rindfleisch. Am Fluß hatte ich ein Büschel späten Ackersenf gefunden und hatte eine Handvoll davon mitgenommen. Außerdem hatte ich noch ein paar Wacholderbeeren, die ich bei einer früheren Rast gepflückt hatte. Die Senfblätter waren alt und ausgesprochen bitter, aber zwischen zwei Bissen Kartoffeln brachte ich sie hinunter. Zum Abschluß würgte ich die Wacholderbeeren hastig hinunter. Ihr strenges Aroma trieb mir das Wasser in die Augen, aber wenigstens übertönte es den Geschmack nach Fett und Angebranntem, und zusammen mit den Senfblättern boten sie vielleicht hinreichend Schutz vor Skorbut.
In meinem Medizinkasten verwahrte ich einen reichen Vorrat an Hagebutten, getrockneten Äpfeln und Dillsamen. All das hatte ich sorgfältig gesammelt, um während der langen Wintermonate Mangelkrankheiten vorzubeugen. Ich hoffte nur, daß Jamie auch davon aß.
Ich legte meinen Kopf auf die Knie. Obwohl ich nicht glaubte, daß mich jemand ansah, wollte ich mein Gesicht verbergen, wenn ich an Jamie dachte.
Am Falkirk Hill hatte ich mich so lange wie möglich ohnmächtig gestellt. Aber schon bald wurde ich von einem britischen Dragoner aufgeschreckt, der versuchte, mir Weinbrand aus seinem Flachmann einzuflößen. Da meine »Retter« nicht recht wußten, was sie mit mir anfangen sollten, hatten sie mich nach Callendar House gebracht und General Hawleys Stab übergeben.
So weit war alles nach Plan verlaufen. Doch innerhalb der nächsten Stunde war einiges schiefgegangen. Während ich in einem Vorzimmer saß und den Gesprächen in meiner Umgebung lauschte, wurde mir klar, daß die vermeintlich große Schlacht am Vorabend nur ein Scharmützel zwischen den MacKenzies und einem Trupp englischer Soldaten gewesen war, die sich Hawleys Armee anschließen wollten. Besagte Armee sammelte sich soeben, um sich dem erwarteten Angriff der Hochländer am Falkirk Hill zu stellen. In Wahrheit hatte die Schlacht noch gar nicht stattgefunden!
General Hawley hatte mit den Vorbereitungen alle Hände voll zu tun, und da offensichtlich niemand eine Ahnung hatte, was mit mir geschehen sollte, wurde ich in die Obhut eines jungen Gefreiten gegeben und zusammen mit einem Brief, der die näheren Umstände meiner Rettung schilderte, ins zeitweilige Hauptquartier eines gewissen Oberst Campbell nach Kerse geschickt. Leider war der Soldat, ein stämmiger junger Mann namens Dubbs, geradezu übereifrig darauf bedacht, seine Pflicht zu erfüllen, und all meine Versuche, ihm unterwegs zu entwischen, waren fehlgeschlagen.
Als wir in Kerse ankamen, mußten wir feststellen, daß man Oberst Campbell nach Livingston abberufen hatte.
»Allem Anschein nach«, hatte ich meinem Wächter einreden wollen, »hat Oberst Campbell weder Zeit noch Lust, mit mir zu sprechen. Ich könnte ihm ohnehin nichts sagen. Warum darf ich mich nicht einfach hier in der Stadt einmieten, bis ich Vorkehrungen getroffen habe, meine Reise nach Edinburgh fortzusetzen?« Da mir nichts Besseres eingefallen war, hatte ich den Engländern dieselbe Geschichte erzählt, die ich vor zwei Jahren bereits Colum MacKenzie aufgetischt hatte: Ich sei eine verwitwete Dame aus Oxford und auf dem Weg zu Verwandten in Schottland, überfallen und von schottischen Straßenräubern entführt worden.
Der Gefreite Dubbs schüttelte den Kopf und errötete eigensinnig. Er konnte nicht älter als zwanzig sein und wirkte nicht besonders aufgeweckt, aber wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte ihn nichts davon abbringen.
»Das kann ich nicht zulassen, Mrs. Beauchamp«, sagte er - ich hatte meinen Mädchennamen angegeben -, »Hauptmann Bledsoe läßt mich vierteilen, wenn ich Sie nicht unversehrt beim Oberst abliefere.«
Also ging es, auf dem Rücken der beiden armseligsten Klepper, die ich je gesehen hatte, weiter nach Livingston. Endlich wurde ich von meinem Begleiter erlöst, was meine Lage leider auch nicht verbesserte. Statt dessen saß ich im oberen Stockwerk eines Hauses in Livingston und erzählte meine Geschichte einem gewissen Oberst Gordon MacLeish Campbell. Er stammte aus dem schottischen Tiefland und befehligte eins der Regimenter des Kurfürsten von Hannover.
»Aye, ich verstehe«, sagte er in einem Ton, der verriet, daß er rein gar nichts verstand. Er war klein, hatte ein Fuchsgesicht und schütteres rotes Haar, das streng aus der Stirn gekämmt war. Mit schmalen Augen betrachtete er den zerknitterten Brief, der auf seinem Schreibtisch lag.
»Hier heißt es«, sagte er und setzte sich eine Lesebrille auf die Nase, um das Papier näher in Augenschein zu nehmen, »daß einer Ihrer Entführer dem Fraser-Clan angehörte, ein großer Mann mit roten Haaren. Ist das richtig?«
»Ja.« Ich fragte mich, worauf er hinauswollte.
Er neigte den Kopf, so daß die Brille etwas tiefer rutschte, und fixierte mich mit stechendem Blick.
»Die Männer, die Sie bei Falkirk gerettet haben, glauben, daß es sich bei Ihrem Entführer um niemand anders handelt als um den roten Jamie, den berüchtigten Hochland-Clanführer. Nun bin ich gewahr, daß Sie während Ihrer Gefangenschaft... große Not gelitten haben«, er verzog den Mund, aber es war kein Lächeln, »so daß Sie vielleicht nicht in der Verfassung waren, genau zu beobachten, was vor sich ging. Aber vielleicht ist Ihnen aufgefallen, ob die anderen Männer den Betreffenden mit diesem Namen angesprochen haben?«
»Das haben sie. Sie nannten ihn Jamie.« Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es schaden würde, ihm das zu erzählen. Aus den Flugschriften, die ich gesehen hatte, ging klar hervor, daß Jamie ein Anhänger der Stuarts war. Jamies Teilnahme an der Schlacht von Falkirk war für die Engländer vielleicht interessant, dürfte ihn aber kaum noch stärker belasten.
»Sie können mich nicht öfter als einmal aufhängen«, pflegte er zu sagen. Einmal war mehr als genug. Ich blickte zum Fenster. Vor einer halben Stunde war es dunkel geworden. Auf der Straße unten sah ich den Schein von Laternen. Jamie befand sich jetzt wohl beim Callendar House und suchte das Fenster, an dem ich warten sollte.
Plötzlich überkam mich die absurde Gewißheit, daß er mir gefolgt war, daß er irgendwie herausbekommen hatte, wohin ich ritt, und unten auf der Straße darauf wartete, daß ich mich zeigte.
Hastig stand ich auf und trat ans Fenster. Die Straße war menschenleer, abgesehen von einem Mann, der Salzheringe feilbot. Es war natürlich nicht Jamie. Er konnte mich nicht aufspüren. Niemand aus dem Lager der Stuarts wußte, wo ich mich befand, ich war mutterseelenallein. Von Panik überwältigt, drückte ich die Hände mit aller Macht gegen die Scheibe. Mir war gleich, ob sie zerbrach.
»Mistress Beauchamp! Geht es Ihnen gut?« rief der Oberst höchst beunruhigt.
Ich preßte meine zitternden Lippen zusammen und versuchte, mich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen. Die Scheibe beschlug, so daß die Szene unten auf der Straße nicht mehr zu sehen war. Äußerlich gelassen, drehte ich mich um und sah den Oberst an.
»Ja, es geht mir gut«, sagte ich. »Wenn Ihre Befragung abgeschlossen ist, möchte ich jetzt gehen.«
»Sie möchten gehen? Hmm.« Er warf mir einen zweifelnden Blick zu, dann schüttelte er den Kopf.
»Sie bleiben heute nacht hier«, erklärte er. »Und morgen schicke ich Sie weiter Richtung Süden.«
Mein Magen zog sich vor Schreck zusammen. »Nach Süden! Warum, zum Teufel?« platzte ich heraus.
Erstaunt zog er die buschigen roten Augenbrauen hoch und sah mich mit offenem Mund an. Dann faßte er sich und erklärte: »Ich habe Anweisungen, sämtliche Nachrichten, die den Verbrecher Jamie Fraser betreffen, weiterzuleiten. Und ebenso sämtliche Personen, die mit ihm zu tun haben.«
»Ich habe nichts mit ihm zu tun!« protestierte ich. Wenn man von der unbedeutenden Tatsache absah, daß wir verheiratet waren.
Oberst Campbell schenkte meinen Worten keine Beachtung. Er wandte sich dem Schreibtisch zu und blätterte in seinen Unterlagen.
»Aye, da haben wir’s. Hauptmann Mainwaring heißt der Offizier, der Sie nach Süden begleiten soll. Er wird Sie bei Tagesanbruch hier abholen.« Er ließ ein Silberglöckchen ertönen. Die Tür ging auf, und das dienstfertige Gesicht seines Burschen erschien. »Garvie, bringen Sie die Dame auf ihr Zimmer. Und schließen Sie die Tür ab.« Der Oberst verbeugte sich der Form halber vor mir. »Ich denke, wir werden uns nicht wiedersehen, Mrs. Beauchamp. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und eine angenehme Reise.«
 
Die Reise war weder angenehm, noch ging sie besonders zügig vonstatten. Captain Mainwarings Trupp brachte eine Wagenkolonne mit Nachschub nach Lanark. Danach sollten er und der Rest seiner Einheit südwärts ziehen und unterwegs Botschaften von geringer Dringlichkeit abliefern. Offensichtlich fiel auch ich in diese Kategorie, denn noch immer gab es keine Anzeichen dafür, daß ich meinen Bestimmungsort bald erreichen würde.
»Richtung Süden.« Hieß das London? Hauptmann Mainwaring hatte mir nicht mitgeteilt, wohin wir zogen, aber ich konnte mir nichts anderes vorstellen.
Als ich den Kopf hob, sah ich, wie einer der Dragoner mich über das Feuer hinweg anstarrte. Mit ausdruckslosem Blick starrte ich zurück, bis er rot wurde und die Augen senkte. Solche Blicke war ich gewohnt, obwohl die meisten weniger dreist waren.
Angefangen hatte es mit der Verlegenheit und Schüchternheit des jungen Idioten, der mich nach Livingston brachte. Es hatte eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, daß die reservierte Haltung der englischen Offiziere nicht auf Mißtrauen zurückzuführen war, sondern auf eine Mischung aus Verachtung und Entsetzen und ein wenig Mitleid.
Denn ich war nicht einfach nur vor einer Bande räuberischer, plündernder Schotten gerettet worden. Ich war aus der Gefangenschaft befreit worden, nachdem ich eine ganze Nacht in einem Raum mit Männern verbracht hatte, die nach der festen Überzeugung aller rechtschaffenen Engländer »wilde Tiere waren, die sich der Vergewaltigung, des Raubes und zahlloser anderer grausiger Verbrechen schuldig machten«. Es war undenkbar, daß eine junge Engländerin eine Nacht in Gesellschaft solcher Bestien verbracht haben und mit heiler Haut davongekommen sein könnte.
Daß Jamie mich als angeblich Ohnmächtige aus der Kirche getragen hatte, mochte die Sache zu Anfang vereinfacht haben, hatte aber zweifellos zu dem Gesamteindruck beigetragen, er und die anderen Schotten hätten mir Gewalt angetan. Und dank des ausführlichen Briefes, den der Hauptmann meiner Retter geschrieben hatte,wußte jeder, dem ich später übergeben wurde, Bescheid - und vermutlich auch jeder, mit dem die Soldaten unterwegs sprachen. Nach meinen Erfahrungen in Paris wußte ich, wie schnell Klatsch die Runde machte.
Auch Korporal Rowbotham hatte die Geschichte bestimmt gehört, aber er behandelte mich stets freundlich, ohne das süffisante Grinsen, das ich zuweilen auf den Gesichtern der anderen Soldaten entdeckte. Wenn ich die Angewohnheit gehabt hätte, vor dem Schlafen zu beten, hätte ich ihn in meine Fürbitten miteingeschlossen.
Ich stand auf, klopfte meinen Mantel ab, und begab mich zu meinem Zelt. Als Korporal Rowbotham das sah, erhob er sich ebenfalls, umrundete unauffällig das Feuer und setzte sich wieder zwischen seine Kameraden, so daß er den Zelteingang im Rücken hatte. Sobald sich die Soldaten auf ihrer Decke ausstreckten, würde er sich in respektvollem Abstand, aber noch in Rufweite von meinem Lager niederlassen. So hatte er es auch in den vergangenen drei Nächten getan, ganz gleich, ob wir im Gasthaus oder auf freiem Felde übernachteten.
Drei Nächte zuvor hatte ich wieder einmal einen Fluchtversuch unternommen. Hauptmann Mainwaring war sich darüber im klaren, daß ich nicht freiwillig mit ihm reiste, und obwohl ich ihm zur Last fiel, war er zu pflichtbewußt, als daß er sich vor der Verantwortung gedrückt hätte. Folglich teilte er mir zwei Wächter zu, die tagsüber an meiner Seite ritten.
Nachts wurde ich weniger streng bewacht, denn der Hauptmann hielt es offensichtlich für unwahrscheinlich, daß ich mitten im Winter allein und zu Fuß durch menschenleere Moore flüchten würde. Da hatte er völlig recht. Ich beabsichtigte nicht, Selbstmord zu begehen.
An jenem Abend waren wir jedoch zwei Stunden, bevor wir unser Nachtlager aufschlugen, durch ein winziges Dorf gekommen. Selbst zu Fuß konnte ich es schaffen, den Weg zurück vor Tagesanbruch zu finden. Das Dorf besaß eine kleine Brennerei, von der aus mit Fässern beladene Wagen in verschiedene Städte der Umgebung abfuhren. Ich hatte den Hof der Brennerei gesehen, in dem sich die Fässer stapelten. Bestimmt konnte ich mich dort verstecken und mich am Morgen mit dem ersten Wagen aus dem Staub machen.
Nachdem im Lager Ruhe eingekehrt war und die Soldaten schnarchend rund ums Feuer lagen, war ich also aus meiner Decke gekrochen, die ich in der Nähe einiger Trauerweiden ausgebreitet hatte, und hatte mir, geräuschlos wie das Säuseln des Windes, einen Weg durch die hängenden Zweige gebahnt.
Als ich die Baumgruppe hinter mir hatte, meinte ich immer noch den säuselnden Wind zu hören, bis sich eine Hand auf meine Schulter legte.
»Schreien Sie nicht, Sie wollen doch nicht, daß der Hauptmann hört, daß Sie sich heimlich davonschleichen.« Ich schrie nicht, aber nur deswegen, weil mir die Luft wegblieb. Der Soldat, ein langer Kerl, der sich immer viel Mühe gab, seine blonden Locken auszukämmen, lächelte mich an.
Sein Blick wanderte über meine Brüste. Dann sah er mir seufzend in die Augen und trat einen Schritt auf mich zu. Hastig wich ich drei Schritte zurück.
»Es ist doch eigentlich gleich, nicht wahr, Süße?« sagte er mit einem trägen Lächeln. »Nach allem, was passiert ist. Einmal mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied. Außerdem bin ich Engländer«, schmeichelte er. »Kein dreckiger Schotte.«
»Laß die arme Frau in Ruhe, Jess.« Korporal Rowbotham trat lautlos aus dem Schutz der Weiden hervor. »Sie hat genug durchgemacht, die arme Dame.« Er sprach ruhig. Jessie warf ihm einen wütenden Blick zu, doch dann besann er sich, machte kehrt und verschwand.
Schweigend wartete der Korporal, bis ich meinen zu Boden gefallenen Umhang aufgehoben hatte, dann geleitete er mich zurück zum Lager. Dort angelangt, holte er seine Decke, bedeutete mir, mich hinzulegen, und setzte sich etwa zwei Meter von mir entfernt nieder, die Decke nach Indianerart um die Schultern gelegt. Immer wenn ich während der Nacht aufwachte, sah ich ihn dasitzen und mit kurzsichtigen Augen ins Feuer starren.
 
In Tavistock gab es tatsächlich ein Gasthaus. Mir blieb jedoch nicht viel Zeit, die Annehmlichkeiten des Hauses zu genießen. Wir kamen gegen Mittag in dem Dorf an, und Hauptmann Mainwaring machte sich sofort auf, seine diversen Botschaften zu überbringen. Doch schon nach einer Stunde kehrte er zurück und befahl mir, meinen Umhang zu holen.
»Warum?« fragte ich überrascht. »Wohin gehen wir?«
Er musterte mich gleichgültig und sagte: »Nach Bellhurst Manor.«
»Gut«, erwiderte ich. Der Name klang ein wenig beeindruckender als mein jetziger Aufenthaltsort, der nicht mehr zu bieten hatte als den intensiven Duft nach Hopfen, einige Soldaten, die auf dem Boden saßen und würfelten, und einen von Flöhen befallenen Köter, der am Feuer schlief.
Ohne Rücksicht auf die landschaftliche Schönheit kehrte das Herrenhaus den offenen Wiesen den Rücken zu und blickte trotzig landeinwärts auf eine öde Felslandschaft. Anders als die anmutig geschwungenen Zufahrten zu französischen Landgütern war die Auffahrt hier gerade, kurz und schmucklos. Den Eingang zierten zwei schlichte Steinsäulen, auf denen das Wappen des Besitzers prangte. Als ich daran vorüberritt, versuchte ich, das Bild einzuordnen. Eine liegende Katze - vielleicht ein Panther? - mit einer Lilie zwischen den Pfoten. Das Wappen kam mir bekannt vor. Aber wem gehörte es?
Im langen Gras beim Tor regte sich etwas, und als sich eine zerlumpte Gestalt in den Schatten zurückzog, um sich vor den Pferdehufen in Sicherheit zu bringen, erspähte ich hellblaue Augen. Selbst der Bettler kam mir irgendwie bekannt vor. Vielleicht hatte ich schon Halluzinationen und klammerte mich an jeden Eindruck, der nichts mit englischen Soldaten zu tun hatte?
Die Eskorte blieb auf dem Vorplatz und machte sich nicht einmal die Mühe abzusitzen, als ich mit Hauptmann Mainwaring die Stufen emporstieg. Mir war schleierhaft, was mich nun erwartete.
»Mrs. Beauchamp?« Der Butler sah aus, als rechnete er mit dem Schlimmsten - zweifellos zurecht.
»Ja«, erwiderte ich. »Wem gehört dieses Haus?«
Doch noch während ich das fragte, warf ich einen Blick ins Dunkel der Halle hinter ihm und sah ein Gesicht, aus dem mich große Rehaugen verwundert anstarrten.
Es war Mary Hawkins.
 
Mary und ich öffneten gleichzeitig den Mund, nur daß ich schrie, so laut ich konnte. Verblüfft trat der Butler einen Schritt zurück, stolperte über ein kleines Sofa und fiel um wie ein Kegel. Dann hörte ich, wie die Soldaten draußen aufgeschrecktvom Pferd sprangen und die Treppe heraufeilten.
Während ich meine Röcke raffte, kreischte ich: »Eine Maus! Eine Maus!« und floh, schrille Schreie ausstoßend, in Richtung Besuchszimmer.
Angesteckt von meiner Hysterie, schrie auch Mary und hielt mich an der Taille fest, als ich ihr in die Arme lief. Ich zog sie hinter mir her in den hintersten Winkel des Besuchszimmer und nahm sie an den Schultern.
»Sag niemandem, wer ich bin«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Niemandem! Mein Leben hängt davon ab!« Erst fand ich, das klinge zu melodramatisch, doch während ich die Worte aussprach, dämmerte mir, daß ich vielleicht die reine Wahrheit sagte. Mit dem roten Jamie Fraser verheiratet zu sein war eine heikle Angelegenheit.
Mary fand nur Zeit, benommen zu nicken, bevor sich die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete und ein Mann hereinkam.
»Was ist das für ein elender Lärmn, Mary?« fragte er. Er war rundlich, wirkte zufrieden und besaß das energische Kinn und den selbstbewußten Mund eines Menschen, der sich in der Regel durchsetzt.
»N-nichts, Papa«, sagte Mary, vor Nervosität stotternd. »Nur eine M-M-Maus.«
Der Baronet schloß die Augen und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Als er sich zumindest äußerlich gefaßt hatte, sah er seine Tochter an.
»Sag es noch einmal, Kind«, befahl er. »Aber richtig. Gestammel und Gemurmel dulde ich nicht. Atme tief ein und sammle dich. Also los, noch einmal.«
Mary gehorchte und atmete ein, bis sich ihr Mieder über ihrer Brust spannte. Ihre Finger umklammerten eine Falte ihres Seidenbrokatkleids, als suchte sie Halt.
»Es w-war eine Maus, Papa. Mrs. Fr... äh, diese Dame wurde von einer Maus erschreckt.«
Dieser Versuch schien ihn halbwegs zufriedenzustellen. Der Baronet trat auf mich zu und blickte mich neugierig an.
»Oh? Und mit wem habe ich das Vergnügen, Madam?«
Hauptmann Mainwaring, der die geheimnisvolle Maus vergeblich gesucht hatte, erschien nun verspätet an meiner Seite, stellte mich vor und überreichte einen Begleitbrief von Oberst MacLeish.
»Hm. Offenbar sind Sie, zumindest vorübergehend, ein Gast Seiner Hoheit.« Er übergab den Brief dem wartenden Butler und nahm dafür seinen Hut in Empfang.
»Ich bedaure, daß unsere Bekanntschaft nur von kurzer Dauer ist, Mrs. Beauchamp. Ich bin gerade im Begriff abzureisen.« Er warf einen Blick zurück auf eine kleine Treppe, die von der Halle abzweigte. Der Butler, der seine würdevolle Haltung wiedergefunden hatte, stieg soeben die Stufen hinauf, den abgegriffenen Brief auf einem Tablett. »Wie ich sehe, teilt Walmisley Seiner Hoheit bereits mit, daß Sie eingetroffen sind. Ich muß gehen, sonst versäume ich noch die Postkutsche. Adieu, Mrs. Beauchamp.«
Er wandte sich an Mary, die sich bis an die hölzerne Wandtäfelung zurückgezogen hatte.
»Auf Wiedersehen, Tochter. Bemühe dich, bitte... nun ja.« Er verzog die Mundwinkel zu etwas, was ein väterliches Lächeln vorstellen sollte. »Auf Wiedersehen, Mary.«
»Auf Wiedersehen, Papa«, murmelte sie mit gesenktem Blick. Ich sah die beiden an. Was in aller Welt machte ausgerechnet Mary Hawkins hier? Offenbar weilte sie als Gast in dem Haus; wahrscheinlich war der Gutsherr mit ihrer Familie verwandt.
»Mrs. Beauchamp?« Ein kleiner, dicker Lakai verbeugte sich vor mir. »Seine Hoheit ist jetzt bereit, Sie zu empfangen, Madam.«
Als ich dem Lakai folgen wollte, klammerte sich Mary an meinen Arm.
»A-A-A-Aber...«, begann sie. Aufgeregt, wie ich war, brachte ich nicht die Geduld auf, sie ausreden zu lassen. Ich lächelte matt und tätschelte Ihre Hand.
»Ja, ja«, sagte ich. »Keine Sorge, alles wird gut.«
»A-Aber er ist mein...«
Der Lakai verbeugte sich und öffnete eine Tür am Ende des Korridors. Im hellen Lichtschein leuchteten üppiger Brokat und poliertes Holz. Ein Stuhl zeigte hinten an der Lehne das gestickte Familienwappen. Hier kam es klarer zu Geltung als draußen auf dem verwitterten Stein.
Ein sitzender Panther, der Lilien in den Pfoten hielt - oder waren es Krokusse? Meine Unruhe wuchs, als der Herr auf dem Stuhl aufstand und sein Schatten auf die Türschwelle fiel. Marys letztes angstvolles Wort brachte Klarheit.
»Mein P-P-Pate!« stieß sie hervor.
Und im selben Augenblick verkündete der Lakai: »Seine Hoheit, der Herzog von Sandringham.«
»Mrs.... Beauchamp?« fragte der Herzog, dem der Mund vor Überraschung offenstand.
»Ja«, antwortete ich matt, »oder so ähnlich.«
 
Die Tür des Salons wurde hinter mir geschlossen, und ich war allein mit Seiner Hoheit. Mary war auf dem Korridor zurückgeblieben, mit Augen so groß wie Untertassen, und öffnete und schloß den Mund, stumm wie ein Goldfisch.
Zwischen den Fenstern standen riesige chinesische Vasen auf intarsienverzierten Tischen. Eine Bronzevenus posierte kokett auf dem Kaminsims, daneben standen zwei Porzellanschalen mit Goldrand und silberne Kandelaber, in denen Bienenwachskerzen leuchteten. Ein dichtgeknüpfter Kermanteppich bester Qualität bedeckte fast den ganzen Boden. In einer Ecke stand ein Cembalo. Der wenige verbleibende Platz war mit Intarsienmöbeln und verschiedenen Statuen vollgestellt.
»Ein schönes Haus habt Ihr hier«, bemerkte ich freundlich. Der Herzog stand vor dem Feuer, die Hände unter seinen Rockschößen gefaltet, und beobachtete mich aufmerksam und belustigt zugleich.
»Vielen Dank«, erwiderte er mit der hohen Stimme, die so schlecht mit seinem kräftigen Körperbau harmonierte. »Noch schöner dank Ihrer Gegenwart, meine Liebe.« Seine Belustigung siegte über die Wachsamkeit, und er grinste entwaffnend.
»Warum Beauchamp?« fragte er. »Das ist doch nicht zufällig Ihr richtiger Name?«
»Mein Mädchenname.« Aus purer Nervosität griff ich auf die Wahrheit zurück. Er hob seine dichten blonden Augenbrauen.
»Sind Sie Französin?«
»Nein, Engländerin. Aber schließlich konnte ich mich schlecht Fräser nennen, oder?«
»Verstehe.« Mit einem Nicken bedeutete er mir, auf einem kleinen, brokatbezogenen Sofa Platz zu nehmen. Ich raffte meine durchnäßten Röcke so anmutig wie möglich, sah großzügig über die zahlreichen Schmutzflecken und Pferdehaare hinweg und ließ mich behutsam auf dem blaßgelben Satin nieder.
Der Herzog schritt langsam vor dem Feuer auf und ab. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, während er mich aufmerksam betrachtete. Ich kämpfte gegen das wachsende Wohlbehagen an, das sich bis hinunter in meine schmerzenden Beine ausbreitete und drohte, mich in den Abgrund von Erschöpfung zu ziehen, der vor mir klaffte. Jetzt war nicht der rechte Augenblick, sich gehenzulassen.
»Wer sind Sie?« fragte der Herzog plötzlich. »Eine englische Geisel, eine glühende Jakobitin oder eine französische Spionin?«
Ich rieb mir die Nasenwurzel, um meine Kopfschmerzen zu lindern. Die korrekte Antwort lautete »nichts von alledem«, aber damit würde ich nicht weit kommen.
»Die Gastlichkeit dieses Hauses läßt, gemessen an seiner Einrichtung, zu wünschen übrig«, sagte ich so hochmütig, wie ich es unter den gegebenen Umständen zuwege brachte - es hätte zwar überzeugender ausfallen können, aber das Vorbild einer großen Dame, das Louise mir gegeben hatte, war nicht ganz an mich verschwendet.
Der Herzog stieß ein hohes, schrilles Lachen aus, wie eine Fledermaus, die gerade einen guten Witz gehört hat.
»Verzeihen Sie, Madam. Sie haben vollkommen recht. Ich hätte Ihnen eine Erfrischung anbieten sollen, bevor ich mir anmaße, Ihnen Fragen zu stellen. Wie gedankenlos von mir.«
Leise gab er dem Lakai, der auf sein Klingeln hin erschienen war, Anweisungen. Dann stellte er sich vor den Kamin und wartete seelenruhig auf das Eintreffen des Tabletts. Unterdessen sah ich mich im Raum um und warf ab und zu einen verstohlenen Blick auf meinen Gastgeber. An belanglosen Plaudereien waren wir beide nicht interessiert. Ungeachtet der herzoglichen Leutseligkeit herrschte im Augenblick lediglich Waffenstillstand, und das war uns beiden klar.
Ich hätte nur gern gewußt, warum. Mich interessierte brennend, welche Ziele der Herzog verfolgte. Oder welche Absichten er mir unterstellte. Er hatte mich als Mrs. Fraser kennengelernt, die Gattin des Gutsherren von Lallybroch. Nun stand ich als englische Geisel namens Beauchamp vor seiner Tür, die kürzlich vor einer Bande schottischer Jakobiten gerettet worden war. Das allein reichte, um verblüffte Fragen nach sich zu ziehen. Aber er zeigte ein Interesse an mir, das mehr war als schlichte Neugier.
Da wurde der Tee serviert. Der Herzog nahm seine Tasse und bedeutete mir, es ihm gleichzutun. Schweigend tranken wir unseren Tee. Irgendwo im Haus ertönte ein Hämmern. Mit leisem Klirren setzte der Herzog seine Teetasse ab - das Zeichen für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten.
»Nun denn«, sagte er mit soviel Festigkeit, wie ein Mann mit Fistelstimme zustande brachte. »Lassen Sie mich zunächst, Mrs. Fräser - ich darf Sie doch so nennen? Danke. Lassen Sie mich vorausschicken, daß ich schon viel über Sie weiß. Ich habe vor, noch mehr zu erfahren. Sie werden gut daran tun, meine Fragen vollständig und ohne Vorbehalte zu beantworten. Ich muß sagen, Mrs. Fraser, daß es erstaunlich schwierig ist, Sie zu töten«, lächelnd verneigte er sich vor mir, »aber ich bin sicher, daß es sich mit der nötigen Entschlossenheit doch noch zuwege bringen ließe.«
Reglos starrte ich ihn an, nicht aus angeborener Kaltblütigkeit, sondern einfach, weil ich sprachlos war. Wieder besann ich mich auf einen von Louises Manierismen, zog beide Augenbrauen hoch, nippte an meinem Tee und betupfte mir dann mit der Serviette zierlich den Mund.
»Ich fürchte, Sie werden mich für beschränkt halten«, erwiderte ich höflich, »aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Wirklich nicht, meine Liebe?«
Die kleinen, wasserblauen Augen hielten meinem Blick stand. Er griff nach dem vergoldeten Silberglöckchen auf dem Tablett und klingelte.
Der Mann mußte im Nebenzimmer auf sein Zeichen gewartet haben, denn die Tür öffnete sich sofort. Er war groß und hager, und an seiner dunkelblauen Livree aus gutem Tuch erkannte ich den höhergestellten Dienstboten. Mit einer tiefen Verbeugung wandte er sich an den Herzog.
»Eure Hoheit? Er sprach englisch, aber mit unverkennbar französischem Akzent. Auch sein Gesicht wirkte französisch: blaß, lange Nase, schmale Lippen und ein Paar tiefrote Ohren, die wie kleine Flügel zu beiden Seiten abstanden. Sein mageres Gesicht wurde noch eine Spur blasser, als er aufblickte und mich sah. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
Sandringham beobachtete dies mit mißmutigem Stirnrunzeln, dann sah er mich lauernd an.
»Erkennen Sie ihn nicht?« fragte er.
Ich wollte gerade den Kopf schütteln, als die rechte Hand des Mannes plötzlich zuckte. So unauffällig wie möglich machte er das Zeichen gegen das Böse, die mittleren Finger gefaltet, Zeige- und kleinen Finger auf mich gerichtet. Da wurde es mir klar, und im nächsten Augenblick sah ich meine Ahnung bestätigt - der kleine Leberfleck an der Gabelung von Daumen und Zeigefinger.
Ich hatte nicht den geringsten Zweifel: Das war der Mann im getupften Hemd, der mich und Mary in Paris überfallen hatte. Und offensichtlich stand er im Dienst des Herzogs.
»Du verdammter Bastard!« rief ich. Ich sprang so hastig auf, daß ich den Teetisch umwarf, und packte den nächstbesten Gegenstand, der mir in die Finger kam - eine mit Schnitzereien verzierte Tabaksdose aus Alabaster. Ich warf sie nach dem Mann, der überstürzt die Flucht ergriff. Die schwere Dose, die ihn nur um ein Haar verfehlte, schlug gegen den Türrahmen.
Als ich ihm nachsetzte, fiel die Tür ins Schloß, und ich blieb schweratmend stehen. Die Hände in die Hüften gestemmt, starrte ich Sandringham an.
»Wer ist das?« fragte ich wütend.
»Mein Kammerdiener«, erwiderte der Herzog gelassen. »Albert Danton. Mit Krägen und Strümpfen kennt er sich aus, aber wie die meisten Franzosen ist er ein wenig erregbar. Und überdies unglaublich abergläubisch.« Er warf einen mißbilligenden Blick auf die geschlossene Tür. »Diese verdammten Papisten mit ihren Heiligen, ihrem Weihrauch und so weiter. Man kann ihnen jeden Bären aufbinden.«
Mein Atem beruhigte sich allmählich, obwohl mein Herz immer noch wild hämmerte. Tief Luft zu holen fiel mir schwer.
»Sie dreckiger, ekelerregender, abscheulicher... Perverser!«
Dieser Ausbruch schien den Herzog zu langweilen, denn er nickte gleichgültig.
»Ja, ja, meine Liebe. All das, gewiß, und noch mehr. Und manchmal habe ich auch Pech, zumindest bei jener Sache.«
»Pech? Würdet Ihr es so bezeichnen?« Ich wankte zu dem Sofa und setzte mich. Meine zitternden Hände verbarg ich in den Falten meines Rocks.
»In mehrfacher Hinsicht, meine verehrte Dame. Sehen Sie nur.« Verständnisheischend streckte er beide Hände aus. »Ich entsende Danton, um Sie zu beseitigen. Er und seine Kameraden beschließen, sich erst ein wenig mit Ihnen zu vergnügen. Das ist gut und schön, aber nachdem sie einen genaueren Blick auf Sie geworfen haben, kommen sie unerklärlicherweise zu dem Schluß, Sie seien eine Art Hexe, verlieren den Kopf und laufen davon. Aber zuvor schänden sie noch meine Patentochter, die zufällig anwesend ist, so daß an die hervorragende Partie, die ich so mühsam für sie eingefädelt habe, nicht mehr zu denken ist. Bedenken Sie nur die Ironie des Schicksals!«
Wie gelähmt lauschte ich seinen Enthüllungen. Ich wußte kaum, worauf ich zuerst reagieren sollte. Eine Aussage überraschte mich allerdings besonders.
»Was meint Ihr mit ›beseitigen‹?« fragte ich. »Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr mich tatsächlich umbringen lassen wolltet?« Der Raum schien zu schwanken, und ich versuchte, mich mit einem Schluck Tee zu stärken, jedoch ohne großen Erfolg.
»Nun ja«, erwiderte Sandringham freundlich. »Darauf wollte ich hinaus. Sagen Sie, meine Liebe, was halten Sie von einem Glas Sherry?«
Ich musterte ihn mißtrauisch. Nachdem er gerade erklärt hatte, daß er mir nach dem Leben trachtete, erwartete er doch wohl nicht, daß ich ein Glas Sherry von ihm entgegennahm?
»Weinbrand«, sagte ich. »Ein ganzes Glas voll.«
Erneut ließ er ein hohes Kichern hören, begab sich zu der Anrichte und sagte über die Schulter: »Hauptmann Randall meinte, Sie seien eine überaus unterhaltsame Frau. Höchstes Lob aus seinem Munde, müssen Sie wissen. Er macht sich normalerweise nicht viel aus Frauen, obwohl sie für ihn schwärmen. Muß an seinem Aussehen liegen, denn seine Manieren können es nicht sein.«
»Also arbeitet Jack Randall tatsächlich für Euch.« Ich nahm das Glas, das er mir reichte, denn ich hatte beobachtet, wie er die zwei Gläser einschenkte. Und da ich sicher war, daß beide nichts außer Weinbrand enthielten, nahm ich einen herzhaften Schluck.
Der Herzog tat es mir gleich und blinzelte, als das scharfe Getränk seine Wirkung entfaltete.
»Selbstverständlich«, erwiderte er. »Oft ist das beste Werkzeug auch das gefährlichste. Man zögert nicht, es zu gebrauchen, aber man trifft die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.«
»Gefährlich, so, so? Was wißt Ihr eigentlich über Jonathan Randall?« fragte ich neugierig.
Der Herzog kicherte. »Oh, buchstäblich alles, würde ich sagen. Wahrscheinlich sogar weit mehr als Sie, meine Liebe. Einen Mann wie ihn sollte man nicht in seine Dienste nehmen, wenn man ihn nicht zügeln kann. Und Geld ist zwar ein guter Anreiz, taugt aber nicht, um ihn an der Kandare zu halten.«
»Im Gegensatz zu Erpressung?« bemerkte ich trocken.
Die Hände über dem runden Bauch gefaltet, lehnte er sich zurück und betrachtete mich mit unverhohlener Neugier.
»Ah, Sie meinen wohl, Erpressung käme auch in umgekehrter Richtung in Betracht?« Er schüttelte den Kopf, wobei ein paar Brösel Schnupftabak auf seine Seidenweste fielen.
»Nein, meine Liebe. Zum einen besteht ein gewisser Rangunterschied zwischen uns. Gerüchte dieser Art könnten meinem Ruf zwar in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen schaden, doch bereitet mir dies keine große Sorge. Während der gute Hauptmann... Nun ja, die Armee hat deutliche Vorbehalte gegen derartige widernatürliche Vorlieben. Häufig werden sie sogar mit dem Tode bestraft. Nein, das ist nicht miteinander zu vergleichen.« Er neigte den Kopf, soweit das sein Mehrfachkinn erlaubte.
»Aber es ist weder die Hoffnung auf Reichtum noch die drohende Bloßstellung, die Jonathan Randall an mich bindet«, sagte er. Die kleinen, wäßrigblauen Augen leuchteten. »Er dient mir, weil ich ihm gebe, was er braucht.«
Ich betrachtete seine korpulente Gestalt mit unverhohlenem Abscheu, was Seine Gnaden veranlaßte, sich vor Lachen auszuschütten.
»Nein, nicht, was Sie meinen«, sagte er. »Der Geschmack des Hauptmanns ist etwas feiner. Im Gegensatz zu meinem.«
»Was dann?«
»Bestrafung«, sagte er sanft. »Aber das wissen Sie ja, nicht wahr? Zumindest Ihr Gatte weiß es.«
Allein durch seine Gegenwart fühlte ich mich beschmutzt, und ich stand auf, um mich ein Stück zu entfernen. Die Scherben der Alabasterdose lagen noch auf dem Boden verstreut. Versehentlich stieß ich mit dem Fuß gegen eine, so daß sie gegen die Wand prallte und unter dem Sofa landete. Sie ließ mich wieder an Danton denken.
Ich war mir nicht sicher, ob ich den mißlungenen Mordanschlag mit dem Herzog erörtern wollte, aber im Augenblick schien mir dieses Thema noch das angenehmste.
»Warum wolltet Ihr mich ermorden lassen?« fragte ich unvermittelt und drehte mich zu ihm um. Gleichzeitig sah ich mich nach einer geeigneten Waffe um, falls er seinen Plan noch nicht aufgegeben haben sollte.
Doch der Herzog machte einen friedlichen Eindruck. Er bückte sich mühsam, um die Teekanne aufzuheben, die wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war, und stellte sie auf den Teetisch.
»Damals erschien es mir ratsam«, erwiderte er ruhig. »Ich hatte erfahren, daß Sie und Ihr Gemahl versuchten, eine bestimmte Angelegenheit zu vereiteln, die für mich von Interesse war. Ich zog in Betracht, Ihren Gatten zu beseitigen, aber das erschien mir zu gefährlich, da er zwei der mächtigsten Familien Schottlands angehört.«
»Ihr habt in Betracht gezogen, ihn zu beseitigen?« Mir ging ein Licht auf, eins von vielen, die wie ein Feuerwerk in meinem Kopf aufblitzten. »Haben die beiden Seeleute, die Jamie in Paris angegriffen haben, in Eurem Auftrag gehandelt?«
Der Herzog nickte gelassen.
»Das schien mir die einfachste Methode, wenn auch ein wenig rüde. Aber dann tauchte Dougal MacKenzie in Paris auf, und ich fragte mich, ob Ihr Gatte nicht in Wahrheit für die Stuarts arbeitete. Es war nicht mehr klar, welche Ziele er wirklich verfolgte.«
Ich hingegen fragte mich, welche Ziele der Herzog verfolgte. Seine merkwürdigen Äußerungen erweckten den Eindruck, er sei ein heimlicher Jakobit - wenn das zutraf, hatte er es meisterhaft verstanden, sein Geheimnis zu wahren.
»Und dann«, fuhr er fort, während er behutsam den Deckel auf die Kanne setzte, »war Ihre aufkeimende Freundschaft mit Louis von Frankreich zu bedenken. Selbst wenn Ihr Gatte bei den Bankiers erfolglos geblieben wäre, hätte Louis Charles Stuart mit den nötigen Mitteln versorgen können - vorausgesetzt, daß Sie Ihre reizende Nase nicht in die Angelegenheit steckten.«
Stirnrunzelnd betrachtete er das Hörnchen, das er in der Hand hielt, und schnippte ein paar Staubflocken davon ab. Dann aber widerstand er der Versuchung, es zu essen, und warf es auf den Tisch.
»Sobald sich herausgestellt hatte, was wirklich vor sich ging, versuchte ich, Ihren Gatten zurück nach Schottland zu locken, indem ich ihm die Begnadigung in Aussicht stellte. Das war nicht billig«, meinte er nachdenklich. »Und alles für die Katz!
Aber dann entsann ich mich der rührenden Zuneigung, die Ihr Gemahl Ihnen entgegenbringt«, sagte er mit einem wohlwollenden Lächeln, das besonders widerwärtig wirkte. »Ich nahm an, daß Ihr tragisches Ableben ihn von seinem Vorhaben ablenken würde, aber nicht soviel Aufsehen erregen würde wie seine eigene Ermordung.«
Plötzlich fiel mir etwas ein, und ich betrachtete das Cembalo, das in der Ecke stand. Auf dem Ständer lagen mehrere Notenblätter in einer schönen, klaren Handschrift. Fünfzigtausend Pfund stehen Euch zur Verfügung, sobald Eure Hoheit englischen Boden betreten. S. »S.« stand natürlich für Sandringham. Der Herzog lachte entzückt.
»Wirklich klug von Ihnen, meine Liebe. Denn da Ihr Gatte, wie ich hörte, völlig unmusikalisch ist, mußte der Einfall von Ihnen stammen.«
»Eigentlich nicht von mir persönlich«, erwiderte ich und wandte mich wieder um. Da auf dem Tischchen neben mir weder Brieföffner noch stumpfe Gegenstände lagen, griff ich hastig nach einer Vase mit Treibhausblumen und vergrub mein Gesicht in den Blüten. Ich schloß die Augen und spürte die kühlen Blütenblätter an meinen plötzlich erhitzten Wangen. Aus Furcht, daß mein Gesicht mich verraten könnte, wagte ich es nicht aufzublicken.
Denn im Fenster hinter dem Herzog hatte ich einen kürbisrunden Kopf erblickt, den die grünen Samtvorhänge umrahmten, als wäre er eines der exotischen Sammelstücke des Herzogs. Als ich die Augen öffnete und vorsichtig durch die Blumen spähte, sah ich ein breites Grinsen, das an eine Kürbislaterne erinnerte.
Ich war hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Erleichterung. Also hatte ich den Bettler am Tor doch richtig erkannt. Hugh Munro, ein Gefährte aus Jamies Zeit als Geächteter, war Schulmeister gewesen und auf See in türkische Gefangenschaft geraten. Entstellt durch die Folter, mußte er sich als Bettler und Wilderer durchschlagen - das damit erzielte Einkommen besserte er auf, indem er sich gelegentlich als Kundschafter betätigte. Ich hatte gehört, er sei ein Agent der Hochlandarmee, aber mir war nicht klar gewesen, daß ihn seine Tätigkeit so weit nach Süden führte.
Wie lange saß er schon hier oben vor dem Fenster im ersten Stockwerk? Ich wagte nicht, mit ihm Kontakt aufzunehmen - ich hatte schon genug damit zu tun, einen Punkt hinter dem Herzog zu fixieren und scheinbar gleichgültig in die Luft zu starren.
Der Herzog betrachtete mich interessiert. »Wirklich. Doch nicht etwa Gerstmann? Soviel Verstand hätte ich ihm nicht zugetraut.«
»Aber mir schon? Ich fühle mich geschmeichelt.« Meine Nase senkte sich wieder in die Blumen, und ich sprach zerstreut in eine Päonie.
Der Bettler vor dem Fenster löste eine Hand vom Efeu. Da ihm die Sarazenen die Zunge herausgeschnitten hatten, sprach Hugh Munro mit den Händen. Er blickte mich aufmerksam an, zeigte zuerst auf mich, dann auf sich und dann zur Seite. Die breite Hand neigte sich, und zwei Finger wurden zu Beinen, die nach Osten liefen. Ein letztes Zwinkern, eine zum Gruß geballte Faust, und fort war er.
Die Spannung fiel von mir ab. Zitternd holte ich Luft. Dann mußte ich niesen und stellte die Blumen weg.
»Demnach seid Ihr also Jakobit, nicht wahr?« fragte ich.
»Nicht unbedingt«, erwiderte der Herzog freundlich. »Die Frage ist, meine Liebe, ob Sie es sind.« Gedankenverloren nahm er seine Perücke ab und kratzte sich die blonden, schütteren Haare, bevor er sie wieder aufsetzte.
»In Paris haben Sie versucht, die Wiedereinsetzung von König James zu vereiteln. Nachdem dies gescheitert ist, treten Sie und Ihr Gemahl als die treuesten Gefolgsleute Seiner Hoheit auf. Warum?« In den kleinen blauen Augen las ich nichts als freundliche Neugier, doch er hatte nicht aus freundlicher Neugier einen Mordanschlag auf mich verübt.
Seit ich wußte, wer mein Gastgeber war, versuchte ich krampfhaft, mich daran zu erinnern, was Frank und Reverend Wakefield über ihn gesagt hatten. War der Herzog tatsächlich ein Jakobit gewesen? Soweit ich mich erinnerte, war die Geschichte - vertreten durch Frank und den Reverend - zu keinem klaren Urteil gelangt. Und auch ich war unschlüssig.
»Ich denke nicht, daß ich es Euch sagen werde«, antwortete ich bedächtig.
Erstaunt zog er eine blonde Braue hoch, holte eine kleine Emailledose aus der Tasche und nahm eine Prise Schnupftabak.
»Finden Sie das klug, meine Liebe? Danton ist noch in Rufweite.«
»Danton würde mich nicht einmal mit einer drei Meter langen Stange anfassen«, erklärte ich schroff. »Und Ihr würdet das übrigens auch nicht tun. Nicht«, fügte ich hastig hinzu, als ich sah, wie er den Mund öffnete, »aus demselben Grund. Aber wenn Ihr unbedingt wissen wollt, auf welcher Seite ich stehe, dann werdet Ihr mich zumindest so lange leben lassen, bis Ihr es herausgefunden habt, nicht wahr?«
Der Herzog verschluckte sich an seinem Schnupftabak, nieste, hustete heftig und klopfte sich auf die Brust. Ich richtete mich auf und musterte ihn kühl.
»Wenn Ihr versucht, mich durch Drohungen zum Sprechen zu bringen, kommt Ihr nicht weit«, sagte ich mit weitaus mehr Selbstvertrauen, als ich empfand.
Sandringham betupfte sich die tränenden Augen mit einem Taschentuch. Schließlich holte er tief Luft, stieß sie durch gespitzte Lippen wieder aus und starrte mich an.
»Nun gut«, sagte er halbwegs ruhig. »Ich denke, daß meine Handwerker nun die nötigen Veränderungen an Ihrem Zimmer vorgenommen haben. Eins der Mädchen wird Sie hinaufbegleiten.«
Ich mußte ihn ziemlich dumm angesehen haben, denn er lächelte spöttisch, während er sich aus seinem Stuhl hievte.
»Im Grunde spielt es keine Rolle«, bemerkte er. »Wer immer Sie sein mögen und welche Kenntnisse Sie auch besitzen, als Hausgast haben Sie eine unschätzbare Eigenschaft.«
»Und welche wäre das?« fragte ich. Die Hand an der Glocke, hielt er inne und lächelte.
»Sie sind die Gemahlin des roten Jamie«, sagte er leise. »Und er liebt Sie heiß und innig, nicht wahr, meine Liebe?«
 
Ich hatte schon schlimmere Gefängnisse gesehen. Der Raum maß der Länge und Breite nach etwa zehn Meter, und nur der Salon im ersten Stock war prunkvoller eingerichtet. Das Himmelbett stand auf einem kleinen Podest, die Damastvorhänge waren an den vier Bettpfosten üppig mit Pfauenfedern geschmückt, und vor dem gewaltigen Kamin luden zwei brokatbezogene Sessel dazu ein, es sich bequem zu machen.
Das Zimmermädchen, das mich hergeführt hatte, stellte den Wasserkrug und die Schüssel ab, die es trug, und beeilte sich, das vorbereitete Holzfeuer zu entfachen. Der Lakai stellte ein abgedecktes Tablett mit meinem Abendessen auf den Tisch neben der Tür und postierte sich dann breitbeinig vor dem Eingang, so daß an Flucht nicht zu denken war. Es hätte auch nicht viel Sinn gehabt, einen Versuch zu unternehmen, dachte ich verstimmt. Schon hinter der ersten Biegung des Korridors hätte ich mich verlaufen. Das verdammte Haus war ungefähr so groß wie der Buckinghampalast.
»Seine Hoheit hofft, daß Sie sich hier wohl fühlen, Madam«, sagte das Mädchen und verabschiedete sich mit einem zierlichen Knicks.
»Der? Ganz bestimmt!« erwiderte ich ungnädig.
Mit einem deprimierend dumpfen Schlag schloß sich die Tür hinter ihr, und das knirschende Geräusch, mit dem der große Schlüssel im Schloß umgedreht wurde, schien die letzte Schutzschicht von meinen strapazierten Nerven zu kratzen.
Vor Kälte zitternd, verschränkte ich die Arme und ging zum Feuer, wo ich mich in einen Sessel fallen ließ. Am liebsten hätte ich meine Abgeschiedenheit dazu genutzt, einen netten kleinen hysterischen Anfall zu bekommen. Doch ich befürchtete, wenn ich meinen Gefühlen erst einmal freien Lauf ließ, würde ich sie nie wieder unter Kontrolle bekommen. Also schloß ich die Augen, betrachtete das rötliche Flackern auf der Innenseite meiner Lider und zwang mich zur Ruhe.
Schließlich befand ich mich im Augenblick außer Gefahr, und Hugh Munro war zu Jamie unterwegs. Selbst wenn Jamie im Lauf der Woche meine Spur verloren hatte, würde Hugh ihn finden und hierherführen. Hugh kannte in seinen vier Gemeinden jeden Kleinbauern und jeden fahrenden Kesselflicker, jeden Bauernhof und jedes Herrenhaus. Neuigkeiten und Klatsch verbreiteten sich rasch, und eine Botschaft des stummen Bettlers würde hurtig wie der Wind über die Hügel reisen. Falls es ihm gelungen war, unbemerkt von seinem luftigen Sitz im Efeu zu klettern und den Grund und Boden des Herzogs zu verlassen.
»Sei nicht albern«, redete ich mir Mut zu, »der Mann ist Wilderer von Beruf. Natürlich hat er es geschafft.« Das Echo, das die Stuckdecke zurückwarf, wirkte irgendwie tröstlich.
»Und wenn dem so ist«, fuhr ich fort, »dann wird Jamie kommen.«
Richtig, fiel es mir plötzlich ein. Und Sandringhams Leute werden ihn erwarten. Sie sind die Gemahlin des roten Jamie, hatte der Herzog gesagt. Meine einzige unschätzbare Eigenschaft. Ich war ein Lockvogel.
»Ich bin ein Köder!« rief ich und setzte mich kerzengerade auf. Das Unwürdige meiner Lage rief einen kleinen, aber willkommenen Wutanfall hervor, der die Angst ein wenig linderte. Ich versuchte, die Flammen meines Zorns zu schüren, indem ich mich erhob, auf-und ab ging und mir neue Schimpfnamen für den Herzog ausdachte, die ich ihm bei nächster Gelegenheit an den Kopf werfen wollte. Als ich bei »abgefeimter Päderast« angelangt war, hörte ich von draußen gedämpfte Schreie.
Ich zog die schweren Samtvorhänge vor den Fenstern zurück und stellte fest, daß der Herzog nicht zuviel versprochen hatte. Die Fensterrahmen waren mit massiven Holzbalken vernagelt, die ein so dichtes Gitter bildeten, daß ich zwar noch etwas sehen, aber kaum meinen Arm hindurchstecken konnte.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und die Schatten unter den Parkbäumen waren schwarz wie Tinte. Aus dem Park kamen auch die Rufe, und von den Ställen her hörte ich die Antwort. Plötzlich erschienen drei Männer mit Fackeln.
Die dunklen Gestalten liefen so eilig auf den Wald zu, daß die Flammen der Fackeln hellrot aufleuchteten. Als die Männer den Rand des Parks erreichten, sah ich weitere Gestalten, die auf dem winterlichen Rasen vor dem Haus übereinanderpurzelten.
Ich stand auf Zehenspitzen, umklammerte das Gitter und drückte die Stirn gegen das Holz, um besser sehen zu können. Das Tageslicht war nun ganz geschwunden, und im Schein der Fackeln sah ich kaum mehr als die Umrisse der Kämpfenden.
Jamie konnte das nicht sein, sagte ich mir und versuchte, den Kloß in meiner Kehle hinunterzuschlucken. Nicht so bald, nicht jetzt. Und nicht allein - gewiß würde er nicht allein kommen. Denn nun konnte ich erkennen, daß sich alle auf einen Mann stürzten, der auf den Knien lag, während die Wildhüter und Stallknechte des Herzogs mit Fäusten und Stöcken auf ihn eindroschen.
Dann fiel die geduckte Gestalt der Länge nach hin, und die Rufe erstarben, obwohl noch einige Schläge ausgeteilt wurden, bis die Horde endlich von dem Mann abließ. Ein paar Worte wurden gewechselt, die ich hoch oben auf meinem Aussichtspunkt nicht verstand. Dann beugten sich zwei Männer vor und packten ihr Opfer unter den Armen. Als sie auf dem Weg zum Haus unter meinem Fenster im zweiten Stock vorbeikamen, fiel der Fackelschein auf einen zerlumpten, schmutzigen Kittel. Das war nicht Jamie.
Einer der Stallknechte hastete vorüber und schwenkte triumphierend ein dickes Lederränzel an einem Riemen. Das Klimpern der Metallplättchen, die den Riemen zierten, konnte ich nicht hören, aber sie glitzerten im Fackelschein, und meine Arme wurden kraftlos vor Entsetzen.
Es waren Münzen und Knöpfe. Und Gaberlunzies, jene kleinen Bleimünzen, die einen Bettler berechtigten, in einer bestimmten Gemeinde zu betteln. Hugh Munro besaß vier davon, zum Ausgleich für die Qualen, die er unter den Türken erlitten hatte. Es war nicht Jamie, sondern Hugh.
Ich zitterte so sehr, daß mich meine Beine kaum noch tragen wollten, aber ich lief zur Tür und schlug mit aller Kraft dagegen.
»Laßt mich raus!« schrie ich. »Ich muß den Herzog sprechen! Laßt mich raus, sage ich!«
Als auf mein fortgesetztes Schreien und Klopfen keine Antwort folgte, raste ich zurück zum Fenster. Unten bot sich inzwischen ein vollkommen friedlicher Anblick: Ein Junge hielt eine Fackel für einen Gärtner, der am Rande des Rasens kniete und sorgfältig die durch den Kampf herausgerissene Grasnarbe wieder einfügte.
»He da!« brüllte ich. Natürlich ließen sich die vergitterten Fenster nicht öffnen. Rasch holte ich einen der schweren silbernen Kerzenständer und schlug damit eine Scheibe ein.
»Hilfe! He, ihr da unten! Sagt dem Herzog, daß ich ihn sprechen will! Jetzt! Hilfe!« Eine der Gestalten schien den Kopf in meine Richtung zu wenden, aber keiner von beiden machte Anstalten, zum Haus zu gehen. Sie fuhren mit ihrer Arbeit fort, als hätte nur der Ruf eines Nachtvogels die Stille zerrissen.
Wieder rannte ich zur Tür, hämmerte und schrie, und dann zurück ans Fenster. Ich rief, ich flehte, und ich drohte, bis ich heiser wurde, und ich schlug gegen die erbarmungslose Tür, bis meine Hände rot und wund waren, aber niemand kam. Dem Schweigen nach zu urteilen, hätte ich in dem riesigen Haus allein sein können. Auf dem Korridor war es ebenso still wie draußen im nächtlichen Park, still wie im Grab. Meine Angst brach nun ungezügelt hervor, und ich sank hemmungslos schluchzend auf die Knie.
 
Steifgefroren und mit pochenden Kopfschmerzen erwachte ich davon, daß ich über den Boden geschoben wurde. Hellwach wurde ich aber erst, als mein Schenkel von der Kante der sich öffnenden Tür eingeklemmt wurde.
»Au!« Mit steifen Gliedern drehte ich mich um und richtete mich auf allen vieren auf, so daß mir die Haare wild ins Gesicht hingen.
»Claire! Oh, b-bitte sei still. Liebes, bist du verletzt?« Gestärktes Leinen raschelte, als sich Mary neben mich hockte. Hinter ihr fiel die Tür wieder ins Schloß, und der Schlüssel wurde umgedreht.
»Ja... ich meine, nein. Es geht mir gut«, antwortete ich benommen. »Aber Hugh...« Ich preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können. »Was in drei Teufels Namen machst du hier, Mary?«
»Ich h-habe die Haushälterin bestochen, damit sie mich hereinläßt«, flüsterte sie. »Kannst du nicht leiser sprechen?«
»Das macht nicht viel«, erwiderte ich in normalem Tonfall. »Die Tür ist so dick, daß sich höchstens eine Horde Fußballfans bemerkbar machen könnte.«
»Eine was?«
»Nicht so wichtig.« Mein Verstand wurde allmählich klarer, aber meine Augen waren verklebt und geschwollen und mein Kopf dröhnte. Mühsam richtete ich mich auf, stolperte zur Waschschüssel und benetzte mein Gesicht mit kaltem Wasser.
»Du hast die Haushälterin bestochen?« fragte ich, während ich mir das Gesicht abtrocknete. »Aber eingeschlossen sind wir trotzdem, nicht wahr? Ich habe gehört, wie der Schlüssel umgedreht wurde.« Im Halbdunkel des Zimmers sah Mary kreidebleich aus. Die Kerze war ausgegangen, während ich auf dem Fußboden schlief, und der Raum wurde nur noch vom tiefroten Glühen der Scheite im Kamin erleuchtet. Sie biß sich auf die Lippen.
»M-mehr habe ich nicht erreicht. Mrs. Gibson hat so große Angst vor dem Herzog, daß sie mir den Schlüssel nicht geben wollte. Sie hat eingewilligt, mich mit dir einzuschließen, und am Morgen läßt sie mich wieder heraus. Ich dachte, du freust dich über Gesellschaft«, fügte sie schüchtern hinzu.
»Oh. Ja... danke. Das ist lieb von dir.« Ich nahm eine Kerze aus der Schublade und ging zum Kamin, um sie anzuzünden. Da das Wachs der heruntergebrannten Kerze den Kerzenständer verklebte, ließ ich etwas flüssiges Wachs auf den Tisch tropfen und stellte die neue Kerze hinein. Ob die schönen Möbel des Herzogs Schaden litten, war mir gleich.
»Claire«, sagte Mary, »hast du Schwierigkeiten?«
Ich biß mir auf die Lippen, um nicht überstürzt zu antworten. Schließlich war Mary erst siebzehn, und von Politik hatte sie vermutlich noch weniger Ahnung als einstmals vom männlichen Geschlecht.
»Ja«, erwiderte ich, »ziemlich große, fürchte ich.« Langsam setzte meine Gehirntätigkeit wieder ein. Selbst wenn Mary mir bei der Flucht keine große Hilfe sein konnte, war sie vielleicht in der Lage, mir mehr über ihren Paten und die Gepflogenheiten in seinem Haushalt zu erzählen.
»Hast du vorhin den Tumult am Waldrand gehört?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. Allmählich begann sie zu zittern, in dem großen Raum drang die Wärme des Feuers nicht bis zum Bett vor.
»Nein, aber eins der Mädchen hat erzählt, die Wildhüter hätten im Park einen Wilddieb gefangen. Es ist schrecklich kalt. Können wir nicht ins B-Bett gehen?«
Mary kniete bereits auf der Tagesdecke und suchte unter dem Keilkissen nach dem Laken. Rund und kindlich zeichnete sich ihr Po unter dem weißen Nachthemd ab.
»Das war kein Wilddieb«, erwiderte ich, »oder vielmehr, es war nicht nur ein Wilddieb, sondern auch ein Freund. Er war auf dem Weg zu Jamie, um ihm zu sagen, wo ich bin. Weißt du, was mit ihm geschehen ist, nachdem ihn die Wildhüter gefangengenommen haben?«
Mary sah mich an. Ihr Gesicht war nur ein heller Fleck zwischen den düsteren Bettvorhängen. Doch selbst bei diesem Licht konnte ich sehen, daß sie entsetzt die Augen aufgerissen hatte.
»O Claire! Es tut mir so leid!«
»ja, mir auch«, entgegnete ich ungeduldig. »Weißt du vielleicht, wo der Wilderer jetzt ist?« Wenn man Hugh an einem leicht zugänglichen Ort eingesperrt hatte, konnte Mary ihn am Morgen vielleicht freilassen.
Ihre Lippen zitterten so sehr, daß sie nur noch stammeln konnte, und das hätte mich eigentlich warnen sollen. Aber die Worte, die sie endlich hervorstieß, trafen mich wie ein Schlag.
»S-sie h-haben ihn aufg-g-gehängt. Am T-Tor zum P-Park.«
 
Es dauerte einige Zeit, bis ich wieder fähig war, meine Umgebung wahrzunehmen. Eine Welle von Trauer, Angst und Hoffnungslosigkeit hatte mich überwältigt. Verschwommen nahm ich wahr, daß Marys kleine Hand zaghaft meine Schulter tätschelte, daß sie mir ein Taschentuch und einen Schluck Wasser anbot, aber ich rollte mich zitternd zusammen, sprach nicht und wartete darauf, daß sich die Verzweiflung löste, die meinen Magen zusammenkrampfte. Endlich ebbte meine Panik ab, und ich sah Mary mit tränenverschleierten Augen an.
»Es geht schon wieder.« Ich setzte mich auf und putzte mir nicht gerade damenhaft mit dem Ärmel die Nase. Dann nahm ich das dargebotene Handtuch und drückte es mir auf die Augen. Als Mary sich besorgt über mich beugte, griff ich nach ihrer Hand und streichelte sie beruhigend.
»Wirklich«, sagte ich. »Es geht mir besser. Und ich bin so froh, daß du hier bist.« Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich ließ das Tuch sinken und sah sie forschend an.
»Was ich dich fragen wollte - warum bist du überhaupt hier? In diesem Haus, meine ich.«
Mary senkte die Augen, errötete und zupfte an der Tagesdecke.
»Der H-Herzog ist mein Pate, das weißt du doch.«
»Ja, das habe ich inzwischen mitbekommen«, erwiderte ich. »Doch ich habe so meine Zweifel, daß es ihm nur um deine reizende Gesellschaft geht.«
Meine Bemerkung entlockte ihr ein zaghaftes Lächeln. »N-nein. Aber er, der Herzog, meine ich, er denkt, daß er einen passenden G-G-Gemahl für mich gefunden hat.« Die Anstrengung, das Wort »Gemahl« auszusprechen, hatte ihr die Röte ins Gesicht getrieben. »Papa hat mich hergebracht, damit ich ihn kennenlerne.«
Ihr Verhalten ließ darauf schließen, daß man ihr besser nicht zur Verlobung gratulierte. »Und, wer ist es?«
Wie sich herausstellte, kannte sie ihn nur dem Namen nach. Ein Mr. Isaacson, der als Importeur in London tätig war. Der vielbeschäftigte Mann hatte keine Zeit, nach Edinburgh zu reisen, um seine Zukünftige zu treffen, war aber bereit, nach Bellhurst Manor zu kommen, wo die Hochzeit stattfinden sollte, sofern alle Beteiligten einverstanden waren.
Ich nahm die silberne Haarbürste vom Nachtkästchen und begann gedankenverloren, meine Haare zu bürsten. Nachdem aus der Verbindung mit dem französischen Adel nichts geworden war, beabsichtigte der Herzog, sein Patenkind an einen reichen Kaufmann zu verschachern.
»Ich habe eine neue Aussteuer«, sagte Mary mit mattem Lächeln. »Dreiundvierzig bestickte Unterröcke... zwei mit Goldfäden.« Sie hielt inne, preßte die Lippen zusammen und starrte blicklos auf ihre unberingte linke Hand. Ich legte meine Hand auf die ihre.
»Vielleicht ist er ein guter Mensch«, versuchte ich ihr Mut zuzusprechen.
»Gerade d-davor habe ich ja Angst.« Sie wich meinem fragenden Blick aus, senkte die Augen und faltete die Hände im Schoß.
»Mr. Isaacson weiß nicht, was in... P-Paris geschehen ist. Und ich soll es ihm auch nicht sagen.« Unglücklich verzog sie das Gesicht. »Sie haben eine gräßliche alte Frau zu mir geschickt, die mir erklärt hat, wie ich mich in der H-H-Hochzeitsnacht verhalten soll, damit es so aussieht, als wäre es das erstemal, aber ich... o Claire, wie kann ich das machen?« klagte sie. »Und Alex... ich konnte es ihm nicht sagen, ich habe es nicht über mich gebracht! Ich war so ein Feigling, ich h-habe ihm nicht einmal Lebewohl gesagt!«
Mary warf sich in meine Arme, und ich tätschelte ihr den Rükken. Bei dem Versuch, sie zu trösten, trat mein eigener Kummer ein wenig in den Hintergrund. Schließlich wurde sie ruhiger, setzte sich auf und trank etwas Wasser. Sie hatte einen Schluckauf bekommen.
»Wirst du ihn heiraten?« fragte ich. Sie sah mich an, ihre Wimpern waren feucht.
»Ich habe keine andere Wahl«, sagte sie schlicht.
»Aber...«, begann ich, hielt jedoch ratlos inne.
Mary hatte recht. Als junge Frau, ohne eigenes Vermögen und ohne Mann, der ihr beistand, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich den Wünschen ihres Vaters und ihres Paten zu beugen und den unbekannten Mr. Isaacson aus London zu heiraten.
Keine von uns hatte jetzt noch Verlangen nach den Speisen auf dem Tablett. Wir krochen unter die warmen Decken, und Mary schlief, vor Kummer erschöpft, nach wenigen Minuten ein. Obwohl ich mich nicht weniger ausgelaugt fühlte, fand ich keine Ruhe; die Trauer um Hugh, die Sorge um Jamie und die Rätsel, die sich um den Herzog rankten, hielten mich wach.
Die Laken waren klamm und meine Füße eiskalt. Um mich nicht mit schlimmeren Sorgen quälen zu müssen, dachte ich über Sandringham nach. Welche Rolle kam ihm in diesem Spiel zu?
Allem Anschein nach war er Jakobit. Wie er selbst zugab, war er bereit gewesen, einen Mord zu begehen - oder begehen zu lassen -, nur um zu gewährleisten, daß Charles die nötigen Mittel bekam, um nach Schottland aufzubrechen. Und die musikalisch verschlüsselte Nachricht wies darauf hin, daß es letztlich der Herzog mit seinen Hilfeversprechungen gewesen war, der Charles dazu bewogen hatte, im August die Segel zu setzen.
Gewiß gab es Männer, die sich hüteten, sich als Jakobiten zu erkennen zu geben. Angesichts der Strafe, die auf Verrat stand, schien das auch nicht weiter verwunderlich. Und der Herzog hatte mehr zu verlieren als andere, sollte die Sache, der er sich verschrieben hatte, scheitern.
Dennoch erweckte der Herzog kaum den Eindruck, ein begeisterter Anhänger der Stuarts zu sein. Seine Bemerkungen über Danton verrieten, daß er einem katholischen Herrscher nur geringe Sympathien entgegenbringen würde. Und warum hielt er seine Zahlungen so lange zurück, wo Charles nicht nur jetzt, sondern schon seit seiner Ankunft in Schottland so dringend Geld brauchte?
Ich konnte mir nur zwei Gründe vorstellen, die das Verhalten des Herzogs erklärten; zwar gereichte ihm keiner von beiden zur Ehre, aber beide standen im Einklang mit seinem Charakter.
Als Jakobit mochte er bereit sein, einen ihm nicht genehmen katholischen König zu unterstützen, um als wichtigster Geldgeber der wiedereingesetzten Stuartmonarchie in den Genuß zahlreicher Vorteile zu kommen. Mir war klar, daß »Prinzipientreue« nicht zum Vokabular des Mannes zählte, der Begriff »Eigennutz« hingegen schon. Vielleicht wollte er Charles’ Einzug in England abwarten, damit das Geld nicht verschwendet wurde, bevor die Hochlandarmee den entscheidenden Vorstoß nach London wagte. Jeder vernünftige Mensch, der Charles Stuart kannte, hätte eingesehen, daß man ihm nicht zuviel Geld auf einmal anvertrauen durfte.
Vielleicht wollte der Herzog auch sichergehen, daß die Stuarts die nötige Rückendeckung für ihren Feldzug bekamen, bevor er sich selbst finanziell beteiligte. Schließlich war es ein Unterschied, ob man eine Rebellion unterstützte oder ob man allein eine ganze Armee unterhielt.
Doch es war noch ein weitaus unheilvolleres Motiv für das herzogliche Verhalten denkbar. Indem er seine Unterstützung davon abhängig machte, daß das jakobitische Heer englischen Boden erreichte, beschwor er einen Konflikt zwischen Charles und seinen Clanführern herauf. Denn Charles würde, das Geld vor Augen, eine widerstrebende Armee nach Süden und damit weg von den schützenden Bergen, in denen die Kämpfer Zuflucht finden konnten, führen.
Wenn sich der Herzog schon von den Stuarts reichen Lohn versprach, sofern sie den Thron zurückeroberten, was hatte er dann erst vom Hause Hannover zu erwarten, falls er Charles Stuart aus Schottland weglockte und ihn und seine Anhänger auf Gedeih und Verderb der englischen Armee auslieferte?
Die Geschichtsschreibung gab keinen Aufschluß über die wahren Sympathien des Herzogs. Das erschien mir merkwürdig; gewiß mußte er seine Absichten früher oder später preisgeben. Andererseits hatte es der alte Fuchs, der Herr von Lovat, beim letzten Jakobitenaufstand verstanden, beide Seiten gegeneinander auszuspielen, sich bei den Hannoveranern einzuschmeicheln und sich gleichzeitig die Gunst der Stuarts zu erhalten. Und auch Jamie hatte die Seiten gewechselt. Vielleicht war es in dem trügerischen Sumpf der Machtpolitik nicht weiter schwierig, seine Zugehörigkeit zu verbergen.
Während ich mich schlaflos und frierend herumwälzte, hörte ich plötzlich ein leises rhythmisches Geräusch. Ich drehte mich um, horchte, stützte mich auf den Ellbogen und beäugte meine Gefährtin ungläubig. Sie hatte sich auf der Seite eingerollt, ihre runden Wangen schimmerten rosig, und in ihrem weichen Mund steckte sicher und geborgen ihr Daumen, während ihre Unterlippe zarte Saugbewegungen machte.
Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Schließlich tat ich keins von beiden, sondern zog ihr nur behutsam den Daumen aus dem Mund und legte ihr die entspannte Hand auf die Brust. Dann blies ich die Kerze aus und kuschelte mich an Mary.
Ob es an der Unschuld dieser kleinen Geste lag, die früheste Erinnerungen an Vertrauen und Geborgenheit heraufbeschwor, an der trostreichen Nähe eines warmen Körpers oder nur daran, daß mich Kummer und Furcht bis zur Erschöpfung ausgelaugt hatten - jedenfalls tauten meine Füße auf, ich entspannte mich und schlief ein.
In die warmen Decken gehüllt, schlummerte ich traumlos und fest. Um so mehr erschrak ich, als ich jäh aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Es war immer noch dunkel - stockfinster, genauer gesagt, denn das Feuer war inzwischen erloschen -, aber in unmittelbarer Nähe herrschte der reinste Tumult. Etwas Schweres war auf dem Bett gelandet und hatte dabei meinen Arm gestreift, und dieses Etwas trug sich offenbar mit der Absicht, Mary zu ermorden.
Das Bett hob und senkte sich, die Matratze unter mir kippte bedenklich, und das Bettgestell erbebte. Qualvolles Stöhnen und leise Drohungen drangen an mein Ohr, und eine Hand schlug mir ins Auge.
Hastig rollte ich mich aus dem Bett, stolperte die Podeststufe hinunter und fiel der Länge nach auf den Boden. Die Rauferei schien noch heftiger zu werden, und ich hörte ein schreckliches, ersticktes Quieken - wahrscheinlich versuchte Mary zu schreien, während sie erwürgt wurde.
Plötzlich ertönte ein verblüffter Ruf aus einer männlichen Kehle, dann wurden noch einmal Bettdecken durcheinandergeworfen, und die Schreie erstarben. Fieberhaft tastete ich umher, fand die Zunderdose auf dem Tisch und zündete eine Kerze an. Das flakkernde Flämmchen wurde größer und ruhiger und offenbarte das, was ich schon vermutet hatte, als ich jene gälischen Flüche hörte - Mary, von der man nichts sah außer wild um sich schlagenden Armen, und bäuchlings auf ihr meinen sichtlich aufgebrachten Gatten, der trotz seiner körperlichen Überlegenheit buchstäblich alle Hände voll zu tun hatte.
Da er voll und ganz damit beschäftigt war, Mary zu bändigen, hatte er nicht einmal von der gerade entzündeten Kerze Notiz genommen. Statt dessen versuchte er, ihre Hände zu packen, während er ihr gleichzeitig das Kissen aufs Gesicht drückte. Ich unterdrückte das hysterische Lachen, das angesichts dieses Spektakels in mir aufstieg, stellte die Kerze ab, beugte mich übers Bett und klopfte ihm auf die Schulter.
»Jamie?«
»Herrgott!« Er sprang hoch wie ein Lachs und landete in geduckter Haltung, die Hand am Dolch, auf dem Fußboden. Dann sah er mich, sackte erleichtert zusammen und schloß die Augen.
»Bei Gott, Sassenach! Tu das nie wieder, hörst du? Seien Sie still«, fuhr er Mary an, die das Kissen abgeschüttelt hatte, aufrecht im Bett saß, keuchte und große Augen machte. »Ich wollte Ihnen nichts tun. Ich dachte, Sie sind meine Frau.« Er umrundete das Bett, nahm mich an beiden Schultern und küßte mich so fest, als wollte er sichergehen, daß er jetzt die richtige Frau in den Armen hielt. Ich erwiderte seinen Kuß leidenschaftlich, rieb mich an seinem unrasierten Kinn und sog seinen Duft nach feuchtem Leinen und Wolle und Schweiß ein.
»Zieh dich an«, befahl er, als er mich losließ. »In diesem verdammten Haus wimmelt es nur so von Dienstboten. Unten geht’s zu wie in einem Ameisenhaufen.«
»Wie bist du hereingekommen?« fragte ich und sah mich nach meinem Kleid um.
»Durch die Tür natürlich«, erwiderte er ungeduldig. »Hier.« Er nahm mein Kleid von einem Stuhl und warf es mir zu. Tatsächlich stand die massive Tür offen, und ein ansehnlicher Schlüsselbund baumelte am Schloß.
»Aber wie...«, begann ich.
»Später«, entgegnete er schroff. Dann sah er Mary, die aufgestanden war und ihren Morgenmantel überzog. »Am besten verschwinden Sie wieder im Bett, Mädel«, riet er. »Der Fußboden ist kalt.«
»Ich komme mit.« Marys Worte wurden durch die Falten des Gewands gedämpft, doch als sie trotzig ihren Kopf durch den Ausschnitt streckte, wurde ihre Entschlossenheit deutlich.
»Den Teufel werden Sie tun«, entgegnete Jamie. Er warf ihr einen wütenden Blick zu, und ich sah, daß sich frische blutige Kratzwunden über seine Wange zogen. Doch als er ihre zitternden Lippen sah, zügelte er seinen Zorn und redete beruhigend auf sie ein. »Tut mir leid, Mädel. Ich sorge dafür, daß Sie deshalb keine Schwierigkeiten bekommen. Ich schließe die Tür hinter uns wieder ab, und morgen früh können Sie allen erzählen, was passiert ist. Niemand wird Ihnen die Schuld daran geben.«
Ohne seine Worte zu beachten, streifte Mary hastig ihre Hausschuhe über und rannte zur Tür.
»Holla! Wohin wollen Sie?« Verblüfft setzte Jamie ihr nach, doch sie war vor ihm an der Tür. Gleich darauf stand sie draußen in der Halle und funkelte ihn an.
»Ich komme mit!« erklärte sie wildentschlossen. »Wenn Sie mich nicht mitnehmen, laufe ich den Korridor hinunter und schreie, so laut ich kann!«
Jamie starrte sie an. Seine Haare leuchteten kupfern im Kerzenschein, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Offenbar war er hin und her gerissen zwischen der Notwendigkeit, sich ruhig zu verhalten, und dem Drang, Mary mit bloßen Händen zu erwürgen und auf den Lärm zu pfeifen. Mary, die Röcke gerafft, um sofort loszurennen, starrte wütend zurück. Da ich inzwischen Kleid und Schuhe anhatte, stieß ich Jamie in die Rippen und löste damit den Bann.
»Nimm sie mit«, sagte ich. »Los, wir gehen.«
Jamie bedachte mich mit einem Blick, der keinen Deut freundlicher war als der, den er Mary zugeworfen hatte, doch er zögerte keine Sekunde. Mit einem hastigen Nicken nahm er meinen Arm, und wir eilten alle drei in den kalten, finsteren Korridor hinaus.
 
Das Haus war totenstill und doch voller Geräusche; Dielenbretter knarrten unter unseren Füßen, und unsere Kleider raschelten wie Laub im Sturmwind. Die Wandtäfelung ächzte, und leise Geräusche vom anderen Ende des Korridors deuteten daraufhin, daß dort heimlich Nagetiere am Werk waren. Und über alldem lag das angsteinflößende Schweigen eines großen, dunklen Hauses, dessen Schlummer nicht gestört werden durfte.
Mary hielt meinen Arm umklammert, als wir hinter Jamie den Korridor hinunterschlichen. Er huschte wie ein Schatten an der Wand entlang, lautlos, aber rasch.
Hinter einer Tür, an der wir vorbeikamen, hörte ich leise Schritte. Auch Jamie wurde aufmerksam. Er drückte sich gegen die Wand und bedeutete Mary und mir, es ihm gleichzutun. Eng an die kühle Täfelung geschmiegt, hielt ich den Atem an.
Behutsam wurde die Tür geöffnet, und eine Frau mit einer weißen Spitzenhaube steckte den Kopf heraus. Sie spähte in die andere Richtung.
»Hallo«, wisperte sie. »Bist du’s, Albert?« Kalter Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Das Hausmädchen erwartete den Besuch des herzoglichen Kammerdieners, der dem Ruf der Franzosen alle Ehre zu machen schien.
Wahrscheinlich würde sie einen bewaffneten Schotten nicht als angemessenen Ersatz für ihren säumigen Liebhaber ansehen. Ich spürte, wie sich Jamie neben mir anspannte, um seine Skrupel zu überwinden - es war nicht seine Art, Frauen niederzuschlagen. Noch ein Augenblick, und sie würde sich umdrehen, ihn erblicken und das ganze Haus wachschreien.
Ich trat vor.
»Hm, nein«, sagte ich entschuldigend. »Leider bin’s nur ich.«
Als die Dienstbotin zusammenfuhr, ging ich rasch einen Schritt auf sie zu, so daß ich vor ihr stand, während Jamie sich hinter ihrem Rücken an die Wand drückte.
»Tut mir leid, daß ich Sie erschreckt habe«, meinte ich mit fröhlichem Lächeln. »Ich konnte nicht schlafen, da dachte ich mir, versuch’s doch mit einem Schluck heißer Milch. Geht’s hier lang zur Küche?«
»Häh?« Die Dienstbotin, eine rundliche junge Frau Anfang Zwanzig, starrte mich mit offenem Mund an. Von Zahnpflege hielt sie offenbar nicht viel. Glücklicherweise war es nicht die Frau, die mich auf mein Zimmer gebracht hatte. Vielleicht wußte sie nicht, daß ich eine Gefangene war.
»Ich bin zu Besuch in diesem Hause«, stellte ich schließlich klar. Den Grundsatz beherzigend, daß Angriff die beste Verteidigung ist, starrte ich sie anklagend an.
»Albert, so, so? Weiß Seine Hoheit, daß Sie nachts Männer in Ihrem Zimmer empfangen?« wollte ich wissen. Damit hatte ich den Nerv getroffen, denn die Frau erblaßte, fiel auf die Knie und umklammerte meinen Rock. Die Aussicht, verraten zu werden, erschütterte sie so, daß sie zu fragen vergaß, warum ein Gast nach Mitternacht durch den Korridor wanderte, und zwar nicht nur in Kleid und Schuhen, sondern auch in einem Reiseumhang.
»O Madam! Bitte, sagen Sie es nicht Seiner Hoheit! Sie haben ein gutes Gesicht, Madam, gewiß wollen Sie nicht, daß ich meine Stellung verliere? Haben Sie Mitleid mit mir, gnädige Frau, ich habe daheim noch sechs jüngere Geschwister, und ich...«
»Aber, aber.« Beruhigend klopfte ich ihr auf die Schulter. »Keine Sorge, ich werde dem Herzog nichts sagen. Gehen Sie einfach wieder ins Bett und...« In einem Tonfall, den man bei Kindern und Geisteskranken anschlägt, beschwichtigte ich sie und schob sie in ihre kleine Kammer zurück, während sie wortreich ihre Unschuld beteuerte.
Nachdem ich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, lehnte ich mich erschöpft gegen den Rahmen. Jamie tauchte aus den Schatten auf und grinste mich an, sagte aber nichts, sondern tätschelte nur anerkennend meinen Kopf, ehe er wieder meinen Arm nahm und mich weiterzog.
Mary wartete unter einem Fenster auf dem Treppenabsatz. Weiß leuchtete ihr Morgenmantel im Morgenlicht, das durch die dahinjagenden Wolken schien. Allem Anschein nach zog ein Sturm auf.
Als Jamie zu ihr auf den Treppenabsatz trat, hielt Mary ihn an seinem Plaid fest.
»Psst!« flüsterte sie. »Da kommt jemand!«
Tatsächlich näherten sich von unten leise Schritte, und der matte Lichtkegel einer Kerze fiel auf die Wände. Mary und ich sahen uns hastig um, aber hier konnten wir uns nirgends verstekken. Wir befanden uns auf einer Hintertreppe für die Dienstboten, und auf den kahlen Absätzen gab es weder Möbel noch Wandbehänge.
Jamie seufzte resigniert und bedeutete Mary und mir, in den Korridor zurückzukehren, aus dem wir gekommen waren. Dann postierte er sich mit gezücktem Dolch in einer schattigen Ecke auf dem Treppenabsatz.
Von bangen Befürchtungen geplagt, hielt Mary meine Hand umklammert. Jamie trug zwar eine Pistole bei sich, aber es war klar, daß er sie im Haus nicht benutzen konnte - und das würde auch ein Lakai erkennen. Also mußte Jamie auf den Dolch zurückgreifen. Mein Magen zog sich zusammen vor Mitleid mit dem unseligen Diener, der im Begriff war, einem knapp zwei Zentner schweren Schotten ins Messer zu laufen.
Im Geiste machte ich eine Bestandsaufnahme meiner Kleidung und kam gerade zu dem Schluß, daß ich auf einen Unterrock verzichten konnte, falls Fesseln benötigt wurden, als der gebeugte Kopf des Kerzenträgers in Sicht kam. Das dunkle Haar war in der Mitte gescheitelt und mit einer ekelerregend süßlichen Pomade geglättet - ein Duft, der sofort die Erinnerung an eine düstere Pariser Straße und schmale, grausame Lippen unter einer Maske heraufbeschwor.
Danton hörte mein entsetztes Keuchen und blickte erschrocken auf. Im nächsten Augenblick wurde er am Hals gepackt und so heftig gegen die Wand gestoßen, daß seine Kerze in hohem Bogen davonflog.
Auch Mary hatte ihn gesehen.
»Das ist er!« rief sie. Vor Schreck vergaß sie zu stottern und wurde gefährlich laut. »Der Mann in Paris!«
Mit seinem muskulösen Unterarm drückte Jamie den zappelnden Kammerdiener gegen die Wand. Im wechselnden Licht des Mondes, der immer wieder zwischen Wolkenfetzen hervorlugte, war das Gesicht des Mannes leichenblaß. Es wurde noch etwas blasser, als Jamie ihm seine Klinge an die Kehle setzte.
Ich trat auf den Treppenabsatz. In diesem Augenblick wußte ich weder, was Jamie vorhatte, noch war ich mir im klaren darüber, was ich von ihm erwartete. Danton gab ein ersticktes Stöhnen von sich, als er mich sah, und versuchte vergeblich, sich zu bekreuzigen.
»La Dame Blanche!« flüsterte er mit entsetztem Blick.
Jamie packte den Mann grob an den Haaren und schlug seinen Kopf gegen die hölzerne Wandverkleidung.
»Hätte ich Zeit, mo garhe, würdest du langsam sterben«, sagte er leise, doch seine ruhige Stimme entbehrte nicht der Überzeugungskraft. »Sieh es als Gnade Gottes an, daß ich in Eile bin.« Er zerrte Dantons Kopf noch weiter nach hinten, so daß ich seinen krampfhaft schluckenden Adamsapfel sah. Angsterfüllt starrte er mich an.
»Du nennst sie ›La Darne Blance«‹, stieß Jamie hervor. »Ich nenne sie meine Frau. So soll denn ihr Gesicht das letzte sein, was du in deinem Leben erblickst!«
Jamie stieß Danton das Messer mit solcher Heftigkeit in die Kehle, daß er vor Anstrengung aufstöhnte. Ein dunkler Blutschwall ergoß sich über sein Hemd. Der Geruch des jähen Todes erfüllte das Treppenhaus, während der Mann mit einem nicht enden wollenden Gurgeln in sich zusammensank.
Ich kam wieder zu mir, als ich hörte, wie Mary sich hinter mir auf dem Korridor erbrach. Mein erster klarer Gedanke war, daß die Dienstboten am nächsten Morgen eine fürchterliche Bescherung aufwischen mußten. Mein zweiter Gedanke galt Jamie. Im huschenden Mondlicht sah ich sein blutbesudeltes Gesicht und die dunklen Tropfen auf seinem Haar. Er atmete schwer und machte den Eindruck, als wäre ihm auch schlecht.
Als ich mich zu Mary umdrehte, sah ich weit hinten im Korridor einen Lichtschimmer, der durch eine sich öffnende Tür fiel. Offenbar wollte jemand nachsehen, woher der Lärm rührte. Ich nahm den Saum von Marys Morgenrock, fuhr ihr damit hastig über den Mund, packte sie am Arm und zog sie auf den Treppenabsatz.
»Komm schon!« sagte ich. »Wir müssen hier raus!« Jamie, der wie benommen Dantons Leichnam betrachtete, schüttelte sich unvermittelt, kam wieder zu sich und wandte sich zur Treppe.
Offenbar wußte er den Weg, denn er führte uns ohne Zögern durch die dunklen Flure. Schwer atmend stolperte Mary neben mir her.
Vor der Tür zur Spülküche blieb Jamie plötzlich stehen und stieß einen leisen Pfiff aus. Die Tür öffnete sich, und schemenhafte Gestalten tauchten aus der Dunkelheit auf. Eine von ihnen trat hastig vor. Gedämpfte Worte wurden gewechselt, und der Mann - wer immer er sein mochte - griff nach Mary und zog sie in den Schatten. Ein kühler Luftzug verriet mir, daß irgendwo vor uns eine Tür nach draußen offenstand.
Jamie legte mir die Hand auf die Schulter und führte mich durch die düstere Spülküche in einen kleineren Raum, scheinbar eine Art Rumpelkammer. Irgendwo stieß ich mir das Schienbein an, unterdrückte aber den Schmerzensschrei.
Endlich gelangten wir ins Freie. Der Nachtwind fuhr unter meinen Umhang und blähte ihn auf wie einen Ballon. Nach der nervenaufreibenden Wanderung durch das dunkle Haus wäre ich am liebsten davongeflogen.
Die Männer waren nicht weniger erleichtert als ich; sie tauschten halblaute Bemerkungen aus und lachten gedämpft, bis Jamie sie zur Ruhe rief. Dann huschte einer nach dem andern wie ein Schatten über den freien Platz vor dem Haus. Neben mir stand Jamie und beobachtete, wie sie im Gehölz verschwanden.
»Wo ist Murtagh?« brummte er, während er stirnrunzelnd dem letzten seiner Männer nachblickte. »Wahrscheinlich sucht er Hugh«, beantwortete er seine Frage selbst. »Weißt du, wo der stecken könnte, Sassenach?«
Ich schluckte und spürte plötzlich den beißenden Wind unter meinem Mantel. Die Erinnerung dämpfte das Hochgefühl der Freiheit.
Mit knappen Worten erzählte ich es ihm. Sein blutverschmiertes Gesicht verfinsterte sich, und als ich ausgeredet hatte, waren seine Züge hart wie Stein.
»Wollt ihr die ganze Nacht hier herumstehen?« erkundigte sich eine Stimme hinter uns. »Oder sollen wir Alarm schlagen, damit sie gleich wissen, wo sie uns suchen müssen?«
Jamies Gesicht hellte sich ein wenig auf, als Murtagh lautlos wie ein Geist neben uns aus den Schatten trat. Unter einem Arm trug er ein Bündel; ein Braten aus der Küche, dachte ich, als ich die Blutflecken auf dem Tuch sah. Bestärkt wurde diese Mutmaßung durch den großen Schinken, den er sich unter den anderen Arm geklemmt hatte, und die Wurstketten um seinen Hals.
Jamie rümpfte die Nase und lächelte matt.
»Du riechst wie ein Metzger, Mann. Kannst du nirgends hingehen, ohne an deinen Magen zu denken?«
Murtagh musterte Jamie mit schiefgelegtem Kopf.
»Lieber wie ein Metzger aussehen als wie Schlachtvieh nach der Schlachtung, mein Junge. Gehen wir jetzt?«
 
Bei der Flucht durch den dunklen Wald wurde mir bald unheimlich. Die mächtigen Bäume ragten in großen Abständen auf, doch die Schößlinge, die man dazwischen hatte stehen lassen, nahmen im wechselnden Licht leicht die bedrohliche Gestalt eines Wildhüters an. Endlich verdichteten sich die Wolken, und der Vollmond lugte glücklicherweise seltener hervor. Als wir den Park durchquert hatten, begann es zu regnen.
Drei Männer waren bei den Pferden geblieben. Mary war bereits vor einem von Jamies Leuten aufgesessen. Im Herrensitz reiten zu müssen war ihr sichtlich unangenehm, denn sie ordnete die Falten ihres Morgenmantels immer wieder neu um ihre Schenkel, vergeblich bemüht, die Tatsache zu verbergen, daß sie Beine besaß.
Ich war zwar etwas erfahrener, fluchte aber auch über die schweren Falten meines Rockes, als ich einen Fuß in Jamies Hand setzte. Dann saß ich mit einem bewährten Plumps auf. Das Pferd schnaubte entrüstet und legte die Ohren an.
»Tut mir leid, Kumpel«, murmelte ich ohne echtes Mitgefühl. »Wenn du das schlimm findest, wart erst mal ab, bis er aufsteigt.«
Als ich mich nach Jamie umschaute, sah ich ihn unter einem Baum neben einem etwa vierzehnjährigen Jungen stehen.
»Wer ist das?« fragte ich Geordie Paul Fraser, der neben mir seinen Sattelgurt festzurrte.
»Wie? Ach, er.« Stirnrunzelnd sah er den Jungen an, dann blickte er wieder auf seinen widerspenstigen Gurt. »Er heißt Ewan Gibson. Hugh Munros ältester Stiefsohn. Scheinbar war er mit seinem Vater unterwegs, als sie von den Wildhütern des Herzogs erwischt wurden. Der Bub ist davongekommen, wir haben ihn am Rand des Moores gefunden. Er hat uns hierhergeführt.« Nach einem letzten unnötigen Zerren starrte er den Gurt herausfordernd an.
»Wissen Sie, wo wir den Vater von dem Buben finden?« fragte er unvermittelt.
Ich nickte, und die Antwort stand mir anscheinend ins Gesicht geschrieben, denn er drehte sich wieder zu Hughs Stiefsohn um. Jamie drückte den Jungen an seine Brust und klopfte ihm auf den Rücken. Dann hielt er ihn ein Stück von sich weg und sagte etwas, wobei er ihn aufmerksam ansah. Jamies Worte verstand ich nicht, aber nach einer Weile faßte sich der Junge und nickte. Auch Jamie nickte, und mit einem letzten Klaps auf die Schulter führte er ihn zu den Pferden, wo ihm George McClure bereits die Hand entgegenstreckte. Dann kam Jamie mit gesenktem Kopf zu uns; das lose Ende seines Plaids ließ er trotz Kälte und Regen im Wind flattern.
Geordie spuckte auf den Boden. »Armes Schwein«, murmelte er, ohne zu erklären, wen er meinte, und schwang sich in den Sattel.
An der südöstlichen Ecke des Parks machten wir halt. Die Pferde stampften und scheuten, während zwei der Männer zwischen den Bäumen verschwanden. Es konnten nicht mehr als zwanzig Minuten vergangen sein, bis sie zurückkamen, doch die Zeit kam uns endlos vor.
Die Männer saßen nun zu zweit auf einem Pferd, das andere trug quer über dem Sattel eine leblose Gestalt, die in ein Fraserplaid gehüllt war. Den Pferden behagte das nicht. Meins warf den Kopf hoch und blähte die Nüstern, als das Tier mit Hughs Leichnam vorbeitrabte. Doch Jamie riß am Zügel, fluchte auf gälisch, und das Tier fügte sich.
Ich spürte, wie sich Jamie hinter mir in den Steigbügeln aufstellte und sich umsah, als wollte er seine verbliebenen Gefolgsleute zählen. Dann legte er mir den Arm um die Taille, und wir schlugen den Weg nach Norden ein.
 
Wir ritten fast die ganze Nacht hindurch. Während einer kurzen Rast zog mich Jamie unter den schützenden Zweigen einer Kastanie an sich, zögerte aber plötzlich.
»Was ist?« fragte ich lächelnd. »Hast du Angst, deine Frau vor deinen Männern zu küssen?«
»Nein.« Er bewies mir seine Furchtlosigkeit, dann lächelte er mich an. »Nein, mich überkam nur die Angst, daß du anfängst zu schreien und mir das Gesicht zerkratzt.« Er betastete vorsichtig die Spuren, die Marys Fingernägel hinterlassen hatten.
»Du Armer«, sagte ich lachend. Nicht der Willkommensgruß, auf den du dich gefreut hattest, oder?«
»Ich hab’ mir nichts Besseres mehr erhofft«, meinte er grinsend. Er hatte zwei Würste von Murtaghs Kette abgeschnitten und reichte mir eine.
»Was meinst du damit? Hast du gedacht, ich würde dich nach einer Woche schon nicht mehr wiedererkennen?«
Immer noch lächelnd schüttelte er den Kopf.
»Nein. Aber als ich ins Haus kam, wußte ich mehr oder weniger, wo du bist, wegen der vergitterten Fenster.« Er zog eine Braue hoch. »So wie die aussahen, mußt du einen teuflischen Eindruck auf Seine Hoheit gemacht haben.«
»Das habe ich auch«, erwiderte ich knapp. An den Herzog wollte ich jetzt keinen Gedanken verschwenden. »Erzähl weiter.«
»Na«, meinte er und schob den nächsten Bissen in den Mund, »ich kannte das Zimmer, aber ich brauchte den Schlüssel, nicht wahr?«
»Genau«, bestätigte ich. »Und das wolltest du mir erzählen.«
Er kaute kurz und schluckte.
»Den hat mir die Haushälterin gegeben, allerdings nicht ganz freiwillig.« Er rieb sich behutsam den Unterleib. »Allem Anschein nach ist die Frau schon öfter nachts im Bett gestört worden - und es hat ihr nicht gefallen.«
»O ja.« Amüsiert stellte ich mir die Szene vor. »Wahrscheinlich hat sie dich für eine erfrischende Abwechslung gehalten.«
»Das wage ich zu bezweifeln, Sassenach. Sie kreischte wie eine Todesfee und stieß mir das Knie in den Unterleib, und während ich mich vor Schmerz krümmte, hätte sie mir beinah mit dem Kerzenleuchter den Schädel eingeschlagen.«
»Und was hast du gemacht?«
»Ich habe sie niedergeschlagen - in dem Augenblick war mir nicht gerade ritterlich zumute - und sie mit den Bändern ihrer Nachthaube gefesselt. Dann habe ich ihr ein Handtuch in den Mund gestopft, damit sie endlich aufhörte, mir Schimpfnamen an den Kopf zu werfen, und ihr Zimmer durchsucht, bis ich die Schlüssel gefunden hatte.«
»Gut gemacht.« Doch da fiel mir etwas ein. »Aber woher wußtest du, wo die Haushälterin schläft?«
»Das hat mir die Wäscherin erzählt«, meinte er gelassen, »aber erst mußte ich ihr erklären, wer ich bin, und ihr androhen, sie auszuweiden und am Spieß zu braten, wenn sie mir nicht sagte, was ich wissen wollte.« Er lächelte gequält. »Ich hab’s dir gesagt, Sassenach, es hat seine Vorteile, wenn einem der Ruf eines Barbaren vorauseilt. Vermutlich haben inzwischen alle vom roten Jamie Fraser gehört.«
»Und wer den Namen noch nicht kennt, wird ihn demnächst kennenlernen.« Ich musterte ihn, so gut es im Halbdunkel ging. »Und bei der Wäscherin bist du ungeschoren davongekommen?«
»Sie hat mich an den Haaren gezogen«, meinte er nachdenklich, »und mir ein Büschel ausgerissen. Eins sage ich dir, Sassenach, wenn ich je den Beruf wechseln muß, dann werde ich mich hüten, Frauen auszurauben - sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen ist verdammt hart.«
 
Gegen Morgen setzte heftiger Schneeregen ein, aber wir ritten noch eine Weile, ehe Ewan Gibson sein Pony zügelte und sich schwerfällig in den Steigbügeln aufstellte, um Ausschau zu halten. Dann deutete er auf einen Hügel, der sich zur Linken erhob.
Da es immer noch dunkel war, mußten wir absitzen und die Pferde den fast unsichtbaren Pfad hinaufführen, der sich durch Heidekraut und Granitfelsen wand. Als wir auf dem Gipfel angelangt waren und verschnauften, wurde es hell. Beim Abstieg konnte ich nun wenigstens die Rinnsale sehen und den Fußangeln in Gestalt von Brombeerranken ausweichen.
In dem kleinen Talkessel am Fuße des Hügels standen sechs Häuser - obwohl »Haus« nicht das rechte Wort war für die armseligen Hütten, die sich dort unter den Lärchen duckten. Die strohgedeckten Dächer waren so tief hinuntergezogen, daß von den Mauern kaum noch etwas zu sehen war.
Vor einer Hütte machten wir halt. Ewan sah Jamie zögernd an, und als dieser nickte, verschwand er unter dem niedrigen Türbalken der Behausung. Ich trat zu Jamie und legte meine Hand auf seinen Arm.
»Das ist Hugh Munros Haus«, sagte er leise. »Ich habe ihn heimgebracht zu seiner Frau. Der Junge sagt es ihr.«
Ich blickte erst auf den dunklen, niedrigen Eingang der Hütte und dann auf den schlaffen Körper unter dem Plaid, den zwei der Männer losbanden. Jamies Arm zitterte, er schloß kurz die Augen, und seine Lippen bewegten sich. Dann trat er vor und nahm die Last mit ausgestreckten Armen entgegen. Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht und folgte ihm gebückt durch die niedrige Tür.
Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte, aber immer noch schlimm genug. Hughs Witwe lauschte schweigend und mit gesenktem Haupt Jamies gälischen Beileidsworten, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Zögernd streckte sie die Hand nach dem Plaid aus, als wollte sie es wegziehen, aber dann verließ sie der Mut. Unbeholfen ruhte ihre Hand auf dem Leichentuch, während sie mit der anderen ein kleines Kind an sich zog.
Neben dem Feuer kauerten mehrere Kinder - Hughs Stiefkinder -, und in einer rohgezimmerten Wiege nah am Herd lag ein kleines, in Windeln gewickeltes Bündel. Der Anblick des Babys hatte etwas Tröstliches; wenigstens das war von Hugh geblieben. Doch dieses Gefühl wich der kalten Furcht, als ich die schmutzigen Kindergesichter im Halbdunkel sah. Hugh hatte für sie gesorgt. Ewan war tapfer und arbeitswillig, aber nicht älter als vierzehn, und das nächste Kind war ein Mädchen von etwa zwölf Jahren. Wie sollten sie über die Runden kommen?
Das Gesicht der Frau war von Arbeit und Sorge gezeichnet. Sie hatte fast keine Zähne mehr. Erschrocken bedachte ich, daß sie wohl nur wenige Jahre älter war als ich. Sie wies auf das Bett, und Jamie legte den Leichnam behutsam nieder. Dann sprach er wieder auf gälisch mit ihr, doch sie schüttelte hoffnungslos den Kopf und starrte unverwandt die verhüllte Gestalt auf dem Bett an.
Jamie kniete neben dem Bett nieder, neigte den Kopf und legte eine Hand auf den Leichnam. Er sprach leise, aber deutlich, und selbst ich mit meinen beschränkten Gälischkenntnissen konnte ihm folgen.
»Ich schwöre dir, Freund, und Gott, der Allmächtige, sei mein Zeuge. Um der Liebe willen, die du für mich empfunden hast, sollen die Deinen niemals Not leiden, solange ich etwas zu geben habe.« Reglos verharrte er auf den Knien. In der Hütte war außer dem Knacken des Torffeuers und dem Geräusch des Regens auf dem Strohdach kein Laut zu hören. Jamies Haare waren dunkel vor Nässe, und Regentropfen leuchteten juwelengleich auf den Falten seines Plaids. Dann ballte er seine Faust zu einem letzten Abschiedsgruß und stand auf.
Jamie verneigte sich vor Mrs. Munro und nahm meinen Arm. Doch bevor wir gehen konnten, wurde das Kuhfell, das vor dem Eingang hing, beiseite geschoben, und ich trat zurück, um Mary Hawkins, gefolgt von Murtagh, Platz zu machen.
Mary war nicht nur durchnäßt, sondern auch verwirrt. Ein feuchtes Plaid lag um ihre Schultern, und unter dem durchweichten Samt ihres Morgenmantels lugten ihre schmutzigen Hausschuhe hervor. Als sie mich erblickte, trat sie rasch an meine Seite, als wäre sie dankbar für meine Gegenwart.
»Ich w-wollte nicht hereinkommen«, wisperte sie mit einem scheuen Blick auf Hugh Munros Witwe, »aber Mr. Murtagh hat darauf bestanden.«
Jamie runzelte fragend die Stirn, während Murtagh Mrs. Munro respektvoll grüßte und sie auf gälisch ansprach. Murtagh sah aus wie immer, griesgrämig, aber tüchtig, doch mir fiel auf, daß seine Haltung noch mehr Würde zeigte als sonst. Vor dem Bauch trug er eine pralle Satteltasche. Vielleicht ein Abschiedsgeschenk für Mrs. Munro, dachte ich.
Murtagh legte die Tasche vor mir auf den Boden. Dann richtete er sich auf und sah erst mich an, dann Mary, dann Hugh Munros Witwe, und zuletzt Jamie, der ebenso verdutzt wirkte wie ich. Nachdem Murtagh sich der Aufmerksamkeit seines Publikums vergewissert hatte, verbeugte er sich in aller Form vor mir, wobei ihm eine dunkle Locke in die Stirn fiel.
»Ich bringe dir deine Rache«, sagte er gemessen. Dann richtete er sich wieder auf und verneigte sich nacheinander vor Mary und Mrs. Munro. »Und Gerechtigkeit für das Unrecht, das euch widerfahren ist.«
Mary nieste und wischte sich hastig die Nase mit ihrem Plaid ab. Mit großen Augen starrte sie Murtagh an. Ich blickte auf die ausgebeulte Satteltasche, und die Kälte, die mir plötzlich über den Rücken kroch, hatte nichts mit dem Wetter draußen zu tun. Aber es war Hugh Munros Witwe, die auf die Knie niedersank, mit ruhiger Hand die Tasche öffnete und den Kopf des Herzogs von Sandringham herauszog.
Die Geliehene Zeit
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