17
Begehren und Erfüllung
Murtagh wurde also beauftragt, ein wachsames Auge auf alle Besucher des Comte de St. Germain zu haben. Doch abgesehen davon, daß der Comte bemerkenswert viele Gäste - beiderlei Geschlechts und quer durch sämtliche Gesellschaftsschichten - bewirtete, konnte Murtagh nichts sonderlich Geheimnisvolles vermelden. Nur ein Besucher fiel aus dem Rahmen: Charles Stuart erschien eines Nachmittags und blieb eine Stunde.
Charles forderte Jamie immer häufiger auf, ihn auf seinen Streifzügen durch Tavernen und zwielichtige Vergnügungsstätten zu begleiten. Ich vermutete, daß Charles’ Wunsch nach Jamies Gesellschaft weniger mit irgendwelchen üblen Machenschaften des Comte zu tun hatte als vielmehr mit dem Fest, das Jules de La Tour de Rohan aus Freude über die Schwangerschaft seiner Frau veranstaltete.
Diese Unternehmungen dauerten manchmal bis tief in die Nacht. Ich gewöhnte mich daran, ohne Jamie ins Bett zu gehen und geweckt zu werden, wenn er durchfroren und nach Tabakrauch und Schnaps riechend, neben mir ins Bett sank.
»Er ist wie besessen von dieser Frau und hat anscheinend völlig vergessen, daß er der Thronerbe von Schottland und England ist«, sagte Jamie nach einem dieser Streifzüge.
»Dann muß er wirklich vollkommen durcheinander sein«, erwiderte ich sarkastisch. »Hoffentlich hält der Zustand an.«
Als ich eine Woche später im fahlen Licht der Morgendämmerung erwachte, fand ich das Bett neben mir immer noch leer.
»Ist der Herr von Broch Tuarach in seinem Arbeitszimmer?« Im Nachthemd lehnte ich mich über das Treppengeländer, so daß Magnus, der soeben die Eingangshalle durchquerte, sichtlich erschrak. Vielleicht hatte Jamie sich aus Rücksicht auf mich entschieden, auf dem Sofa seines Arbeitszimmer zu schlafen.
»Nein, Madame«, antwortete der Diener und starrte mich an. »Als ich soeben die Vordertür aufschließen wollte, habe ich festgestellt, daß sie nicht verriegelt war. Der Herr ist heute nacht nicht nach Hause gekommen.«
Schwer ließ ich mich auf die Stufen sinken. Der Schreck stand mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben, denn der ältliche Diener spurtete die Stufen hoch.
»Madame.« Besorgt rieb er meine Hand. »Madame, ist alles in Ordnung?«
»Ich habe mich schon besser gefühlt, aber das ist jetzt unwichtig. Magnus, schicken Sie umgehend einen der Lakaien zu Prinz Charles’ Haus auf dem Montmartre. Er soll herausfinden, ob mein Mann dort ist.«
»Sofort, Madame. Und ich rufe auch Marguerite, damit sie sich um Sie kümmert.« Die Filzpantoffeln, die er während der morgendlichen Verrichtungen trug, glitten fast lautlos über das polierte Holz, als er die Treppe hinuntereilte.
»Und Murtagh!« rief ich ihm hinterher. »Der Verwandte meines Mannes. Bitte bringen Sie ihn zu mir.« Mein erster Gedanke war, daß Jamie die Nacht in Charles’ Haus verbracht hatte. Dann schoß mir durch den Kopf, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte.
»Wo ist er?« ertönte Murtaghs rauhe Stimme vom Treppenabsatz. Offenbar war er soeben erwacht. Sein Gesicht war von seiner Schlafunterlage ganz zerknittert, und in den Falten seines zerschlissenen Hemdes hing noch Stroh.
»Wie soll ich das wissen?« fauchte ich ihn an. Murtagh erweckte immer den Eindruck, als hegte er gegen jemanden einen Verdacht, und sein gewohnt mürrischer Gesichtsausdruck hatte sich dadurch, daß er aus dem Schlaf gerissen wurde, nicht gebessert. Trotzdem wirkte sein Anblick beruhigend. Wenn sich etwas Unangenehmes anbahnte, konnte man sich auf Murtagh voll und ganz verlassen.
»Er ist vergangene Nacht mit Prinz Charles ausgegangen und nicht heimgekommen. Mehr weiß ich nicht.« Ich zog mich am Geländer hoch und strich die Falten meines seidenen Nachthemdes glatt. Das Feuer war zwar bereits entfacht, hatte jedoch die Räume noch nicht erwärmt, und mir war kalt.
Murtagh fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, um besser überlegen zu können.
»Mmmmpf. Ist schon jemand auf dem Weg zum Montmartre?«
»Ja,«
»Dann warte ich, bis eine Nachricht eintrifft. Falls man Jamie dort findet, gut und schön. Wenn nicht, kann uns vielleicht jemand sagen, wann und wo er und Seine Hoheit sich voneinander verabschiedet haben.«
»Und wenn alle beide nicht dort anzutreffen sind? Wenn auch der Prinz nicht nach Hause gekommen ist?« fragte ich. Es gab nicht nur Jakobiten in Paris, sondern auch Gegner der Stuarts. Und obwohl Charles Stuarts Ermordung keinerlei Gewähr dafür bot, daß damit die Gefahr einer möglichen schottischen Erhebung gebannt war - schließlich hatte er noch einen jüngeren Bruder -, mochte eine solche Tat doch James’ Enthusiasmus einen Dämpfer versetzen, falls er überhaupt jemals Enthusiasmus empfunden hatte, überlegte ich beunruhigt.
Ich erinnerte mich lebhaft an den Anschlag auf Jamie, dem er nur knapp entkommen konnte und bei dem er auf Fergus gestoßen war. Mordversuche auf offener Straße waren beileibe nichts Außergewöhnliches, und die Straßen von Paris wurden des Nachts von Räuberbanden unsicher gemacht.
»Du solltest dich lieber anziehen, Mädel«, bemerkte Murtagh. »Ich kann deine Gänsehaut ja sogar von hier sehen.«
»Ja, da hast du wohl recht.« Ich hatte meine Arme fest um meinen Körper geschlungen, aber es half alles nichts - meine Zähne klapperten vor Kälte.
»Madame, Sie werden sich noch erkälten!« Marguerite eilte die Treppe herauf und schob mich ins Schlafzimmer. Rasch warf ich noch einen Blick zurück auf Murtagh, der am Fuß der Treppe stand und sorgfältig seinen Dolch inspizierte, bevor er ihn zurück in die Scheide schob.
»Sie gehören ins Bett, Madame!« schimpfte Marguerite. »Es tut dem Kind und Ihnen nicht gut, wenn Sie so in der Kälte herumsitzen. Ich hole Ihnen eine Wärmepfanne. Und wo ist Ihr Morgenmantel? Ziehen Sie ihn über. Ja, so ist’s gut...« Ich hüllte mich in den schweren Wollmantel, ignorierte Marguerites mütterliche Ermahnungen, ging zum Fenster und öffnete die Läden.
Die Straße strahlte vom Widerschein der Morgensonne auf den Häuserfassaden. Obwohl es noch früh am Tag war, herrschte geschäftiges Treiben: Mägde und Lakaien schrubbten emsig die Stufen oder polierten Türgriffe aus Messing; Straßenhändler boten lauthals Obst, Gemüse und frische Meeresfrüchte feil, und die Köche der großen Häuser streckten wie böse Geister die Köpfe aus den Kellertüren. Ein Kohlenkarren mit einem müden Zugpferd holperte die Straße entlang. Von Jamie indes keine Spur.
Schließlich beugte ich mich den Überredungskünsten der besorgten Marguerite und legte mich ins Bett, konnte aber nicht wieder einschlafen. Jedes Geräusch von draußen ließ mich aufschrecken, jeder Schritt auf dem Bürgersteig ließ mich hoffen, gleich Jamies Stimme in der Eingangshalle zu hören. Das Gesicht des Comte de St. Germain drängte sich hartnäckig zwischen mich und den Schlaf. Er war der einzige Angehörige des französischen Adels, der Verbindung zu Charles Stuart pflegte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war ihm der Anschlag zuzuschreiben, den man auf Jamie - und auch mich - verübt hatte. Es war allgemein bekannt, daß er sich mit zwielichtigen Gestalten umgab. Hatte er dafür gesorgt, daß Jamie und Charles aus dem Weg geschafft worden waren? Ob aus politischen oder persönlichen Gründen spielte im Augenblick keine Rolle.
Als schließlich aus der Halle Schritte zu vernehmen waren, war ich so sehr damit beschäftigt, mir auszumalen, wie Jamie mit aufgeschlitzter Kehle in der Gosse lag, daß ich ihn erst bemerkte, als sich die Schlafzimmertür öffnete.
»Jamie!« Mit einem Freudenschrei setzte ich mich auf.
Er lächelte mich an und gähnte mit weitaufgerissenem Mund, so daß ich bis tief hinab in seinen Schlund blicken und mich davon überzeugen konnte, daß seine Kehle unversehrt war. Ansonsten sah er jedoch erbärmlich aus. Er ließ sich neben mich aufs Bett fallen und dehnte sich genüßlich, bevor er sich seufzend ausstreckte.
»Was ist geschehen?« wollte ich wissen.
Er öffnete ein blutunterlaufenes Auge.
»Ich brauche ein Bad«, erklärte er und schloß das Auge wieder.
Vorsichtig schnuppernd schob ich mich ein wenig näher an ihn heran. Der vertraute Geruch nach verrauchten Räumen und feuchter Wolle stieg mir in die Nase, begleitet von einer erstaunlichen Mischung aus Ale, Wein, Whisky und Weinbrand - Getränke, die zu den Flecken auf seinem Hemd paßten. Doch damit nicht genug- das Ganze wurde vom Duft eines unvergleichlich aufdringlichen und abstoßenden billigen Parfums überlagert.
»Das stimmt!« pflichtete ich ihm bei. Ich kletterte aus dem Bett, steckte den Kopf zur Türe hinaus und rief nach Marguerite. Ich bat sie, eine Sitzwanne zu holen und diese mit ausreichend Wasser zu füllen. Außerdem sollte sie noch einige der feinen, nach Rosenöl duftenden Seifenstücke mitbringen, die mir Bruder Ambrosius zum Abschied geschenkt hatte.
Nachdem das Mädchen die beschwerliche Arbeit in Angriff genommen hatte, die riesigen, kupfernen Kannen mit warmem Wasser herbeizuschaffen, widmete ich mich dem Wrack auf dem Bett.
Ich streifte ihm Schuhe und Strümpfe ab, löste die Spange seines Kiltes und öffnete ihn. Unwillkürlich führte Jamie seine Hand zwischen die Beine. Aber mein Blick fiel auf eine andere Stelle.
»Was, um alles in der Welt, ist geschehen?« fragte ich abermals.
Über die blasse Haut seiner Schenkel zogen sich mehrere tiefrote lange Kratzer. In Höhe des Beinansatzes waren Abdrücke zu erkennen, die eindeutig von Zähnen herrührten.
Während das Zimmermädchen heißes Wasser in die Wanne schüttete, warf sie einen interessierten Blick auf die verräterischen Male und sah sich genötigt, eine Bemerkung beizusteuern.
»Un petit chien?« fragte sie. Ein kleiner Hund? Oder etwas anderes. Zwar waren mir die Redewendungen jener Zeit bei weitem noch nicht vertraut, ich wußte jedoch, daß sich les petits chiens häufig geschminkt und auf zwei Beinen in den Straßen herumtrieben.
»Hinaus!« befahl ich ihr herrisch auf französisch, woraufhin sie leise schmollend die Kannen in die Hand nahm und das Zimmer verließ. Ich drehte mich wieder zu Jamie um. Er hob kurz ein Lid und warf einen Blick auf mein Gesicht.
»Nun?« hakte ich nach.
Statt zu antworten, zitterte er nur. Nach einer Weile setzte er sich auf, um sich mit den Händen das Gesicht zu reiben, wobei ein kratzendes Geräusch entstand. Zweifelnd zog er eine Augenbraue hoch. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß eine wohlerzogene junge Dame wie du mit der Nebenbedeutung des Ausdrucks soixante-neuf vertraut ist.«
»Sie ist mir nicht unbekannt«, erklärte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihm leicht mißtrauisch in die Augen. »Und darf ich fragen, wo du die Bekanntschaft dieser außergewöhnlichen Nummer gemacht hast?«
»Eine Dame, die ich vergangene Nacht kennengelernt habe, hat sie mir eindringlich ans Herz gelegt.«
»War das vielleicht dieselbe Dame, die dich in den Oberschenkel gebissen hat?«
Er blickte an sich hinunter und strich nachdenklich über die Stelle.
»Hm, nein, nicht dieselbe. Diese Dame hat niedrigere Zahlen vorgezogen. Ich glaube, sie hat sich für die Sechs entschieden. Die Neun kümmerte sie nicht.«
»Jamie«, sagte ich und klopfte nachdrücklich mit dem Fuß auf den Boden. »Wo warst du die ganze Nacht?«
Er schöpfte mit den Händen ein wenig Wasser aus dem Becken, spritzte es sich ins Gesicht und ließ es über seine dunkelroten Brusthaare rinnen.
»Hm«, antwortete er und zwinkerte die Tropfen aus den Wimpern. »Laß mich überlegen. Zuerst haben wir in der Taverne zu Abend gegessen und sind dort auf Glengarry und Millefleurs gestoßen.« Monsieur Millefleurs war ein Pariser Bankier und Glengarry einer der jungen Jakobiten und Oberhaupt eines Seitenzweiges des MacDonell-Clans. Jamies Bemerkungen zufolge war er auf Besuch und seit kurzem des öfteren in Charles’ Gesellschaft anzutreffen. »Anschließend haben wir uns auf den Weg zum Duca di Castellotti gemacht, um bei ihm Karten zu spielen.«
»Und danach?« fragte ich.
Eine Taverne. Und noch eine. Und dann ein Etablissement, das einer Taverne ähnelte, dazu aber noch von etlichen Damen von ansprechendem Äußeren und noch ansprechenderen Talenten geschmückt wurde.
»Aha, Talenten!« sagte ich und blickte auf die Bißwunde.
»Mein Gott, sie haben das in aller Öffentlichkeit gemacht«, wehrte sich Jamie schaudernd. »Zwei von ihnen. Auf dem Tisch. Zwischen dem Lammrücken, den Kartoffeln und dem Quittengelee.«
»Mon dieu«, sagte das Mädchen, das soeben mit einer weiteren Kanne eingetreten war, und bekreuzigte sich.
»Sie halten den Mund«, wies ich sie grimmig an. Erneut wandte ich meine Aufmerksamkeit meinem Ehemann zu. »Und anschließend?«
Offenbar ging man anschließend zu allgemeineren Vergnügungen über, wenn auch immer noch unter den Augen des Publikums. Mit gebührender Rücksicht auf Marguerites Gefühle wartete Jamie mit weiteren Ausführungen, bis sie das Zimmer verlassen hatte, um eine weitere Kanne Wasser zu holen.
»... Castellotti zog die Dicke und die kleine Blonde in eine Ecke, und...«
»Und was hast du währenddessen getan?« unterbrach ich seinen aufregenden Bericht.
»Zugeschaut«, entgegnete er überrascht. »Es schien mir nicht besonders anständig, aber unter den Umständen blieb mir kaum eine andere Wahl.«
Während er redete, kramte ich in seiner Felltasche und förderte nicht nur eine kleine Geldbörse zutage, sondern auch einen großen, wappenverzierten Metallring. Neugierig streifte ich ihn mir über den Finger. Aber er war um einiges weiter als ein normaler Ring und sah an meinem Finger aus wie ein Wurfring an einem Stecken.
»Wem gehört dieses Ding?« fragte ich und streckte es Jamie entgegen. »Das Wappen sieht aus wie das des Duca di Castellotti, aber derjenige, dem es gehört, muß Finger wie Würste haben.« Castellotti ähnelte einer ausgezehrten italienischen Bohnenstange, und sein verkniffenes Gesicht deutete auf eine chronische Verdauungsstörung hin. Kein Wunder angesichts dessen, was Jamie über ihn erzählte. Quittengelee - meiner Treu!
Als ich hochblickte, sah ich Jamie vom Scheitel bis zur Sohle erröten.
»Äh«, stotterte er und widmete sich mit übertriebenem Eifer einem Schmutzfleck auf dem Knie. »Er... gehört nicht an den Finger.«
»Wohin denn...? Ach so.« Ich betrachtete den runden Gegenstand aus einem neuen Blickwinkel. »Guter Gott, von diesen Dingern habe ich schon gehört...«
»Wirklich?« Jamie war schockiert.
»Aber ich habe nie zuvor einen gesehen. Paßt er dir?« Ich wollte ihn Jamie überstreifen, doch der legte hastig die Hände über seine intimsten Teile.
Marguerite betrat das Zimmer mit einer neuen Kanne und versicherte ihm: »Ne vous en faites pas, Monsieur. J’en ai deja vu un.« Keine Sorge, Monsieur, ich habe schon mal einen gesehen.
Sein Blick wanderte zwischen dem Mädchen und mir hin und her. Dann warf er sich die Decke über den Schoß.
»Schlimm genug, daß ich die ganze Nacht meine Tugend verteidigen mußte«, bemerkte er bitter. »Nun muß ich mich auch noch in aller Frühe dafür rechtfertigen.«
»Deine Tugend, so so!« Ich warf den Ring von einer Hand in die andere, wobei ich ihn jeweils mit dem Zeigefinger auffing. »Ein Geschenk, nehme ich an? Oder nur eine Leihgabe?«
»Ein Geschenk. Hör auf, Sassenach«, sagte er und verzog das Gesicht. »Du weckst Erinnerungen.«
»Ach, wirklich?« Ich ließ ihn nicht aus den Augen. »Dann laß uns über die Erinnerungen reden.«
»Ich nicht!« protestierte er. »Du kannst doch nicht von mir glauben, daß ich so etwas tue. Ich bin ein verheirateter Mann!«
»Und Monsieur Millefleurs, ist der nicht verheiratet?«
»Er ist nicht nur verheiratet, sondern hat auch zwei Mätressen«, erklärte Jamie. »Aber er ist Franzose - das ist ein Unterschied.«
»Aber der Duca di Castellotti ist kein Franzose - er ist Italiener.«
»Aber er ist ein Herzog. Das ist auch etwas anderes.«
»Tatsächlich? Ob die Herzogin das auch findet?«
»Wenn ich bedenke, was der Herzog von der Herzogin gelernt haben will, nehme ich das an. Ist das Bad noch nicht fertig?«
Nachdem er sich die Decke um die Lenden geschlungen hatte, erhob er sich und ging schwerfällig zur dampfenden Badewanne. Er ließ die schützende Hülle fallen und glitt rasch ins Wasser - allerdings nicht schnell genug!
»Enorme!« bemerkte das Mädchen und bekreuzigte sich. »C’est tout«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. »Merci bien.« Errötend schlug sie die Augen nieder und trippelte hinaus.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, streckte Jamie sich wohlig im Wasser aus. Er war offenbar der Meinung, man solle ein Bad, das zu bereiten so viel Mühe kostete, auch genießen.
Während er immer tiefer in das heiße Wasser eintauchte, breitete sich über sein stoppelbärtiges Gesicht ein glückseliger Ausdruck. Seine helle Haut färbte sich leicht rot. Er hatte die Augen geschlossen, und zarte Schweißperlen schimmerten auf den Ringen unter seinen Augen.
»Seife?« Fragend schlug er die Augen auf.
»Ja, hier.« Ich reichte ihm die Seife und setzte mich auf einen Schemel neben der Wanne. Ich beobachtete, wie er sich eifrig schrubbte und versorgte ihn mit einem Lappen und einem Bimsstein, mit dem er sorgfältig seine Fußsohlen und Ellbogen bearbeitete.
»Jamie«, sagte ich schließlich.
»Aye?«
»Ich möchte mit dir nicht über deine Vorgehensweise streiten«, meinte ich, »und wir waren uns auch im klaren darüber, daß wir uns auf einiges einlassen müssen, aber... mußtest du wirklich...«
»Mußte ich was, Sassenach?« Er hielt mit dem Schrubben inne, neigte den Kopf und sah mich durchdringend an.
»Nun... ich meine...« Zu meiner Verärgerung stieg mir das Blut in den Kopf.
Eine große Hand tauchte tropfend aus dem Wasser auf und legte sich auf meinen Arm. Die feuchte Hitze drang durch den dünnen Stoff des Ärmels.
»Sassenach«, sagte er, »was glaubst du, was ich getan habe?«
»t1h«, stotterte ich und versuchte vergebens, nicht auf die Bißwunde an seinem Oberschenkel zu blicken. Er lachte, wenn auch nicht sonderlich amüsiert.
»Oh ihr Kleingläubigen!« meinte er spöttisch.
Ich wich zurück.
»Also, wenn ein Ehemann mit Bißwunden übersät, zerkratzt und nach Parfüm stinkend, nach Hause kommt und zugibt, er hätte die Nacht in einem Bordell verbracht, und...«
»Und dir geradeheraus erklärt, er hätte nur zugesehen und nicht mitgemacht?«
»Solche Male entstehen nicht vom Zusehen!« rief ich aufgebracht. Aber sofort biß ich mir auf die Lippen. Ich kam mir vor wie ein keifendes eifersüchtiges Weib, und das wollte ich nicht. Ich hatte gelobt, alles gelassen hinzunehmen. Und ich wollte mir einreden, daß ich Jamie voll vertraute, und überhaupt, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Selbst wenn wirklich etwas geschehen wäre...
Durch den nassen Fleck auf meinem Ärmel spürte ich die kühle Luft. Ich bemühte mich, wieder einen unbeschwerten Ton anzuschlagen.
»Oder sind es die Narben des ehrenhaften Kampfes, den du zur Verteidigung deiner Tugend geführt hast?« Irgendwie gelang mir der unbekümmerte Tonfall nicht so recht. Die Frage klang sogar ziemlich häßlich, das mußte ich vor mir selbst zugeben. Es machte mir jedoch immer weniger aus.
Jamie verstand sich auf Untertöne. Er verengte die Augen zu einem Schlitz und schien etwas sagen zu wollen. Dann überlegte er es sich offenbar anders und schluckte die Bemerkung hinunter.
»Ja«, entgegnete er ruhig. Er fischte die Seife aus dem Wasser und streckte mir das weiße, glitschige Gebilde entgegen.
»Wäschst du mir die Haare? Während der Heimfahrt hat Seine Hoheit auf mich gekotzt, daher stinke ich ein bißchen.«
Nach kurzem Zögern nahm ich das Friedensangebot zumindest vorübergehend an.
Unter dem dicken, seifigen Haar tastete ich die feste Rundung seines Schädels und die Narben am Hinterkopf. Ich drückte beide Daumen in Jamies Nackenmuskeln, woraufhin er sich etwas entspannte.
Der Seifenschaum rann ihm über die nassen, glänzenden Schultern. Ich fing ihn auf und verteilte ihn.
Jamie war in der Tat groß. Unmittelbar neben ihm vergaß ich leicht, wie hochgewachsen er wirklich war, bis ich ihn aus der Entfernung zwischen kleineren Männern aufragen sah. Immer wieder war ich von seiner schönen, anmutigen Gestalt beeindruckt. Jetzt saß ich mit angezogenen Knien da, und seine Schultern nahmen die gesamte Breite der Wanne ein. Er beugte sich ein wenig nach vorne, um mir meine Arbeit zu erleichtern, so daß man die schrecklichen Narben auf seinem Rücken sah. Über die weißen Linien, die von früheren Auspeitschungen herrührten, zogen sich die wulstigen roten Narben, die Jack Randall ihm zu Weihnachten beschert hatte.
Mein Herz krampfte sich zusammen, als ich die verheilten Wunden sanft berührte. Ich hatte sie gesehen, als sie noch frisch waren, als Folter und Demütigung Jamie fast in den Wahnsinn getrieben hatten. Aber ich hatte ihn geheilt, und er hatte mit tapferem Herzen darum gekämpft, wieder gesund und eins mit mir zu werden. Zärtlich schob ich sein Haar zur Seite und neigte mich vor, um seinen Nacken zu küssen.
Doch abrupt wich ich zurück. Er spürte die Bewegung und drehte den Kopf leicht nach hinten.
»Was hast du, Sassenach?« fragte er langsam und schläfrig.
»Nichts, gar nichts«, entgegnete ich und starrte auf die dunkelroten Flecken am Nacken. Im Pembroke hatten die Schwestern sich am Morgen nach einem Rendezvous mit einem Soldaten des nahegelegenen Stützpunktes ein Tuch um den Hals geschlungen. Ich war immer der Meinung gewesen, die Schals waren eher Angabe als Tarnung.
»Wirklich nichts«, wiederholte ich und griff nach dem Wasserkrug auf dem Ständer. Er stand neben dem Fenster und fühlte sich eiskalt an. Ich trat hinter Jamie und goß ihm das Wasser über den Kopf.
Ich hob mein Nachthemd, um es vor der plötzlichen Welle, die über den Rand der Wanne spritzte, in Sicherheit zu bringen. Jamie prustete vor Kälte, und vor Schreck verschlug es ihm die Sprache. Ich kam ihm zuvor.
»Nur zugeschaut, was?« fragte ich kalt. »Gewiß hast du es nicht eine Sekunde lang genossen, du armer Kerl.«
Er warf sich nach hinten, so daß das Wasser abermals auf den Steinboden schwappte, drehte sich um und blickte zu mir auf.
»Was willst du von mir hören?« fuhr er mich an. »Ob ich sie besteigen wollte? Natürlich wollte ich. So sehr, daß meine Eier wehtaten, weil ich es nicht getan habe.«
Er wischte sich die triefendnassen Haare aus den Augen und starrte mich an.
»Wolltest du das hören? Bist du jetzt zufrieden?«
»Eigentlich nicht«, entgegnete ich. Mein Gesicht fühlte sich heiß an. Ich preßte meine Wange an die eiskalte Fensterscheibe und klammerte mich mit den Händen am Fensterbrett fest.
»Jemand, der eine Frau begehrlich ansieht, hat bereits Ehebruch begangen. Wolltest du das sagen?«
»Willst du das sagen?«
»Nein«, antwortete er knapp. »Und was würdest du tun, wenn ich tatsächlich bei einer Hure gelegen hätte, Sassenach? Mich ins Gesicht schlagen? Mich aus deinem Schlafzimmer werfen? Meinem Bett fernbleiben?«
Ich wandte mich um und sah ihn an.
»Ich würde dich umbringen!« preßte ich zwischen den Zähnen hervor.
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, während seine Kinnlade vor Erstaunen nach unten sank.
»Mich umbringen? Mein Gott, wenn ich dich mit einem anderen Mann erwischte, würde ich ihn töten.« Er hielt inne und zog einen Mundwinkel ironisch hoch.
»Zwar wäre ich auch auf dich nicht gut zu sprechen«, sagte er, »trotzdem würde ich ihn töten.«
»Typisch Mann«, erwiderte ich. »Kapiert nicht, um was es geht.«
Er schnaubte spöttisch.
»So, findest du? Mit anderen Worten, du glaubst mir nicht. Soll ich dir beweisen, Sassenach, daß ich in den letzten Stunden bei niemandem gelegen habe?« Als er sich erhob, rann das Wasser in kleinen Bächen seine langen Beine hinab. Seine Haut dampfte, und das hereinfallende Licht ließ die rotgoldenen Härchen auf seinem Körper aufblinken. Er ähnelte einer Statue aus frisch geschmolzenem Gold. Mein Blick glitt an ihm hinunter.
»Ha!« rief ich mit höchstmöglicher Verachtung in der Stimme.
»Das liegt am heißen Wasser«, erklärte er kurz und stieg aus der Wanne. »Keine Sorge, es dauert nicht lange.«
»Das glaubst du!« entgegnete ich und betonte dabei jedes Wort.
Er errötete noch mehr und ballte unwillkürlich die Fäuste.
»Mit dir ist wohl kein vernünftiges Gespräch möglich, was?« sagte er scharf. »Himmel, ich habe die Nacht angeekelt und unter Qualen verbracht, bin von den anderen als unmännlich verspottet worden, komme nach Hause und muß mir Unkeuschheit vorwerfen lassen! Mallaichte bàs
Mit grimmigem Blick sammelte er seine auf dem Boden verteilten Kleider auf.
»Hier«, er tastete nach dem Schwertgehenk. »Wenn Begierde mit Ehebruch gleichzusetzen ist und du mich dafür umbringen möchtest, dann tu es!« Er trat mit seinem annähernd dreißig Zentimeter langen Dolch an mich heran und warf ihn mir zu. Wild um sich blickend, straffte er die Schultern und bot mir seine breite Brust.
»Mach schon«, forderte er mich nachdrücklich auf. »Du gibst doch nicht etwa klein bei? Wo du doch so empfindsam bist, was deine Ehre als Ehefrau betrifft.«
Es war eine echte Versuchung. Meine Hände bebten vor Verlangen, ihm den Dolch zwischen die Rippen zu stoßen. Allein die Gewißheit, daß er trotz seines dramatischen Auftritts nicht zulassen würde, daß ich ihn erdolchte, hielt mich davon ab. Ich kam mir sowieso schon ziemlich lächerlich vor und wollte mich nicht noch weiter demütigen. Schwungvoll wandte ich mich von ihm ab.
Nach einer Weile vernahm ich das Scheppern des Dolches auf den Dielen. Regungslos starrte ich aus dem Fenster. Als ich hinter mir ein leises Rascheln hörte, blickte ich auf die Spiegelung in der Scheibe. Mein Gesicht erschien darin als ein von schlafzerzaustem Haar umrahmtes Oval, und Jamies nackte Gestalt bewegte sich auf der Suche nach einem Handtuch, als befände er sich unter Wasser.
»Das Handtuch liegt auf dem Gestell«, sagte ich und drehte mich um.
»Danke.« Er ließ das schmutzige Hemd fallen, mit dem er sich trockentupfen wollte, und griff, ohne mich anzusehen, nach dem Handtuch.
Er wischte sich das Gesicht ab, ließ das Tuch sinken und schaute mich an. Ich sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete, und mir war, als blickte ich immer noch in die reflektierende Scheibe. Schließlich siegte jedoch bei uns beiden die Vernunft.
»Es tut mir leid«, sagten wir wie aus einem Munde und lachten.
Seine feuchte Haut durchweichte den dünnen Seidenstoff, aber es kümmerte mich nicht.
Minuten später murmelte er mir etwas ins Haar.
»Was?«
»Verdammt knapp«, wiederholte er und wich etwas zurück, »es war verdammt knapp, Sassenach, und das hat mir angst gemacht.«
Ich warf einen Blick auf den Dolch, der vergessen auf dem Boden lag.
»Angst? Nie zuvor habe ich jemanden gesehen, der furchtloser ist als du. Du wußtest nur zu gut, daß ich es mein Lebtag nicht wagen würde.«
»Ach das«, er grinste. »Nein, ich hätte keine Sekunde geglaubt, daß du mich umbringen würdest, auch wenn du es gerne getan hättest.« Er schlug einen sachlichen Ton an. »Nein... ich meine, alle diese Frauen. Wie ich mich bei ihnen gefühlt habe. Ich wollte sie nicht, wirklich nicht...«
»Ja, ich weiß«, antwortete ich und streckte ihm die Hand entgegen. Aber er sprach weiter. Bekümmert sah er mich an.
»Aber die Begierde... so nennt man das wohl... sie war dem zu ähnlich, was ich manchmal für dich empfinde, und das... nun, das scheint mir nicht recht.«
Er wandte sich ab, um sein Haar mit dem Leinentuch zu trocknen, und seine Stimme klang gedämpft.
»Ich habe immer gedacht, es wäre einfach, bei einer Frau zu liegen«, erklärte er leise. »Aber... ich möchte dir zu Füßen liegen und dich anbeten und außerdem will ich dich auf die Knie zwingen, meine Hände in dein Haar wühlen, und ich will, daß mich dein Mund befriedigt... Und ich will beides gleichzeitig, Sassenach.« Er schob seine Hände unter mein Haar und umschloß mein Gesicht.
»Ich verstehe mich selbst nicht, Sassenach! Oder vielleicht doch.« Er löste seine Hände und wandte sich ab. Obwohl sein Gesicht längst trocken war, wischte er sich immer wieder mit dem Handtuch über das stoppelige Kinn. Seine Stimme war kaum vernehmbar.
»So ein Gefühl - ich meine, das Wissen darum - kam zum erstenmal kurz nach... Wentworth.« Wentworth. Der Ort, an dem er seine Seele geopfert hatte, um mein Leben zu retten, und Höllenqualen erleiden mußte, um sie wiederzuerlangen.
»Zuerst dachte ich, daß Jack Randall einen Teil meiner Seele geraubt hätte, aber auf einmal wurde mir bewußt, daß es viel schlimmer war. Das alles kam aus mir, war schon immer ein Teil von mir gewesen. Er hat mir das nur deutlich gemacht, bis ich es schließlich begriffen habe. Gerade das kann ich ihm nicht verzeihen, und ich wünsche ihm, daß seine Seele dafür verfault.«
Er sah mich an. Sein übernächtigtes Gesicht wirkte ausgemergelt, aber seine Augen leuchteten eindringlich.
»Claire, deinen Nacken unter meinen Händen zu fühlen und die zarte Haut deiner Brüste und Arme... Guter Gott, du bist meine Frau, und ich liebe dich und würde für dich mein Leben geben. Und trotzdem möchte ich dich so hart küssen, daß deine Lippen bluten und meine Finger Male auf deiner Haut hinterlassen.«
Er ließ das Handtuch fallen und legte mir die Hände auf den Kopf, als wollte er mich segnen.
»Ich möchte dich wie ein Kätzchen unter meinem Hemd tragen, mo duinne, und gleichzeitig will ich deine Schenkel öffnen und dich reiten wie ein Stier.« Seine Finger krallten sich in meine Haare. »Ich verstehe mich selbst nicht.«
Ich zog meinen Kopf weg und trat einen halben Schritt zurück. Das Blut pulsierte unter meiner Haut, und ein Schauder erfaßte meinen Körper.
»Glaubst du, ich empfinde anders?« entgegnete ich. »Glaubst du nicht, daß ich dich nicht auch manchmal beißen möchte, bis ich Blut schmecke, und daß ich dich kratzen will, bis du schreist?«
Behutsam streckte ich meine Hand nach ihm aus. Seine Brust fühlte sich feucht und warm an. Ich berührte ihn mit dem Nagel meines Zeigefingers unterhalb der Brustwarze. Sachte bewegte ich ihn um die Warze herum und sah, wie sie sich in dem buschigen Haar aufstellte.
Mein Fingernagel drückte sich fester in die helle Haut, glitt abwärts und hinterließ einen schwachen roten Streifen. Ich zitterte, wandte mich aber nicht ab.
»Manchmal möchte ich dich wie ein wildes Pferd reiten und dich zähmen - hast du das gewußt? Ich weiß, ich kann es. Ich will dich so scharf machen, bis du nur noch röchelst, dich an den Rand des Zusammenbruchs bringen und es genießen, Jamie, wirklich! Und doch will ich sooft...«, ich mußte schlucken, »will ich einfach... deinen Kopf an meine Brust drücken, dich liebkosen wie ein Kind und in den Schlaf wiegen.«
Meine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, so daß ich sein Gesicht nur verschwommen wahrnahm und nicht sah, ob er auch weinte. Seine Arme schlossen sich um meinen Körper und die feuchte Wärme, die von ihm ausging, umfing mich wie der Atem eines heißen Sommerwindes.
»Claire, du bringst mich um, mit oder ohne Messer«, flüsterte er, das Gesicht in meinem Haar vergraben. Er hob mich hoch und trug mich zum Bett. Dann kniete er nieder und legte mich auf die zerwühlten Decken.
»Du liegst jetzt bei mir«, sagte er ruhig, »und ich werde dich so nehmen, wie ich muß. Und wenn du es mir gleichtun willst, dann tu es und sei willkommen, denn jeder Winkel meiner Seele ist dein.«
Obgleich seine Schultern von dem Bad noch warm waren, zitterte er, als meine Hände an seinen Hals wanderten. Ich zog ihn zu mir herunter.
Als alles vorbei war, streichelte ich ihn und strich ihm die Locken zurück.
»Manchmal wünschte ich, du wärst es, der in mir ist«, flüsterte ich. »Ich möchte dich in mir aufnehmen, damit dir nichts zustoßen kann.«
Er legte seine große warme Hand schützend und liebkosend über die leichte Wölbung meines Bauches.
»Du tust es, mo duinne«, sagte er. »Du tust es.«
Ich spürte es zum erstenmal am darauffolgenden Morgen, als ich noch im Bett lag und Jamie beim Anziehen zusah. Ein kaum merkliches Flattern, wohlvertraut und doch völlig unbekannt. Jamie stand mit dem Rücken zu mir, wand sich in sein knielanges Hemd und streckte die Arme, um die Falten des gebleichten Stoffes über seinem breiten Rücken auszurichten.
Ruhig lag ich da und hoffte, das leise Flattern würde sich wiederholen. Und da war es: winzige, schnelle Bewegungen, wie die Bläschen, die in einer kohlensäurehaltigen Flüssigkeit aufsteigen und zerplatzen. Behutsam legte ich eine Hand auf meinen Unterleib, knapp über dem Schoß.
Da war es. Kein er und keine sie - aber ein Wesen. Vielleicht besaßen Babys ja bis zur Geburt gar kein Geschlecht - abgesehen von den körperlichen Merkmalen.
»Jamie«, sagte ich. Er band gerade sein Haar mit einem Lederband im Nacken zusammen. Mit geneigtem Kopf schaute er mich lächelnd an.
»Na, aufgewacht? Es ist noch früh, mo duinne. Schlaf noch ein Weilchen.«
Ich war drauf und dran gewesen, es ihm zu erzählen, doch irgend etwas hielt mich zurück. Er konnte es nicht spüren, noch nicht. Es war nicht, daß ich annahm, es sei ihm egal, aber diese Empfindungen schienen plötzlich nur mich etwas anzugehen. Nach dem ersten Wissen um die bloße Existenz des Babys - meinerseits ein Bewußtsein und seinerseits einfach ein Dasein - teilte ich nun noch ein zweites Geheimnis mit dem Kind, etwas, was uns aufs engste miteinander verband, wie das Blut, das durch uns beide strömte.
»Möchtest du, daß ich dir die Haare flechte?« fragte ich Jamie. Wenn er zum Hafen ging, bat er mich oft, ihm seine Mähne zu einem festen Zopf zu binden, da an Bord und auf dem Kai ein starker Wind blies. Er scherzte häufig, daß er es wie die Matrosen in Teer tauchen würde, um dem Problem endgültig beizukommen.
Er schüttelte den Kopf und griff nach dem Kilt.
»Nein. Ich werde Prinz Charles einen Besuch abstatten. Und in seinem Haus ist es zwar zugig, aber es wird mir gewiß nicht die Locken in die Augen blasen.« Er grinste mich an und stellte sich neben mein Bett. Als er meine Hand auf meinem Bauch sah, legte er seine sachte darüber.
»Alles in Ordnung, Sassenach? Ist es besser mit der Übelkeit?«
»O ja.« Die morgendliche Ubelkeit hatte tatsächlich nachgelassen. Nur hin und wieder wurde ich von einem Brechreiz erfaßt. Ich hatte festgestellt, daß ich den Geruch von gebratenen Kutteln mit Zwiebeln nicht ertragen konnte. Ich mußte dieses geschätzte Mahl vom Speiseplan der Dienstboten streichen, da sein Duft von der Küche im Untergeschoß über die Hintertreppe hochkroch und mich jäh überfiel, sobald ich die Tür des Salons öffnete.
»Gut.« Er hob meine Hand und küßte sie zum Abschied. »Schlaf noch ein wenig, mo duinne«, wiederholte er.
Behutsam schloß er die Türe hinter sich, als wäre ich bereits eingeschlafen, und überließ mich der morgendlichen Stille der Kammer. Das fahle Sonnenlicht drang durch das Flügelfenster und malte quadratische Muster auf die Wand. Es würde ein herrlicher Tag werden. Ich war mit Freude erfüllt, allein mit mir und doch nicht allein in meinem friedlichen, warmen Kokon.
»Hallo«, sagte ich leise, eine Hand über die Schmetterlingsflügel gelegt, die sich in meinem Innern kaum wahrnehmbar bewegten.
Die Geliehene Zeit
gaba_9783641059972_oeb_cover_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_toc_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_fm1_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_ata_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_fm2_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_ded_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_fm3_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p01_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c01_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c02_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c03_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c04_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c05_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p02_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c06_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c07_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c08_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c09_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c10_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c11_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c12_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c13_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c14_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c15_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c16_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c17_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p03_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c18_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c19_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c20_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c21_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p04_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c22_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c23_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c24_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c25_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c26_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c27_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c28_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c29_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p05_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c30_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c31_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c32_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c33_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c34_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c35_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p06_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c36_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c37_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c38_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c39_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c40_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c41_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c42_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c43_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c44_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c45_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c46_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_p07_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c47_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c48_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_c49_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_ack_r1.html
gaba_9783641059972_oeb_cop_r1.html