15
»Die ganze Stadt ist zum Tschüs sagen gekommen«, sagt Monty und steigt aus dem Taxi.
Eine aufgekratzte Meute hat den Block besetzt, Hunderte von Teenagern, die die massiven roten Türen des VelVet belagern. Trauben von Rauchern lehnen an dem Gebäude, schützen ihre brennenden Zigaretten vor dem herunterfallenden Schnee oder wölben die Hände um das Feuerzeug, damit es nicht ausgeht. Andere sitzen auf den geparkten Autos und trinken Bier aus Literflaschen in braunen Papiertüten. Niemand ist dem Wetter angemessen bekleidet, und niemandem scheint das etwas auszumachen.
»Du hast ja Unmengen von jungen Fans«, sagt Naturelle. »Ich glaube, wir sind die Ältesten hier.«
»Wartet mal kurz«, sagt Monty und schlüpft durch das Gewirr aus Körpern und Gesichtem, zwischen Jungen und Mädchen hindurch, die leicht gelangweilt miteinander reden, zäh und bruchstückhaft.
»Bei Tosh soll heute was los sein, aber Tosh, ich meine...«
»Ja, genau. Ich kann diesen Blick nicht ab. Ständig glotzt sie mich so an...«
»... schon zehn Zentimeter. Seb will morgen mit dem Snowboard rauf in die Berge...«
»Ich hab mir die erste geholt. Die geht mehr Richtung Jungle. Seine neuen Sachen sind ja nicht mehr so junglemäßig.«
»Das ist gutes Skunk, echt gutes Skunk...«
»Die Linie R ist die Hölle, Mann. Voll die Bummelbahn. Ich brauch 'ne Woche bis nach Hause.«
Monty bahnt sich seinen Weg zu den roten Seilen. Ein Berg von einem Mann, der genau den gleichen Kamelhaarmantel wie Monty trägt, überprüft die Namen auf einer Gästeliste.
»Schöner Mantel, du Arsch«, sagt Monty.Der Türsteher macht ein finsteres Gesicht, schaut auf und bricht in ein breites Lächeln aus. »Da ist er ja. Da ist er ja endlich. Und hat meinen Mantel an.«
»Nein, nein, nein«, sagt Monty. »Meinen Mantel. Den hab ich mir vor zwei Jahren zugelegt.«
»Beim Sonderverkauf bei Woolworth, was? Zusammen mit einem Besteck-Set?«
»Khari, du Nougatnase, das ist ein Mantel von Paul Stuart. Paul Stuart sagt dir vielleicht was. Das ist der Laden, in den du nicht reinkommst, weil sie beim ersten Blick auf deinen polyestergewandeten Arsch dermaßen zu lachen anfangen, dass es dich wieder nach Queens haut.«
Khari lächelt. »Ich hoffe, du hast für diesen Mantel von Paul Stuart ein paar Mottenkugeln, die sieben Jahre durchhalten.«
Monty zögert und lacht dann, weil es ihm so herum besser gefällt; er hat die Nase voll von Leuten, die ihn behandeln, als würde er morgen früh tot umfallen. »Was wollen die ganzen Kinder hier?«
»Ich hab ein paar richtig gute gefälschte Ausweise zu sehen bekommen«, sagt Khari. »Dieser eine Knabe hat es fast geschafft, Führerschein des Staates New York, alles perfekt, bloß dass als Geburtsdatum irgendwas mit 1947 dasteht. Ich guck ihn an und sage: »Kumpel, nie im Leben bist du fünfzig Jahre alt.‹ Und er sagt bloß: »Scheiße, jedes Mal. Jedes Mal macht dieser Sack einen Zahlendreher.‹ Es hatte 1974 heißen sollen.«
»Was läuft heute Abend?«
»Der legendäre D. J. Dust legt auf. Mein Homeboy aus Hollis. Der Knabe ist siebzehn Jahre alt. Er kriegt die Girlys zum Tanzen. Und ansonsten haben sie euch den VIP-Raum fertig gemacht.«
»Meine Leute warten draußen auf der Straße. Sollen sie sich hier durchquetschen?«
»Nee«, sagt Khari. »Bring sie rüber zum anderen Eingang. Du weißt, welchen ich meine?« Er wirft das Funkgerät hoch und fängt es mit seiner riesigen Hand wieder auf. »Ich sag ihnen, dass ihr kommt.«
»Danke, Khari.«
»Klar doch. Wann fährst du ein?«
»Um zwölf.«
»Otisville, ja?«
Monty nickt.
»Hat Uncle dort Leute sitzen?«
»Niemanden, den zu kennen sich lohnen würde«, sagt Monty.
»Mein Kumpel Etienne ist in Otisville. Merk dir diesen Namen: Etienne Michaux. Er hat da drin was zu sagen. Hast du dir den Namen gemerkt?«
»Etienne Michaux. Wo kommt er her, aus Haiti?«
»Nee, aus Paris. Sag ihm, du wärst ein Freund von Khari. Er wird dir zu einem guten Start verhelfen. Er steht sich gut mit den Kerkermeistern.«
»Den Kerkermeistern?«
»Mit den Wärtern, Mann, den Wärtern. Die Bundestypen sind gemütlicher drauf. Viel gemütlicher als die Staats.«
Monty lächelt. »Ich bin ein Glückskind.«
»Das Glück der Iren, was?«
»Das Glück der Iren.«
Khari packt Monty bei der Schulter. »Hör mal - reg dich nicht auf, bis es Zeit wird, dich aufzuregen. Hast du gehört?«
»Alles klar«, sagt Monty. »Wir sehen uns später.« Er schlüpft durch das Gedränge und winkt seine Freunde zu sich.
Jakob betritt den Bürgersteig und plant seine Route. Er sieht verächtlich zu, wie Slattery den Kopf senkt und drauflos marschiert, so dass die Teenies ausweichen müssen, wenn sie nicht über den Haufen gerannt werden wollen. Stillos, denkt Jakob. Das Tragische daran ist, findet er, dass niemand mein eines großes Talent zu würdigen weiß. Er kann sich nicht erinnern, je ein Kompliment für seine fußgängerischen Manöver bekommen zu haben. Heute Abend ist der Schwierigkeitsgrad beachtlich: vier Drinks (sechs, wenn man die beiden mit LoBianco mitzählt), der Bürgersteig total voll, dazu rutschiger Schnee, der alle Seitwärtsbewegungen problematisch werden lässt. Monty ist ein guter Geher; das gesteht ihm Jakob durchaus zu. Monty ist elegant. Aber es liegt auf der Hand, dass Monty nie ernsthaft über seine Art zu gehen nachdenkt; es ist reiner Instinkt. Naturelle hält sich an Slattery; sie lässt ihn die Meute durchpflügen und folgt ihm dann den geschlagenen Pfad hinab, während die Jungen sich zu ihr umdrehen. Jakob folgt den beiden achtsam und umrundet dabei ein bekifftes, schwankendes Mädchen, das zum Himmel schaut und mit der Zunge Schneeflocken einzufangen versucht.
»Hey, Elinsky! Mr. Elinsky! Hey!«
Jakob erstarrt für einen Moment. Das verheißt nichts Gutes. Er geht weiter.
»Elinsky! Ha, das ist Elinsky!«
Eine Hand packt ihn beim Ärmel, und Jakob ist gezwungen, sich umzudrehen, ist gezwungen, Mary D'Annunzio in die unnatürlich leuchtenden Augen zu schauen.
Jakob sagt: »Oh.« Beinahe wird ein Oh nein daraus, aber Jakob macht den Mund zu, bevor ihm das nein entschlüpft.
»Was machen Sie denn hier? Himmel, ich wusste gar nicht, dass Sie überhaupt mal aus der Schule rauskommen. Ich dachte, Sie hätten ein Bett im Heizungsraum stehen oder so.«
Jakob blättert im Geiste mögliche Fluchtpläne durch. Er bleibt kurz bei Ich bin nicht der, für den Sie mich halten; ich bin Jakob Elinskys Zwillingsbruder hängen - aber als er es mit diesem Satz das letzte Mal probiert hat, wollte ihm niemand glauben, und dann hat er erst richtig in Schwierigkeiten gesteckt.
»Mary D'Annunzio«, sagt er, um Zeit zu schinden. Sie. trägt ein paar altmodische schwarze Jeans, die sie bis über die schwarzen Stiefel hochgekrempelt hat, einen falschen Waschbärpelzmantel und keine Kopfbedeckung; die feuchten schwarzen Haare ringeln sich ihr die Stirn und den Nacken hinab. Der schwarze Lidschatten ist ihr die Wangen hinuntergelaufen.
»Ja, genau. Mary Zwei-plus D'Annunzio.« Sie missversteht sein entsetztes Gesicht und fügt hinzu: »War nur einWitz, ist halb so schlimm. Die Story war ehrlich gesagt ziemlicher Schrott.«
»Ich muss gehen«, sagt Jakob. »Ich bin mit Freunden hier.«
»Ja, mit dem Typen, der mit dem Türsteher gesprochen hat, stimmt7 s? Was meinen Sie, könnte er uns reinschleusen?«
»Ähm, ich...«
»Die wollen niemanden reinlassen, weil es angeblich schon zu voll ist. Ich muss da aber unbedingt rein. Sind Sie ein Dusk-Fan?«
»Natürlich.«
»Er ist der absolute Bringer, nicht? Er bringt's total. Ich fass es nicht, dass Sie auf Dusk stehen! Keine Beleidigung, aber ich dachte, Sie stünden mehr auf Flöten oder...«
»Ich finde Dusk sehr gut«, sagt Jakob, »obwohl mir seine frühen Sachen besser gefallen.«
»Seine frühen Sachen?«
»Jake, was treibst du da?« Monty hat kehrtgemacht und bedeutet Jakob, sich zu beeilen. »Die halten extra die Tür für uns auf.«
»Ich bin Mary D'Annunzio«, sagt sie und lässt den Ärmel von Jakobs Mantel nicht los.
»Toll«, sagt Monty. »Komm, auf geht's, Kumpel.«
»Ich gehör zu Jake«, sagt Mary und legt ihren Kopf an Jakobs Brust. »Wir lieben uns.«
Jakob schließt die Augen.
Monty grinst. »Im Emst. Hab ich gar nicht mitgekriegt, dass ihr zwei zusammen seid. Na, dann komm mit, drinnen ist Platz genug.«
»Moment«, sagt Mary. »Ich bin noch mit drei Freundinnen hier.«
Monty starrt sie an. »Du bist noch mit drei Freundinnen hier? Dich haben sie wohl zu heiß gebadet. Willst du nun mit rein oder nicht?«
»Alles klar«, sagt sie. »Lieber eine als keine.«
Jakob hat die Augen immer noch geschlossen.
»Dann mal los«, sagt Monty zu ihr. »Setz deinen Liebsten in Bewegung und komm mit.« »Die kommen gleich nach«, sagt Naturelle und führt Slattery eine Treppe hinauf.
»Weißt du, wo du hingehst?« Slattery hat sich ihre beiden Mäntel über den Arm gelegt.
»Ich bin hier schon viel zu oft gewesen«, erklärt sie. »Aber die Musik ist gut.« Slattery ermahnt sich, den Blick auf die Stufen zu richten und nicht auf Naturelles silbergewandetes Hinterteil. Auf dem dritten Absatz missachtet er seine Ermahnung kurz, und schon ist er verloren, verliert er sich in dem prächtigen Geglitzer vor seinen Augen.
»Monty benimmt sich komisch«, sagt Naturelle.
»Ja.«
»Wir müssen ihn im Auge behalten. Ja? Frank?« Sie dreht sich um und schaut auf ihn hinunter. Er sieht zu ihr hoch und lächelt. »Hörst du mir zu?«
»Ihn im Auge behalten. Machen wir. Aber was meinst du mit komisch?«
Sie zuckt die Schultern und steigt weiter die Treppe hinauf. »Er benimmt sich eben total komisch. Findest du nicht, dass er sich komisch benimmt?«
»Ein paar Stunden noch, und er geht ins Gefängnis, Nat. Wie sollte er sich da deiner Meinung nach benehmen?«
»Er sollte sich so benehmen, als ob er Angst hat.« Sie führt Slattery durch eine graue Stahltür, und die Musik brandet über sie hinweg, eine Woge von Basstönen. Sie stehen auf einem langen Balkon, fünfzehn Meter über der Tanzfläche; sie halten sich am Geländer fest und schauen auf das Gewimmel von sich windenden Leibern hinunter.
»So voll hab ich den Laden noch nie erlebt«, sagt Naturelle. Slattery schüttelt den Kopf, die Musik übertönt alles. »Komm!«, ruft sie. »Hier lang!«
Er folgt ihr zum anderen Ende des Balkons, eine kurze Treppe hinab. Vor einem Samtvorhang steht ein Mann mit einer scheußlichen Brandnarbe auf der einen Gesichtshälfte, die Haut ist unnatürlich straff und glänzt von irgendeiner Salbe. Der Mann lächelt, beugt sich hinunter und gibt Naturelle einen Kuss auf die Wange.
»Wo bleibt er denn?!«, fragt er brüllend in ihr Ohr.
»Er muss gleich da sein! Oscar, das ist Frank!«
Slattery und der Türsteher nicken einander zu. Naturelle schiebt den Vorhang zur Seite und betritt den leeren VIP- Raum. »Wir werden hier wohl unter uns bleiben. Na ja, wenigstens ist es ein bisschen leiser.«
»Was ist mit seinem Gesicht passiert?«, flüstert Slattery.
»Keine Ahnung. Ich hab Monty gefragt, und er hat gesagt: ›Er hat sich verbrannt.‹« Sie schüttelt den Kopf. »Vielen Dank auch für die Auskunft, Montgomery.«
Slattery kann Clubs nicht ab. Er kann diese ultrahippen Kinder nicht ab, die neunzig Pfund wiegen und filterlose Zigaretten rauchen, diese Typen auf dem Klo, die zehn Minuten vor dem Spiegel stehen und an ihren Haaren rummachen und probehalber ein Lächeln aufsetzen und den Schritt ihrer Hosen zurechtziehen. Und wenn er sich jetzt so umschaut, dann kann er auch diesen VIP-Raum nicht ab. Die Wände sind mit gecrushtem rotem Samt bedeckt. Die Sofas sind mit rotem Samt bezogen, die bombastischen Sessel sind mit rotem Samt bezogen, der Teppich macht einen auf roten Samt. Eine kleine Bar in der gegenüberliegenden Ecke ist mit rotem Samt bezogen. Hinter der Bar steht eine blasse Frau in einem grünen Kleid und winkt Naturelle zu. In der Mitte des Raumes hängt ein Fragezeichen aus schwarzem Stahl von der Decke; der Punkt baumelt zwei Meter über dem Boden. Aus den Boxen an der Wand wummern die Bässe von D. J. Dusk.
»Guck mich nicht so an«, sagt Naturelle. »Damit hab ich nichts zu tun.«
»Bring mir was zu trinken mit«, sagt Slattery. Er lässt sich in einen Sessel fallen und schließt die Augen. Seit halb sechs ist er auf den Beinen. Diese Nacht wird nie rumgehen.
»Und woher kennst du Jake?«, fragt Mary und folgt Monty die Stufen hinauf. Jakob übernimmt das Schlusslicht. Er weiß immer noch nicht recht, was hier läuft.
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen«, sagt Monty.»Echt? Auf die Campbell-Sawyer? Du bist auf die Campbell-Sawyer gegangen? So siehst du überhaupt nicht aus.«
»Das fanden sie auch.«
»Ich kann den Laden nicht ab. Elin - Jake ist in Ordnung, aber ansonsten...«
Monty bleibt stehen und dreht sich um. »Wie alt bist du?«
»Einundzwanzig«, sagt Mary, ohne zu zögern. »Ich bin später eingeschult worden.«
»Wie alt bist du wirklich?«
»Siebzehn.«
Monty schmunzelt. »Und Mr. Elinsky hier ist dein Lehrer?«
»Jawoll.« Mary dreht sich um und tätschelt Jakob den Arm. »Ich bin seine Lieblingsschülerin.«
»Hör mal«, sagt Jakob, »sie ist siebzehn. Wir können sie hier nicht mit reinnehmen.«
»Warum nicht?«, fragt Monty. »Wir sind doch schon drin.«
»Wo ist das Problem? Ich hab 'nen Ausweis.«
»Du bringst die Leute hier in Schwierigkeiten«, sagt Jakob. »Wegen dir könnte der Club geschlossen werden.«
Monty schnaubt und geht weiter die Treppe hinauf. »Scheiß auf den Club. Wie heißt du noch mal? Mary D' Agostino?«
»D'Annunzio.«
»Was hältst du von Mr. Elinsky?«
»Er ist in Ordnung.« Sie dreht sich um und grinst Jakob an. »Auch wenn er manchmal so tut, als wär er ein alter Opa.«
»Das stimmt, das tut er. Ich finde, Mr. Elinsky sollte heute mal richtig was erleben. Ich finde, wir sollten dafür sorgen, dass Mr. Elinsky endlich mal richtig einen draufmacht.«
»Meinetwegen«, sagt Mary. »Dann seid ihr also auf die C-S gegangen, als da nur Jungs drauf waren, ja?«
Monty öffnet die Feuertür und führt sie auf den Balkon hinaus. »Nur Jungs«, sagt er, aber seine Worte gehen in dem Lärm unter.
»Oh, hört euch das an! Hört ihr's? Dusk ist der absolute Bringer! Wir müssen tanzen!«»Jetzt nicht«, sagt Monty. »Erst geht's noch auf eine Party.« Sie können ihn über der Musik nicht hören, aber sie folgen ihm zum VIP-Raum hinunter, wo Monty und Oscar sich die Hände geben.
»Ich sag Bescheid, dass du da bist!«, ruft Oscar.
»Lass mir 'ne Stunde Zeit! Hab momentan den ganzen Aufriss noch nicht drauf.«
Naturelle sitzt an der roten Samtbar und redet mit der Barfrau in dem grünen Kleid. Sie sehen sich beide um, als Monty hereinkommt. Er reckt die Fäuste wie ein Boxchampion, dann tätschelt er Slattery den Kopf.
»Aufwachen, Junge! Was machst du denn?«
Slattery öffnet die Augen. »Ich bin wach. Dieser Raum - ich komm mir vor, als hätt mich ein Wal verschluckt. Was geht ab?«
»Was abgeht? Meine Abschiedsparty fängt an. Daphne! Champagner! Komm und setz dich mit zu uns. D'Annunzio, das ist Slattery.«
»Hey«, sagt Mary. Sie setzt sich auf die Kante des nächstbesten Sofas und sieht sich um. »Ich hab schon Fotos von diesem Raum gesehen«, sagt sie. »Die Smashing Pumpkins sind hier mal drin gewesen.« Sie starrt Monty an. »Wer bist du? Jemand Berühmtes?«
Monty nickt. »Tu uns einen Gefallen, Mary D'Annunzio. Quatsch nicht so viel.«
Daphne, die Barfrau in dem grünen Kleid, bringt zwei Flaschen Champagner in einem Kühler, gefolgt von Naturelle, die ein Tablett mit Flötengläsem trägt. Monty küsst Daphne auf die Wange, zieht eine tropfende Flasche aus dem Kühler und fängt an, sie aufzumachen.
»Wo ist die Toilette?«, fragt Slattery und steht auf. Finger zeigen zu der entsprechenden Tür, und er geht darauf zu. »Wenn die Klobrille auch noch mit rotem Samt bezogen ist, gibt's Tote.«
Daphne stellt den Kühler auf einen schwarzen Stahltisch und geht wieder zur Bar zurück. Monty lässt den Korken fliegen, etwas Champagner tropft auf den roten Teppich.Monty presst sich die Flasche an die Stirn. Eine Ader pulst gegen das kalte Glas. Als er merkt, dass ihn alle ansehen, grinst er und schenkt den Champagner ein, verteilt die Gläser und lässt sich auf das Sofa fallen. Er bedeutet Jakob, sich zu ihm zu setzen.
»Ich muss jetzt tanzen«, sagt Mary und schüttelt sich aus ihrem Waschbärmantel. Sie trägt ein weißes Tank-Top mit einem Tweety-Bild. Tätowierte Rosen ranken sich um ihr linkes Handgelenk. Sie greift sich Jakobs Yankees-Mütze, zu schnell für seine verlangsamten Reflexe, und setzt sie sich verkehrt herum auf. »Will jemand tanzen?«
»Ich«, sagt Naturelle. »Kommst du mit uns tanzen?«, fragt sie Monty.
»Ein bisschen später. Jake und ich müssen reden.«
»Ich bin Naturelle«, sagt sie und geht mit Mary aus dem Raum.
»Ich bin Mary D'Annunzio. Ich bin Jakes Freundin.«
Jakob plumpst neben Monty und legt sich einen Arm über die Augen. »Was tust du mir an?«
Monty grinst. »Die ist süß, Kumpel. Sie quatscht zu viel, aber sie ist süß.«
»Du sorgst dafür, dass ich rausfliege. Bist du dir darüber im Klaren? Sie wird es ihren Freundinnen erzählen, und die werden es ihren Freundinnen erzählen, und bald weiß die ganze Schule, dass Mary D'Annunzio und Mr. Elinsky zusammen in einem Club gewesen sind.«
»Ja und? Dann seid ihr eben in einem Club gewesen. Sag ihnen, dass dein Freund Geburtstag hatte und du sie mit reingenommen hast. Damit hast du doch nichts verbrochen, oder? Bis jetzt jedenfalls.«
Jakob setzt sich auf. »Bis jetzt? Was soll das denn heißen?«
»Du bist scharf auf die Kleine, stimmt's?«
»Scheiße, Monty, sie ist siebzehn! Sie ist meine Schülerin. Da fang ich doch nichts mit ihr an.«
»Ich schon, wenn ich du wäre«, sagt Monty. »Sie hat was. Ich steh auf kleine Mädchen mit Tätowierungen.«
»Na, klasse.«»Ich krieg dich kaum noch zu sehen. Unsere Wege haben sich irgendwie getrennt.«
»Scheint so.«
»Echt schade. Du hast mehr im Kopf als die Leute, mit denen ich sonst so zu tun habe. Hier«, sagt Monty und hebt sein Glas. »Bring mir einen Toast aus.«
Jakob hebt sein Glas. »Ich soll dir einen Toast ausbringen?«
»Ja. Komm schon, wir werden uns eine Weile nicht zu sehen kriegen. Sag was Nettes.«
Jakob schaut sich die aufsteigenden Bläschen an. »Himmel, ich hab irgendwie einen Aussetzer.«
»Na schön«, sagt Monty. »Auf Doyle.«
»Auf Doyle? Meinetwegen, auf Doyle.« Sie stoßen an und trinken.
»Ist jetzt dein Hund«, sagt Monty.
»Was?«
Monty lässt den Champagner einen Moment auf seiner Zunge prickeln, bevor er ihn hinunterschluckt. »Er braucht ein Zuhause. Und er mag dich.«
»Ja, schon... aber ich weiß nicht. Du weißt doch, wie klein meine Wohnung ist.«
»Armer Doyle, muss in einer kleinen Wohnung wohnen. Hey, das ist ein harter Brocken. Er wird sich daran gewöhnen.«
»Warum kann ihn Nat nicht nehmen?«
»Sie zieht zu ihrer Mutter. Die Frau kann ihn nicht ab. Und gegen Frank hat Doyle was. Und mein Vater ist allergisch.«
»Was ist mit Kostya?«
Monty fährt sich mit den Fingern über den Kopf, silberne Ringe durchpflügen die schwarzen Haare. »Kostya ist so gut wie weg. Und damit hat sich's. Ich kann niemand anderes darum bitten.«
»Ich weiß nicht«, sagt Jakob.
Monty schenkt ihm nach. »Sie fahren echt alles für mich auf, hm? Cristal. Ich bin ein Glückspilz, dass ich mit so fürsorglichen Leuten Zusammenarbeiten darf.«
»Noch ein Glas, und ich bin offiziell betrunken.«
»Jetzt hör mal«, sagt Monty. »Das ist mir wichtig. Doyle ist mir wichtig. Für mich ist er kein Haustier, er ist ein Freund. Ich weiß, wie sich das anhört. Ich weiß, dass es sich komisch anhört. Aber hör mal, als ich ihn gefunden habe, da hat er keinem Menschen getraut. Wenn ihn einer streicheln wollte, hätte er ihm am liebsten die Hand abgebissen. Ich hab ihn gefunden, und er war so gut wie tot, ein paar Stunden länger, und ihn hätten die Ratten gefressen. Die Typen, denen er gehört hat, die haben ihre Zigaretten auf ihm ausgedrückt, die haben ihn mit Ketten verprügelt oder so. Und Hundekämpfe mit ihm gemacht, dabei hat er sein eines Ohr verloren.«
»Ja, das hast du mir erzählt.«
»Doyle ist der härteste Brocken, den ich kenne. Er hat da neben dem Highway gelegen und auf den Tod gewartet. Er hat gewusst, dass er sterben wird. Und er hat keinen Muckser gemacht. Er hat einfach dagesessen und gesagt, scheiß auf die Schmerzen, er hat gesagt, scheiß aufs Sterben; scheiß auf den Typen, hat er gesagt, als ich ankam und ihm helfen wollte. Aber ich hab ihm trotzdem geholfen. Ist dir das klar? Ist dir klar, dass es das Beste war, was ich im Leben je getan habe? Lass dir das mal durch den Kopf gehen. Es stimmt. Das Beste, was ich in meinem ganzen Leben je getan habe, war es, diesen kleinen schwarzen Köter zu retten. Jeden Tag, den er seitdem hatte, hat er wegen mir gehabt. Jedes Mal, wenn er durch den Park rennt — wegen mir. Jedes Eichhörnchen, das er jagt, jede Hündin, die er bespringt, jeder Knochen, den er kaut - wegen mir. Ich hab ihn gerettet. Und es ist genau andersrum, als man denken würde, weißt du das? Weil es nämlich nicht Doyle ist, der dankbar ist. Nee, Doyle liebt mich, aber er kann sich an das alles nicht erinnern. Das Komische daran ist, dass ich es bin, der dankbar ist. Weil ich ihn herumrennen sehe, weil ich ihn bellen höre, weil es das Beste ist, was ich je getan habe, und er verkörpert es. Auf gar keinen Fall geb ich ihn ins Tierheim. Scheiße, Doyle ist der hässlichste Hund in allen fünf Boroughs. Wer würde ihn nehmen? Kannst du dir vorstellen, dass irgendeine Mom und irgendein Pop ihn da rausholen und mit nach Hause zu ihrem Töchterchen nehmen: Guck, Schatz, ein Hündchen für dich! Kannst du dir vorstellen, wie die Kleine dann zu heulen anfängt? Herrgott, Doyle sieht aus, als wär er in der Hölle groß geworden. Und ich sag's dir, ich werd nicht zulassen, dass irgendein Tierarzt eine Nadel in ihn reinsticht und ihn tot macht. Ich hab ihm das Leben gerettet, ja? Ich bin für ihn verantwortlich. Ich hab das alles doch nicht durchgemacht, damit er jetzt eingeschläfert wird. Wenn es so weit kommt, dann mach ich es selbst. Dann schieß ich ihm heute Nacht eine Kugel ins Ohr. Und darum frag ich dich, Jake - um meinetwillen, weil du mir damit einen Gefallen tun würdest, und zwar einen Riesengefallen, aber ich frag dich trotzdem - nimmst du ihn? Nimmst du ihn bei dir auf?«
Jakob schweigt, reibt mit den Handflächen über die roten Samtpolster.
»Soll ich dir was sagen?«, sagt er schließlich. »Es wäre mir eine Ehre.«
Monty lächelt, und er hat Tränen in den Augen. »Ich hab gehofft, dass du das sagen würdest. Ehrlich.«
»Na, nach der Ansprache, Herrgott, wie könnte ich da Nein sagen?«
»Gut«, meint Monty und strahlt. »Jetzt müssen wir dich bloß noch mit dieser kleinen D'Annunzio zusammenbekommen, und dann ändert sich dein ganzes Leben.«
»Hey, das ist nicht witzig. Sie ist meine Schülerin, Monty. Das wäre wirklich finster.«
»Klar«, sagt Monty, legt seinen Kopf auf die Rückenlehne und schließt die Augen. »Na und?«
Slattery kommt von der Toilette zurück und setzt sich zu ihnen. »Ich geh nie wieder zum Chinesen«, sagt er und reibt sich den Magen. »Nie wieder.«
»Ja gut«, sagt Jakob und klopft Monty auf die Schulter. »Ich möchte, dass du mir eine Frage beantwortest.«
»Welche denn?«
»Findest du...?«
»Wenn du ihn fragst, ob du wie ein Frettchen aussieht«, sagt Slattery, »dann brat ich dir eine über.«
Jakob hält inne, dann schüttelt er den Kopf. »Das wollte ich nicht fragen.«
»Wer findet, dass du wie ein Frettchen aussiehst?«, fragt Monty.
»Die Gören auf der Campbell-Sawyer«, sagt Slattery.
»Nein, finden sie nicht«, sagt Jakob. »So ein Quatsch. Außerdem wollte ich etwas ganz anderes fragen.«
»Jake ist schon den ganzen Abend so schlecht drauf«, sagt Slattery. »Der Knabe braucht was fürs Bett.«
»Das hüpft unten auf der Tanzfläche rum«, sagt Monty, die Augen immer noch geschlossen. Er klopft die Rhythmen von D. J. Dusk auf den Sofakissen mit. Seltsame, bedrohliche Musik. Gegen die schneller werdenden Trommeln sind gesampelte Orgelklänge gesetzt. An manchen Stellen scheint das Thema sich jeden Moment in Dissonanzen aufzulösen, als drohe Dusk seinem Publikum mit der Möglichkeit des Chaos — aber dann zieht er die Trommeln kurz herunter, und das einsame Brummen der Orgel veranlasst den ganzen Club, die Ohren zu spitzen.
»Was meinst du, Frank?«, fragt Monty und öffnet die Augen. »Sie sieht ziemlich gut aus, oder?«
»Wer, die Kleine? Wer ist das?«
»Sie ist meine Schülerin«, sagt Jakob. »Versteht ihr? Meine Schülerin.«
»Findet sie etwa, dass du wie ein Frettchen aussiehst?«, fragt Slattery.
Das Licht geht aus, und Monty steht halb vom Sofa auf und fasst nach der Waffe, die er hinten am Gürtel trägt.
Das Licht geht wieder an. Bei den Samtvorhängen steht Kostya, eine Hand am Lichtschalter. »Fängt die Party etwa ohne mich an?«
Monty lässt den Griff seiner Pistole los und steht auf. »Ich hätte dich erschießen sollen, du blöder russischer Fettsack.«
Kostya schlendert herüber und wedelt mit dem Finger. »Ukrainischer. Blöder ukrainischer Fettsack.« Er drückt Monty an seine Brust und küsst ihm die Wangen. Monty lässt die Umarmung des großen Mannes steif über sich ergehen.
Anschließend wischt er sich das Gesicht mit dem Ärmel seines schwarzen Pullovers ab.
»Montgomery - mein Freund. Bist du schon lange hier? Und machst Champagner ohne mich auf? Frank! Hallo, Frank!«
»Hey, Konstantin.«
»Kostya. Bitte, Kostya. Mir geht's gut, ja. Und« — er legt Monty seine fleischige Hand auf die Schulter — »wie gut es mir erst gehen wird, wenn mein Freund dann wieder bei uns ist. Ja, hallo... Jason, richtig?«
»Jakob«, sagt Jakob. Sie haben schon mindestens fünf Mal miteinander zu tun gehabt. Jakob kann Kostya nicht leiden. Der Ukrainer ist ihm zu groß, zu laut. Jakob kann seine Seidenhemden nicht leiden, seine goldenen Ringe, sein nikotinfleckiges Lächeln. Kostya hat keine Vorderzähne mehr, er trägt eine Brücke; wenn er betrunken ist, nimmt er sie immer heraus, um Frauen lüstern angrinsen und Erdnüsse durch den Raum spucken zu können.
»Ist alles für dich bereit«, sagt Kostya zu Monty. Er zwinkert. »Sehr nettes Mädchen für dich.«
»Ich bin nicht in Stimmung.«
»Ach, wenn du sie siehst, bist du in Stimmung. Ich hab sie extra für dich ausgesucht.«
»Das letzte Mädchen, das du für mich ausgesucht hast, hatte nur noch drei Zähne im Mund.«
Kostya lacht laut auf. »Witzig, dass du sagst das...« Alle warten auf den Rest.
Schließlich fragt Monty: »Warum ist es witzig, dass ich das sage?«
Kostya zuckt die Schultern. »War eben witzig, dass du das gesagt hast.«
Stille. »Moment«, sagt Monty. »Wenn jemand mit › Witzig, dass du das sagst‹ rauskommt, dann heißt das so viel wie: ›Das erinnert mich an diese andere witzige Geschichten«
»Nein, nein, ich meine, was du gesagt hast, war witzig. › Witzig, dass du das sagst.‹ Siehst du? Es war witzig, dass du das gesagt hast.«
Niemand sagt etwas.
»Komm«, sagt Kostya schließlich. »Willst du sie kennen lernen?«
»Glaube nicht. Naturelle ist unten am Tanzen.«
»Dann gehen wir schnell, jetzt gleich. Ja? Du musst sie dir anschauen, die Kleine. Ich hab sie extra für dich ausgesucht. Der Champagner ist gut?«
»Wie viele Mädchen hast du? Hast du jemand Nettes für meine Freunde?«
»Für mich nicht«, sagt Slattery. »Vielen Dank.«
Monty hält Slattery die Hand hin. »Komm mit runter. Wir müssen reden.«
»Das ist nicht mein Stil, Monty. Ehrlich...«
»Nein, alles in Ordnung. Ich will dich bloß was fragen.«
Slattery ergreift Montys Hand und zieht sich hoch. »Na, dann. Du gehst vor.«
Jakob rutscht unruhig auf seinem Sitzplatz herum. »Und ich soll hier bleiben?«
»Du musst hier bleiben. Wer passt denn sonst auf Mary D'Agostino auf, wenn sie wiederkommt?«
»Soll ich Nat sagen, dass du unten Sex mit einer Prostituierten hast?«
»Nein«, sagt Kostya entsetzt. »Sag ihr das bloß nicht.«
Monty lächelt. »Sag ihr, was du willst. Aber setz dich nicht ab - wir gehen nach der Party zu mir und holen Doyle.«
Jakob sieht zu, wie die drei Männer den Raum verlassen. Drei Männer, denkt er. Alle haben sie körperliche Kraft, Präsenz; man geht mit diesen dreien irgendwo hin und fühlt sich sicher, beschützt. Jakob hat als Kind immer geglaubt, er würde eines Tages groß sein. Sein Vater ist groß gewachsen; sein älterer Bruder war im Ruderteam von Syracuse. Sogar seine kleine Schwester ist zwei Zentimeter größer als er. Was soll das für ein Mann sein, der kleiner als seine kleine Schwester ist?
Wie sieht die D'Annunzio wohl aus beim Tanzen?, fragt Jakob sich. Tanzt sie mit irgendeinem Jungen oder mit Naturelle? Mary D'Annunzio und Naturelle Rosario zusammen»Bis gleich.«
Kostya klopft ihm auf den Rücken und geht. Monty sieht Slattery an, folgt dem Blick seines Freundes zu einer Ecke der Tanzfläche und entdeckt Naturelle und Mary in einer Traube von schwitzenden Leibern.
»Silber steht ihr gut«, sagt Monty gerade so laut, dass sein Freund ihn hören kann. »Findest du nicht auch?«
Slattery richtet sich auf, als hätte ihn jemand von hinten angetippt. »Wem, Nat?«
»Sie ist wunderschön. Sie ist die einzige Frau - das hab ich dir aber schon mal erzählt, stimmt's? - Naturelle ist die einzige Frau, über die ich auch noch herumfantasiere, nachdem wir miteinander geschlafen haben. Ist immer noch so. Manchmal sitz ich in der U-Bahn und kann an nichts anderes denken als daran, nach Hause zu kommen und sie aus ihren Klamotten zu kriegen. Ist wahrscheinlich ganz normal so.«
»Wahrscheinlich«, sagt Slattery. »Ganz normale Sache, das.«
Monty sieht ihr zu. Sie ist total selbstbewusst auf der Tanzfläche. Sie bewegt sich gut, und sie weiß, dass sie sich gut bewegt; die Musik überspringt Takte und ändert den Rhythmus, aber Naturelle kommt nie raus.
»Wie läuft's auf der Arbeit?«
Slattery schüttelt den Kopf und zeigt auf sein Ohr. Monty wiederholt die Frage, lauter.
Slattery nickt. »Gut. Heute Morgen war der reinste Hammer.« Er wartet, dass Monty ihn fragt, aber Monty fragt ihn nicht, also sagt Slattery: »Ich hab in neun Minuten zwei Millionen Dollar gemacht. Das dürfte fast der Rekord sein. Gibt nicht allzu viele Siebenundzwanzigjährige, die mit dermaßen viel Geld rummachen.«
Monty sieht zu, wie ein muskulöser Weißer mit freiem Oberkörper und völlig zutätowierten Armen sich seinen Weg zu Naturelle bahnt und mit ihr zu tanzen anfängt. »Und was davon bleibt für dich übrig?«
»Wie, du meinst als Provision? Es gibt keine Provision» so läuft das nicht.«
»Zwei Millionen für die Typen meint also nicht einen Dollar für dich?« Der Mann mit dem freien Oberkörper beugt sich vor und sagt etwas zu Naturelle. Sie zuckt die Schultern und dreht sich weg.
»Das läuft alles über den Bonus«, sagt Slattery. »Je mehr Geld ich für die Bank mache, desto mehr Geld mache ich für mich. Das nennt sich Kapitalismus, glaub ich. Scheint ganz gut zu funktionieren.«
Zwei junge Männer kommen den Balkon entlang. Als sie Monty erkennen, klopfen sie ihm auf den Rücken und rufen ihm etwas ins Ohr. Beide haben sie teure Anzüge an, keine Krawatten, die Hemden offen, dicke Goldketten um den Hals. Slattery sieht den Tanzenden zu. Nun sagt der Tätowierte etwas zu Mary. Mary packt ihn beim Gürtel und fängt an, ihm die Hüften gegen das Becken zu stoßen.
»Noch sechs Monate«, sagt Monty, nachdem seine Freunde gegangen sind.
»Sprich lauter!«, ruft Slattery, und Monty nickt.
»Noch sechs Monate, und ich wär zu dir gekommen und hätte gesagt: Guck mal, meine Kohle, was tu ich jetzt damit? Hätte dich machen lassen. Ein paar Aktien gekauft und aufgehört. Und zugeschaut, wie das Geld sich vermehrt. Sechs Monate noch. Ich bin zu gierig geworden. Das ist passiert. Ich bin zu gierig geworden, und dann hatten sie mich am Arsch.«
»Komm, hör auf, dir darüber Gedanken zu machen.«
»Quatsch. Ich kann überhaupt nicht aufhören, mir darüber Gedanken zu machen. Ich sag dir was, Frank«, entgegnet Monty leise. Slattery muss sich zu ihm hinüberbeugen, damit er etwas mitbekommt. »Ich überstehe das nicht. Ich hab mich immer für einen harten Burschen gehalten, ich hab immer gedacht, dass ich's mit jedem aufnehmen kann, aber das ist lachhaft. Ich werd's nicht überstehen. Da drin sind tausend Typen, die härter drauf sind als ich, und die werden mich fertig machen, die werden nichts von mir übriglassen. Schau mich an! Ich seh gut aus und bin weiß. Ich übersteh doch keine sieben Jahre da drin.«
»Doch, das wirst du. Dir wird nichts anderes übrig bleiben.«
»Du hörst mir nicht zu.«
»Du hast keine andere Wahl, Monty.«
»Was?«
»Du hast keine andere Wahl, hab ich gesagt!«
»Ich hab eine andere Wahl. Wenn ich mich dafür entscheide, dort morgen nicht hinzugehen, dann gehe ich dort morgen nicht hin.«
Slattery nickt. »Aber absetzen wirst du dich auch nicht. Wenn du dich hättest absetzen wollen, wärst du längst weg.«
»Ich setz mich nicht ab«, sagt Monty. »Es gibt noch einen anderen Ausweg.«
»Dummes Zeug«, sagt Slattery und schüttelt den Kopf. »Du musst stark sein...«
»Stark? Es ist vorbei, Bruder. Schluss, Ende, aus. Für was soll ich stark sein? Was soll ich deiner Meinung nach machen, mir auf die Lippe beißen, wenn sie auf mich losgehen? Erzähl mir doch nichts von stark. Du hast doch keine Ahnung.«
»Du bist fitter als die alle zusammen«, sagt Slattery. »Hörst du: Du bist fitter. Eine Woche, und du weißt, wie es da läuft, du kennst die Namen, die Spielregeln. Mach einfach...«
»Willst du wissen, was da abgehen wird in der ersten Nacht? Pass auf. In der ersten Nacht wird's überfüllt sein da, und sie werden im Kraftraum Feldbetten aufstellen, um alle unterzubringen. So weit alles klar? Als nächstes werd ich mitkriegen, wie die Wärter alle rausgehen, wie sie lachen und mich angucken und die Köpfe schütteln. Hey, Weißkäse, da hast du dir aber was eingebrockt. Bamm, lieg ich auf dem Boden und hab das Knie von irgendeinem Packer im Kreuz. Ich versuch wegzukommen, aber es sind zu viele. Einer von denen fängt an, mir mit 'nem Stück Rohr die Fresse zu polieren. Er schlägt mir die Zähne raus; ich verschluck mich an meinem eigenen Blut. Die treten mir in die Rippen, und ich muss kotzen, und da sind Zähne mit drin, ich seh meine Zähne da in der Kotze liegen. Die schlagen sie mir raus, die schlagen sie mir komplett raus. Weißt du warum? Damit ich ihnen die ganze Nacht lang einen blasen kann, ohne dass sie Angst haben müssen, dass ich ihnen was abbeiße. Die machen mich zum Sexspielzeug für jeden Schwulen, der da rumläuft. Und selbst wenn ich das alles überstehe, wenn ich sie durchhalte, diese sieben Jahre abzüglich vierundachtzig Tage für gute Führung. Was dann? Ich werd vierunddreißig sein, wenn ich rauskomme. Was hab ich dann wohl für Chancen? Als was soll ich dann arbeiten? Ich werd ein abgefuckter Ex-Sträfling mit 'nem Gebiss von der Fürsorge sein. Was für einen Scheiß redest du da eigentlich? Ich hab mir das genau angeschaut, Frank, kannst du glauben. Ich habe mir die Möglichkeiten genau angeschaut.«
»Vierunddreißig ist doch kein Alter. Hörst du? Hey, hör mir zu, bitte. Dann bist du immer noch jung. Ich werd's geschafft haben bis dahin, ich werd meine eigene Firma haben. Du und ich, wir werden zusammen was auf die Beine stellen. Nein, hey, hör zu. Ich werd arbeiten, Monty, sieben Jahre lang werd ich arbeiten. Ich werd härter arbeiten als diese ganzen Säcke von der Ivy League. Und wenn du wieder rauskommst..dann stellen wir was auf die Beine zusammen. Ich werd ein Restaurant kaufen oder eine Kneipe in der Upper West Side. Lässt sich eine Menge Geld verdienen mit einer anständigen Kneipe. Ich schieß die Kohle rein, und du führst den Laden, damit kriegen wir das ganze Viertel. Zwei irische Jungs aus Brooklyn, was soll da schief gehen, Herrgott noch mal? Jungbier am St. Paddy's Day und Montagabends zum Football Frei-Hotdogs. Scheiße, ich werd sogar einmal in der Woche an der Tür stehen, das hab ich seit dem College nicht mehr gemacht. Denk drüber nach. Altmodische Jukebox in der Ecke, hinten ein Pool tisch...«
»Frank, kann ich dir mal was sagen? Ist wirklich ein nettes Angebot, ja? Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es so kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir zwei Zusammenarbeiten werden. Dass Jake und ich wieder um die Häuser ziehen werden. Dass ich noch mit Naturelle zusammen sein werde. Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Von denen hab ich nichts gesagt«, sagt Slattery leise. Monty sieht ihn nicht an; er zeigt keinerlei Anzeichen, dass er es gehört hat, also spricht Slattery lauter. »Von Jake hab ich nichts gesagt. Und von Naturelle auch nicht.«
»Nur von dir, ja?«
»Jetzt sag mir bitte mal was, ja? Hab ich dir je was versprochen und es dann nicht gehalten? Hab ich das je getan? Hab ich je gesagt, ich war da und da, und bin dann nicht da gewesen?«
Monty schweigt einen Moment lang, betrachtet seine Hände. »Nein.«
»Ich sage dir also, ich werde da sein, und dann werde ich auch da sein.«
»Gut«, entgegnet Monty. »Aber morgen wirst du nicht da sein.«
Slattery nickt und sagt nichts.
»Darum muss ich dich um etwas bitten. Du bist mein Bruder, stimmt's, mein bester Freund?«
»Das weißt du.«
»Du musst etwas für mich machen.«
Slattery wartet.
»Nicht hier«, sagt Monty. »Hier können wir das nicht machen. Kannst du später mit Jake und mir mitkommen? Ich geb ihm Doyle.«
Slattery lächelt. »Ich hatte Angst, du willst ihn mir geben.«
»Nee, Doyle kann dich nicht leiden. Wir hauen hier bald ab. Wir sehen uns im VIP-Raum, ja? Ich muss mich noch von ein paar Leuten verabschieden. Klingt das gut?«
»Was immer du willst«, sagt Slattery. »Das weißt du.«
»Gut.« Monty sieht wieder zu den Tanzenden. Der Mann mit dem freien Oberkörper liegt zusammengerollt auf dem Boden, die Hände zwischen den Beinen. Mary und Naturelle sind nirgendwo zu sehen. »Unser Freund Jake«, sagt Monty, »hat sich jemand Fittes ausgeguckt.«