13

Uncle Blue greift zu seinem Besteck mit den Holzgriffen, schneidet sein Steak mittendurch und begutachtet das Fleisch. Das Lendensteak hat zu lange gebraten, es ist rosafarben statt rot in der Mitte, und Uncle Blue winkt seinen Ober mit dem Finger heran. Der Ober kommt angeschossen.

»Es ist nicht blutig. Ich möchte gern ein anderes.«

»Tut mir Leid, kommt sofort. Ich habe blutig draufgeschrieben.«

»Fein. Und noch ein Glas Wein.«

Der Mann, mit dem Uncle Blue zusammensitzt, ist braun gebrannt und trägt einen schönen blauen Anzug. Die weißen Manschetten schauen genau zwei Zentimeter aus den Ärmeln hervor, seine Fingernägel sind gepflegt und poliert. Vor ihm steht ein Teller mit gegrilltem Tintenfisch.

»Bitte«, sagt Uncle Blue, »essen Sie.«

»Man sollte meinen, dass der Besitzer eines Restaurants ein anständig gebratenes Steak bekommt.« Der braun gebrannte Mann beträufelt seinen Tintenfisch mit Zitronensaft. »Aber das hier scheint gut zu sein.«

»Das hoffe ich, Mr. Gedny. Der Koch hat das Rezept von mir.«

»Mhm. Sehr gut. Und auch eine ordentliche Portion.«

Uncle Blue schmunzelt. »Normalerweise sind die Portionen nicht so groß; sonst würden wir nichts dran verdienen.«

»Aber ich esse mit dem Boss.« Gedny tupft sich den Mund mit der Serviette ab und sieht aus dem Fenster. »Schauen Sie nur, was da herunterkommt. Mein Auto wird völlig zuschneien.«

Sie sitzen auf dem privaten Balkon über dem Restaurant. Weißgekalkte Wände, Lehmsteinfliesen, bunte Plakate mit dem Parthenon bei Sonnenaufgang und Santorini am Abend. Die Tische unten im Hauptraum - Glasplatten auf kleinen dorischen Säulen - sind unbesetzt und nicht gedeckt; die Leute bleiben zu Hause heute Abend, sie haben keine Lust, mit dem Auto oder zu Fuß in einem Schneesturm unterwegs zu sein.

»Haben Sie heute Morgen mit Brogan gesprochen?«, fragt Uncle Blue.

»Hab ich, ja.«

»Wie war Ihr Eindruck?«

Gedny greift zu seinem Wein. »Im Augenblick liebt er das Leben natürlich nicht..., aber ich weiß nicht. Er ist schwer zu durchschauen.«

»Das weiß ich. Das ist es ja, was mich stört.«

»Also einen Deal haben sie mit dem Jungen nicht gemacht. Mit hundertprozentiger Sicherheit nicht. Dann würden sie ihn doch nicht nach Otisville schicken.«

»Wir reden über menschliches Verhalten, Mr. Gedny. Da gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Denken Sie nicht, das wären Idioten. Denken Sie nicht, die würden uns nicht aus tricksen wollen.«

»Das ist es doch gerade«, sagt Gedny. »Das sind keine Idioten. Die würden ihn doch auf gar keinen Fall hier frei herumlaufen lassen, wenn sie einen Deal mit ihm gemacht hätten. Da wäre er doch sofort von der Bildfläche verschwunden. Da würde er doch nicht mehr in mein Büro spaziert kommen. Wer einen Deal auf Bundesebene macht, landet doch nicht in Otisville. Nein, der Junge hat dichtgehalten.«

»Bis jetzt.«

Gedny nickt, den Mund voller Tintenfisch. »Bis jetzt. Ich mache mir nicht allzu viele Sorgen wegen ihm. Der Bursche ist fit. Er hat was im Kopf.«

»Und seine Freundin, was machen die Bullen mit der?«

»Sie haben einen Haufen Lärm gemacht, dass sie sie wegen Beihilfe anklagen würden, aber dann ist nichts passiert. Sie hat ihnen gesagt, dass sie von nichts gewusst habe, und sie haben ihr kein Wort geglaubt und sich nicht weiter darum gekümmert. Sie ist draußen aus der Sache.«

Uncle Blue sieht zu, wie der Ober mit mehreren Tellern auf dem Arm die Wendeltreppe heraufkommt.

»Hier ist Ihr Steak. Der Koch lässt sein Bedauern ausrichten. Er bittet Sie, dies hier einmal zu probieren, die Garnelen. Er hätte gern Ihre Meinung zu der Soße gewusst.«

»Gut, Dankeschön.«

»Darf ich den Herren noch etwas bringen?«

»Im Augenblick nicht. Vielen Dank, Jeremy. Sag Victor, dass ich später mit ihm sprechen möchte.« Der Ober nickt und geht wieder. Uncle Blue schneidet das Steak auf und begutachtet die Farbe.

»Und? Richtig diesmal?«, fragt Gedny.

»Perfekt. Was sagten Sie gerade?«

»Brogan. Der Bursche ist fit. Er wird das schon machen.«

»Er ist weich«, sagt Uncle Blue und sieht auf die Uhr. »Er wird nicht lange durchhalten da drin.«

»Er wird nicht drum herum kommen. Bundesgefängnis, das heißt einen Tag Haftverkürzung für jeden Monat mit guter Führung. Wir reden von achtundvierzig Tagen in sieben Jahren. So schnell kommt Ihr Junge nicht wieder heraus.«

»Nein«, sagt Uncle Blue.

»Sehen Sie ihn noch einmal, vorher?«

»Später — heute Abend.«

»Eine Abschiedsparty, ja?« Gedny nickt. »Wo denn, im VelVet? Das wird Spaß machen. Mir ist einiges zu Ohren gekommen über die Partys dort.«

»Sie werden nicht dabei sein, Mr. Gedny.«

»Ich weiß, ich sag ja nur, dass sie bestimmt Spaß machen. Was muss ich tun, um mich für eine dieser besonderen Vel- Vet-Partys zu qualifizieren? Außer mich für sieben Jahre hinter Gitter zu bringen.«

Einen Moment lang kaut Uncle Blue schweigend sein Steak und spült es mit Rotwein hinunter. »Gewinnen Sie mehr Prozesse.«

Gedny leckt sich die Lippen. »Hören Sie, die haben sechshundertfünfzig Gramm in dem Sofakissen von Ihrem Jungen gefunden. Die haben jeden weißen Junkie auf der East Side dazu gekriegt, Brogan als den Dealer zu benennen. Dumm gelaufen. Was soll ich da machen? Es ist Bundesrecht; da git's nichts zu streiten. Mit wem soll ich mich denn streiten, mit den Scheiß-Gitterstäben oder was? Achtundsiebzig bis siebenundneunzig Monate, automatisch. Der Richter sagt vierundachtzig, also sind's vierundachtzig. Ich hab dem Jungen die U-Haft erspart, hab ihm noch ein paar zusätzliche Monate draußen verschafft. Mehr als das...«

»Die haben ihm die U-Haft erspart. Das macht mir Sorgen. Als sie Maravai schuldig gesprochen haben, wurden ihm noch im Gerichtssaal die Handschellen angelegt und zack, saß er in der Zelle. Brogan darf als freier Mann aus der Tür spazieren. Vor der Verkündung des Strafmaßes ist er frei, und nach der Verkündung des Strafmaßes ist er frei, bis zu seinem Haftantritt. Die Gefängnisbehörde hat ihm aufgetragen, sich direkt bei der Strafanstalt zu melden. Das erscheint mir ungewöhnlich.«

»So ungewöhnlich nun auch wieder nicht«, erwidert Gedny und schenkt sich Wein nach. »So lange es nicht um Gewaltverbrechen geht, passiert das sogar ziemlich häufig. Maravai...«

»Es macht mich misstrauisch, Mr. Gedny. Es lässt mich denken, dass das DEA den Richter vielleicht darum gebeten hat. Es lässt mich denken, dass sie ihn immer noch umzudrehen versuchen. Er geht täglich zu einem Bewährungshelfer des Bundes, nicht? Worüber reden die da?«

Der Anwalt zuckt die Schultern. »Über so gut wie gar nichts. Er muss sich melden. Sie wollen einfach sichergehen, dass er in der Gegend bleibt. Wissen Sie, warum Maravai in U-Haft gehen musste? Er ist schwarz und vorbestraft. Brogan ist nie wegen irgendetwas angeklagt worden. Er ist weiß, sieht gut aus, und der Richter fand ihn sympathisch, der Richter fand seinen Dad sympathisch. Sein Dad hat die eigene Kneipe als Kaution gestellt, das zählt enorm. Ich glaube nicht, dass das DEA irgendetwas damit zu schaffen hat.«

»Die wissen mehr, als Sie glauben, Mr. Gedny. Die sind schnurstracks zu Brogans Sofa spaziert. Die haben genau gewusst, wo sie suchen mussten. Wenn Brogan die Wahrheit sagt, dann ist er verpfiffen worden.«

Gedny zeigt erst an die Decke und dann auf sein Ohr. »Wir sollten nach dem Essen ein bisschen spazieren gehen. Unsere Überschuhe anziehen und einen kleinen Spaziergang machen.«

»Das Restaurant ist sauber.«

Gedny spießt mit der Gabel eine Garnele auf, befördert sie auf seinen Teller, schneidet den Schwanz ab. »Oh, ganz bestimmt. Und ganz bestimmt haben auch alle gedacht, das Ravenite wäre sauber. Aber ich würde trotzdem gern spazieren gehen. Muss ja nicht weit sein... Ihre Vermutung trifft zu.« Gedny beißt von der Garnele ab und hebt die Brauen. »Das ist eine ganz hervorragende Garnele.«