11
»Pass auf«, sagt Kostya. Er macht den Rücken rund und feuert zwei linke Jabs ab, so wuchtig, dass seine beringte Faust dabei verschwimmt. »Siehst du? Ganz gerade Linie. Du willst nicht im Bogen herumkommen. Das gibt7s bloß im Kino, nicht? Sylvester Stallone feuert Riiiesen-Schlag ab, so...« Er führt den ungeeigneten wilden Schwinger vor. »Du willst schnell sein, nicht? Schnell. Was ist der schnellste Weg von A nach B?«
»Die gerade Linie«, sagt Volandes.
»Die gerade Linie. Ja. Punkt A ist meine Faust hier, Punkt B ist sein Kinn. Siehst du? Warte, ich will mir nicht ins Hemd schwitzen.« Kostya knöpft sich das orangefarbene Seidenhemd auf. »Das hab ich in Miami gekauft.«
»Hey, willst du dich in meinem Büro nackt ausziehen, oder was?« Volandes sitzt am Schreibtisch seines engen, fensterlosen Büros und hat die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Die Wände sind mit gerahmten Fotografien von Volandes und der New Yorker Halbprominenz behängt: der Wetterfrosch eines lokalen Fernsehsenders, der Bürgermeister der Bronx, ein Fänger der New York Yankees, ein Radio- Deejay, Models, Schauspieler, Sängerinnen. Auf sämtlichen Bildern stellt Volandes, ein kleiner Mann mit einer schwarzen Lockenmähne, das immer gleiche Zahnlückengrinsen zur Schau, das Nachtklubgeschäftsführergrinsen. Die Prominenten lächeln müde in die Kamera.
»Du hast keine Ahnung von guter Kleidung, mein Freund. In Seide schwitzt man nicht.«
Kostya legt das Hemd sorgfältig zusammen und deponiert es auf Volandes leerem Schreibtisch.
»Ich trag keine Seide. Zu mühsam zu waschen. Du wirst fett, Novotny.« Volandes kann die Augen nicht von dem Holster hinten an Kostyas Gürtel abwenden. Aus dem untenoffenen Leder lugt der schwarze Stahl lauf einer Automatik hervor.
»Seide ist wie Haut vom Schenkel einer Jungfrau«, sagt Kostya und streckt die dicken Arme über den Kopf. »Frauen sehen einen Mann in Seide, und sie wissen, er hat Stil. Sie wissen, er hat Geld. Jetzt pass auf.«
Volandes lacht. »Sie wissen, er hat Stil, weil er die Haut vom Schenkel einer Jungfrau trägt?«
»Pass auf. Amerikanische Boxer, sie lernen im Ghetto kämpfen. Sie sind Streetfighter. Manche sind sehr gute Streetfighter, aber ohne Technik, ohne Kunst. Das hier ist amerikanischer Boxer.« Kostya feuert eine Links-Rechts- Links-Kombination ab, mit hoch erhobenem Kopf. »Gute Schläge, ja, aber guck.« Er wiederholt die Kombination. Sein behaarter Bauch schaukelt sachte dabei. »Keine Deckung. Siehst du? Gesicht ist...«
»Ungeschützt.«
»Ja, Gesicht ist ungeschützt. Körper auch! Amerikanische Boxer, sie zielen nie auf Körper. Jeder will Knockout schlagen. Sie wollen den Treffer der Treffer landen. Keine Disziplin, diese Kämpfer. Wo ich herkomme, Ukraine, wir trainieren von klein auf, und wir lernen Technik. Amerikanische Boxer sehr gute Athleten. Aber Technik, nein.«
»Wie kommt's dann, dass es keine ukrainischen Champions gibt?«
»Amateurchampions haben wir. Aber unsere Boxer kämpfen erst seit fünf, sechs Jahren in andere Länder. Bald werden wir Champion haben.«
»Der wirst aber nicht du sein, Kumpel. Nicht mit der Wampe.«
Kostya zuckt die Schultern. »Frauen mögen Männer mit Fleisch auf Rippen. Siehst du die hier?« Er fährt mit den Fingern eine lange, grobe Narbe entlang, von seinem Nabel hinunter zum Bund seiner Wollhose. »Als ich zwölf war, ich erwische Soldaten, wie er meine Mutter vergewaltigt. Ich schreie, ich schlag ihn, ich versuche ihm in die Eier zu treten. Er zieht Messer und schlitzt mich auf. Meine Mutter, sie versucht, sie mir wieder reinzuschieben. Meine... wie sagt man, Schlingen?« Kostya malt mit dem Finger Schlingen in die Luft.
»Därme?«
»Meine Därme kommen raus. Also schiebt sie sie wieder rein. Sehr schlimm. Aber guck...« Kostya schlägt sich mit der Faust auf die Brust. »Ich hab's überlebt. Bin großer Mann jetzt. Später erfahre ich, er hat meine Mutter nicht vergewaltigt. Tja. Was soll ich sagen? Er war gar nicht so schlechter Mensch. Er hat mich in Krankenhaus gefahren.«
»Nachdem er dich aufgeschlitzt hat?«
»Ja, aber er hat sich große Vorwürfe gemacht. Ich hab ihm Schrecken eingejagt. Er ist frisch aus Afghanistan zurück. Also schlitzt er mich auf, ja, aber dann er fährt mich in Krankenhaus, und wir werden Freunde.«
Volandes pfeift. »Und ich dachte, die Bronx wär Scheiße.«
»Dieser Mann, dieser Soldat, er ist jetzt mein Schwiegervater.«
»Dein Schwiegervater?«
»Nein nein, wie sagt man, wenn er meine Mutter heiratet...«
»Stiefvater?«
»Stiefvater! Ja. Er ist mein Stiefvater. Immer noch in Ukraine, mit meiner Mutter zusammen. Guter Mann. Ich schick ihnen Geld; es geht ihnen gut. Kein Geld in Ukraine.«
»Wo wir grad von Geld reden«, sagt Volandes, »erzähl mir von heute Abend.«
»Frauen sind verrückt nach Narben«, sagt Kostya und reibt sich die zerklüftete Haut.
»Du weißt alles über Frauen, was? Wenn du so viel über Frauen weißt, wie kommt7 s dann, dass du nachts um fünf immer mit irgend so 'ner Mutter abziehst?«
»Frauen sind verrückt nach Narben«, sagt Kostya noch einmal. »Sie wissen, ein Mann hat Narbe, er hat was erlebt.«
»Du meinst also... Warte mal, ich will sehen, ob ich das kapiert habe. Du meinst also, Frauen stehen auf fette Kerle im Seidenhemd, die Narben haben? Aknenarben, zählen die auch?« Volandes fährt mit den Händen über seine pockennarbigen Wangen. »Das Fett hab ich ebenfalls. Gut, jetzt erzähl mir, was heute Abend laufen soll.«
»Wir brauchen den VIP-Raum. Mit zwei Leuten Personal. Wer ist an der Tür, Khari?«
»Es ist Donnerstagabend. Du willst, dass ich den VIP- Raum die ganze Nacht dicht mache?«
»Uncle Blue will den VIP-Raum.«
Volandes seufzt. »Na schön. Wenn er unbedingt will — ist ja sein Laden. Wird mordsmäßig was los sein heute Abend. Dieser Deejay, den ich gebucht habe, irgendso 'n Bursche aus Queens, der ist wie Jesus Christus grade. Egal wo er ist, er schart immer seine Jünger um sich. Die Kinder von sämtlichen High Schools der fünf Boroughs werden heute Abend hier rein wollen.«
Kostya nimmt sein orangefarbenes Hemd und schlüpft hinein. »Minderjährige? Sehr gefährlich. Willst du, dass Polizei kommt?«
»Nein«, sagt Volandes. »Ich hab gesagt, dass sie rein wollen. Ich hab nicht gesagt, dass sie auch reinkommen.«
»Macht Khari den VIP-Raum heute?«
»Nein, Khari arbeitet vorne. Ich brauch ihn draußen - bei der Hölle, die da los sein wird. Wenn du früher damit gekommen wärst, hätte ich gesagt, macht das an einem anderen Abend. Die drehen komplett durch, wenn dieser Deejay auflegt.«
»An einem anderen Abend?«, fragt Kostya und schiebt sich das zugeknöpfte Hemd in die Hose. »Montgomery geht morgen ins Gefängnis. Du willst, dass wir die Party für ihn morgen machen?«
»Wie wär's mit gestern gewesen? Gestern war nichts los hier.«
Kostya macht ein finsteres Gesicht. »Mein Freund geht morgen für sieben Jahre ins Gefängnis. Und du erzählst mir was von voll? Von deinem Deejay?«
»Schon gut«, sagt Volandes und hebt die Hände. »Tut mir Leid. Ich kann Monty gut leiden; er ist in Ordnung. Also gut, zwei Leute für den VIP-Raum. Ich werd Oscar an die Tür stellen. Mädchen?«
»Zwei Mädchen. Vielleicht auch drei. Er steht auf - er steht auf alle möglichen, aber am meisten auf kleine, dunkle. Puerto-Ricanerinnen. Er steht auf Puerto-Ricanerinnen.«
»Lässt sich machen.« Volandes greift zum Hörer und drückt einen Knopf. »Roz und Maggie sollen kommen... Was? Wo ist sie abgeblieben...? Ach, du Kacke. Dann treibt sie auf, ja? Und sag Roz, dass sie bei mir vorbeischauen soll.« Er legt den Hörer wieder auf die Gabel.
»Champagner«, sagt Kostya. »Er steht auf Champagner.«
»Was meinst du, sechs Flaschen?«
»Zwei Kartons. Cristal.« Volandes lächelt. »Hat einen teuren Geschmack, dieser Monty. Wenn ihr Cristal wollt, will ich das von Uncle hören. Dieses Zeug ist zu...«
Kostya legt die schweren Hände auf Volandes Tisch und sieht dem kleinen Mann ins Gesicht. »Mein Freund geht morgen für sieben Jahre nach Otisville. Und du sitzt hier...«
»Ist ja schon gut«, sagt Volandes.
»Zwei Kartons.«
»Meinetwegen. Was noch?« Volandes tippt sich an den Nasenflügel.
»Nein«, sagt Kostya. »Das nicht.«
Eine schlanke Frau mit bronzefarbener Haut und gebleichten Haaren kommt herein.
»Himmel, Roz«, sagt Volandes. »Was hast du mit deinem Kopf angestellt?«
»Ich hab mir gestern die Haare gefärbt.«
»Du hast dir gestern die Haare gefärbt. Ja, klasse. Wer hat gesagt, dass du das machen sollst? Schon gut, vergiss es. Du hast Glück heute Abend - du wirst einen Freund von uns kennen lernen. Der sieht wie ein Filmstar aus, unser Freund. Was bist du, Puerto-Ricanerin?«
»Jemenitin«, sagt sie.
»Jemenitin?« Volandes hebt die Brauen. »Na, was solTs. Du erzählst ihm jedenfalls, dass du Puerto-Ricanerin bist. Unser Freund steht auf Latinas.«
»Ich bin keine Puerto-Ricanerin.«
»Ich weiß, dass du keine Puerto-Ricanerin bist. Du brauchst ja auch nicht groß zu schauspielern. Halt einfach den Mund, wenn du mit ihm zusammen bist, ja? Nein, hey, Mund halten. Fang gleich mal an zu üben. Kein Gequatsche, ja?«
»Jemen«, sagt Kostya. »Jemen grenzt an Saudi-Arabien und Oman. Ja?«
Roz schmunzelt. »Du bist kein Amerikaner.«
»Ich bin aus Ukraine.«
»Amerikaner«, sagt Roz, »haben keine Ahnung, wo was liegt.«
»Hoppla«, sagt Volandes. »Wenn der Jemen und die Ukraine so toll sind, warum seid ihr dann beide hier?«
»Bildung«, sagt Kostya, »ist sehr schlecht in Amerika. Ihr kennt eure eigene Geschichte nicht. Weißt du, wann euer Bürgerkrieg war?«
»Unser Bürgerkrieg, von wegen«, sagt Volandes. »Meine Eltern sind 1959 hergekommen.«
»Dieses Hemd«, sagt Roz und reibt das Gewebe von Kostyas Hemd zwischen Daumen und Zeigefinger, »sehr schön.«
»Gefällt7 s dir? Seide.«
»Sehr schön.«
»Dieses Hemd hab ich in Hongkong gekauft. Die machen beste Hemden der Welt in Hongkong.«
»In Miami machen sie auch ganz gute Hemden«, sagt Volandes.
»Euer Freund«, sagt Roz. »Er ist bekannter Schauspieler?«
Kostya nickt. »Sehr bekannt. Viele Filme. Schaust du gerne Filme an?«
»Gute Filme schon.«
»Ich glaube«, sagt Kostya, »wir zwei können heute Abend eine Menge Spaß haben.«
»Wir zwei und Freund?« Roz sieht zu Volandes und schüttelt den Kopf. »Nein, zu viel.«
»Nein«, sagt Kostya. »Nur wir zwei.« Er zieht einen prallvollen Geldclip aus seiner Gesäßtasche und wirft ihn auf Volandes Schreibtisch. »Wir zwei haben Spaß heute Abend. Ich zeig dir was«, sagt er und fängt an, sein Hemd aufzuknöpfen.
»Was hast du vor?«, fragt Volandes. »Willst du den Champagner auch gleich noch trinken oder was?«
»Sie ist keine Puerto-Ricanerin. Montgomery kann jemenitische Mädchen nicht ausstehen.«
Volandes schüttelt den Kopf und greift wieder zum Hörer. »Hey, habt ihr sie inzwischen aufgetrieben...? Herrgott noch mal. Jede Woche dasselbe Theater. Treibt ihr mir bitte zwei puerto-ricanische Mädchen auf...? Was? Was? Wir sind in New York, verdammt. Das kann doch nicht so schwer sein. Zwei Mädchen aus Puerto-Rico. Und, hey, ruf Eddie an und sieh zu, dass im VIP-Raum sechs Flaschen Cristal stehen.« Volandes schaut auf und sieht, dass Kostya mit Roz redet und ihr in die Taille zwickt. »Keinen Jahrgangs.«
Kostya schlüpft in sein Hemd und zieht den Bauch ein. »Ich war Boxer«, sagt er zu Roz. »Hier, probier meine Nase.«
Roz reibt Kostyas flach gedrückte Nase. »Ja«, sagt sie. »Der größte Boxer von allen ist Jemenit. Prinz Nasim.«
»Siehst du die?«, fragt er sie und zeigt auf seine Narbe.
»Ja, wie sagt man dazu? Schnitt?«
»Narbe«, sagt Kostya. Er beugt sich herunter und flüstert ihr ins Ohr. »Narbe.«
Roz lächelt. Sie fährt mit den Fingerspitzen die Narbe entlang, vom Nabel bis zu der Stelle, wo sie unter der Gürtellinie verschwindet. Kostya grinst Volandes an. »Große Narbe.«
»Ganzer Mann groß«, sagt Roz und tätschelt Kostya den muskulösen Arm. »Sehr groß.«
»Ja«, sagt Kostya und spannt den Muskel an. »Ganzer Mann groß.«