Kapitel 11
Natürlich habe ich Fehler gemacht. Ich hätte dieser Polizistin nicht erzählen dürfen, dass ich Karin zur Gemeindearbeit gebracht habe, wo es doch genau umgekehrt war. Ich bedachte nicht, dass sie nur Bertold hätte fragen müssen - er hätte ihr gesagt, dass Karin viel länger bei ihm beschäftigt war als ich, und schon hätte es ein Problem gegeben. Andererseits hätte auch die Wahrheit Fragen aufgeworfen - nach mir, meiner Situation nach der Scheidung, meinem entsetzlichen Zustand, nachdem du mich verlassen hattest und ich zu allem Überfluss auch noch meine Familie verlor.
So oder so, die Polizistin fragte Bertold offensichtlich nicht. Ich verbrachte einen schlimmen Nachmittag in der Erwartung heulender Sirenen vor meinem Haus, aber es passierte nichts. Ich war ein Risiko eingegangen, und es hatte sich gelohnt: Karin war nun die Frau, die Probleme hatte, und ich war aus allem fein raus. Eine weitere Entwicklung, an die ich fest glaubte, fand allerdings auch nicht statt. Ich war sicher, dass Bertold zumindest Milans Namen kennt, ich ihn also nicht nennen musste (wodurch meine Person weiter an Bedeutung verlor). Er und Karin hatten dieses »enge freundschaftliche Verhältnis«, von dem er immer erzählte, was aber offensichtlich nur in seiner Fantasie existierte. Er kannte den Namen nämlich wohl nicht. Ich war bestürzt, als ich merkte, wie die Polizei im Dunkeln tappte! Sollte ich die Polizistin anrufen, und mich - simsalabim - erinnern? Auf keinen Fall, das hätte mich verdächtig gemacht!
Ich dachte an einen anonymen Brief, an ein anonymes Telefonat - und tat erst mal nichts. Vielleicht würden sie dann ohne meine Hilfe draufkommen. Die Polizistin wirkte nicht unintelligent.
Ja, Milan, ich weiß, du findest das nicht fair. Ich hatte dich zu einem Mord verführt, und nun wollte ich dich hinhängen. So siehst du das. Aber falsch, mein Lieber. Ich hatte nichts dergleichen getan. Ich hatte dir lediglich zu verstehen gegeben, dass es ... nun ja ... bessere Chancen auf eine gemeinsame Zukunft mit Karin geben könnte, wenn ihr Mann nicht mehr ... da wäre. Ich ließ durchblicken, dass Karin sich nach einem Menschen sehne, der diese heikle Aufgabe für sie übernehme. Ich sagte, Karin habe mir das angedeutet.
Nun, das stimmte immerhin - fast. Karins Mann hatte sich im Lauf ihrer Ehe zu einem emotionalen Eisberg entwickelt. Er behandelte Karin »anständig« (was für ein armseliger Ersatz für Liebe und Zuwendung!), das heißt: Er war penibel, kalt, langweilig, lieblos, herzlos. Vernarrt in seine Arbeit und die Intelligenz seiner Tochter, blind für die Bedürfnisse seiner Frau. Karin blieb bei ihm, um ihrer Tochter eine Familie zu bieten, aus keinem anderen Grund.
Das war die Wahrheit, der ich, sagen wir, ziemlich nahe kam. Ich übertrieb ein wenig ihre Verzweiflung (das fiel mir leicht, denn mein Exmann war Thomas' Bruder im Geiste). Ich brachte immer wieder das Gespräch darauf. Ich bedauerte, dass Thomas eurer Liebe im Weg stand. Und dann kam Karin mir- ungewollt - zu Hilfe. Sie beendete eure Beziehung mit der Begründung, dass Thomas ihr nie verzeihen würde und ihr im Scheidungsfall die Tochter nehmen würde. Arme Karin. Sie dramatisierte ihre Situation, um überzeugend zu wirken und dich nicht zu kränken - natürlich ohne zu ahnen, was sie tatsächlich in dir auslöste.
Du glaubtest plötzlich zu wissen, was du tun musstest.
Ich bestärkte dich. Sanft und ausdauernd. Ich fühlte mich dir wieder so nahe wie früher. Ich dachte an eine gemeinsame Zukunft, tief im Süden, weit weg von hier. Ich hatte etwas Geld von einer Tante geerbt. Es war nicht viel, aber für ein bescheidenes Haus in einem warmen, armen Land hätte es bestimmt gereicht. Ich sah dich fischen gehen, braun gebrannt, mit nacktem Oberkörper. Ich sah mich am Ufer - einem Traumstrand - auf dich warten. Ich würde mich nur noch von Früchten und Gemüse ernähren. Ich bekäme wieder die Figur, die ich einmal hatte. Ich wäre wieder schön - für dich.
Schade, Milan, dass du mich so enttäuscht hast. Ich stellte dich auf die Probe, aber du hast versagt.
»Frau Faltermeier, ich zeige Ihnen jetzt vier Fotos von vier Frauen. Kennen Sie eine davon wieder?«
»Ja. Diese da. Ich glaube, das war sie.«
»Das war wer?«
»Die Frau, die auf der Lesung in Ohnmacht gefallen ist.«
»Die den Namen Milan gesagt hat?«
»Ja. Wenn sie's nicht war, sieht sie ihr sehr ähnlich.«
»Erst haben Sie gesagt, dass Sie sich nicht erinnern können...«
»Na ja, wenn man jemanden dann so vor sich sieht... Ich kann's nicht beschwören, aber ich bin mir wirklich relativ sicher.«
»Sie können jetzt nach Hause gehen. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Die Frau auf dem Foto war Theresa Leitner. Sie war doch auf dieser Lesung gewesen, auf der Milan Karin Belolavek das erste Mal gesehen hatte. Sie hatte Milan doch gekannt. Sie hatte gelogen. In jeder Beziehung. Mona wandte sich an Lemberger. »Kennen Sie den Mann auf dem Foto?«
»Nie gesehen. Wer ist das?«
»Er heißt Milan Farkas. Kannte die Schwester Ihrer Frau ihn?«
»Keine Ahnung.«
»Warum haben Sie sich von Ihrer Frau getrennt?«
»Darüber muss mein Mandant keine Auskunft geben«, schaltete sich Lembergers Anwalt ein, der inzwischen eingetroffen war.
»Doch, das muss er. Es handelt sich um einen Mordfall. Seine Tochter hatte etwas mit Milan Farkas zu tun. Die Schwester seiner Frau war mit einer Frau befreundet, die ebenfalls etwas mit Milan Farkas zu tun hatte.«
»Wer ist dieser Milan Farkas?«, fragte der Anwalt verwirrt. Er war ein dünner Mann, Ende dreißig mit blonden, über der Stirn schütter werdenden Haaren.
»Er ist tot. Herr Lemberger, sind Sie sicher...«
»Ich kenn den nicht. Keine Ahnung, wer das ist. Den Namen hab ich nie gehört. Kann ich jetzt gehen?«
»Sie haben nichts gegen meinen Mandanten in der Hand. Ich schlage vor...«
»Nein«, sagte Berghammer. »Erst will ich eine Antwort.«
Die Gesichter aller Anwesenden waren grau vor Erschöpfung. Jemand öffnete das Fenster, und ein kalter Luftzug ließ alle frösteln. Das Telefon klingelte. Mona hob ab.
»Theresa Leitner ist nicht zu Hause«, sagte sie zu niemand Bestimmtem, den Hörer in der Hand.
»Es ist zehn Uhr durch«, sagte Berghammer zu Lemberger. »Wo kann sie jetzt sein?«
Lemberger schloss die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken. »ICH WEISS ES NICHT. WIR HABEN NICHTS MITEINANDER ZU TUN.«
»Regen Sie sich wieder ab«, sagte Berghammer.
»Wartet vor der Haustür«, sagte Mona ins Telefon und legte auf. »Warum haben Sie sich scheiden lassen?«, fragte sie Lemberger.
»Mein Mandant...«, sagte der Anwalt.
»Mit Ihnen rede ich nicht!«
Der Anwalt schwieg erschrocken. Alle Anwesenden sahen Mona an. Sie wurde selten laut. Die Wirkung war durchschlagend.
»Die Tochter Ihres Mandanten«, sagte Mona mit scharfer Stimme in die plötzliche Stille hinein, »ist in einen Mordfall verwickelt. Ihre Tante Theresa vielleicht auch. Wenn Ihr Mandant nicht redet, erwirken wir einen Haftbefehl wegen Behinderung der Ermittlungen.«
Der Anwalt öffnete den Mund, aber Lemberger legte ihm die Hand auf den Oberarm, bevor er loslegen konnte. »Okay, Felix.«
»Du musst nicht...«
»Es ist in Ordnung, Felix. Ich mache eine Aussage. Oder wie man das nennt.«
Mona schaltete das Tonbandgerät ein und nickte der Protokollantin zu.
»Wo ist Ihre Tochter, Herr Lemberger?«
Lemberger sah erneut seinen Anwalt an, der leicht den Kopf schüttelte. Dann gab er sich einen Ruck. »Sie ist ... zurzeit in Behandlung. Drogen. Man nennt sie Psilos. Es sind halluzinogene Pilze, und man bekommt sie ganz legal in den Niederlanden. Sie ist von einem Trip... nicht mehr richtig heruntergekommen. Aber es geht ihr besser. Viel besser.«
Mona beugte sich vor: »Wo, Herr Lemberger. Wo?«
Lemberger sagte ihr die Adresse. »Ich kläre das«, sagte Berghammer und ließ sich von Lucia die Telefonnummer der Einrichtung geben.
Mona atmete tief aus. Ihre Haut fühlte sich klebrig an, ihre Augen brannten. Seit drei Tagen hatte sie kaum geschlafen und nichts mehr von Lukas oder Anton gehört. Es hatte durchaus Minuten gegeben, in denen sie hätte anrufen können - wenigstens das. Aber je länger sie zögerte, desto schwerer fiel es ihr. Heute Nacht würde sie wieder nicht nach Hause kommen. Nicht bevor Theresa Leitner und Kai Lemberger hier waren. Nicht bevor sich alles geklärt hatte.
»Ihre Exfrau«, nahm sie den Faden wieder auf, »warum haben Sie sich getrennt?«
Lembergers Gesicht schien unbewegt, nur seine Kiefermuskeln arbeiteten. Wieder senkte sich Stille über den Raum. Schmidt, Forster, Fischer saßen stumm im Hintergrund, Mona und Berghammer nahe bei ihrem Zeugen. Der Anwalt sagte nichts mehr.
»Ihre Exfrau...«, begann Mona von neuem.
»Sie hat... mich verlassen. Mit einem anderen. Einem Italiener. Hat mir unsere Tochter überlassen. Reicht das?«
»Sie haben keinen Kontakt mehr?«
»Gar keinen.«
»Und Ihre Tochter?«
»Nicht dass ich wüsste. Marion lebt jetzt in Italien. Bei ihrem neuen...«
»Theresa Leitner. Welche Rolle spielte sie dabei?«
»Sie kümmerte sich um uns... in den ersten Tagen. Nein, eigentlich waren es Wochen. Sie hatte ebenfalls eine schlimme Scheidung hinter sich. Kai hat sich in dieser Zeit sehr eng an sie angeschlossen. Theresa war wie ein Mutterersatz für sie.«
»Wann endete diese ... gemeinsame Zeit? Mit Theresa Leitner?«
Lemberger sagte nichts. Sein Anwalt richtete sich auf, wachsam. »Du weißt, du musst hier nichts...«
»Ja«, sagte Lemberger. »Ich ... äh. Ich war leider gezwungen... also, ich habe ihr nach ungefähr zwei Monaten gesagt, dass sie gehen soll. Sie... äh... schien sich mehr von der ganzen Sache erwartet zu haben, und ich...«
»Theresa Leitner hat Sie angemacht, und Sie hatten kein Interesse«, fasste Mona zusammen.
»So kann man es nennen... ungefähr. Ich... mich hat das alles überfordert, die Scheidung und dann Theresa mit ihren ... Wünschen. Kai hat davon gar nichts mitgekriegt und war sehr böse auf mich. Ich hatte ihr nicht die Wahrheit gesagt... aus ihrer Sicht musste mein Verhalten...«
»Undankbar und gemein wirken?«
»Ja.«
»Sie hatten dann keinen Kontakt mehr zu Theresa Leitner?«
»Keinen. Ich weiß aber, dass Kai den Kontakt gehalten hat, und dagegen konnte ich ja schlecht was sagen.«
»Wissen Sie, weshalb die Scheidung bei Theresa Leitner zu Stande kam?«
Lemberger schwieg wieder und warf seinem Anwalt einen Blick zu. Der Anwalt sah beleidigt weg.
»Ich glaube schon«, sagte Lemberger dann.
»Und zwar?«
»Sie hat offenbar alles... vernachlässigt. Den Haushalt, alles.
Sie war manchmal tagelang nicht ansprechbar. Die Ärzte tippten erst auf eine Depression. Sie hat nur noch vor sich hin geträumt und gegessen. Aus dem Kühlschrank heraus dicke Käse- und Schinkenscheiben ohne Brot. Sie hat nicht mehr gekocht...«
»Sie war krank«, stellte Mona fest.
»Schließlich konnte meine Frau - damals lebte sie noch bei uns - Theresa davon überzeugen, dass sie sich einliefern lassen musste. Sie brachte sie also in ein Landeskrankenhaus...«
»Die Psychiatrie.«
»Sie setzten sie dort unter Medikamente. Es ging mehrere Wochen lang. Marion hat täglich mit einem der behandelnden Ärzte telefoniert, aber die stehen ja unter Schweigepflicht. Die Details müssen Sie Theresas Exmann fragen. Irgendwann kam sie jedenfalls wieder raus, halbwegs auf dem Damm.«
»Aber?«
»Das müssen Sie ebenfalls ihren Exmann fragen. Die Ehe war danach... wohl irgendwie zerrüttet, oder wie man so sagt.«
»Okay. Noch mal zu Kai. Wie ist Ihr Verhältnis zu Kai?«
»Schlecht. Sie redet nicht mehr mit mir. Ich kenne ihre Freunde nicht, ich weiß nicht, was sie in ihrer Freizeit tut. Sie hat... die Schule abgebrochen.«
»Wussten Sie, dass sie spiritistische Sitzungen abhält?«
»Was?«
»Zusammen mit Maria Belolavek und einer ... dritten Person. Sie haben ... äh... den Teufel kontaktiert. Satan. Jedenfalls haben sie sich das eingebildet.«
Lemberger sah Mona müde an. »Keine Ahnung. Sie wissen nicht, wie das mit Achtzehnjährigen ist. Man hat sie nicht mehr in der Hand. Wenn sie nicht wollen, hat man nichts in der Hand.«
»Ich kann mir denken, was Sie meinen.«
Lemberger sah sie an. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, das sofort wieder verschwand. »Selber Kinder?«
»Ja.« Auch Mona lächelte. Lemberger wusste nichts, so viel stand fest. Kai Lemberger war auf dem Weg hierher, aber offenbar noch nicht ansprechbar. Und Theresa Leitner war nicht zu Hause. Was machte eine Frau wie sie abends nach zehn? Hatte sie Freunde? Einen Liebhaber? Ging sie allein aus? Nichts davon klang sehr wahrscheinlich.
»Wo könnte Theresa Leitner Ihrer Meinung nach sein, wenn sie nicht zu Hause ist? Hat sie ... irgendwelche Interessen? Freunde? Ein Opernabo?«
Lemberger schüttelte den Kopf. »Als sie bei uns war... gab es niemanden. Sie geht nicht ins Theater, soviel ich weiß. Sie ist eher...«
»Einsam?«
»Eher, ja.«
»Kann sie verreist sein? In Urlaub?«
Lemberger dachte nach. »Sicher. Ich meine... warum nicht? Sie ist zwar eigentlich nicht gerade der Typ fürs Reisen...«
»Gibt es ein Reiseziel... irgendwas, wo sie immer mal wieder hinfährt?«
Mona kam eine Idee. Irgendwoher, aus dem Dunkeln.
Ein undeutliches Szenario nahm Gestalt an.
»Keine Ahnung.«
Das Szenario wurde klarer, lichter.
»Hat sie vielleicht ein ... Haus? Ein Ferienhaus, etwas in der Art?«
Lembergers Gesicht veränderte sich. Ganz leicht. Nur eine Nuance. »Also... ja. Da gibt es das Haus von Theresas Tante. Sie hat mir mal davon erzählt, und wir sind auch mal hingefahren, als sie bei uns wohnte. Sie hat es vor anderthalb Jahren geerbt. Das und etwas Geld. Marion hat nichts bekommen und war stinksauer deswegen.«
»Ein Haus? Hier in der Nähe?«
»Auf dem Land, ja. Sehr idyllische Gegend. Ein kleiner See ist in der Nähe...«
»Außer ihr hat keiner einen Schlüssel?«
»Nur sie, denke ich.«
»Niemand wohnt dort?«
»Damals stand es jedenfalls leer. Warum...«
»Wo liegt es genau? Wissen Sie das noch?«
»Eine Stunde von hier, ungefähr.«
»Würden Sie es finden?«
»Ich denke ja.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Mona zu Berghammer. Ihr Herz begann zu klopfen. Schwer und dumpf.
»Was?«, fragte Berghammer verwundert.
»Die Belolavek und ihre Tochter sind spurlos verschwunden. Wo geht das leichter als in einem Haus irgendwo auf dem Land? Wer kann sie dort am besten unterbringen? Ihre beste Freundin Theresa!«
»Du hast diese Leitner ... nie danach gefragt?«
»Natürlich nicht. Sie hatte mich damals von sich aus angerufen, sie hatte mir diese Geschichte mit dem Liebhaber erzählt...«
»Du bist... Wir sind davon ausgegangen, dass sie alles sagt, was sie weiß.«
»Ja. Sicher. Das war falsch.«
Berghammer seufzte. Nie von etwas ausgehen, das man nicht geprüft hat. Erste Regel jeder Ermittlungsarbeit. Keine wurde häufiger gebrochen.
Am liebsten hätte ich Karin tot gesehen, dieses brave Mädchen, das dich benützt hat, um ein bisschen Abenteuer zu spielen. Aber da hätte ich mir selbst die Hände schmutzig machen müssen, und das wollte ich nicht. Und schließlich ging es mir doch vor allem darum, den Beweis anzutreten, dass sie deiner nicht wert ist.
Dass sich dann alles ganz anders entwickelte, ist nicht meine Schuld. Mir wurde aber schnell klar, dass du nie begreifen würdest, was du an mir hattest. Du würdest immer nur an Karin denken. Und irgendwann würdest du mich verraten - an sie. Du würdest nicht durchhalten. Wir konnten nicht gemeinsam fliehen. Du musstest allein hier bleiben. Still und stumm für immer.
Ich dachte, ich würde dich vermissen, Milan.
Ich dachte, ich könnte niemanden töten, niemals. Mich ekelte schon die Vorstellung daran. Aber es war gar nicht so schwer. Ich kam dir so nahe wie nie. Ich habe dich jetzt für immer - in meinem Herzen. Dort behältst du deinen Ehrenplatz - lebendiger als je.
Liebe und Tod sind zwei Seiten einer Medaille.
Nachts, vor dem Haus der Belolaveks, versenkte ich mich in dir in einem letzten Liebesakt. Im Augenblick deines Sterbens waren wir eins. Es ist das letzte Wagnis der Liebe. Ich habe es bestanden. Ich tat dir einen Gefallen damit, glaub mir.
Es tut mir nur Leid, dass ich Kai mit hineinziehen musste. Das ist alles, was ich mir vorwerfe. Es ging nicht anders.
Ein Schupo brachte Kai Lemberger und einen weiteren Mann ins Verhörzimmer. Kai war groß, blond, mager und sehr blass. Schwarze Jeans, schwarzes Shirt, keine Piercings.
»Kai«, sagte ihr Vater unsicher, »schön, dass du...« Er machte Anstalten aufzustehen, aber als Kai ihn nicht beachtete, ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Kai stand mit hängenden Armen in der Mitte des Zimmers, von sieben Augenpaaren angestarrt.
»Ich bin ihr behandelnder Arzt«, sagte der Mann neben ihr. »Kann sie sich setzen?«
Forster besorgte zwei Stühle. Langsam wurde der Raum richtig voll.
»Kann ich mit ihr reden?«, fragte Mona den Arzt.
»Versuchen Sie es. Die Dame am Telefon hat gesagt, es geht um Mord. Sonst hätte ich das gar nicht zugelassen.«
»Verstehe.«
»Ihr Zustand ist sehr labil.«
»Ja, sicher. Kai?«
Das Mädchen sah nicht auf.
»In der Regel antwortet sie nicht«, sagte der Arzt.
»Ja. Versteht sie, was ich sage?«
»Ich... bin nicht sicher.«
»Sie meinen, sie simuliert?«, schaltete sich Berghammer ein.
»Nein. Sie hat sich in sich selbst zurückgezogen. Sie lässt nichts an sich herankommen.«
»Ist sie ... krank?«
»Die Drogen haben etwas bei ihr angerichtet, so viel ist sicher. Wir wissen nicht, ob es reversibel ist. Wir kommen nicht an sie heran.«
»Sie spricht nicht? Mit niemandem?«
»Manchmal fragt sie jemanden um Zigaretten, das ist alles. Sie raucht wie verrückt.«
»Kai? Hören Sie mich?«
Keine Reaktion, nicht einmal ein Zittern der Augenlider. Sie gaben ihr eine Zigarette, die sie gierig bis auf den Filter rauchte. Mehr geschah nicht.
Nach einer halben Stunde gaben sie auf. Der Arzt nahm Kai behutsam unter den Arm und führte sie hinaus.
»Bleibt nur noch Theresa Leitner«, sagte Berghammer. Mona rief ein weiteres Mal bei ihr zu Hause an.
»Nicht da.«
»Gut, dann fahren wir zu ihrem Ferienhaus«, sagte Berghammer.