Kapitel 7


Etwas wofür es sich lohnte zu kämpfen (Dylan)


Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, wie wir auf dem Weg zum VA-Krankenhaus an der Lower East Side, zusammengepfercht auf der Rückbank eines Taxis saßen. Ich saß ganz links außen, Alex umarmte mich und meine rechte Hand lag, Handfläche nach oben, umwickelt mit ihrer Stola, die sie nach heute Nacht nicht mehr würde tragen können, auf ihrem Schoss. Sie lehnte sich an mich, und obwohl meine Hand wehtat – sehr sogar – galt meine größte Aufmerksamkeit ihr. 

Keiner von uns sprach ein Wort, ich denke es lag daran, dass dieser Moment einfach zu bedeutend war, um ihn in Worte zu fassen.

Kelly und Joel sprachen dagegen umso mehr. Kelly saß in der Mitte des Rücksitzes und murmelte in Richtung Joel: „Du hast niemals deine Hand für mich so übel zugerichtet. Was bist du nur für ein Freund?“

„Du willst mich wohl verarschen!“, antwortete Joel.

„Ich mein’ ja nur. Ich denke nicht, dass es dir wirklich ernst ist. Wenn es so wäre, würdest du einen Weg finden es mir zu zeigen. Zum Beispiel deine Hand völlig zu ruinieren oder so was.“

Alex schüttelte sich vor Lachen neben mir. Ich drehte meinen Kopf, sah zu ihr hinunter und legte Ihren Kopf an meine Schulter.

„Es ist nicht so, als würde ich dich nicht Ernst nehmen Kelly. Oder, dass es mir nicht Ernst ist. Aber ich bin nicht so durchgeknallt wie dieser Typ anscheinend ist.“ Er schaute zu mir hinüber. „Nicht böse gemeint Dylan.“

Ich schnitt eine Grimasse. Oh Mann, das tat echt weh. 

„Schon gut“, quakte ich. 

„Sieh mal Kelly“, sagte er. „Bitte hör mir gut zu.“

Kelly setzte sich so weit weg von Joel wie es nur ging, was bedeutete sie saß Hüfte an Hüfte mit Alex. Ihr Rücken war aufgerichtet und sie sah stur geradeaus, ihre Arme vor der Brust verschränkt.

„Ich denke ich habe es einfach mit der Angst zu tun bekommen, okay? Wie alt sind wir, neunzehn? Das ist echt ein großes Versprechen! Keiner von uns war mit jemand anderem zusammen seit wir mit dem College begonnen haben und… ich hatte einfach Angst.“

„Das ist nicht wahr“, sagte Kelly. „Du warst seit dem das Semester gestartet hat damit beschäftigt, das Spielfeld zu checken. Wenn du willst, dass ich dich je wieder in meine Nähe lasse, musst du dich zuerst auf Geschlechtskrankheiten testen lassen.“

„Oh, um Gottes Willen.“

„Mal ernsthaft, was heißt das Spielfeld checken überhaupt? Bin ich etwa eine Sportmetapher für dich? Du hast es zur Homebase geschafft und jetzt ist es Zeit für den Superbowl, oder was?“

Er schüttelte seinen Kopf: „Superbowl ist Football, Liebes. Homebase ist Baseball.“

„Oh. Mein. Gott!“

„Ach, Scheiße. Schau, ich hab’s vermasselt, Kels. Ich liebe dich! Ich will keine Andere, nur dich!“

„ Tja, nun bist du zurück in der Regionalliga Freundchen, und die hat keine Ausgangsbasis, oder Feldtore. Oder… was auch immer. Du musst mich noch überzeugen.“

„Ich habe dir diese komischen Blumen geschickt, die du so magst.“

Alex begann sich zu schütteln, und versuchte schwer ein Lachen zu unterdrücken. Ich schaute zu ihr hinunter und unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte und ich wollte nichts mehr auf der Welt, als mich zu ihr hinunterzubeugen und sie zu küssen, aber dafür hätte ich meine verdammte Hand bewegen müssen.

Sie reckte sich zu mir auf, die Lippen an meinem Ohr und flüsterte: „Jetzt ist sie ein Törchen, oder?“

Ich konnte nicht anders. Ich brach in Gelächter aus. 

„Komische Blumen? Du bist so was von weit davon entfernt mich zu überzeugen, du hast ja keine Ahnung.“

„Was muss ich tun, um dich zu überzeugen, Babe?“, sagte er. 

„Schick mir noch mehr so komische Sachen.“

„Abgemacht.“

„Du musst daher gekrochen kommen. Vielleicht für immer.“

„Du meine Güte, Lady“, sagte der Taxifahrer. „Gönnen Sie dem Kerl ne Pause!“

Ich konnte mich nicht mehr länger zurückhalten. Ich schüttelte mich vor Lachen und Alex tat es mir gleich.

Kelly sah zu uns rüber und sagte: „Und Ihr seid überhaupt keine Hilfe!“

Oh Gott! Ich lachte noch mehr, die Tränen liefen mir über die Wangen. Ich wischte sie mit meiner guten Hand weg und sagte: „Kelly, ich bin so froh dich endlich kennen gelernt zu haben.“

Sie gab ein lautes „Hmmpf“ von sich und sagte dann: „Nur weil es so aussieht, als ob du und das Hormon-Mädchen wieder zusammen seid.“

Mir war ein bisschen schwindelig und ich schenkte ihr ein breites Lächeln. Waren wir das? Wieder zusammen? Ich wusste es nicht. Aber was auch immer wir waren, es war besser als an gebrochenem Herzen zu leiden.

Kelly und Joel zankten den ganzen Weg zum Krankenhaus. Irgendwann lehnte ich mich zu Alex hinunter und flüsterte: „Ich dachte, sie wollte wieder mit ihm zusammen kommen.“

Sie flüsterte zurück: „Keine Sorge, das ist normal bei denen.“

Meine Herren. Wenn das normal war, wollte ich nicht zusehen, wie sie war, wenn sie wirklich sauer war. 

Andererseits schien es weit weniger schmerzvoll zu sein, als dass, was Alex und ich die letzten Monate gemacht hatten.

In dem Moment traf mich mit einem Mal die ganze Bedeutung der Situation. Sie mochte sich jetzt, wo ich verletzt war, an mich gekuschelt haben, aber würde sie mir wirklich verzeihen können? Ich verstand, endlich. Das Alles war nichts anderes als ein Missverständnis. Es war nicht irgendein Typ in ihrem Zimmer gewesen. Es war nur der Freund ihrer Zimmergenossin, der nett zu ihr gewesen war. Ich hatte das so total vermasselt, dass ich Angst hatte es gäbe kein Zurück mehr. Die Bedeutung des Fotos auf ihrem Nachttisch, die getrockneten Rosen, die gerahmt an der Wand hingen, sie waren mir nicht entgangen. Wir hatten einander geliebt und ich hatte sie verletzt. Sogar sehr verletzt. Hatte ich überhaupt ein Recht auf Vergebung?

In diesem Moment nahm ich mir fest vor, dass wir, sobald wir allein waren, darüber miteinander sprechen würden. Wir würden das ausdiskutieren. Wir würden jede unserer Regeln brechen bis wir uns wirklich gegenseitig verstünden und wir würden über das, was passieren würde reden, und ob wir zusammen eine Zukunft hätten. 

Denn zum ersten Mal, seit dieser abscheulichen Woche, in der Kowalski und Roberts gestorben waren, zum ersten Mal seit ich im Krankenhaus gelandet war, begann ich ein wenig Hoffnung zu haben. Hoffnung wegen der Frau, die sich an meine Seite kuschelte. Und das war etwas, wofür es sich lohnte zu kämpfen.

Das Taxi fuhr zur Notaufnahme und ich begann mich zu strecken, um meinen Geldbeutel mit der falschen Hand zu erreichen.

„Sei kein Idiot“, sagte Alex und griff nach ihrer Handtasche. Sie gab dem Taxifahrer eine Zwanzigdollarnote und wir stiegen aus. Ich schwankte ein bisschen und sie legte ihren Arm um mich.

„Es tut mir leid, dass ich Euch den Abend ruiniert habe“, sagte ich zu Kelly und Joel.

„Mach dir darüber keine Sorgen Mann“, sagte Joel. „Euch zwei beim Streiten zuzusehen war auf alle Fälle wesentlich unterhaltsamer, als in der 1020-Bar rum zu sitzen. Außerdem bin ich froh, dass wir das geklärt haben. Wenn wir uns irgendwo allein getroffen hätten, hättest du vielleicht mich anstatt der Wand geschlagen. Und das wäre ziemlich ärgerlich gewesen.“

Kelly verdrehte ihre Augen und schlug Joel auf die Schulter. Es war ein besitzergreifender Schlag und ich war ziemlich sicher, dass sie am Nachgeben war. 

„Ja“, sagte ich und meine Stimme brach ein bisschen dabei. „Missverständnis, okay?“

„Ja, wir haben so ziemlich alles mitgekriegt“, sagte er. „Ist schon gut.“

Am Empfang der Notaufnahme mussten wir einige Formulare ausfüllen. Ich blutete ein wenig auf die Theke und entschuldigte mich dann. Ein paar Minuten später kam ein Assistenzarzt und schaute meine Hand kurz an. Er entschied, dass es, so schlimm es auch aussah, nicht lebensbedrohlich war und sich demnächst jemand darum kümmern würde. 

„Das kann ne Weile dauern“, sagte ich.

„Wir haben alle Zeit der Welt“, murmelte Alex. Sie hatte mich immer noch nicht losgelassen.

Also warteten wir. Nach einiger Zeit hörten Joel und Kelly auf sich zu zanken und begannen zu schmusen. Sie ernteten dafür eine Menge interessierte Blicke von den anderen Personen im Wartezimmer, bis schließlich eine ältere Dame, die zwei Stühle von ihnen entfernt saß, Joel mit ihrem Gehstock an die Schulter tippte. 

„Sie beide haben kein Benehmen“, sagte sie. „Warum gehen Sie nicht woanders hin?“

„Oh Gott“, sagte Kelly. „Bitte entschuldigen Sie.“

„Ja, Entschuldigung“, murmelte Joel.

„Vielleicht solltet Ihr beiden gehen“, sagte Alex. „Wir kommen hier schon klar.“

„Bist du sicher?“, fragte Kelly.

Zu diesem Zeitpunkt stand Joel schon und zog sie an der Hand. 

„Ja“, sagte Alex nickend. „Geht!“

Kelly lehnte sich nah an Alex heran und flüsterte: „Es kann sein, dass ich heute Nacht nicht nach Hause komme.“

Alex grinste. „Ich sehe dich dann Morgen.“

Joel schaute zu mir rüber und sagte: „Bis dann Dylan. Es war nett dich kennen zu lernen.“ Er streckte seine Hand aus und ich tat automatisch das Gleiche und keuchte dann vor Schmerzen auf. Wir schüttelten uns nicht die Hand.

Ich nickte ihm zu. Die Beiden beeilten sich aus der Notaufnahme zu kommen, händchenhaltend.

„Die sind lustig“, sagte ich.

Sie grinste. „Ja, aber sie lieben einander.“

Sie lehnte sich ein bisschen näher zu mir rüber, als sie das sagte.

Ich holte tief Luft, versuchte die Schmerzen in meiner Hand zu ignorieren und sagte: „Was ist mit uns? Was sind wir jetzt genau?“

Sie schaute mich an, ihre Augen raubten mir den Atem, und sagte: „Müssen wir das jetzt gleich ergründen?“

Ich sagte: „Nicht in dieser Sekunde. Aber bald. Bevor… wir unsere Herzen erneut brechen.“

Sie zuckte zusammen. „Das ist ein Argument, denke ich.“ Sie schaute von mir weg und ich konnte sehen, wie ihre Unterlippe zitterte.

„Alex“, sagte ich. „Hör mir zu.“

Sie drehte sich wieder zu mir um. 

„Ich möchte mir dir darüber reden was passiert ist. Zwischen uns passiert ist.“

Sie nickte und sagte dann: „Warum?“

„Ich denke wir müssen reinen Tisch machen. Alex… wir schleichen schon seit Wochen darum herum. Manchmal flirten wir, manchmal nicht. Wir erinnern uns, aber dann doch nicht. Wir halten uns an Regeln, die scheinbar Sinn ergeben, aber vielleicht tun sie das doch nicht. Ich denke es ist Zeit, dass wir ehrlich über das Reden sollten, was zwischen uns vorgeht.“

Sie blinzelte und holte dann tief Luft. Ihr Gesichtsausdruck strahlte Angst aus.

„Rede mit mir Alex. Warum hast du Angst davor?“

Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben zu einem Lächeln. Sie flüsterte: „Weil ich jetzt glücklicher bin, als ich es sehr lange Zeit gewesen war. Ich möchte das nicht vermasseln.“

Ich holte schaudernd Atem. Es war klar, dass sie es wirklich ernst meinte. Sie war jetzt glücklicher als sie es für lange Zeit gewesen war, weil sie mit mir zusammen war.

Noch ein Grund ehrlich zu sein, und zwar mit Allem.

„Ich auch nicht“, sagte ich. „Und ich habe Angst, dass, wenn wir nicht miteinander reden, ich mir Dinge zusammenreimen werde, oder du dir Dinge zusammenreimen wirst, und der andere nichts davon weiß. Und dann vermasseln wir es wieder. Und das… ich glaube nicht, dass ich das ertrage könnte.“

„Beantworte mir zuerst eine Frage“, sagte sie.

Ich nickte.

„Liebst du mich? Wirklich? Immer noch?“

Ich zog sie näher an mich heran und sagte ruhig: „Mehr als das Leben selbst.“

Sie schlang ihre Arme um mich und lehnte sich an meine Brust. „Okay. Dann werde ich mit dir über alles reden, was du möchtest.“



Also, jetzt wo du die Pille erwähnt hast (Alex)


„Okay“, sagte ich. „Dann werde ich mir dir über alles reden was du möchtest.“

Ich konnte nicht aufhören Dylan festzuhalten. Meine Hände waren um seine Taille geschlungen und ich konnte jeden einzelnen seiner harten Bauchmuskeln darunter spüren. 

Es war keine Frage, dass Dylan nicht mehr derselbe Junge war, in den ich mich verliebt hatte. Er war auf eine Weise erwachsen geworden, die ich vor vier Jahren nicht hätte vorhersehen können. Manchmal, wenn ich ihn ansah, konnte ich den verhärteten Soldaten erkennen, in den er sich verwandelt hatte: Bisweilen grimmiger Gesichtsausdruck, Brust und Arme ausgebildet wie ein Boxer, kurz geschnittene Haare und vor allem seine Augen, Augen die manchmal in die Ferne starrten als wäre er eine Million Lichtjahre entfernt. Das war der Dylan, an den ich mich nur schwer gewöhnen konnte: Derjenige, der so zornig werden konnte, dass er mit seiner Faust immer und immer wieder auf eine Mauer einschlug, bis die Knochen gebrochen waren. Ich verstand schon irgendwie, was mit dem Mann passiert war, aber es war schwer ihn mit dem Jungen, den ich gekannt und in den ich mich verliebt hatte, in Einklang zu bringen.

Der Dylan, in den ich mich verliebt hatte, war einfühlsam und liebenswürdig. Nachdenklich. Lustig. Er war das Alles immer noch, hatte aber etwas an sich, das neu war und, um ehrlich zu sein, beängstigend. Das war der Mann, der die meiste Zeit des letzten Jahres Waffen getragen hatte. Das war der Mann, der getötet hatte, der gesehen hatte, wie seine Freunde im Kampf getötet worden waren. Es war etwas Tiefes an ihm, das komplett neu war, und beängstigend wie die Hölle. 

„Also…“, sagte ich, meine Stimme wurde zu einem Flüstern. „Wo fangen wir an?“

Er schenkte mir ein brillantes Lächeln, aber ich konnte spüren, dass er fürchterliche Schmerzen hatte. 

„Ich habe keine Ahnung“, sagte er.

Ich lehnte meinen Kopf zurück und kicherte dann. Am Ende sagte ich: „Lass uns das langsam angehen. Hier ist mein Versprechen, ich verspreche dem Ganzen eine Chance zu geben.“

Er nickte. „Ich auch“, sagte er dann.

„Weißt du, in mancher Hinsicht kennen wir uns kaum.“

„Das ist wahr. Ich meine… wir waren siebzehn als wir das letzte Mal längere Zeit miteinander verbracht haben.“

„Ich war sechzehn. Und ja… das ist eine lange Zeit.“

„Und“, sagte er, „Es waren nicht unbedingt normalen Umstände. So schlecht ich inzwischen auf den mittleren Osten auch zu sprechen sein mag, die unglaubliche Romantik der Geschichte kann man nicht leugnen.“

Ich sah zu ihm auf, sah ihm wieder in die Augen und er sagte: „Weißt du was?“

„Was?“

„Es gibt da einen positiven Nebeneffekt. Wir haben die Gelegenheit, uns wieder neu kennen zu lernen.“ Seine Stimme wurde immer leiser, bis sie fast nur noch ein heiseres Flüstern war, und er lehnte sich näher an mich heran und sagte in mein Ohr: „Wir können uns noch einmal ineinander verlieben. Wie cool ist das?“

Ich lächelte so breit, dass meine Wangen schmerzten, brachte dann meine Lippen nah an sein Ohr und flüsterte: „Ich würde sagen, du bist es wert, sich zweimal in dich zu verlieben.“

Die alte Dame, die Kelly und Joel verscheucht hatte, räusperte sich und begann zu murren. Ich verdrehte meine Augen ein bisschen, lehnte mich dann aber doch zurück. Es war sowieso egal, denn einen kurzen Moment später wurde Dylans Name aufgerufen.

Ich stand auf und ging, immer noch seine unverletzte Hand haltend, mit ihm mit. In einem durch Gardinen geteilten Untersuchungsraum schaute sich ein junger Arzt, vielleicht auch noch Medizinstudent, seine Hand an und sagte: „Heilige Mutter Gottes, was haben Sie denn gemacht?“

Dylan zog eine Grimasse. „Ich habe mit der Faust auf eine Wand eingeschlagen. Ziemlich heftig.“

Der Arzt schüttelte seinen Kopf. „Na dass nenne ich mal einen höllischen Faustschlag. Wir müssen das Röntgen. Das tut bestimmt höllisch weh, ich muss die Wunde säubern, sonst entzündet sie sich. Noch ein paar Fragen… waren Sie früher schon mal im Krankenhaus?“

„Ähm, ja“, sagte Dylan. Ich wusste, dass er das Alles schon im Aufnahmeformular beantwortet hatte. „Straßenbombe, im Februar. Hat mein Bein ziemlich übel zugerichtet. Schädelhirn-Trauma.“

„Wie geht’s dem Bein?“ fragte der Arzt.

„Wie sie sehen, bin ich hereingelaufen. Die anderen Kerle aus meinem Jeep sind tot. Mir geht’s gut.“

Ich schauderte über die Sachlichkeit, mit der er das sagte. 

Der Arzt sah über seine Brille hinweg zu Dylan, und sagte dann: „Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“

Dylan zögerte, sah zu mir hinüber, als würde er über etwas nachdenken, und antwortete dann: „Oxycodon. Wir haben die Dosis seit ein paar Monaten stetig reduziert. Paroxetin. Und Trileptal.“

Ich schluckte. Er nahm eine ganze Menge an Medikamenten ein. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt.

„Trileptal“, sagte der Arzt. „Gegen Krampfanfälle?“

„Ja, ich hatte hin und wieder welche. Mein behandelnder Arzt in Atlanta hat die Dosis von allem reduziert, aber als wir versuchten die Antikonvulsiva abzusetzen, na ja… hatte ich Krampfanfälle. Es war nicht lustig.“

In diesem Moment wurde mir die Schwere seiner Kriegsverletzungen zum ersten Mal so richtig bewusst. Dylan Paris, der Junge, den ich gekannt hatte als wir Teenager waren… er war ein behinderter Kriegsveteran mit sehr ernsten Verletzungen. 

„Hmm… Ich denke Sie nehmen am besten einfach das Oxy weiter gegen die Schmerzen. Wir werden jetzt ein paar Röntgenaufnahmen machen und dann weitersehen. Das wird eine lange Nacht für Sie werden, Mr. Paris. Warten Sie hier. Ich komme gleich zu Ihnen zurück.“

Dylan seufzte und schloss dann seine Augen. Ich hielt seine linke Hand und er sagte: „Du musst nicht bleiben. Das wird die ganze Nacht dauern.“

Ich lehnte mich zu ihm rüber und küsste eines seiner Augenlider. „Dylan, ich wäre nirgends lieber als hier bei dir.“

„Du bist verrückt“, sagte er.

„Verrückt nach dir.“

Er stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus und küsste mich dann auf die Stirn. „Du wusstest nicht, dass ich das ganze Zeug schlucke.“

Ich schüttelte den Kopf. 

„Wir haben das Oxy in den letzten Monaten auf ein Minimum reduziert. Das Zeug ist geil, wenn man große Löcher in sich hat. Glaub es oder nicht, zu Beginn haben sie mir Morphium gegeben. Meine Güte, dass macht einen vielleicht high. Ich habe versucht die Ärzte dazu zu bewegen, dass sie so wenig Schmerzmittel wie möglich einsetzen. Ein bisschen Schmerz wird mich nicht umbringen, Medikamentenabhängigkeit schon.“

Ich nickte und hörte einfach nur zu. 

„Das ähm… Paxil… na ja, du weißt schon. Ich habe dir gesagt, dass ich ein paar Probleme mit Wutanfällen habe. Posttraumatische Belastung. Depressionen. All diese lustigen Dinge.“

Er klang fast beschämt.

„Das ist okay Dylan. Das ist absolut normal. Die Hälfte der Leute, die ich kenne, nehmen Paxil oder etwas Ähnliches ein.“

Er schüttelte den Kopf. „Na ja, ich bin überhaupt kein Fan von Drogen, egal welchen.“

„Außer deinen Zigaretten.“

Er zuckte mit den Schultern und grinste mich dann an. „Das ist was anderes. Meinst du sie merken es, wenn ich hier eine rauche?“

„Ja, das meine ich.“

Er runzelte die Stirn. „Spielverderberin.“

Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander. Dann sagte er: „Das stört dich nicht? Die Antikonvulsiva und der ganze Scheiß? Ich schlucke eine halbe Apotheke. Ich kann jederzeit zusammenbrechen und einen Krampfanfall bekommen, trotz der Tabletten. Ich kann deshalb noch nicht mal einen Führerschein machen.“

Ich runzelte die Stirn. „Stört es dich, dass ich die Antibabypille nehme?“

Dylan verschluckte sich fast und dann sah ich etwas, dass ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er wurde rot.

Ich begann zu kichern, und brach dann in richtiges Lachen aus. 

„Okay, ich hab’s verstanden“, sagte er.

Ich kicherte immer noch ein wenig, also beschloss er den Spieß umzudrehen. 

„Also, jetzt wo du die Pille erwähnt hast…“, sagte er. 

„Nein. Ich bin noch nicht bereit.“ Ich schüttelte theatralisch meinen Kopf.

Er zog die Augenbrauen hoch und grinste.

„Hör auf damit.“

„Womit?“

„Hör auf mich anzuschauen, als wäre ich ein Stück Fleisch.“

Er grinste: „Ich dachte mehr an…ähm… Erdbeerkuchen?“

„Oh nein. Das lässt du schön bleiben. Du bist albern.“

„Deshalb liebst du mich doch.“

Wir hörten ein lautes Räuspern hinter uns, und der Arzt schob die Gardine zurück.

„Hier entlang. Mr. Paris.“



Vergiss die Regeln (Dylan)


Bevor die lange, lange Nacht in der Notaufnahme vorbei war, versuchte ich noch zweimal Alex nach Hause zu schicken. Sie weigerte sich. Stattdessen rollte sie sich, während der Wartezeiten zwischen meinen Behandlungen, im Wartezimmer auf dem Stuhl neben mir zusammen, legte den Kopf auf meinen Schoß und schlief.

Das letzte Mal, dass wir so zusammen gewesen waren, sie schlafend neben mir, war im Flugzeug vor tausend Jahren.

Es war vier Uhr morgens, bis wir endlich gehen konnten. Mittlerweile war meine Hand in einem schweren Gips verpackt, der meine Finger ruhigstellte. Zwei meiner Fingerknochen waren gebrochen und die Haut war überall aufgerissen. Einmal, als Alex gerade nicht im Zimmer war, hatte der Arzt mir vorgeschlagen, ich solle wiederkommen und mich in psychologische Behandlung begeben und, wenn möglich, ein Antiaggressionstraining absolvieren.

„Schauen Sie“, sagte er. „Wir sehen hier viele Patienten in Ihrer Situation. Sie waren im Gefecht. Ich vermute Sie haben Freunde verloren.“

Ich nickte.

„Es kommt oft vor, dass man danach lange Zeit emotional durcheinander ist. Zusammen mit der Hirnverletzung kann das für Sie zu einem ernsten Problem werden.“

Ich seufzte. „Bevor ich hier ans College kam, war ich am VA-Krankenhaus in Atlanta bei einem Therapeuten in Behandlung.“

„Ich denke Sie sollten sich hier um einen Termin kümmern.“

„Ich bin sowieso schon an drei Vormittagen in der Woche hier zur Physiotherapie.“

„Also wird einmal mehr nicht schaden.“

Ich nickte: „Vermutlich nicht. Ich denke, ich mache es.“

„Gut“, sagte er.

Kurze Zeit später kam Alex mit zwei großen Kaffeebechern in der Hand zurück und der Arzt wechselte das Thema.

Nachdem wir das Krankenhaus verlassen hatten, sagte sie im Taxi mit schläfriger Stimme: „Kommst du heute noch mit zu mir?“

Ich schluckte und holte tief Luft, mich durchzuckte die Angst.

„Bist du sicher?“, fragte ich.

Sie nickte. Sie lehnte sich an mich, die Arme um meine Taille geschlungen, als das Taxi uns durch die dunklen, fast leeren, frühmorgendlichen Straßen fuhr.

„Ja“, murmelte sie. „Ich will nicht, dass du alleine bist.“ Sie schwieg ein paar Minuten, und sagte dann: „Ich will auch nicht allein sein.“

Also fuhr uns das Taxi vor ihr Wohnheim. Sie schloss die Tür auf und wir gingen die Treppe hinauf. An der Tür zu dem Zimmer, das sie mit Kelly teilte, drehte sie sich zu mir um und umarmte mich. „Einfach nur schlafen, okay ich meine, was ich gesagt hatte, dass ich noch nicht bereit bin für… du weißt schon.“

„Natürlich“, sagte ich.

„Das ist alles so neu, und anders, und verwirrend“, sagte sie.

„Schlafen ist gut“, sagte ich. Ich war zu diesem Zeitpunkt so was von müde.

Sie grinste mich schief an, drehte sich dann um und schloss die Zimmertür auf. Sie nahm meine Hand und zog mich hinein. Wir gingen auf Zehenspitzen, falls Kelly da war, aber wie versprochen, war sie nicht ins Wohnheim zurückgekommen. Gut für sie und Joel, dachte ich. 

Ich holte tief Luft und sah sie dabei an. Sie schaute zurück, mit weiten Augen, grün und schön und ich sagte das Erste, das mir einfiel.

„Ist Küssen gegen die Regeln?“

„Vergiss die Regeln“, sagte sie. Sie trat einen Schritt näher zu mir und ich schlang meine Arme um sie, den schweren, verdammten Gips hielt ich dabei etwas von ihrem Körper weg. Oh Gott, es fühlte sich so gut an sie zu berühren. Sie atmete leise ein als sie ihren Kopf zurücklehnte, ich kam näher und unsere Lippen berührten sich. 

Ich schloss meine Augen und meine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Punkt an dem sich unsere Lippen berührten, warm und einladend. Hungrig. Ihre Arme schlossen sich um mich und drückten hart in meinen Rücken und auf einmal presste sie ihren ganzen Körper gegen mich. Ich konnte ihre Brüste an meinem Oberkörper spüren, ihre Lippen auf meinen und ich keuchte fast auf, bei dieser Intensität. Ihr Mund öffnete sich, unsere Zungen berührten sich und sie stieß ein sanftes Stöhnen aus.

Ich knickte meine Knie ein, griff dann mit meinem rechten Arm um ihre Hüfte und mit meinem linken hinter ihre Knie. Unsere Lippen verloren niemals den Kontakt, während ich sie hochhob und zu ihrem Bett trug. Langsam setzte ich sie ab, hielt sie aber weiterhin in den Armen. Sie drehte sich und schlang ihre Beine um mich.

Meine rechte Hand wanderte ihren Rücken und Seite herunter zu ihren Beinen, dann wieder hinauf und ich atmete tief ihren Geruch ein. Die geschmeidige Haut, die Form ihrer Beine, der süße Geruch ihrer Haare und ihr Gesicht.

„Oh mein Gott, ich habe dich vermisst Dylan“, sagte sie.

Ich bewegte mich und brachte meinen Mund an ihren Hals. Sie lehnte ihren Kopf zurück und entblößte damit ihren ganzen Ausschnitt, ich ließ meine Lippen langsam über ihr Kinn bis vor ihr Ohr wandern.

Ich flüsterte: „Ich liebe dich.“

Daraufhin legte sie beide Hände auf meine Brust und drückte meinen Rücken auf das Bett. Ich ließ meine Schuhe auf den Boden fallen, sie spreizte ihre Beine und legte ihren Oberkörper auf meinen. Sie berührte meinen Hals mit ihren Lippen und ich konnte ihr unglaubliches Haar auf meinen Lippen spüren. Ich fühlte ihre Hände auf den Knöpfen meines Hemds.

Sie kicherte leise.

„Was?“, sagte ich.

„Weißt du was“, sagte sie und ihre Stimme war fast ein leises Knurren, „mit diesem Gips wirst du praktisch hilflos sein. Endlich habe ich dich unter meiner Kontrolle.“

„Damit kann ich leben“, sagte ich und bekam eine Gänsehaut.

Sie knöpfte mein Hemd auf, arbeitete sich langsam von oben nach unten vor, und leckte dabei mit Ihrer Zunge über meine Brust. Ich schloss meine Augen, drückte meinen Rücken ein wenig durch, um noch näher bei ihr zu sein. Ich keuchte, als sie sachte in eine meiner Brustwarzen biss und stöhnte leise, als sich ihre Zunge weiter auf meiner Brust nach unten bewegte. Meine rechte Hand lag unbrauchbar an meiner Seite, eingepackt in den Gips, aber meine Linke folgte ihrem Rückrat zu ihrem Po, ihren Beinen. Mir war schwindelig, das war besser als jede Droge, die ich jemals gekannt hatte.

Wir atmeten beide schwer, als ich sagte: „Ich möchte nicht die Stimme der Vernunft spielen. Aber führt das weiter als du beabsichtig hast?“

Sie nickte, ihr Haar auf meiner Brust, dann flüsterte sie: „Es ist mir egal.“

Ich sah auf meine Brust hinunter, streckte den linken Arm aus, und zog sie dann zu mir hoch, bis wir auf Augenhöhe waren. Es war unmöglich, dass sie nicht wusste, wie erregt ich war, nicht in dem dünnen, kurzen Kleid und mit um mich geschlungenen Beinen. 

Ich holte tief Luft und sagte dann: „Du wolltest warten. Ich will nicht alles zerstören indem wir zu schnell voranschreiten. Alex… dafür bedeutest du mir einfach zu viel.“

Sie küsste mich, langsam und bewusst, ihre Zunge berührte meine Unterlippe, dann flüsterte sie: „Dylan, schlaf mit mir. Es sind mindestens zwanzig Minuten vergangen seit wir hergekommen sind. Wir haben lange genug gewartet, verdammt.“

Ich kicherte und sie lachte, dann richtete sie sich auf ihre Knie auf und zog ihr Kleid langsam über den Kopf.

Ich werde nicht lügen. Seit drei Jahren habe ich von diesen Moment geträumt. Während unserer Zeit in Israel haben wir viel geschmust. Es gab viele atemlose Momente. Aber ich hatte sie noch nie ohne Kleidung gesehen und in diesem Moment gab es nichts auf der Welt, war ich dagegen eingetauscht hätte. Sie hatte einen fantastischen Körper, kurvig, die Brüste waren in einem schwarzen Spitzen-BH versteckt, der mir den Atem raubte. Mein Herz pochte nur so. Vor Aufregung, vor Angst.

„Du wirst die ganze harte Arbeit machen müssen“, murmelte ich. „Du weißt, meine Hand…“

Sie grinste: „Ich denke du nutzt das schamlos aus.“

Ich nickte. „Ja.“

Sie flüsterte: „Ich bin… nicht… ähm…“

Sie wurde rot und lehnte sich enger an mich. Oh Gott. Ihre Haut auf meiner zu spüren brachte das Feuer in mir zum Lodern. 

„Du bist was nicht?“, fragte ich.

Sie drückte ihr Gesicht an meinen Hals.

„Ich habe das noch nie gemacht“, flüsterte sie.

Ich holte tief Luft.

Das hatte ich vermutet. Sie war natürlich Jungfrau gewesen als wir uns kennen gelernt hatten, und falls sie seitdem Liebhaber gehabt hatte, hatte sie das für sich behalten. Ich atmete aus und sagte: „Wir müssen das nicht machen, wenn du noch nicht bereit bist.“

Mein Körper wollte etwas ganz anderes, als ich gerade gesagt hatte. Es würde mir eine Menge Schmerzen bereiten, wenn wir jetzt aufhörten, aber Schmerz war etwas, mit dem ich mich gut auskannte.

Sie flüsterte: „Bist du sicher?“

„Ja“, sagte ich. Ich schaute ihr in die Augen. Und in ihren Augen stand Angst, keine Frage. „Alex… Ich liebe dich. Wir werden so weit gehen, wie du mich führst. Ich werde nicht um mehr bitten.“

Eine Träne lief ihr Gesicht herunter und sie sagte: „Ich weiß nicht, womit ich dich verdient habe.“

Ich schenkte ihr ein halbes Lächeln und sagte: „Das siehst du völlig falsch, Alex. Ich bin derjenige, der… der deiner nicht würdig ist.“

„Sag das niemals“, sagte sie.

„Warum nicht? Es ist die Wahrheit.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du hast Unrecht, Dylan Paris. In diesem Fall hast du so Unrecht. Wir sind füreinander gemacht.“

Ich kam näher und küsste ihre Stirn, und sie kuschelte sich an mich. Kurze Zeit später war sie, an meine linke Seite gekuschelt, ihren Kopf auf meiner Brust, eingeschlafen.

Ich lag für einige Minuten einfach nur da. Eine Träne rann über mein Gesicht. Dann eine weitere. Ich holte schaudernd Atem, denn ich wusste, dass das Leben mir irgendwie eine zweite Chance gegeben hatte. Irgendwie hatte Sie mir eine zweite Chance gegeben. Dieses Mal würde ich sie nicht vergeuden. Unbeholfen zog ich mit meiner Gipshand die Decke über uns, und schlief bald ein.