Kapitel 3
Erdbeeren (Alex)
Als er endlich stand, lehnte er sich zu mir hinüber und sagte: „Ich denke wir brauchen eine weitere Regel.“
„Ja?“
Er holte tief Luft und sagte dann: „Ja. Ähm, ja… Du musst das Shampoo wechseln.“
Was. Zum. Teufel?
„Wovon redest du?“, fragte ich und fühlte mich auf einmal sehr unbehaglich.
„Du riechst immer noch nach Erdbeeren und das bricht mir das Herz“, sagte er, seine Stimme war ein leises Knurren. Dann drehte er sich um, hängte sich seine Tasche über seine unmöglich breite Schulter und ging langsam davon.
Er hatte sich etwa 7 Meter von mir entfernt bis ich wieder denken konnte. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, rief ich ihm so laut ich konnte hinterher: „Das kannst du nicht machen! Damit brichst du die erste Regel! Hast du mich gehört, Dylan?“
Die anderen Gäste begannen mich anzustarren. Er winkte nur kurz über seine Schulter und ging weiter.
Bastard.
Ich nahm meine Tasche, drehte mich um und ging in entgegen gesetzter Richtung davon, zurück zum Wohnheim. Oh Gott, ich fühlte mich miserabel. Und zwar wegen seiner unmöglichen blauen Augen und wie seine Arme und sein Oberkörper aussahen… so entwickelt. Er roch immer noch genauso, und mit ihm zusammen zu sein war einfach unmöglich. Manchmal, wenn er mir näher gekommen war, konnte ich nicht mal richtig atmen. Wie in aller Welt sollte ich es fertig bringen, Abstand zu halten und professionell zu agieren, wenn er jedes einzelne Nervenende in meinem Körper zum Singen brachte?
Warum hatte er das sagen müssen?
Natürlich erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich gut daran, wie er mich vor einer Million Jahren in diesem Flugzeug während unseres Frage- und Antwortspiels gefragt hatte: „Warum riechst du nach Erdbeeren?“
Verdammt noch mal!
Es war ja noch nicht mal so, als ob wir uns wirklich kennen würden. Ich war eine völlig andere Person als damals in Israel. Frei. Zu Hause und auch hier an der Uni war ich… na ja ich war eine Art Zicke. Ich konzentrierte mich zu hundert Prozent auf mein Studium, auf meinen Erfolg. Ich hatte Ehrgeiz. Ich hatte keine Zeit für Verrücktheiten und Emotionen, wie ich sie während unserer Reise erlebt hatte.
Während ich lief erinnerte ich mich. Sein Geruch. Seine Berührungen.
Drei Tage nachdem wir in Israel angekommen waren, wurden wir unseren ersten Gastfamilien in Ramat Gan, einem Vorort von Tel Aviv, zugeteilt. Aufgrund einer dummen Verwechslung war ich die einzige Schülerin, die bei einem männlichen Junggesellen landete. Ariel bestand sozusagen nur aus einer Menge Hormonen und Drüsen, er war ein hypermännlicher Dickkopf, der sicher war, dass er während meines zehn Tage langen Aufenthalts mit mir schlafen würde. Am Ende des zweiten Tages war ich von meinen ständigen Bemühungen ihn von mir fernzuhalten total fertig und ging zu unserer Betreuerin. Sie veranlasste, dass ich zu einer anderen Familie kam, Gott sei Dank. In dieser Nacht veranstalteten alle Gastfamilien eine große Party für uns.
Ich erinnere mich, wie ich Dylan während der Party beobachtete. Alle waren am Trinken. Einige, so wie ich, nur ein wenig, aber Andere, wie Rami der Gastgeber, übertrieben es gewaltig.
Alle, außer Dylan. Er trank die ganze Nacht nichts außer Cola und entspannte sich. Irgendwann holte er seine Gitarre und begann ein paar Songs zu spielen. Einige der betrunkenen Schüler begannen dazu zu singen. Ich beobachtete ihn und lächelte, und dachte dabei, wie schön seine Augen doch waren. Während er so spielte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck immer wieder, manchmal schürzte er die Lippen, dann schloss er seine Augen. Immer wieder schaute er zu mir hinüber.
Später kam er zu mir und fragte: „Können wir uns kurz unterhalten?“
Ich zuckte unmerklich zurück. Oh. Gott. Was war das nur? Wollte er mit mir ausgehen? Ich wünschte mir das. So sehr. Wir gingen in Ramis Zimmer auf der Rückseite des Apartments und setzten uns nebeneinander auf das Bett.
„Hör mal zu“, sagte er. „Ich weiß wir sind nur für ein paar Wochen hier. Und das war’s dann. Zwischen uns kann es nichts geben. Aber… ich fühle mich wirklich, wirklich zu dir hingezogen. Und ich würde gerne wissen, ob du das gleiche fühlst.“
Ich atmete in kurzen flachen Atemzügen ein. Ich konnte nicht glauben, was da gerade wirklich geschah. Zu guter Letzt nickte ich. „Ja, ich fühle genauso“, antwortete ich.
„Vielleicht… vielleicht können wir einfach schauen was passiert?“
Ich lächelte. „Okay“, sagte ich.
Die letzten zwei Jahre wären wesentlich weniger schmerzlich gewesen, wenn ich ihm damals gesagt hätte, er solle zur Hölle fahren. Aber vielleicht hatte ich zuviel aus Büchern gelernt und zuwenig aus dem Leben. Denn ich verliebte mich in ihn. Ich verliebte mich schwer in ihn. Und ich hatte mich immer noch nicht davon erholt.
Zwei Stunden nachdem Dylan, ach so beiläufig, aus dem Coffeeshop marschiert war, keuchte Kelly auf als ich ihr erzählte was er gesagt hatte.
„Er hat was gesagt?“
Ich seufzte. „Er sagte mir ich solle das Shampoo wechseln. Denn der Geruch von Erdbeeren würde ihm das Herz brechen.“
Sie sah mich mit großen Augen an und sagte dann: „Das ist so romantisch.“
„Oh Gott, Kelly, du bist echt keine Hilfe.“
Sie nickte. „Ich weiß.“
„Ich dachte du hasst ihn.“
„Nur weil er dir weh getan hat. Aber es ist offensichtlich, dass du immer noch an ihm hängst. Vielleicht solltest du einfach mit ihm schlafen und dann ist alles wieder in Ordnung.“
„Genug! Das Einzige was ich tun werde, ist versuchen, das Jahr, in dem wir zusammen für Forrester arbeiten müssen, zu überleben. Er hat mir sehr wehgetan, Kelly. Mehr als ich es mir je habe vorstellen können.“
„Ich weiß“, sagte sie leise. „Aber vielleicht ist da doch mehr als du denkst. Ich meine… Ich sag’ ja nur, dass es denkbar ist.“
„Nein. Das ist absolut undenkbar. Ich und Dylan? Nie wieder.“
Sie seufzte und lehnte sich auf ihrem Bett zurück.
„Wie läuft es eigentlich mit Joel?“, fragte ich und versuchte damit das Thema zu wechseln.
Sie zuckte mit den Achseln. „Er ist immer noch ein Arschloch.“
„Du bist verletzt“, antwortete ich.
„War ich zu anhänglich? Ich verstehe es einfach nicht.“
„Nein“, sagte ich. „Letztes Jahr gab es Zeiten, da hätte man Euch nicht mal mit einer Rettungsschere trennen können. Da muss noch etwas anderes sein.“
„Oh Gott. Meinst du er hat mich betrogen als wir noch zusammen waren?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich hätte mein letztes Hemd verwettet, dass das niemals passieren würde. Vielleicht hat er einfach… ich weiß auch nicht, Angst?“
Kelly runzelte die Stirn. „Wovor sollte er Angst haben?“
Ich lachte und es war ein trauriges, bitteres Lachen. „Vielleicht hat er Angst davor, dass du sein Herz brichst. Das passiert manchmal.“
Sie schaute mir in die Augen. „Kann schon sein“, sagte sie.
Unser Job war es, hinauszufahren und das Feuer auf uns zu ziehen (Dylan)
Okay, ich hätte das, was ich über Ihren Erdbeerduft gesagt hatte, nicht sagen dürfen.
Zwei Tage später kam sie in Forresters Büro und stank nur so nach Erdbeeren. Sie schaute mich herausfordernd an, setzte sich und begann mit der Arbeit.
Ich wusste nicht, ob ich wütend werden oder anfangen sollte zu weinen, also tat ich das Nächstbeste. Ich lachte. Lange und laut, solange bis mir Tränen übers Gesicht liefen.
„Geht es dir gut?“, fragte sie.
Das führte dazu, dass ich von neuem anfing und sie schaute mich schräg an. Dann endlich beruhigte ich mich und begann zu arbeiten. Und ich begann mich etwas optimistischer zu fühlen. Vielleicht konnte das doch funktionieren.
Wir entwickelten eine Art Routine. Gelegentlich hielten wir inne und diskutierten ein spezielles Objekt: einen Zeitungsartikel, Privatkonten, was auch immer, und legten genau fest, wie wir es katalogisieren und indizieren sollten. Manchmal, wenn sie sich über ein düsteres Dokument beugte, blickte ich beiläufig… oder auch nicht so beiläufig… zu ihr rüber und schaute sie länger an.
Ich wusste, dass das dumm war. Ich wusste es. Aber ich konnte einfach nicht anders. Denn sie war so schön wie immer. Sie trug verwaschene Jeans und wadenhohe Stiefel, die die Form ihrer Beine betonten, ein graues T-Shirt mit einem Band-Logo (ich kannte die Band nicht, aber das würde eine Googlesuche später ändern) und einen dünnen weißen Pulli. Das T-Shirt umspielte ihren Oberkörper, betonte ihre Brüste und Taille auf eine Art und Weise, die meine Aufmerksamkeit erregte und dort fokussierte. Ihr Haar war offen und fiel ihr über die Schultern und über den Rücken. Ich ertappte mich dabei, meine Hand auszustrecken und durch ihr Haar streifen zu wollen. Ich erinnerte mich wie ich mich zu ihr rüber beugte und ihren Nacken küsste, fühlte wie ihr Haar über mich fiel und ich ihren Geruch einatmete.
„Was machst du da?“
Ich schüttelte verlegen den Kopf. „Tut mir leid“, sagte ich.
„Du hast mich angeschaut.“
Ich schaute in ihre Augen und dann wieder weg. „Tja dann, erschieß mich.“
Ich drehte mich wieder zurück zum Computer und tippte die Informationen zum letzten Dokument ein, das unbezahlbare Tagebuch eines Bankkaufmanns, der den Beginn der Aufstände miterlebt hatte.
Ich konnte ihre Atemzüge hören während ich tippte. Der Monitor reflektierte ihre Silhouette. Jetzt starrte sie mich an. Verdammt. Zurück zur Tagesordnung.
„Weißt du was ich nicht höre?“, fragte sie.
„Was?“
„Ich höre kein Tippen aus seinem Büro.“
Ich kicherte. „Vielleicht schreibt er nur nachts?“
„Oder nur jedes zweite Jahrzehnt?“
„Klugscheißerin.“
Sie kicherte.
„Vielleicht wird er uns beide überraschen“, sagte ich.
„Alles ist möglich“, sagte sie. „Aber ich denke er ist ein Schwindler.“
Ich atmete abrupt aus. „Vielleicht. Aber ich habe letzte Nacht darüber nachgedacht. Stell dir vor, du erreichst den Höhepunkt deiner Karriere im Alter von zweiundzwanzig. Er war in seinem letzten Jahr am College als er den Buchpreis gewann. Zweiundzwanzig, und du hast einen Bestseller, den höchsten Preis auf deinem Gebiet. Wer wäre da nicht eingeschüchtert? Wie macht man danach weiter?“
„Huh“, sagte sie. „Du hast Recht. So habe ich das noch gar nicht betrachtet.“
Ich grinste. „Ich liebe es, wenn du das sagst.“
„Ich was sage?“
„Du hast Recht.“
Sie grinste mich an und warf dann einen Bleistift nach mir. „Manche Dinge ändern sich nie“, sagte sie.
„Tja, es ist schwer etwas zu verbessern, das nahezu perfekt ist.“
Sie schüttelte den Kopf. „Es ist fünf Uhr. Lass uns einpacken.“
„Okay“, meinte ich. Dann sagte mein dummer, dummer, dummer Mund, bevor ich mein Hirn einschalten konnte: „Hast du Lust auf einen Kaffee?“
Sie schaute mich mit zusammengekniffenen Augen schräg an und sagte: „Okay.“
Ich stand vorsichtig auf, die Hände am Schreibtisch zum Abstützen und griff nach meinem Gehstock. Es waren nur ein paar Schritte bis zu Forresters Bürotür. Von der anderen Seite war absolut gar nichts zu hören. Meine Güte, ich hoffte er war noch am Leben. Ich öffnete leise die Tür und schaute hinein.
Forrester schlief, den Kopf auf dem Schreibtisch. Auf den Papieren unter seinem Gesicht war eine kleine Speichelpfütze.
Wir brauchten wohl nicht zu fragen, ob wir gehen konnten. Ich schloss die Tür und drehte mich um.
„Schreibt er?“, fragte sie.
„Ja“, sagte ich.
Sie sah überrascht aus. „Wirklich?“
„Nein, er schläft.“
„Oh. Mein. Gott.“
Ich zuckte mit den Schultern.
Je nachdem wie man es sieht, gingen wir in angenehmer oder ungenehmer Stille zum Coffeeshop. Ich bevorzuge zu denken es war das Erstere, aber der Pessimist in mir sagte es war eindeutig das Letztere. Nach etwa Zweidrittel der Strecke sagte sie: „ Es scheint dir heute besser zu gehen.“ Sie nickte in Richtung des Gehstocks.
„Ja“, sagte ich. „Neuer Physiotherapeut.“
„Ach ja?“
„Er führt ein Doppelleben, ich denke in seinem zweiten Leben ist er ein Dominus. Er annonciert auf der Rückseite der ‚Village Voice’“.
Sie warf ihren Kopf zurück und lachte herzhaft. „Du bist verrückt“, sagte sie.
„Nein“, sagte ich und schüttelte meinen Kopf. „Ich meine das todernst. Ich denke ich habe seine Lederriemen gestern aus seinem Schreibtisch raushängen sehen. Ich werde dir meine Notfallkontakte geben, für den Fall, dass ich irgendwann nach meinen Terminen dort spurlos verschwinde.“
„Wie oft musst du dorthin?“
„Dreimal die Woche. Und ich soll morgens mindestens eineinhalb Kilometer gehen. Ich denke er wird mir bald sagen, dass ich mit dem Lauftraining anfangen soll.“
„Was ist denn eigentlich genau passiert?“, fragte sie.
Wir waren beim Coffeeshop angekommen, also sagte ich: „Lass uns unsere Getränke holen und dann erzähle ich dir die ganze Geschichte.“
Fünf Minuten später saßen wir beide draußen, jeder einen Kaffee in der Hand und ich sagte: „Es passierte letzten Februar. Wir waren auf einer Patrouille. Im Grunde genommen war es unser Job hinauszufahren und das Feuer auf uns zu ziehen. Herumfahren, bis jemand auf uns schießt, dann kommt die schnelle Eingriffstruppe und kümmert sich um die bösen Jungs. Das ist zumindest die Theorie.“
Sie nickte und ermunterte mich weiter zu erzählen.
„Egal, an diesem speziellen Tag waren wir in einem kleinen Dorf, etwa fünf Kilometer von der VOB entfernt.“
„VOB?“, fragte sie.
„Tschuldigung. Vorgeschobene Operationsbasis. Erinnerst du dich an den Film ‚Bis zum letzten Mann’? Im Grunde genommen bedeutet es, man nimmt einen kleinen Teil der Army und platziert sie auf einem Präsentierteller in der Mitte des feindlichen Gebiets und lässt sie dort sitzen.“
Sie lehnte sich zurück und sah schockiert aus. Wahrscheinlich lag das mehr an meinem bitteren Tonfall, als an meinen Worten.
„Egal, das Dorf war etwa fünf Kilometer weit weg und wir fuhren oft dort durch. Es sollte eigentlich freundliches Gebiet sein, aber das ist alles relativ. Freundlich bedeutet in diesem Fall, dass wir nicht jeden Tag beschossen wurden sondern nur einmal die Woche. Die Kinder durften Süßigkeiten von uns annehmen und wir waren ziemlich sicher, dass sie dafür nicht umgebracht wurden und sie würden auch keine verstecken Granaten bei sich tragen, oder was auch immer.“
Ihr Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. Fast mitleidig.
Ich brauchte ihr verdammtes Mitleid nicht. Ich lehnte mich vor und sagte: „Hör mir zu, was auch immer du tust, bemitleide mich niemals. Ich will diesen Ausdruck nicht auf deinem Gesicht sehen, klar? Ich bin da lebend raus gekommen. Das macht mich zu einem verfluchten Lottogewinner, okay?“
Ihre Augen weiteten sich, dann nickte sie.
„Jedenfalls… An diesem Tag wurden wir aufgehalten. Einer der Ladenbesitzer… okay, das ist übertrieben. Der Typ hatte einen Karren am Straßenrand und verkaufte Zeug an uns oder an LKW-Fahrer, die durch das Dorf kamen. Verdienst vielleicht fünfzig Cent am Tag. Ich denke er kapierte, dass er wesentlich mehr verdienen konnte, wenn er für die Taliban arbeitete, denn er hielt uns an diesem Tag auf und erzählte uns eine Geschichte über Aufständische, die die Gegend verließen und er wüsste wohin und so weiter. Endlich waren wir fertig, aber es gab den bösen Jungs genug Zeit einen Hinterhalt auf dem Weg zur VOB einzurichten.“
„Also… was passierte?“
„Ich kann mich nicht an viel erinnern. Wir waren etwa auf halber Strecke, als unser Jeep über die Bombe fuhr. Mein Freund Roberts saß am Steuer und sie ging vorwiegend auf seiner Seite hoch. Alles war auf einmal ganz weiß. Ich konnte nichts sehen, nichts hören und dann war alles weg. Ich erwachte drei Tage später in Deutschland, glücklich am Leben zu sein. Splitter hatten meine Waden- und Oberschenkelmuskeln fast komplett zerfetzt. Ich habe ein permanentes Klingeln in den Ohren, aber die Ärzte meinten, das könnte im Laufe der Jahre verschwinden. Und… na ja, ich war lange Zeit im Krankenhaus. Zuerst in Deutschland, nachdem sie mich stabilisiert hatten, wurde ich ins Walter Reed Army Krankenhaus in Washington verlegt.“
„Und deine Freunde?“
Ich verzog das Gesicht. „Ich hatte eigentlich nur zwei Freunde in der Army. Sherman war im Jeep hinter uns. Er kam ohne einen Kratzer davon. Er ist immer noch da draußen in der Provinz. Und… nun ja, Roberts ist nicht durchgekommen.“
Ihr Blick richtete sich auf den Tisch und sie sagte: „Das tut mir leid.“
Ich zuckte mit den Schultern und versuchte zwanglos auszusehen, obwohl ich wusste, dass meine nächsten Worte eine Lüge waren.
„Das passiert, Alex. Menschen sterben. Roberts würde nicht wollen, dass ich wegen dem was passiert ist, mein Leben vermassele. Genauso wenig wie ich das wollen würde, wenn er an meiner Stelle wäre. Er ist wahrscheinlich irgendwo da oben und drängt mich, mich zu betrinken und Sex zu haben.“
Sie kicherte: „Und folgst du seinem Rat?“
„Bisher nicht“, sagte ich. „Aber es gibt immer ein Morgen.“
Das war vermutlich nicht gerade das Schlauste, was ich sagen konnte. Sie blickte von mir weg und auf die Straße hinaus. Schließlich, ganz langsam, fragte sie mich: „Warum hast du mich nicht kontaktiert nachdem du verwundet wurdest?“
Ich mochte ihren Gesichtsausdruck gar nicht, er war voller… Kummer? Verlangen? Traurigkeit?
Ich konnte diese Frage nicht laut beantworten. Weil du mir das Herz aus der Brust gerissen hast, wollte ich sagen. Weil ich nicht mit dir reden konnte ohne dich zu hassen.
Weil ich dich zu sehr geliebt habe, um dich meiner Bitterkeit und Wut auszusetzen. Weil ich es nicht verdient hatte, dich zu haben.
Ich schüttelte den Kopf und sagte dann in einem leichter Ton: „Es würde die Regeln brechen, das zu beantworten, Alex.“
Kein Pfefferspray in der Bar (Alex)
„Ich weiß nicht Kelly. Ich habe keine Lust.“
Kelly rollte die Augen während sie sich ein enges Neckholdertop anzog, aus dem sie nur ein Dosenöffner wieder würde befreien können. „Alex. Es ist der erste Freitag des Semesters. Wir gehen aus. Was ist nur mit dir los?“
„Was mit mir los ist, ist dass ich lernen muss. Ich muss mich konzentrieren.“
Kelly hielt inne bei dem was sie tat und kam auf mich zu. Sie platzierte ihre Hände auf meinen Wangen, schaute mir in die Augen und sagte: „Das ist Schwachsinn.“
„Was?“
„Du hast genau gehört, was ich gesagt habe, Alex. Du warst schon die ganze Woche durcheinander. Du willst doch gar nicht so langweilig sein. Es ist völlig okay sich eine Nacht zu vergnügen. Hier geht es um Dylan, oder?“
Oh, fahr zur Hölle.
Ich hielt inne. Ich war selbst überrascht über meine Wut. Vielleicht hatte sie Recht. Ich meine… ich war über ihn hinweg. Dachte ich. Okay, das ist nicht wahr. Aber… ich hatte nicht gedacht, dass mein Verhalten so anders war.
„Halloooo?“, sagte sie und schüttelte den Kopf dabei.
„Ähm… ich war nicht wirklich die ganze Woche durcheinander, oder?“
„Oh, um Gottes Willen, Alex, zieh dich an! Wir gehen aus, und zwar jetzt gleich. Warte einfach ab was passiert… wahrscheinlich kommt ein absolut heißer Typ vorbei und schleppt dich ab und dann ist es zu spät für den Soldatenjungen. Er wird niemals herausfinden, wer ihm zuvorgekommen ist.“
Sie drehte sich um und ging zurück zu ihrem Spiegel, dann begann sie sich zu schminken.
Ich begann mich nach etwas zum Anziehen umzuschauen. Ich wollte etwas attraktives, aber nicht zu attraktiv. Ich hatte nicht vergessen, was letzten Frühling passiert war. Da. Jeans mit einem Medaillongürtel. Enges langärmliges Shirt mit einer Weste. Vielleicht nicht unbedingt das beste Baroutfit, aber Kelly zeigte schon genug nackte Haut für uns beide. Und so sehr sie auch darüber redete, ich wollte nicht von einem Typen abgeschleppt werden. Um ehrlich zu sein, bekam ich von dem Gedanken eine Gänsehaut und das beunruhigte mich. Ich duckte mich unter meinen Schreibtisch und holte meine kniehohen schwarzen Wildlederstiefel heraus, die mit den fünf Zentimeterabsätzen.
Eine Stunde später standen wir in der 1020-Bar und versuchten einen Sitzplatz zu finden. Der Türsteher schaute zweimal auf meinen Personalausweis als wir hineinliefen, ließ Kelly und mich aber trotzdem durch. Vielleicht hoffte er ihr Top würde bersten.
Okay, ja. Ich war gemein.
Eine Menschenmenge umgab die Bar auf unserer Linken. Natürlich waren alle Sitzplätze belegt, aber wir bahnten uns langsam einen Weg an die Bar. Kelly war in Superform und hielt Smalltalk mit jedem Typen, der unseren Weg kreuzte. Ich fühlte mich etwas zurückhaltender und hasste es ehrlich gesagt, wenn mich die Menge so einengte. Diese Bar war noch niemals mein favorisierter Ort zum Weggehen gewesen, vor allem wegen der Menschenmassen an den Wochenenden. Aber irgendwie landeten wir mindesten einmal pro Woche hier.
Am Ende quetschen wir uns Seite an Seite auf zwei Barstühle am Ende der Bar, in der Nähe der Billardtische. Eine Gruppe aus etwa 20 Männern drängte sich an der Bar zu unserer Linken und sang, während sie einen Drink nach dem anderen tranken. Die Band baute ihr Equipment auf der kleinen Bühne in der Nähe der Billardtische auf und die Lautstärke im Raum hatte in den dreißig Minuten, die wir hier waren, immer weiter zugenommen.
In diesem Augenblick sah ich Randy Brewer und hatte plötzlich einen Knoten im Magen. Ich spürte sprichwörtlich, wie mein Herz zu rasen begann und mein Puls die Arterien in meinem Hals zum Pochen brachte. Ich griff nach Kellys Handgelenk und packte fest zu.
„Was ist los?“, schrie sie in mein Ohr. „Ist es Dylan?“
Ich schüttelte den Kopf, unfähig ein Wort rauszubringen, noch nicht mal um ihr mitzuteilen, dass Dylan nicht trank.
Randy sah mich, lehnte sich gegen die Bar und grinste mich anzüglich an. Langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus und er zwinkerte mir zu.
„Dieser Scheißkerl“, sagte Kelly.
Ich drehte ihm den Rücken zu, wandte mich in Richtung Kelly und platzte heraus: „Lass uns woanders hingehen.“
Der Typ mit dem sie sich gerade unterhielt lehnte sich vor und meinte: „Was ist los Baby? Ich langweile dich doch nicht, oder?“
Kelly schenkte ihm ein süßes Lächeln, ich denke nicht dass er das Unheil auf sich zukommen sah.
„Ja, das tust du“, sagte sie. „Du solltest dir ein interessanteres Gesprächsthema suchen und nachher wiederkommen, okay?“
„Schlampe“, sagte er, dann stieß er einen lauten Rülpser aus und verschwand.
Kelly sah mich an, diesmal mit einem ehrlichen Lächeln und dann brachen wir beide in Gelächter aus.
„Du hast echt einen guter Riecher, Kels.“
„Oh mein Gott“, sagte sie, immer noch lachend. „Langweile ich dich Baby? Wow.“ Sie kicherte.
„Hey, hast du was von Joel gehört?“
Ihre Stimme war immer noch fröhlich aber sie sagte: „Meine Güte, Alex, du hast echt ein Talent, einem die Stimmung zu verderben.“
„Oops, tut mich leid.“
„Ja, ich habe heute Morgen von ihm gehört. Er wollte heute Abend ausgehen. Was zur Hölle? Ich mache mit dir Schluss, weil Verliebtsein zuviel für mich ist, also lass uns einfach ein lässiges Date haben, bei dem ich nach anderen Damen Ausschau halte? Was zum Teufel ist los mit ihm? Was zur Hölle ist los mit den ganzen Typen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Ich hoffe nur, es ist nicht ansteckend.“
Sie grinste, und sagte dann: „Nur im Bett.“
Ich stöhnte lachend und zuckte dann zusammen als sich eine Hand um meinen Unterarm schloss und eine Stimme lustvoll in mein Ohr sprach: „Hey, Alex. Ich hab dich gesucht, wo bist du gewesen?“
Randy. Ich zuckte zurück, aber er ließ mich nicht los. „Lass mich los, Randy. Hau ab.“
„Was zum Teufel? Ich wollte doch nur Hallo sagen.“
Er sah beleidigt drein, ließ mich aber immer noch nicht los. Er begann meinen Arm mit seinem Daumen zu streicheln. „Komm schon Alex. Ich habe letztes Frühjahr einen Fehler gemacht. Aber es war doch gar nicht so schlimm, oder?“
Ich schaute ihm in die Augen und sagte dann wütend: „Lass mich sofort los.“
„Babe, ich will doch nur mir dir reden, okay?“
„Ich will aber nicht mit dir reden!“
Einige Personen um uns herum begannen sich langsam von uns wegzubewegen, so als spürten sie die Spannung und die Wut. Einer sagte zaghaft: „Ich denke sie möchte in Ruhe gelassen werden.“
„Alex, hör mir zu. Sieh mal… ich gebe zu ich hab’s vermasselt. Ich hatte zuviel getrunken und ich hätte dich nicht bedrängen sollen…“
Ich sah eine schnelle Bewegung zu meiner Linken als Kelly aufstand, in ihre Handtasche griff, eine Spraydose herausnahm und sie auf seine Augenhöhe brachte. Seine Worte verwandelten sich in einen Schrei und er wich plötzlich zurück, die Hände auf seine Augen gepresst.
„Verfluchte Hexe!“, kreischte er.
„Komm ihr nicht zu Nahe, Arschloch!“, schrie Kelly zurück.
Sekunden später kam der Türsteher durch die Menge auf uns zu. „Was zum Teufel ist hier los?“, rief er.
Ich war starr vor Schreck.
„Ich habe seinen Hintern gepfeffersprayed. Er hat letztes Jahr versucht meine Freundin zu vergewaltigen, und er war auch heute nicht bereit sie loszulassen.“
Irgendjemand aus der Menge sagte etwas zu dem Türsteher und zeigte auf mich. Der Türsteher sah mich an. Er war groß, knapp zwei Meter und muskelbepackt. „Stimmt das? Er wollte dich nicht loslassen? Und du hast ihm gesagt er solle gehen?“
Ich nickte.
„Okay. Das nächste Mal ruft ihr mich. Ich bin Wade. Ihr könnt nicht einfach Pfefferspray in der Bar verwenden, klar?“
Ich nickte schnell.
„Okay.“
Er drehte sich um und griff nach Randys Arm. „Komm mit, Arschloch. Deine Nacht ist für heute gelaufen.“
Er schob bzw. schleifte Randy durch die Menge von uns weg.
Ich drehte mich zurück zu Kelly und sah sie mit großen Augen an. „Oh. Mein Gott. Du hast das gerade nicht wirklich getan, oder?“
Sie grinste.
Ich griff nach ihren Schultern und umarmte sie. „Kelly, du bist die beste Freundin, die ich je hatte. Ich liebe dich!“
Meine Augen aber wanderten in Richtung Tür, wo Wade, der Türsteher, Randy hinschleppte. Zum tausendsten Mal fragte ich mich warum ich Randy nicht angezeigt hatte, als es passiert war.
Ich weiß wirklich nicht, warum ich es nicht getan habe.
Wir waren letztes Frühjahr kurz zusammen, nachdem Dylan und ich unseren letzten Streit hatten. Es war ein dummer Streit. Ich war angetrunken und war wegen der Gefahr, in der er sich befand, völlig durch den Wind. Ich sagte ein paar Dinge, die ich bereue. Das ich Angst hätte, unsere Beziehung könne an der Entfernung und der Angst zerbrechen. Ich meine, wir hatten uns einige Zeit nicht mehr gesehen. Eine lange Zeit. Und es war so viel passiert.
Dylans Augen wurden ohne jede Warnung kalt. Ich kann die Gefühle, die dieser Gesichtsausdruck bei mir auslöste, nicht mal beschreiben, ohne in Tränen auszubrechen. Ein Blick voll unglaublicher Traurigkeit und, schlimmer noch, Verachtung und Abscheu. Er unterbrach die Skypeverbindung ohne ein weiteres Wort. Keine Warnung, kein Wort, kein Nichts.
Ich versuchte ihn zurückzurufen, bekam aber keine Antwort.
Am nächsten Tag versuchte ich es erneut. Sein Skypeaccount war weg. Genauso wie sein Facebookaccount. Er hatte nicht nur einfach die Freundschaft beendet… er hatte seinen Account vollständig gelöscht. Er beantwortete keine meiner Mails oder Briefe, und bis letzte Woche war es als sei er einfach… von der Erde verschwunden.
Nach einem Monat purer Verzweiflung hatte mich Kelly bedrängt wieder mit jemand auszugehen. Und ich versuchte es. Ich versuchte es wirklich. Ich bin ein paar Mal mit Randy ausgegangen. Und dann eines Nachts hatten Randy und ich ein paar Drinks getrunken, ein paar Drinks zuviel. Und irgendwie fand ich mich in seinem Zimmer wieder. Er versuchte mit mir zu schmusen. Ich war dafür nicht bereit. Nicht auf lange Sicht gesehen. Das Nächste, an das ich mich erinnere ist, dass er mich auf sein Bett schubste und versuchte mir mein Shirt vom Leib zu reißen. Ich versuchte mich zu wehren, aber ich konnte mich kaum bewegen.
Ich schrie und es war pures Glück, dass seine Zimmergenossen in genau diesem Moment das Zimmer betraten. Sie zogen ihn von mir weg und ich stolperte weinend hinaus.
Das wäre nie passiert, wenn Dylan sich nicht so plötzlich von mir getrennt hätte.
Das wäre nie passiert, wenn ich nicht so viel getrunken hätte.
„Geht es dir gut?“, fragte Kelly.
Ich schaute zu ihr hin und nickte.
„Ich habe nur gerade über Dylan nachgedacht, und… alles Andere.“
„Oh, Scheiße“, sagte Kelly „Du bist immer noch bis über beide Ohren in ihn verliebt, oder?“
„Nein“, sagte ich im gleichen Moment in dem ich nickte.
Kelly grinste: „Versuch das noch mal.“
„Oh Scheiße, Kelly. Ich liebe ihn immer noch.“
„Du weißt, dass er sich wie ein Arschloch benommen hat indem er sich auf diese Weise von dir getrennt hat.“
„Ich weiß.“
„Er hat dir keine Chance für eine Erklärung gegeben. Das war einfach bescheuert. Er hat seinen dummen männlichen Stolz das Beste, das er je hatte, zerstören lassen.“
Ich nickte. Sie war keine Hilfe. Kein. Bisschen.
„Du wirst versuchen, ihn zurückzubekommen, oder?“
„Nein“, sagte ich.
„Ich glaube dir nicht. Du lügst mich an, Alex.“
„Nein. Keine Chance. Er hat’s versaut, Kelly. Er hat mein Herz gebrochen. Ich kann nicht zurück. Niemals. Keine Chance.“
„Sicher, Alex, sicher. Egal.“
Sie wandte sich wieder ihrem Drink zu und ich schaute in den Spiegel über der Bar. Log ich sie an? Oder mich selbst?
Ich wusste darauf keine Antwort.