Kapitel 6

Ich verstehe keinen von Euch beiden (Alex)

„Alex, ich brauche deine Hilfe“, sagte Kelly in dem Moment, in dem ich den Raum betrat.

„Hey, was ist los?“, fragte ich und legte meine Tasche neben dem Bett ab. Ich machte es mir auf dem Bett bequem und kuschelte mich in mein Kissen.

Sie sah mich an und sagte dann: „Okay, also… ich denke Joel kriegt sich wieder ein.“

Ich verdrehte meine Augen. „Ach komm schon, Kelly. Er will doch nur rumstreunen und eine ins Bett bekommen.“

„Das weißt du nicht.“

„Warum denkst du jetzt anders?“

Sie lehnte sich zurück, ihren Rücken an der Wand, die Beine baumelten von der Seite ihres Bettes herunter. Es sah ziemlich unbequem aus. 

„Also“, antwortete sie. „Ich habe dir ja schon gesagt, dass er am Freitag mit mir ausgehen will. Ich habe ihm einen Korb gegeben. Daraufhin hat er mir ein Gedicht geschickt.“

„Oh nein, das hat er nicht, oder?“

Sie nickte grinsend. „Es war schrecklich. Aber auch echt süß.“

„Ich wusste gar nicht, dass er Gedichte schreibt.“

„Na ja… erzähl ihm nicht, dass ich das gesagt habe, aber er sollte es besser lassen.“

Ich brach in lautes Lachen aus. 

„Also…heute Morgen war ich in Dr. Abernathys Büro.“ Kelly hatte auch einen Job als studentische Hilfskraft und verbrachte zwei Vormittage die Woche als Empfangsdame im Medizinzentrum der Columbia Universität. „Und ein Bote kam herein. Mit einem Bouquet Malven.“

„Ein Bouquet aus was?“

„Ach komm schon, Alex. Es ist nur meine Lieblingsblume. Der Punkt ist, er hat sich daran erinnert. Er hat mir nicht einfach ein Dutzend Rosen geschickt, was zwar nett aber nicht originell gewesen wäre. Stattdessen hat er mir etwas geschickt, von dem er wusste, dass ich es liebe.“

„Okay, das ist wirklich süß, das muss ich zugeben.“

„Okay, also er möchte Samstagabend ausgehen. Und ich möchte wirklich gerne gehen. Aber… nicht allein. Nicht beim ersten Mal. Ich brauche meine beste Freundin an meiner Seite.“

„Wird dass nicht ziemlich komisch sein?“

„Nicht, wenn du noch jemand mitbringst.“

„Ähm… nein.“

„Alex, komm schon.“

„Ernsthaft, nein. Es gibt niemand, an dem ich auch nur im Entferntesten interessiert bin.“

Jetzt verdrehte sie ihre Augen „Ja klar, natürlich. Ich sehe schon. Lass mich mal überlegen, wen du fragen könntest.“

„Na dann, viel Spaß“, sagte ich.

„Oh, ich weiß schon“, sagte sie, ihre Stimme voller Sarkasmus. „Lass mich überlegen… ich wette das ist jemand, den du jeden zweiten Tag bei deinem Job siehst. Und ihr verbringt Stunden miteinander. Und dann, an den anderen Tagen, stehst du zu einer Unzeit auf um mit ihm Laufen zu gehen. Also wirklich.“

„Kelly, stopp. Es ist nicht so wie du denkst.“

Sie setzte sich auf und warf ein Kissen nach mir. „Komm schon Alex. Du bist meine Freundin. Ich brauche dich jetzt. Es ist ja nicht so, als ob du nicht sowieso schon sechs Tage die Woche mit ihm verbringst.“

„Ja, wir gehen aber nicht zusammen aus.“

Ich sagte die Wahrheit. Obwohl er mich nicht gebeten hatte wieder zu kommen, war ich jeden zweiten Tag um 6:00 Uhr zur Stelle. Wir liefen zusammen, manchmal ohne ein Wort zu sagen. Diesen Morgen sind wir fast viereinhalb Kilometer gelaufen. Um ehrlich zu sein war ich insgeheim froh mit ihm mithalten zu können. Und mindestens ein- oder zweimal gingen wir hinterher zusammen frühstücken. Oder Kaffeetrinken, nachdem wir die Dokumente in der Bibliothek zurück gelassen hatten. Aber das ist nicht miteinander ausgehen. Und im Großen und Ganzen vermieden wir Unterhaltungen wie die, die uns vor ein paar Wochen in Schwierigkeiten gebracht hatte. Wir hielten uns an die Regeln und es funktionierte. Ich wollte das nicht ruinieren.

Ich hielt die Luft an und dachte scharf nach. Ich wollte das wirklich nicht ruinieren. 

Ich schluckte und sagte: „Okay, aber das ist kein Date.“

„Meinetwegen Alex.“

Ich lächelte Kelly an.

Sie sagte: „Danke.“

„Wunder dich nicht, wenn er mir einen Korb gibt.“

„Ich verstehe keinen von Euch beiden.“

Ich seufzte. „Ich auch nicht.“



Blumen aus Afghanistan (Dylan)


Schlechte Idee. Wirklich schlechte Idee. Erstens mal war es Samstagabend und ich lief zu Alex Wohnheimzimmer um sie zu treffen und zu unserem Nichtdate abzuholen. Oder unserem Nichtdate-Date? Undate? Egal. Wir würden in eine Bar gehen und die Leute würden trinken und laut und abstoßend sein. Und meine einzige dürftige Verbindung zur Realität würde die eine Person sein, die außer Reichweite war.

Das war wirklich eine verdammt schlechte Idee.

Ich schaute auf mein Telefon. Schon Zehn nach Zehn. Ich war spät dran. Ich schickte ihr eine SMS.

BIN SOFORT DA. SORRY BIN SPÄT DRAN

Sie schrieb fast sofort zurück.

OK. Drück dich :)

Oh, also wirklich. Ernsthaft? Drück dich? Das war absolut das Letzte, das einer von uns brauchte.

Nach unserem Lauftraining und Frühstück, bei dem wir uns viel zu sehr geöffnet hatten, arbeitete ich hart daran wieder Normalität herzustellen. Das war bitter nötig. Aber wir verbrachten immer noch eine Menge Zeit miteinander. Am nächsten Donnerstagmorgen tauchte sie einfach so auf, in Turnschuhen und einem ausgesprochen weniger offenherzigen Outfit als am ersten Tag. Es war eine Erleichterung. Wenn sie gewusst hätte, wie mir der Atem gestockt hatte, als ich sie an diesem ersten Tag gesehen hatte.

Besser sie wusste es nicht.

Also, ich folgte nicht nur ihren Regeln, ich habe auch noch eigene aufgestellt.

Nicht flirten.

Kein intensiver Augenkontakt.

Und vor allem, nichts unternehmen, dass auch nur im Entferntesten als ein Date gedeutet werden konnte.

Ich beschützte mich selbst, aber gleichzeitig beschütze ich auch sie. Und dann, Freitagnachmittag, nachdem ich die Bibliothek verlassen hatte, fragte sie mich wegen heute Abend.

„Es ist für Kelly“, sagte sie. Kelly und ihr Freund, wie auch immer sein Name lautet, waren dabei wieder zusammen zu kommen. Heute würden sie zum ersten Mal nachdem sie sich getrennt hatten, zusammen ausgehen und Kelly brauchte einen Puffer, jemand der sie davon abhalten würde einen üblen Streit oder so was anzufangen. Aber drei ist eine schlechte Zahl und wenn zwei Paare miteinander ausgingen, wäre das weniger peinlich, sagte sie. 

Ja klar, es würde sicher weniger peinlich werden.

Ich fand das Gebäude und klingelte über die Gegensprechanlage. 

Sie öffnete mir. 

Verdammt. Ich hatte gehofft, sie würde mich hier unten treffen. Sie in ihrem Zimmer zu sehen würde auf ganz besondere Weise unangenehm werden. Irgendwie hatte ich es bisher geschafft, dieses Level an Intimität zu vermeiden. Und ich brauchte die Distanz dringend.

Egal!

Ich erklomm also die Treppen zum vierten Stock. Das war meine persönliche Herausforderung der letzten Woche gewesen. Nimm nie den Aufzug, wenn es Treppen gibt. Nach zwei Wochen Lauftraining war mehr Kraft in mein rechtes Bein zurückgekehrt als ich seit langer Zeit gespürt hatte. Ich war weit davon entfernt gesund zu sein, aber ich war noch viel weiter von dem Punkt entfernt, an dem ich mich vor sieben Monaten befunden hatte, als sie darüber diskutiert hatten, ob sie mein Bein amputieren sollten oder nicht. 

Im vierten Stock angekommen, folgte ich den Zimmernummern bis zu ihrem Zimmer und klopfte dann. Eine kleine Tafel hing an der Tür, auf der einfach stand: Kelly und Alex.

„Ich bin gleich da!“, hörte ich sie rufen. Sie öffnete die Tür, und mir stockte der Atem. 

Oh mein Gott.

Ihr Haar war zu einem komplizierten Knoten in ihrem Nacken zusammengesteckt, lange Strähnen fielen daraus in losen Locken über ihre Schultern. Sie trug ein dunkelgrünes ärmelloses Kleid, das kurz über ihren Knien endete und Ihre Figur perfekt betonte. Ich atmete dürftig ein. Sie hatte etwas mit ihrem Make-Up angestellt. Ihre grünen Augen sahen sehr groß aus. 

Ihre Wangen wurden rot, als sie mich ansah. Wir wandten beide unsere Augen ab. 

„Komm rein, ich bin gleich fertig“, sagte sie.

Total nervös folgte ich ihr in das Zimmer.

Es war offensichtlich welche Seite Alex gehörte.

Kellys Seite des Raumes war ganz in pink getaucht, mit Band- und Filmpostern und großen aufgebauschten Kissen.

Alex Seite war dezent. Eine Weltkarte hing über ihrem Schreibtisch, und ein paar Bücher lagen lose arrangiert auf einer Seite des Tisches.

Ein Bilderrahmen mit getrockneten Blumen. Direkt unter den Blumen war ein Datum geschrieben: 19. November 2011

Das waren die Blumen, die ich ihr letztes Jahr geschickt hatte, als ich in Afghanistan war. 

Auf dem Schreibtisch stand ein Bild, das mir fast das Herz aus dem Leib riss. Wir beide, aneinander gekuschelt. Ich erinnerte mich wo es gemacht wurde. Wir waren in Haifa, in einem Park in der Nähe von Central Carmel. Ich hatte fast die ganze Nacht Gitarre gespielt und danach kuschelten wir uns aneinander, lachten und unterhielten uns. Ich hatte einen Abzug des gleichen Fotos.

Ich schaute weg und versuchte weiter ruhig zu atmen.

„Ich bin fertig“, sagte sie als sie aus dem Bad kam. Sie schaute mich an und dann wanderten ihre Augen zu dem Foto, den Blumen und ihre Wangen wurden rot. Wir vermieden es, uns in die Augen zu schauen als wir das Zimmer verließen.

Sie ging in Richtung der Treppen, obwohl sie hohe Absätze trug, die aussahen, als wäre es schrecklich darin zu laufen, die aber auch unglaublich sexy waren. Das Kleid, das sie mit einer dünnen Stola über ihren Schultern trug, umschmiegte ihren Körper auf eine Art und Weise, die meinen Puls zum Rasen brachte. Ich schüttelte den Kopf. Dies war Alex’ Art sich um mich zu kümmern, denn sie wusste, dass ich den Aufzügen abgeschworen hatte. Ich konnte mir nicht helfen, wie sie so vor mir die Treppen herunterstieg, studierte ich ihren Körper mit meinen Augen. Heilige Scheiße, war sie schön. Es mag abstoßend klingen, aber in diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als sie auf ein Bett zu legen, ihre Beine in meine Hände zu nehmen und an ihren Waden zu lecken. 

Das würde eine lange, lange Nacht werden.

„Wir können den Aufzug nehmen“, sagte ich.

„Das sind nur Absätze, ist schon gut.“

Ich zuckte mit den Achseln.

Als wir auf die Straße traten, sagte ich: „Also, ich habe eine Mail von meinem Freund Sherman erhalten.“

„Oh, ja?“

Ich nickte. „Er kommt nächste Woche nach Hause und sagte er möchte für ein paar Wochen nach New York kommen. Ich denke er überlegt eventuell hier aufs College zu gehen.“

„Oh, wow, das ist toll!“

„Das wird merkwürdig sein. Der Teil meines Lebens und dieser Teil meines Lebens… sie haben nicht wirklich eine Verbindung. Es fällt mir schwer ihn mir hier vorzustellen.“

„Wir werden ihm die Stadt zeigen“, sagte sie. „Es wird dir gut tun, einen Freund hier zu haben.“

Als sie wir sagte holte ich scharf Luft. Jeder Moment, den ich mit dieser Frau verbrachte, war ein einziges Vorbild an Zurückhaltung. So schwer es auch zu glauben war, ich hatte in letzter Zeit viele schlaflose Nächte gehabt. Sie war damit beschäftigt, Pläne für uns zu schmieden und ich versuchte um jeden Preis Abstand zu halten. Und diesen Abstand aufrecht zu erhalten brachte mich um. Ich liebte sie, aber um ehrlich zu sein, ein Teil von mir hasste sie auch.

Ich spannte mich an, als wir in der Nähe der 1020-Bar kamen. Eine kleine Menschenmenge stand davor und rauchte. Innen sah es aus wie einem Irrenhaus. Extrem laute Musik und Menschen, die wie in einer japanischen U-Bahn zusammengepfercht waren. Schreiend und rufend. Es klang als ob eine Band drinnen spielte. 

Ich wurde unbewusst langsamer als wir den Eingang erreichten. 

„Geht es dir gut?“, fragte sie. „Du siehst ein bisschen blass aus.“

„Sorry“, sagte ich. „Ich komme mit großen Menschenmassen nicht mehr so gut klar.“

„Ich bleibe in deiner Nähe“, sagte sie.

Als ob mir das helfen würde mich zu entspannen. Ja, klar.

Sie nahm meinen Arm, drückte sich eng an mich und wir gingen in die Bar. Sie suchte die Menge nach Kelly und ihrem Freund, dessen Name ich vergessen hatte, ab.

Nachdem wir uns ein paar Minuten durch die Menge geschoben hatten, fanden wir sie an einem hohen Tisch mit vier Hockern, sitzend.

Ich erstarrte, als ich Kellys Freund sah.

„Dylan, das sind Kelly und Joel. Kelly und Joel, das ist Dylan.“

Kelly lächelte ein breites Grinsen und sagte: „Wow Dylan, es ist so cool, dich endlich persönlich zu treffen.“

Joel streckte seine Hand aus und sagte: „Hey Mann, ja, es ist gut, dich endlich zu treffen. Ich habe schon so viel vor dir gehört.“

Ich starrte in das Gesicht des Mannes, den ich über Skype gesehen hatte. Der Typ, der in der Nacht, in der ich mich von ihr getrennt hatte, mit nacktem Oberkörper in Alex Zimmer gewesen war. Mir stockte der Atem, ich sah schnell zu Alex hinüber, die begann besorgt auszusehen, und schaute dann wieder zu ihm zurück und murmelte: „Wichser.“

Ich befreite meinen Arm aus Alex Umklammerung, drehte mich um und bahnte mir einen Weg durch die Menge zurück zum Ausgang.



Ähm, ja. Ich sollte besser einen Arzt aufsuchen (Alex)


„Was zur Hölle?“, fragte Kelly als Dylan sich von uns wegdrehte und so schnell es ging zum Ausgang strebte. 

„Ich habe keine Ahnung!“, sagte ich, meine Stimme war fast ein lautes Klagen. Was war schief gegangen? Was hatte ich getan?

„Lauf ihm hinterher Alex. Lass ihn nicht ohne eine Erklärung gehen. Nicht noch einmal!“

Ich zitterte und mein Atem ging schnell und oberflächlich. Ich war dabei durchzudrehen. Eine Vision dieser qualvollen Wochen, die ich letzten Februar und März hauptsächlich weinend im Bett verbracht hatte, zog an meinem inneren Auge vorbei. 

Dieser Mistkerl würde mir das nicht noch einmal antun.

Ich drehte mich um und rannte zur Tür und es war mir egal, ob sie mir folgten. 

Er war schon einen halben Block weit gekommen. Ich rannte hinter ihm her und rief: „Dylan, warte!“

Ich sah wie seine Schultern sich anspannten, als er mich hörte. Er stoppte, sein Rücken aufgerichtet, und er sah immer noch nicht in meine Richtung.

„Dylan! Was zur Hölle ist los?“, schrie ich ihn an. „Warum hast du das gemacht? Warum bist du einfach so gegangen?“

Er drehte sich zu mir um, und ich fühlte mich dabei, als hätte er mich geschlagen. Seine Augen waren rot und begannen sich mit Tränen zu füllen, die Augenbrauen waren zusammengezogen und formten eine senkrechte Linie auf seiner Stirn. 

Er zeigte zurück zur Bar und schrie: „Du weißt was ich für dich empfinde. Wie zum Teufel konntest du mich hierher bringen, wo du doch wusstest, dass er hier sein würde?“

Ich zuckte zusammen, als er mich anschrie. Das hatte er in der ganzen Zeit, die wir uns kannten noch niemals getan. Und dann die Frage. Was? Sie ergab überhaupt keinen Sinn. Er kannte Joel noch nicht einmal. 

„Ich weiß nicht wovon du redest, Dylan!“

Er schüttelte den Kopf und sein Gesicht war voller Kummer und Schmerz. „Ich dachte du… wärest anders, Alex. Ich… oh, verdammt noch mal, ich hätte dir das niemals zugetraut.“

„Was zugetraut? Ich verstehe nichts von dem was du sagst.“

„Er! Er war damals in dieser Nacht in deinem Zimmer. Wage es ja nicht es zu leugnen. Ich habe ihn gesehen. Du trennst dich an dem Tag, der sowieso schon der schlimmste Tag meines Lebens war, über Skype von mir und dann kommt dieser Wichser, auch noch oben ohne, ins Bild und legt seine Hand im Vorbeigehen auf deine Schulter. Habt Ihr gelacht, als Ihr die Trennung geplant habt? Habt Ihr miteinander geschlafen, bevor wir miteinander gesprochen haben?“

Es fühlte sich an, als hätte er mich geschlagen. Ich ging zwei oder drei Schritte zurück und sagte dann: „Dylan… das ist Joel. Er ist Kellys Freund.“

„Was zum Teufel hatte er dann dort zu suchen?“

Jetzt schrie ich zurück: „Er ist ihr Freund du Arschloch. Er war fast immer da, sie sind wie Siamesische Zwillinge. Willst du mir etwa sagen, du hast deshalb mit mir Schluss gemacht? Du hast mir das Herz wegen eines dummen Missverständnisses gebrochen? Weil du dachtest du hättest einen anderem Mann in meinen Zimmer gesehen?“

Er schüttelte den Kopf. 

„Er war mit Kelly zusammen?“, sagte er in einem unregelmäßigen Flüstern. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Kummer und Zorn. Zorn auf sich selbst? Ich verstand das nicht.

Plötzlich schrie er: „Scheiße!“, und dann schlug er mit seiner Faust auf das Metallgitter des Ladens ein, neben dem wir standen. Er stieß ein Heulen aus, ein echtes Heulen, im wahrsten Sinne des Wortes, und schlug mit der Faust wieder auf das Gitter ein. Und noch mal, und noch mal, und jedes Mal wenn er zuschlug schrie er „Scheiße!“ dabei. 

Meine Wut verrauchte schlagartig, denn bei seinem letzten Schlag gegen das Gitter sah ich Blut spritzen. Ich begann zu weinen, richtig heftig zu weinen, denn er verletzte sich selbst, er verletzte sich tatsächlich selbst. 

„Dylan“, flüsterte ich. „Hör auf.“

Er hörte mich noch nicht einmal. Also tat ich das Einzige, das mir einfiel. Ich schlang meine Arme um seine Brust, lehnte mein Gesicht an seinen Rücken und schrie dann so laut ich konnte: „Dylan, bitte hör auf! Bitte tu dir nicht selbst weh! Ich liebe dich!“

Er stoppte und versteifte sich in meinen Armen. Ich schluchzte in seinen Rücken. Dann drehte er sich abrupt in meinen Armen um und schlang seine Arme um mich, seine Muskeln hielten mich dabei so fest, dass ich kaum atmen konnte. 

Wir weinten beide und ich begann zu sagen: „Es tut mir leid“, und er sagte „Ich wusste es nicht. Oh mein Gott. Es tut mir so leid, Alex.“

Er begann zu schluchzen, richtige Schmerzensschreie auszustoßen und irgendwie schaffte er es herauszupressen: „Das war der Tag an dem Kowalski sich auf die Granate geworfen hat, Alex. Ich war völlig fertig als ich dich anrief.“ Seine Stimme wurde zu einem Flüstern und er sagte: „Du warst betrunken und ich brauchte dich so dringend.“

Ich weinte noch heftiger, versuchte mich noch mehr an ihn zu pressen und sagte: „Es tut mir so leid, Dylan. Ich wusste es nicht, ich wusste es nicht.“

„Ich habe niemals aufgehört dich zu lieben“, flüsterte er. „Nicht eine einzige Sekunde. Nicht einmal als ich dich hasste.“

Ich flüsterte: „Ich liebe dich auch Dylan.“

Es war mehr als zwei Jahre her seit wir uns so in den Armen gehalten hatten, am Morgen als er San Francisco verlassen hatte, um nach Hause zu fahren. Wir hatten uns beide verändert, aber zum ersten Mal seit zwei Jahren fühlte ich mich, seine Armen um mich geschlungen, wieder vollständig. 

Der Moment wäre perfekt gewesen, aber ich hörte Kelly hinter uns: „Ähm… Ich hasse es ja diese unglaublich bewegende Szene zu unterbrechen, aber ähm… Er muss in ein Krankenhaus. Und zwar sofort.“

Dylan und ich zuckten zusammen. Wir trennten uns sachte voneinander und ich nahm seinen Arm in meine Hand.

Oh Scheiße.

Seine Hand war… übel zugerichtet. Die Haut an den Knöcheln war aufgeplatzt und Blut fiel in dicken Tropfen auf den Boden. Ich spürte wie ich plötzlich begann schneller zu atmen und realisierte, dass ich den Knochen eines seiner Finger sehen konnte. 

„Oh Gott. Dylan, schau was du mit deiner Hand gemacht hast!“

Er schaute auf seine Hand runter, ein verlorener Ausdruck auf seinem Gesicht. Er schüttelte den Kopf und sagte: „Ähm, ja. Ich sollte besser einen Arzt aufsuchen.“

Er schloss die Augen und schwankte ein bisschen.

„Wir kommen mich Euch“, sagte Joel.

Kelly nickte.

Ich nahm die Stola ab und wickelte sie um seine verletzte Hand und dann riefen wir ein Taxi.